Malstrom von UAZ-469 ================================================================================ Prolog: -------- Die rot leuchtenden Zahlen auf dem digitalen Instrument näherten sich langsam, aber beständig der 300er-Marke. Schon lange hing die Nadel auf dem Tachometer bei 180 km/h, auf der anderen Seite des Armaturenbretts hingegen arbeitete sie sich tapfer den roten Bereich hoch. Sehnsüchtig fixierte der Fahrer den Drehzahlmesser, die freie Hand den Schaltknüppel fest umklammert, darauf wartend, in den fünften Gang zu schalten. Das mächtige Brüllen des Motors lullte ihn ein wie den lieblichen Gesang einer fürsorgenden Mutter, während ein kaum hörbarer Dämon forderte, nein, befahl, das Gaspedal bis zum Anschlag zu drücken und niemals loszulassen. Dieser Anweisung kam der mit Adrenalin vollgepumpte Fahrer nur zu gern nach, verhieß ihm der Wagen doch ewiges Glück in den Verzückungen der Geschwindigkeit. Selbst wenn dies die letzte Fahrt der Maschine werden sollte, würde er Freudentränen vergießend aus dem Auto steigen, Zuhause einen Altar errichten und jeden Tag den Erbauen des Fahrzeugs für den Höllenritt seines Lebens huldigen. Wer hätte gedacht, dass der „schnellste Schrotthaufen des Sternenmeers“, wie er vom Händler spottend bezeichnet worden war, jemals so viel Fahrspaß bescheren würde? Noch kein „toter“ Gegenstand zuvor hatte es vollbracht, seinen Körper vor Begeisterung zum Erzittern zu bringen. Es mochte zwar einem Modell von vor über 90 Jahren entstammen, das nur maximal 112 Pferdestärken aufbrachte; doch den längst verstorbenen Herstellern war es gelungen, aus einem für die damalige Zeit überteuerten und veralteten Familienwagen ein erschwingliches Monster zu kreieren. Trotz der vielen unglücklichen Zwischenfälle, die schließlich zum vorläufigen Produktionsstopp führten. Aber der Fahrer wusste, dass den Wagen keine Schuld traf. All jene, die nicht den unbarmherzigen Anforderungen der metallischen Wesen genügten, ereilte prompt ihr Urteil, und die Strafen waren drakonisch. Allein der Gedanke, wegen der geballten Unfähigkeit der unwürdigen Eigentümer die Distribution zu stoppen, erschien ihm wie Blasphemie. Umso glücklicher war er, erfahren zu haben, jemand hatte vor einem Jahr die gleiche Obsession geteilt, sodass er eines dieser Fahrzeuge hatte nachbauen lassen und bis auf die notwendigen Modifikationen am Motor alles beim Original belassen hatte. Dem Fahrer war es egal, dass der Wagen angeblich mindestens ein Dutzend Vorbesitzer hatte. Für ihn war das nur Bestätigung seiner Überzeugung, das Biest brauche eine starke Hand, eine Person, die verstand, es zu zähmen, über die Leistungsgrenzen hinauszuführen. Und dass das Vehikel nach jedem Unfall wie ein Phönix aus der Asche erstanden und eines Tages dem Fahrer in einem unscheinbaren Autosalon begegnet war, konnte nur Schicksal sein, Liebe auf den ersten Blick gleich. Wie konnte der Händler bloß daran denken, diese missverstandene Kreatur infolge der üblen Gerüchte verschrotten zu lassen! Das zu bezahlende Vermögen war es dem Käufer mehr als wert. Fünfter Gang. Lediglich eine Sekunde lang gönnte sich der Motor eine Pause, bevor er erneut aus Leibeskräften brüllte und das Auto jenseits der 300 Kilometer pro Stunde beschleunigte. Diese breite Landstraße im Dunkel der sternenklaren Nacht war wahrlich der perfekte Ort, den Gelüsten des Fahrzeugs zu frönen. Eine gut ausgebaute Route, umgeben von weiten Grassteppen, gesäumt von nur wenigen Bäumen und von einer Länge, die mit den einsamen Wegen im australischen Outback konkurrieren konnte. Ausschließlich das Fernlicht beleuchtete den finsteren Asphalt, rechts rötlich-golden, links gelb. Die seltenen, leichten Kurven bewältigte er mit sanften Lenkbewegungen und obwohl die Reifen leise quietschten, sowie sich die Karosserie neigte, spürte er ihren festen Halt auf dem Asphalt. Wohin der Weg führte? Das hatte ihn nicht zu interessieren, denn nur die Bedürfnisse seines fahrbaren Untersatzes waren wichtig. Außerdem, was faselte die künstliche Intelligenz des Autos vom deutlichen Profilverlust und Blasenbildung? Der Wagen ließ sich von so einer Lappalie doch nicht ausbremsen! Immer weiter, immer schneller wollte es rennen, und er würde dabei nicht im Wege stehen. Nur er und der Wagen, ganz allein auf der Straße, zu einem Wesen verschmolzen, die Vegetation am Rand im Vorbeiflug nichts weiter als Schemen – ans Anhalten war überhaupt nicht zu denken. Sogar als die KI besorgt meldete, dass das Fahrwerk zusammenzubrechen drohte, wenn der Lastenwechsel zu schnell vonstattenginge, kümmerte ihn nicht. Er war kein Versager wie die vorherigen Eigentümer! Heute würde er beweisen, dass er dazu auserkoren war, den Wagen zu seiner Bestimmung zu lenken. Erwartungsvoll blickte er auf die Geschwindigkeitsanzeige: 320 … 330 … 340 … 350 … Der Fahrer grinste, kicherte und lachte, als er in den sechsten Gang schaltete. Es hörte nicht auf. Das Fahrzeug [style type="italic"]wollte[/style] nicht aufhören. Solange der Treibstoff nicht verdampfte und die Straße nicht endete, würde es ewig so weitergehen. Lediglich die KI versuchte, eine Notbremsung einzuleiten, da sie angeblich errechnet hatte, der Wagen würde ihn töten, wenn der Fahrer jetzt nicht stehen bliebe. Ein Vorhaben, dass dieser mit einem erzürnten „Verschwinde!“ kurzerhand vereitelte. Nichtsdestotrotz erlaubte sie sich, eine geringfügig schärfere Kurve in wenigen Kilometern anzukündigen, die leider eine Verlangsamung erforderte. Die Enttäuschung darüber, dem Höhenflug des Wagens ein abruptes Ende zu versetzen und ihn somit zu beleidigen, wurde jäh von Glückseligkeit übertüncht, nachdem er sah, dass er tatsächlich den Temporekord des schnellsten Wagens mit Saugmotor gebrochen hatte. Der Fahrer trat sachte auf die Bremse, beobachtete wie sich die Zahl reduzierte – und stutzte. Warum ging sie plötzlich so langsam herunter? Die künstliche Intelligenz schlug Alarm. Der simple Ausruf, dass die Bremsen geschmolzen seien, tat der Eigentümer zuerst als Quatsch ab, denn das Auto war makellos. Als er jedoch mithilfe der Seitenspiegel ein seltsames Glühen auf dem Asphalt entdeckte, stellten sich ihm die Nackenhaare auf. Das durfte nicht sein! Hatte er einen Fehler begangen, der vom Wagen prompt bestraft wurde? Der Fahrer sprach verängstigt auf das Vehikel ein, er werde es wieder gutmachen und bat um Vergebung. Die Bremskraft stark geschwächt, schaltete er einen Gang herunter um sich der Motorbremse zu bedienen. Das Fahrzeug wurde langsamer, die Front neigte sich und der Fahrer atmete erleichtert aus im festen Glauben daran, eine Katastrophe abgewendet zu haben. Auf einmal allerdings ging ein mächtiger Ruck durch das Cockpit und der Fahrer schlug mit der Stirn auf dem Lenkrad auf. Sich benommen die wunde Stelle haltend, erkannte er noch, wie die Perspektive … geneigt war. Die Auflösung des Rätsels brachte schließlich wiedermal die künstliche Intelligenz mit Panik in der Stimme: „Fahrwerk gebrochen! FAHRWERK GEBROCHEN!“ Auf dem Asphalt schrammend, schrie der Fahrer auf und sah die Kurve schneller als gedacht auf sich zukommen. Was hatte er bloß getan, das den Zorn des Wagens auf sich ziehen konnte? Die Reifen lebten ja noch, vielleicht könnte er alles noch retten, wenn er das Lenkrad leicht … Ohrenbetäubende Platzgeräusche sagten ihm sogleich, dass das Fahrzeug eine andere Ansicht vertrat. Endgültig den Kontakt zur Straße verloren, rutschte das Auto funkensprühend auf Felgen durch die Lenkbewegung wie auf Eis und flog bei über 200 km/h auf Bäume am Rand zu. Mit der Fahrertür voraus. Während die KI darauf verzichtete, das Offensichtliche darzulegen, beschränkte sie sich darauf, ihm beruhigend zu erzählen, dass sie ihm immer gerne gedient hatte und sich wünschte, es noch länger tun zu können, dies aber bedauerlicherweise nun das Ende wäre. Das Gerede außer Acht lassend, stellte sich der Fahrer, nicht in der Lage einen Laut abzugeben, eine einzige Frage: War er nur ein weiterer Versager, wie Jene vor ihm? Noch bevor er mitsamt des Autos unweigerlich an den Bäumen zerschellen würde, entdeckte er schwere Schäden an den Rinden – und vernahm eine süßlich tröstende Stimme: „Lass los. Es ist gleich vorbei.“ Kapitel 1: ----------- „Das war der „Spanish Ladies“-Remix von den Sea Dogs, einer unserer vielen Boarding Hits! Nur hier, auf Buccaneer Records Radio, auch als Podcast erhältlich! Und nun raffen wir die Segel kurz für die Nachrichten um Elf …“ Ein Knopfdruck später und das Radio verstummte. „Macht nichts Karl, der DJ ist sowieso schlecht“, meinte die KI des Autos zum Fahrer, „Ich werde wohl nie verstehen, warum du dir diesen Sender anhörst. Was die mit den wunderbaren Klassikern anstellen, geht auf keine Kuhhaut.“ Der Mann schnallte sich ab, kratzte sich am Oberlippenbart und überprüfte noch vor dem Ausstieg im Rückspiegel, ob er etwas im Gesicht hatte. Er mochte zwar kein Haus des gehobenen Establishments aufsuchen, doch wollte er stets beim Verkäufer einen guten Eindruck hinterlassen. Um „geringwertige“ Objekte wie Waschmaschinen oder Kühlschränke ging es nicht – es war diesmal ein Gegenstand, der idealerweise Dekaden halten und zuverlässig seinen Dienst verrichten sollte. Dabei an einen Verkäufer zu geraten, der einen Interessenten aufgrund des schlampigen Erscheinungsbildes des Hauses verwies oder aus schlechter Laune heraus ein bewusst kurzlebiges Produkt absetzte, konnte die Vorfreude rasch umkehren lassen. „Aber Viktor“, entgegnete er, „Die anderen Sender sind auch nicht viel besser. Ihr Portfolio besteht gefühlt aus nur fünf Liedern, weil immer und immer wieder die aktuellen Hits bis zum Erbrechen gespielt werden. Wenn sie dann niemand mehr hören kann, nimmt man sie aus dem Programm und die nächsten Songs werden ausgeschlachtet.“ Mit diesen Worten nahm er die Pistole aus dem Fußraum, stieg aus und schloss die Tür. Draußen warf er einen letzten Blick auf den Wagen, den alle immer „Elefantenrollschuh“ nannten. Weder wusste er, wie das Fahrzeug zu diesem Spitznamen kam, noch ob vier Exemplare einen Elefanten überhaupt tragen konnten, ohne zusammenzubrechen. Aber das brauchte ihn jetzt nicht mehr zu kümmern, denn gleich würde er endlich diesen Totalschaden gegen ein jüngeres und beständigeres Auto tauschen. Lange hatte er schon aufgegeben, die Zeitpunkte zu zählen, in denen ihn die Motorkontrollleuchte mittels lautem Piepen erschreckt hatte. Wie oft hatte er nach dem Wocheneinkauf vor dem winzigen Kofferraum gestanden und gerätselt, wie er die Waren dort verstauen sollte. Wie viel Geld hatte er für Tankfüllungen ausgegeben, da der Wagen aus Gründen, die wohl nur die Konstrukteure selber wussten, mehr schluckte als der Bus seines Nachbarn. Wie häufig strandete er auf dem Weg zur Arbeit, weil der Keilriemen gerissen war. Ganz zu schweigen davon, dass die Dimensionen des Cockpits für die Pistole im Holster sehr unglücklich waren, sodass er die Waffe in den Fußraum legen musste, wenn er den Tag nicht mit Blutergüssen beenden wollte. Heute war endgültig Schluss mit dem Leid! So zumindest hoffte er es. Ein nahegelegenes Turbinengeräusch lenkte seine Aufmerksamkeit zur Straße, wo ein großer Panzerwagen vorbeifuhr, das schwere Maschinengewehr einen Moment lang auf ihn gezielt. Dies richtete sein Augenmerk zu den Gebäuden auf der gegenüberliegenden Seite, hässliche Betonklötze mit zerbrochenen Fenstern. Baugerüste umgaben die gerissenen, löchrigen Fassaden und die Arbeiter, mehr oder weniger eifrig, schickten sich an, den alten Glanz, der unter dem Schmutz teilweise zu erkennen war, bestmöglich wiederherzustellen. Auch wenn dies manchmal bedeutete, irreparabel beschädigte Gebäudeteile abzureißen und neu zu errichten, den gewöhnungsbedürftigen Ergebnissen zum Trotz. „Und du denkst, dass du bei ihm etwas Geeignetes finden wirst?“, fragte Viktor, wie die künstliche Intelligenz genannt wurde, skeptisch, „Er ist ja nicht der einzige Gebrauchthändler, den wir besucht haben. Bei seiner mickrigen Auswahl halte ich es für äußerst unwahrscheinlich.“ Karl senkte das Haupt und seufzte. Eigentlich stimmte er der KI ja zu, doch was war die Alternative? Die ganze Stadt hatte er bereits auf der Suche nach einem Auto abgesucht, das mehr als zwei Plätze bot, geschweige denn bezahlbar war. Eines, mit dem er nicht mehr länger mit seiner Frau, Tanja, diskutieren musste, wie sie ihr Neugeborenes bei längeren Fahrten mitnehmen sollten. In Ermangelung einer besseren Antwort erwiderte er darum: „Du hast ja Recht, aber hast du einen besseren Plan? Und sag' bitte nicht, dass wir den kleinen Maik im Kofferraum mitnehmen sollen.“ „Rational gesehen wäre es besser gewesen, in der Wohnung zu bleiben statt sich für den Traum eines eigenen Hauses in die Schulden zu stürzen. Dann hätt...“ „Vergiss es“, unterbrach ihn Karl streng mit schüttelndem Kopf und wedelndem Zeigefinger, „Das haben wir schon so oft diskutiert und wir bleiben dabei, dass es die beste Entscheidung für uns alle war.“ „Tja“, sagte Viktor daraufhin, „Dann bleibt euch bis jetzt wohl nichts anderes übrig, als euer Glück weiter zu versuchen und mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren.“ Mit den Augen rollend begab sich Karl nun zum Ziel seiner langen Reise, einer heruntergekommenen Werkstatt in einem der neuen Wohngebiete. Ohne die Beschilderung jedoch, damit das Bauwerk überhaupt als Servicebetrieb zu identifizieren war, wäre es inmitten der Betonwüste ausschließlich zufällig zu finden gewesen. Somit stellte sich Karl vor die rostige Eisentür, lächelte in die Überwachungskamera darüber und las die hölzernen, großen Lettern über den Eingang: Medvedevas Kfz-Allerlei. Was hingegen der daneben herab baumelnde Anker mit den zwei daran aufgespießten Autoreifen mit seinem Geschäft zu tun hatte, erschloss sich ihm nicht. Medvedeva war nichtsdestotrotz kein fremder Name, hatte er in der Vergangenheit doch häufiger dessen Dienste in Anspruch genommen, besonders da der „Elefantenrollschuh“ unglücklicherweise an einem Montag vom Band gelaufen zu sein schien. Mittlerweile rieb sich der Mechaniker immer freudig die Hände, sobald Karls Wagen von der Kamera erkannt wurde und Viktor scheute sich, dem Fahrer einen sich anbahnenden Defekt mitzuteilen. Immerhin kannte man sich nun so gut, dass man sogar von einer Freundschaft sprechen konnte – solange der Geldhahn lief. Plötzlich legte sich ein gigantischer Schatten wie ein Schleier über das Gelände, aber es tangierte Karl nicht, denn er wusste gut über den Ursprung Bescheid. Genauer gesagt kamen sie gar oft vor; nicht natürlich, sondern künstlich. Er müsste lügen, wenn er behauptete, jemals eine natürliche Sonnenfinsternis gesehen zu haben. Also sah er hinauf in den Himmel Richtung Sonne und fand, so hatte er es sich bereits gedacht, an dessen Stelle ein kapitales Kampfschiff vor, das sich behäbig über das Firmament schob, ganze Häuserblöcke in Finsternis tauchte und das Land wieder der Sonne freigab, als es hinter den zahlreichen Wolken verschwand. Kein seltener Anblick, aber so gewöhnlich langweilig wie das gefühlt tausendste Werbeplakat für eine neue Softdrink-Sorte? Keineswegs. „Vergiss' bitte nicht, dass eure Lieblingssendung in einer Stunde beginnt.“ Die Augen aufgerissen, klopfte er sich schnell Jacke und die Jeans ab, drückte die Klinke herunter und hastete in das Gebäude. „He he he, das klappt immer.“ Was Karl wie so viele Male zuvor im Empfangsbereich erwartete, war ein einfacher Schreibtisch aus Holz, der gerade mal genügend Arbeitsfläche für zwei Personen bot und dahinter eine hässliche, ungestrichene Betonwand mit mehreren Postern von Pin-Up-Girls behangen, die auf Fahrzeugen aller Art posierten. Ebenso bestand der Boden aus diesem Baustoff, der wenigstens hier einen einladenden Eindruck hätte hinterlassen können. Gerade diese Poster waren es, die ihn zögern ließen, das gemeinsame Kind mit hineinzunehmen, doch solange es diese durch die Abdeckung des Kinderwagens nicht zu sehen bekäme, wäre alles in Ordnung. Selber konnte Karl die Attraktivität der jungen Damen nicht abstreiten, jedoch warf ihm seine Lebensgefährtin jedes Mal vernichtende Blicke zu, falls er sie auch nur eine Sekunde lang beäugte; sogar wenn er sich nur für die abgebildeten Vehikel interessierte. Für das Kind hingegen empfand er den frühen Kontakt mit den leicht bekleideten Frauen noch als zu früh. „Hi“, grüßte eine verzerrte Stimme salopp, kaum als er durch die Türschwelle getreten war. Hinter dem Schreibtisch saß bereits jemand, gelangweilt wie eh und je, in betont lässiger Haltung in der Rückenlehne des muffigen Drehstuhls versenkt. Das dunkle Sturmgewehr mit langem Lauf und Krummmagazin hing dabei am Tragegurt befestigt am Stuhl, was zwar unsicher aussah, aber dennoch bei Bedarf schnelle Greifbarkeit und Ausrüstung ermöglichte. Schläfrig ruhte ein Arm auf einer Armlehne, während der andere ausgestreckt auf dem Tisch lag und dessen Hand langsam eine Computermaus bediente, die Regungslosigkeit fast schon katatonisch. Die Augen des Herren, so zumindest glaubte er es, da diese hinter einem Helm mit zwei roten „Augen“ versteckt waren, unablässig auf einen holographischen Bildschirm geheftet. Dieses war der Meinung des Besuchers nach das einzig wirklich „Moderne“ in dieser Werkstatt: Ein kleines Gehäuse auf dem Tisch, an dessen Oberseite ein Projektor angebracht war, wodurch der Bildschirm erzeugt wurde. Wozu aber die beiden Schläuche dienten, die vom Helm in die schwarze Soldatenuniform liefen, fragte er sich bis heute. „Hallooo“, grüßte Karl freundlich zurück, wohl wissend, dass es der Wachmann trotz der gleichgültigen Tonlage nicht übelwollend meinte, denn dafür kannte er ihn zu gut. Dann ließ er die Tür hinter sich zufallen, wirbelte dadurch mehr Staub und Dreck auf, ging auf den Empfang zu und setzte sich auf einen der beiden Stühle davor, eher er lächelnd fragte: „Und, immer noch im Krieg?“ Die Wache drehte den Kopf ein Stück zu ihm hin, bevor sie sich danach wieder dem Computer zuwendete und nach einem kräftigen Gähnen antwortete: „Nichts Neues. Der Wachdienst ist ein Drecksjob wie immer, aber irgendwie muss ich das Studium meiner Tochter finanzieren, damit sie eines Tages einen anständigen Job hat und nicht so endet wie ich. Ich meine, es ist an sich nicht schlecht bezahlt, also als Übergangslösung ganz praktisch. Aber wie du siehst, sitzt man eher die Zeit platt als wirklich etwas Konstruktives zu machen.“ Erneut sah der Soldat kurz zu ihm herüber, aber diesmal fixierte er ihn als diesem etwas auffiel. „Heute alleine?“ Das Lächeln auf den Lippen weiter tragend, schüttelte Karl den Kopf und entgegnete: „Nein nein, ich bin schon mit Frau und Kind unterwegs, aber leider haben wir nur zwei Sitze, deswegen ist Tanja zu Fuß unterwegs. Sagte mir, ich solle bereits, wie sie es ausdrückte, ,die Lage auskundschaften´ und ihr dann berichten.“ „Ah ja“, sagte der Soldat im müden Tonfall, während er weiter mit der Maus klickte, „Braucht einen größeren Wagen seit der kleine Maik da ist, `ne?“ „Richtig, nur hatten wir schon gefühlte zehn Händler abgeklappert und bislang nichts in unserer Preisklasse gefunden. Die Öffentlichen sind auf Dauer zu teuer und wenn wir mit dem Baby auf dem Schoß erwischt werden, zahlen wir vermutlich unser ganzes Leben lang.“ Wieder widmete sich sein Gegenüber dem Geschehen auf dem Schirm und sagte: „Tja, hättet ihr euch ruhig vorher überlegen können, als der Kleine noch nicht da war.“ Die muntere Miene verschwand daraufhin, die Mundwinkel zogen leicht nach unten und die Stimme wurde barsch. Wenn er jedes Mal einen Céntimo bekäme, wenn jemand ihm genau das sagte … „Verflucht, ich weiß! Aber die Bank wollte uns keinen Kredit geben und wir stottern immer noch die Raten für unseren Hausbau ab. Und aufgrund des Elternschutzes darf ich derzeit ohnehin nicht in den Dienst.“ Nun ballte der Wachmann die Hand, streckte den Zeigefinger und deutete nach oben, als es plötzlich auf der anderen Seite des Gebäudes polterte und jemand unverständliche Wortfetzen brüllte. Sofort drehten sich die Herren am Empfang zu den Geräuschen um. „War ja klar“, kommentierte der Soldat das Geschehen genervt und stand mit dem Sturmgewehr auf, „Warte bitte einen Moment, Calensk wird gleich für dein Anliegen verfügbar sein.“ Unmittelbar danach stolperte er über ein am Boden liegendes Kabel, konnte den Sturz noch rechtzeitig verhindern und trat durch eine Holztür mit einem eingelassenen Fenster, allerdings nicht ohne dabei an der Oberkante anzustoßen. Bis auf das daran geklebte Schild mit einem Schraubenschlüssel darauf, erlaubte das trübe Glas keinen klaren Einblick in die dahinterliegenden Räumlichkeiten. Ausgerechnet in dem Moment, bevor die Türe zurück ins Schloss fiel, rief der Werkstattinhaber auch schon den Namen seines Wächters: Voss. Während also der Kunde mit übereinandergeschlagenen Beinen auf dem Stuhl saß und darauf wartete, bedient zu werden, lauschte er der alten Popmusik, die aus zwei Lautsprechern im Empfangsbereich schallte und schenkte der Überwachungskamera keinerlei Beachtung. Nur wenige Augenblicke später rumpelte es nochmal in der Garage, begleitet von Schreien, so laut, dass sie sogar die Musik übertönten und Karl alles verstehen konnte: „Nimm' gefälligst deine dreckigen Griffel von mir weg, als betrogener Kunde habe ich jedes Recht der Wel...“ Dann war es auf einen Schlag still nebenan. Der Besucher konnte sich denken was geschehen war und verdrängte darum seine aufkeimende Neugier, damit er die Arbeit des Sicherheitsbeamten nicht behinderte. Selbstredend, dass diese Art der Konfliktbewältigung alles andere als kundenfreundlich war, doch wenn er Voss' Unterton richtig deutete, handelte es sich dabei ohnehin um einen Kunden, auf den der Betrieb getrost verzichten konnte. Aber was, wenn dieser mit der Macht der Mundpropaganda zurückschlug? Just schwang die Tür auf und die Wache kam schwerbeladen über die Schwelle, wobei er um ein Haar die Oberkante verfehlte. Der Wartende ignorierte den bewusstlosen Körper, der über der Schulter des Soldaten wie ein Tuch hing und lenkte seine Aufmerksamkeit auf die noch frischen roten Flecken am Waffenkolben des Gewehrs, unter denen noch Dunklere waren. Er betete, niemals mit Voss in einen Disput zu geraten. „Der Chef ist frei, kannst reingehen“, sagte Jener ruhig und verließ das Gebäude durch die Eingangstür. An das, was die in den Helmen integrierten Stimmverzerrer aus den Stimmen der Träger machten, würde er sich nie gewöhnen können. So stand Karl auf und betrat mit mulmigem Gefühl im Magen die Garage. Passend für solch ein kleines Unternehmen Marke Hinterhofwerkstatt fand er lediglich zwei Hebebühnen, wovon eine belegt war, und wenige Regale mit Werkzeugen, Geräten und Büchern vor, allesamt schmutzig und deutlich vernachlässigt. Auch eine Reifenmontagemaschine stand in einer Ecke, doch die dicke Staubschicht darauf sprach leider Bände. Ebenso die eingerosteten Tore, bei denen er sich fragte, ob sie jemals wieder öffnen, wenn sie nicht bald gepflegt werden würden. Wie auch beim Eingang waren Wände und Böden aus bloßem Beton, wobei Ersteres zusätzlich mit zahlreichen Werbeplakaten zu diversen Modellen und Zertifikaten behangen war – zweckdienlich, nicht mehr, nicht weniger. Tatsächlich entdeckte er ein kleines Chaos in Form von umgetretenen Lackdosen und Leitern, also nichts, was mit höchstens zwanzig Minuten Putzen nicht zu bereinigen wäre. Zumindest würde das seine Frau sagen, er selber würde mit seinen zwei linken Händen bestimmt nur ein Armageddon heraufbeschwören. Ob es den Ärger wert war? Wenn der Kombi dort auf der Hebebühne dem Wutbürger gehörte … „Moin, Karl.“ Vor ihm machte sich schon der Besitzer mit einem Wischmopp daran, die Unordnung zu beseitigen und arbeitete derweil mit dem Rücken zu ihm gewandt. Der Vater jedoch sah den Bemühungen nicht tatenlos zu, sondern fragte, ob er denn irgendwie helfen könne. Vielleicht konnte ein vorzeitiger Weltuntergang durch Anleitung einer geschulten Person abgewendet werden? „Nene, ist schon okay, danke.“ Der Blaumann des Meisters war übersät von Ölflecken und die schweren Arbeitsschuhe traten unentwegt in die neu entstandenen Pfützen, was den Herren aber keineswegs zu stören schien. Eine Unempfindlichkeit gegenüber Schmutz gehörte in diesem Berufszweig offenbar zu den Kernkompetenzen. „Meine Fresse, der Mongo soll sich nicht so anstellen“, redete Calensk verärgert und wischte sich anschließend den Schweiß von der Stirn, „Neue Reifen und Bremsbeläge dazu sind nun mal nicht billig, ich kann sie nicht einfach so aus dem Hut zaubern.“ So wie ihn der Kunde permanent zu stressen schien, war es ein wahres Wunder, dass die Pistole des Meisters nicht rauchte, keine Hülse auf dem Boden lag und kein Blut an ihm klebte. Ob seine Wache jemals tödliche Waffengewalt anwenden musste? Dann stellte er den Mopp an eine Wand, klopfte sich die Hände ab und fuhr fort: „Aber lassen wir das, den Kram kann ich auch Voss aufwischen lassen.“ Jetzt erst wandte er sich mit den Händen an den Hüften und dem schmierigsten Lächeln, das er aufbieten konnte, Karl zu, nun bereit für den nächsten Kunden. „Entschuldige bitte die Unordnung, aber nun bin ich für dich da.“ So den Vater zum Schmunzeln gebracht, fragte er: „Also mein Bester, was darf's denn sein?“ Karl, gedanklich bereits bei seiner TV-Sendung, zögerte nicht und platzte sogleich mit seinem Anliegen heraus: „Ich brauch'n Wagen. Einen Großen.“ Schweigend starrte man ihn an bis die Lippen zu zittern begannen, sodass Calensk schließlich beschloss, den Wunsch für sich zu wiederholen, bemüht, die gute Laune aufrechtzuerhalten: „Eine neue Karre? Eine Große?“ Karl nickte. „Also kein Reifenwechsel, keine neuen Bremsklötze, kein Ölwechsel, kein Austausch des Motors, keine Inspektion, was auch immer für deine rollende Pestbeule, kein gar nichts?“ „Hast du ein Glück, dass ich nicht hereinkommen kann“, mischte sich plötzlich Viktor über das Armband beleidigt in das Gespräch ein und Karl lachte. „Halt's Maul“, erwiderte Calensk bloß und fragte, ob der Vater das denn ernst meinte. Ein zweites Mal nickte der Kunde und nun verdüsterte sich die Miene des Meisters. Befürchtete dieser einen Umsatzeinbruch? „Jetzt sag bloß, dass du dein Auto noch bei mir in Zahlung geben willst.“ Diesmal ließ Karl jedoch das zuversichtliche Gesicht für sich sprechen – Grund genug für den Inhaber, etwas forsch zu werden und er versuchte, sich vor dem Mann aufzubauen. Die Wirkung war allerdings aufgrund der mangelnden Körpergröße höchst zweifelhaft, besonders da er nicht mal auf Zehenspitzen an ihn herankam. „Aber wozu?! Du und Tanja seid doch vorher auch ganz gut mit dem Zweisitzer klargekommen. Ist ja nicht so, als wärt ihr plötzlich drei L...“ „Tut uns leid, wir sind von unseren Nachbarn aufgehalten worden. Haben wir etwas verpasst?“ Sofort verstummte der Kfz-Mechatroniker, verharrte mit offenem Mund und ließ seinen Blick zur Tür schnellen. Karl hingegen drehte sich nur um, sah die Person an und sagte erfreut: „Keine Sorge, es gab nur einen kleinen Zwischenfall. Euch ist also nichts entgangen.“ Die Frau mit dem lieblichen Klang und gekleidet in gefütterter Winterkleidung schob einen überdachten Kinderwagen vor sich her, dank eines kleinen Repulsors über dem Boden schwebend. Als wäre das für Calensk nicht genug, drang aus dem Vehikel ein gedämpftes Lallen. Triumphierend wendet sich Karl erneut dem Meister zu, dem die Kinnlade heruntergeklappt war und, immer noch schweigsam, die neue Erkenntnis zu verarbeiten versuchte. Bis ihm kaum hörbar ein „Shit“ entfleuchte und er sich wieder regte. „Du hast mir nie erzählt, dass ihr ein Baby kr...“ „Doch.“ „Verfi...“ Umgehend traf ihn der berüchtigte Blick der Ehefrau, sodass Calensk um zehn Zentimeter schrumpfte und metaphorisch seinen Mund mit Seife wusch: „...lixt und zugenäht! Okay, okay, genug davon.“ Er seufzte und fuhr fort: „Dann folgt mir mal ganz geschmeidig.“ Die Besucher gingen ihm nach, als Calensk durch die Tür zum Empfang trat, von dem fortwährend am PC spielenden Voss nicht beachtet, vor dem Eingang in den Autosalon stehenblieb und einen Schlüsselbund von seinem Blaumann löste. Es verging eine Minute des Suchens, ehe er endlich fündig wurde, den Schlüssel in das Loch steckte, umdrehte und das Tor zu den „geheiligten Hallen“, wie er den Verkaufsraum immer nannte, öffnete. Danach räumte er den Platz und wies die Kunden mit einer verbeugenden Geste an, einzutreten. Schöner, aber nicht unbedingt einladender präsentierte sich den potenziellen Käufern das „Heiligtum“, das sie mit billigem Parkettboden und schlecht gestrichenen Wänden, an denen schiefe und unscharfe Fotografien hingen, willkommen hieß. Die ausgestellten Fahrzeuge selber waren zur Abwechslung fein säuberlich in Reih und Glied nebeneinander mit der Front zur Tür aufgestellt, einem Empfangskomitee gleich. Nur, dass sie auch schon bessere Tage gesehen hatten. Den beiden Garagentoren zufolge, musste dies früher eine zweite Werkstatt gewesen sein und sogar mit lediglich vier PKWs wirkte der Raum überfüllt. Mit einem „echten“ Autohaus war dieses nicht vergleichbar und Karl rechnete sorgenvoll damit, die nächste Pleite hinzunehmen. Obwohl jedes Auto aus heimischer Produktion an sich einen brauchbaren Eindruck machte: Ein sportlicher Flitzer mit zwei Türen, dafür einer kleinen Rückbank; eine geringfügig verbeulte Limousine mit Prestigecharakter; ein Utilities-Kastenwagen das eine notdürftig reparierte Heckscheibe aufwies und der Letzte im Bunde war ein kompakter SUV, dessen massiv verdreckte Unterseite Aufschluss über das hauptsächliche Einsatzgebiet gab. „Ich weiß, das ist kein Einkaufszentrum“, kommentierte der Mechaniker die geringe Auswahl, „Aber wenn es euch rein um den Nutzwert geht, dürftet ihr hier fündig werden.“ Sogleich begab sich Karl zum allerersten Interessenobjekt, während Calensk den herzallerliebsten Kaufmann mimte und Gesellschaft bei Tanja und dem Sprössling suchte. „Aber“, fragte der Meister irritiert hinter dem Rücken des Vaters, „Wozu die Gasmaske?“ Und dort, beim Sportwagen, erwartete Karl beim Lesen des hinter die Scheibenwischer gehefteten Kärtchens der erste Schock: Der Preis betrug trotz drei Haltern, zehn Jahren auf dem Buckel und Rostbefall in den Radkästen fast das Zehnfache von Karls Budget und er konnte sich beim besten Willen unmöglich vorstellen, dass da ein Seltenheitszuschlag einbegriffen war. Seines Erachtens nach sah das Fahrzeug mehr nach einem dieser typischen Groschengräber aus: Günstig in der Anschaffung, jedoch aufgrund fortgeschrittener Lebenszeit ein häufiger Patient in Werkstätten. Allein der Rost, scheußlich! Empört über den Wucher für einen Haufen Schrott, wollte er mit Calensk hart ins Gericht gehen, als er ihn dabei beobachtete, wie Jener unter Tanjas Aufsicht das dick eingepackte Baby langsam mit einem Grinsen aus dem Kinderwagen hob. Darauf folgend streckte Maik einen Arm nach ihm aus und griff dessen Nase, was den Meister zwar das Gesicht verziehen ließ, ansonsten aber nicht weiter störte. Als der Säugling dann sogar kicherte, begannen Calensk und die Mutter zu lachen. Die heitere Stimmung endete jedoch abrupt, nachdem der Mechaniker die Hand auf die Gasmaske, welche eine berühmte Zeichentrickfigur nachahmte, anlegte und dafür sofort von Tanja ausgeschimpft wurde. So schnell hatte Karl noch nie jemanden um dreißig Zentimeter schrumpfen sehen. Da er aber nicht unhöflich sein und die Zweisamkeit unterbrechen wollte, konzentrierte er sich erneut auf das, wofür er ursprünglich gekommen war und begutachtete das nächste Auto. Der Sedan mit zweigeteiltem Kühlergrill und den selbstbewusst dreinblickenden Scheinwerfern strahlte eine anziehende Eleganz aus. Die vereinzelten Dellen, wahrscheinlich Parkplatzrempler, wirkten dabei beinahe wie Schönheitsflecken. Majestätisch anmutende Geräumigkeit und die 250 km/h-Spitze auf dem Tachometer schließlich rundeten das Bild der perfekten Oberklasselimousine ab. Genauso gewaltig war entsprechend der zum Kauf zu entrichtende … Obolus. Künftiges Ausbeulen war dabei sicherlich mit eingerechnet und Pi mal Daumen multipliziert worden. Laut prustend ging Karl zum Kastenwagen in der Erwartung, nur für den reinen Nutzwert zahlen zu müssen. Spätestens hier dachte er, für die Heckscheibe aus Plastik einen saftigen Rabatt zu erhalten, da sie lediglich unzureichenden Schutz bot. Ein Fenster dieser Größe musste schließlich teuer bezahlt werden, möchte man Strafzettel wegen eines nicht verkehrssicheren Fahrzeugs vermeiden. Aber Pustekuchen: Aus ihm unerfindlichen Gründen lag der Anschaffungspreis erstaunlicherweise über dem des Sportwagens und nur knapp unter der Limousine. Woran mochte das liegen? Wurde eventuell das Kofferraumvolumen als Berechnungsgrundlage genutzt? Er brauchte doch nur ein erschwingliches Fahrzeug mit Minimum vier Sitzen! War das denn eine unmögliche Aufgabe? Mittlerweile scherte es ihn nicht mehr, ob der Motor eintausend oder einen einzigen PS Leistung erbrachte – Hauptsache, er konnte seine Liebsten sicher transportieren. Letztlich warf er dem Schild des SUVs einen flüchtigen Blick zu, der ihm bereits genügte, um sich in seiner derzeit größten Sorge bestätigt zu sehen. „Calensk?“ Der KFZ-Mechatroniker spielte fröhlich mit einer Rassel vor Maik und sie kicherten unentwegt gemeinsam. Ein Moment, den Tanja auf einem Handyfoto verewigte. „Calensk, he!“, wurde Karl diesmal lauter. Sein Sohnemann und dessen neuer Freund hatten zwar riesigen Spaß, doch gehörte es nicht zu seinem Tagesplan, den Abend hier zu verbringen. Da würde ihm seine Frau auch hoffentlich zustimmen. „Ja, Moment“, antwortete der Meister und legte die Rassel zu Maik, sodass dieser weiterspielen konnte, „Und, was gefunden?“ Das nutzte Karl, um diesem Halunken verbal eine Backpfeife zu verpassen: „Ja, und zwar völlig überteuerter Schrott. Gebrauchtwagen, ha!“, spottete er verächtlich, „Das sind nahezu Neuwagenpreise. Denkst du, die kauft jemand?“ „Nun, sorry, dass ich auch von etwas leben muss“, entgegnete Calensk beleidigt, „Aber günstiger wirst du nirgendwo einen fahrbaren Untersatz bekommen, der nicht nach paar Metern auseinanderfällt.“ Mit diesen Worten kam er zu Karl herüber, verschränkte die Arme und lehnte sich an den Kastenwagen, woraufhin er mit ernster Miene die Unterhaltung fortsetzte. „Die Zeiten sind gerade sehr hart für freie Werkstätten, weißt du? Seit der Markt mit billig produzierten Neuwagen von Steel Lagoon überschwemmt wird, die natürlich die Preise massiv drücken, kauft kein Schwein mehr Gebrauchte. Denk doch mal nach: Würdest du noch ein qualitativ schlechteres Fahrzeug erwerben, wenn du ein Neues quasi hinterhergeschmissen bekommst? Gebrauchtwagenhandel lohnt sich schlicht nicht mehr, das war vorher anders und mit dem Preisverfall kann ich auch nicht bis zum bitteren Ende gehen.“ Karl wollte mit erhobenem Finger kontern, dass man nach wie vor nur mittels Krediten überhaupt an eine Finanzierung denken konnte, doch senkte er ihn wortlos wieder. Denn insgeheim hatte Calensk ja Recht – oder? Diese Geste deutete sein Gegenüber korrekt als Kapitulation vor seinem Argument und so sprach er weiter: „Siehste. Also werden die Wagen nach zwei Jahren und nur spärlichem Wertverlust wieder an Leute wie mich verkauft und prompt neue Autos angeschafft. Wäre ja schön wenn wir Handelspartner außerhalb unseres Herrschaftsgebietes hätten zwecks Exportmarkt, aber …“ Er schüttelte den Kopf und grummelte. „Du kennst ja die Außenpolitik der Regierung. Na ja, schätze, ich werde dieses Standbein aufgeben, die Wagen ausschlachten und mit Ersatzteilen handeln müssen. Wenn das aber so weiter geht, darf ich Insolvenz anmelden.“ Karl sah ein paar Momente lang zu Boden und überdachte die Worte. Besonders wurmte ihn dieser vertraute, und doch fremde Planet: Steel Lagoon. Jedermann redete und tuschelte darüber, als wären sie persönlich dort gewesen; wollte man sie allerdings darüber ausfragen, wurden sie still und wiesen Karl mit eindrücklicher Gestik an, nicht offen darüber zu sprechen. Angeblich konnte man dafür sogar verhaftet werden, falls man zu tief grub. Dann nahm er den Augenkontakt erneut auf und sagte: „Also nur damit ich das richtig verstehe: Dieser ominöse Planet irgendwo im Sternenmeer pumpt so viele Fahrzeuge aus den Fabriken, dass man hier nicht mehr weiß, wohin mit denen? Und dass sie infolge des starken Preisverfalls zu Wegwerfwaren werden, die schließlich im Gebrauchtwagenmarkt landen?“ „Vollkommen richtig“, antwortete Calensk nach einem Nicken, „Zudem glaube ich zu wissen, woher diese enormen Produktionskapazitäten kommen.“ Jetzt wedelte er mit dem Zeigefinger vor Karls Nase, ehe er weiterredete: „Aber wenn du nun glaubst, ich plaudere vor dir meine Theorien über Steel Lagoon aus, dann hast du dich geschnitten. Voss würde mich sofort einbuchten.“ Hierzu überlegte Karl, was man gegen die Überproduktion denn tun könnte, da er jedoch nicht hier war, um die hiesige Wirtschaftslage auszudiskutieren, kehrte er zum Wesentlichen zurück. Speziell deshalb, weil er seine Sendung nicht verpassen wollte. „Also gut“, begann er aufs Neue, „Halten wir fest: Du hast nichts im preislichen Rahmen für einen hart arbeitenden Elektriker samt Familie?“ Calensk zuckte mit den Schultern und antwortete: „Wenn dir keines meiner Angebote finanziell zusagt, dann nein, fürchte ich.“ „Und mit Inzahlungnahme?“, brachte sich Tanja mit Maik in den Armen ein, die just hinzugekommen war und Calensk sah sie traurig an. Gab es denn nichts, womit Karl doch noch zu einem Wagen kommen konnte? „Tut mir leid, aber euer Altmetall ist keine tausend Pesos wert.“ Das unmittelbar darauffolgende Geschimpfe Viktors ignorierte der Kfz-Mechatroniker gepflegt und sprach weiter: „Bei all den Mängeln bekomme ich den Wagen nicht mehr los und selbst wenn den jemand kauft, habe ich nachher durch die ganzen Werkstattbesuche eine Anzeige wegen Betrugs an den Hals. Als Ersatzteillager oder Bastelwagen ist der Karren sogar noch weniger wert und für's Verschrotten bekomme ich gar nichts. Nicht zu erwähnen, dass ich vorher noch einen ausführlichen Bericht darüber verfassen muss, warum ausgerechnet ich das Teil entsorgen lassen will und dann muss er auch noch vom Straßenverkehrsamt bewilligt werden. Wenn die dann einfach „Nö“ sagen, sitze ich quasi auf der Pest höchstpersönlich.“ Karl und Tanja runzelten die Stirne und als hätte Viktor das gesehen, gab er durch das Armband durch: „So sehr ich diesem Kerl die buchstäbliche Pest an den Hals wünsche, hier muss ich ihm ausnahmsweise mal recht geben. Es ist wirklich sehr schwer, ein Auto gewinnbringend loszuwerden, das ansonsten nur Kosten verursacht. Er würde so oder so Verlust machen, egal was er täte.“ Calensk sah vom Gerät zu Karl und nickte. „Hmpf, und wie sieht's mit Ratenzahlung aus?“ Würde das nun nicht fruchten, sähe sich der Vater leider gezwungen, unverrichteter Dinge abzuziehen. Aber der ablehnende Blick in den Augen seines Gesprächspartners sagte schon alles. „Wenn du schon wegen des Hausbaus keinen weiteren Kredit erhältst und dir darum keinen Gebrauchten leisten kannst“, erwiderte Calensk mit ernster Miene, „Dann möchte ich nicht mit der Sorge ins Bett, ob ich die nächste Rate nächsten Monat überhaupt bekomme. Und euch beiden möchte ich nicht den Gerichtsvollzieher an den Hals hetzen, das will ich euch wirklich nicht antun.“ Karl öffnete den Mund und konnte nicht mal ein ganzes Wort herausbringen, da kam ihm der Inhaber streng zuvor: „Und wenn wir das ohne eine Bank machen, macht mir das Finanzamt die Hölle heiß.“ Am Ende mit seinem Latein, wandte sich Karl danach hilfesuchend an seine Frau, doch sie schaute ihm lediglich ratlos in die Augen. Hätte er wirklich auf Viktor hören und auf das Haus verzichten sollen? War die tägliche Fahrt mit Bus & Bahn tatsächlich so teuer und umständlich? Wahrscheinlich wäre es in dieser Situation das Beste, erstmal nach Hause zu gehen, die Sendung zu genießen und sich mit Tanja über die weitere Vorgehensweise zu beratschlagen. Wenn Fahrräder aller Art bloß nicht durch angebliche Verkehrsgefährdung verboten wären ..! So sah er zu Boden, atmete tief ein und aus, hob sein Haupt und sagte gefasst: „Okay, wenn das so ist …“ Er drehte sich um und setzte den Fuß Richtung Ausgang. „Aber Schatz!“, bekundete seine Frau ihr Missfallen darüber und Maik fing an zu heulen, „Du hast uns versprochen, dass wir heute mit einem neuen Auto zurückkommen!“ Karl scherte sich nicht darum und ging weiter, was Tanja dazu veranlasste, das Baby hastig in den Kinderwagen zu legen und ihm zu folgen, dabei von Calensk regungslos beobachtet. Bewusst die mentalen Scheuklappen aufgesetzt und niemanden eines Blickes würdigend, öffnete der Vater die Tür und schickte sich an, hindurchzugehen. Sollte der Tag zum wiederholten Male in Frustration enden? „Ich habe da doch etwas.“ Kapitel 2: ----------- Auf der Stelle verharrte er, mit einem Bein im nächsten Raum und einer Hand an der Klinke. Nur seine Liebste drehte ihren Kopf überrascht zum Mechaniker um, der immer noch am Kastenwagen lehnte, allerdings den Augenkontakt vermied. Was er wohl mit diesem geheimniskrämerischen Getue bezwecken wollte? „Etwas, was sämtliche eurer Bedürfnisse erfüllen dürfte und zugleich erschwinglich ist.“ Als Reaktion darauf wagte sich Karl in den Verkaufsraum zurück und ließ das Gesagte ruhig auf sich einwirken, ehe er auf einmal lauter wurde: „Dann warum sagst du uns das erst jetzt?!“ Das Baby erschrak durch die deutlich erhöhte Lautstärke und weinte, weswegen Tanja zunächst ihren Mann ausschimpfte, jedoch war ihm das im Moment gleichgültig. Wieso verschwendete Calensk deren Zeit mit dem Geplänkel um seine schlechte Lage, Steel Lagoon und Zahlungsarten, wenn er ihnen den passenden Wagen längst hätte verkaufen können? Lag es denn nicht in seinem Interesse, jedes Fahrzeug schnell an den Mann zu bringen? War es etwa zu günstig, sodass die Gewinnmarge im Nichts verpuffte? War er also hinter dem netten, wenn auch exzentrischem Äußeren stets ein Halsabschneider gewesen, der mit den bezahlbaren Waren erst dann rausrückte, wenn ihm die Kunden wegzulaufen drohten? Blieb nur die Frage: Wo war dieser Wagen, wenn nicht hier? Was Calensk allerdings emotionslos antwortete, brachte seine Kunden zum Stutzen: „Weil ich euch schützen möchte.“ Schützen? Vor einem toten Objekt, das ohne Fremdeinwirkung ohnehin keine Gefahr darstellte? „Herr Medvedeva“, sprach Tanja nervös, „Was geht hier vor sich? Was verbergen Sie vor unseren Augen, das so gefährlich zu sein scheint, dass Sie uns anlügen müssen?“ Ohne Worte setzte er sich in Bewegung, winkte sie zu sich rüber und lotste sie zum anderen Ende des Raumes zur Wand, wo eine weitere schlechte Fotografie eines Asiaten in Muscle-Car-Optik hing. Bis auf dieses war die Wand jedoch leer. „Mir gefällt das Ganze nicht“, flüsterte die Dame ihrem Mann zu, „Gehen wir nach Hause und überdenken unseren Plan, Morgen ist auch noch ein Tag.“ „Da bin ich ganz auf deiner Seite“, flüsterte Karl zurück, „Aber ich möchte wenigstens sehen, was er da hat. Notfalls ist noch Voss da, richtig?“ Das zumindest konnte Tanja beruhigen, und im Fall der Fälle wäre sie bereit, ihr Kind mit ihrer Schusswaffe zu verteidigen. Aber wie kamen sie überhaupt auf den Gedanken, gleich vom Schlimmsten ausgehen zu müssen? Calensk war allein, also für das Ehepaar in einem Kampf sicherlich kein unüberwindbares Hindernis und das, was auf sie wartete, „nur“ ein Auto; eine Maschine ohne Herz und Seele, einfach tot … oder? So nahm der Inhaber das Bild von der Wand und die Kunden staunten nicht schlecht: Darunter kam doch tatsächlich ein Knopf zum Vorschein. War die Werkstatt nun größer als angenommen oder würden sie in die Tiefe fahren? Wer wusste, was Calensk nach seiner merkwürdigen Verhaltensänderung sonst noch in petto hatte? Zuvor jedoch richtete der Mechaniker ein mahnendes Wort an sie, während die Hand auf dem Schalter ruhte: „Bevor wir eintreten, möchte ich euch zunächst warnen: Für Unkundige ist der Wagen in seiner gegenwärtigen Ausstattung, gepaart mit dem niedrigen Kaufpreis sehr verlockend und sie glauben, ihren Traumwagen gefunden zu haben. Doch wie so oft verschwenden sie aus purer Euphorie über den ach so tollen Kauf keinen Gedanken mehr über die Folgen. Sprich, ob sie überhaupt die Unterhaltskosten tragen können oder die nötige Erfahrung und Fähigkeit mitbringen, das Fahrzeug zu kontrollieren.“ Bislang klang das Gerede wie das von Eltern, die ihr übereifriges Kind davon abhalten wollen, mit ihrem Ausbildungsgehalt loszurennen und sich den exotischen Sportwagen ihrer Träume zu kaufen, der zu verführerischen Preisen in Portalen angeboten wird. Nur um dann festzustellen, dass die Unterhaltskosten ihr Budget maßlos überstiegen und die Eltern dazu zwangen, in die Bresche zu springen. Nicht unbedingt die besten Voraussetzungen, den Familienfrieden zu erhalten. „Darum bitte ich euch, das Auto nicht blind zu kaufen, sondern sehr sorgfältig zu überlegen, ob es nicht doch das Beste wäre, sich bis auf Weiteres mit eurem Zweisitzer zu arrangieren, bis sich irgendwann eine bessere Alternative finden lässt.“ „Wir haben keine Alternativen“, raunte Karl genervt. Hielt sie Calensk für dumm? Zumindest Karl behauptete von sich selbst, erfahren genug zu sein um zu wissen, ob das Fahrzeug seinen Preis wert war und deren Anforderungen genügte. Nachdem ihr Gegenüber zudem sagte, dass es immer Alternativen gäbe und alles besser wäre als diesen Wagen, war er mit seiner Geduld am Ende und forderte ihn schlicht dazu auf, endlich den Knopf zu drücken. „Also gut“, sprach Calensk mit ernster Miene, „Dann dürfte es euch bestimmt interessieren, dass der Wagen für einen Tausender zu hab...umpf!“ Sofort traf ihn Karls Körper, als sich Letzterer mit vollem Elan und quietschend auf den Meister warf, um anschließend seine Arme um ihn zu schlingen und zu drücken. Tanja grinste zwar beim Anblick dessen, wie Calensk ähnlich einem Plüschtier geknuddelt und eifrig von ihrem Mann mit Lobhudeleien überschüttet wurde, runzelte allerdings die Stirn, nachdem sie über den Preis nachzudenken begann. Zweifelsohne schien die Lösung für ihre Probleme zum Greifen nahe, aber wurden solch niedrige Summen denn nicht normalerweise für Fahrzeuge verlangt, die gar niemand erwerben wollte? Etwa für uralte Exemplare, die ausschließlich Materialwert besaßen und darum vorrangig als Ersatzteillager dienten? Sollte es deswegen außer Sicht bleiben, weil Interessenten eventuell den Schluss ziehen konnten, Calensk würde ihnen billigen Schrott andrehen? Bei einem läppischen Tausender sah Tanja die Chance, Qualitätsware zu erhalten, gegen null sinken und wäre Karl nicht hier, wäre sie danach lachend abgezogen. Oder war das eine beabsichtigte Taktik? „Ja ja, ist ja schon gut“, versuchte der Inhaber den allzu anhänglichen Kunden loszuwerden und schob ihn sanft weg, „Wollen wir loslegen?“ Nachdem Karl eifrig zugestimmt und Tanja nur zögerlich genickt hatte, betätigte Calensk schließlich den Knopf. Unter dem Surren arbeitender Elektromotoren teilte sich die Wand in der Mitte, schob sich zu beiden Seiten auseinander und ermöglichte immer mehr Einblick in den Raum dahinter. Was das Paar aber entgegen ihren Erwartungen sah, erschreckte sie. Statt eines gut beleuchteten und angenehmen Interieurs, das Kunden gleich Lust auf mehr bereitete und Übersicht gewährleistete, empfing sie eine grässliche Dunkelheit. Wie Nebel löste sie sich erst langsam durch den plötzlichen Lichteinfall auf, aber selbst als das Tor letztlich soweit geöffnet war um einen PKW durchzulassen, war es finster genug, um die hinteren Ecken uneinsehbar zu machen. Kein Zweifel, es passte nur ein Auto auf der Fläche, vielleicht zwei wenn man die komplette Wand entfernen würde, dennoch versuchte sich Karl nicht von der Schwärze einschüchtern zu lassen. Obwohl er sich durchaus fragte, warum das Fahrzeug vom regulären Verkaufsraum gesondert aufbewahrt wurde und vor allem, wieso es dort drin anscheinend dunkel sein musste. Gab es überhaupt Lampen? Und da stand es. Bloß einen Meter vor ihnen, Karl und Tanja aus zwei runden Scheinwerfern, je eines auf jeder Seite, anstarrend, ähnlich einer leblosen Porzellanpuppe, von der man meinte, sie würde ihren Besitzer verfolgen. Trotz der ungünstigen Lichtverhältnisse sah der Vater genug von der Front, um seine Einschätzung der beiden Scheinwerfer zu revidieren, und … „ARGH!“ Karl wich kreischend zurück und stolperte nach hinten mit der Hand am Holster. Tanja sah ihn nur irritiert an und Calensk lachte, woraufhin er sich der Dame widmete mit den Worten: „Keine Angst, das ist nur, weil es so düster ist. Einen Moment, ich hole eine Taschenlampe.“ Während der Mechaniker rüber in die Werkstatt ging, rappelte sich Karl auf und erklärte auf Tanjas amüsierten Gesichtsausdruck hin, dass er glaubte, ein Monster gesehen zu haben. Da dies sie aber zum Grinsen brachte und er nicht als Angsthase dastehen wollte, stellte er sich aufrecht hin, nahm eine heroische Pose ein und ging letztlich erhobenen Hauptes auf den Wagen zu. Bevor er das Vehikel allerdings berühren konnte, wie zur Verifikation des Todes einer Kreatur, fiel ein heller Strahl auf die Front. „He he, hast du wirklich Schiss vor einer Maschine?“, fragte Calensk vergnügt und Karl errötete, „Es wird dich schon nicht fressen. Komm, sehen wir uns dieses …“ So gute Laune er in dem Moment auch hatte, das nächste Wort sprach er mit solchem Abscheu aus, dass sich seine Kunden fragten, was denn vorgefallen sei: „Monstrum … mal an.“ Mittig auf dem Kühlergrill im Gittermuster war ein silberner, rotäugiger Wolfskopf eingelassen, so wie es allgemein bei sämtlichen anderen hergestellten Zivilfahrzeugen des Regimes der Fall war. Daneben verliefen zwei parallel übereinander laufende weiße Linien, die dort aufhörten, wo die Scheinwerfer montiert waren. Was zuerst aussah wie Zwei, entpuppte sich in Wahrheit als Vier, wobei nur die Hälfte zur Verbesserung der Sicht des Fahrers zu dienen schien. Jene saßen jeweils an der Innenseite, während sich die anderen beiden, die ihm soeben einen gehörigen Schrecken eingejagt hatten, an den Rändern befanden. Der Linke glich dem Auge eines Drachen und der Rechte war sogar zerbrochen, weshalb man dadurch den roten Photorezeptor sehen konnte, wie er für die künstlichen Intelligenzen notwendig war. Calensk erläuterte in Hinblick auf die linke Lampe:„Einer der Vorbesitzer muss ein Faible für die Augen der militärischen Senkrechtstarter gehabt haben. Es ist auch beweglich, aber nur, wenn die KI aktiv ist." Unter dem Schein der Taschenlampe ging Karl näher an den Kühlergrill heran. Dort, oben rechts über dem Markenzeichen, stand etwas in weißer Schrift geschrieben, seiner Vermutung nach der Name des Modells. „Malstrom ..?“ „Ja, Malstrom“, bestätigte Calensk Karls ausgezeichnete Lesekünste, „Noch nie davon gehört?“ Das Ehepaar verneinte und der Inhaber lächelte, als ob er damit gerechnet hätte. „Klar, warum auch. Den Karren gibt es nur ein einziges Mal in den Weiten des Sternenmeers.“ Dann, kaum hörbar, grummelte er: „Und das ist schon einer zu viel.“ Das konnten beide nicht so recht glauben, darum erkundigte sich Karl sogleich bei Viktor, ob es denn auch stimmte und nicht irgendwo in den abgelegensten Flecken des Herrschaftsgebietes noch weitere Exemplare in Betrieb waren. „Rufe zentrales Fahrzeugregister auf, bitte warten …“ Auf Calensks Einwurf, es würde eine Weile dauern, hin, borgte sich Karl nach dessen Einverständnis die Taschenlampe und besah das Fahrzeug genauer. Bis auf die schwarz glänzende Motorhaube war die gesamte Karosserie in einem feurigen Rot-Metallic lackiert, von der Aufbauart her eine eckige Kombilimousine, dessen auffälligstes Merkmal der große zusammenlaufende Heckspoiler war, wie sie unter anderem bei älteren japanischen Sportwagen aus derselben Zeit des Malstroms vorkamen. Dunkle Kunststoffleisten verliefen mittig von vorne bis hinten und Schmutzfänger verrichteten ihren Funktion an den Hinterrädern, graue, schmucklose zahnradartige Felgen aus Plastik tragend. Am Heck selbst war lediglich erneut der Modellname aufgetragen, sowie die Bezeichnung des Herstellers. Doch was hatte der an einem Seil befestigte, rostige Anker im Kofferraum zu suchen? Wo war der Auspuff? In das Interieur geleuchtet, entdeckte Karl einen uralten Plastikbomber: In der Mittelkonsole zwei separate Schieberegler für die Heizung, einzelne Knöpfe für die unterschiedlichen Einstellungen der Scheinwerfer und Scheibenwischer, ein Radio mit Suchnadel, dessen Frequenzen manuell per Drehknopf gesucht werden mussten, ein dünnes, unhandliches Zweispeichen-Lenkrad auf dem ebenfalls der Modellname eingefräst war, verdreckte Fußmatten und bunt gestreifte Sitzbezüge aus Stoff. Als jemand, der wesentlich modernere Cockpits gewohnt war, die unter anderem mit Touchscreens und Assistenzsystemen arbeiteten, ganz zu schweigen von Multifunktionslenkrädern und Klimaanlagen, hatte er so etwas noch nie zuvor gesehen. Es hätte ihn nicht gewundert, wenn diese Gurke über keine Servolenkung und ein zerbrechliches Fahrwerk verfügte. So also sahen die Wagen von damals im Inneren aus? Jede Menge Plastik und rein mechanisch? Das müssten mindestens 90 Jahre her sein! So richtig war Karl von der angeblichen Gefährlichkeit nicht überzeugt. Er fragte Calensk: „Hm, könnten wir vielleicht den Schlüssel bekommen? Wir würden uns gerne reinsetzen und schauen, ob es sich für unsere Bedürfnisse eignet.“ „Natürlich, kein Thema“, antwortete der Meister unnatürlich ruhig, zückte einen Autoschlüssel und warf es ihm zu – Karl griff daneben, Tanjas Gekicher mit einem verschmitzten Lächeln beantwortend. Nun begab sich das Ehepaar zum Auto und Karl checkte zuvor die Motorhaube; durch die dunkle Farbe musste ihm völlig entgangen sein, dass sie um einiges höher war als gewöhnlich und vorne einen sehr breiten Lufteinlass gänzlich ohne Abdeckung besaß. Mithilfe der Lampe konnte er zwar nicht den Motorblock sehen, dafür jedoch den pfeilförmigen Vergaser und davon seitlich ausgehende Rohre. Diesen folgend, fand er insgesamt Sechs in schwarzem Lack, drei zu beiden Seiten, durch die Wände nach unten über den Radkästen verlaufen. Ein kurzer Blick unter die Türen offenbarte ihm sogleich das Ergebnis seiner Annahme: Sportliche Seitenauspuffe lugten schwer sichtbar, ja, zögerlich hinter den Schwellern aus Kunststoff hervor. Als hätte man versucht, das Erscheinungsbild einer Familienkutsche zu bewahren, ohne zu sportlich zu wirken. Ob das angesichts der auffälligen Motorhaube so recht funktionieren wollte, sei dahingestellt. „Also wenn du mich fragst“, meinte Tanja wenig begeistert, „Sieht es mir nach einem dieser verbastelten Autos Marke Eigenbau aus, wie sie sonst bei Protzern mit geringem Selbstbewusstsein vorkommen. Da KANN nichts Gutes bei rauskommen.“ „Ach komm, gib dem Malstrom doch eine Chance“, versuchte Karl sie versöhnlich zu stimmen, „Hauptsache er fährt und fällt nicht nach paar Metern auseinander, 'ne?“ „Also d...“ Calensk wollte etwas zum Gespräch beitragen, da öffnete sich plötzlich die Tür zur Rezeption und zwei Soldaten traten hindurch, Voss selber lugte neugierig hinter dem Türrahmen hervor. Einer trug offen ein Sturmgewehr, während dieses beim Anderen hinterm Rücken befestigt war und Jener stattdessen einen motorisierten Entersäbel schwang. Nur zwei Worte ließ einer verlauten: „Calensk, mitkommen.“ Die Augen zuerst weit aufgerissen, dann aber geschlossen um anschließend zu grummeln, sagte der Meister zu seinen Kunden: „Seht euch ruhig im Malstrom um, ich bin gleich wieder da.“ Zustimmend genickt, verließ der Meister danach den Salon mit dem Trupp und schloss die Tür. Das Ehepaar nutzte die Gunst der Stunde und entriegelte das Fahrzeug. Während Tanja mitsamt des Babys die Rückbank begutachtete, setzte sich Karl auf den Fahrersitz, steckte den Schlüssel in den Schlitz und prüfte das Getriebe. Zu seiner Überraschung handelte es sich dabei um ein 6-Gang-Schaltgetriebe, dessen Beschriftungen mit der Zeit verblichen waren und das Kunstleder zerrissen war. „Wie neu“ sah für ihn anders aus, aber solange es funktionierte? „Nun, was hältst du jetzt vom Malstrom? Ein bisschen Retro-Flair ist doch auch was Schönes, finde ich.“ Seine Frau ließ sich neben Maik nieder, tastete die Materialien ab, prüfte den Freiraum zwischen Kopf und Decke und schnallte sich an. Das Kind unterdessen fasste die Inneneinrichtung mit ungeschickten Armbewegungen und ausgestreckten Fingern an und sonderte seltsame Geräusche ab. „Na ja, ich weiß nicht“, entgegnete die Frau, nachdem sie die ausgeleierten Gurte abgelegt hatte, „Es ist einfach so … alt. Schau dir doch mal die vergilbten Ablageflächen an. Oder die gerissenen Stoffe.“ Karl rollte mit den Augen und erwiderte: „Meine Güte, dann waren die Vorbesitzer halt nachlässig. Das können wir doch nachbessern lassen und dann sieht es fast wie neu aus. Außerdem wissen wir doch gar nicht, ob es wirklich nur ein Bastelwagen ist.“ „Aber selbst wenn nicht, das Auto sieht aus wie eines, dessen Preis zu schön ist um wahr sein, verstehst du? Ich habe Angst davor, dass es am Ende noch mehr Geld in den Werkstätten lässt als unser jetziger Zwerg. Geld, das wir nicht haben, wohlgemerkt.“ „Also schlimmer als jetzt kann es bestimmt nicht mehr werden. Denk doch mal daran, was so ein altes Auto besser macht als der neumodische Kram heutzutage! Du kannst noch selber Reparaturen durchführen, ohne wegen jedem Firlefanz sofort in die Werkstatt zu dackeln und für wenig Leistung viele Scheine dazulassen. Weniger Elektronik bedeutet auch eine geringere Fehleranfälligkeit und somit eingesparte Kosten. Ist das denn nichts?“ „Beim besten Willen, Karlchen, aber wenn du mir schon so kommst, können wir für das gleiche Geld bestimmt hochwertigere Autos erhalten. Der hier ist nur noch abgeledert und reif für die Schrottpresse.“ „Ach ja, und wo, bitteschön?“, fragte der Vater zunehmend verärgert über den Pessimismus seiner Frau, „Wir haben die ganze verdammte Stadt abgesucht und nichts gefunden! Glaubst du wirklich, wenn wir rausgehen, steht der Wagen unserer Träume plötzlich vor uns?“ „Nicht in diesem Ton, mein Lieber!“, entfuhr es Tanja bestimmt, „Nein, das glaube ich zwar nicht, aber ich warte lieber ab und suche weiter, als mich einfach so auf das nächstbeste Auto einzulassen, das sich wahrscheinlich als Mist herausstellt. Ginge es nach dir, hätten wir diesen Japaner mit Versicherungsgebühren aus der Hölle behalten! Ein zweites Mal ziehe ich dich ganz sicher nicht da raus!“ Davon getroffen, versuchte Karl seinen Lippen etwas Schlagkräftiges entweichen zu lassen, aber außer einem lauten „Äh“ kam nichts heraus. Als wäre das nicht genug, begann Maik zu weinen, sodass Tanja ihn in ihre Arme nahm und flüsterte: „Keine Angst, guck nicht auf den bösen Papi, ich bin ja da.“ Am Ende seiner Weisheit gab er schlicht zurück: „Ach, du hast doch keine Ahnung, was gut für uns ist.“ Tanja quittierte das mit einem belustigten „Hmpf!“, was den Vater nur noch mehr aufregte, weswegen er sich auf den Motor konzentrierte und den Schlüssel umdrehte. Abgesehen vom Turbinengeräusch der Zündung, typisch für alle Fahrzeuge innerhalb des Sternenmeers, arbeitete das Soundsystem wie es sollte und erfüllte die Räumlichkeiten mit einem kernigen Brüllen, nahezu identisch mit dem von Muscle-Cars. Doch … Darunter hörte er noch etwas anderes heraus. Nicht das Turbinengeräusch, denn das war immer präsent, wenn man ganz genau lauschte. Nein, unterschwellig hatte es sich eingefügt, eine Art akustischer Eindringling, verzerrte den Ton zu etwas Unharmonischem. Karl trat nach kurzem Handzeichen nochmal drauf und horchte: Ja, da war was! Ebenfalls ein Brüllen, wenn auch leiser. Allerdings keines, wie es Muscle-Cars und Hochglanz-Japaner zum Besten gaben, sondern … Er wusste nicht, wie er es beschreiben sollte. Infernalisch? Brutal? Außerweltlich? Er wollte sich hüten, „dämonisch“ zu sagen, da er noch nie einen dämonischen Motor gehört hatte, aber wenn er gezwungen wäre, es jemandem nahezubringen, hätte er das Geräusch mit einem König der Unterwelt verglichen, der sich laut tobend auf sein Opfer stürzte, um es mit bloßen Händen zu zerreißen. War das „nur“ der Motor oder die Luftzufuhr? Und dem ihm unbekannten Geräusch und der hoffnungslos veralteten Technik zum Trotz überkam ihn ein wohliges Gefühl, nein, breitete sich in ihm aus wie ein Leuchtfeuer und drängte ihn, zum dritten Mal Gas zu geben und den Drehzahlmesser in die Höhe schnellen zu lassen. Und zum Vierten. Und Fünften. Und … Ein kindliches Grinsen – und Maiks Lachen. „Männer …“, äußerte Tanja leicht abfällig, obwohl sie sich darüber wunderte, wie der Motorenlärm das Kind erfreuen konnte. Ihrer Meinung nach war es bloß Krach und würde jemand damit in ihrer Nachbarschaft seine Runden drehen, wäre der Weg zum Telefon nicht weit. Aber wer war sie, den Jungs ihren Spaß zu verwehren? Da Karl aber nicht mehr aufzuhören schien und ihr der Lärm auf die Nerven ging, stupste sie ihn an der Schulter an und fragte, ob er das noch den ganzen Tag machen wolle oder auch beabsichtige, noch einen Wagen zu erwerben. Zunächst reagierte er nicht, doch als Tanja ihn anstieß, nahm er mit einem beleidigten „Okay, ist ja schon gut, meine Güte!“ den Fuß vom Gas und stellte den Motor ab. Danach öffnete er mit einem Hebel im Fußraum die Motorhaube, stieg aus, raunte „Nicht mal Spaß gönnt sie mir …“ und ging zum Motor, wo er die Haube anhob. Zu seiner Überraschung klappte nur der obere Teil der Lufthutze auf und er blickte gespannt auf das, was er vorfand. Das, was er vorhin als pfeilförmig erachtet hatte. Ein Herz. Keines aus Fleisch und Blut, auch keines, das wie ein unförmiger Knubbel aussah und den Lebenssaft durch den Organismus pumpte, sondern eines, mit dem Liebe und Zuneigung dargestellt wurde. In dem Falle aus Metall, starr verbaut und ohne bewegliche Teile um ein Schlagen zu simulieren. Passend zum Eindruck waren an der Unterseite der Hauben rippenähnliche Streben verschraubt, offenbar als zusätzlichen Schutz bei Kollisionen. Groß thronte das „Herz“ über dem Reaktor auf einer spiralförmigen Scheibe und trug eine rote Kunststoffleiste, dessen weiße Beschriftung mutig dem Zahn der Zeit trotzte: „V12 Biturbo … Hm! Ich schätze, 500 Pferdchen dürften mindestens drin sein.“ „Ich WUSSTE es!“ Karl zuckte zusammen und trat einen Schritt zurück, als Tanja ohne Vorwarnung neben ihm aufgetaucht war. „Also ist es doch ein schrottiges Bastelauto mit mehr Leistung als nötig! Hast du eine Vorstellung davon, was uns allein der Unterhalt wieder kosten wird?“ Gegen ihre ökonomische Rationalität konnte Karl zugegebenermaßen nicht ankommen, aber kampflos wollte er sich ebenso wenig geschlagen geben. Deswegen probierte er es auf pragmatische Art und Weise: „Aber denk' doch an das zusätzliche Platzangebot! Wir können endlich Großeinkäufe machen, ohne mehrmals fahren oder den Lieferservice beanspruchen zu müssen! Oder selbstständig in den Urlaub fahren, ohne teuren Mietwagen! Nicht zu vergessen, dass wir die hohe Leistungsstärke für Sonntagsfahrer und Mittelspurschleicher ausnutzen können! Ist es denn nicht das, was du willst?“ „Doch“, antwortete Tanja und Karl wähnte sich siegessicher, „Aber mit einem wichtigen Unterschied, den du wieder vergessen hast, Karlchen.“ Die Laune auf der Stelle abgesackt, grübelte der Mann bereits an einen Plan B und ließ Tanja ausreden: „Nicht um jeden Preis.“ So nahm sie Maik aus dem Malstrom und ging mit ihm rüber zum Kinderwagen, ihren Ehemann zerknirscht stehenlassend. So leicht durfte er nicht aufgeben! Es stimmte, der Malstrom schien uralt und ein Groschengrab zu sein, aber ewig konnten sie auch nicht nach dem perfekten fahrbaren Untersatz suchen; vor allem, weil ein solches Vehikel gar nicht existierte. Auch vermeintlich hochwertige Wagen konnten ärgerliche Defekte entwickeln und Werkstattaufenthalte nach sich ziehen, die den Wert um ein Vielfaches übersteigen. Unter diesen Aspekten war Karl vollkommen überzeugt, das ideale Fahrzeug entdeckt zu haben, weil kaputte Teile noch mit dem nötigen handwerklichen Können selbst repariert werden konnten. Nur wie konnte er sie davon überzeugen ..? „Äh, Karl?“, meldete sich mittendrin Viktor besorgt über das Kommunikationsarmband und brachte Karl aus der Fassung. „Was ist, ich stecke gerade in einer Krise!“ Ohne die Unsicherheit in der Stimme abzulegen, fuhr die KI fort: „Dann wird das, was ich dir jetzt zu sagen habe, vermutlich eine Midlife-Crisis auslösen. Bereit?“ Das Gesicht verzogen, die Hände zu Fäusten geballt und die Zähne zusammengedrückt, sagte Karl am Ende seiner geistigen Kräfte: „Okay, was steht an?“ „Ich habe die relevanten Daten über den Malstrom in Erfahrung gebracht“, gab die KI Auskunft, „Und tatsächlich ist der Wagen ein Einzelstück, Steel Lagoon-Import. Aber das größte Problem ist die Anzahl der Vorbesitzer, wenn es sich hierbei nicht um einen Datenbankfehler handelt.“ Das gefiel Karl so wenig, er überlegte ernsthaft, es seiner Frau zu verschweigen aus Sorge darüber, sich den Kauf endgültig abschminken zu können. Deswegen gebot er Viktor kurz zu warten, damit er sich ins Auto setzen konnte, wo er dann schließlich die Antwort wissen wollte … „Sage und schreibe neunzehn.“ Erstarrt spürte Karl, wie ihm sein Herz in die Hose rutschte. Neunzehn Vorbesitzer! Wie konnte das sein?! „Ich hoffe, du scherzt!“, sagte Karl erschüttert, „Oder willst du mir weismachen, dass der Wagen ganze neunzehn zerstörerische Unfälle hatte, aber wie von Zauberhand wieder auftaucht?“ „Leider ist es genau das. Den Letzten, ein gewisser Kane Haynes, hatte es erst vor einigen Monaten erwischt, und zwar, indem er auf der langen Landstraße bei circa 240 Stundenkilometern gegen Bäume geflogen ist. Der Malstrom ist unter der sportlichen Fahrweise buchstäblich auseinandergefallen.“ Dann senkte der Mann das Haupt, legte die Hände auf das Lenkrad und murmelte vor sich hin; ob er doch lieber vom Kauf absehen sollte? Eine derart gefährliche Maschine durfte er nicht auf seine Familie loslassen! Allerdings … „Moment. Heißt das, dass dieser Kane nur getötet wurde, weil er den Malstrom sportlich bewegt hat?“ „Kann man so sagen, ja. Strukturelle Scans der Konstruktion zeigen unter anderem ein zu schwaches Fahrwerk für das Gewicht des Motors, sowie Bereifung und Bremsanlagen, die auf eine Höchstgeschwindigkeit von rund 180 Kilometern pro Stunde ausgelegt sind.“ Schon hellte sich Karls Gesicht auf. Vielleicht war sein Tag doch noch gerettet? „Wenn ich das Auto also im gesetzeskonformen Bereich fahre, kann dann überhaupt noch etwas Gefährliches geschehen?“ „Eigentlich nicht, denn ich werde immer aufmerk...“ „Dann worauf warten wir denn noch?!“, meinte Karl erfreut, entfernte den Schlüssel und stieg aus. „Hey, ich bin noch nicht fertig! Du wirst regelmäßig Teile austauschen müssen!“ Das jedoch interessierte den Vater nicht mehr. Seiner Ansicht nach stand einem neuen Auto nichts mehr im Wege und solange er nicht damit heizte wie bekloppt, hätte er nichts zu befürchten. Er war kein Raser wie die vorherigen Eigentümer! Heute würde er beweisen, dass er dazu auserkoren war, den Wagen zu seiner Bestimmung zu lenken. Maiks Geschrei füllte den Salon. Eifrig fütterte Tanja das Baby mit einer Milchflasche, in der anderen Hand die Gasmaske haltend, was Karl aber nicht scherte, da er es gewohnt war. Erhobenen Hauptes und vor Stolz geschwellter Brust stellte er sich breit vor seiner Frau hin, die ihm keines Blickes würdigte und kündigte großspurig an: „Schatz, wir werden den Malstrom kaufen.“ Immer noch das Kind fixiert, antwortete Tanja ruhig: „Schön.“ Schön? Das klang nun nicht wirklich überzeugend, mehr desinteressiert und gleichgültig. Irritiert fragte Karl darum: „Äh, also hast du nichts dagegen, wenn wir damit in den Urlaub fahren?“ „Nein, aber du kannst ja ruhig alleine fahren.“ Etwas stimmte hier nicht. Warum war sie von ein auf dem anderen Moment so widerspenstig? Welches Spiel wurde hier gespielt? „Aber … warum? Was habe ich jetzt schon wieder angestellt?“ Schneller als er gucken konnte wandte sie sich ihm zu und drückte ihren Zeigefinger auf seine Brust, was erstaunlich schmerzhaft war und sprach erbost: „Hast du schon vergessen, wie fürchterlich schief der erste Kauf gegangen ist? Als du dich bei den Unterhaltskosten völlig verschätzt hattest und du allein das Geld nicht mehr aufbringen konntest, weil Elektriker nunmal nicht so gut bezahlt werden? Als ich dann mit dem bisschen Geld als Putzfrau einspringen musste, sodass wir uns sogar keine Kleidung und Möbel mehr für Maik leisten konnten?“ „Ich … ich …“, versuchte Karl zu Wort zu kommen, aber vergeblich. Tanja indes redete weiter: „Und hast du mir das jemals gedankt?! Nein! Und jetzt nochmal derselbe Mist?!“ Nach diesen Worten setzte sie Maik die Maske wieder auf und positionierte sich hinter dem Kinderwagen. Jäh dämmerte es Karl, was sie vorhatte und unternahm einen letzten Versuch, sie für seinen Plan zu gewinnen: „Aber ich verspreche dir, dass es diesmal n...“ „Ja ja ja“, unterbrach sie ihn barsch, sodass er verstummte, „Versprechen tust du vieles, aber halten? Davon will ich gar nicht erst anfangen. Vergiss' ja nicht, dass es unser gemeinsames Geld ist, das du für so teuren Unsinn aus dem Fenster werfen willst! Wenn es sich erneut als eine einzige Kostenfalle entpuppt, dann HÜTE dich, wieder angekrochen zu kommen und zu betteln! In diesen Schrotthaufen reinsetzen würde ich mich mit Maik sowieso nicht!“ Danach setzte sich Tanja mitsamt des Kinderwagens in Bewegung, schob die Tür zum Empfang auf und ließ ihren Mann sprachlos zurück. Konnte sich Karl eine derartige Abfuhr bieten lassen? Er war sich sicher, diesmal würde es anders laufen! Doch fehlten ihm die passenden Argumente und wie es derzeit schien, würde er es später wieder probieren müssen. Könnte er sie irgendwie versöhnlich stimmen ..? Der Malstrom! Genau, gegen ein Geschenk würde sie sich unmöglich wehren können! Natürlich wäre sie davon keineswegs begeistert, wenn nicht gar angewidert; jedoch könnte es ihm gelingen, ihre Meinung zu ändern, wenn sie immer mehr Zeit mit dem Wagen verbringen und dessen Vorzüge kennenlernen würde. „Nun das ging mächtig in die Hose“, tat Viktor seine Meinung unschuldig kund, „Das wird Zuhause wieder ohne Ende Krach geben.“ „Still jetzt, ich habe einen ausgezeichneten Plan. Wo zum Henker ist Calensk, wenn man ihn braucht?“ Wie man vom Teufel sprach, kam just in dem Moment der Werkstattinhaber in den Salon, sein Mund bereits von einem schelmischen Grinsen gezeichnet. „Na, wieder deine Alte verprellt?“ „Genau das brauche ich jetzt“, entgegnete Karl wütend, „Wärst du früher gekommen, wäre es bestimmt nicht so weit gekommen.“ Calensk legte den Kopf schief, hob die Hände und zuckte mit den Schultern. „Tut mir leid, Kumpel. Aber die Kerle waren echt scharf darauf zu wissen, warum bei mir immer derselbe Kunde mit einer Platzwunde auf der Straße liegt.“ Danach legte er Karl eine Hand auf dessen Schulter und fragte lächelnd: „Und, wie sieht's aus? Gefallen am Malstrom gefunden?“ Der Kunde sah kurz zu Boden, schaute dann dem Meister in die Augen und antwortete entschlossen: „Ja. Definitiv.“ „Hervorragend, das freut mich für dich. Wirklich.“ Mehrere Sekunden vergingen, begleitet von einer unangenehmen Stille, bei der es jedem der beiden die Sprache verschlug. Dann hielt es Karl nicht mehr aus und er wollte erfahren: „Also kann ich ihn haben?“ „Nö.“ Der Besucher runzelte die Stirn und sein Kopf nahm eine ungesunde rötliche Färbung an. Zum einen, weil er nicht verstand, wieso Calensk den Wagen trotz Karls Willensbekundung nicht abtreten wollte und zum anderen, da sich eine weitere Zeitverschwendung anbahnte. „Das ist jetzt wohl nicht dein Ernst, oder?“, fragte der Vater aufgebracht, worauf Calensk aber keinerlei Regung zeigte, „Warum hast du ihn dann überhaupt in erster Linie gezeigt, nur um ihn dann doch nicht zu verkaufen?“ „Ich hatte es anfangs doch gesagt: Weil ich euch schützen möchte. Genauer gesagt, vor einem grausigen Tod, wie ihn all die Vorbesitzer ereilt hatten. Für den Fall, dass ihr den Malstrom eines Tages bei einem anderen Händler wiederfindet und somit wisst, wovon ihr die Finger lassen müsst.“ „Unsinn!“, brüllte Karl daraufhin, „Viktor hatte mir alles erzählt, inklusive dem Rat, ihn nicht wie einen Sportwagen zu fahren, damit er nicht plötzlich auseinanderfällt. Solange ich ihn gemäßigt bewege, wird mir nichts passieren.“ Calensk lächelte und kicherte, ehe er sagte: „Hehe, genau das hatten sich die anderen Vorbesitzer sehr wahrscheinlich auch gesagt. Und der Malstrom hat sie trotzdem geholt. Was also gibt mir die Gewissheit, dass dir nicht dasselbe widerfährt?“ Schwer atmend und kochend vor Wut starrte Karl ihn mit zuckendem Auge an – genau die Reaktion, die der Meister erwartet hatte und ihn den Kopf schütteln ließ. „Genau deshalb habe ich die Entscheidung getroffen, die Bestie genauso plötzlich wieder verschwinden zu lassen, wie sie auf meinem Hof mit der Bitte um Verkauf wieder aufgetaucht ist: Es wird verschrottet, ohne Wenn und Aber.“ Nun steigerte er seine Tonhöhe und fuhr mit bebender Stimme fort: „Ich habe endgültig die Schnauze voll davon, immer mit ansehen zu müssen, wie der Malstrom ganze Leben und Existenzen vernichtet, nur um jedes Mal von amoralischen Werkstätten wieder repariert und unters Volk gebracht zu werden! Mit mir wird dieser Kreislauf ein Ende finden, und wenn ich meine eigene Lebensgrundlage auf's Spiel setzen muss!“ „Aber ich brauche ihn!“ Überrascht blickte er Karl an. Nicht, weil er, wie Calensk bereits damit gerechnet hatte, die Verschrottung ablehnte, sondern Karls Gesichtsfarbe die Zornesröte rasch verlor und nun bleich geworden war. Bestimmt hatten die Vorbesitzer den Malstrom in gewisser Weise ebenfalls gebraucht, und nie war es gut ausgegangen. Doch bei ihm hieß es Endstation für dieses dämonische Gefährt! „Nirgendwo sonst finde ich ein geeignetes Auto für uns!“, wollte Karl ihn verzweifelt umstimmen, „Alle Autohändler hatten wir abgesucht und alle waren zu teuer! Die öffentlichen Verkehrsmittel saugen unser letztes Geld aus, nicht zu vergessen unser Elefantenrollschuh! Ich habe nur das Beste für Frau und Kind im Sinn, versteh' das doch bitte!“ Allerdings starrte Calensk ihn nur ablehnend an. „Nein. Der Malstrom würde dich vernichten, besonders weil du glauben wirst, ein wenig Spaß mit den vielen PS würde nicht schaden.“ „Ich bin nicht so wie die vorherigen Eigentümer! Im Gegensatz zu ihnen werde ich aufpassen!“ „Ich sagte nein! Die Wahrscheinlichkeit, dass ausgerechnet du es anders machen wirst, liegt bei genau einem einzigen Prozent!“ „Aber ein Prozent ist noch im Bereich des Möglichen, garantiert!“ „Nochmal, nein.“ „Bitte.“ „Nein!“ „Bitte!“ „NEIN!“ „BITTE!“ „VOSS!“ Sofort kam Voss, seines Zeichens gehorsamer Soldat, in den Salon, sah beide abwechselnd an und fragte anschließend, was los sei. Während Karl ihn nur entsetzt anblickte, erklärte Calensk mit Augen auf den Malstrom: „Schaff' den Kerl hier raus, es ist nur zu seinem Besten.“ Wortlos packte die Wache den Kunden an seinem Arm und begann, ihn herauszuzerren. „Außerdem will ich ihn nicht mehr sehen, bis der Wagen weg ist“, fügte der Meister noch hinzu und hörte weg, als Karl noch rief, er möge doch bitte ein Herz haben, wobei dieser zugleich versuchte, sich am Türrahmen festzuhalten. Doch es nützte nichts: Trotz gesetzlich festgeschriebener Grundausbildung hatte er gegen den Berufssoldaten keine Chance und wurde letztlich wie ein unartiges Kind entfernt. Jetzt war Calensk allein im Verkaufsraum. Zusammen mit dem Malstrom. Dem Gefährt, das, obwohl „bloß“ ein gewöhnliches motorisiertes Fortbewegungsmittel, zahlreiche naive Fahrer auf dem Gewissen hatte und sich immer wieder aufs Neue dazu erdreistete, von den Toten zu erstehen. Er glaubte nicht an den esoterischen Kram, geschweige denn an Geister und Dämonen und würde ihm jemals jemand erzählen, der Malstrom sei verflucht, würde er in Gelächter ausbrechen. Nein, stattdessen musste es etwas in den Köpfen der Fahrer sein, das sie das Offensichtliche ausblenden und sorglos in den Tod rasen ließ. Wenn der Malstrom dann nur auf ewig ins Nirwana übergehen und nicht wieder woanders neugebaut werden würde! Aber wie lautete nochmal dieses Zitat, dass ihm die menschliche Rasse beigebracht hatte? Was einmal gedacht wurde, kann nicht wieder zurückgenommen werden. Indes kehrte Voss in den Salon zurück und hielt dabei den Autoschlüssel in der Hand. „Ist erledigt, Boss. So wie der aber drauf ist, fürchte ich, dass er versuchen könnte, sich den Malstrom … nun, zu ,borgen´ oder zumindest abzufangen, wenn er auf dem Schrottplatz kommt.“ Ohne ihn anzusehen, erwiderte Calensk: „Richtig. Deshalb …“ Er nahm den Schlüssel von der Wache entgegen und ging auf das Auto zu. „... werde ich höchstpersönlich seine Verschrottung beaufsichtigen. Auch wenn das nur eine temporäre Lösung ist.“ „Du wirst den Malstrom selber fahren, Boss?“, fragte Voss erstaunt, „Bist du dir da sicher?“ Daraufhin drehte sich der Werkstattinhaber zu ihm um und nickte. „Aber du weißt doch selber, wie gefährlich er ist!“ „Stimmt. Genau das befugt mich ja dazu, ihn ohne Zwischenvorkommnisse zu bewegen. Solange mir keine Flachzange die Vorfahrt nimmt, dürfte mir nichts passieren.“ „Na schön, wie du meinst, Chef. Willst du jetzt los?“ Erneut nickte Calensk und sagte: „Ja, ich breche auf der Stelle auf. Öffne bitte die Tore und räume die Wagen aus dem Weg.“ Ohne zu zögern tat der Soldat, wie ihm geheißen und er verließ den Raum, um sich die Schlüssel zu besorgen. Abermals allein, widmete sich der Meister dem Wagen und musterte ihn verächtlich. Gleich würde die Schreckensherrschaft des Malstroms enden! Nur – für wie lange? „Es wird mir auf ewig ein Rätsel bleiben, wie die Menschen dort auf der Erde so ein Monster wie dich konstruieren konnten, ohne von Mitarbeitern mit Sinn und Verstand aufgehalten zu werden. Du hättest niemals entstehen dürfen.“ Danach warf er einen Blick auf den Autoschlüssel in seiner Hand … und grinste breit. „Es ist lange her, dass ich auf abgelegenen Straßen so richtig die Sau rausgelassen habe. Bestimmt wird der Schrotthändler eine weitere Stunde Wartezeit verkraften können, nicht? Was spricht denn schon gegen ein bisschen Spaß auf der Arbeit …“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)