Ress von Lyndis (Mein neuer Diener) ================================================================================ Kapitel 7: (Special) Erbensuche ------------------------------- "Die Blutlinie ist einfach zu weit verbreitet", seufzte Kotarou und ich verstand seine Frustration nur zu gut. Jedes Mal wurde es schwerer jemanden zu finden, denn jede neue Generation war größer als die davor und normalerweise lebte ich zwei Generationen bei ein und demselben Meister. Kotarous Leben neigte sich dem Ende und wir mussten einen Erben aus der Blutlinie finden, so verlangte es mein Vertrag. Mittlerweile hatten wir gut 100 mögliche Erben, die meisten davon männlich, denn was auch immer die Charakterzüge bildete, die ich suchte, wurde meist unter den männlichen Nachkommen vererbt. Aber auch nicht immer, ich hatte auch schon eine Frau als Herrin. Es war nicht so, als wären Frauen generell irgendwie schlimmer als Männer, es war nur diese Genkombination, die sich so fortsetzte. In anderen Blutlinien sähe das ganz anders aus. Wir suchten jemanden der aufopferungsvoll und bescheiden war, Eigenschaften die man nicht gerade in Akten fand. Wir hatten aber nicht mehr. Es wurde auch nicht einfacher, wenn jemand regelmäßig spendete oder Hilfsorganisationen angehörte. Es war vielleicht ein Indiz, aber kein Beweis. Meist wurde eine engere Auswahl von mir noch näher beobachtet und selbst dann war nicht garantiert, dass ich die richtige Entscheidung getroffen hatte. Anfangs, als ich noch nicht genug Erfahrung gehabt hatte, waren mir öfter Fehler unterlaufen. Gute Taten aus den falschen Motiven machten eben auch keinen guten Menschen. Ich war einmal der Illusion eines Mannes unterlegen, der groß im Spenden und Anlegen und Helfen gewesen war. Er schien perfekt zu sein. Erst ein halbes Jahr später hatte ich dann feststellen können, dass er all das nur Tat, um andere damit in der Hand zu haben. Um danach Gefallen einholen zu können, um in Testamenten erwähnt zu werden, deren Besitzer eine unbestimmte Zeit später an Unfällen verstarben und um aus Dankbarkeit Töchter geschenkt zu bekommen, die er nur sammelte und die ihn eigentlich nicht interessierten. Unwichtig zu erwähnen, dass dieser Mann kurz darauf selbst einem tragischen Unfall erlag. Ich war nur dem gutmütigen Teil der Familie verschrieben, alle anderen waren mir so egal, wie der Rest der Menschheit. Kotarou hingegen war eine sehr gute Wahl gewesen. In seiner Generation hatte es noch drei weitere gegeben, die in Frage gekommen wären, aber ich bin sicher, mit ihm die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Als er erfahren hatte, was der Hintergrund meines Vertrages war, hatte er das Erbe aufgeteilt und den anderen drei anonym zukommen lassen. Es wäre nur fair, hatte er gesagt, wenn es mehr ein Bauchgefühl gewesen war, das mich zu ihm geführt hatte, dann sollten die anderen genauso davon profitieren. Den Rest des Vermögens hatte er dazu genutzt, eine Hilfsorganisation zu gründen und verschiedene Einnahmequellen zu schaffen, um es wieder zu dem alten Wert aufzustocken. Ich hatte ein wenig darauf achten müssen, dass er nicht zu großzügig wurde, denn ich musste auch immer an meinen folgenden Herrn denken, der natürlich die gleichen Vorzüge genießen können sollte. Ich half Kotarou dabei, eine Struktur aufzubauen, die Gewinn brachte, aber der Welt dennoch etwas brachte. Wir finanzierten unzählige Sozialwohnungen mit den Mieten aus normalen Mietshäusern, kauften uns in Produktionen ein, die biologisch sinnvoll anbauten und deren Produkte wir gewinnbringend verkaufen konnten und so weiter. Es war ein solides Netzwerk entstanden, das nun einen neuen Besitzer suchte. Nun, zumindest offiziell, denn die meiste Arbeit machte ich. Es machte mir Spaß mich in neue Gegebenheiten einzuarbeiten, neue Geschäftsentwürfe zu machen und mich immer und immer wieder neu in die Gesellschaft zu fügen. Es war mein liebstes Hobby neben dem Dienen für meinen Herrn. Kotarou hatte ich in den Vierzigern kennengelernt. Da hatte die Wirtschaft noch ganz anders ausgesehen, als zu dem Zeitpunkt, zu dem ich einen nächsten Erben gesucht hatte. Es würde eine neue Herausforderung werden, ein neuer Herr mit neuen Vorstellungen und es war wieder ein ganz neuer Schritt in der wirtschaftlichen Evolution. Die Technik hatte ihren Einzug gefunden und damit ein ganz neues Feld, in das man sich einarbeiten konnte. Es kribbelte mir schon in den Fingern, auch wenn ich den Verlust von Kotarou sehr bedauerte. Doch so sehr ich ihn auch liebte, nach so vielen Herrn, die ich bereits überlebt hatte, war das Gefühl des Abschieds nichts anderes als ein dumpfer Widerhall in meiner Brust. Kotarou wusste das und mein neuer Herr würde es auch irgendwann wissen. Nicht zu Anfang natürlich. Es gefiel mir nicht, dass ich lügen musste oder zumindest die Wahrheit verschleiern, aber es ging nicht anders. Jeder normale Mensch würde mich einweisen lassen, wenn ich ihm von Anfang an berichten würde, was Sache war. Das war eine delikate Angelegenheit, die nur Stück für Stück gelüftet werden durfte, damit es zu möglichst wenigen Problemen kam. Es dauerte Wochen, bis wir eine Auswahl von fünf Personen zusammen hatten und einen weiteren Monat, bis wir diese Auswahl auf drei herunter gebrochen hatten. Es war tatsächlich eine Frau dabei doch es fiel mir schwer, mich nach so vielen Männern noch für sie zu erwärmen. Zudem suchte ich alleinstehende Erben oder solche in unglücklichen Lebensverhältnissen und Rika, die Frau, hatte ein sehr erfülltes Leben, ohne große Sorgen. Ich suchte jemanden, dem ich bei seiner Selbstverwirklichung helfen konnte, aber Rika hatte das schon selbst geschafft. Das waren zwei Ausschlusskriterien, die nicht zu überwinden waren. Ich musste meinen neuen Meister mögen, nein, sogar lieben können, das war Teil des Vertrags. Dabei war es egal, ob mein Meister auch mich lieben konnte. Ich hatte nicht immer das Glück, eine solch enge Beziehung mit jemandem aufbauen zu können, wie mit Kotarou. Solange es gesellschaftlich vertretbar gewesen war, waren wir ein Paar gewesen, danach hatte sich alles nur noch hinter verschlossenen Türen abgespielt und war immer seltener geworden, weil Kotarou nicht verstehen konnte, dass sein körperlicher Zerfall, sein Altern, für mich keine Rolle spielte. Aber ich ließ ihm seinen Willen, war von seinem Partner zu seinem Sohn geworden und schließlich zu seinem Enkel. Mittlerweile ließ er mich kaum seine Hand halten, aber ich war noch immer sein bester Freund. Vielen meiner Meister hatte ich ihren idealen Lebenspartner gesucht. Für Kotarou und einigen, wenigen anderen, war ich das gewesen, auch wenn ich an manchen Tagen das bedauern in seinen Augen sehen konnte, dass er niemanden an seiner Seite hatte, mit dem er gemeinsam alt werden konnte. Dennoch hatte er all die Jahre nie daran gedacht, sich jemand anderen zu suchen, obwohl ich ihn oft versucht hatte, von etwas anderem zu überzeugen. Ich war ihm sehr dankbar für seine Loyalität. Kotarou war definitiv einer der Herren, die ich besonders in Erinnerung behalten würde. Wir diskutierten lange über die Auswahl zwischen den verbliebenen beiden und letztendlich war es mein persönlicher Geschmack, der die Auswahl traf. Die Wahl fiel auf Yuri. Einen Mann Mitte zwanzig. Er hatte nie etwas besonderes geleistet oder war sonst groß aufgefallen, aber genau das faszinierte mich sehr. Er war ein stiller Helfer, ein unglaublich guter Mensch, der in der Masse und vor sich selbst vollkommen unterging. Er war durch und durch normal, ging täglich zur Arbeit, traf sich abends mit Freunden und das war es im Großen und Ganzen. Seine Gutmütigkeit zeigte sich in kleinen Dingen, nicht in großen Gesten und ich mochte diese Unaufdringlichkeit. Ich hatte ihn erlebt, wie er wildfremden Menschen zugehört hatte, während er in seiner Mittagspause mit einem Kaffee nach draußen gegangen war, um sich ein wenig von dem Bürostress zu erholen. Er hatte geduldig zugehört, hatte Ratschläge gegeben, ohne, dass es dem Mann, dem er zuhörte, wirklich schlecht gegangen wäre. Es waren Nichtigkeiten gewesen, über die er sich beklagt hatte, aber Yuri hatte ihm trotzdem helfen wollen und das obwohl er offensichtlich Müde und abgeschlagen gewesen war. So jemanden suchte ich. Einen guten Menschen, der seine eigenen Bedürfnisse hinter die von anderen stellte. Es war keine besonders förderliche Eigenschaft für einen Menschen. Sich so für andere aufzuopfern laugte aus, war anstrengend und verkürzte deshalb die Lebenserwartung. Egoismus - zu einem gewissen Grad - war für Menschen wichtig, um mental gesund zu bleiben. Aber dafür war ich ja dann da. Ich würde für Yuri die eine Person werden, für die er und seine Bedürfnisse am wichtigsten waren. "Yuri also, hm?" Kotarou hustete gequält. Es würde nicht mehr lange dauern. "Er ist hübsch." Ich warf noch einmal einen Blick auf sein Bild, studierte es eingehender. Ja, hübsch war er wirklich. Ein angenehmer Bonus, aber nichts ausschlaggebendes. Sein Charakter war mir wesentlich wichtiger. Kotarous zittrige Finger fuhren das Bild nach. "Freust du dich auf einen neuen Liebhaber?" Ich trat an ihn her und legte ihm sanft eine Hand auf die Schulter, drückte ganz leicht zu. "Ich freue mich auf einen neuen Herrn, wie ich mich auf dich gefreut habe und auf jemanden, der mich von deinem Verlust ablenkt." "Als würde es dich so sehr betreffen." Ich neigte mich zu ihm herunter und gab ihm einen sanften Kuss auf sein schütteres Haar. "Es mag mich nicht so schmerzen, wie es vielleicht sollte, aber das bedeutet nicht, dass ich deinen Verlust nicht betrauere. Ich liebe dich, Kotarou, das solltest du doch wissen." Doch mein Liebster seufzte nur und ich wusste, dass er mir nicht glaubte. Er wusste, dass ich ihn liebte, aber er glaubte mir nicht, dass ich ihn vermissen würde. Aber das würde ich. Ich hatte mehr als siebzig Jahre mit ihm verbracht, natürlich würde sein Tod nicht spurlos an mir vorbei gehen. Es schmerzte mich ein wenig, dass ich ihm das nicht begreiflich machen konnte. "Ich freue mich für dich, Ress. Ich denke, er ist eine gute Wahl. Er wird sich gut um dich kümmern. Und er ist Jung, nicht ganz so jung wie ich damals, aber jung." Kotarou war damals fünfzehn gewesen. "Er passt gut zu dir" Ich konnte die Eifersucht aus seiner Stimme hören, aber es gab nichts, was ich dagegen tun konnte. So waren die Regeln, Kotarou hatte das immer gewusst. Und wäre ich mit ihm gealtert, wäre es eine ganz andere Sache. Kotarou hatte wirklich ein Problem damit, dass sein Körper so viel schneller zerfiel als meiner. Er war eifersüchtig auf die Jugend von Yuri, nicht darauf, dass ich ihn ersetzen würde. "Er wird vielleicht gar nicht mein Partner. Mach dir darum nicht solche Gedanken. So lange du lebst, liebe ich nur dich. Niemand anderen. Yuri mag hübsch sein, aber in meinen Augen bist du die einzige, nennenswerte Person und ich werde dich vermissen. Bitte glaube mir das." Doch er konnte nicht. Es überstieg seinen Horizont und das war nicht zu ändern. Alter war für mich kein Problem. Es ging mir nicht um einen Körper. Er mochte sich jetzt anders anfühlen, aber er war doch nur eine Hülle. Ich liebte Kotarou, ob nun mit oder ohne Falten. Wir mussten das Gespräch aber an dieser Stelle beenden, denn er war müde und ich half ihm ins Bett. Zwei Monate noch, dann hörte sein Herz auf zu schlagen und er starb mit Liebeskummer. Ich hatte es nicht geschafft, ihm noch zu beweisen, dass meine Gefühle für ihn aufrichtig waren. Es tat mir weh, das mit anzusehen und nicht zum ersten Mal wünschte ich, dass mein Herr spüren konnte, wie es in mir aussah. Denn auch wenn meine Liebe vertraglich gebunden war, war sie genauso aufrichtig und echt, wie die Liebe eines Menschen. Ich riss mich selbst aus meinen Erinnerungen, als ich wieder vor der Tür meines neuen Zuhauses ankam. Ich schloss auf und nachdem ich die Einkäufe verstaut hatte, warf ich einen Blick ins Wohnzimmer. Yuri schlief tief und fest, vollkommen fertig vom Durchgehen der Papiere und darauf vertrauend, dass ich mich um alles kümmerte. Es würde noch lange dauern, bis er mich akzeptieren könnte, aber ich war geduldig und diese neue Herausforderung war genau das, was ich brauchte, um über den Tod meines letzten Meisters hinweg zu kommen. Es würde der Tag kommen, an dem ich Yuri all meine Liebe schenken konnte und ich hoffte, dass er meine Gefühle erwidern würde. Mit einem sachten Schmunzeln auf meinen Lippen trat ich zu ihm, zupfte die Decke wieder zurecht und verweilte kurz, um ihn zu betrachten. Tiefe Zuneigung kribbelte durch meinen Körper. Ich freue mich auf den Tag, an dem wir ein Team sein werden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)