Malstrom von UAZ-469 ================================================================================ Prolog: -------- Die rot leuchtenden Zahlen auf dem digitalen Instrument näherten sich langsam, aber beständig der 300er-Marke. Schon lange hing die Nadel auf dem Tachometer bei 180 km/h, auf der anderen Seite des Armaturenbretts hingegen arbeitete sie sich tapfer den roten Bereich hoch. Sehnsüchtig fixierte der Fahrer den Drehzahlmesser, die freie Hand den Schaltknüppel fest umklammert, darauf wartend, in den fünften Gang zu schalten. Das mächtige Brüllen des Motors lullte ihn ein wie den lieblichen Gesang einer fürsorgenden Mutter, während ein kaum hörbarer Dämon forderte, nein, befahl, das Gaspedal bis zum Anschlag zu drücken und niemals loszulassen. Dieser Anweisung kam der mit Adrenalin vollgepumpte Fahrer nur zu gern nach, verhieß ihm der Wagen doch ewiges Glück in den Verzückungen der Geschwindigkeit. Selbst wenn dies die letzte Fahrt der Maschine werden sollte, würde er Freudentränen vergießend aus dem Auto steigen, Zuhause einen Altar errichten und jeden Tag den Erbauen des Fahrzeugs für den Höllenritt seines Lebens huldigen. Wer hätte gedacht, dass der „schnellste Schrotthaufen des Sternenmeers“, wie er vom Händler spottend bezeichnet worden war, jemals so viel Fahrspaß bescheren würde? Noch kein „toter“ Gegenstand zuvor hatte es vollbracht, seinen Körper vor Begeisterung zum Erzittern zu bringen. Es mochte zwar einem Modell von vor über 90 Jahren entstammen, das nur maximal 112 Pferdestärken aufbrachte; doch den längst verstorbenen Herstellern war es gelungen, aus einem für die damalige Zeit überteuerten und veralteten Familienwagen ein erschwingliches Monster zu kreieren. Trotz der vielen unglücklichen Zwischenfälle, die schließlich zum vorläufigen Produktionsstopp führten. Aber der Fahrer wusste, dass den Wagen keine Schuld traf. All jene, die nicht den unbarmherzigen Anforderungen der metallischen Wesen genügten, ereilte prompt ihr Urteil, und die Strafen waren drakonisch. Allein der Gedanke, wegen der geballten Unfähigkeit der unwürdigen Eigentümer die Distribution zu stoppen, erschien ihm wie Blasphemie. Umso glücklicher war er, erfahren zu haben, jemand hatte vor einem Jahr die gleiche Obsession geteilt, sodass er eines dieser Fahrzeuge hatte nachbauen lassen und bis auf die notwendigen Modifikationen am Motor alles beim Original belassen hatte. Dem Fahrer war es egal, dass der Wagen angeblich mindestens ein Dutzend Vorbesitzer hatte. Für ihn war das nur Bestätigung seiner Überzeugung, das Biest brauche eine starke Hand, eine Person, die verstand, es zu zähmen, über die Leistungsgrenzen hinauszuführen. Und dass das Vehikel nach jedem Unfall wie ein Phönix aus der Asche erstanden und eines Tages dem Fahrer in einem unscheinbaren Autosalon begegnet war, konnte nur Schicksal sein, Liebe auf den ersten Blick gleich. Wie konnte der Händler bloß daran denken, diese missverstandene Kreatur infolge der üblen Gerüchte verschrotten zu lassen! Das zu bezahlende Vermögen war es dem Käufer mehr als wert. Fünfter Gang. Lediglich eine Sekunde lang gönnte sich der Motor eine Pause, bevor er erneut aus Leibeskräften brüllte und das Auto jenseits der 300 Kilometer pro Stunde beschleunigte. Diese breite Landstraße im Dunkel der sternenklaren Nacht war wahrlich der perfekte Ort, den Gelüsten des Fahrzeugs zu frönen. Eine gut ausgebaute Route, umgeben von weiten Grassteppen, gesäumt von nur wenigen Bäumen und von einer Länge, die mit den einsamen Wegen im australischen Outback konkurrieren konnte. Ausschließlich das Fernlicht beleuchtete den finsteren Asphalt, rechts rötlich-golden, links gelb. Die seltenen, leichten Kurven bewältigte er mit sanften Lenkbewegungen und obwohl die Reifen leise quietschten, sowie sich die Karosserie neigte, spürte er ihren festen Halt auf dem Asphalt. Wohin der Weg führte? Das hatte ihn nicht zu interessieren, denn nur die Bedürfnisse seines fahrbaren Untersatzes waren wichtig. Außerdem, was faselte die künstliche Intelligenz des Autos vom deutlichen Profilverlust und Blasenbildung? Der Wagen ließ sich von so einer Lappalie doch nicht ausbremsen! Immer weiter, immer schneller wollte es rennen, und er würde dabei nicht im Wege stehen. Nur er und der Wagen, ganz allein auf der Straße, zu einem Wesen verschmolzen, die Vegetation am Rand im Vorbeiflug nichts weiter als Schemen – ans Anhalten war überhaupt nicht zu denken. Sogar als die KI besorgt meldete, dass das Fahrwerk zusammenzubrechen drohte, wenn der Lastenwechsel zu schnell vonstattenginge, kümmerte ihn nicht. Er war kein Versager wie die vorherigen Eigentümer! Heute würde er beweisen, dass er dazu auserkoren war, den Wagen zu seiner Bestimmung zu lenken. Erwartungsvoll blickte er auf die Geschwindigkeitsanzeige: 320 … 330 … 340 … 350 … Der Fahrer grinste, kicherte und lachte, als er in den sechsten Gang schaltete. Es hörte nicht auf. Das Fahrzeug [style type="italic"]wollte[/style] nicht aufhören. Solange der Treibstoff nicht verdampfte und die Straße nicht endete, würde es ewig so weitergehen. Lediglich die KI versuchte, eine Notbremsung einzuleiten, da sie angeblich errechnet hatte, der Wagen würde ihn töten, wenn der Fahrer jetzt nicht stehen bliebe. Ein Vorhaben, dass dieser mit einem erzürnten „Verschwinde!“ kurzerhand vereitelte. Nichtsdestotrotz erlaubte sie sich, eine geringfügig schärfere Kurve in wenigen Kilometern anzukündigen, die leider eine Verlangsamung erforderte. Die Enttäuschung darüber, dem Höhenflug des Wagens ein abruptes Ende zu versetzen und ihn somit zu beleidigen, wurde jäh von Glückseligkeit übertüncht, nachdem er sah, dass er tatsächlich den Temporekord des schnellsten Wagens mit Saugmotor gebrochen hatte. Der Fahrer trat sachte auf die Bremse, beobachtete wie sich die Zahl reduzierte – und stutzte. Warum ging sie plötzlich so langsam herunter? Die künstliche Intelligenz schlug Alarm. Der simple Ausruf, dass die Bremsen geschmolzen seien, tat der Eigentümer zuerst als Quatsch ab, denn das Auto war makellos. Als er jedoch mithilfe der Seitenspiegel ein seltsames Glühen auf dem Asphalt entdeckte, stellten sich ihm die Nackenhaare auf. Das durfte nicht sein! Hatte er einen Fehler begangen, der vom Wagen prompt bestraft wurde? Der Fahrer sprach verängstigt auf das Vehikel ein, er werde es wieder gutmachen und bat um Vergebung. Die Bremskraft stark geschwächt, schaltete er einen Gang herunter um sich der Motorbremse zu bedienen. Das Fahrzeug wurde langsamer, die Front neigte sich und der Fahrer atmete erleichtert aus im festen Glauben daran, eine Katastrophe abgewendet zu haben. Auf einmal allerdings ging ein mächtiger Ruck durch das Cockpit und der Fahrer schlug mit der Stirn auf dem Lenkrad auf. Sich benommen die wunde Stelle haltend, erkannte er noch, wie die Perspektive … geneigt war. Die Auflösung des Rätsels brachte schließlich wiedermal die künstliche Intelligenz mit Panik in der Stimme: „Fahrwerk gebrochen! FAHRWERK GEBROCHEN!“ Auf dem Asphalt schrammend, schrie der Fahrer auf und sah die Kurve schneller als gedacht auf sich zukommen. Was hatte er bloß getan, das den Zorn des Wagens auf sich ziehen konnte? Die Reifen lebten ja noch, vielleicht könnte er alles noch retten, wenn er das Lenkrad leicht … Ohrenbetäubende Platzgeräusche sagten ihm sogleich, dass das Fahrzeug eine andere Ansicht vertrat. Endgültig den Kontakt zur Straße verloren, rutschte das Auto funkensprühend auf Felgen durch die Lenkbewegung wie auf Eis und flog bei über 200 km/h auf Bäume am Rand zu. Mit der Fahrertür voraus. Während die KI darauf verzichtete, das Offensichtliche darzulegen, beschränkte sie sich darauf, ihm beruhigend zu erzählen, dass sie ihm immer gerne gedient hatte und sich wünschte, es noch länger tun zu können, dies aber bedauerlicherweise nun das Ende wäre. Das Gerede außer Acht lassend, stellte sich der Fahrer, nicht in der Lage einen Laut abzugeben, eine einzige Frage: War er nur ein weiterer Versager, wie Jene vor ihm? Noch bevor er mitsamt des Autos unweigerlich an den Bäumen zerschellen würde, entdeckte er schwere Schäden an den Rinden – und vernahm eine süßlich tröstende Stimme: „Lass los. Es ist gleich vorbei.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)