Tears and Laughter von DeNoir ================================================================================ Kapitel 11: Die Leichen des Bestatters -------------------------------------- Sky Zwei Tage später waren Amy und ich auf dem Weg in Undertakers Bestattungsunternehmen, um unsere wohlverdiente Strafe für unsere Hirnrissigkeit abzuarbeiten. Als wir dort ankamen schauten wir etwas verwundert auf die offenstehende Türe. „Tu nicht so, als ob du es nicht verstehst“, wehte uns eine strenge Stimme entgegen. Ich erkannte sie sofort und der Blick, den ich mit Amy tauschte, verriet mir, dass sie es auch tat: William. „Hehehehe! Ich habe lediglich gesagt, es sei anstrengend.“ „Du hast jahrelang Verwaltungsarbeiten erledigt, die bei weitem anstrengender waren!“ „Und hatte das Gefühl lebendig zu verwesen, ja. Tehe!“ „Himmel Herrgott! Warum tue ich mir das eigentlich an?“ „Nehehehe! Weil du mich eigentlich magst, William.“ „Überstrapaziere meine Freundlichkeit nicht!“ Ich schaute auf mein Handy: 16:35 Uhr. Wir hatten uns nicht getraut zu spät zu kommen, weswegen wir überpünktlich losgegangen und angekommen waren. Trotzdem streckten wir unsere Nasen durch die Türe. Alle Fenster im Laden und die halb versteckte Türe hinter dem Tresen standen weit offen. Auch durch den Türbogen, der in den hinteren Teil des Ladens führte, sickerte Licht, was mir verriet, dass wohl auch die Hintertür offenstand. Die treibende Kraft dazu war sicherlich William gewesen. In Undertakers Laden war es immer ein wenig muffig. Nicht furchtbar unangenehm, aber die Luft in dem kleinen Shop roch immer ein wenig abgestanden, alt und staubig. Ich musste kurz darüber sinnieren wie es in Undertakers Laden wohl vor knapp 100 Jahren gerochen haben musste, als es noch keine Kühlzellen gab. Sicherlich nicht anders, als in jedem anderem Bestattungsunternehmen, doch trotz allem drehte sich mein Magen bei dem bloßen Gedanken daran um. William und Undertaker hatten über einem großen Buch, einem Block und einem Taschenrechner die Köpfe zusammen gesteckt. Dem Bestatter fehlte der Hut. Er lag neben ihm auf dem Tresen. Darauf saß Merkenau und schlummerte selig. Undertakers Pony war zurück gewischt und seine Brille auf seiner Nase, als er mit dem Finger über das Papier des Buches fuhr. William schrieb auf dem Block herum, strich hin und wieder etwas durch, gab etwas in den Rechner ein und tippte mit dem stumpfen Ende seines Bleistifts ab und an überlegend auf dem Papier herum. Einige Zahlen und Daten flogen durch den Raum. Die Wörter ‚Einnahmen‘, ‚Ausgaben‘, ‚Grundsteuer‘ und ‚Betriebssteuer‘ hörte man ziemlich oft heraus. Es schien als half William Undertaker bei seiner Steuerabrechnung. Amy schaute mich an: „Sollen wir warten?“ Doch ich schüttelte den Kopf. Schließlich hatten wir auch allen Grund uns bei dem strengen Aufsichtsbeamten zu bedanken. Ich war gestern und auch heute ein paar Mal über den Fakt gestolpert, dass William mehrere Regeln gebrochen hatte damit Undertaker unsere Haut retten konnte. So herzlos, wie der strenge Shinigami immer wirkte, schien er eigentlich gar nicht zu sein. Ich konnte mir nämlich nicht vorstellen, dass Grells - sicherlich infernalisches - Gezeter ausgereicht hätte, um den regeltreuen Vorzeigereaper dazu zu bewegen 5 Regeln auf einmal zu brechen. Ich ging in den Laden und klopfte gegen den Türrahmen. Die Köpfe der beiden Shinigami flogen herum. „Ah!“, machte Undertaker und verschränkte freudig grinsend die Fingerkuppen: „Meine zwei Putzteufelchen sind da. Wie erfreulich! Sogar überpünktlich!“ Ich winkte kurz. „Hi“, hörte ich Amys Stimme hinter mir. William sah uns mit einen Arm schräg gegen den Schreibtisch gelehnt an. Ich hatte das Gefühl einen Hauch Mitleid in seinem harten Gesicht zu sehen: „Ihr habt keine Ahnung, in was ihr euch da rein manövriert habt.“ Ich ging auf den Aufsichtsbeamten zu. Im Vorbeigehen streichelte ich kurz Merkenau, der schläfrig ein Auge öffnete und krähte. Als ich vor William stand ließ ich demütig den Kopf hängen: „Es kann nicht so schlimm sein wie sterben, William. Das ich überhaupt noch hier stehe ist dank dir. Ich danke dir. Ich habe keine Ahnung wie ich das je wieder gut machen soll.“ „Wir danken dir und wir haben keine Ahnung“, hörte ich Amy neben mir: „Das war echt cool von dir. Wenn du auch noch ein Büro zum Entstauben hast, sag Bescheid.“ William schnaubte genervt. Allerdings wirkte seine Genervtheit nicht ganz authentisch: „Das Angebot ist verlockend, aber glaubt mir, ihr seid mit dieser Räuberhöhle genug gestraft. Ich würde es allerdings vorziehen eure Namen kein zweites Mal in zu naher Zukunft in unserer Liste zu lesen. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, was für ein Theater Grell veranstaltet hat.“ Mein Kopf zuckte zu dem Gesicht des Reapers. Hatte er gerade ‚Grell‘ gesagt? Ich habe noch nie gehört, dass William Grell mit seinem Vornamen ansprach. Wenn er mit dem rothaarigen Reaper einigermaßen zufrieden war, merkte man das höchsten daran, dass ein ‚Herr‘ vor seinem Nachnamen wanderte. Nannte William Grell tatsächlich nur dann Grell, wenn Grell nicht dabei war? Doch William war von meinem verwunderten Gesicht gänzlich unbeeindruckt: „Ich würde es des Weiteren ebenfalls bevorzugen, wenn alle Beteiligten über diese unglückliche Situation stillschwiegen bewahren würden. Ihr könntet in eine unangenehme Position kommen und ich auch. Lasst uns einfach nie wieder darüber sprechen und es vor allem nie wieder wiederholen.“ Ich und Amy nickten. „So!“, fuhren unsere Köpfe zu dem Totengräber, als er mit einem lauten ‚Wumps‘ zwei große Eimer auf die Theke stellte. Aus einem schwappte Wasser über und William hob in Windeseile Block und Buch vom Tisch, damit sie nicht nass wurden. Merkenau flatterte erschrocken krächzend mit den Flügeln und war ein kleiner, explodierter Federball geworden. Als ihn dann auch noch eine Welle des Wasser erwischte blinzelte er kurz verwirrt, schüttelte sich, schaute den Bestatter zornig an und krähte verstimmt. „Entschuldige“, lachte der Bestatter den Vogel an. Dieser krähte säuerlich. Der kleine Rabe hüpfte vom Zylinder und dann zu der urnenförmigen Keksdose, die neben dem Hut auf dem Tresen stand. Er zog sich ein Biskuit heraus. Genüsslich knusperte der kleine Rabe auf dem Tresen an dem Keks herum. Undertaker nahm sich ebenfalls einen und steckte ihn zwischen die Lippen ohne abzubeißen. Er zog ein Stofftaschentuch aus der Tasche und rubbelte den kleinen Raben trocken. Noch einmal krächzte der kleine Vogel. Diesmal allerdings wohlig. „Ich weiß, ich weiß. Hehehehe! Wie gesagt, es tut mir leid.“ Merkenau hüpfte den Arm des Bestatters hoch und schließlich auf die Schulter des Totengräbers. Dort wackelte er betont mit seinem süßen Hinterteil und setzte sich, als wollte er jedem genau klar machen, dass dies sein Platz war und von niemand anderem. Nicht, dass irgendjemand von uns da hin gepasst hätte. Die Beiden waren ein Herz und eine Seele. Amy schaute zu dem immer noch recht explodierten Vögelchen: „Das ist also Merkenau?“ Der Bestatter nickte: „Hihihi. In der Tat.“ Dann schob er sich den Keks ganz in den Mund und kaute glücklich darauf herum. „Oh, der ist sowas von süß! Ich weiß gar nicht was Grell hat!“ Bei dem Namen des rothaarigen Reaper krächzte Merkenau verstimmt. „Die Beiden können einfach nicht miteinander. Das hatte Grell sich auf Anhieb verscherzt“, lachte der Bestatter amüsiert. Merkenau krächzte ihm genau ins Ohr, als hätte er seine Aussage angesäuert kommentiert. Undertaker dreht mit einem zuckenden Auge seinen kleinem Finger in seinem Ohr: „Ist ja gut. Nicht genau ins Ohr, ja?“ Merkenau schüttelte sich betont und schaute wieder zu Amy. „Noah! Der ist wirklich knuffig“, schwärmte die Phantomhive: „Darf ich dich kraulen, Merkenau?“ Wie die Prinzessin auf der Erbse reckte Merkenau ihr gönnerhaft den Kopf hin. Kichernd kraulte sie ihn: „Oh! Einfach putzig!“ Ich lächelte über die harmonische Szenerie. „Doch da ihr beiden euch ja jetzt so fein bedankt habt“, grinste uns der Bestatter mit einer Menge Pläsier und einer genau so großen Menge Schadenfreude entgegen: „Könnt ihr ja anfangen. Hehehehe! Meine Regale erwarten euch sehnsüchtig!“ Wir schauten uns um. Eigentlich war die Aufgabe ja keine schwere. Das Problem war nur... Undertaker hatte etliche Regale! Und das nur in dem Verkaufsraum! Ich war mir anbei auch nur allzu sicher, dass er sich nicht auf diese beschränkte. Und ich sollte Recht behalten. „Wenn ihr mit denen im Laden fertig seid, dürft ihr hinten weiter machen, ehehehe“, giggelte der Bestatter und zeigte auf die Türe hinter dem Tresen. Die Phantomhive und ich schauten einander an und ließen dann den Kopf hängen: „Ay, ay Sir...“ Still schweigend ergaben wir uns unserem Schicksal. Nachdem wir uns die Haare zurückgebunden und die Ärmel hochgekrempelt hatten, wollten wir uns jeweils einen Eimer nehmen. Doch noch bevor ich die Hand an den Henkel des Plastikeimers gelegt hatte, haschte Undertaker sie mit seiner Eigenen. Überrascht und vollkommen überfahren schaute ich ihm entgegen und hatte schon wieder die blanke Schamesröte im Gesicht stehen, als der Bestatter meine Fingerkuppen beschaute. Zwei hatte ich getapped. Die Zwei, an denen mir die Fingernägel abgesplittert waren, als ich mich von Hannah befreien wollte. Undertaker legte seinen Kopf schief: „Das könnte mit dem Seifenwasser aber ganz schön knistern. Tehe!“ Ich seufzte: „Wahrscheinlich. Aber was soll ich dagegen tun?“ Undertaker legte den Kopf schiefer. Dann hellte sich sein Gesicht unter einem Einfall auf und er verschwand noch einmal in der versteckten Türe. Als er wieder kam hatte er einen Karton in der Hand, der ebenfalls mal staubgewischt werden könnte. Doch unter dem ganzen Staub las ich so etwas wie ‚Basic-Plus‘. „Was ist das?“, fragte ich trotzdem. Undertaker grinste: „Eine Packung Einmalhandschuhe.“ „Ahhh“, machte ich in Erkenntnis, doch zog dann die Augenbrauen zusammen: „Die hast du schon was länger oder?“ Undertaker kicherte und gab mir den kleinen Karton: „Tihihi! Ein bisschen. Nimm sie. Damit sollte sich größerer Schmerz vermeiden lassen.“ Ich lächelte ihn verhalten an: „Danke.“ Er lächelte zurück und mein Herz übersprang aus irgendwelchen Gründen einen Schlag. Ich fragte mich woher dieser Anfall von Schamesröte kam, während ich die - bis dato ungeöffnete – Packung Einmalhandschuhe öffnete und mir einen über meine Hand mit den zwei getappten Finger zog. Dann nahm ich meinen Eimer und schaute an dem fast deckenhohen Regalen hinauf: ‚Wie soll ich denn da oben ran kommen…?‘ Doch wieder schien es, als könne Undertaker meine Gedanken lesen. Denn er stellte stumm, aber von einem Ohr zum andern grinsend, zwei Tritts mit vier Stufen neben uns ab und ging wieder zu William. Es war eine mühevolle Arbeit. Undertakers Regale waren vollgestellt bis unter den Rand. Wir mussten jedes Brett abräumen, feucht wischen, dann trocken wischen und die Gläser und Behälter abstauben, bevor wir sie zurückstellen konnten. Vor allem die putzscheue Adelstochter wirkte reichlich genervt, aber stumm ergeben. Undertakers Laden war nicht dreckig, doch staubwischen schien genau so wenig sein größtes Hobby zu sein. Ich nieste mir die Seele aus dem Leib. Meine Nase fühlte sich an, als haben sich darin Hornissen ein Nest gebaut. Ich versuchte mir den Inhalt der Gläser die ich putzte, nicht allzu genau anzuschauen. Doch es gelang mir nicht. Als ich bei meinem dritten Glas auf einmal eine Niere in der Hand hielt, quietschte ich auf: „AH! Oh mein Gooooooott~ …“ Ich wusste, dass der Bestatter mit Freuden Innereien seiner ‚Gäste‘ einlegte. Doch ich hatte nicht damit gerechnet, dass er sie sich einfach in seine Regale stellte. Ich hatte ja das Gefühl meine Augen drehten sich nach hinten und ich fiel gleich einfach um, als das Organ aufgrund meiner erschrocken zitternden Hand, so fröhlich in seinem Formaldehydbad herum hüpfte. Ich hatte noch nie ein Organ gesehen! Wo auch?! Ich hörte Undertaker amüsiert lachen, während ich gegen meinen inneren und äußeren Zusammenbruch kämpfte. Gott war mir schlecht! Amy schaute mich an und ging mit ihrer Nase näher an das Glas heran: „Was hast du de… Hö?… Äh!“, sie hüpfte ein Stück zurück: „Undertaker? Das ist Ih! Das ist einfach ganz doll Ih!“ „Tihihihihihi!“, kicherte der Bestatter laut, der mittlerweile mit einem Messbecher voll Tee auf seinem Stuhl saß und die Füße auf seinem Tresen abgelegt hatte, während er mit William weiter durch seine Finanzen rechnete: „Weniger schnattern, mehr putzen!“ „Ja doch“, ertönte es von uns zweistimmig und ich warf meinen Lappen über das Glas. Ich zog ihn auch erst wieder herunter, als ich es abgestellt hatte. Leider war ich mir nur allzu sicher, dass es nicht die einzige Niere sein wird, die sich hier versteckte. Ganz zu schweigen von anderen artverwandten Dingen. Ich habe nicht gezählt wie viele Nieren, Herzen, Bauchspeicheldrüsen und Ähnliches mit an diesem Tag in die Hände fielen. Ich wusste nur, dass ich die Sammelleidenschaft des Totengräbers wirklich nicht teilte. Ein Gehirn brachte mich allerdings endgültig an den Rand meines Durchhaltevermögen und als mir ein paar Augen aus einem anderen Glas entgegen schauten, wusste ich wirklich nicht wie ich mein Frühstück drin behalten hatte. Gläser sollten nicht zurück schauen. Das sollten sie einfach nicht tun... Amy fand ein paar Gläser mit Adern und Venen. Gut zu bekommen schien dies der Phantomhive nicht. Sie setzte sich auf einen Sarg und fuhr sich durch die Haare: „Was tue ich hier...?“ Ich hielt ihr die Augen hin: „Tauschen?“ Ihre eigenen wurden groß und sie hüpfte von ihrem Sarg auf: „AH! GEH WEG DAMIT!“ William stöhnte am Tresen. Der Bestatter schien nicht wirklich bei der Sache zu sein. Er hatte viel zu viel Spaß an unseren verstörten Gesichtern und Gebärden. Irgendwann unterbrach Williams Stimme kurz unsere Arbeit: „So. Ich empfehle mich. Miss Phantomhive? Miss Rosewell? Undertaker? Ich wünsche einen angenehmen Tag.“ „Ich danke dir, William“, verstaute der Bestatter Buch und Block in einer Schublade: „Wenn ich etwas für dich tun kann, lasse es mich wissen. Tehehe.“ „Werde ich“, ging William in Richtung Türbogen und schaute uns noch einmal über seine Schulter an: „Und viel Erfolg.“ „Danke“, nickte ich zerknirscht: „Dir auch einen schönen Tag, William.“ „Mach‘s gut“, verabschiedete sich Amy mit angestrengter Stimme. William nickte und verschwand. „So meine kleinen Wichtel“, grinste Undertaker und ging ebenfalls Richtung Türbogen: „Ich habe selbst noch etwas Arbeit. Hehehe! Ich bin hinten, falls ihr etwas braucht.“ Die Phantomhive und ich gingen wieder an die Arbeit. In dem hinteren Teil des Ladens hörten wir nun ab und an ein geschäftiges Klimpern und Klirren. Was wir allerdings durchgängig hörten war das beständige verträumte Summen und Pfeifen des, in seiner Arbeit versunkenen, Bestattungsunternehmers. Irgendwann grollte aus dem hinteren Raum ein konstantes Surren zu uns herüber. „Was macht er da?“, fragte ich irritiert, als ich ein paar Gläser abwischte und blinzelte zu dem Türbogen. Doch ich konnte nichts erkennen. „Willst du das wirklich wissen?“, fragte Amy, die bis zum Bauch in einem Regalbrett verschwunden war. Ich schüttelte den Kopf: „Nein… Nein, du hast Recht. Wahrscheinlich will ich das nicht.“ Ich stellte die Gläser wieder ins Regal, da kam auch schon die Zeit in der ich auf den Tritt klettern musste, weil mir die Körpergröße ausging. Das Problem war nur, dass ich furchtbare Höhenangst hatte. Ich atmete auf den schmalen Stufen durch und versuchte mich aufs putzen zu konzentrieren. Auf diesen Brettern stand der Staub Zentimeter dick. Bei den unteren Regalbrettern war er immer wieder verwischt worden, weil der Bestatter Gläser herausgenommen, oder wieder hinein gestellte hatte. Doch hier oben war die Staubschicht fast unberührt. „Sky?“ Der leicht überraschte Tonfall Amys brachte mich dazu den Kopf zu ihr zudrehen: „Hm?“ Sie hatte einen silbernen Bilderrahmen in der Hand und beschaute ihn verwundert. Dann drehte sie ihn zu mir: „Ist das nicht das Bild, dass du an meinem Geburtstag klang heimlich von Undertaker auf dem Friedhof gemalt hast?“ Mein Gesicht wurde heiß auf Grund eines peinlich berührten Schocks. Doch dann fiel mir etwas ganz anderes auf: Ich hatte Amy nie erzählt, dass ich mittlerweile wusste, dass ich Undertaker Anfang September auf dem Friedhof getroffen hatte: „Warte! Du wusstest es die ganze Zeit?!“ „Was?“ „Das ich Undertaker getroffen hatte!“ „Klar“, lachte die Phantomhive und schaute auf das Bild: „Den erkennt man doch sofort! Ich hab mich gefreut wie ein Schneekönig ihn dir auf meiner Geburtstagsfeier vorzustellen! Dein Gesicht als du ihn wiedergesehen hattest, war ein Bild für die Götter! Und du dachtest du hättest einen Geist gesehen!“ Nein. Er war kein Geist. Nur ein Sensenmann in Frührente, der mittlerweile als Bestatter arbeitete. „Warum hast du mir das nicht direkt erzählt?!“, fauchte ich sie an. Amy lachte hämisch: „Na! So war es viel lustiger!“ Ich bewarf sie mit dem feuchten Putztuch: „Du falsche Schlange!“ Doch Amy lachte nur. Sie warf mir meinen Lappen zurück und ich räumte das Regel Brett ab und begann zu wischen. Der Staub stob auf und mir genau in die Nase. Sie knisterte und kribbelte: „Ha...“ Ich rieb mir mit der Hand in der ich dem Lappen hielt die Nase, da ich in der anderen den vollen Putzeimer hatte: „Ha...“ Doch es half nichts. „Hatschie!“, nieste ich aus tiefstem Herzen und mit so viel Schwung, dass ich aus der Balance geriet. „Wa!“, ruderte ich mit meinen Armen und das angegraute Putzwasser spritzte durch die Gegend: „Oh nein, nein, nein, nein!“ „Sky!“, hörte ich noch Amy rufen, als ich hinten über von dem Tritt rasselte. Kreischend. Der Putzeimer fiel mir aus der Hand. Es entbehrte nicht einer gewissen Ironie, dass es mir wortwörtlich den Hals rettete, dass ich in einen Sarg landete. Durch die weichen, flauschigen Polster beschränkte sich der Schmerz des Aufpralls auf ein Minimum. Leider landete nicht nur ich in dem Sarg. Mein Putzeimer - samt Inhalt versteht sich - tat es auch. Das dreckige Seifenwasser spritze mir ins Gesicht und eigentlich auch überall anders hin. Ich war komplett nass. Es roch nach einem Gully in den man ein Zitronenduftbäumchen gehängt hatte. Ich bekam es leider auch in die Augen, was dazu führte das sie wie Feuer zu brennen begangen und ich nichts mehr sah. Als ob das nicht schon Strafe genug gewesen wäre, klappte auch noch der massive Sargdeckel zu. Er krachte auf das Knie des Beines, welches aus dem Sarg hing. Wenigstens erwische es mein Bein, aufgrund meines angewinkelten im Sarg liegenden anderen Beines, nicht mit dem vollen Schwung und Gewicht. Trotzdem surrte eine facettenreiche Welle glühenden Schmerzes hindurch: „AHHH!“ So lag ich also in dem dunklen Sarg. Nass und stinkend wie eine Jauchegrube. Mit tränenden Augen und einem schmerzenden Knie. „Wasted...“, hörte ich Amy von außen. „Was ist passiert?“, erklang Undertakers Stimme irritiert. „Skyler ist passiert“, antwortete Amy trocken. „Wie?“ Keine Antwort, doch ich wusste, dass Amy auf den Sarg zeigte in dem ich gelandet war. Ich hasste sie… Ich hörte schnelle Schritte und Licht erreichte meine brennenden Augen. Ich blinzelte mit schmerzenden und tränenden Augen dem Bestatter entgegen. „Geht es dir gut?“, fragte er mich mit einem verdutzten Gesichtsausdruck. Seine lange Robe fehlte und er trug nur den engen, schwarzen Mantel der sich immer darunter versteckte. Sein Pony wurde von seiner in die Haare geschobenen Brille aus seinem Gesicht gehalten und seine Augen klimperten mir mit einer Mischung aus Besorgnis und Unglauben entgegen. „Nein“, stöhnte ich gepeinigt: „Nein, geht es mir nicht...“ „Was ist passiert?“ „Ich hab geniest...“ Sein Mund klappte ein Stück auf: „Ehrlich?“ „Ja…“ „Und dann?“ „Bin ich vom Tritt gefallen...“ „Ehrlich?“ „Sieht es so aus?“, fragte ich gereizt. Undertakers Kopf wackelte hin und her: „Schon, ja. Hast du dir wehgetan?“ „Ja...“ „Wo?“ „Ich hab Putzwasser in den Augen...“ Undertaker drückte eine Hand vor seinem Mund: „Nicht nur in den Augen.“ Ich sah ihm durch meinen Tränenschleier an, dass er eigentlich lachen musste, doch es zurück zuhalten versuchte, da ich mir wirklich furchtbar wehgetan hatte. Ich wusste er würde es auf Dauer nicht schaffen. Verübeln konnte ich es ihn auch nicht. Ich musste schon ziemlich dämlich aussehen. Undertaker atmete mit dem besten Willen mich nicht auszulachen durch: „Ist sonst etwas passiert?“ „Ja… der Sargdeckel ist mir auf mein Knie gefallen...“ Der Bestatter krümmte sich nach vorne und presste seine Hand fester vor den Mund. Ich hörte schon das Lachen durch seine Finger quellen. „Herrgott...“, sprach ich ermattet: „Jetzt lach‘ doch einfach...“ Mit dieser Aussage brach Undertakers Lachen durch seine Hand und er verschwand hinter dem Rand des Sarges, den ich ebenfalls in Putzwasser gebadet hatte. Was jammerschade war. Denn das Polster war natürlich reinweiß gewesen. Was auch sonst… Der Totengräber tauchte fast drei Minuten nicht wieder auf. Nur sein infernalisches Gelächter schallte durch den Laden. Ich blieb einfach liegen. Am liebsten wäre mir, der Bestatter schubste einfach mein zweites Bein mit in den Sarg, vernagelte ihn und vergrub mich lebendig. Die Situation war nicht nur außerordentlich schmerzhaft, sondern auch himmelhochjauchzend peinlich. Schwer atmend erschien sein Kopf wieder über dem Rand des Sarges: „Huhuhuhuhu… Wie kann man nur so dusselig sein?“ „Gute Frage“, stöhnte ich. Der Schmerz in meinen Augen und in meinem Knie dachte nicht daran nach zu lassen und ich kniff sie zusammen. Ich rieb sie mir. Da aber auch meine Hände voll Seifenwasser waren, erwies sich dieses Unterfangen als eher kontraproduktiv. Ich stöhnte auf: „Oh Mist!“ Zwei Hände schoben sich zwischen mich und die Polster und hoben mich aus dem Sarg. Undertaker kicherte allerdings weiter, während er mich auf einen anderen Sarg setzte. Dann entfernte er sich. „Geht‘s?“, hörte ich Amys Stimme neben mir, während ich mit einem halbgeöffneten Auge nach einer Stelle an meinem Kleidung suchte die trocken war, um mir damit durch die Augen wischen zu können. Es gab nur keine. „Du dumme Putte!“, fauchte ich sie an: „Wasted? War das alles, was du zu sagen hattest?!“ „Was sollte ich denn machen?“, kicherte die Phantomhive: „Das Kind war doch schon in den Sarg gefallen.“ „Och! Steck dir deine dummen Sprüche doch bitte dahin, wo nie die Sonne scheint!“ Eine Hand erschien an meinem Kinn und drehte meinen Kopf herum. Undertaker war zurückgekommen - von woher auch immer - und begann mir behutsam mit einem trockenen und sauberen Tuch durch Gesicht und Augen zu wischen. Es roch nach Vernelweichspüler, also tippte ich es war frisch gewaschen. Auch war es viel weicher als ein Putzlappen. Langsam verschwand das Brennen aus meinen Augen: „Herrje, herrje. Hehe! Was machst du nur für Sachen?“ „Putzen“, konterte ich trocken, während Undertaker mir weiter, eine Hand immer noch an meinem Kinn, mit dem Tuch Tränen und Putzwasser aus dem Gesicht wischte. Irgendwie war das Gefühl richtig schön. „Tihihi. Bei dir scheint selbst Putzen ein Extremsport zu sein“, giggelte der Bestatter. „Du bist gemein...“, seufzte ich: „Du kannst mir wenigstens nicht unterstellen ich würde halbe Sachen machen...“ „Wobei?“, lachte der Totengräber belustigt: „Hehehehehe! Beim Putzen? Da sicherlich nicht. Beim unfreiwilligen Suizid? Na. Gott sei Dank hat es nicht ganz gereicht. Fu fu fu.“ „Ach...“, zischte ich niedergeschlagen: „Du bist doof...“ Undertaker nahm das Tuch aus meinem Gesicht und ich konnte meine Umgebung wieder erkennen. Meine Augen waren noch unangenehm warm, doch sie brannten nicht mehr und mein Gesicht war wieder trocken. Leider war nur mein Gesicht trocken. Der kalte Durchzug pfiff durch meine nassen Kleider und ließ mich fröstelnd zittern. Jetzt erkannte ich, dass das Tuch in den langen Fingern des Bestatters, ein Stofftaschentuch war. Seine grellgrünen Augen musterten mich belustigt, aber trotz allem mitfühlend und sogar besorgt. Er hatte mich wirklich nicht ausgelacht, weil es ihm Freude bereitete, dass ich mir wehgetan hatte. Wahrscheinlich hatte er sich meinen total dämlichen Abgang bildlich vorstellen müssen. Dass diese Vorstellung gerade für ihn lustig war, konnte ich mir nur allzu gut vorstellen. So alt wie er war hatte er sicherlich die Schadenfreude erfunden. Amy war mittlerweile damit beschäftigt weiter zu putzen. Im Gegensatz zu mir, nieste die Phantomhive zwar, blieb aber auf ihrem Tritt. Undertaker zeigte auf mein linkes, pochendes Knie: „Das?“ Ich nickte von der Welt geschlagen. Ohne ein Wort zu sagen begann er das Hosenbein meiner schwarzen, nassen Schlaghose hochzukrempeln. Blut schoss mir ins Gesicht: „Ätete! Was tust du da?!“ „Ich schaue nach, ob du dich ernsthaft verletzt hast. Die Sargdeckel sind massiv und ziemlich schwer.“ Er grinste noch, aber giggelte oder kicherte nicht mehr. Schließlich schob er den Stoff meiner Hose über mein Knie. Es war ganz rot und begann dick zu werden. „Das wird jetzt ein bisschen weh tun“, warnte mich der Bestatter vor und befühlte mein Knie. Er sollte Recht behalten. Bei der ersten Berührung schoss eine weitere Welle Schmerzen durch mein Knie. Ich verzog das Gesicht und mir entfloh ein gequälter Laut. „Ruhig durchatmen. Atmen macht es ein wenig besser.“ Ich tat wie mir geheißen. Es wurde nur ein klein wenig besser, doch jedes bisschen war besser als nichts. Auch die kalten Finger des Bestatters taten ungeahnt gut. „Gebrochen scheint die Kniescheibe nicht zu sein“, lächelte mich Undertaker mit geschlossenen Augen an. Es war so warm. Dieses Lächeln war so süß. Ich merkte wie meine Wangen und meine Ohren warm wurden, als ich dieses Lächeln sah: „Kannst du es bewegen?“ Mein Gehirn brauchte ein paar Minuten, bis es durch dieses überwältigende Lächeln die Aufforderung verarbeiten und ausführen konnte. Ich schaute hastig auf mein Knie und winkelte mit schmerzverzerrtem Gesicht mein Bein an. Es funktioniert, doch es tat höllisch weh. „Gut. Alles noch ganz und da wo es hingehört“, Undertaker legte sachte mein Bein ab und stand auf: „Nicht weglaufen.“ „Wie?!“, rief ich dem Totengräber hinter her, der in der Tür hinter seinem Tresen verschwand. Nach ein paar Minuten kam er mit einer Packung Tiefkühlerbsen wieder. Ich schaute ihn irritiert an: „Erbsen?“ Er grinste entschuldigend: „Ich habe nichts anderes“, dann legte er mir den Beutel auf das Knie. Es wunderte mich, dass es nicht zischte, doch ein wunderbares Wohlgefühl zog mein Bein hinauf. Mein Gesicht entspannte sich und ich seufzte erleichtert. „Kühle es ein bisschen. Es wird trotz allem blau werden, aber so vielleicht nicht rabenschwarz. Ehehehe!“, lächelte Undertaker so wunderbar weich und es schickte mir ein undefinierbares, aber ebenfalls wohliges Gefühl durch meinen ganzen Körper. Ich wusste nicht, ob meine Gänsehaut von diesem Gefühl oder von der kalten Luft kam, die beständig durch alle geöffneten Fenster und Türen des kleinen Ladens zog. Ich legte meine Hand auf den Beutel und Undertaker nahm seine weg. Er drehte sich zu Amy: „Hehehe. Komm runter. Ich habe keine Lust, dass ihr eure Särge doch schon braucht.“ „Nope“, antwortete Amy geschäftig: „Ich brauche keine Almosen. Das ist meine gerechte Strafe und ich werde sie zu Ende bringen. Warum denkst du, ich würde das nicht schaffen?“ „Wuhuhuhuhuhu! Weil ich bis eben auch nicht dachte, dass Staubwischen ein lebensgefährliches Unterfangen ist!“ „Ich bin nicht Sky.“ Ich zog meine Augen zusammen und verzog angefressen eine Schnute: „Danke.“ Undertaker drehte sich mit erhobenen Händen zu mir: „Es ist wie es ist. Nehehehe!“ „Dann müsst ihr es aber nicht auch noch so explizit erwähnen...“ Amy und Undertaker lachten. Ich nicht. Undertaker drehte sich wieder ganz zu mir und schaute mich nachdenklich an. Mein Kopf fiel zur Seite: „Was grübelst du?“ „Ich überlege, ob ich irgendetwas hier habe um dich aus deinen nassen Klamotten zu befreien. Außerdem müffelst du ganz furchtbar. Hehehe!“ Meine Schnute wurde dunkler: „Ich korrigiere. Du bist nicht gemein. Du bist auch nicht doof. Du bist ein Arsch, Undertaker.“ Doch der Bestatter konterte mich mit einem Lachen: „Ich spreche nur die Wahrheit, oder Amy?“ „Jup“, pflichtete ihn die Phantomhive in ihre Arbeit versunken bei: „Du stinkst.“ „Danke“, zischte ich ihr entgegen: „Das ist was man sich unter einer besten Freundin vorstellt.“ „Gern geschehen.“ „Das war Sarkasmus!“ Es gefiel mir nicht wie wunderbar sich die Beiden schadenfrohsten Personen, die ich kannte, gegen mich verbünden konnten. Undertaker lachte wieder. Dann schnipste er in Erkenntnis: „Ah! Ehehehe! Ich hab noch irgendwo so eine… ähm“, jetzt schnipste er immer wieder fragend, als er nach dem richtigen Wort suchte: „Ja… eine… Ach! Wie heißen nochmal diese komischen Stoffschlabberhosen, die zwar zum Sport machen entwickelt wurden, doch jeder nur für das Gegenteil benutzt?“ „Jogginghosen“, antwortete Amy bevor ich es konnte. „Genau!“, Undertaker verschwand in Richtung Tür: „Ich suche sie schnell! Hehehe!“ „Warte!“, rief ich ihm nach: „Das ist nicht nötig!“ „Oh doch!“, wurde der Bestatter von der Türe verschluckt: „Die Fenster stehen sperrangelweit offen und draußen ist es kalt. Dann sitzt du hier sicherlich nicht in nassen Sachen herum. Hihihihi!“ Wieder schoss das Blut in meinem Kopf. Es war wirklich kalt. Der kalte Novemberwind zog unablässig durch den kleinen Laden. Doch ich würde mir lieber eine Lungenentzündung holen, als die Sachen des Totengräbers anzuziehen. Irgendetwas an dieser Vorstellung war unglaublich unangenehm. Ich legte meine freie Hand über meine Augen: „Das ist so peinlich.“ „Jup“, antwortete Amy. „DU bist für heute unten durch, klar?!“ „Ich werde es ertragen.“ „Grrr...“ Nach 5 Minuten erschien der Bestatter wieder mit einem fröhlichen Gesicht: „Wer suchet, der findet! Nehehehe!“ Ich hatte ja gehofft und gebetet er findet sie nicht... Er blieb vor mir stehen, einen schwarzen Stoffstapel in der Hand. „Du musst wirklich nicht… also...“ Er legte den Stoffstapel ab und nahm den Beutel Erbsen von meinem Knie. Dann kniete er sich vor mich und rollte etwas Blaues aus. „Was“, es fühlte sich irgendwie sehr seltsam an, dass der Bestatter sich vor mir hinkniete: „… Ist das?“ „Eine elastische Binde. Es ist zwar nur eine Prellung, aber umso stiller du es hältst, umso schneller ist sie wieder fort. Nehehehe!“ Dann wickelte er mit geschickten, langen Fingern den Verband um mein Knie. Es wunderte mich fast, dass der Verband weder zu locker, noch zu stramm saß. Ich merkte, dass er mein Knie sehr wohl stützte, doch ohne zu scheuern oder zu drücken. Ich hatte einem Bestatter – der sich folglich eher mit Menschen beschäftigte, die keine Stützverbände mehr nötig hatten – nicht zwingend zugesprochen, so routiniert Wehwehchen Lebender zu versorgen. Waren das Fertigkeiten, die er aus dem Umgang mit Amys, Lees, Franks und Charlies Familien heraus gelernt hatte? Oder hatte er sie vielleicht noch aus seinen Zeiten im Dispatch? Ich tippte irgendwie auf Zweiteres. Die anderen Menschen hatten ja schließlich auch Sebastian und Undertaker ließ dem Butler eigentlich immer den Vortritt, wenn es um die Versorgung noch lebender Menschen ging. Dann legte er mir den Stoffstapel auf den Schoß. „Undertaker!“, begann ich ein weiteres Mal fast verzweifelt. Das Gefühl von Unwohlseins gegenüber dieses Kleiderstapels wurde Schlimmer und mein Gesicht noch viel wärmer: „Das ist wirklich nicht…!“ „Ah, ah, ah! Keine Diskussionen“, wieder hob er mich einfach hoch. „Hey! Was soll das werden, wenn‘s fertig ist?!“, protestierte ich. Undertaker grinste mich an: „Ich bringe dich ins Bad. Du kannst dich natürlich auch hier umziehen, wenn dir das lieber ist.“ Mein Protest verstummte sofort. Mein Gesicht drohte zu explodieren. „Ok...“, fiepste ich beschämt. Ich kam ja eh nicht drum herum. Undertaker verschwand mit mir durch die zwischen den Regalen versteckte Türe. Ich versuchte mich nicht umzusehen, da ich mir ziemlich sicher war, dass dies die Privaträume des Bestatters waren und ich nicht in der Privatsphäre des hochgewachsenen Mannes herumschnüffeln wollte. Doch konnte ich mich meiner Neugier nicht erwehren. Der Raum hinter der Tür war nur ein kleiner quadratischer Zwischenraum. Direkt vor uns war eine Tür vor der ein dickes, massives, altes Vorhängeschloss und eine genauso massive, alte Eisenkette hing. Ich war verwundert. Was auch immer dahinter lag, ein ‚Keep out‘ Schild war nicht nötig um zu verraten, dass dort niemand hinein schauen sollte. Neben dieser Tür führte eine Treppe in die erste Etage. Daneben war eine Nische, verdeckt mit einem bodenlangen, schwarzen Vorhang. Von rechts hörte ich ein Knistern. Ich sah durch die geöffnete Tür einen Raum mit einem ebenfalls geöffneten Fenster. Dicke, schwarze, bodenlange Gardinen wehten im Durchzug. Ein orangener Schein und das Knistern deuteten auf einen Kamin hin, den ich aber nicht sehen konnte. Mitten im Raum, stand ein altes viktorianisches Sofa, mit dicken samtschwarzen Polstern vor einem kleinen, alten Couchtisch aus dunklem Holz auf einem schwarzen Teppich. Der Boden war durchgehend ein dunkles Echtholzparkett, die Wände halb mit demselben Holz vertäfelt und auf der anderen Hälfte mit einer Tapete mit schwarzgrauem Brokatmuster tapeziert. Auch im Zwischenraum. An der Wand neben dem Fenster stand ein volles Bücherregal. Links sah man eine kleine Küche. Sie war wirklich klein. Ein alter, weißer Kühlschrank, alte dunkle Holzschränke, Ofen mit Herd, noch ein Schrank. Darüber eine steinerne weiße Arbeitsplatte mit schwarzen, wirren Linien durchzogen, sodass sie an Marmor erinnerte. Darauf standen ein Wasserkocher und eine kleine Mikrowelle. Die Schränke standen in einem U um den schmalen Durchgang, in dem nur eine Person Platz fand. Auf der anderen Seite war eine Spüle die vollgestapelt war mit Messbechern. Dazu ein paar dunkle Hängeschränke. Der Küchenboden war komplett schwarz und grau gefliest, die Wände mit einer schlichten, weißen Raufasertapete tapeziert. Die Einrichtung der kleinen Wohnung sah, abgesehen von den paar elektrischen Geräten, aus wie originalgetreu aus dem 19. Jahrhundert. Wahrscheinlich war sie das auch. Ich hatte das Gefühl der Bestatter war ein bisschen in dieser Zeit stecken geblieben. Neben der Küchentüre war eine weitere geschlossene Tür, allerdings ohne Kette. Undertaker öffnete sie. Ein schlichtes, weißes Bad mit Dusche, Waschbecken, Spiegel, Waschmaschine und Toilette, kam zum Vorschein. Es war so klein und gedrängt, dass es wirkte als habe man eine Besenkammer umfunktioniert. Es wirkte auch recht unpersönlich, da es fast leer war. In der Dusche standen zwei Shampooflaschen und an der leiterförmigen Heizung hingen zwei weiße Handtücher. Auf dem Waschbecken stand eine einsame Zahnbürste in einem Zahnputzbecher. Daneben eine Tube 99 Pfennig Zahnpasta, ein Behälter für Kontaktlinsen und die große Haarbürste, mit der ich Undertaker mal Merkenaus Vogelnest aus den Haaren gekämmt hatte. Ansonsten nichts. Undertaker setzte mich auf den Klodeckel, den er trotz des zusätzlichen Ballastes durch mich ziemlich nonchalant mit dem Fuß zugeklappt hatte. Ich hob das schwarze T-Shirt hoch. Darauf war ein weißer Kreis und in dem weißen Kreis ein weißes T, das unten von einem weißen Z durchzogen war. Das Design der Buchstaben war asiatisch angehaucht: „Was ist das für ein Symbol?“ „Das Zeichen der Dispatch Association. Grell wollte unbedingt, dass ich eins habe. Hehe.“ „Okay...“ Der Bestatter verließ den Raum: „Ehehe. Rufe mich, wenn du fertig bist. Hänge deine nassen Sachen einfach über die Heizung.“ Eilig zog ich mich um. Mir war das alles furchtbar peinlich. Denn natürlich waren mir die Anziehsachen des Totengräbers viel zu weit und viel zu groß. Sie wirkten darüber hinaus vollkommen ungetragen, was mein Empfinden aber keinen Deut besser machte: „Erdboden tu‘ dich auf...“ Ich überlegte, ob ich mich einfach für den Rest meines Lebens in dem Badezimmer einsperren sollte. Doch es half alles nichts. Allerdings nahm ich mir fest vor mich kein weiteres Mal tragen zu lassen und humpelte, unter einem schmerzhaften Ziepen, aber fest entschlossen aus dem Bad. Meinem Knie ging es schon ein bisschen besser. Es schien wirklich nichts Gravierendes passiert zu sein. Ich humpelte in den Verkaufsraum, in dem Undertaker mit einem Mopp die Seifenwasserpfütze aufwischte. Ich ging zu ihm. Er schaute mich an: „Du solltest doch rufen.“ Ich schüttelte den Kopf: „Es geht schon wieder besser.“ Er stemmte seufzend eine Hand in die Hüfte: „Übertreibe es nicht, ja? Das Volleyballtraining morgen ist für dich jedenfalls gestorben.“ Ich blinzelte verdutzt: „Du weißt Bescheid?“ „Aber ja!“ „Woher?“ „Der Earl erzählte es mir vor ein paar Tagen. Ich bin sehr erpicht darauf, das zu sehen. Ehehehe!“ Jetzt wollte ich wirklich nicht mehr trainieren. Ich wollte schon vorher nicht, doch mich vor dem Bestatter noch mehr zu blamieren als üblich, war schon in meiner Vorstellung zum Sterben schamvoll. Denn ich war wirklich kein Sportass. Vielleicht war mein Unfall mehr Segen als Fluch. Ich bedauerte nur, dass ich mir mein Knie nicht gleich ganz gebrochen hatte, um so endgültig um das Turnier herum zu kommen. Soviel zu keine halben Sachen... „Worüber habt mein Vater und du denn gesprochen?“, fragte Amy und zog ihren Kopf aus einem Regal. „Nihihihi! Ein paar Angehörige verschmähten meine Dienste. Sie nahmen ihre Verblichenen mit sich. Wie es scheint gehören sie zu einer neuen religiösen Ausrichtung mit strengen Regeln und waren in Sorge, ich würde ihre Rieten nicht bis ins Detail vollführen können, wie es ihre Regeln fordern.“ „Ehrlich?“, ich zog eine Augenbraue hoch: „Jemand verschmäht deine Dienste?“ Es klang immer so, als wäre Undertaker trotz seines Verhaltens das non plus Ultra der Londoner Bestattungsbranche. „Wenn die Angehörigen jemand anderen wünschen, so ist dies ihr gutes Recht“, grinste Undertaker zurück: „Doch es gab ein paar Details, die Alexander interessant fand, ahehehe!“ „Was denn?“, blinzelte ich Undertaker an. „Ach“, grinste der Bestatter weiter: „Das sind Aristokratengeschäfte. Ahahahaha! Belaste dich nicht damit.“ „Okay...“, blinzelte ich noch verwirrter: „Wenn du es sagst.“ Nach meinem Unfall machten Amy und ich trotz allem weiter. Amy wischte die Regale und ich saß auf einem Sarg und hatte das zweifelhafte Vergnügen die Gläser abzustauben. Der Bestatter war, uns unseren Arbeitseifer hoch anrechnend, selbst wieder nach hinten zu seiner eigenen Arbeit verschwunden. Einmal war er noch kurz zurückgekommen um mir seine lange Robe über zuwerfen. Es war immer noch kalt in dem Laden und obwohl ich jetzt trockene Kleider trug und das T-Shirt mir viel zu groß war, waren meine Arme immer noch bis zur Hälfte nackt gewesen. Als er endgültig im Hinterzimmer verschwunden war, wehten von dort mit dem Wind die komischsten Geräusche zu uns herüber. Ich unterdrückte tunlichst die Frage was genau er dort machte. Denn klar war, dass er an seinen Gästen herumwerkelte und in diesem Zusammenhang brauchte ich wirklich keine weiterführenden Details. Während ich die ganze Zeit diese makabren Gläser polierte, kam ich zu dem Entschluss, dass ich heute meine brennenden Fragen über die Campania loswerden wollte. Es schien zwischen uns und dem Bestatter auch alles wieder in bester Ordnung zu sein. Sein Ärger war verraucht und er schien uns was passiert war nicht nachzutragen, auch wenn er allen Grund dazu gehabt hätte. Nachdem Amy die letzte Fuhre Gläser durch die versteckte Türe nach hinten gebracht hatte, tauchte sie wieder auf und rief laut über das Surren aus dem Hinterzimmer hinweg: „Wir sind fertig!“ Das Surren verstummte. Undertakers Kopf, dieses Mal mit Brille auf der Nase, erschien im Türrahmen: „Ehehehehe! Tatsächlich?“ „Ich hoffe du bist zufrieden“, grinste Amy. Undertaker sah sich um und trat endgültig aus dem Türbogen: „In der Tat“, antwortete er: „Ihr wart mir eine große Hilfe, meine Damen.“ Wir grinsten breit auf Grund des Lobes. Undertaker schaute auf seine Taschenuhr: „Es ist schon spät, hehehe. Ihr solltet heimgehen.“ Tatsächlich sah ich das Abendrot durch die geöffneten Fenster. „Sebastian holt uns hier ab“, erwiderte Amy und schaute mich ab: „Nun ja… Mich. Sky fahren wir besser zurück ins Wohnheim.“ Ich schüttelte den Kopf: „Ich komm schon alleine nach Hause.“ Amy zog eine Augenbraue hoch. Auch Undertaker wirkte nicht überzeugt: „Hehehe. Ich bin kein Fan von dieser Idee.“ Ich schaute zu Boden. Obwohl ich all diese Fragezeichen loswerden wollte, wusste ich nicht ob es eine gute Idee war. Aber ich hatte keine andere Wahl. Undertaker hatte die Kunst perfektioniert, reden und reden zu können, ohne wirklich etwas von sich zu erzählen. Und das so gut, dass es einem in ersten Moment gar nicht auffiel, dass seine Worte eigentlich an Inhalt vermissen ließen. Von sich aus erzählte er mir nichts über sich und ich wusste nicht, was das über mich aussagte. „Was hast du, Sky?“, fragte Amy und ich blinzelte zu ihnen. „Ich“, antwortete ich zögerlich: „Würde Undertaker gerne noch etwas fragen.“ „Tu dir keinen Zwang an“, grinste dieser. Ich seufzte: „Ich… würde dich das gerne unter 4 Augen fragen...“ Ich hatte immer noch das Gefühl, dass er eigentlich nicht darüber sprechen wollen würde. Amy schaute verwirrt zu Undertaker und zu mir. „Aha?“, drehte der Bestatter wieder den Kopf zu mir: „Muss ich mir Sorgen machen?“ Ich schüttelte den Kopf: „Ich… weiß nicht.“ „Hehe. Das klingt ja dramatisch.“ „Ja...“ Dann wandte er sich wieder zu Amy: „Fahre du mit Sebastian. Ich bringe sie heim.“ „Wirklich?“, fragte die Phantomhive. Undertaker nickte grinsend. Ein unwillkürliches Ziehen in meinem Nacken ließ mich meinen Rücken strecken. Ich blinzelte erschrocken aufgrund des plötzlichen Unwohlseins, dass meinen Rücken hinunter surrte: „Ich glaube Sebastian ist schon da...“ Just in diesem Moment erschien der hochgewachsene Butler in dem Türbogen: „Ich wünsche einen guten Abend.“ Undertaker giggelte: „Hallo, Butler. Tihihi! Du in meinem bescheidenen Etablissement. Was eine Ehre. Ehehehe!“ Auch Amy kicherte: „Hi Sebastian.“ Sebastian schaute sich mit einer hochgezogenen Augenbraue um. „Verspäteter Frühjahrsputz, Undertaker?“, fragte der Butler schnippisch, erntete aber nur ein amüsiertes Lachen: „Ehehehe! Kann man so sagen.“ Sebastian legte den Kopf schief: „Besser spät, als nie. Wie sonst üblich.“ „Du tust ja fast so, als hauste ich in einer Müllkippe. Tehehehe!“ „Nein, eher in einem Sammellager für Sondermüll“, lächelte der Butler kalt. „Wenigstens habe ich in meinem Leben noch andere Inhalte, als putzen, kochen, backen und babysitten. Hihi!“ „Ich führe ein sehr bereichertes Leben. Danke der Nachfrage.“ „Ich ebenfalls. Nihihihi!“ „Ja“, seufzte der Butler: „Glück liegt wohl im Auge des Betrachters. Junge Lady? Lady Rosewell? Seid ihr fertig?“ Amy nickte: „Ja schon, aber… Sky kommt doch nicht mit, Sebastian.“ „Wie darf ich das verstehen?“, fragte der Butler nicht sonderlich erquickt über die plötzliche Eröffnung ich kämme nicht mit. „Sky hatte einen kleinen Unfall und hat sich am Knie verletzt“, erklärte Amy. „Ah“, machte der Butler: „So, so. Das erklärt dann wohl auch euren sonderbaren Aufzug, Lady Rosewell.“ Ich nickte geschlagen: „Jap...“ „Sie kann nächstes Wochenende sicherlich mitmachen, hehehe. Nur dieses nicht.“ „Aha? Wie gut, dass du vollkommen im Bilde bist, Dr. Undertaker.“ Der Bestatter lachte nur schrill aufgrund des Wortspiels des Butlers, welches sicherlich eigentlich suggerieren sollte, dass Undertaker sich mit seinen Diagnosen Kompetenzen zumaß, die er gar nicht besaß. Doch der Bestatter ignorierte es einfach: „Tehehehe! Ich bin sicher du hättest es auch rausbekommen, Butler.“ „Ich ebenfalls“, der Butler wandte sich um: „Kommt, junge Lady. Lady Rosewell? Ein erholsames Wochenende wünsche ich euch. Erholt euch schnell. Euer Haus zählt auf euch.“ Ich war immer noch nicht begeistert von meinem Zwangspartizipation, doch ich war mir klar, dass der Butler mich nicht von der Angel lassen würde: „Schönes Wochenende, Sebastian. Viel Spaß, Amy.“ Amy drehte sich zu mir und blitzte mich erbost an. Der Bestatter steckte ihr unauffällig etwas in die Tasche, als er sie zum Abschied umarmte: „Tschüss, Amber. Hihihi! Bis Morgen.“ Amy zog das Etwas ein Stück heraus und schaute auf eine kleine Silberkette. Sie lächelte den Totengräber an: „Bis Morgen! Bye Sky!“ Dann verschwanden die Beiden. Die Sonne ging unter und die Nacht fiel dunkel durch die Fenster die Undertaker schloss. Dann zündete er dicke weiße und rote Kerzen an einem riesigen, viktorianischen, teilweise mit verschiedenfarbigem Wachs überlaufenen, gusseisern Kerzenständer neben seinem Tresen an. Der war so groß wie er selbst, ebenfalls original 1800 würde ich wetten und hatte soweit ich zählen konnte 25 Kerzen auf 3 Etagen. Warmes orangenes Licht sickerte durch den kleinen Laden, den der große Ständer recht ordentlich zu erhellen vermochte. Ich sah des Weiteren auch keine Deckenlampe in dem Laden. Nur noch einen kleinen Kerzenständer auf dem Tresen und eine alte Stehlampe, am anderen Ende des Tresens, die aber elektrisch zu sein schien. Nachdem Undertaker das lange Streichholz ausgepustet und weggeworfen hatte, schob er seine Brille in die Haare und setzte sich auf den Sarg mir gegenüber. Das weiche Licht der vielen Kerzen brach sich in seinen chartreusen phosphoreszierenden Augen und ich könnte schwören, dass sie in dem Dämmerlicht schon wieder leicht zu leuchten begannen. Orangenes Glänzen und grünes Leuchten tanzten in seinen schmalen, schön geschnittenen, mit dichten, langen, silbernen Wimpern umrahmten Augen um die Wette. „Also. Was hast du auf dem Herzen?“ „Ich…“, wachte ich bei den Worten des Bestatters wieder auf und hörte auf seine unglaublich grünen Augen zu bemustern: „Wollte dich das eigentlich schon vorgestern gefragt haben, aber... da habe ich mich nicht mehr getraut...“ „Hehehe! Warum denn nicht?“ „Ich..“, ich ließ den Kopf hängen: „Du warst so sauer auf uns. Ich dachte ich hatte in dieser Situation kein Recht dazu...“ „Herrje“, seufzte der Bestatter lachend: „Ja, ich war sauer. In der Tat. Ihr habt mir auch einen furchtbaren Schrecken eingejagt. Doch als ich gegangen bin, war doch alles schon längst wieder in Ordnung.“ Ich schaute ihn an. Seine Augen irritierten mich. Sie schauten einem durch die Eigenen genau in die Seele. Der Bestatter brauchte seine Death Scythe nicht um genau zu wissen was für ein Mensch man war. ‚Seine Augen sind legendär!‘, zitierte mein Kopf den jungen Reapers, den ich im Dispatch getroffen hatte: ‚Es heißt, dass sie auf Menschen hypnotisierend gewirkt haben!‘ Und ich schaute sie weiter an. Augen so alt wie die Zeit. Grüner als jedes Gras der Welt. Wie der Himmel weit und doch immer fokussiert. Die gleichzeitig trauern und lachen konnten und immer ehrlich waren. Die mal warm waren wie ein grünes Windspiel und mal kälter als ein von Algen gefärbter Eisberg. Und die über ihn mehr verrieten, als sein Mund es jemals tat. Ich wusste warum diese Augen für sich noch einmal eine Legende waren. Ich schüttelte hastig den Kopf, als ich meinen abdriftenden Gedanken gewahr wurde: „Also ääääh… Mein Ohr teilt deine Auffassung nicht!“ „Das habt ihr euch selbst zu zuschreiben. Hehehehe!“ „Ich weiß“, ich ließ die Schultern hängen: „Ich will mich auch nicht beschweren. Du hattest jedes Recht der Welt sauer zu sein. Wie geht es deiner Schulter?“ „Besser als deinem Knie“, grinste der Bestatter. Ich zog eine Augenbraue hoch: „Du bist doof.“ „Du wiederholst dich. Hehehe!“ „Denk mal drüber nach.“ Undertaker schnaubte amüsiert: „Brauche ich nicht. Hehehehe, ich weiß was du meinst. Doch nun spanne mich nicht weiter auf die Folter. Was möchtest du mich fragen?“ Ich zückte mein Handy, welches ich nach dem Umziehen in der Tasche der Jogginghose des Bestatter verstaut hatte, und suchte das Bild von dem Zeitungsartikel heraus. „Hier“, hielt ich ihm das Handy hin. Er schaute mich irritiert an: „Tehehe. Was soll ich damit?“ „Das Bild“, sagte ich: „Schau es dir an. Bitte.“ Der Totengräber nahm mir das Handy aus der Hand und las sich den Artikel durch. Er wischte über das Display um das Bild nach oben zu schieben. Ich zog eine Augenbraue hoch. Undertaker wusste sehr wohl wie man mit einem Handy umging. Er wollte nur selber Keins haben und stellte sich deshalb dumm. Das war so typisch. Das Grinsen in seinem Gesicht hing erst ein wenig schief. Dann wurde es weiter und zu einem Lachen: „Hehehehe! Ja, die Campania! Und was genau möchtest du nun von mir?“ Er gab er mir mein Handy zurück. Ich sperrte es und steckte es in meine Tasche: „Was habt ihr gemacht?“ „Kehehehehehe! Vieles“, lachte der Bestatter: „Doch worauf willst du hinaus?“ „Ronald erzählte du hast eigentlich das Schiff versenkt.“ Er nickte: „Das stimmt. Tehe. Anders wird man den Butler auch nicht los. Bringe seinen Meister in Gefahr und du hast gewonnen. He he he.“ Sein Grinsen war konstant, doch er hatte wieder diesen komischen Ausdruck in den Augen. Diesen Ausdruck dass er nicht wollte, dass ich merkte, dass er nicht darüber sprechen wollte. Doch ich blieb erbarmungslos. Anders bekam man ja nichts aus ihm heraus. Er breitete nur allzu gerne den Mantel des Schweigens auf seine Vergangenheit. Zumindest auf weite Teile davon: „Weißt du woher die Differenz kommt?“ Er nickte wieder: „Ja, weiß ich. Tehehehe! Sehr genau sogar.“ „Und du hast dem Scotland Yard nichts erzählt?“ Undertaker lachte laut auf: „Pahahahahaha! Abberline hielt mich für einen Verrückten! Schon lange vorher! Und das vollkommen zu Recht! Mir hätte er kein Wort geglaubt, auch wenn er am Ende seiner Ermittlungen gar nicht mehr wusste was er noch glauben konnte.“ „Wurde der Fall aufgeklärt?“ Jetzt schüttelte er grinsend den Kopf: „Tihihi! Nie ganz, nein.“ „Warum nicht?“ „Weil das Scotland Yard die Wahrheit nicht glauben wollte. Fast 700 Leute haben sie ihnen erzählt und viele wurden dafür in die Klapsmühle geschickt. Nur dem Einen, der gelogen hat, dem glaubten sie.“ „700 Leute erzählten die...“, ich stockte: „Aber die Leute haben halluziniert, Undertaker! Und etwas von Zombies erzählt. Selbst der Earl Phantomhive hat gesagt, dass es Schwachsinn war.“ „Ich weiß“, grinste der Bestatter weiter, verschränkte die Arme und überkreuzte die Beine: „Aber das sie halluzinierten war lediglich ein Hirngespinst der überstrapazierten Gemüter im Scotland Yard. Tehehehehe! Und der Earl, hmm, hehehe! War er nicht ein unbeschreiblich guter Lügner?“ Ich schaute den Bestatter mit großen Augen an: „Du willst mir nicht erzählen, dass du wirklich denkst die Geschichte stimmt, oder?“ Hatte der Bestatter mit halluziniert? Vielleicht. Er war ja schließlich auch mit auf dem Schiff gewesen. Doch ich stellte es in Frage, dass ein Blutbad - wie brutal es auch immer gewesen war - ihn wirklich noch erschrecken konnte. Ich musterte ihn überfordert, als er weiter lachte: „Ich denke nicht. Tehehehe. Ich weiß es.“ Meine Gesichtszüge entgleisten: „Bitte?! Du willst mir doch nicht ehrlich erzählen, dass du an Zombies glaubst?!“ „Ich glaube nicht“, grinste er: „He he he. Ich weiß, dass es sie gibt. Oder sagen wir, ich weiß dass es etwas gibt, dass ihr Menschen als Zombies betiteln würdet.“ Mein Mund klappte auf: „Echt jetzt?“ Er nickte giggelnd. „Ohne Witz?“ Wieder ein Nicken. „Du verarscht mich auch nicht?“ Ein Kopfschütteln. „Ganz, ganz ehrlich?“ Abermals ein Nicken. „Aber… woher?“, fragte ich zögerlich. Jetzt war ich mir wieder einmal nicht sicher, ob Unwissenheit nicht vielleicht ein Segen war. Doch ich hatte den Stein ins Rollen gebracht. Zurückgehen war unmöglich. Undertaker lachte sein grausam amüsiertes Lachen durch seine geschlossenen Lippen. Glasscherben rieselten meine Wirbelsäule herunter und alle Härchen an meinem Körper stellten sich auf, als er in einer unheilvoll langsamen Geste die Arme öffnete: „Weil ich sie erschaffen habe. Ehehehehehe!“ Die Welt blieb stehen. Diese Aussage versetzte mir einen entsetzlichen Tritt in die Magengrube. Kreidebleich starrte ich ihn an: „Wa… was?“ Ich zitterte: ‚Undertaker hat sie erschaffen? Was meint er damit? Doch nicht etwa was ganz offensichtlich ist, oder?!‘ Er lachte weiter in endlos düsteren Pläsier: „Ke he he he. Wie ich es sagte. Ich habe sie erschaffen und auf das Schiff gebracht.“ „Aber… aber was?“, ich konnte, nein, ich wollte nicht glauben was der Bestatter mir in seinem nachtschwarzen Amüsement erzählte. Das konnte er nicht getan haben! Nicht er! Er wechselte die Beine und legte seinen Kopf, immer noch mit diesem finsteren Grinsen im Gesicht, in seiner Hand ab: „Meine Bizzare Dolls. Hehehe.“ „Bi… Bizzare Dolls? Was ist denn das?!“ Der Name klang vielversprechend. Nur leider nicht auf einer Art und Weise, die ich gerne hätte. „Nun, Ih hi hi“, grinste er: „Ihr bezeichnet sie als Zombies. Geifernde Monster, die nach dem Blut lebender Menschen lüstern, hehehe! Eigentlich lüsteten sie nach ihrer Seele, aber das verstanden die Menschen nicht. Tehehehe! Ich bezeichne sie als meine großartigste Kreation. Nur leider hatte die Welt nicht viel dafür übrig.“ Wunderte ihn das wirklich? „Kre… Kreation? Du verarschst mich!“, ich fuhr auf, was ein stechenden Schmerz in meinem Knie verursachte. Doch der war mir gerade vollkommen egal: „Warum sollte man sich Zombies zusammenbasteln?!“ „Du solltest dein Knie nicht so schnell bewegen, das ist nicht gut.“ „Mein Knie ist gerade vollkommen egal!“, rief ich hysterisch: „Erkläre es mir, Undertaker!“ Er seufzte mit verständnislos verzogenem Mund und verschränkte die Arme wieder: „Warum sollte ich? Du hast ja auch kein Verständnis für ihre bezaubernde Beschaffenheit.“ „Be… bezaubernde Beschaffenheit!?“, ich wedelte mit den Händen: „Auf der Campania sind 2195 Menschen gestorben!“ „Nein, nur 1873. Die Restlichen 322 waren vorher schon tot. Hehehehe! Daher kommt die Differenz. Die überschüssigen“, er lachte wieder so dunkel und kalt, dass die Hölle zufror und seine spitzen Schneidezähne blitzten kurz unheilvoll im Kerzenlicht. Ich war mir sicher, dass mein Herz vor Schreck, Angst und Unglauben einfach stehen geblieben war: „‘Blinden Passagiere‘ waren meine wunderbaren, kleinen Dolls und diese Trottel vom Yard haben noch nicht einmal alle gefunden. Jammerschade. Sie liegen wohl immer noch auf dem Grunde des Nordatlantiks. Meine armen Kinder.“ „Nur 1873?!“, ich schüttelte fassungslos den Kopf. Er hatte das… Das hatte er nicht wirklich gesagt, oder?: „Das macht es nicht ansatzweise besser! Das sind immer noch 1873 Menschen zu viel, verdammt! Und was meinst du bitte mit ‚deine armen Kinder‘? Bist du verrückt geworden, Undertaker?!“ „Ja“, antwortete er trocken: „Schon lange.“ Dieser trockene Tonfall ließ mich einfrieren. Auf der Stelle. Ich hatte das Gefühl ich könnte nie wieder einen Muskel bewegen. Wahrscheinlich war es diese endlose Nüchternheit in dieser kurzen, doch sehr bedeutungsschweren Aussage gewesen, die mir durch Mark und Bein fuhr. Ich starrte den Bestatter an. Apathisch. Perplex. Ich stand vollends neben mir und fühlte mich wie vor den Kopf gestoßen. Wenn Undertaker diese… Bizzare Dolls wirklich erschaffen hatte, war er schuld an dem Tod von 1873 Menschen. Und ich sah ihm deutlich an, er bereute keinen davon. Ich hatte wirklich mit vielem gerechnet. Schließlich war die Rede mal wieder von Sensenmännern und Dämonen gewesen. Aber DAS?! Wer rechnete denn mit SO ETWAS?! Undertaker stand auf und ging langsam durch seinen Laden: „Die Dolls waren wie Kinder für mich. Ich habe sie mit meinen eigenen Händen erschaffen. Ich habe sie sich entwickeln sehen, nur damit ein kleines Balg und sein dämonischer Butler meine ganze harte Arbeit zu Nichte machen konnten und ein paar Shinigamis sich die Dreistigkeit heraus nahmen mir die Hände zu binden“, er warf lachend und grinsend eine Hand in die Luft, als er mich anschaute, doch ich hörte einen dunklen Unterton der Abfälligkeit, der mir verriet, dass irgendetwas in ihm brodelte. Und das klang nicht gut: „Eh he he he! Dass ihr Menschen davon nichts haltet, interessiert mich nicht.“ Ich fühlte mich von der Welt vollkommen verlassen. Undertaker schien von seinen Dolls vollkommen überzeugt zu sein, was mehr als nur bedenklich war. Er schien wahrlich sauer darüber, dass sie keiner so würdigte wie er und dass das Balg und sein Butler - wobei es sich sicherlich um den jungen Earl Ciel Phantomhive und Sebastian handelte - ihm seine ‚Kreation‘ kaputt gemacht hatten. Ronald hatte Recht. Undertaker war gefährlich und es war keine weise Entscheidung ihn auf dem falschen Fuß zu erwischen. Was ich nur allzu überdeutlich getan hatte. Mal wieder. Und ja, ich hatte gerade wirklich Angst vor ihm. In mir zog sich alles zusammen. Ich merkte Tränen, die sich in meinen Augen sammelten. Tränen der totalen Hilfslosigkeit. Ich presste eine Hand vor meine Brust und zog meinen Kopf in die Schultern. Ich spürte wie ich zu zittern begann. Zombies… Bizzare Dolls… oder was auch immer… Undertaker hatte 1873 in den Tod getrieben und alle Menschen auf diesen Kreuzfahrtschiff in eine furchtbare Gefahr gebracht. Ebenfalls den jungen Ciel Phantomhive. Auch nannte er ihn ‚Balg‘ was nicht gerade eine Bekundung hohen Respektes war. Hatte Undertaker die Phantomhives wirklich betrogen? Hatte er den damaligen Earl Ciel verraten? Vielleicht, weil er ihn aus irgendeinem Grund nicht anerkannte. War Ciel zu jung gewesen? Ich meine: Welches 200.000 Jahre alte Wesen lässt sich schon gerne von einem Kind herumkommandieren? Andererseits: Ciel war Vincents Sohn. Und ich hatte schon oft sehr genau gemerkt, dass Vincent Undertaker von allen Menschen die er kennen gelernt hatte wohl am wichtigsten gewesen war. Grade deswegen hatte ich nie gedacht er könnte gerade Ciel irgendwie in den Rücken gefallen sein. Schließlich erwähnte Undertaker mal er habe Vincent versprochen auf seine Familie aufzupassen. Was er immer noch tat… 130 Jahre später. Fragen über Fragen. Eine Ungereimtheit folgt der anderen auf dem Fuß. Sinn machte nichts von alldem. Und dieses Gefühl in mir war schrecklich. Ich bereute es so unglaublich meine Nase in seine Sachen gesteckt zu haben. Wiederholt. Ich bereute gefragt zu haben, obwohl ich mir doch schon dachte es sei keine gute Idee. Ich fühlte mich so hilflos. Vollkommen ausgeliefert. Denn derjenige, der immer eine schützende Hand über mich gehalten hatte... Derjenige, auf dem ich angefangen hatte mich zu verlassen... Der wirklich immer irgendwie zur rechten Zeit am rechten Ort gewesen war... Der Mann mit dem rettenden Lächeln und den guten Ratschlägen… Und diesen unglaublichen chartreusegrünen Augen, in denen ich mich immer wieder verlieren konnte... Der machte mir nun Angst. Mein sicherer Hafen war eine Albtraumfront geworden. Seine Smaragdaugen blitzten so kalt in dem warmen Licht des Kerzenständers… Und trotz allem, obwohl es der Bestatter selbst war vor dem ich Angst hatte, wünschte ich mir so sehr, dass er diesen furchtbar arktischen Gesichtsausdruck ablegte, einmal lachte und wieder ehrlich lächelte, mich in die Arme nahm und nur sagte: ‚Es wird alles gut.‘ Es war ein Scheißdreck gut, das wusste ich selber. Schließlich war ich nach der ganzen Grim Reaper/Dämonenaktion und der Erkenntnis, dass ich verflucht war, jetzt auch noch bei einem Crossover von Titanic und World-war Z gelandet! Aber ich hatte das Gefühl diese Worte… seine Arme… und sein Lächeln… waren alles, was ich jetzt eigentlich wirklich haben wollte. Doch seine Worte waren schneidend, seine Arme verschränkt und sein Mund so furchtbar… furchtbar… verzerrt. Es wirkte nicht mehr wie ein Grinsen, sondern eher wie eine Fratze. Ich griff mit der linken Hand meinen rechten Oberarm und presste meine Augen zusammen. Ich konnte… ihn einfach nicht in diese frostigen Augen schauen… Doch etwas Kaltes in meinem Gesicht ließ meine Augen sofort wieder aufspringen. Ich konnte aus dem Augenwinkel seine Finger an meiner Wange erkennen und schaute Undertaker doch wieder irritiert ins Gesicht. Behutsam strich sein Daumen über meine Wange. Warum machte er das auf einmal? Seine Augen ließen mich stocken. Mein Herz setzte aus und meine Magen zog sich schmerzhaft auf die Größe einer Billiardkugel zusammen. Sie schauten mich an. Beide. Eindringlich. Immer noch kalt und hart. Doch nicht mehr amüsiert, auch nicht im düsteren Sinne. Immer noch ernst und auf eine schmerzende Art und Weise furchtbar distanziert. Doch etwas schwang darin mit, was viel wärmer war. Doch war es nur ein ganz feines Glänzen unter dem ganzen strahlenden grünen Eis. Er seufzte, schloss dabei kurz seine Augen und öffnete sie wieder: „Ich habe dich gewarnt...“ „Wo...“, ich schluckte trocken. Mein Mund war eine Wüste: „Wovor?“ Seine Augen fielen nach schräg unten. Das hatten sie noch nie getan. Der Inkognito-Sensenmann hat seinen Blick noch nie so nach unten von mir abfallen lassen. Auch seine Hand verließ mein Gesicht und er wollte sich abdrehen: „Davor, dass ich kein nettes Wesen bin. Nicht im Ansatz, meine Schöne.“ „Aber...“, ich hielt seine Hand fest, bevor er sich ganz wegdrehen konnte. Ich wollte… nein, ich konnte nicht glauben, dass er einfach so die Hölle auf einem Kreuzfahrtschiff mit 2400 Menschen an Bord hatte losbrechen lassen, weil ihm gerade danach gewesen war: „Da… Du musst doch einen Grund gehabt haben, das du...“ „Ryan Stoker“, unterbrach er mich und schaute mir ab- und einschätzend ins Gesicht. Es war der Blick eines befangenen Wesens, das genau überlegte ob es einem vertrauen konnte. Und wenn ja wie weit. Ich wusste genau jede unwillkürliche Bewegung, jedes Zucken meines Augenwinkels, er würde es sehen. Egal wie klein es war. Und er würde es werten, egal wie bedeutungslos es war. „Der Arzt, der verschollen blieb?“, fragte ich schließlich und ging zwei Schritte auf ihn zu, damit unsere Arme nicht weiter so angespannt gestreckt waren. Denn ich ließ seine Hand nicht los. Ich hatte das Gefühl wenn ich es tat, gab er sie mir nie wieder. Bei diesem Gedanken versteiften sich die Finger meiner beiden Hände mehr um sein Handgelenk. „Er ist tot“, fuhr er fort: „Ich habe ihn umgebracht, indem ich ihn in einem nassen Loch voller Dolls versenkt habe. Sie haben ihn gefressen. Er kam damals zu mir und bat mich um Hilfe.“ „Sie“, ich stockte und schauderte erschrocken, als ich unwillkürliche wieder einen Schritt nach hinten tat, denn ich nicht unterdrücken konnte: „Sie haben ihn gefressen?“ Seine Augen zuckten skeptisch und wurden für ein paar Sekunde schmaler: „Natürlich.“ Ich versuchte wieder zu schlucken und mich zu beruhigen. Als ich den Schritt nach hinten getan hatte, hatte ich sofort eine Wertung in Undertakers Augen gesehen. Und sie war nicht zu meinen Gunsten ausgefallen. „Stoker“, erzählte er weiter in einem kalten, aber ruhigen Tonfall, der alles andere als beruhigend war: „Zog einen Verein widerwärtig wohlhabender Briten auf. Sie alle suchten nur eins. Die absolute Lösung. Das Heilmittel gegen die für Menschen bedrohlichste Krankheit überhaupt: Den Tod.“ Ich klimperte ihn mit schockierten Augen an: „Und… und du hast sie gefunden?“ Er schüttelte den Kopf. Ein dunkler Schatten lag auf seinem Gesicht. Der dunkle Schatten von dem Gespräch auf dem Balkon. Er schaute zu seinen Tresen. Oder eher dahinter: „Nein, das habe ich nie.“ In dem Regalbrett - das der Bestatter musterte - standen keine Gläser, sondern ein paar 21X30cm Bilderrahmen. Einige älter, andere jünger. Ich hatte sie saubergemacht. Darin waren Fotos, teilweise schwarz/weiß und teilweise farbig. Von ihm mit vielen Leuten, die ich nicht kannte. Einige kamen auch öfter vor. Auf einem Bild war er mit Alexander, Frederic, Lee, Charlie, Frank und noch ein paar weitere, sehr komische Gestalten zu sehen. Außer Undertaker trugen auch alle Kleider aus verschiedenen modischen Perioden. Nur er. Er hatte sich nie verändert. Ich tippte, dass es sich um die verschiedenen Generationen der ‚Aristokraten des Bösen‘ handeln musste. Ich fragte mich wer wohl Vincent war. Er war sicherlich irgendwo dort drauf. Auf einem anderen Bild sah man ihn aber auch mit Grell, Ronald und einem sehr unangetanenen William. Das Bild der Reaper sah aus wie ein Selfie von Grell, mit dem er die anderen ziemlich überrascht zu haben schien. Ich schluckte wiederholt und schaute wieder zu dem Totengräber mit den eiskalten Augen: „Aber...“ „Nichts aber“, schaute Undertaker mir wieder so fest und kalt ins Gesicht: „Wie du schon sagtest, es sind 1873 Menschen gestorben und ich habe es mehr als nur billigend in Kauf genommen. Ich ließ es so laufen, wie es seinen Lauf genommen hatte. Ich hätte meine Dolls aufhalten können. Problemlos. Doch es war mir einfach egal, ob und wie viele Menschen dabei vor die Hunde gingen“, der Bestatter lachte boshaft: „ Ehehehehe! Es sollte sich raus stellen, wer überlebte: Die Toten oder die Lebenden. Es lief anders als ich geplant hatte, zugegeben, doch es hatte mich nicht im Mindesten geschert. Es war nicht angedacht, dass Ciel und Sebastian an der Kreuzfahrt teilnahmen. Doch im Endeffekt hatte ihre Anwesenheit alles nur noch viel interessanter gemacht. Außerdem war es eine fantastische Gelegenheit den überheblichen kleinen Earl und seinen Butler wieder auf den Boden der Tatsachen zu bringen. Tehehehe!“ Ich musste verzweifelt nach meinen Worten suchen. Sollte Undertaker wirklich so grausam sein? So unfassbar kaltblütig und vor allen Dingen blutrünstig? „Du hast den Earl verraten...“ „Nein. Ich habe ihm gezeigt, dass er durch seinen Butler nicht im Mindesten so übermächtig war, wie er zu denken begonnen hatte und ihm von seinem viel zu hohen Ross getreten.“ „Aber… was hatte der Earl denn gemacht?“ Undertaker musterte mich weiter ernst: „Ciel hatte durch Sebastians Dienste den Bezug zur Realität verloren. Er überschätzte sich und den Butler in hohem Maße. Er musste in Gefahr geraten, um zu erkennen wo er eigentlich stand. Was er sich wirklich erlauben konnte und was nicht. Und das habe ich getan, weil Vincent mich bat auf ihn aufzupassen. Denn hätte ich es nicht getan, wäre es jemand anderes gewesen. Und dieser Jemand hätte nicht das Weite gesucht, als es gerade am schönsten war und ihn so am Leben gelassen.“ Ich schluckte. Undertaker schien sich sicher zu sein, dass der damalige Earl nicht wirklich in Gefahr gewesen war. Wahrscheinlich, weil er sich sicher war, dass die größte Gefahr er selbst gewesen war und den Earl nicht töten wollte. Dass er die größte Gefahr dargestellt hatte konnte ich mir des Weiteren mittlerweile sehr gut vorstellen. Trotz allem waren seine erzieherischen Interventionen mehr als nur fragwürdig: „Das nennst du aufpassen?“ „Glaube mir, der kleine Earl hatte von allen Menschen auf diesem Schiff die allerbesten Überlebenschancen. Ich habe es 2 Jahre mit reden versucht. Erfolglos. Wer nicht hören will, muss eben fühlen.“ „Und dafür mussten so viele Menschen sterben?! Nur damit der Earl mal einen auf den Deckel kriegt?!“ Undertaker lachte dunkel: „He he he, nein. Ich sagte doch, der Earl kam relativ spontan auf das Schiff. Diese Menschen starben, weil ich ihr aufbäumen gegen den Tod und ihre verzweifelten Überlebensversuche interessant fand. Weil Menschen mir egal sind, Sky. Bis auf ein paar wenige, habe ich für sie rein gar nichts übrig. Sie sind interessant, ja. Aber auf eine negative Art und Weise. Sie sind gierig, grausam, egoistisch und moralisch bis ins Letzte verwerflich. Meine Dolls waren grausam, weil sie Menschen umbrachten um ihre Seele zu adoptieren und somit ihrem leeren Dasein Sinn zu geben? Menschen töten einander für viel weniger. Immer und immer wieder. Jahrhunderte habe ich Records gesehen. Records von wirklich Unschuldigen, die grausam geschlachtet wurden. Records von ermordeten oder verhungerten Kindern, für die der Tod eine Erlösung war. Records von fetten Pfeffersäcken, die alles andere als Gottesfürchtig waren und nicht den Hauch von Reue ihren Missetaten und Opfern gegenüber empfanden. Von schmierigen Sklaventreiber und Winkeladvokaten. Von scheinheiligen Wohltätern, die doch nur ihr eigenes Portmonee im Blick hatten. Vergewaltiger, Mörder, Schlächter, Folterknechte die noch nicht mal eingesehen haben, dass sie schlechte Wesen waren. Warum, Skyler? Sage mir, warum soll mir an den Menschen irgendetwas liegen?“ „Undertaker“, begann ich verzweifelt: „Das kann doch nicht dein Ernst sein!“ „Oh doch, kann es“, konterte er. Er wirkte so ernst und unterschwellig erzürnt. Seine Stimme war so furchtbar kalt. Und es war bestialisch: „Mein voller Ernst. Wenn du mir nicht glaubst, steht es dir frei zu gehen.“ ‚Warf er mich gerade raus?‘, ich wusste nicht was passierte, wenn ich seinen Wink nicht richtig deutete. Ich wusste nicht mehr was gerade überhaupt passierte. Ich wusste nicht mehr wer vor mir stand. Und ich hatte Angst. Wenn er einfach so 1873 Menschen ins Unglück laufen lassen konnte... in das von ihm selbst zusammengeflickte Unglück... dann doch auch mich... oder? Fluch hip oder hop, ich war doch auch nur ein Mensch. Ich ließ seine Hand los und tat unwillkürlich einen weiteren Schritt nach hinten: „Ich… ich...“ Seine Augen wurden noch schmaler. Was, wenn ich blieb und er wollte, dass ich gehe? Was macht er dann mit mir? Bringt er… Nein! Nein, er rettete mir doch immer das Leben! Mittlerweile drei Mal! Er hat für Amy und mich das… Meine Gedanken stockten und meine Augen weiteten sich in Erkenntnis: ‚Amy und ich… Amy… Amy… ich...‘ Ich... war die beste Freundin einer Phantomhive. Ich war… die beste Freundin einer der Menschen, die Undertaker beschützen wollte. In dessen Diensten er stand. Wahrscheinlich hat er nie mich… er hat nie Skyler gerettet. Er hat immer die beste Freundin einer Phantomhive gerettet. Tränen stiegen mir in die Augen. Wie konnte ich nur so dumm sein? So dumm und selbstzentriert, dass ich glauben konnte es sei jemals um mich als Person gegangen? Ich war Standard. Langweilig. Obwohl ich verflucht war, war ich einfach langweilig, was eine Leistung war. Und ich war dumm und weinerlich. Doch gerade - in Anbetracht dieses Gesichtes - wusste ich nicht wie weit mich der Umstand mit einer Phantomhive befreundet zu sein retten konnte. Schließlich war ich alleine mit ihm. Ansonsten war hier niemand. Nur er. Der 1873 Menschen umgebracht hatte. Ich hätte nie gedacht, dass er zu so etwas fähig war. Auch wenn er es mehr als einmal betont hatte. Ich hatte immer gedacht er übertrieb. Das er eigentlich ein nettes, feinfühliges Wesen war. Doch nun konnte ich mit Nichts mehr wegreden, was er mir offenbart hatte. Was er fürchterliches getan hatte. Und ich hatte ihn erzürnt. Abermals. Was ist, wenn er jetzt die Geduld mit mir verlor? Ohne ein Wort zu sagen streckte Undertaker seine lange Hand nach mir aus. Meine Augen weiteten sich noch mehr durch den kalten Schreck der mich befiel, als seine langen Finger näher kamen. Er will mich packen! Er sagte ich solle gehen und ich bin stehen geblieben und hatte ihn nur weiter angestarrt. Natürlich will er mich packen! Die kalte Schockstarre löste sich, kippte komplett und ergriffen von einer heißen Panik preschte ich nach vorne. Wenn jemand der einen packen will, einen zu packen bekam, gab es nur einen logischen Ausgang. Auch mein Vater hatte mich immer am Oberarm gepackt, wenn ich vor ihm fliehen wollte. Oder mich schutzsuchend auf dem Boden geschmissen hatte. Und dann hatte er…: ‚Nein! Nein, ich will das nicht!‘ Der Bestatter stand zwischen mir und der rettenden Vordertür. Doch ich konnte meinen Weg schon nicht mehr ändern. Die paar Schritte die ich an ihm vorbei sprinten musste, tat ich betend. Undertakers Hand kam näher. Durch diese Erkenntnis rannte ich noch schneller, als ich losgelaufen war. Mein Blick flog über sein Gesicht. Ich merkte wie seine kalten Finger meine Hand streiften. Dann tat ich einen letzten riesigen Schritt aus der Ladentür. Ich schlug Harken um die Ecken. Ich rannte wie eine Verrückte. Das Blut rauschte in meinen Ohren. Mit raschelndem Atem sprintete ich durch die dunklen Gassen. Mein Körper brannte. Mein Knie schmerzte entsetzlich. Doch ich lief. Ich lief bis ich aus den Gassen entkommen war. Und selbst dann rannte ich noch weiter. Ich passierte den Friedhof. Ich wusste, ich konnte niemals schneller sein als der Bestatter. Wenn er mich fand dann… war ich wahrscheinlich tot. Ich rannte den ganzen, weiten Weg zum Wohnheim. Angefacht von schreiender Panik. Krachend stieß ich die Tür vom Wohnheim auf, hechtete durch die leeren Flure bis unters Dach. Polternd lief ich in das kleine Apartment und sofort in mein Zimmer. Erst dort hörte ich auf zu rennen. Ich japste und schnappte verzweifelt nach Luft, als ich meinen Rücken gegen meine Tür drückte. Mein ganzer Körper tat weh. Mein lädiertes Knie pochte heiß unter der ganzen Mehrbelastung. Meine Lungen brannten. Mein Gehirn raste. Mein Herz stand kurz vorm Exitus. Obwohl ich daheim war, war ich doch noch lange nicht in Sicherheit. Doch wo sollte ich sonst hin? Ich atmete einmal tief durch und schloss meine Augen: ‚Ich hab einen Steinanhänger… er kann nicht spüren wo ich...‘ Meine Augen sprangen auf. Ein weiterer tiefer Schreck surrte durch mich hindurch. Das Kettchen von dem Anhänger hatte Hannah mir kaputt gemacht. Deswegen hatte ich ihn nicht am Hals getragen. Er war in meiner Hosentasche… Und meine Hose… hing in Undertakers Badezimmer! Ich schaute an mir herunter. Ich trug seine Hose… sein T-Shirt… seinen Mantel… Mein Herz zog sich zusammen und Tränen stiegen mir in die Augen. Ich konnte sie nicht aufhalten. Mein Gehirn repetierte unaufhörlich was gerade passiert war. Total durcheinander. „Er...“, ein gequältes Schlucken: „Er ist ein Mörder… Er wollte mich packen… Er wollte mir...“ Ich presste mir eine Hand gegen den Mund. Etwas Kühles an meinen Fingern berührte meine Lippen. Ich schaute auf meine vor Anstrengung, Panik und Unglauben zitternde Hand. Dann surrte eine schmerzvolle Welle durch meinen ganzen Körper. Meine Hand zitterte noch mehr, als ich mir eines furchtbaren Fehlers unglaublich schmerzhaft bewusst wurde und sah was so kühl um meine Finger lag. Ein silbernes Kettchen. Ein silbernes, ganzes Kettchen mit einem Pentagrammanhänger. Ein lautes geschocktes Schluchzen fuhr scharf aus meinen verkrampften Lungen. Ich dachte er hat die Hand ausgestreckt um nach mir zu greifen und danach sonstiges mit mir zu tun. Mich vielleicht sogar umzubringen, weil ich nervig war und meine Nase immer in seine Angelegenheiten steckte. Doch… „Oh mein Gott...“, hauchte ich, rutschte an der Türe hinunter und starrte immer noch fassungslos auf den schön gearbeiteten Anhänger, der um meine Finger hing: „Er… er hat mir… er hat mir… er wollte mir… nur… meinen… meinen Anhänger wiedergegeben...“ Mein Herz, mein Magen, meine ganze Brust zog sich noch weiter zusammen und mein ganzer Körper folgte krampfhaft diesem Zug. Noch mehr Tränen liefen über meine Wangen, als ich realisierte, dass Undertaker nicht die Hand ausgestreckte hatte um mich zu packen, sondern um mir meinen Anhänger wiederzugeben. Der Anhänger der das Einzige war, was mich beständig vor Claude und Oliver beschützte. Warum wollte er ihn mir wieder geben? Was war passiert? Was hätte er mir getan? Hätte er sich endgültig dem nervenden Mädchen - was ich war - entledigt oder hätte er mir gar nichts getan? Was habe ich ihm damit angetan weggerannt zu sein? Ein Teil von mir sagte mir, dass ich vor einem offensichtlich vollkommen verrückten Sensenmann weggerannt war, der eine Horde Zombies auf ein Kreuzfahrtschiff losgelassen hatte und 1873 Menschen dabei hatte sterben lassen. Für – wie er es selbst betont hatte – schlichtes Pläsier. Ein anderer Teil von mir sagte gar nichts. Er schrie nur und weinte. Es war der größere Teil von mir. Der aktive Teil von mir. Der laute Teil von mir. Der Teil, der für immer die Ladentüre dieses Bestattungsunternehmen ins Schloss schnacken hörte. Meines Lieblingsgruselkabinetts... Ich wusste nicht mehr was ich über ihn denken sollte. Doch mir war nur allzu klar, dass ich nun vor verschlossenen Ladentüren stand. Und diese Erkenntnis tat furchtbar weh. Sie riss mir das Herz entzwei. Ich krallte meine Hände in das T-Shirt des Bestatter... über mein schmerzendes Herz... zog die Knie an mich heran und vergrub mein Gesicht darin. Ich wusste nicht mehr wer er eigentlich war. Ich hätte alles darauf verwettet, meine Hand dafür ins Feuer gelegt und jeden Eid darauf geschworen, dass er ein gutes und treues Wesen war. Wohlgesinnt und verständnisvoll. Und dennoch... alle Worte die ich kannte erfassten nicht annähernd, wie grauenvoll seine Taten gewesen waren. Denn… er hasste Menschen. Und er bringt sie um. Ohne mit der Wimper zu zucken und ohne ein Fünkchen Reue. Die paar Menschen, die ihm wichtig waren, waren die Phantomhives, Fengs, Hermanns und von Steinen. Mich hatte er sicher nur ertragen, weil Amy mich mochte. War nett zu mir gewesen, weil ich Amys Freundin war. Er hatte mir wochenlang vorgespielt er sei ein Mensch, warum sollte er dann nicht auch so tun als würde er mich mögen, damit Amy und Alex zufrieden waren? Sicherlich... hatte es ihn schon lange genervt, dass er mich immer retten musste. Sicherlich... hatte er jedes Mal innerlich gestöhnt, wenn ich seinen Laden betreten hatte. Sicherlich… war ich ihm genauso egal wie die Passagiere der Campania. Die Phantomhives waren erstaunlich. Die Fengs waren außergewöhnlich. Die Hermanns und die von Steinen waren vielversprechend. Menschen, auf die er neugierig sein konnte. Ich? Ich war nicht erstaunlich. Ich war fade, grau und flach. Ich war nicht außergewöhnlich. Ich war trivial, durchschnittlich und banal. Ich war nicht vielversprechend. Ich war eintönig, schlecht gelaunt und negativ. Darüber hinaus war ich noch dumm, tollpatschig und zu nichts zu gebrauchen. Ich war ja selbst zum Staubwischen zu blöd. Eigentlich… hätte ich das alles wissen müssen. Mein Vater hatte schließlich nie einen Hehl daraus gemacht. Er hatte mir immer gesagt, dass ich genau so und genau das war. Und Menschen, die so waren, waren eben vollkommen wertlos. Auch für verrückte Totengräber mit silbernen Haaren. Das ich noch lebte war also eine Ode an seine Geduld. Ich hätte einfach von Anfang an auf meinen Vater hören sollen... Ich hörte einen Schrei... Er war spitz. Er war grell. Er kam von mir… ich sprang auf und riss mir die Kleider des Bestatters vom Leib. Das Kettchen rollte sich von meinen hektisch, panischen Fingern. Ich… ich wollte von ihm nichts an mir haben. Ich… ich wollte ihn aus meinem Kopf verscheuchen, da ich ihn niemals wieder sehen werde. Immer noch weinend und heulend zog ich meinen Pyjama an und kauerte mich - Beine angezogen, Arme darum geschlungen und mein Kopf in ihnen versteckt - in die hinterste Ecke meines Bettes. Ich zog selbst meine nackten Zehen ein um so klein und nicht da zu sein, wie nur irgend möglich. Hatte ich überreagiert? Ich wusste es nicht. Meine Gedanken sprangen durcheinander. Ich war die Böse und nicht er. Selbst wenn er nur für Amy nett zu mir gewesen war, war er nett zu mir gewesen. Das war schon um einiges mehr, als die Meisten für mich übrig hatten. Selbst wenn er das alles wirklich getan hatte – und seine Worte ließen keine Zweifel daran, dass er das alles getan hatte – hätte ich mich so lange zusammen reißen müssen bis ich mich ordentlich verabschiedet hatte und ganz normal rausgegangen war. Doch ich war gerannt wie eine Bekloppte und hatte damit eine ganz klare Message da gelassen. Hatte ich nicht noch groß gesagt, dass ich eine gute Freundin für ihn sein wollte? Und nun… war ich vor ihm weggelaufen. Dass ich es nicht schreiend getan hatte, war ein Wunder. Das war Verrat. Ich hatte ihn verraten. Ich hatte seine Hand los gelassen und er wird sie mir nie mehr geben. Ich war durch seine Tür gerannt und er wird sie mir nie wieder öffnen. Diese Gewissheit zerriss mein Herz noch mehr und schickte mir noch mehr Tränen meine Wange hinunter. Mein eigenes Heulen hallte laut von meinen Zimmerwänden wieder. Es rauschte in meinen Ohren und hörte sich an, als käme es gar nicht von mir selbst. ‚Ich...‘, mein Mund konnte nur greinen und weinen, doch mein Kopf sprach denselben Satz immer und immer wieder: ‚Ich hab… ich hab ihn losgelassen… Ich… Ich hab seine Hand losgelassen und… und bin weggerannt… Was… Was… Was habe ich getan?‘ Sein Gesicht sprang durch meinen Kopf. Das Gesicht, das ich gesehen hatte als ich an ihm vorbei gerannt war. Erst jetzt hatte ich die Zeit dafür seinen Gesichtsausdruck zu realisieren. Seine Augen… waren nicht mehr kalt gewesen. Sie hatten mich traurig angeschaut. Unendlich traurig… Verletzt… und tief enttäuscht… Dieser Blick in seinen Augen tat mir so furchtbar weh und ich fühlte mich so furchtbar schlecht, diese Augen dazu gebracht zu haben so zu schauen. Wenn ich gerade auch nicht viel wusste, ich wusste, dass ich ihn verloren hatte. Und das dies schmerzte. So unendlich. Mein aufgewühlter Kopf schrie mir entgegen warum. Während ich hysterisch heulend auf meinem Bett saß konnte ich endlich verstehen, was mein Kopf mir spätestens seit der Begegnung am Bach, aber eigentlich schon lange davor, immer entgegen schrie… ...Ich hatte mich in ihn verliebt... ...Bis über beide Ohren... ...Hals über Kopf… ...Eigentlich war es um mich total geschehen… … Und wenn er verrückt war, dann hatte ich mich in einen Verrückten verliebt. … Und wenn er ein Monster war, dann hatte ich mich in ein Monster verliebt. … Und wenn er ein Mörder war, dann hatte ich mich in einen Mörder verliebt. … Und wenn er total eigen war, dann hatte ich mich voll und ganz in ihn verliebt. … Doch ich hatte mich so sehr erschreckt, dass ich seine Hand los gelassen hatte. … Doch ich hatte so viel Angst vor ihm bekommen, dass ich zurück gewichen war. … Doch ich hatte ihn so mit meinem Vater verglichen, dass ich weggerannt war. … Doch ich war weggerannt, sodass ich ihn verloren hatte. ...Doch nun saß ich hier, vollkommen alleine und verlassen... ...Jedes ‚Und‘ war auf einmal so kristallklar... ...Und ich bereute jedes ‚Doch‘… ...So sehr… ~Lacrimosa* ~ Ein Geräusch weckte mich. Verwundert schlug ich die Augen auf. Mir war furchtbar kalt und ich war furchtbar erschöpft. Ich war eingeschlafen… Irgendwann in meinem Weinwahn war ich tatsächlich eingeschlafen. Ich hatte es nicht mitbekommen. Mein Körper fühlte sich ausgekühlt an. Nur mein linkes Knie brannte wie Feuer. Ich realisierte, dass ich in meinem kurzen Pyjama auf meinem Bett lag ohne zugedeckt zu sein. ~Fallen and born here ~ Leise Musik spielte. Aber woher? Und warum? Irritiert stemmte ich mich auf die Hände und schaute ich mich in meinem Zimmer um. ~I want to love this blood-soaked world without fear ~ Mein Blick fiel auf einen Haufen schwarzer Kleider die definitiv nicht meine waren, aber aus deren Richtung die Musik zu kommen schien. Sie lagen einfach vor meiner Zimmertür. Achtlos auf den Boden geworfen. Sie… Sie gehörten…: ‚...Undertaker...‘ Als ich die Kleider erkannte fuhr ein scharfer Stich durch mein Herz. Alles in und an mir fühlte sich so furchtbar taub an. Ich fühlte mich so kraftlos. So nutzlos. So furchtbar allein: ‚Was habe ich nur getan…?‘ ~Instead of being forgiven, forgive and have faith ~ Doch warum kam Musik aus Undertakers Kleidern? Die Geigen, der Text. Ich kannte dieses Lied… ‚Wie wäre es mal mit aufräumen? Das sieht ja genauso schlimm aus wie deine Manteltaschen. Wenn nicht schlimmer. Oder gehörst du zu der Art Mensch, die einfach alles in eine Schublade pfeffern, sie zumachen und dann behaupten es sei alles ordentlich?‘ ‚Nihihihihi! Wäre ich ein Mensch würde ich sicherlich streckenweise unter diese Kategorie fallen.‘ ‚Musst du jedes Wort auf die Goldwaage legen?‘ ‚Tihihihi! Wozu ist sie denn sonst da? Und nun schreib schon! Ich bin neugierig! … Nehehehe! Deine Handynummer? Nicht, dass ich mich darüber beschweren möchte, dass mir schöne, junge Damen ihre Handynummer zustecken, aber, nehehehe, was verschafft mir die Ehre?‘ ‚Ich… Ich habe ja auch deine, da dachte ich es sei nur fair… und für den Fall der Fälle kannst du mich erreichen.‘ Warum erinnerte ich mich daran? Diese Erinnerung war so schneidend. So weißglühend. So furchtbar. Ich krabbelte auf die Knie und drückte die Hände auf mein blutendes Herz, während die nächsten Tränen von meinen Wangen auf die Matratze fielen. ~And remain on the face of this earth ~ … Mein Handy! Natürlich! Das war mein Anrufton! Trotz meines schmerzenden Knies sprang ich von meinem Bett und rannte die paar Schritte zu dem Kleiderhaufen: ‚… Vielleicht!‘ Ich kramte die Jogginghose hervor in dessen Tasche mein Handy steckte: ‚… Vielleicht ist das...‘ Ich brauchte drei Anläufe um mit meinen zittrigen Fingern mein Handy zugreifen: ‚Vielleicht… hoffentlich!‘ Weitere Tränen stiegen mir in die Augen, als ich endlich mein Handy zufassen bekam: ‚Oh bitte!‘ ~To count the tearful days that pass ~ Ich schaute auf mein Handy… … Und mein Herz wog schwer vor Enttäuschung. Auf dem Display stand »Amy P. ƸӜƷ «. Ich schaute auf mein Handy, während meine Augen überliefen. Was hatte ich denn erwartet? Als ob er mich nun anrief. Nachdem was ich getan hatte... In der Zeit die ich auf mein Handy starrte - gefangen in meinen schmerzvollen Erkenntnissen – legte Amy auf, oder ich hatte zu lange gebraucht um abzunehmen. Ich wusste es nicht. Mein Handy zeigte mir 10:30 Uhr und 6 verpasste Anrufe von Amy an. Ich hatte die böse Vorahnung, dass ich eine Menge zu erklären hatte. Doch… woher wollte Amy etwas wissen? ‚Der Earl erzählte es mir vor ein paar Tagen. Ich bin sehr erpicht darauf, das zu sehen. Ehehehe!‘ Ich legte eine Hand auf meine Augen, während ich wie ein Häuflein Elend auf dem Fußboden zusammensackte: ‚Sag nicht er ist bei den Phantomhives...‘ Amy. Bringt. Mich. Um. ~Lacrimosa ~ Meine Handy vibrierte in meiner Hand. »Amy P. ƸӜƷ« Ich rieb mir die Tränen aus dem Gesicht und atmete einmal tief durch. Dann nahm ich endlich ab: „Ja?“ „Was hast du angestellt?!“ Ich seufzte: „Guten Morgen, Amy… Ich habe gut geschlafen, danke der Nachfrage.“ „Als ob du gut geschlafen hättest!!“ „Gibt es einen bestimmten Grund warum du mich anschreist?“, ich stand auf und verließ mein Zimmer. Wie jeden Morgen führte mich mein Weg zu der Kaffeemaschine. Nur fühlte sich dieser Morgen ganz anders an. Ich fühlte mich so unfassbar… schlecht… und einsam... „JA!“ „Und der wäre?“, ich stellte die höchste Dosis Koffein ein. „Undertaker!“ ‚War ja klar...‘, ich seufzte ein weiteres Mal und stellte eine Tasse unter die Düsen: „Was ist mit ihm?“ „Das weiß ich nicht, deswegen frage ich dich! Er hat Ronald heute fast alle Knochen gebrochen! Das hat gescheppert, ich sag‘s dir.“ Ich stockte irritiert: „Warum sollte Undertaker Ronald die Knochen brechen wollen?“ Ich drückte auf den Knopf und mit wütendem Rattern spuckte die Maschine Kaffee in meine Tasse… Und überall anders hin… Denn eine Düse war verstopft und spritzte mein heißgeliebtes Lebenselixier in alle Himmelsrichtungen. ‚Na super…‘, selbst die Kaffeemaschine war sauer auf mich. Warum auch immer. Ich seufzte ein weiteres Mal, als ich mein mit Kaffee bespritztes Tanktop anschaute, in dem ich zu schlafen pflegte: „Was haben sie denn gemacht?“ „Keine Ahnung“, begann Amy zu erzählen, während ich mir ein paar Blätter Zewa griff und den danebengegangenen Kaffee aufwischte. Selbst diese Banalität fühlte sich so komisch an. In mir drin war alles so taub, kalt und hohl. Dieses Gefühl war so schrecklich: „Wir hörten einen Schrei, dann einen Knall und dann rannten wir hin. Was wir sahen war ein Undertaker vor einem Loch in der Wand und einen Ronald in deren Trümmern. Sebastian ist fast ausgerastet, doch weder er noch William trauten sich im ersten Moment näher ran. Von Grell ganz zu schweigen. Undertaker hat Ronald angeschaut wie der Tod höchstpersönlich. Und ja, das meine ich so wie ich es sage, es ist kein schlechter Wortwitz. Die Beiden haben sich unterhalten. Nur weiß niemand worüber und keiner von den Beiden erzählt es. Beide sagen nur Ronald hat‘s verdient und es sei jetzt alles wieder ok.“ „Was könnte Ronald denn gemacht haben?“, blinzelte ich verwundert, warf das Zewa weg und nahm einen Schluck von meiner nur halbvollen Tasse schwarzen Kaffees. Mir würde nichts einfallen, was der blonde Reaper getan haben könnte um ein Schicksal als Abrissbirne zu verdienen. Ich war mir des Weiteren sicher, dass die Wand Ronald kleineres Problem gewesen war. „Sag du es mir!“ Ich ließ meine Tasse sinken: „Woher soll ich das wissen?“ Warum sollte ich eine Ahnung haben, warum Underta…: ‚Oh oh.‘ Die Erkenntnis winkte mir nicht mit dem Zaunpfahl, dafür aber mit dem Vorschlaghammer und einer Menge Anlauf: ‚Ronald hat mir von der Campania erzählt...‘ Aber warum reagierte Undertaker so sauer darauf? Weil es seine Angelegenheit war und auch Ronald seine Nase darein gesteckt hatte? Genau wie ich? Wenn ich gestern geblieben wäre… wäre es mir ähnlich ergangen? Oder vielleicht sogar schlimmer? Ronald war ein Reaper… Genau wie Undertaker… Ich war nur ein Mensch. Und Undertaker mochte keine Menschen. Sicher mochte er mich auch nie wirklich. Ich war ja auch niemand, der es wert war gemocht zu werden. Ich hatte nichts an mir, was mögenswert wäre. Ich war einfach nur die Freundin einer Phantomhive… Und das tat so höllisch weh... „Weil du gestern unter vier Augen mit ihm geredet hast“, weckte mich eben diese Phantomhive aus meiner furchtbar quälenden Feststellung: „Und er sich schon den ganzen Tag echt komisch benimmt. Als ob das ein Zufall ist. Worüber habt ihr geredet?“ Ich seufzte: „Er benimmt sich… immer komisch.“ „Komischer als sonst.“ „Das geht?“ „Sky.“ „Ja, ja ist gut“, ein weiterer Schluck Kaffee. Meine Nerven lagen jetzt schon blank und ich blinzelte immer wieder neue Tränen weg, während ich mich krampfhaft bemühte ihre Anwesenheit aus meiner Stimme fernzuhalten. Ich wüsste nicht wie ich Amy erklären sollte was gestern passiert war, geschweige denn wie es in mir drin aussah: „Aber inwiefern? Was macht er denn?“ „Außer Ronald umbringen, meinst du? Eigentlich nichts. Und da ist der springende Punkt. Lachen gehört hab ich ihn heute vielleicht 2… 3 Mal? Und einen Lachanfall hatte er noch gar nicht. Kein Lachanfall in 2 Stunden! Weißt du wie oft das vorkommt? Richtig. Nie! Worüber habt ihr geredet?“ „Äääähm...“, machte ich gedehnt und überlegte wild hin und her. Was sag ich denn jetzt?: „Kannst du dir vorstellen, dass ich nicht so enden möchte wie Ronald? Meine Knochen halten das nicht aus.“ „Als ob er dir irgendetwas tun würde! Hau raus!“ Ich schlug die Augen nieder. Frustriert und trauriger als ich in meinem Leben je war wischte ich mir mit dem Handballen durch die Augen, während mein Blick in meine halbvolle vor sich hin dampfende Tasse fiel. Und ich war in meinem Leben schon sehr oft sehr frustriert und sehr oft sehr traurig gewesen. Doch gerade fühlte ich mich vollkommen… trostlos: „Ich… ich bin mir da nicht so sicher...“ Eine kurzer Moment des Schweigens seitens meiner besten Freundin. „Hast du gekifft?“, fragte sie im Anschluss daran ungläubig. Ich zog Augen und Augenbrauen zusammen: „Nein, hab ich nicht. Hab ich noch nie. Wie kommst du darauf?“ „Ehrlich jetzt, hast du? Das Zeug muss echt schlecht sein. Wenn du sowas machen musst dann kauf doch wenigstens bei Lee.“ „Amy“, ich schüttelte meinen Kopf: „Wie kommst du auf den Blödsinn? Ich bin gerade aus dem Bett gefallen und trinke meine erste Tasse Kaffee.“ „Weil du gesagt hast du seist dir nicht sicher.“ „Was hat denn bitte A mit B zu tun?“ „A muss ein Resultat aus B sein. Undertaker würde die niemals etwas tun!“ „Ts...“, langsam war meine Verzweiflung nicht mehr nur auf Gestern zu münzen, sondern auch auf eine schlichte Erklärungsnot: „Was willst du jetzt von mir hören?“ „Worüber ihr geredet habt!“ Ich seufzte: „Ich will es nicht erzählen, Amy...“ „Was?“ „Ich… will nicht darüber sprechen...“ „Echt jetzt?!“ „Ja...“ „Das ist nicht dein Ernst!“ „Ähm...“, ich wischte mir erneut ein paar Tränen aus dem Gesicht: „...Doch...“ „Hör mal“, begann die Phantomhive empört: „Undertaker demoliert die Villa, indem er Ronald als Vorschlaghammer benutzt. Den muss er so klein gefaltet haben, dass er mit Zylinder gemütlich in eine Streichholzschachtel passt und Undertakers Humor ist auf demselben Level wie Williams. Frank ist eine richtige Stimmungskanone im Vergleich zu ihm! Und du sagst nur du willst nicht darüber sprechen?!“ Die Tasse in meiner Hand zitterte so sehr, dass sie selbst nur bei halbem Füllstand drohte überzuschwappen. Meine Tränen brachen sich ihre Bahnen und ich konnte sie nicht mehr aus meiner Stimme verbannen. Warum… benahm sich Undertaker so?: „Ich hab Mist gebaut, Amy...“ „Weinst du?“ „Ich…“, ich schluchzte: „Ich hab gestern so viele Dinge getan, die ich nie hätte tun sollen...“ „Was? Was hast du gemacht?“ „Ich… ich...“, ich konnte es ihr nicht sagen. Ich wollte. Ich wollte mit jemandem darüber reden wie schlecht es mir ging. Was ich getan hatte… und worüber ich mir klar geworden war, doch…: „Ich kann nicht...“ „Skyler!“, jetzt ist es soweit. Ich kann zwar nicht sagen ‚Nenn‘ mich Sky. Skyler nennen mich meine Eltern nur wenn sie sauer auf mich sind‘, doch dafür kann ich sagen ‚Nenn‘ mich Sky. Skyler nennt mich meine beste Freundin nur, wenn sie mich am liebsten erwürgen würde‘. Nun waren also schon 3 sauer auf mich: Undertaker, meine Kaffeemaschine und Amy. Fabulös. Das wird mein Tag. Ich glaubte, ich ginge einfach wieder ins Bett… „Amy, ich...“, ich atmete raschelnd durch, während mir nun endgültig der Kaffee über meine Finger schwappte. Meine Stimme wurde von meinen Tränen geschüttelt, die ich nicht mehr unter Kontrolle bekam: „Ich bin einfach ein fürchterlicher Trottel. Aber ich kann dir nicht sagen, warum… Es… es geht nicht...“ „Warum weinst du? Sky, was ist passiert?“ „Ich… Ich leg jetzt auf, Amy.“ „Nein, nein, nein, das tust du nicht!“ „Doch...“ „Sky, sag mir warum du weinst!“ „Mach dir um mich keine Sorgen...“ „Zu spät!“ „Ach Quatsch...“ „Sky!“ „Hab noch viel Spaß beim Training und mit den Anderen...“ „Du kannst nicht einfach auflegen!“ „Wir sehen uns dann morgen Abend...“ „Rede mit mir!“ „Bye...“ „Sky!“ Ich drückte auf den roten Knopf und Amys Stimme verschwand. Eine Zeitlang stand ich nur da. Ich wusste nicht wie lange. In mir war alles so taub. Nur ein unterschwelliger Schmerz surrte beständig durch meine Seele. Undertaker war komisch drauf. Hatte ich ihn so dermaßen verärgert? Konnte das wirklich nur an mir liegen? Seine Augen… als ich gestern weggelaufen war. Bei dieser Erinnerung sprang mein Herz erneut in 1000 Teile. Nein. Es zerfiel einfach zu Staub. ~Lacrimosa ~ Ich schaute auf mein vibrierendes Handy. »Amy P. ƸӜƷ « Ich stellte meine Kaffeetasse ab und strich über den roten Button. Der Ton verstummte. Dann lief ich in mein Zimmer. ~Lacrimosa ~ »Amy P. ƸӜƷ « Erneut drückte ich sie erneut weg und warf mich auf mein Bett. Ich verbuddelte mein Gesicht in meinem Kissen, welches nach Minuten schon ganz nass von meinen Tränen war. ~Lacrimosa ~ Ich ließ es einfach klingeln. ~Fallen and born here ~ Mein Herz tat so weh. ~I want to love this blood-soaked world without fear ~ Es soll aufhören… ~Instead of being forgiven, forgive and have faith ~ Es soll aufhören zu klingeln… Es soll aufhören weh zu tun… ~And remain on the face of this earth ~ Mit einem wütenden Schrei wischte ich mein Handy vom Nachttisch. Es knallte auf den Boden. ~To count the tearful days that pass ~ Ich rollte mich auf meinen Bett zusammen. Dem Zusammenziehen meines Herzens folgend. Mein Kissen an mich gedrückt. Mein Gesicht darin versteckt. Und so lag ich dort und weinte lauter, als mein Handy klingeln konnte. Irgendwann hörte mein Handy auf hinter einander zu klingeln. Es hatte aber immer mal wieder angefangen. Sicher war es Amy gewesen. Irgendwann kam das Klingeln nicht mehr wieder. Sicher war der Akku leer. Ich begrüßte es. Ich wollte nichts sprechen. Es ändert eh nichts und niemand irgendwas… Mein Zimmer hatte ich nicht mehr verlassen. Essen konnte und wollte ich nicht. Ich lag einfach nur da und war hohl. Ich lag einfach nur da und hatte Schmerzen. Ich lag einfach nur da und erinnerte mich an jedes verdammte Mal, in dem ich den Bestatter getroffen hatte. Ich kann mir immer noch nicht vorstellen, dass der Totengräber so jemanden wie mich wirklich mögen könnte. Humorlos… Lügend… Eintönig… Langweilig… Die vier Eigenschaften, die mich am meisten disqualifizierten. Und ich fand in diesen etlichen Stunden in denen ich dort liegen musste noch hunderte mehr. Immer wenn ich mich an die Treffen erinnerte, wollte ein kleiner Teil von mir glauben, dass ich ihm wirklich als Person… als Skyler… wichtig gewesen war. Dieser Teil hoffte und wollte so sehr. Doch der rationale Teil war stärker. Und er erstickte den Kleinen sofort. Und er starb… mit seiner Hoffnung… in einer weiteren Welle entsetzlichen Schmerzens. Immer und immer wieder... Doch… was war das am Bach gewesen? Undertaker meinte ich solle nicht denken er sei ein Unschuldslamm. Hatte er nur eine Möglichkeit für ein bisschen Spaß gesehen? Eine Bettgeschichte? Und wäre ich nicht die Freundin einer Phantomhive hätte er meinen Namen sicher am nächsten Morgen wieder vergessen… Doch… war es überhaupt irgendwas gewesen? Wahrscheinlich nicht. Ich hatte ja nicht mal irgendetwas an mir, was mich für eine Bettgeschichte qualifizieren würde. Und er konnte mit diesen Augen wirklich jede kriegen, die er haben wollte… und mit diesem Lächeln… und wahrscheinlich nahm er sie sich auch… Vielleicht gerade jetzt… In diesem Moment… Was hielt ihn schon davon ab? Er hatte ja jetzt wo er mich los war, wieder die Zeit dazu… Mit einem scharfen Schluchzen zog sich mein Körper mehr zusammen. Ich war einfach dumm gewesen. Die ganze Zeit. Naiv und unfassbar dumm. Und naiv und unfassbar dumm wie ich war führte diese Einsicht wieder zu einem weiteren Schwall neuer Tränen. Mein Gesicht tat so weh. Meine Augen brannten so entsetzlich. Mir war so kalt. Und doch fühlte ich gar nichts. Ich war so müde. Und doch war alles so schrecklich dumpf. Es klopfte. Ich hörte ein Klopfen an meiner Zimmertür. War Amy früher zurückgekommen? „Verschwinde!“, rief ich verheult wie ich war. Die Tür ging auf: „Ich hab gesagt du sollst verschwinden, Amber!“ „Herrje, herrje“, hörte ich eine weibliche Stimme. Aber es war nicht Amys: „Amber? Habt ihr beiden Streit?“ Mein Kopf flog aus dem Kissen. Etwas anderes mischte sich in meinen Schmerz, in das Nichts. Nur unterschwellig, doch es war da. Ich war verwundert: „Lola? Was… was machst du hier?“ Mit ihrem milden Lächeln kam die rüstige Seniorin zu mir ans Bett und setzte sich auf meine Bettkante: „Och Liebes. Wie du aussiehst. Nun sag: Hast du Streit mit Amy?“ Ich schüttelte den Kopf: „Nein… nein, hab ich… noch nicht.“ „Oh je. Dann geht es doch um den Jungen.“ Ich funkelte Lola böse an. Ich funkelte so böse, weil sie recht hatte: „Er ist kein Junge! Und woher willst du das wissen?“ „Nun. Das Abendessen ist vorbei und du warst nicht da. Den Kaffeeflecken auf deinem T-Shirt entnehme ich du trägst deinen Pyjama nicht schon, sondern immer noch. Und deine Augen, Herzchen. Die sind ganz rot. Du siehst aus als hättest du den ganzen Tag nur geweint.“ Ich schaute auf mein Kissen, als sich brennend weitere Tränen in meinem vom weinen gereizten Augen sammelten: „Ich...“, ein Schluchzen lies meine Stimme so sehr zittern, dass ich kaum sprechen konnte: „Ich...“ Ich vergrub den Kopf wieder in mein Kissen. Ich hasste es, wenn andere Leute mich weinen sahen. Doch ich konnte nichts dagegen tun. Ich stand diesem Kummer und dieser Taubheit so vollkommen machtlos gegenüber, dass ich mich nur noch viel erbärmlicher fühlte. Eine Hand strich durch meine Haare. So, wie es auch Undertakers immer getan hatte. Diese Geste machte mein Empfinden nur noch elendiger. Doch Lolas Stimme war ruhig und beständig: „Willst du nicht reden, Liebes? Man wird alleine mit Liebeskummer nicht fertig. Glaube mir, Schatz, das funktioniert einfach nicht.“ „Ich bin eine furchtbar dumme Pute, Lola!“, heulte ich weiter in mein Kissen. „Ja Herrgott, warum denn?“ „Weil ich dachte er mag mich!“ „So wie du ihn magst?“ Ich hob mein Kopf aus dem Kissen und schaute durch mein düstres Zimmer: „Nein… Aber einfach nur mögen, würde mir reichen.“ „Oh nicht auf Dauer, glaube mir.“ „Is‘ immer noch besser, als das was wirklich abgeht...“ Lola seufzte: „Was ‚geht denn ab‘?“ Ich schmiss meinen Kopf zurück ins Kissen: „Er hat nur so getan, als ob er mich mögen würde!“ „Das denkst du weil?“ „Weil er ein Freund der Phantomhives ist und ich auch...“ „Und das erkennst du an?“ „An…!“, ich hob wieder meinen Kopf: „Na, an...“ Mein Kopf ratterte. Doch er fand keine Belege. Ich hatte so viel gedacht. Mein Kopf fühlte sich an wie ein Hochofen. Wahrscheinlich war ich einfach viel zu müde gedacht, um jetzt auf den richtigen Gedanken zu kommen: „Es ist einfach… offensichtlich! Ich meine… Was bin ich denn? Was hab ich denn an mir, was man mögen sollte?“ „Du bist ein junges, hübsches Ding, mit einem hübschen Gesicht und schon allein einigen äußerlichen Attributen, die einem Mann durchaus den Kopf verdrehen könnten“, lächelte Lola, doch ich schaute ihr nur reichlich skeptisch ins Gesicht. Doch sie strich mir ein paar Haare aus dem Gesicht. So wie es auch Under…: ‚Arg…! Nein! Geh‘ weg! Geh‘ weg!‘ „Abgesehen davon“, fuhr die Küchenchefin fort: „Dass du so ein liebes, süßes Ding bist. Hach, Schatz. Ich bin mir sicher er hat dich gemocht und nicht nur so getan, um den Phantomhives einen Gefallen zu tun.“ „Ach!“ ich zog meinen Kopf weg, krabbelte in die hinterste Ecke meines Bettes und nahm mein Kopfkissen in den Arm, während ich die Beine an mich ran zog: „Er ist voll der Misanthrop!“ „Das ist ein sehr hartes Wort.“ „Aber es ist so! Du kannst dir nicht vorstellen, was der alles vom Stapel gelassen hat!“ „Ja, dann erklär es mir doch endlich.“ „Äh...“, ich stockte: ‚Oh Mist...‘ Ich konnte es Lola nicht erklären. Lola hatte von der Welt um die Phantomhives keinen blassen Schimmer. Wie soll ich ihr denn erklären, dass Undertaker 1873 Menschen durch ein paar wild gewordene Zombies getötet hat? Und mächtig Spaß daran hatte. „Ich… will nicht!“, schnauzte ich sie nur an und drehte den Kopf weg: „Das tut auch nichts zur Sache! Er mag keine Menschen und mich auch nicht. Punkt!“ „Selbst Misanthropen haben ein Herz, Liebes.“ Ich schaute wieder zu ihr: „Warum nimmst du ihn eigentlich so in Schutz?“ „Weil ich mir nicht vorstellen kann, dass man dich nicht mögen kann, Herzchen. Doch ich könnte dir besser helfen, wenn ich endlich wüsste über wen wir eigentlich sprechen.“ Ich seufzte: „Du kennst ihn nicht...“ Lola rutschte näher zu mir und lachte. Dabei hielt sie sich die linke Hand über den Mund. Ein eckiger Smaragdring - denn sie immer am Zeigefinger trug - blitzte dabei kurz in dem letzten Rest Abendsonne auf, der durch den Spalt meiner immer geschlossenen violetten Gardinen schien: „Vielleicht doch. Ich bin viel herumgekommen, ich kenne eine Menge Leute.“ „Ihn sicher nicht...“ „Versuch es. Wie heißt er denn?“ Ich warf meine Arme in die Luft: „Das ist es ja! Ich habe keine Ahnung!“ Sie zog eine ihrer friedhofsblonden Augenbrauen hoch: „Das musste du mir erklären.“ „Ich weiß nicht wie er heißt.“ „Du bist seit fast 2 Monaten konsequent bei ihm unterwegs und weißt nicht wie er heißt?“ Ich zog die Augenbrauen zusammen: „Wer sagt das ich bei ihm war?“ Lola schüttelte den Kopf: „Du warst noch nie so oft weg. In den ganzen 4 Jahren nicht. Ich war auch mal jung, Liebes. Jung und verliebt. Ich weiß wie sich ein verliebtes Mädchen verhält.“ „Aha und wie?“ „Wie du. Backt ihm Geschenke, ist ständig bei ihm, weint über Kleinigkeiten wie ein Schlosshund.“ „Das war keine Kleinigkeit!“ „Ja, was war es dann?“ ‚Ach Fuck…‘, ich seufzte: „Is‘ egal…“ Lola verzog den Mund: „Ich kann es immer noch nicht fassen, dass du seinen Namen nicht kennen willst. Hast du nur ‚Hey du da‘ gerufen, oder wie?“ „Nein...“, ich schaute auf mein Kissen. Darauf waren viele schwarze Striemen, wahrscheinlich von meiner Schminke: „Er hat ‘nen Spitznamen und den benutzen alle.“ „Welchen denn?“ Ich schaute traurig wie ich war zur Seite: „… ‚The Undertaker‘...“ Urplötzlich fing Lola laut an zu lachen. Ich zog die Augenbrauen zusammen: „Warum lachst du denn jetzt so blöd?“ Mit ihrer beringten Hand wedelte sich die rüstige Küchenchefin Luft zu: „ ‚The Undertaker‘? Ein sehr ulkiger Spitzname.“ „Ja… Er ist halt Bestatter...“ „Kann ich mir gar nicht vorstellen“, lächelte sie immer noch halb kichernd. „Das ist echt nicht lustig, Lola...“ Lola nahm mich an den Schultern: „Hach Sonnenschein. Lachen heilt. Versuch es.“ „Nein! Nein, ich werde nicht lachen! Ich habe von Lachen, Kichern, Gelächter und Gegiggel die Schnauze SOWAS VON VOLL!“, das LETZTE was ich wollte ist lachen. Ich hatte schon immer Undertakers Lachen im Kopf und es folterte mich zu Tode. Und dieses Lächeln… Dieses atemberaubende Lächeln, unter diesen atemberaubenden Augen… Mit dieser atemberaubenden grünen Farbe…:‘ AAAAAAAHHHHHH! WAS ZUR HÖLLE! GEH‘ WEG! GEH‘ ENDLICH AUS MEINEM KOPF RAUS!‘, auf diesen Gedanken folgte ein weiterer körperlich wie seelisch schmerzender Weinkrampf. Ich versteckte das Gesicht in meinem Kissen, doch mein Schreien… ich schrie so laut während ich weinte. Es zerriss mir die Kehle, doch ich.. ich konnte nicht aufhören: ‚Geh‘… bitte... Geh‘ endlich… Bitte...‘ Ich landete in Lolas Armen. Ich hatte keine Kraft mich zu wehren. Ich rollte mich in die Arme meiner Tante Amanda und weinte… und schrie… Ich weinte und schrie und war einfach nur erbärmlich. Und in meinem Kopf lachte es… und es tat so weh. Weil es so schön war und ich es so mochte und nie wieder hören würde. Nach einer gefühlten Ewig schwand mein Weinkrampf in einem leisen Wimmer. Lola strich mir über den Rücken: „Himmel, Herzchen. Dich hat es ja voll erwischt.“ Ich nickte in mein Kissen hinein. „Dieser ‚Undertaker‘ muss ein sehr spezieller Mann sein.“ Ich nickte wieder in mein Kissen. Er war speziell… Er war stark, hatte einen einzigartigen Charakter und sah verdammt gut aus, weil er so verdammt außergewöhnlich aussah. Diese Haare, diese Augen, sein Gesicht perfekt. So perfekt, dass es eine riesige Narbe einfach nicht entstellen konnte: ‚Oh bitte geh‘… da doch endlich raus… Ich mag nicht mehr… Ich kann nicht mehr...‘ „Ich hab eine Idee“, Lolas Hände griffen meine Schultern und drückten mich aus dem Kissen in den Sitz: „Du hast doch heute sicherlich nichts mehr vor, oder?“ „Nein“, zog ich meine Nase hoch. „Wie wunderbar! Ich auch nicht!“, Lola hob eine ihrer schwarzen Stofftaschen hoch. Eine wie die, in der ich Undertaker die Teilchen in den Laden gebracht habe. Mein Herz krümmte sich. Sicher hat er auch da gelogen… Er hatte sie sobald ich weg war sicher weggeworfen. Doch Lola lächelte mich an: „Hier drin sind 4 Becher Ben & Jerry‘s. Einmal ‚Strawberry Cheesecake‘, einmal ‚Strawberry Swirled‘, einmal ‚Halfbacked‘ und einmal ‚Blondie Brownie‘ und die DVD von Frankenweenie. Was sagst du? Wir gehen rüber, schmeißen die DVD ein und stopfen uns mit Eis voll, hm?“ Ich blinzelte sie an: „… Strawberry Cheesecake?” Das war meine Lieblingssorte... Sie nickte. „… Echt?“ „Ja.“ „Aber… die sind doch so teuer… Willst du die wirklich teilen?“ Lola lachte sanft: „Herzchen. Nichts ist zu teuer um ein gebrochenes Herz mit Eis zu kitten, glaube mir. Also?“ „Und… du hast wirklich Frankenweenie mitgebracht?“ Lola lachte wieder: „Das ist doch dein Lieblingsfilm, oder?“ Ich nickte: „Ja… schon...“ „Dann komm“, Lola zog mich auf die Füße und legte mir meine Bettdecke um: „So. Wir machen uns jetzt einen Frauenabend, Herzchen. Keine Männer weit und breit. Der wird sich eh noch ärgern dich losgeworden zu sein.“ Ich seufzte: „Ich bezweifle es...“ Lola zog mich ins Wohnzimmer: „Nein, nein, nein. Dem ist ein Fang durch die Lappen gegangen! Er sollte sich in ‚The Idiot‘ umtaufen lassen.“ „Eigentlich hab ich den Mist gebaut...“ Die Küchenchefin setzte mich auf die Couch und sich daneben: „Was hast du denn gemacht?“ „Ich… bin einfach weggerannt...“ Ihre Augenlider flatterten verwirrt: „Wie? Warum?“ „Weil...“, ich wickelte mich fester in meine Decke und drückte wieder mein Kopfkissen, das ich immer noch im Arm hatte und deswegen mitgenommen hatte: „Wegen dem was er gesagt hat. Er ist… auf den ersten Blick echt gruselig, doch ich dachte nicht, dass er wirklich SO gruselig ist. Da hab ich Angst bekommen und bin weggerannt...“ Lola blinzelte mich weiter an: „Heilige Scheeeeiße...“ Ich schaute sie mit zusammengezogenen Augen an. Ich habe noch nie eine 64 Jährige ‚Heilige Scheiße‘ sagen hören und schon gar nicht so. Aber Lola war immer sehr schülernah. Wahrscheinlich hielt das jung. Ich schüttelte den Gedanken weg. „Er ist trotzdem ein Idiot“, stand sie auf und legte die CD in den Spieler. „Hallo? Ich bin gerannt wie ein Hase...“ „Und er hat dich vergrault. Also ist er ein Idiot.“ Ich ließ meinen Kopf hängen: „Er ist kein Idiot...“ Lola setzte sich wieder und septe durch das Menü der DVD: „Das sagen alle verliebten Mädchen. Was du fühlst geht vorbei, Sky. Hat er versucht dich aufzuhalten? Oder dich wenigstens angerufen? Irgendwas gemacht?“ Ich schaute auf mein Kissen: „Er hat die Hand nach mir ausgestreckt...“ Und ich war einfach weiter gelaufen. Mein Herz schrie mich an, wie dumm ich doch war… „Und du?“ „Hab Angst gekriegt...“ „Warum?“ „Weil… wegen…“, ich seufzte: „Dad...“ Lola legte mit einem mitfühlenden Stöhnen den Kopf schief: „Oh nein… Sag nicht du hast gedacht...“ Ich nickte bevor sie zu Ende sprechen konnte. „Oh weh. Nicht, dass das alles nur ein riesen Missverständnis ist. Aber, er hat dich nicht angerufen, oder du ihn, oder?“ Ich schüttelte den Kopf. „Das solltest du klären, Hase. Du bist vorbelastet und wenn man das nicht weiß dann...“ „Er weiß es...“ Jetzt blinzelte Lola in Unverständnis: „Dann... ist er wirklich ein Idiot.“ „Er ist kein Idiot!“ Lola lachte: „Ach, nimm ihn nicht so in Schutz, Schatz.“ Ich seufzte nur. Ich war der Idiot, nicht er. „Komm“, Lola legte den Kopf schief und griff ihre Tasche: „Kein Wort über Männer mehr, ok?“ Ich seufzte: „Ja… ok...“ Dann langte sie zu dem kleinen Schrank auf dem die Kaffeemaschine stand und zog zwei Löffel aus der Schublade. Sie gab mir das ‚Strawberry Cheesecake’ Eis und startete den Film. Ich liebte diesen Film. Er ist so süß. Mein absoluter Lieblingsfilm. Doch die Tatsache, dass der kleine Hund überall an seinem knuffigen Körper so viele Narben hatte, machte mein Befinden nicht ansatzweise besser. Doch ich schwieg. Lola gab sich so viel Mühe. Ich wollte es ihr nicht versauen. Doch ich starrte die ganze Zeit auf die lange Narbe direkt auf der Schnauze des kleinen Hundes, die von allen die schlimmste war. Als die Sonne wieder aufgegangen war, lag ich in meinem Bett. Ich konnte nicht sagen, ob ich geschlafen hatte. Weder wusste ich, ob ich wirklich wach gewesen war. Nachdem wir das Eis restlos verputzt hatten und Lola gegangen war, war ich in mein Bett gefallen. Und ich hatte weiter geweint. Immer weiter geweint. Ich hatte geweint, weil mich dieser Hund mit seinen ganzen Narben, so sondergleichen an den Bestatter erinnert hatte, dass ich diesen Film nie wieder schauen können würde. Es hatte so wehgetan. Dieser Hund hatte sein Herrchen so lieb gehabt. Doch mich… mich hatte der Bestatter nicht lieb… Er mochte mich noch nicht einmal... Dieser Gedankengang war so dumm, wie die Tatsache, dass mich ein Hund mit Narben so an ihn erinnern konnte. Doch heute weinte ich nicht mehr. Heute lag ich einfach nur da und dachte nach. Träge und schlaff. Ich hatte das Gefühl mit meinen Tränen wurde jedes Gefühl aus meinem Körper gewaschen. Nur ein unterschwelliges Surren in meiner Seele erinnerte mich daran, was ich getan hatte. Ich stand auf. Ich ging duschen. Verband mir mein schmerzendes Knie. Sogar mit der Bandage des Bestatters. Zog mein schwarzes Lieblingsoberteil mit den ¾ Ärmeln, meine schwarzen Beinstulpen, eine schwarze Jeanshotpant und eine dunkle, violette Strumpfhose an. Band mir gedankenverloren das kleine Zöpfchen und fragte mich noch im Tun wieso. Denn nun verband mich und den Bestatter ja wirklich gar nichts mehr. Ich trank sogar einen Kaffee, doch wenn mich jemand fragen würde, was ich diesen Sonntag getan hatte, ich könnte ihm nicht antworten. Oder zumindest nicht richtig. Ich wusste nur noch, dass ich im Wohnzimmer gesessen hatte, als die Wohnungstür auf und wieder zu ging. Amy kam ins Wohnzimmer. Eine Jogginghose und eine Sportjacke an: „Sky?“ Mein Kopf zuckte zu ihr hoch: „Hm?“ „Du siehst beschissen aus.“ „Danke für das Kompliment.“ Amy schüttelte seufzend den Kopf und setzte sich zu mir auf die Couch: „Was ist los, hm?“ Jetzt schüttelte ich den Kopf: „Ich will nicht darüber reden.“ „Das letzte Mal, dass ich dich so gesehen hab, war nach dem Tag an dem Lowell deine Eltern aus dem Wohnheim werfen musste.“ Ich erinnerte mich an den Tag. Elternsprechtag im zweiten Jahr. Irgendwie hatte meine Eltern Wind davon bekommen und waren zu mir in die Schule gekommen. Als mein Vater mit seiner strikten, kalten Stimme meinen Namen gerufen hatte und ich ihn gesehen hatte, war ich gerannt wie ein Hase. Genau wie… Ich wischte mir durchs Gesicht: „Erinner‘ mich nicht...“ Ich merkte ihre Hand auf meiner Schulter: „Wie lange sitzt du schon hier?“ Ich seufzte: „Eine Weile...“ „Den ganzen Tag, also“, verstand Amy sofort: „Ach Süße, was machst du nur?“ Wieder ein Kopfschütteln. Amy seufzte: „Warum hast du mit Undertaker gestritten?“ „Wie kommst du darauf, dass wir gestritten hätten?“ „Ich bin nicht blöd, Sky.“ „Wir haben nicht gestritten.“ „Was dann? Irgendwas ist ja wohl passiert.“ Ich seufzte erneut. Ich wusste nicht wirklich wie ich Amy erklären sollte, was am Freitagabend passiert war. Ich hatte auch keine große Lust dazu es zu erzählen: „Es ist einfach egal, ok?“ Amy legte den Kopf schief: „Du siehst aber nicht so aus, als sei es dir egal.“ „Doch… es ist mir egal.“ „Nein, du lügst.“ „Ach, lass mich in Ruhe.“ „Sky, ich...“ „Amy“, unterbrach ich sie uns schaute ihr ins Gesicht: „Ich habe keine Lust darüber zu reden, klar?“ „Warum nicht? Du weißt, dass du über alles mit mir reden kannst. Oder denkst du ich stehe per se auf Undertakers Seite?“ „Das ist es nicht“, schaute ich schräg zu Boden. Amy machte sich immer ihren eigenen Kopf. Sie als parteiisch zu bezeichnen würde ihr nie gerecht werden. Ich wollte einfach nicht darüber nachdenken was geschehen war. Ich hatte keine Lust mehr an den Totengräber zu denken. An seine traurigen Augen. An den Mist, den ich gebaut hatte. Daran wie weh das alles tat. Amy schaute mich eindringlich an, aber ich dachte nicht daran mit ihr zu sprechen. Es half doch eh nichts. Nichts und Niemand könnte mir jetzt irgendwie helfen. „Ich finde es keine gute Idee, wenn du wieder anfängst Dinge in dich hinein zu fressen, Sky.“ „Ach!“, ich stand auf: „Was du findest ist mir echt egal.“ Dann humpelte ich aus dem Zimmer, ohne Amy weiter zu beachten. Was war an einem Nein nur so schwer zu verstehen? Doch ihre Hand hielt mich fest: „Wir gehen eine Runde spazieren.“ „Ich will nicht spazieren gehen.“ „Wir tun das jetzt aber. Ich hab keine Lust auf das Spiel, Sky. Es geht dir nicht gut und ich habe Informationen die dir fehlen, um das alles besser zu verstehen.“ Ich zog Augen und Augenbrauen zusammen: „Inwiefern? Was denkst du muss ich besser verstehen?“ „Ich hab mit Sebastian gesprochen und er hat mir ein paar Dinge erklärt.“ Ich legte den Kopf schief: „Was hat denn jetzt Sebastian damit zu tun?“ „Na“, machte Amy und verschränkte die Arme: „Du und unser lieber Undertaker seid euch vielleicht gerade nicht in allzu vielem einig, aber darin, dass Schweigen Gold ist. Aber ich hab wenigstens aus Ronald rausbekommen, dass es um die Campania ging“, sie breitete die Arme aus um ihren im nachfolgenden verbalisierten Anstrengungen zu unterstreichen: „Da ich ja eine mitfühlende und ambitionierte Freundin bin, ließ ich mich nicht unterkriegen und hab mir einfach jemand anderen gegriffen, der auch auf der Campania war. Unseren guten alten Butler, Sebastian. Der erinnert sich noch lebhaft an alles was passiert war, glaub‘ mir, auch wenn auch er nicht gerne darüber spricht, weil er mächtig von Undertaker auf die Fresse bekommen hat. Aber er ist Papas Butler und hatte keine Wahl.“ Ich zog meine Augen ein weiteres Stück zusammen: „Nichts was du mir erzählen kannst, kann irgendwas ändern.“ „Warum nicht?“ „Weil…“, ich seufzte: „Es vorausgesetzt sein müsste, dass der Fehler bei Undertaker liegt, was er nicht tut.“ „Sondern?“ Ich legte den Kopf schief: „Was wohl...“ „Bei dir. Wenn es nach dir geht, liegt es immer an dir.“ „Es liegt immer an mir, Amy...“ „Das ist Blödsinn. Weißt du, manchmal liegt der Fehler bei niemanden, oder beiden.“ „Wie soll das denn gehen?“ Amy seufzte und stand auf: „Undertaker… erzählt Dinge sehr schonungslos. Auf die Art, wie er einfach ist und die ist teilweise recht schwer zu verkraften. Du bist recht sensibel. Manchmal krachen einfach zwei Dinge aufeinander die in dem Moment nicht passen. Das hat dann aber nichts mit irgendeiner Schuld zu tun. Das ist einfach nur doof gelaufen.“ Ich schaute zu Boden: „Ich hab mich aufgeführt wie der letzte Trottel. Es gibt einen Schuldigen und der bin ich...“ „Na, wenn dem so ist dann bieg es wieder gerade.“ „Das“, ich schüttelte den Kopf: „Kann ich nicht...“ „Zieh dir Schuhe an“, sagte Amy sanft: „Wir reden bei einem kleinen Spaziergang, ok? Bewegung macht den Kopf frei. Du siehst so aus, als könntest du das vertragen.“ Bewegung vielleicht. Meinem Knie ging es noch nicht wieder 100% gut, doch auf jeden Fall viel besser. Aber ein Gespräch über den Bestatter… dass brauchte ich wirklich nicht. „Ich nerve dich so lange bis du ja sagst“, grinste Amy: „Also sag am besten einfach ja.“ Ich seufzte. Wenn es der jungen Phantomhive Jr. an etwas nicht mangelte war es Beharrlichkeit. Also schaute ich Amy mit meinem ‚Du hast gewonnen, aber begeistert bin ich nicht‘ Blick an. Grinsend schob sie sich an mir vorbei: „Ich zieh mich kurz um, ok?“ Ich nickte nur. Während Amy sich umzog, schlüpfte ich in meine schwarzen, ausgetretenen Bikerboots, meinen Poncho und zog mir einen violetten Long Beani auf den Kopf. Ich zupfte noch meinen Pony zurecht, sodass er nicht unter der Mütze saß und zog den Zipfel nach unten um nicht wie einer der sieben Zwerge auszusehen, als Amy in Bikerboots, schwarzer ripped Jeans, einem dunkelblauen Longpullover, ihre Lederjacke und die Haare zu einem buschigen Pferdeschwanz gebunden auf den Flur kam. Sie harkte sich bei mir ein und wir verließen das Wohnheim in die kalt leuchtende Novembersonne. „Also?“, fragte Amy als wir auf den sauberen Wegen Richtung Swan Gazebo schlenderten: „Was hast du getan?“ Ich seufzte: „Ich habe Undertaker nach der Campania gefragt...“ „Und?“, zog Amber mich weiter. „Und...“, ich seufzte wieder, frustriert von mir selbst: „Als er mir ehrlich antwortete bin ich einfach weggerannt.“ „Weggerannt?“ „So schnell ich konnte...“ „Wow“, die Phantomhive schaute mich an: „Wow… hart.“ Ich nickte stumm: „Wird wohl ‘nen bleibenden Eindruck gemacht haben...“ „Kann ich mir vorstellen.“ Ein paar Minuten gingen wir schweigend durch die Abendsonne. Wir erreichten den Swan Gazebo. Langsam schlenderten wir zum Ufer der im Abendrot schimmernden Themse. Ich seufzte erneut: „Ich bin ein ziemlicher Trottel, Amy...“ „Das kommt drauf an, was er dir erzählt hat. Wovon weißt du?“ „Dass Undertaker mit seinen Dolls, oder wie die heißen, 1873 Menschen umgebracht hat.“ „Mehr nicht?“ „Hat mir gereicht.“ Nun seufzte Amy: „Ok, verständlich. Aber du weißt nicht warum sie auf der Campania waren, oder?“ „Doch“, ich verschränkte die Arme im Gehen: „Weil Undertaker sie dorthin gebracht hat.“ „Ja… auch. Aber sagen dir die Namen Rian Stoker und ‚Osiris‘ etwas?“ Ich blinzelte sie an: „Stoker, ja. Er war ein Arzt und bat Undertaker um Hilfe. Er hat auch irgendeinen Verein aufgezogen, der wohl ziemlich beschissen war. Osiris sagt mir allerdings nichts.“ Ich überlegte kurz, ob ich das alles überhaupt wissen wollte. Es machte keinen Unterschied. Bei Undertaker war ich unten durch, egal wie viel ich wusste. Doch meine Neugier war stärker als meine Frustration. Denn ‚Osiris‘ hatte der Bestatter wirklich mit keinem Wort erwähnt. Amys Kopf fiel mit einem kleinen Lächeln zur Seite, als sie die Arme verschränkte und einen Zeigefinger erklärend in die Luft hob: „Stokers Verein wurde von einer amerikanischen Firma namens ‚Osiris‘ aufgekauft. Diese Firma wollte die ‚Bizzare Dolls‘ als biologische Waffen gebrauchen, da sie keine Schmerzen spüren und lebende Menschen sofort attackieren. Um zu testen wie effektiv sie waren, wurden genauso viele Dolls wie Menschen auf die Campania gebracht. 2400 von jeden. 700 Menschen überlebten. Von den Dolls keine.“ „Du meinst… das mit der Campania war gar nicht Undertakers Idee?“ „Laut Sebastian, laut Ciel, laut Stoker nicht, nein. Hat Undertaker gesagt es wäre seine gewesen?“ Ich überlegte kurz: „Nun… Nicht direkt. Er sagte so etwas wie ‚Es sollte sich raus stellen, wer überlebte‘.“ „Siehste“, machte Amy: „Undertaker ergeht sich nicht gerade in Leid und Schande und es wäre gelogen zu verleumden er hätte bei der ganzen Sache nicht seinen Spaß gehabt. Aber das Experiment angeleiert hat Osiris, auch wenn Osiris wahrscheinlich immer nur eine Scheinfirma war. Aber Sebastian schwieg darüber. Er meinte das wäre auch kein wichtiges Detail für uns und wahrscheinlich hat er Recht. Undertaker war nur neugierig und hat deswegen mitgemacht.“ Ich zog eine Augenbraue hoch: „‘Nur neugierig‘. Das ist eine nette Umschreibung. Er nannte es ‘mehr als nur billigend in Kauf genommen‘.“ Amy seufzte wieder: „Ja… Er ist kein Menschenfreund, das stimmt. Aber verübeln kann man es ihm eigentlich nicht. Er hat schließlich die meisten Kriege der Menschheit als Grim Reaper mitbekommen. Cool war das sicher nicht.“ „Du nimmst ihn in Schutz.“ „Ja und nein“, Amy legte den Kopf auf die andere Seite, als wir stehen blieben: „Er ist immer noch wie ein Onkel für mich. Er war da, wenn meine Eltern keine Zeit für mich hatten. Aber er ist auch ein Mörder. Doch wenn er Ciel damals nicht so zu gesetzt hätte, würde es das Geschlecht Phantomhive vielleicht nicht mehr geben. Dann hätte wir uns nie getroffen, weil ich schlicht und einfach nicht existieren würde.“ Alles zog sich zusammen. Ich ohne Amy… das… das geht nicht! Ich kann… will nicht ohne Amy sein! Eine Welt ohne sie wäre einfach nicht… lebenswert! In keinster Weise! „Wie...“ Amy schaute mich eindringlich an: „‘The Fallen will rise‘. Das Credo meiner Familie. Dieses Credo impliziert zwei Dinge: Das man fallen muss, um wieder aufzustehen und das man aufstehen muss, nachdem man gefallen ist. Ciel fiel. Früh. Doch er stand nicht aus eigener Kraft auf. Sondern durch Sebastian. Trotzdem trug er seine Nase so hoch, dass er fallen musste. Beide Seiten dieses Credos auf einmal zu brechen klingt unmöglich, doch das ist es nicht. Ciel hat es getan und Undertaker hat dafür gesorgt, dass er es gerade biegen musste. Weil Ciel Vincents Sohn war und er Vincent geschworen hatte auf seine Familie aufzupassen. Sebastian ist stark und Undertaker ist wahrscheinlich mit Grell, Claude und Ash einer der Einzigen, die stark genug sind gegen ihn anzukommen.“ „Wer ist Ash?“ „Ein Engel. Sebastian hat ihn nach etlichem hin und her 1800-irgendwas im Meer an der Insel der Toten versenkt. Doch das ist eine andere Geschichte. Ich will sagen, dass alles was Undertaker machte einen Sinn hatte und nicht zwingend aus seinem Mist entsprungen ist. Was nichts dagegen tut, dass er es nicht verhindert, sondern belacht hat, ja. Er kam zu den Menschen, weil er gelangweilt und neugierig war. Weil er wissen wollte, ob das Ende eine Weiterführung haben kann. Weil er so alt ist und nicht sterben kann. Weil keiner ihn töten kann und seine verhassten Augen ihn vor den Dornen bewahren solange er denken kann.“ „Verhassten Augen?“, wie kann man diese Augen hassen? Amy kratzte sich am Kopf: „Er mag sie nicht. Undertaker hat die Theorie, dass die Vergebung der Reaper am Ende der Tod durch die Dornen des Todes ist. Weil sie der einzige natürliche Weg sind auf dem ein Reaper sterben kann. Doch… sobald ein Sterbender seine Augen sah, kann er noch so rasend gewesen sein, es verflog. Wo keine rasende Seele, da keine Dornen. Also auch kein Tod für ihn, also auch keine Vergebung. Ich glaube sein Alter hat ihn streckenweise… nicht verrückt gemacht, sondern eher den Menschen entfremdet. Ich glaube, dass er so verrückt ist, wie er ist, ist insofern gut, da die andere Option der totale Wahn und Wahnsinn gewesen wäre. Und wer will ihn denn aufhalten? Die Welt hatte die Wahl zwischen einem neugierigen und immer nach Belustigung suchenden Sonderling, oder einer aus Frustration wutschnaubenden Bestie. Ich begrüße den Weg den er gewählt hat.“ Ich atmete tief durch. „Auch muss man bedenken, dass Undertaker am Ende immer alleine da steht, weil einfach keiner bleibt.“ Ich schaute Amy wieder an. Sie sah traurig aus: „Eigentlich ist er eine ganz arme Socke. Und er hält sich gut dafür.“ Mein schlechtes schlechtes Gewissen blühte und gedieh. Doch… warum? Das ich weggegangen war, war ihm doch sicher gerade recht gewesen. Kein weiteres dummes Kind, auf das er zusätzlich weiter aufpassen musste. „Ich bin auf jeden Fall der Meinung, dass es viele Menschen gibt die schlechter sind als er. Schließlich haben ihn auch Menschen in den totalen Abgrund gestürzt.“ „Wie? Wann?“ „1885“, Amy streckte die Hüfte zur Seite heraus: „Mit dem Mord an Vincent und Rachel.“ „Rachel?“ „Vincents Frau. Menschen haben sie umgebracht und dadurch schien Undertaker endgültig jegliche Rücksicht gegenüber der Menschen verloren zu haben.“ „Inwiefern?“ Amy hob die Hände: „Menschen waren die Wesen, die ihm Vincent genommen haben. Und der war ihm wichtiger, als sich irgendjemand vorstellen kann. Als er ihn verloren hat, ist für ihn sicherlich die Welt komplett zusammen gebrochen. Er hielt schon vorher von Menschen nicht viel. Er hat viel gesehen was furchtbar war und viele Menschen sind wirklich sehr sehr schlecht. Auch heute noch. Undertaker… ist sehr moralisch. Auch wenn man es auf den ersten Blick nicht denkt. Es kotzt ihn an wie sich die Menschen gegenseitig behandeln, weil er es nicht verstehen kann. Er kann nicht verstehen, wie man jemanden denn man mögen oder lieben sollte einfach so schlimme Dinge antun kann. Er kann nicht verstehen wie Materielles über dem Wohl und Leben stehen kann. Für ihre Taten haben sie, seiner Meinung nach, jeden Segen verloren.“ Ich stockte. Meine Augen fielen zu Boden. Als Amy sagte, dass die Möglichkeit bestanden hatte, dass ich sie nie hätte treffen können, mir war sofort bewusst gewesen in was für einer tristen und schlimmen Welt ich gelandet wäre. Wie einsam ich wäre. Wie verlassen und ohne irgendetwas. Doch… Ich hatte Amy. Undertaker… hatte Vincent nicht mehr. Ich konnte mir gar nicht vorstellen wie es sein muss jemanden zu verlieren, der einem die Welt bedeutet. „Aber“, sagte ich schließlich: „Er ist doch selber furchtbar brutal.“ „Wenn es jemand nicht verdient hat, ist er der Letzte der ihm irgendetwas tun würde.“ „Es gibt keine weißen Westen, Amy.“ „Es kommt drauf an wie man weiß definiert. Lasterlos? Von jeder Schuld befreit? Nie einen Fehler begangen? So etwas gibt es wirklich nicht. Doch man kann seine Laster anerkennen, oder verleumden, dass sie da sind. Man kann zu seiner Schuld und Fehlern stehen oder sie abstreiten. Einige laden sich auch Schuld auf. Für das höhere Wohl. Sie erledigen die Drecksarbeit, damit andere in Frieden leben können. Warum denkst du, versteht er sich mit den Aristokraten und Grell, Ronald und William so gut? Haben sie Laster? Aber hallo, jede Menge. Sind sie sich dessen bewusst? Mit jeder Faser. Sind sie schuldig? Sie sind Mörder, Sky. Jede Generation von ihnen. Hundertfach. Die Reaper, weil es ihre Bestimmung ist. Stelle dir bitte eine Welt vor, in der niemand sterben kann. Würde auf Dauer eng werden, oder? Und die Nobelmänner lassen Menschen und Wesen verschwinden, die nur darauf aus sind sich selbst zu bereichern oder Anderen aktiv zu schaden. Oft beides zur selben Zeit. Sie tun was sie tun fürs allgemeine Wohl. Wissen sie, dass sie schuldig sind? Natürlich. Sagen sie es? Immer wenn du sie fragst. Und wofür? Für das höhere Wohl. Haben wir alle schon mal Fehler gemacht? Aus Fehlern lernt man, Sky. Niemand ist sich dessen mehr bewusst als Undertaker, der in seinen 200.000 Jahren laut ihm mehr Fehler gemacht hat, als er zählen könne. Und Fehler sind an sich wirklich nichts Schlimmes. Es geht nicht darum perfekt zu sein, es geht darum ehrlich zu sein. Es geht nicht um Rechtfertigung. Es geht darum dazu und dahinter zu stehen, was man tut.“ Ich wollte etwas sagen, doch ich verstummte schon im Luft holen. Mein Nacken zog sich zusammen. Meine Wirbelsäule brannte, als hätte mir jemand Lava in den Kragen gekippt: „Fuck!“ „Was?!“ In diesem Moment - von jetzt auf gleich – knallte es und der rote Abendhimmel wurde teerschwarz. Violette Wolken bildeten unheilvolle Wirbel. Rote Blitze zuckten durch das unnatürliche Wolkendach. Einer der roten, grellen Blitze sprang aus ihrer Mitte hervor, zerriss kreischend die Welt und schlug direkt neben uns in die Themse ein. Wir schrien und stolperten von dem Fluss weg. Das Wasser brodelte und begann zu sieden. „Was...“, japste Amy erschrocken: „War… ist das!“ „Keine Ahnung“, ich bewegte mich krampfhaft, um das Brennen aus meinem Nacken und Rücken los zu werden: „Doch es hat was mit Dämonen zu tun!“ „Was!“ „Dämon!“ „Schei… AH!“, ein lautes Platschen ging der gigantischen Welle voran, die Amy und mich traf. Obwohl es begonnen hatte große Blasen zu werfen, schwappte das Wasser novemberkalt über uns hinweg. Es riss mich von den Füßen. Alles verschwand in Blau und Blasen. Ich schluckte Wasser, fing an zu husten, wodurch ich nur mehr Wasser schluckte. Die Welle schwemmte uns bis zum Pavillon. Ich merkte wie sich die Fließrichtung drehte, als sich die Welle wieder zurück zog und mich mit sich nehmen wollte. Eine Hand griff meine. Als ich den Arm entlang schaute sah ich, dass Amy eine Säule des Pavillons gegriffen hatte und uns davon abhielt von der Welle in die Themse gezogen zu werden. Das Rauschen in meinen Ohren verschwand und Luft erreichte mein Gesicht. Es war kalt. Ich hustete und röchelte. Schnappte gierig nach der frischen Luft und Sauerstoff. Auch Amy hörte ich husten. „Ach du Scheiße“, machte schließlich die erstickte Stimme der Phantomhive: „Ach du heilige Scheiße!“ „Wa- ahu- ahu... Was?“, hustete ich gequält und öffnete die Augen. Amy brauchte nichts mehr sagen. Ich sah es selbst… und gab ihr sofort recht. Aus der Themse erhob sich, sicherlich so hoch wie der Big Ben, eine riesige Schlange. Ihre schillernden Regenbogenschuppen, wären sicherlich ein wunderschönes Farbenspiel, wäre das Vieh an sich nicht so potthässlich gewesen. Das Gesicht war flach. Gekrönt von einem Bullengehörn. Es hatte zwei Arme mit monströsen grässlichen Klauen. 5 an jeder riesigen, wulstigen Hand. Aus dem Wasser reckten sich 8 Tentakeln. Mächtige Gliedmaßen. Schillernd und vollkommen abartig. Mit einem kreischenden, bestialischen Schrei offenbarte es spitze, kolossale Zähne in seinem riesigen Maul und spreizte vier Flügel mit einer schier endlosen Spannweite. „Ein Leviathan!“, schrie Amy. „Ein Was?!“ „Ein Wasserdrache“, mit wedelnden Beinen stand sie auf und riss mich auf die Füße: „Ein hoher Dämon! Zur Hölle, komm!“ Das musste mir Amy wahrlich nicht zweimal sagen. Denn ‚zur Hölle‘ war genau die richtige Aussage. Angefacht von Angst, Panik und dem Sengen in meinem Nacken rannte ich der Phantomhive hinter her. Sie zückte ihr Handy: „Ruf‘ Sebastian an!“ „Mein Handy ist drin!“, schrie ich zurück: „Und leer!“ Sie wählte eine Nummer: „Ja, scheiße!“ Wir rannten weiter. Das Schreien und Geifern der Bestie im Rücken. Amy nahm das Handy vom Ohr: „Kacke! Er geht nicht ran! Wahrscheinlich ist er nicht zu Hause!“ Sie wählte eine neue Nummer. „Wer?!“, kreischte ich hysterisch und warf einen Blick über die Schulter. Das Monster wurde einfach nicht kleiner! Es stemmte seine Pranken auf und zerriss damit gefühlt das halbe Ufer. Ein weiterer Schrei krachte durch den violette verwirbelten Himmel. „Undertaker!“, hielt Amy ihr Handy wieder ans Ohr. „Du hast Undertaker angerufen?!“ „Klar, er ist am nächsten dran! Oder willst du lieber sterben?!“ „Ja!“, antwortete ich sofort. „Du spinnst doch!… Sebastian!“, wir rannten weiter. Amy hechelte in ihr Telefon: „...Swan Gazebo! … Ein Leviathan!... Komm schnell!… Der ist nicht Zuhause!… Natürlich rennen wir! Das Vieh ist riesig!“ Ich schaute noch einmal über die Schulter. Der Leviathan hatte mit einer Tentakel ausgeholt und schob sie über den Boden. Der Pavillon sprang wie eine Glasfigur. Büsche und Bäume knickten ab wie Strohhalme. Und sie kam direkt auf uns zu. „Amy!“, ich sprang ihr in den Rücken. Wir fielen auf das von der Welle nasse Gras. Amy sprang das Handy aus der Hand. „Beeil dich, Sebastian!“, schrie sie in das vor sich liegende Telefon. Dann schob sich die Tentakel über uns hinweg. Sie stank nach Schwefel und irgendetwas Saurem. War klamm und glitschig. Eine Schicht komischen Glibbers blieb auf uns und der Wiese zurück und ich wollte um keinen Preis der Welt wissen was das eigentlich war. Doch da wir so klein waren und flach auf dem Boden lagen, kullerten wir nur ein paar Mal um unsere eigene Achse und blieben auf dem Rücken liegen. Ich stemmte mich auf. Abermals schrie das Biest und ein Paar große, amphibische Ohren stellten sich wie eine höllische Krone auf seinem Kopf auf. „Wie hoch ist hoch?“, fragte ich Amy in Anbetracht des gewaltigen Monsters. „Sebastian wird seine liebe Freude damit haben“, antwortete sie die Antwort, die ich nicht hören wollte. „Glaubst du er kommt pünktlich?“ „Bete“, antwortete Amy in Schreck erfroren. „Er ist eine Dämon“, starrte ich das Vieh weiter an. Ich merkte wie bleich ich war. Amy berappelte sich als Erste: „Dann ketzte!“, sie riss mich wieder auf die Füße: „Aber tu‘ es rennend!“ Ich schnappte Amys Hand und wir rannten. Hinter uns hörten wir das Schlagen von Wassermassen und das Gebärden und Brüllen dieses Untieres. Ein Flirren surrte durch die Luft. Das gleiche Geräusch wie bei der ersten Tentakel -attacke. Wir drehten uns im Laufen herum… und sahen die Tentakel. „Verdammt!“, mein Kopf flog wieder zu meiner besten Freundin. „Renn!“, schrie Amy. Nicht, dass ich stehen geblieben wäre. Wir rannten. Wir rannten um unser liebes Leben. Immer wieder hörten wir die Tentakeln auf den Boden krachen. Es fühlte sich an als würde der Grund von vielen kleinen Erdbeben geschüttelt werden. Immer wider kamen die Phantomhive und ich ins Straucheln. Ein weiteres ungutes Geräusch schwirrte durch die Luft. Mein Kopf flog nach rechts. Ein großer Brocken des Pavillons flog in die Richtung, in die wir liefen. Ich bohrte meine Hacken in den Boden und mich und Amy zu stoppen: „Stop!“ Amy blieb an meiner Hand hängen. Der Brocken schlug nur ein paar Meter vor uns in den Boden ein. Die Phantomhive starrte auf das Trümmerstück: „Das war knapp...“ Das schlechte an der Sache war allerdings, dass das Trümmerstück vor dem Tor gelandet war, welches den Swan Gazebo von dem Schulgelände trennte. Nun lag ein hoher von Efeu und Schlingpflanzen bewachsener Gartenzaun, zwischen uns und dem weiteren Weg. „Wir kommen nie schnell genug über den Zaun! Das schaffen wir nicht“, schrie ich. „Ich hoffe du bereust nichts“, hauchte Amy angesichts der totalen Niederlage. Auf einmal ging eine Erschütterung durch die Wiese, die viel stärker war als die vorangegangenen. Wir wedelten mit unseren Armen um unsere Balance zu halten. Ein heißer Stich fuhr durch meinen Nacken. Die Welt verlief in Zeitlupe. Es wirkte alles so lange und langsam. Doch es waren nur Sekunden. Dann bröckelte der Boden unter unseren Füßen. Ich schaute zu Amy... und schubste sie weg. So stark ich konnte. Sie fiel nach rechts, ich nach links, als einer der Tentakeln aus der Erde hervor brach. Hart landete ich in der Wiese. „Sky!“ „Junge Lady!“, mit diesen Ausruf griff sich der Butler - der aus dem Nichts auftauchte - die Tochter seines Meisters... „Nein!“, Amy streckte die Hand nach mir aus. Und ich schaute zu ihr mit einem Lächeln: „Prefect vor Fag.“ Der Adelstochter flogen Tränen vom Gesicht: „WAS?!?! Sebastian, nein!“ … und sprang davon. Adelstochter vor Straßenkind. Zukunftsfroh vor Hoffnungslos. Außergewöhnlich vor Belanglos. Phantomhive vor Rosewell. Und als Sebastian mit Amy davon sprang, keimte Erleichterung in mir auf. Denn wenn ich Amy verlor, dann hatte ich endgültig alles verloren. Die Tentakel raste auf mich zu. Ich hob die Hände vor mein Gesicht und ich kniff die Augen zusammen… ...Und Gott… ...Ich bereute so vieles… „SKY!“                       *Lacrimosa by Kalafina; 2nd Black Butler Ending (englische Lyrics) Undertaker 25. 25 Pfandleier, Secondhandshops und Läden die Gold ankaufen später, war ich wieder in meinem Laden eingekehrt. Ohne meine Lockets. Merkenau krähte mich an, doch ich sagte kein Wort zu dem sich beschwerenden Raben. Mit einem lauten Scheppern landeten meine Sotoba in dem Sarg, in dem sie immer brav und treu auf ihren nächsten Auftritt warteten. Mit einem weiteren Krachen warf ich seinen Deckel zu. Merkenau blinzelte mich an und war beim ersten Krach still geworden. Er saß in seinem verklebten Federkleid auf dem Tresen und musterte mich mit einem eindeutigen Ausdruck in dem kleinen Gesicht. „Ja“, sagte ich schließlich nach einem tieferen Seufzen, als ich selbst von mir gewohnt war: „Man könnte es als schlechten Tag bezeichnen.“ Ich verschwand kurz in der Küche, um eine Schüssel mit lauwarmen Wasser zu füllen. Zumindest hoffte ich, dass es lauwarm war. Nach dem zwei Spritzer Shampoo darin gelandet waren stellte ich sie auf den Tisch. Ich zog meine beiden Mantel aus und krempelte meine Ärmel hoch, bevor ich Merkenau hinein setzte, um ihn zu baden. Mit wild flatterndem Flügel fing er an zu krähen, als ich ihn abgesetzt hatte. Ich hielt eine Hand vor das Gesicht um es vom herumspritzenden Wasser fern zu halten: „Wah! Was machst du?!“ Mit der anderen Hand fischte ich den Vogel wieder aus der Schüssel. Dieser krähte mir verständnislos entgegen. Ich seufzte: „Zu kalt?“ Merkenau schüttelte das kleine Köpfchen. „Zu warm?“ Merkenau nickte. Mein Kopf fiel zur Seite: „Pardon, kleiner Freund.“ Nachdem ich ein bisschen kaltes Wasser nach geschüttet hatte, tastete Merkenau erst mit seinem Füßchen das Wasser, bevor der mit Zucker und trockenem Tee besudelte Rabe von meiner Hand hinein hüpfte. Mit gezückten Taschentuch rubbelte ich die Überreste meines beinahe Herzinfarktes von dem kleinen Vogel. Merkenau krähte mir etwas zu, als ich gerade seinen Schnabel putzte. Ich nickte dem Vogel zu: „Ja, mit Skyler und Amber ist alles in Ordnung.“ Er krähte noch mal. „Nein, mit mir eher nicht.“ Ein weiteres Krähen. Ich seufzte noch einmal und band den Verband ab: „Claude, Hannah und Oliver sind mir entwischt und meine Anhänger sind im Nichts verschwunden. Ja, ich habe schlechte Laune.“ Dann flatterte Merkenau einmal mit den Flügeln und es landete ein großer Schwall Wasser in meinem Gesicht. Dann stockte ich. Ich wischte mir den nassen Pony aus dem Gesicht und schaute den kleinen Raben an: „Hast du gerade mit beiden Flügeln geflattert?“ Merkenau krähte stolz. Ein Lächeln zog sich wieder auf mein Gesicht: „Hehe. Wenigstens eine gute Nachricht.“ Ich befühlte seinen Flügel: „Ja, das fühlt sich gut an und ein ganzes Stück gewachsen bist du auch.“ Ich unterhielt mich noch eine Weile mit dem kleinen Vogel, während ich ihn badete und trocken rubbelte. Anschließend fiel ich ermattet in einen meiner Särge. Ich stellte ein weiteres mal fest, wie schön das war. Denn mein Rücken hatte sich noch nicht gänzlich von dem Gästebett der Phantomhives erholt. Es wunderte mich am nächsten Morgen selbst wie schnell ich eingeschlafen war. Kaum hatte ich den Deckel geschlossen, spürte ich wie müde ich war. Nicht zwingend körperlich, aber meine Seele war erschöpft. Erschöpft von dem doch recht nervenaufreibenden letzten Stunden. Nachdem ich die Augen geschlossen hatte, war ich auch schon in ein dickes Traumschwarz gefallen. Meine Augen sprangen auf, als ich am nächsten Morgen hörte wie meine Türe sich öffnete. „Hallo?“, hallte eine Frauenstimme durch meinen Laden. Ich kannte diese Stimme nicht. Vorfreude auf das Gespräch keimte in mir auf. Doch dann hörte ich eine ganze Schar Füße durch meinen Laden gehen. Ich stockte kurz. Ich schätzte, dass 12 Füße, 6 Paar, durch meinen Laden streiften. „Ist hier jemand?“, rief eine andere Stimme. Männlich. Ebenfalls unbekannt. „Kihihihi“, schob ich meinen Sargdeckel zur Seite und schwang mich in einer runden Bewegung aus meinem Sarg. Als ich stand und mich zu meinen Besuchern gedreht hatte verbeugte ich mich: „Einen wunderschönen guten Morgen, die Herrschaften.“ Ich hatte recht. 6 Menschen, 3 Männer, 3 Frauen, standen in meinem Laden. Selten hatte ich ihn so voll gesehen. Sie trugen durchgehend weiß, abgesetzt mit roten Nähten und Dekorationen. Die Frauen trugen ein Kleid, mit ausladendem Rock vorne bis zu den Knien, hinten etwas länger. Darunter trugen sie einen weiteren weißen Rock, dieser reicht bis zu den Füßen. Die Kleider hatten Glockenärmeln und darüber eine leuchtend rote Unterbrustkorsage, sowie eine weiße Gugel mit großer Kapuze. Die Männer trugen eine Art Uniform in reinweiß, mit Hose, Hemd, weißen Lackschuhe und einer langen, offenen Robe mit auffälligem roten Muster. Unter meinem Pony zog sich eine Augenbraue hoch. Kaum hatte ich die 6 reinweißen Gestalten gesehen, war ich zu gleichen Teilen interessiert wie skeptisch. Reinweiß trugen per se nur die Leute, die alles andere als eine weiße Weste hatten, doch sich eine wünschen würden, oder fälschlicher Weise dachten sie hätten eine. Dass sie für ihre Verzierungen die Farbe rot wählten, sprach ebenfalls Bände. Ihr einheitlicher Aufzug zeugte von einer tieferen Verbindung dieser 6 Menschen und ich war mir sicher, es nicht mit 6 der sympathischen Vertreter der menschlichen Rasse zu tun zu haben. Eine junge Frau - vielleicht zwei oder drei Jahre älter als Skyler und Amber - stellte sich mit einem Lächeln auf dem Gesicht, dass ihr strenger, blonder Pferdeschwanz von Haaren befreit hielt, vor mich, schob ihre Hände in die weiten Ärmel und verneigte sich tief: „Seid gegrüßt, werter Herr.“ Meine zweite Augenbraue wanderte der ersten hinter her. Die Frau sprach sehr deutlich und sehr langsam, wirkte schon fast tranceartig oder benebelt glücklich. Etwas, was ich eigentlich sicher als belustigend empfunden hätte, würde sie nicht einen ganz künstlichen Eindruck auf mich machen. Die Art von künstlich, die der Künstelnde als Wahrheit erachtete. „Ni hi hi hi, was kann ein bescheidener Bestatter für sie tun, junge Dame?“ Die Frau stellte sich wieder auf: „Oh nichts, befürchte ich.“ „Aha?“ Einer der Männer stellte sich an die Seite der Frau: „Wir suchen unsere Schwestern, die die Villa Phantomhive wohl nicht lebend verlassen haben.“ Der Mann klang nicht künstlich oder so fern ab von der Wirklichkeit. Er hatte einen recht harten Ton an sich und wirkte nicht sonderlich freundlich. Ich verschränkte die Arme und stützte meinen Kopf in eine Hand: „Ja, in der Tat. Ich habe zwei Damen zu Gast, deren Identität mir ein kleines Rätsel ist. Tihi. Folgt mir.“ Ohne zu zögern gingen die beiden Reinweißen hinter mir her. Ich zog die beiden Frauen aus ihren Fächern. Das plakative, tranceartige Lächeln der Blonden blieb unberührt, das harte Gesicht des braunhaarigen Mannes war nicht um einen Zentimeter verrutscht. Keiner der Beiden wirkte nicht im entferntesten mitgenommen. „Oh wie unglücklich“, schüttelte die Blonde den Kopf und ihr langer Pferdeschwanz wankte hin und her: „Welch ein grausig Schicksal.“ Die Augen unter meinem Pony wurden schmaler. Der Schnitt ihrer Kleider wirkten recht altertümlich. Ihre Sprachwahl auch. Fast wie…: ‚1800...‘ Und wenn ich mich an ein Jahrhundert klar und deutlich erinnere war es das 19te. Doch ich verschränkte die Arme und grinste weiter: „Man kann nicht behaupten, ihnen sei auf den letzten Metern ihres Lebens langweilig geworden. Ihihihi!“ „Sicher nicht“, sprach die harte Stimme des Mannes: „Das sind sie. Wir nehmen sie mit.“ Nun breitete ich die Arme aus: „Wozu die Mühe? Kihihihi! Sie sind doch schon in einem Bestattungsunternehmen. Sagen sie mir was sie wünschen und ich lasse es geschehen. Ehehehe!“ Der Mann musterte mich kalt: „Nein, sie müssen auf ganz gewisse Weise beerdigt werden. Ihre Reinheit muss erhalten bleiben.“ ‚Reinheit?‘ „Ansonsten ist es ihnen unmöglich aus ihrer Asche aufzuerstehen.“ ‚Asche? Auferstehen?‘ „Oh, ja“, lächelte die Blonde weiter: „Bis zum Phönix ist es ein weiter Weg.“ Meine Augenlider flatterten: ‚Phönix?‘ „Die Regeln müssen penibel eingehalten werden“, die violetten Augen des Mädchen wanderten zu mir: „Kein Ritus darf verändert werden. Es gibt keinen Platz für Fehler.“ Diese Augen kamen mir bekannt vor. „Ich“, mein Grinsen wurde weiter. Nicht zwingend aufgrund von Amüsement, doch aus einer gewissen Form von Interesse: „Mache bei derartigen Dingen keine Fehler. Ihihihihi!“ Wieder schüttelte die Blonde ihren Kopf: „Ihr seid nicht rein genug um sie zu überführen.“ Ich stockte in meinen Gedanken schon wieder. Wie sie das Wort ‚rein‘ ausspricht klang komisch, bedeutungsschwer und sehr seltsam. „Tihi. Was bringt euch zu dieser Vermutung, junge Dame?“ „Ihr habt viele Laster“, sie trat bis auf einen Schritt zu mir heran und streckte ihre Hand zu mir aus: „Warum solltet ihr sonst eurer Gesicht verstecken.“ Bevor die Blonde mir meinen Pony aus dem Gesicht wischen konnte, schnappte ich ihre Hand. „Nihihihi!“, lachte ich: „Es gibt viele Gründe dafür.“ „Ihr müsst euch euren Sünden stellen, werter Herr. Wenn ihre Zeit abgelaufen ist, können sie sonst nie wieder auferstehen. Auch aus ihnen kann ein guter Mann werden, der einer zweiten Chance würdig ist.“ Was die junge Frau sprach machte mich mehr als nur skeptisch. Sie nahm meine Hand in ihre beiden Hände. Die Berührung der Frau hatte etwas Abstoßendes für mich. Es war ganz anderes Gefühl, wenn Skyler meine Hand in ihre Hände nahm. Ihre Berührungen wirkten mir zugeneigt. Diese Berührung wirkte nur auf eine negative Art und Weise bedauernd und mitleidig. Alles in allem äußerst unangenehm: „Eure Hände sind so kalt, werter Herr. Sie müssen sehr, sehr schwer wiegen.“ Ich gab meinem inneren Gefühl nach und zog meine Hand heraus: „Mein Seelenleben ist nichts, um das ihr euch fürchten müsstet.“ Sie legte eine Hand auf ihre Brust: „Ich fürchte um das Seelenleben aller Menschen, werter Mann“, dann wandte sie sich zu dem brünetten Mann: „Lorenz, gib dem werten Mann doch eine Einladung.“ ‚Einladung?‘ Mit einem Stöhnen kramte der Mann in seiner Manteltasche herum. Die Blonde wandte sich wieder zu mir: „Kommt zu einem unserer Treffen, werter Herr, und lasst uns auch eure Seele retten.“ Es war schon vorher offensichtlich, doch nun war es klar, dass es sich bei den 6 Gestalteten um Anhänger einer Sekte handelte. Etwas, was meine leisen Gedanken über ihr Gesagtes recht ungut ergänzte. Der Mann gab mir einen Flyer. Ich lachte die beiden Gestalten an: „Kehehehehe! Das sind Mühen, die ihr euch nicht wirklich machen wollt, junge Dame.“ Wieder ein blondes Kopfschütteln: „Uns ist keine Mühe zu groß.“ „Packt sie ein!“, befahl der Mann recht herrisch und mein Blick wanderte von dem blonden Mädchen weg. Die anderen weiß Gewandeten kamen stumm in den hinteren Teil des Ladens und nahmen meine zwei Gäste von ihrer Bahre. Mir waren die Hände gebunden. Was für eine seltsame Versammlung von Menschen diese Sekte auch immer sein sollte, ich konnte niemanden zwingen meine Dienste in Anspruch zu nehmen. Ich ging hinter den Menschen her und blieb im Verkaufsraum stehen, während die 4 weiß Gewandeten die beiden toten Damen aus meinem Laden trugen. Die 2 Wortführer erschienen ebenfalls wieder in meinem Verkaufsraum und gingen hinaus. Meine Türe ließen sie offen was mir sagte, dass dieses Treffen noch nicht sein Ende fand. In diesem Moment flog eine andere Stimme durch meinen Laden. Eine, die ich im Vergleich zu allen anderen Stimmen an diesem Tag nur zu gut kannte. Ein Mann mit langen roten Haaren kam auf mich zu: „Undertaker! Was ist denn hier los?“ Ich legte den Kopf schief: „Was meinst du, Grell?“ Grell blieb mit verschränkten Armen vor mir stehen: „Du hast ja ein richtig volles Haus.“ Ich giggelte: „Fu fu fu. Ja, ich war ebenfalls ein wenig überrascht.“ „Was sind das für Gestalten?“ „Nun, ich weiß es nicht. Ehehehe!“ „Wie, du weißt es nicht?“ Ich hob die Hände: „Ich führe ein Geschäft, Grell. Folglich finden sich bei mir häufiger Leute ein, die ich nicht kenne. Kehehehe! Als Bestatter hat man eher selten Stammkundschaft. Ehehehehehe!“ „Äh… ja… Wie auch immer!“, Grell winkte ab, schaute noch einmal über die Schulter und aus meiner Tür,e hinter der man die Gestalten immer noch sprechen hörte und wandte sich dann zu mir: „Du hast nicht angerufen!“ Ich verschränkte meine Arme wieder und neigte den Kopf: „Tehe. Warum sollte ich dich anrufen?“ „Skyler?! Amber?! Leben die Beiden noch? Geht es ihnen gut? Vielleicht hätte uns sowas interessiert, du Trottel!“ „Achso! Ahehehe! Da habe ich gestern gar nicht mehr drüber nachgedacht. Fu fu fu. Den Beiden geht es gut. Etwas durch den Wind, aber lebendig und gesund.“ Grell seufzte und entließ mit einem Hängen lassen seiner Schultern und einem nach hinten Kippen seines Kopfes Spannung aus seinem Körper: „Gott sei Dank… Warum kommst du nicht auf die Idee, dass uns das interessieren könnte?!“ Ich seufzte und hob eine Hand: „Das war gestern ein ziemlich nervenaufreibender Tag. Hehe!“ Grell seufzte und nahm seinen Kopf wieder nach vorn: „Nicht nur für dich, das kannst du mir glauben. Ich habe gezittert! Den ganzen Tag! Ich konnte mich kaum auf meine Arbeit konzentrieren!“ „Du kannst dich nie auf deine Arbeit konzentrieren. Nihihi!“ „Hey! Bleib mal friedlich hier! Wäre ich nicht gewesen, wäre deine erste Romanze furchtbar in die Hose gegangen!“, dann beugte er sich zu mir herüber, bevor ich etwas erwidern konnte. Nicht, dass ich etwas zum erwidern gehabt hätte. Mit seiner letzten Aussage hatte mich der rote Reaper irgendwie kalt erwischt. Und er war noch nicht fertig damit: „Hat sie sich denn wenigstens bei ihrem Retter bedankt?“ Ich drückte ihn mit dem Zeigefinger an seiner Nase aus meinem Gesicht: „Worauf willst du hinaus, Grell?“ „Na“, der Reaper gebar sich überzogen theatralisch, als stände er auf einer Theaterbühne vor einem Millionenpublikum, was er nicht tat: „Du warst ihr Held! Ihr Retter in glänzender Rüstung! Ihr vom Himmel gesandter Schutzengel!“ Ich blinzelte ihn reichlich perplex durch meinen Pony an: „Jaaaa… Natürlich. Hihihi! Mach einen Punkt, Grell.“ Grell stemmte die Hände in die Hüften: „Stimmt doch!“ „Wuhuhu!“, begann ich dann doch zu lachen: „Ich bin kein ‚Held‘, ich bin ein Verrückter. Ich bin kein ‚Retter in glänzender Rüstung‘, ich bin ein Bekloppter mit einem alten Zylinder und ‚aus dem Sarg gefallener Sonderling‘, trifft es glaube ich doch eher als ‚vom Himmel gesandter Schutzengel‘! Kihihihi!“ Grells Kopf fiel zur Seite: „Mach dich nicht immer so schlecht.“ „Ich bin realistisch! Pahaha!“ Grell wedelte mit den Händen: „Ist ja auch Wurst! Hat sie?“ „Was stellst du dir darunter denn eigentlich vor?“ „Na!“, Grell umarmte sich selbst und wedelte mit seiner Hüfte hin und her: „Eine innige Umarmung! Vielleicht sogar ein Küsschen! Oh, bitte sag‘ mir sie hat dir ein Küsschen gegeben!~♥“ Ich schüttelte grinsend den Kopf, auch wenn mir mein eigenes Grinsen irgendwie… komisch schmeckte. Doch diese kleine Empfindung sickerte nicht ansatzweise aus mir heraus: „Tihihi. Nein und nein.“ „WAS?!“ „Es ist nicht passiert.“ „Keine Umarmung?!“ „Tehehe! Nein.“ „Kein Küsschen?“ „Nope.“ „Nicht mal auf die Wange?“ „Ich sagte doch nein.“ „Warum nicht!?“ „Fuhuhu! Ja, weil es nicht passiert ist.“ „Undertaker, du Trottel! Das war deine Chance!“ Ich zog eine Augenbraue hoch. Ich hatte ja keine Chance für irgendetwas gesehen: „Aha?“ Grell hüpfte aufgeregt verärgert auf und ab: „Natürlich! Sie steht in deiner Schuld und du nutzt es nicht!“ „Warte“, kicherte ich mit der Hand vor meinem Mund: „Nihihi! Möchtest du mir gerade erzählen, dass ich sie zu romantischen Aktionen hätte zwingen sollen, indem ich sie damit erpresse in meiner Schuld zu stehen?“ „JA!“ Mein Kopf fiel zur Seite und ich schabte mit dem Fingernagel meines kleinen Fingers über die Fingerkuppe meines Daumens: „Das wäre aber nicht sehr nett.“ „Das wäre romantisch!“ „Das wäre Erpressung mit Tendenzen zur Nötigung.“ „Ach! Du hast keine Ahnung von Frauen!“ „Stimmt“, neigte ich kichernd den Kopf: „Tihihi! Doch ich bin mir ziemlich sicher, dass niemand gerne genötigt oder erpresst wird. Auch Frauen nicht.“ Grell stemmte die Hände in die Hüften: „Du reibst doch sonst auch jedem unter die Nase in deiner Schuld zu stehen. Warum jetzt nicht?“ Mein Kopf fiel zur anderen Seite: „Wer sagt, dass ich das nicht habe? Ehehehe!“ Grell zog eine Augenbraue hoch und verschränkte mir seitlich herausgestreckten Hüfte die Arme: „Und was hast du dann bitte verlangt?“ „Tihihi! Sie kommen morgen zum Staubwischen vorbei!“ Grell klappte der Kiefer auf: „Staub… Staubwischen?“ „Ja. Hihi!“ „Zum STAUBWISCHEN?!“, Grell packte mich am Kragen und schüttelte mich: „Willst du mich verarschen?! Du hast alle Möglichkeiten dieser Welt und bestellst sie zum STAUBWISCHEN?! Potzdonner Kiesel, ich fall‘ vom glauben ab! Wie blöd kann man sein?! Oh, wie kann man nur?! Du Trottel! Du unsagbarer Idiot! Du strunzdoofer Romantikallergiker!“ Ich wurde immer noch von vorne nach hinten geworfen, doch Grells Emotionsausbruch war ein weiteres Mal ein nicht versiegender Quell endloser Freude meinerseits: „Wenigstens war das keine sexuelle Nötigung! Pahahahahahahaha!“ Grell stoppte immer noch die Hände an meinem Kragen: „Sexuelle Nötigung?! Hey! Mach mal halblang! Ich habe von einem Küsschen gesprochen, nicht davon, dass du ihr Eine mit deiner Sense über die Murmel ziehen und sie an ihren Haaren in den nächsten Sarg zehren sollst!“ „Ein erzwungenes ‚Küsschen‘ ist für ein so zart besaitetes und schüchternes Mädchen, wie sie, sicherlich ähnlich schlimm, oder?“ Grell ließ von mir ab: „Wow. Du verstehst ja doch was von Frauen.“ „Nihihihi!“, kicherte ich in meine Hand: „Auf einmal?“ „Ja, doch. Der Einwand war nicht schlecht“, pflichtete mir Grell bei. Dann legte er eine Hand auf seine Brust: „Weißt du, eine so gestandene, in sich gefestigte, schöne und selbstbewusste Dame wie ich, verliert manchmal die Gefühlslage eines so schüchternen, jungen Dings aus den Augen.“ „Ja“, nickte ich langsam breit grinsend: „Wenn du meinst, Grell. Ahehehehehe!“ „Willst du etwas sagen, ich sei keine gestandene, in sich gefestigte, schöne und selbstbewusste Dame?!“ „Sagen wir“, ich musste mich zusammenreißen um durch mein aufkommendes Lachen deutlich sprechen zu können: „Du hast es auf jeden Fall faustdick hinter den Ohren. Wuhuhuhuhuhuhuhuhuhuhu!“ „Ich hoffe für dich, das war ein Kompliment!“ „Sieh es wie du willst. Nihihihi!“ „WAS?!“ Mich ergriff ein kleiner Lachanfall, der aber etwas schneller abebbte als sonst: „Pufufufufufu! Ich bin nur dafür verantwortlich was ich sage, nicht was du verstehst.“ „Ach! Du bist so furchtbar wie eh und je“, dann wanderte Grells Blick an mir hinab und wieder in mein Gesicht: „Apropos eh und je. Wo sind deine Anhänger?“ Ich seufzte genervt: „Verschwunden.“ „Bitte?!“ „Ich hatte gestern nicht die Zeit sie sorgsam zu verstauen und warf sie einfach ab. Als ich sie mir wiederholen wollte waren sie verschwunden.“ „Awwwwwwww!~♥“, quietschte Grell und ballte die Hände an seinem Kinn: „Du hast dein Heiligtum für sie weggeworfen! Oh meine Güte! Du bist ja wirklich total verknallt!“ Ich rollte die Augen, doch schaffte ein Lachen: „Ehehehe. Wahrscheinlich.“ Dass ich meine Anhänger verloren hatte ärgerte mich zutiefst. Diese kleinen Dinger waren das Wichtigste für mich gewesen. Zumindest bis ich… bis ich Skyler kennen lernte. Ich habe nicht eine Sekunde darüber nachgedacht. Ich hatte sie einfach weggeworfen und ich bereute es nicht. Es ärgerte mich und ich war mehr als nur verstimmt, dass sie nun fort waren und all die Andenken die darin versteckt waren, doch es war im Vergleich zu Skylers Wohl ein Preis, den ich bereit zu zahlen war. Ich hätte nie gedacht einmal so zu denken, doch der Besitz meiner Lockets wäre dem Verlust der hübschen, jungen Frau nicht gerecht geworden. Grell wollte noch etwas sagen, doch eine dünne Stimme unterbrach ihn: „Werter Herr?“ Unsere Köpfe wanderten herum und die Blonde im reinweißen Kleid stand wieder vor uns: „Ich muss ihnen danken, dass sie meine Schwestern solange bei sich aufnahmen“, dann drückte sie mir ein Bündel Geld in die Hand und schloss meine Finger darum. Ihre Berührung empfand ich ein weiteres Mal als höchst widerstrebend: „Nehmt dies als ein kleines Zeichen unserer Dankbarkeit und angemessene Aufwandsentschädigung. Es würde mich freuen sie bei unseren Treffen begrüßen zu können.“ „Was für ein Haufen seid ihr eigentlich?“, fragte Grell die Blonde. Diese kicherte: „Nur ein paar trauernde Brüder und Schwestern, die ihre zwei verblichenen Schwestern abholen müssen.“ „Hö?“, Grells Kopf wanderte zwischen mir und der Blonden hin und her: „Warum? Das hier ist mit Abstand der beste Bestatter in ganz London. Wenn nicht sogar ganz Englands.“ „Ich möchte diesen Ruf mit keinem Wort in Frage stellen, doch es braucht einen gänzlich reinen Priester der alle Rituale vollzieht, damit unsere Verblichenen sich aus ihrer Asche wieder erheben können.“ Grell blinzelte. Er blinzelte mich an, mit einem Ausdruck dem ich entnahm, dass er ein ebenfalls so schlechtes Gefühl bei diesen Formulierungen hatte wie ich. Er schaute die Blonde wieder an: „Aus ihrer Asche auferstehen? Seid ihr verrückt?“ Die Blonde schüttelte ihren Kopf und drehte sich wieder zu mir: „Nehmt euren Freund ruhig mit, werter Mann. Er scheint auch einige schwere Laster mit sich zu tragen.“ „Bitte was?!“, echauffierte sich Grell: „Du hast doch keine Ahnung wer ich bin!“ „Ihr seid beide herzlich willkommen eure Seele reinigen zu lassen“, ignorierte die junge Frau Grells – berechtigten – Einwand, schloss ihre violetten Augen und legte wieder eine Hand auf ihr Herz: „Möge auch in ihrer Brust eine komplette Flamme lodern, die niemand löschen kann. Macht es gut, werter Mann“, sie nickte zu Grell: „Auch euch einen schönen Tag.“ Ein weit ausgeholter Harken Sebastians mitten in mein Gesicht hätte mich nicht härter treffen können, als dieser Satz. Dieser Satz, den ich etwas anders kannte. Diesen Satz, den ich etwas anders nur zu gut kannte. Ein Satz, den niemand mehr aussprechen sollte. Seit knapp 125 Jahren nicht mehr. Grell starrte der hinausgehenden Frau ebenfalls bleicher hinterher, als Shinigamis eh schon waren. Als sich die Tür geschlossen hatte wirbelte er zu mir: „Komplette Flamme?! Undertaker das…!“ Dann warf ich einen Blick auf den Flyer auf meiner Hand. Obwohl das Bild darauf nicht scharf war, erinnerte mich schon die Silhouette an Ungutes. Ich stürmte zu meinen Schreibtisch, ein mehr als nur schlechtes Gefühl in der Magengegend. Dort rupfte ich meine Schublade so unsanft aus ihrem Fach, dass Merkaneu müde krächzend seinen Kopf aus seinem Nest steckte. Ich kramte hastig darin herum, von jedem Amüsement gänzlich verlassen: „Ja, es gibt ein Problem.“ „Aber hallo!“, Grell stand nun ebenfalls an meinem Schreibtisch, als ich den Flyer auf den Tisch legte und meine Brille aufzog, um was ich suchte schneller zu finden. Merkenau hüpfte zum Flyer und krähte Grell genervt an. „Jetzt halt mal den Schnabel, Piepmatz!“, meckerte der rote Reaper: „Wir haben wichtiges zu…. AHHH!“ Merkenau war Grells Arm hoch gehüpft und ihm mitten ins Gesicht gesprungen. „Geh‘ runter! Ah! Au! Verschwinde, du dummer Vogel! AAAAAHHHH!“ Ich schaute auf und unterbrach mein Suchen, aufgrund eines schallenden Lachens. Die Welt hätte vor dem totalen Exitus stehen können, ich musste einfach in einem riesigen Lachanfall ausbrechen, als ich sah wie Merkenau sich auf Grells Kopf empor gekämpft hatte und darauf herum pickte. „Kannst du mir mal helfen?! Der Vogel will mich umbringen! Au! Jetzt geh da runter, du minderbemitteltes Federvieh! Au! AU! AU!!“ Nein, ich konnte Grell nicht helfen. Denn ich war damit beschäftigt lachend zusammenzubrechen. „Hilfe! AH! Lass das! LASS DAS!“ Ich schaffte es irgendwie durch zu atmen und streckte dem Raben meine Hand entgegen: „Fuhuhuhuhuhuhuhuhu! Merkenau. Es reicht. Tihihihihi! Wirklich. Wir haben was Wichtiges zu tun. Komm her. Puhuhuhuhu!“ Merkenau krähte noch einmal und hüpfte auf meinen Arm. Grell sah mich – reichlich zerpflückt – an: „Das Vieh ist eine Mordmaschine!“ „Grell“, ich zuckte mit einem Auge, als Merkenau ziemlich sauer einmal laut direkt neben meinem Ohr krähte, da er sich auf meiner Schulter niedergelassen hatte und mich so unterbrach. Ich drehte meinen kleinen Finger in meinem knisternden Ohr: „Das ist ein Babyrabe. Ehehehehehe!“ „Trotzdem!“ „Du, ein Todesgott mit einem Tripel A in der praktischen Prüfung, willst mir also erzählen, dass du nicht fähig bist dich einem Vogel zu erwehren, der noch so klein ist, dass er noch nicht einmal fliegen kann? Fuhuhuhuhuhuhuhu! Was zum Henker ist denn bitte aus dem Dispatch geworden, seit ich umgezogen bin?“ „Beton das nicht so als sei ich inkompetent!“ „Pffffffff! Was für ein Shinigami willst du denn bitte darstellen, wenn du dich nicht gegen einen Babyvogel wehren kannst?!“ „Ich bin gut in dem was ich tue, klar!“ „Pahahahahahahaha!“ „Arschloch...“, murmelte Grell. Dann seufzte er: „Aber könnten wir uns bitte wieder unseren Problemen zuwenden?!“ Mit einem lauten Lachen und einem Grell mehr als nur skeptisch beäugenden Raben auf der Schulter, kramte ich weiter in der Schublade. Schließlich fiel es mir in die Hände. Ich legte die alte goldene Anstecknadel, die ich aus der Schublade gesucht hatte, neben den Flyer auf den Tisch. Und meine Vorahnung wurde tragischerweise bestätigt: Sowohl die Anstecknadel, wie auch der Flyer zeigten einen goldenen Phönix mit ausgebreiteten Flügeln, umrahmt von einem Kreis auf Feuer. Das Symbol der Aurora Society. „Das”, stellte ich mit ungläubigen Blick auf die zwei Darstellungen eines Phönix fest und war mein Lachen endgültig los geworden: „Ist schlecht.“ Doch mindestens genauso merkwürdig war, was unter dem Bild auf dem Flyer stand: »Aurora Church The Order of the Tau 37 White Church Ln Whitechapel, London E1 7QR Great Britain Sonntagsmessen wöchentlich ab 9:30 Uhr« Grell schnappte sich den Flyer und seine Augen flitzten hinter seiner roten Brille darüber: „Aurora Church? The Order of the Tau?… Orden des Tau… Orden des Tau... War das nicht die neue Freikirche, die Lee erwähnt hat? Was zur Hölle soll das bedeuten? Das Wappen, komplette Flamme, auferstehen. Undertaker, das wirkt tatsächlich wie die Aurora Society! Das sollte unmöglich sein!“ „In der Tat“, ich nahm Grell den Flyer aus der Hand und studierte ihn ein weiteres Mal. Es stand außer der Adresse, dem Bild, dem Name und der Uhrzeit der Messe nichts darauf. Keine Verantwortlichen. Kein Anzeichen darauf wer dahinter steckte: „Das sollte tatsächlich in allen Punkten unmöglich sein. Außer uns sollte von der Aurora Society niemand mehr wissen. Wir haben damals dafür gesorgt, dass von der Aurora Society niemand mehr übrig war.“ „Niemand außer dir!“ „Wie wahr, wie wahr.“ „Es kann nur jemand dahinter stecken, der uns kennt oder selber mindesten 126-130 Jahre alt ist. Wer soll das sein?! Ich habe niemanden außer unseren Lieblingsmenschen davon erzählt. Du?“ „Natürlich nicht“, zum Lachen war mir angesichts dieser Informationen wirklich nicht mehr. „Ich glaube auch nicht, dass sich die Phantomhives, die Fengs, die Hermanns, die von Steinen oder Ronald und William verplappert haben.“ „Nein, Verplappern ist definitiv deine Meisterdisziplin.“ „Danke Arschloch!“, dann legte Grell kopfschüttelnd überlegend eine Hand an sein Kinn: „Die White Church Lane liegt auf jeden Fall am Anfang von Whitechapel und somit mitten im East End. Auch das deckt sich mit Lees Beschreibungen.“ „Da kennst du dich aus, hm? Jack the Ripper.“ Grell stöhnte: „Ja, ja. Knüpf mir nur einen Strick daraus. Du warst das Mastermind hinter der Aurora Society. Damit toppst du mich um ein paar hundert Tote.“ Ich breitete dann doch wieder mit einem kleinen Lachen die Arme aus: „Gewonnen. Ehehehe!“ „Du bist doch wirklich einfach nur irre. Aber was viel wichtiger ist, ist dass sich diese komische Freikirche wohl auf die Aurora Society beruft. Was bedenklich und wirklich schlecht ist. Du hast wirklich keine Idee?“ Ich schüttelte wieder ernst den Kopf: „Ich hatte keine Ahnung von dieser Kirche. Lee hat mir zur selben Zeit davon erzählt, wie dir. Sahen diese Leute aus, als würden sich mich kennen oder erkennen?“ „Nein… Für die müsstest du ja eine Art Messias sein, wenn die wirklich diesen Idiotismus als Religion neu aufrollen.“ „Es ist schon wirklich kurios wie sich eine religiöse Sekte auf dem Fundament eines hart gesottenen Wissenschaftlers wie Stoker gründen sollte.“ Grell hob eine Hand: „Man kann jeden Humbug als Wahrheit hinstellen, wenn man ein geschickter Redner ist. Warum sollte es also bei diesem komischen Orden nicht funktionieren aus einem einst wissenschaftlichen Bestreben eine Religion zu basteln? Religion heißt nur, dass Menschen zusammen finden die gemeinsam an etwas glauben, ob es jetzt irgendein Gott, Aliens, oder halt fadenscheinige Wissenschaften sind.“ „Ich weiß was eine Religion ist, Grell.“ „Das war nicht meine ganze Aussage!“ „Ich weiß, ich weiß. Ich verstehe ja was du meinst. Ist dir aufgefallen, dass diese Leute von Reinheit sprachen?“ „Ja, ist mir. Du denkst also es steckt ein Engel mit drin?“ Ich nickte nur. Ich war mir des Weiteren sehr wohl bewusst, dass die Trancys neuerdings mit einem Engel zu tun zu haben schienen, der nun schon zweimal seinen schützenden Flügel über Claude gehalten hatte. Wenn ich an etwas nicht glaubte waren es Zufälle. Ich war mir sicher, dass diese Umstände zusammen hingen. Das Puzzle komplettierte sich langsam. Zu einem sehr unheilverkündenden Bild. „Hmmmm… Aber der einzige Engel mit dem wir zu tun hatte, hat Bassy umgebracht.“ Ich nickte wieder. Grell wuschelte sich durch die Haare: „Ahhhh! Ich raff‘ das alles nicht! Was machen wir denn jetzt?!“ „Dem Earl Bescheid geben, vermutlich. Wenn Lee etwas in dieser Art herausgefunden hätte, hätte der Earl schon längst auf meiner Matte gestanden. Also tippe ich wir haben diese Informationen als Erstes.“ Grell seufzte: „Gut. Ich sag Will Bescheid. Damals haben sich Stoker und Co. auf dich verlassen. Nicht, dass sie schon wieder einen Deserteuren gefunden haben, der ihnen hilft.“ „Naaa“, macht ich und streckte Grell den Zeigefinger ins Gesicht: „Die Bizzare Dolls sind meine Kreation. Ich bezweifle, dass andere Shinigamis dazu in der Lage sind.“ „Wenn Informationen durch gesickert sind, wie du es damals getan hast, vielleicht schon.“ „Niemand außer mir wusste und weiß wie die Dolls funktionieren. Das habt ihr doch auf der Campania eindrucksvoll mitbekommen. Ich hüte meine Geheimnisse.“ „Ja, Chamber, diese bescheuerte Maschine und sein Gott-Komplex. ‚Nennt mich Caesar!‘ Ehrlich? Schlimmer als von dir verprügelt zu werden, war nur, dass ich diese Flachzange nicht durch den Wolf drehen durfte!“ Ich hob angesichts dieser amüsanten Erinnerung doch wieder grinsend die Hände: „Tja! Du hättest schneller sein müssen, Grell. Nihihihihi!“ „Schneller als du?! Wie, du Clown?! Ich war mehr als nur erpicht darauf den Vogel über den Jordan zu schicken und habe von dir dafür voll auf die Fresse bekommen!“ „Nicht mein Problem. Nehehehe!“ Grell stöhnte auf: „Wie auch immer! Ich geh zu William. Sag du dem Earl Bescheid. Was ein Scheiß! Warum muss ausgerechnet Das wieder aufkommen?“ „Ich bin auch nicht sonderlich glücklich darüber“, war mein Grinsen wieder verschwunden. Ich wollte auf keinen Fall, dass irgendwelche religiösen Fanatiker Wind davon bekamen wer ich war und vielleicht am Ende noch versuchten mich zu bekehren. „Wenigstens in dem Punkt sind wir uns einig. Mach‘s gut, armer Irrer. Wir sehen uns.“ Ich winkte Grell und er verließ meinen Laden durch die Hintertür. Dann griff ich mein Telefon und wählte die Nummer blind. Eigentlich wartete ich, bis der Earl zu mir kam. Doch diese Sache war mir nun ein persönliches Anliegen geworden. Es tutete und tutete, dann nahm der Earl Phantomhive endlich ab: „Undertaker? Was ist los?“ „Ehehehe! Hallo Earl. Ich habe, nein, wir haben ein kleines Problem.“ „Aha? Wenn du es schon als Problem bezeichnest möchte ich eigentlich nur wieder ins Bett.“ „Ahahahahaha! Ich kann dir nachfühlen. Ich hatte gerade eine Begegnung der dritten, wenn nicht sogar vierten Art.“ „Erzähl.“ „Bezahl. Nihihihi!“ „Du hast mich angerufen, Undertaker!“ Ich hob eine Hand: „Bin ich nicht gütig? Ich weiß, dass du wenn noch Monate brauchen würdest, um diese Informationen zu bekommen. Doch ich denke nicht, dass wir soviel Zeit haben. Fu fu fu! Das heißt allerdings nicht, dass ich meine Dienste verschenke, Earl.“ Der Earl seufzte lange: „Warte ich rufe Seba...“ „Ah ah ah!“, machte ich: „Heute will ich von dir bezahlt werden. Nihihihi!“ Die Witze des Earls waren meistens sehr sehr schlecht, doch was wirklich niemand so gut konnte wie er, war es sie mit so viel Widerstreben rüber zu bringen! Und das war Goldwert und so wunderschön anzuhören. „Gott… lass mich goggeln...“ Darauf folgten einige Minuten Stille und ich hörte ein Tippen am anderen Ende der Leitung. „Brauchst du wirklich das Internet dafür?“, sprach ich hörbar belustigt, aber nicht lachend. Ich wollte nicht das der Earl sich darauf berufen konnte, mich schon mit seiner emsigen Internetrecherche bezahlt zu haben. „Ja, brauche ich...“, mach ein paar Augenblicken erklang ein weiterer langer Seufzer: „Herrgott… Das ich das wirklich tue… Treffen sich zwei Folterknechte in der Kneipe...“ „Jaaaaa“, grinste ich, jetzt schon von dem Widerstreben des Earls merklich amüsiert. „Frag der eine: ...‚Wie viele Gefangene hast du in deinem Kerker?‘ “ „Jaaaaa“, grinste ich noch erwartungsvoller doch immer noch ohne zu lachen, wenn dies auch schwer war. „Muss ich das wirklich tun?“ „Ja, musst du. Es sei denn meine Informationen sind dir seit neustem nichts mehr wert.“ „Leider sind deine Informationen ihren Preis wert“, der Earl seufzte ein weiteres Mal, was mich fast zum Lachen gebracht hätte: „Sagt der andere… oh mein Gott, ich glaube mal wieder nicht, dass ich das wirklich tue… Sagt der andere… oh man… Sagt der andere...: ‚Achtunddreißig und ein paar Zerquetschte.‘...“ Ich prustete: „Pffffffff! Der ist furchtbar, Earl!“ „Du weißt, dass ich das nicht kann… Aber ich bin jetzt für einen weiteren Tag meine Ehre, meinen Stolz und meine Selbstachtung los geworden. Ist dir das nicht Bezahlung genug?“ „Tihihihihihihihihi!“ „Du hast gelacht! Jetzt rede, Undertaker.“ „Pahahahaha! So wie du dich echauffierst kein Wunder, oder? Aber gut, nihihihihi! Ich rede.“ „… Ich warte.“ „Eben waren ein paar komische Gestalten bei mir.“ „Aber du bist sicher, dass du nicht einfach nur in den Spiegel geschaut hast, oder?“ „Ehehehe! Nein. Es sei denn ich bin seit neustem ein 20 Jähriges Mädchen mit blondem Pferdeschwanz im weißen Kleid. Ahuhuhuhuhu!“ „… Könntest du jetzt endlich mit der Sprache rausrücken?“ „Fu fu fu. Wie du wünscht, Earl“, ich schaute auf den Flyer: „Es handelt sich wohl um die Freikirche, die Lee entdeckt hat.“ „Dem Orden des Taus?“ „In der Tat. Doch viel spannender ist wie sie ihre Kirche nennen.“ „Aha?“ „Die ‚Aurora Church‘.“ „Au...“, der Earl stockte: „Aurora?“ „Ja, Aurora.“ „Es ist nicht wonach es klingt, oder?“ „Ich würde es gerne verneinen, doch ihr Wappen ist ein Phönix.“ „Du veräppelst mich...“ „Leider nein. Und sie verabschiedeten mich mit: ‚Möge auch in ihrer Brust eine komplette Flamme lodern, die niemand löschen kann.‘ “ Der Earl stöhnte: „Das ist nicht dein Ernst...“ „Leider doch. Sie holten zwei der 15 Gäste ab, deren Identität ich nicht herausfinden konnte. Bezeichneten sie als ihre ‚Schwestern‘. Anbei erklärten sie mir, dass ich zu ‚unrein‘ wäre um sie zu beerdigen, da sie spezielle Riten vollführen müssen, damit ihre Verblichenen aus ihrer Asche wieder auferstehen können.“ „Das klingt tatsächlich nach der Aurora Society… Oh verdammt… Aber, Unrein?“, in der Stimme des Earls erkannte ich, dass er ebenfalls eine ungute Ahnung bei dieser Formulieren hatte: „Das klingt nach… einem Engel.“ „Auch hier: In der Tat.“ „Warte. Bei den Trancys ist doch auch vor kurzem ein Engel aufgetaucht, oder?“ „Jup. Ein komischer Zufall, findest du nicht? Nehehehe!“ „Ich glaube genau so wenig an Zufälle, wie du.“ Ich grinste: „Wie gut du mich doch kennst, Earl.“ „Also: Ein Engel taucht auf, offensichtlich in Olivers Diensten. Zur selben Zeit taucht eine Freikirche auf, die sich auf Reinheit und Auferstehung beruft und somit die krankhaften Züge der Aurora Society und einiger Engel vereinen. Auf sicherlich sehr ungute Weise. Es würde mich nicht wundern, wenn wir bei diesem Orden und Oliver von demselben Engel sprechen.“ „Bingo, Earl. Nihihihihi!“ „Des Weiteren waren zwei dieser Gestalten auf einer meiner Feiern.“ „Sie spionieren dich wohl aus, Earl. Nihihihihi!“ Der Earl seufzte: „Na herrlich… Und ich habe in der nächsten Zeit keine Zeit mich darum zu kümmern.“ „Dann schicke Sebastian. Tehehehe! Wozu hast du sonst ein dämonisches Dienstmädchen?“ „Ich brauche Sebastian. Wir müssen meine Firma retten und Amy und Sky auf ihr Volleyballturnier vorbereiten. Neben dem Wachhund bin ich schließlich noch Firmenchef und Vater.“ „Kehehehe! Wie recht du hast. Nun ja, der Untergrund ist noch ruhig. Außerdem hat Lee sie im Blick.“ „Vielleicht ist es sinnig sie noch in Sicherheit zu wiegen, bis wir sicher wissen, was sie vorhaben“, erwidert der Earl: „Wenn sie dasselbe vorhaben wie früher, wirst du es früher, oder später mitbekommen, weil sie bei dir missionieren werden.“ „Das werden sie bitterlich bereuen. Nihihihihihi!“ „Ich hoffe...“ „Kehehehehe! Darauf kannst du dich sogar verlassen! Aber von was für einem Volleyballturnier sprachst du?“ „Neben dem Kricketturnier am 4. Juli, hat die Schule eine zweite Sportveranstaltung beschlossen. Ich habe schon die Einladung dazu hier. Ich wollte dir eh Bescheid sagen. Sicher will Amy dich wieder dabei haben.“ „Tihihihi! Ich bin wie immer treu zur Stelle.“ Ich war wirklich kein Typ für soviel Trubel. Doch ich war immer bei den Schulveranstaltungen der Kinder dabei gewesen. Ich bezog meinen Posten an einem Platz weiter ab von dem normalen Publikum. Die Kinder wussten, dass ich da gewesen war, auch wenn sie mich nicht sahen. „Sie verlässt sich darauf“, betonte der Earl ein weiteres Mal: „Du weißt wie wichtig du Amy bist.“ „Du hast sie mir ja auch oft genug da gelassen. Nehehehe!“ „Ich weiß, Undertaker. Doch was sollte ich denn tun? Sie mitnehmen? Die Geschäfte des Wachhundes sind nichts für Kinder und Geschäftsmeetings auch nicht. Ein gutes Beispiel dafür hatten ihr vor 126 Jahren, oder?“ „Ja, ja. Der gute kleine Earl. Ich habe dir mit Nichten einen Vorwurf daraus gemacht, Earl.“ „Amy wird dich wie immer bitten endlich mal im Publikum zu sitzen.“ „Ach, Earl… Da ist es immer so laut.“ „Undertaker, bitte. Tu‘ es für Amy.“ „Ich überlege es mir, ok? Wann trainieren die Beiden denn? Ich will unbedingt sehen, wie Sebastian sie durch die Gegend hetzt! Ehehehehe!“ „Am Wochenende.“ „Oh, ich werde da sein! Fuhuhuhu!“ Seitdem Claude aufgetaucht war, merkte man wie geladen Sebastian eigentlich war, wenn man ihn etwas besser kannte. Seine Wut war verständlich. Mir gefiel es auch nicht wie gut die Trancys uns im Moment an der Nase herumführten und auch das noch vermeintliche, doch sehr wahrscheinliche, Wiederauftauchen der Aurora Society beflügelte den Butler sicherlich nicht gerade zu Luftsprüngen, was auch verständlich war. Ich hatte das dumpfe Gefühl, dass die Möglichkeit bestehen könnte ihn in – sagen wir – seinem Trainiereifer ein wenig bremsen zu müssen. Sebastian war ein guter Trainer, oder Lehrer. Doch als Dämon war er fernab von verständnisvoll. Und er war wütend. Sehr wütend und verstimmt. Wie gut diese Gleichung war lag auf der Hand. „Du schadenfrohes Irgendwas. Mir fällt noch nicht mal ein Wort für dich ein.“ „Dabei solltest du mir heute eigentlich so wohlgesonnen sein!“ „Ja, du hast mir sehr unvorhergesehen den Tag versaut.“ „Was denkst du wie ich mich gefühlt habe?“, erwiderte ich gespielt beleidigt: „Ich mache drei Kreuze, dass diese Vögel anscheinend nicht wussten wer ich bin!“ Merkenau krähte mich beleidigt an, als hätte ich auch ihn beleidigt, in dem ich seine Spezies als Beleidigung benutzte. Ich kraulte ihn beiläufig am Schnabel und er begann sich in wohligem Schweigen zu ergehen. „Nun gut… Ich muss Lee anrufen. Ich kann ihn nicht ins offene Messer rennen lassen. Wenn ein Engel und die Trancys mit drin hängen ist die Sache gerade exorbitant gefährlich geworden. Wir sehen uns dann am Wochenende. Danke für deinen Anruf.“ „Ich bin wie immer zu Diensten, Earl. Bis dann. Kehehehe!“ „Bye“, legte der Earl schließlich auf. Ich seufzte und kraulte Merkenau den Schnabel: „Dinge, die ich nicht brauche.“ Merkenau krähte etwas. „Ja, mich holt gerade die Vergangenheit ein. Und wie es scheint kombinieren sich die Dinge gerade recht ungut. Aurora, die Trancys und ein Engel? Das ist eine Dreifaltigkeit, die alles andere als heilig ist.“ Merkenau legte überlegend den Kopf schief. Dann krähte er noch mal. „Ja“, machte ich und legte meine verschränkten Beine auf dem Schreibtisch: „Eigentlich sollten Engel heilig sein. Doch die Menschen halten ihren Idealen schon lange nicht mehr stand, was mehr als nur Einen von ihnen ins Chaos stürzt.“ Merkenau schien ein paar Minuten auf meiner Schulter zu grübeln, bis er seine Antwort krächzte. „In der Tat“, lachte ich: „Tehehe! Wir können erst mal nur abwarten und Tee trinken.“ Obwohl ich noch mit meinen Anderen, mittlerweile nur noch 13, neuen Gästen zu tun hätte, ging ich am nächsten Tagen, nach Tagen mit einem Schlenker über meine Floristin und dem kleinen Kramladen, wieder auf den Friedhof. Es war ein ruhiger Tag. Die graue Wolkendecke verschonte London zwar von einem Regenguss, doch hielt der verhangene Himmel den größten Teil der Londoner davon ab in Parks und auch auf Friedhöfe zu gehen. So war ich mit meinen toten Freunden vollkommen alleine, während ich ihre Ruhestätten wieder auf Vordermann brachte und hing ein wenig meinen alten Erinnerungen nach. Kurz nachdem ich um kurz vor Vier die Türe hinter mir zu gezogen und einen Keks zwischen meine Lippen gesteckt hatte, ging sie auch schon wieder auf. William kam um Punkt 16 Uhr - nach seiner Schicht - durch meine Tür. Er grüßte mich mit seinem gewohnt knappen Nicken. „Hallo William“, grinste ich und zog meine Unterlagen und einen alten Taschenrechner aus meiner Schublade, da der strenge Reaper es nicht schätzte wenn man seine Zeit verplemperte: „Einen Tee?“ „Gerne“, antwortete William kurz, schlug schon die Bücher auf und einen Bleistift aus der Brusttasche. Ich verschwand kurz in der Küche, kochte Tee und landete dann mit William an meinem Tresen. Der Aufsichtsbeamte hatte der Weilen jede Tür und jedes Fenster aufgerissen, dass er finden konnte. Ich setzte meinen Hut ab und meine Brille auf. „Wie kannst du in so einer Luft überhaupt arbeiten?“, fragte William, während er etwas in den Taschenrechner tippte. „Ehehehehe! Ich bekomme das gar nicht mehr mit. Ich mag meinen Laden wie er ist!“ „Stickig und stinkend?“ „Du bist mal wieder über alle Maßen charmant, William. Ehehehe!“ „Was war eigentlich gestern bei dir los?“, erkundigte sich William, ohne auf mein Kommentar einzugehen oder von den Büchern aufzuschauen. Ich seufzte: „Zu viel. Ich dachte Grell wollte dir Bescheid geben.“ „Das hat er. Er erzählte, dass die Aurora Society wohl als diese Freikirche wieder aufgetaucht ist und die Unterstützung eines Engel genießt, der wahrscheinlich auch bei den Trancys eingebunden ist.“ „Nihihihi! Soweit unsere Vermutungen, ja. Ich habe diese Beschreibung nichts hinzuzufügen. Kehehe.“ „Wie will der Earl jetzt vorgehen?“ „Sie weiter beobachten und herausfinden was die ganze Sache soll.“ „Das klingt vernünftig. Was machst du jetzt?“ „Meine Abrechnung hinter mich bringen und das am besten bevor ich mich zu Tode gelangweilt habe. Nihihihihi!“ Williams Augenbraue zuckte: „Und danach?“ „Mir den Laden putzen lassen. Tehehehe!“ Williams Kopf zuckte hoch und er schaute mich verständnislos an: „Wie bitte?“ „Na, denkst du ich lasse Amber und Skyler für ihre Trotteligkeit so ganz ungeschoren davon kommen?“ William seufzte: „Eigentlich wäre ich ausnahmsweise ganz deiner Meinung. Aber deinen Laden putzen? Das ist eine Aufgabe, die ich meinen schlimmsten Feinden nicht wünschen würde.“ „Ehehehe! Sie sollen doch nur Staubwischen.“ „Das macht es nicht besser.“ „So schlimm ist es auch nicht.“ „Nein, schlimmer.“ Ich lachte. Dann wurde ich ernster: „Ich danke dir, William.“ „Wofür?“, hatte der Shinigami seine grellgrünen Augen wieder auf die Bücher gesenkt. „Für deinen Anruf.“ Er schaute mich kurz an ohne den Kopf zu heben. Dann senkte er seine Augen wieder und schüttelte den Kopf: „Lass uns einfach nie wieder darüber sprechen. Du willst wegen Aurora also nichts unternehmen?“ Ich hob seufzend die Hände. Einerseits, weil William meinen ehrlichen Dank nicht annehmen zu können schien und andererseits wegen der Frage bezüglich der neuen, sehr unerwünschten Situation vor der wir alle standen: „Solange der Earl nichts sagt. Am Ende finden die nur raus wer ich bin und stehen vor meiner Tür! Das will ich mir nicht antun.“ „Verständlich.“ Während ich mich mit Zahlen und Williams Erklärungen herum schlug, schlummerte Merkenau in vollkommener Seelenruhe auf meinem Zylinder. Ich war neidisch auf ihn. Ich würde auch lieber schlafen, als mich durch meine Abrechnungen zu kämpfen. Nicht, dass ich nicht dahinter gestiegen wäre, doch es war alles so anstrengend, langweilig und dazu noch langwierig. „Tu nicht so, als ob du es nicht verstehst“, fauchte William irgendwann genervt, nachdem mein Kopf auf dem Tisch gelandet war. „Hehehehe!“, lachte ich und schaute wieder auf: „Ich habe lediglich gesagt, es sei anstrengend.“ „Du hast jahrelang Verwaltungsarbeiten erledigt, die bei weitem anstrengender waren!“, konterte der strenge Reaper. Ich lachte weiter: „Und hatte das Gefühl lebendig zu verwesen, ja. Tehe!“ „Himmel Herrgott!“, schüttelte William seinen Kopf: „Warum tue ich mir das eigentlich an?“ „Nehehehe!“, grinste ich ihm entgegen: „Weil du mich eigentlich magst, William.“ „Überstrapaziere meine Freundlichkeit nicht!“ Plötzlich klopfte es gegen meinen Türrahmen. Williams und mein Kopf wanderten gleichzeitig herum. Skyler und Amber standen in der Tür. Mein Herz tat unwillkürlich einen kleinen Hüpfer, als ich das schöne brünette Ding – gesund und munter – in meinen Laden kommen sah. Spontan hatte ich das Gefühl, der Himmel vor meinem offenen Fenster war nicht mehr ganz so grau. Ich schaute kurz auf Williams Armbanduhr. Es war erst 16:35 Uhr, die Mädchen waren also eine knappe halbe Stunde zu früh. Meine Predigt muss einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben. Grinsend verschränkte ich meine Fingerkuppen: „Ah! Meine zwei Putzteufelchen sind da. Wie erfreulich! Sogar überpünktlich!“ Skyler winkte zerknirscht. „Hi“, machte Amy kurz und ähnlich zerknittert. William sah die beiden an: „Ihr habt keine Ahnung, in was ihr euch da rein manövriert habt.“ Dann ging Skyler zu dem Aufsichtsbeamten, streichelte im Gang kurz Merkenau, der nur mit einem Auge aus seinem Schlummer erwachte und blieb hängenden Kopfes vor William stehen: „Es kann nicht so schlimm sein wie sterben, William. Das ich überhaupt noch hier stehe ist dank dir. Ich danke dir. Ich habe keine Ahnung wie ich das je wieder gut machen soll.“ Auch Amy trat mit reumütig hängendem Kopf hinter sie: „Wir danken dir und wir haben keine Ahnung... Das war echt cool von dir. Wenn du auch noch ein Büro zum entstauben hast, sag Bescheid.“ William machte einen künstlich genervten Laut. Hinter seiner harten Fassade sah ich, dass auch er eigentlich froh war, dass den Mädchen nichts passiert war. Wäre es ihm kein Anliegen gewesen hätte er nicht eine Handvoll Regeln gebrochen und mich angerufen: „Das Angebot ist verlockend, aber glaubt mir, ihr seid mit dieser Räuberhöhle genug gestrafft. Ich würde es allerdings vorziehen eure Namen kein zweites Mal in zu naher Zukunft in unserer Liste zu lesen. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, was für Theater Grell veranstaltet hat.“ Ich ließ die Drei alleine und ging in die Küche. Ich machte zwei Putzeimer fertig und legte auf den Rand jeweils zwei Putztücher. „So!“, stellte ich lautstark die Eimer auf meine Tresen. Sofort hatte ich die Aufmerksamkeit aller. William rettete das Papier vor dem überschwappenden Wasser. Merkenau rettete niemand und ich badete den kleinen Vogel in einem Schwall des noch sauberen Putzwassers. Der kleine Vogel hat wirklich kein Glück. „Entschuldige“, grinste ich den Vogel an. Er antwortete mit einem verstimmten Krähen. Jetzt wo er endgültig – und recht ruppig – geweckt wurde, begab er sich zur Keksurne und zog sich sein zweites Frühstück heraus. Ich steckte mir einen Keks in den Mund und trocknete den kleinen Vogel mit einen Stofftaschentuch ab, was ihn dieses Mal ein wohliges Krähen entlockte. Trotzdem lag darin eine klare Anklage. „Ich weiß, ich weiß“, lachte ich: „Hehehehe! Wie gesagt, es tut mir leid.“ Merkenau hüpfte meinen Arm hinauf und setzte sich mit einem betonten Schütteln, dass er es sich genau jetzt und für den Rest des Tages darauf gemütlich machen wird, auf meine Schulter. „Das ist also Merkenau?“, fragte Amy und musterte den kleinen Vogel. Ich nickte: „Hihihi. In der Tat.“ Ich kaute endlich meinen Keks und schluckte ihn herunter. „Oh, der ist sowas von süß!“, schwärmte die junge Phantomhive: „Ich weiß gar nicht was Grell hat!“ Als Grells Name fiel betonte Merkenau seine Aversion mit einem verstimmten Krächzen. Ich lachte in Erinnerung an Merkenaus gestrigen Angriff auf Grell: „Die Beiden können einfach nicht miteinander. Das hatte Grell sich auf Anhieb verscherzt.“ Merkenau drehte seinen Kopf zu mir und krähte mir schrill genau ins Ohr und machte mir damit deutlich, dass ich seiner Meinung nach noch gründlich untertrieben hätte. Ich drehte abermals mit einem zuckenden Auge meinen kleinem Finger in meinem Ohr: „Ist ja gut. Nicht immer genau ins Ohr, ja?“ Merkenau schüttelte sich erneut und schaute wieder zu Amber. „Noah! Der ist wirklich knuffig“, fiepste Amy: „Darf ich dich kraulen, Merkenau?“ Merkenau streckte ihr den Kopf hin. Sie kraulte ihn kichernd: „Oh! Einfach putzig!“ Ich sah wie Skyler ein leichtes Lächeln über das Gesicht huschte, als sie Amy und Merkenau betrachtete. Diese Momente des hinterhaltslosen Friedens schienen dem jungen Ding viel zu bedeuten. Wahrscheinlich, da sie in ihrer Jugend ohrenscheinlich sehr selten gewesen waren. „Doch da ihr beiden euch ja jetzt so fein bedankt habt“, grinste den Beiden schließlich entgegen: „Könnt ihr ja anfangen. Hehehehe! Meine Regale erwarten euch sehnsüchtig!“ Sky schauten sich kurz um, eine düstere Vorahnung im Gesicht. „Wenn ihr mit denen im Laden fertig seid“, entschied ich mich diese Vorahnung kurz und schmerzlos zu bestätigen: „Dürft ihr hinten weiter machen, ehehehe.“ Skyler und Amber schauten einander an und ließen dann den Kopf hängen: „Ay, ay Sir...“ Sie banden sich die Haare zurück und krempelten die Ärmel hoch. Dann griff sich jede einen Eimer. Als Skyler den Henkel des Eimers griff, fiel mein Blick auf zwei zugepflasterte Fingerkuppen. Die Beiden, an denen sie sich bei dem Überfall der Trancys die Fingernägel abgebrochen hatte. Ich nahm ihre Hand vom Henkel und schaute auf die Pflaster, während ich aus dem Augenwinkel sah, wie Skylers Gesicht mit diesem herrlich überraschten Ausdruck ein weiteres Mal eine satte rote Farbe annahm. Ich legte den Kopf schief: „Das könnte mit dem Seifenwasser aber ganz schön knistern. Tehe!“ Sky seufzte: „Wahrscheinlich. Aber was soll ich dagegen tun?“ Ich legte den Kopf schiefer. Dann hatte ich eine Idee und suchte kurz in meiner kleinen Küche nach einem kleinen Karton, den mir mal Frederic vorbei gebracht hatte. Warum wusste ich gar nicht mehr. Ich fand die Packung, die unberührt sicher schon Jahre in meinem Schrank lag und stellte sie auf den Tresen. „Was ist das?“, fragte Skyler, nachdem sie das staubige Paket eindringlich gemustert hatte. Ich grinste: „Eine Packung Einmalhandschuhe.“ „Ahhh“, machte sie und zog dann die Augenbrauen zusammen: „Die hast du schon was länger, oder?“ Ich kicherte und hielt ihr den kleinen Karton ins Gesicht: „Tihihi! Ein bisschen. Nimm sie. Damit sollte sich größerer Schmerz vermeiden lassen.“ Sie lächelte verhalten und etwas beschämt, was gelinde gesagt atemberaubend ausschaute: „Danke.“ Beflügelt von einem plötzlichen warmen Gefühl in meiner Brust lächelte ich zurück. Sky zog einen Handschuh aus der Packung, streifte ihn über die lädierte Hand und stellte sich dann mit einem ratlosen Ausdruck neben Amy, die ebenfalls den Kopf in den Nacken gelegt fragend meine Regale musterte. Mir ging schnell auf, dass sich die jungen Damen bewusst waren, dass sie alleine nie an das obere Regalbrett reichen würde. Also zog ich zwei kleine Tritts aus einer Ecke und stellte sie neben die Mädchen. Dann gesellte ich mich zurück zu William, dem schon die Ungeduld deutlich im Gesicht stand. Die Mädchen begangen zu wischen und William und ich kämpften weiter mit schier endlos vielen Zahlen. Ich musste immer wieder Kichern, da die Mädchen immer wieder husteten und niesten. Von William erntete ich dafür mehr als nur einen bösen Blick. Irgendwann verschwand ich in die Küche um weiteren Tee zu kochen. William und ich machten uns einen Becher fertig und ich legte meine Füße unter einem missbilligenden Blick des Aufsichtsbeamten auf meine Tischplatte. Es dauerte nicht sonderlich lange da unterbrach ein lautes: „AH!“, unsere eifrige Rechnerei. „Oh mein Gooooooott~ …“ Williams und mein Kopf wanderten wieder herum. Skyler stand, ein Glas mit einer Niere in der Hand, mit sichtlich weichen Beinen in meinem Laden und starrte relativ bleich auf den Inhalt des Glases in ihrer Hand. Ich konnte nichts anders als loszulachen. William schüttelte nur den Kopf: „Du hast sie noch nicht mal vorgewarnt?“ „Kihihihihihi! Ja und Nein! Ich erwähnte es mal, habe sie aber nicht noch einmal ausdrücklich drauf hingewiesen. Fuhuhuhuhu!“ Ein weiteres Kopfschütteln Williams: „Du bist unglaublich.“ „Was hast du de… Hö?… Äh!“, hörte ich nun Amy und sah auch ihr geschocktes Gesicht, was mich nur noch mehr amüsierte und William zu einen dritten Kopfschütteln animierte: „Undertaker? Das ist Ih! Das ist einfach ganz doll Ih!“ „Tihihihihihi!“, kicherte ich laut: „Weniger schnattern, mehr putzen!“ „Ja doch“, ergaben sich die jungen Frauen und putzten weiter. William und ich kamen nur schleppend voran, denn jedes neue Glas sorgte für neues Entsetzen und das wieder zu einem neuen kleinen Lachanfall meinerseits. William war schnell reichlich gereizt und genervt. Warum konnte dieser Mann nicht einmal in seinem Leben einfach Spaß haben? „AH! GEH WEG DAMIT!“, kreischte Amy nach einer Weile schrill durch meinen Laden. Merkenau flatterte erschrocken mit den Flügeln. Ich schaute vom Schreibtisch auf. William stöhnte, hatte ich mich doch gerade 15 Minuten am Stück konzentriert. Amys sah aufgeschreckt aus. Skyler hielt ihr ein Glas mit ein paar Augen entgegen. Mein Lachen verschwand in hohen Frequenzen. Nachdem ich mich beruhigt hatte dauerte es nicht mehr lange bis meine und Williams Tortur endlich ein Ende fand. William strecke sich kurz: „So. Ich empfehle mich. Miss Phantomhive? Miss Rosewell? Undertaker? Ich wünsche einen angenehmen Tag.“ „Ich danke dir, William“, verstaute ich meine durchgerechneten Unterlagen in meinem Schreibtisch: „Wenn ich etwas für dich tun kann, lasse es mich wissen. Tehehe.“ „Werde ich“, William wandte sich zum gehen und schaute noch einmal über seine Schulter zu den Mädchen: „Und viel Erfolg.“ „Danke“, Skyler nickte angestrengt: „Dir auch einen schönen Tag, William.“ „Mach‘s gut“, verabschiedete sich auch Amy recht ermattet. Doch Mitleid hatte ich mit den zwei doch teilweise recht kopflosen Mädchen nicht. William verschwand mit einem abschließenden Nicken. „So, meine kleinen Wichtel“, grinste ich, als auch ich mich auf in den hinteren Raum machte um mich endlich um einige meiner Gäste zu kümmern: „Ich habe selbst noch etwas Arbeit. Hehehe! Ich bin hinten, falls ihr Etwas braucht.“ Die Mädchen nickten. Hinten hing ich meine Robe an ein Regal, suchte mir meine Instrumente zusammen und machte ich mich daran einen Gast wieder zusammen zu flicken. Pfeifenderweise gab ich mich voll und ganz meiner Arbeit hin und stellte irgendwann die Pumpe an, die das Blut aus dem Körper hinaus und die Balsamierungsflüssigkeit hinein drücken sollte. Obwohl ich in meine Arbeit wie immer gänzlich versunken war, weckte mich irgendwann ein lautes:„Wa!“, gefolgt von einem noch lauteren: „Oh nein, nein, nein, nein!“, aus meiner Routine. ‚Sky?‘, mein Kopf wanderte herum. „Sky!“, bestätigte mich ein Aufschrei Amys. Dann hörte ich auch schon ein lautes Poltern aus dem Verkaufsraum. ‚Oh, nein...‘, Skys Fluch hatte wohl mal wieder zugeschlagen. Ich machte mich eilig auf den Weg nach vorne und schaltete im vorbei gehen die Pumpe aus. Doch noch bevor ich den Türrahmen erreicht hatte hörte ich ein weiteres Scheppern und ein lautes: „AHHH!“ Ich seufzte: ‚Oh weia…‘ „Wasted...“, bestätigte mich Amy ein weiteres Mal. „Was ist passiert?“, fragte ich, noch bevor ich meine Nase gänzlich aus der Türe gestreckt hatte und die Szenerie sah. „Skyler ist passiert“, antwortete mir Amy. „Wie?“, ich folgte ihrem Finger zu einem Sarg, aus dem ein Fuß herausschaute. Merkenau saß auf dem Schreibtisch und hatte einen Flügel über seine Augen gelegt. Ich konnte mir denken was passiert war und was passiert war muss definitiv furchtbar schmerzhaft gewesen sein. Rasch huschte ich zu dem Sarg, in dem der schöne, brünette Unglücksrabe gelandet war und hob den Deckel an. Der Geruch dreckigen Putzwassers schlug mir entgegen und ich sah eine komplett besudelte und nasse Skyler in dem einst reinweißen Sargpolstern. Doch die Polster waren mir gerade vollkommen egal. Mir war nur wichtig, ob Skyler verletzt war. „Geht es dir gut?“, fragte ich, doch ein wenig ungläubig, ob ein Mensch – selbst wenn er verflucht war - so viel Pech haben konnte. „Nein“, stöhnte sie mit schmerzbeladener Stimme und blinzelte mich durch ihre tränenden Augen an. Auch ihr Gesicht und ihre Haare waren nass: „Nein, geht es mir nicht...“ „Was ist passiert?“ „Ich hab geniest...“ Mein Mund klappte gegen meinen Willen auf: „Ehrlich?“ „Ja…“ „Und dann?“ „Bin ich vom Tritt gefallen...“ „Ehrlich?“, fragte ich erneut und konnte immer noch nicht fassen wie viel Pech sie haben musste. Wie tollpatschig sie war. „Sieht es so aus?“, fragte sie gereizt. Eine schöne Situation war es für sie sicherlich nicht. Ich wackelte mit meinen Kopf hin und her und konnte das immer weiter werdende Grinsen nicht verbannen: „Schon, ja. Hast du dir weh getan?“ „Ja...“, stöhnte sie. „Wo?“ „Ich hab Putzwasser in den Augen...“ Ich drückte eine Hand vor seinem Mund: „Nicht nur in den Augen.“ Das Pech der jungen Dame machte mich fertig. Doch ich wollte wirklich nicht Lachen. Ich atmete einmal tief durch: „Ist sonst etwas passiert?“ „Ja…“, murmelte sie: „Der Sargdeckel ist mir auf mein Knie gefallen...“ Ich krümmte mich nach vorne und presste meine Hand so fest ich konnte vor den Mund. Ich wollte mich darüber nicht belustigen, aber ich musste mir vorstellen wie sie mit einem Niesen von ihrem Tritt gepoltert war, sich selbst mit ihren Eimer beworfen und dann auch noch der Sargdeckel runter gekracht war. Die Redewendung ‚Eine Verkettung unglücklicher Zufälle‘ würde dem Geschehenen einfach nicht gerecht werden. „Herrgott...“, sagte sie fast resigniert: „Jetzt lach‘ doch einfach...“ Das gab mir dann doch endgültig den letzten Rest. Ich rutschte vom Sarg und blieb schallend lachend auf dem Rücken liegen. Ehrlich! Wie konnte man nur so viel Pech haben? Es dauerte eine ganze Weil, bis ich mich am Sarg wieder hochzog und schwer durchatmend meine Stimme wieder fand: „Huhuhuhuhu… Wie kann man nur so dusselig sein?“ „Gute Frage“, seufzte sie und wischte sich durch die Augen, worauf hin sie ihre geschundenen Augen noch mehr zusammenkniff: „Oh Mist!“ Giggelnd hob ich das federleichte Ding aus dem Sarg und setzte sie auf einen anderen. Dann ging ich kurz zu meinem Schreibtisch und holte ein frisch gewaschenes Taschentuch aus meiner Schublade. Als ich zu Skyler zurück kehrte, stand Amy neben ihrer besten Freundin. Skyler war nicht angetan von dem was Amy sprach und giftete die junge Phantomhive recht sauer an. Mit der Hand an ihrem Kinn drehte ich ihren Kopf zu mir und unterbrach so den kleinen Zickenkrieg der beiden jungen Dinger. Behut- und sorgsam wischte ich der jungen Dame durch das schöne Gesicht. Das bisschen Schminke was sie immer trug war zerlaufen, das Weiß um ihr wunderschönes Himmelblau war leuchtend rot und gereizt. Vorsichtig rubbelte ich die ruinierte Schminke und das Putzwasser aus ihren Augen und von ihrer blassen Haut. Ihre Haut wirkte so empfindlich wie das ganze junge Ding an sich. Ich hatte Angst sie zu zerreißen wenn ich zu fest reiben würde. Die junge Frau war so endlos zerbrechlich und dadurch so unsagbar süß. Ich wusste nicht ob mir diese Zerbrechlichkeit gefiel, weil sie so jung und rein wirkte, ihr einen Hauch von Unschuld verlieh, oder ob ich sie tragisch fand, weil ich wusste woraus sie entsprungen war. Ich wusste nur, ganz wird sie sie nie wieder abwerfen. Spuren ihrer Vergangenheit werden sie ewig zeichnen, egal was ich oder sonst wer tat. Während ich ihr Gesicht trocken wischte und meine Gedanken ein wenig ihre für mich sehr ungewöhnlichen Kreise drehen ließ, entfleuchte mir ein seichtes Lachen: „Herrje, herrje. Hehe! Was machst du nur für Sachen?“ „Putzen“, antwortete sie kurz abgebunden. Sie machte keine Anstalten ihr Gesicht wegzudrehen. Im Gegenteil. Sie ließ es geschehen ohne einen Hauch lauten oder leisen Widerstandes. „Tihihi. Bei dir scheint selbst Putzen ein Extremsport zu sein“, kicherte ich sie an und musterte das Gesicht über das ich rieb genau. Es war so fein und es war so dünn. Man sah ihm an, dass es sehr früh recht ausgezehrt gewesen sein musste. Ihre immer noch leicht eingefallen Wangen, die ihre hohen Wangenknochen schattierte verrieten es. Auch ihre großen Augen wirkten ein wenig eingefallen, neben der stupsigen Nase. Doch das alles machte ihr zierliches Gesicht mit dem spitzen Kinn nicht weniger schön. „Du bist gemein...“, seufzte Skyler mich schließlich aus meinen Gedanken: „Du kannst mir wenigstens nicht unterstellen ich würde halbe Sachen machen...“ „Wobei?“, lachte ihr amüsiert entgegen, immer noch abgelenkt von ihren zarten und doch so tragisch fragilen Gesicht: „Hehehehehe! Beim Putzen? Da sicherlich nicht. Beim unfreiwilligen Suizid? Na. Gott sei Dank hat es nicht ganz gereicht. Fu fu fu.“ „Ach...“, zischte sie geschlagen: „Du bist doof...“ Nach dem ihr junges Gesicht wieder trocken war, nahm ich mein Taschentuch zurück. Ich sah das dünne, junge Ding in ihren nassen Kleidern zittern, da ich aufgrund des ganzen aufgewirbelten Staubes die Fenster und Türen offen gelassen hatte. Amy war wieder ans putzen gegangen, während Skyler dem begossenen Pudel sowohl von ihrer Nässe, als auch von ihrer Mimik und Körperhaltung sehr ähnlich war. Ich schnaubte mit einem Lächeln und schüttelte kurz den Kopf. Dann zeigte ich auf Skys linkes Knie, welches aus dem Sarg gehangen hatte: „Das?“ Sie nickte so begossen pudelig wie sie war. Ich griff ihr nasses Hosenbein und krempelte es hoch, um mir das Dilemma anzusehen. Ein erschrockenes Zucken ging durch ihren Körper: „Ätete! Was tust du da?!“ „Ich schaue nach, ob du dich ernsthaft verletzt hast“, grinste ich, schob den Stoff endgültig über das Knie und sah schon, dass es bereits rot und blau wurde, obwohl ich meine Brille nicht auf der Nase hatte und schon auf die kurze Distanz nicht mehr scharf sah: „Die Sargdeckel sind massiv und ziemlich schwer. Das wird jetzt ein bisschen weh tun“, kaum machte ich mich daran ihr Bein behutsam ein Stück anzuheben und ihre Kniescheibe zu befühlen, quiekte das junge Ding schon ganz erbärmlich schmerzlich. Ein herzzerreißender Laut. Sie muss sich furchtbar weh getan haben… und ich hatte gelacht: ‚Das üben wir noch mal...‘ „Ruhig durchatmen“, drückte ich noch zweimal seicht gegen ihre Kniescheibe: „Atmen macht es ein wenig besser.“ Ich hörte Skyler gequält einatmen, immer noch recht flach und angestrengt, doch besser als vorher. Meine Finger ertasteten nicht den kleinsten Knacks, was gut war. Doch natürlich war ich keine Röntgenmaschine, doch ich war mir fast sicher ihr Knochen sei noch einmal heil aus der Sache heraus gekommen. „Gebrochen scheint die Kniescheibe nicht zu sein“, gab ich mit einem kleinen Lächeln Entwarnung und schloss dabei die Augen: „Kannst du es bewegen?“ Als sie sich nicht sofort bewegte oder irgendwie anders reagierte, öffnete ich die Augen und schaute der jungen Skyler ins Gesicht. Es war ganz rot geworden und schaute ohne zu blinzeln zurück in meins. Plötzlich drehte sie ihren Kopf zu ihrem Knie und winkelte das Bein an. Ihrem Gesicht sah man die Schmerzen an. Aber das sie es bewegen konnte war ein gutes Zeichen. Ich legte sachte ich Bein ab und stand auf: „Gut. Alles noch ganz und da wo es hingehört“, ich grinste, bevor ich mich zum Gehen wand kurz schelmisch, weil ich eben so war und mir meine Scherze oft (gar) nicht verkneifen konnte: „Nicht weglaufen.“ „Wie?!“, hörte ich Skylers Stimme hinter mir her rufen, als ich in meine kleine Küche verschwand und eine Packung Tiefkühlerbsen aus dem Eisfach kramte, die schon… eine halbe Ewigkeit dort drin liegen müssten. Ich kam zurück in den Verkaufsraum. Skyler beschaute mich irritiert wie skeptisch: „Erbsen?“ Ich grinste so beholfen ich konnte und legte ihr den Beutel auf das Knie: „Ich habe nichts anderes. Kühle es ein bisschen. Es wird trotz allem blau werden, aber so vielleicht nicht rabenschwarz. Ehehehe!“ Ich schenkte ihr das beste Lächeln was ich zu Stande bekam, ohne es mitzubekommen. Es tat mir leid, dass sie sich verletzt hatte als sie sich Aufgaben angenommen hatte, die ich ihr aufgehalst hatte und ich ihr im Gegenzug nicht besseres als eine Packung Tiefkühlerbsen anbieten konnte. Sky legte rasch ihre Hand auf den improvisierten Kühlakku und ich drehte mich zu der jungen Phantomhive, die souverän weiter wischte: „Hehehe. Komm runter. Ich habe keine Lust, dass ihr eure Särge doch schon braucht.“ „Nope“, antwortete Amy kurz abgebunden und in ihre Aktivität versunken: „Ich brauche keine Almosen. Das ist meine gerechte Strafe und ich werde sie zu Ende bringen. Warum denkst du, ich würde das nicht schaffen?“ „Wuhuhuhuhuhu!“, lachte ich und antwortete vollkommen wahrheitsgemäß, auch wenn die Wahrheit etwas rau war: „Weil ich bis eben auch nicht dachte, dass Staubwischen ein lebensgefährliches Unterfangen ist!“ „Ich bin nicht Sky“, mit dieser Aussage toppte Amy mich im Puncto ‚Rau‘ sofort um Längen. Der schwarzhaarige Wirbelwind hatte es faustdick hinter den Ohren. Oliver soll froh sein, dass sein Butler ihn nicht aus den Augen lässt, ansonsten hätte Amber ihn wahrscheinlich schon dreimal in der Themse versenkt. Eine Vorstellung, die ich definitiv attraktiv fand. Sky allerdings verzog ein recht angesäuertes Gesicht: „Danke.“ Ich drehte mich zu ihr und konnte mein Lachen mal wieder nicht aufhalten, als ich die Hände hob: „Es ist wie es ist. Nehehehe!“ „Dann müsst ihr es aber nicht auch noch so explizit erwähnen...“, grummelte die schöne Brünette und sah nun gänzlich wie ein begossener und angefressener Pudel aus. Ein herrlicher Anblick, der mich gleich wieder lauter zum Lachen brachte. Hinter mir hörte ich Amy mitlachen. Nachdem ich zu Ende gelacht hatte, wandte ich mich wieder ganz der schönen Brünetten in ihren besudelten nassen Klamotten zu, die mitten im Durchzug saß. Mit einem nachdenklichen Ausdruck im Gesicht erinnerte ich mich daran, dass Amy erwähnte Skyler würde sehr schnell krank werden. Sie hatte sich ja auch nach ihrem ersten Zusammentreffen mit Oliver sofort eine Erkältung eingefangen. Irgendwie musste ich sie aus ihren nassen Klamotten befreien, ansonsten holte sie sich vermutlich noch eine ausgewachsene Grippe. Ihr Kopf fiel zur Seite, als sie mich zurück musterte: „Was grübelst du?“ Ich lachte einmal auf: „Ich überlege, ob ich irgendetwas hier habe um dich aus deinen nassen Klamotten zu befreien. Außerdem müffelst du ganz furchtbar. Hehehe!“ Sie zog die Augen zusammen: „Ich korrigiere. Du bist nicht gemein. Du bist auch nicht doof. Du bist ein Arsch, Undertaker.“ Wie sie das sagte klang zu gleichen Teilen wirklich beleidigt, aber auch furchtbar verspielt. Ihre – wenn auch nur sehr selten zu bewundernde – neckische Ader gefiel mir ausgesprochen gut und ich freute mich immer wieder sie zusehen. Sie entlockte mir ein Lachen, verursachte aber auch dieses komische warme Hüpfen in meiner Brust, dass ich immer noch nicht recht einordnen konnte. ‚Awwwwwwww!~♥‘, quietschte auf einmal Grells Stimme durch meinen Kopf, als ich mir diesem warmen Kribbeln ein weiteres mal gewahr wurde: ‚Du hast dein Heiligtum für sie weggeworfen! Oh meine Güte! Du bist ja wirklich total verknallt!‘ War es das? Fühlte man sich dann so? „Ich spreche nur die Wahrheit, oder Amy?“, lenkte ich meine Aufmerksamkeit wieder auf das Thema, da ich meinen Fragen über mich selbst ein wenig ratlos gegenüber stand. „Jup“, machte Amy geschäftig: „Du stinkst.“ „Danke“, fauchte Skyler: „Das ist was man sich unter einer besten Freundin vorstellt.“ „Gern geschehen“, machte Amy trocken, doch ich wusste nur allzu genau, dass die Phantomhive ihre Freundin gerade ein wenig ärgerte. „Das war Sarkasmus!“, konterte diese, sich diesen Umstand wohl ebenfalls sehr wohl gewahr. Ich lachte. Irgendwie erinnerten die Beiden mich gerade ein wenig an Vincent und Diedrich. Der alte Earl hatte auch immer einen sehr trockenen Ton beibehalten, was den Deutschen zutiefst pikierte. Genau wie es hier gerade Amy mit Skyler tat. Da der alte Wachhund mit dem Gesicht in diesen Situationen meistens zu mir gewandt war, konnte ich immer das breite Grinsen sehen, welches sein Gesicht immer dann heimsuchte, wenn seine Sticheleien Früchte getragen hatten. Und die trugen sie eigentlich immer, da Diedrich auf jede Neckerei nur allzu gerne einstieg. Ohne sich diesem bewusst zu sein. Genau wie die kleine Sky. Nur hatte sie doch bei weitem mehr Humor, als Diedrich. Zugegeben, eine Königsdisziplin war dies nicht. Und Amy hatte dieses schadenfrohe Grinsen geerbt. Ich hatte es sofort erkannt. Sie war Vincent generell nicht ganz unähnlich. Wahrscheinlich war dies der Grund warum wir beide eigentlich sofort gut miteinander auskamen. Doch sie hatte Vincents schmale, braune Augen nicht. Sie waren für ein europäisches Gesicht einen ticken zu schmal gewesen und wirkten somit oft kälter als sie waren. Was nicht hieß, dass Vincent die eiskalte Maske des skrupellosen Earls nicht perfektioniert hatte. Im Gegenteil. Genau wie jeder andere Wachhund beherrschte er sie perfekt. Diese Erkenntnisse und Erinnerungen ließen mich abermals lachen. Doch Amy hatte wenn Lizzys Augen, natürlich vermischt mit einigen Zügen der Countessen und Earls, die zwischen den beiden Frauen lagen. So hatte sie wie der Rest ihrer Familie väterlicherseits durchgehend Ciels königsblau geerbt, das er wiederum von seiner Mutter Rachel hatte. Auch wenn die Männer den Titel ‚Wachhund‘ zugesprochen bekamen, war eine weibliche Phantomhive zu unterschätzen ein schwerer Fehler. Jeder der Cloudia, Francis und Lizzy kannte, oder ihre Geschichten gehört hatte, wusste sehr genau wovon ich sprach. Schließlich hatte das kleine, blonde Ding recht eindrucksvoll einige meiner Dolls zerlegt. Und ich sprach von zerlegt und das ohne zu übertreiben. Das Francis und ihre Familie zu den Überlebenden der Campania gehören würden, war mir klar gewesen, als ich sie auf dem Schiff entdeckt hatte. Was nicht hieß, dass ich ihre Mitfahrt sonderlich erquickend fand, im Gegenteil, und was Francis auch nicht darum brachte furchtbar sauer auf mich gewesen zu sein. Zu Recht wahrscheinlich. Ich wusste schon als Amy noch klein gewesen war, dass sie ihren Kampfgeist geerbt hatte. Sie hatte ihren älteren Bruder - als dieser sie noch nicht durch Lees Kampfsporttraining überholt hatte – das ein oder andere Mal mächtig einen übergezogen. Ich war mir sicher mit einem Schwert in der Hand war auch diese Phantomhive mehr als nur nützlich. Irgendwie musste ich den Earl noch auf diesen Trichter bringen. Seit dem Vorfall vorgestern, hatte ich es mir ernsthaft vorgenommen mit ihm ein ernstes Wörtchen zu wechseln, wie es mit Amy weiter gehen sollte. Gefallen wird ihm dieses Gespräch nicht, doch Amy begann allmählich unter Alexanders und Heathers liebevoll schützender Hand einzugehen. Doch gerade hatte ich noch ein frierendes, nasses Dinglein auf meinem Sarg sitzen, was dabei war sich eine Erkältung einzufangen und meiner Aufmerksamkeit eher bedarf, als das Bedürfnis Amys Situation zu retten, oder meine verstaubten Erinnerungen. Ich grübelte noch ein paar Augenblicke, dann schnipste ich aufgrund einer Idee: „Ah! Ehehehe! Ich hab noch irgendwo so eine… ähm“, nun schnipste ich immer wieder, als ich vergeblich nach dem Namen dieses unsäglichen Kleidungsstückes suchte, dass ich in meinem Leben, glaube ich, nur einmal angefasst hatte um es ganz weit nach hinten auf das Oberste meiner Regelbretter hinter den schwarzen Vorhang zu verstauen, die mir als Schrank dienten. Wie fast alles was Ron und Grell zur Erweiterung meines Kleiderschrankes anschleppten: „Ja… eine… Ach! Wie heißen noch mal diese komischen Stoffschlabberhosen, die zwar zum Sport machen entwickelt wurden, doch jeder nur für das Gegenteil benutzt?“ „Jogginghosen“, antwortete Amy aus ihrem Regal, in dem sie immer noch halb verschwunden war. „Genau!“, ich ging eilig Richtung Tür: „Ich suche sie schnell! Hehehe!“ Denn ich war mir nicht wirklich sicher, ob sie nicht mittlerweile unbewusst und ungewollt weiter gewandert war. „Warte!“, rief Sky mir schon fast entsetzt nach: „Das ist nicht nötig!“ „Oh doch!“, ging ich weiter zu dem schwarzen Vorhang neben der Treppe die in das obere Stockwerk, dass schon seit ich dieses Haus erworben hatte einfach leer stand. Ich brauchte den Platz nicht. Und vermieten… Wer zog denn bitte schön bei mir ein? Natürlich hatte Vincent es damals deutlich erkennbar im Scherz gemeint, ansonsten hätte ich ihn auch offiziell für verrückter als ich erklärt. Doch ich fragte mich gerade eher, was an dem Gedanken meine Jogginghose anzuziehen so entsetzlich war. Natürlich, diese Hosen waren scheußlich. Aber als ich Sky und Amy die Ketten gebracht hatte, hatten die Beiden doch auch so Eine getragen, also kann es ja eigentlich nicht so schlimm sein, oder? Wieder verstand ich nicht, warum sie klang, wie sie klang, oder tat, was sie tat: ‚Frauen… Ehehehe!‘ Obwohl ich aus den Frauen der 4 Familien, mit denen ich jetzt schon länger verkehrte, immer recht schlau geworden war. Vielleicht, weil ich diese oft aus der Wiege heraus kannte. Oder Sky war einfach nur ein bisschen komisch, oder ich war zu komisch. Eigentlich hatte ich keine Ahnung. Ich verstand sie manchmal einfach nicht und nur das wusste ich sehr genau: „Die Fenster stehen sperrangelweit offen und draußen ist es kalt. Dann sitzt du hier sicherlich nicht in nassen Sachen herum. Hihihihi!“ „Das ist so peinlich“, hörte ich Skylers Stimme während ich - wegen diesen Satzes kichernd - durch meine Regalbretter wühlte und sämtliches hervor kramte. Auch einige Teile die ich schon länger suchte. Warum Krimskrams einen immer dann in die Hände fiel, wenn man ihn nicht brauchte und nie wenn man ihn suchte, war Eines der Geheimnisse des Lebens, hinter das auch ich noch nicht gestiegen war. „Jup“, antwortete Amy in ihrem Arbeitsrausch, der mich ehrlich überraschte. Ich hatte diesen… Gefallen gewählt, weil ich wusste, dass Amy putzen hasste. Ich konnte ihr nachfühlen, zugegeben. In meine Schubladen will wirklich keiner schauen. „DU bist für heute unten durch, klar?!“, fauchte die schöne Brünette zurück. Sie wirkte immer so lebendig, wenn sie irgendwie geartet sauer war. Ein Seufzen mischte sich in mein Kichern. Eigentlich war es tragisch, dass sie oft nur dann lebendig wirkte, wenn sie sauer war. „Ich werde es ertragen“, erwiderte Amy nur reichlich knapp, was Skyler ein gereiztes Grummeln entlockte. Die Beiden waren einfach eine herzallerliebste Kombination. Wie für einander gemacht. Sky sprach so anders mit Amy. Gar nicht schüchtern, oft sogar recht frech. Ich mochte diesen kecken, frechen Ton, den sie mir gegenüber nur so selten zeigte. Als ich so darüber philosophierte, wie bedauerlich ich diesen Umstand fand, fiel mir schließlich dieses… Schlabberdings in die Hände, was Menschen und auch Grell und Ronald fälschlicherweise, als Hose bezeichneten. Ich griff noch irgendeines von diesen… T-Shirts und klaubte im vorbeigehen eine elastische Bandage aus meinem – ebenfalls recht gealterten – Erste-Hilfe-Kasten. Doch wozu sollte ich ihn erneuern? Meine Gäste und ich waren auf so etwas nicht angewiesen und dass sich Menschen in meinem Laden fast umbrachten, kam entgegen der geläufigen Meinung doch eher selten vor. Es sei denn sie hörten auf den Namen Skyler… vielleicht sollte ich doch in einen Neuen investieren... Nach vielleicht 5 Minuten kam ich grinsend zurück in den Verkaufsraum: „Wer suchet, der findet! Nehehehe!“ Sky wirkte recht unangetan von meinem Triumph. Wäre sie eine Katze hätte sie wahrscheinlich in diesem Moment ihre Ohren hängen lassen. Doch wäre sie eine Katze, hätte auch ihr Abstieg vom Tritt definitiv etwas anders ausgesehen: ‚Naja, Hauptsache es ist ihr nichts Ernstes passiert. Nihihihi! Sah bestimmt trotzdem lustig aus.‘ Bei diesem Gedanken schallte ich mich selbst. Sky hatte wahrscheinlich Recht: Ich war ein Arsch… Doch es machte soviel Spaß einer zu sein! Ich erkannte des Weiteren die Redewendung ‚Glück im Unglück‘ wurde wahrscheinlich für Skyler erfunden. Kaum wahr ich vor ihr stehen geblieben, stammelte die schöne Skyler auch schon wieder unbeholfen vor sich hin, was sich mir ein weiteres Mal nicht so recht erschloss: „Du musst wirklich nicht… also...“ Wollte sie unbedingt krank werden? Gibt es Menschen, die Spaß daran hatten? Vincent hatte immer nach einem Priester verlangt, wenn er auch nur einen Schnupfen hatte und die durch ihr Asthma sehr kränkliche Rachel sah auch nie wirklich entzückt aus, wenn sie einer weiteren Welle ihrer Krankheit unterlag. Ihr Sohn, der ihre Krankheit geerbt hatte, hatte wenigstens von Anfang an den vorteilhaften Charakterzug besessen leise zu leiden. Von seinem Vater kam er nicht. Wortlos und immer noch stumm mich selbst fragend, legte ich den Stoffstapel ab und nahm den Beutel Erbsen von Skylers Knie. Dann rollte ich die Bandage aus und kniete mich vor ihr, um ihr Knie wenigstens ein wenig zu schienen. „Was“, fragte sie stocken: „Ist das?“ Ich giggelte, während ich die Bandage um ihr dünnes, lädiertes Knie wand. Alles an dem jungen Ding wirkte wie aus dünnem Glas, es war erstaunlich und gleichzeitig besorgniserregend. Denn es vermittelte das Gefühl, dass sie nicht vielem stand hielt: „Eine elastische Binde. Es ist zwar nur eine Prellung, aber umso stiller du es hältst, umso schneller ist sie wieder fort. Nehehehe!“ Nachdem ich ihn festgesteckt hatte, legte ich Skyler die Kleider auf den Schoß und hob sie wieder auf meine Arme. „Undertaker!“, rief Sky und ihr Gesicht war so dunkelrot, dass es sicher gleich zu dampfen anfing: „Das ist wirklich nicht…!“ „Ah, ah, ah! Keine Diskussionen.“ „Hey! Was soll das werden, wenn‘s fertig ist?!“, beschwerte sich Skyler weiter. Ich grinste sie an und ging in Richtung Tür: „Ich bringe dich ins Bad. Du kannst dich natürlich auch hier umziehen, wenn dir das lieber ist.“ „Ok...“, quietschte Sky leise und ihr dunkelrotes Gesicht wurde noch dunkler. Auch wenn ich mich wirklich fragte wie das noch möglich war. Ohne Eile ging ich mit ihr durch die offene Tür hinter meinen Tresen, durch den kleinen Zwischenraum und in mein sehr kleines Badezimmer. Ich hob meinen Fuß, klappte damit den Klodeckel herunter und setzte Skyler auf den Deckel. Sie hob das schwarze T-Shirt hoch und musterte es eingehend. Dann schaute Sky mich mit schief gelegten Kopf an und drehte ein Logo auf dem T-Shirt zu mir: „Was ist das für ein Symbol?“ Erst jetzt sah ich welches T-Shirt ich gegriffen hatte: „Das Zeichen der Dispatch Association. Grell wollte unbedingt, dass ich eins habe. Hehe.“ „Okay...“, machte Skyler langsam und ich ging aus der Türe: „Ehehe. Rufe mich wenn du fertig bist. Hänge deine nassen Sachen einfach über die Heizung.“ Ich machte einen Schlenker durch meine Küche und griff mir einen Wischmob. Dann machte ich mich daran die Pfütze im Verkaufsraum aufzuwischen. Nach ein paar Sekunden hörte ich Amy Seufzen. „Nihi. Warum hast du es so schwer, kleine Amber?“ „Nenn‘ mich nicht klein. Ich bin kein Kind mehr.“ „In der Tat. Darf ich trotzdem wissen was dich bedrückt?“ „Ach!“, Amy warf resigniert ihr Tuch ins Regal: „Ich, Dad, Mum, Fred, Lee. Einfach alle...“ Ich roch Lunte: „Immer noch wegen vorgestern, hm?“ Die junge Phantomhive machte sich sicher immer noch Vorwürfe, da ihre unbedachte Idee Skyler in größere Gefahr gebracht hatte, als sie sich vorgestellt hatte. Natürlich, denn so junge Mädchen sollten über den Tod noch gar nicht nachdenken müssen. „Ja...“, griff sie mit einem weiteren frustrierten Seufzen wieder ihr Tuch und wischte weiter: „Ist doch alles Scheiße, man… Ich darf nix, ich kann nix, ich schaff‘ nix und ich will eine Phantomhive sein?“, sie ließ die Schultern hängen und schaute an die Decke: „Vielleicht sollte ich mich einfach erschießen… AU!“ Ich nahm meinen Wischmob und haute ihn ihr für ihren letzten Satz gegen den Kopf: „Na! Keine Selbstmordgedanken in meinem Laden!“ Amy rieb sich den Kopf: „Ja, ja… Is‘ ja gut...“ Ich wischte weiter: „Gräme dich nicht so. Ich werde mit deinen Vater sprechen.“ „Warum?“ „Weil es so mit dir nicht weiter geht.“ „… Du bist so ernst… Bin ich wirklich so schlimm?“ Ich war tatsächlich relativ ernst. Auf kopflose Selbstmorddrohungen reagiere ich recht allergisch. Vor allen Dingen von Menschen, die den Rattenschwanz an der Sache kennen sollten: „Nein, Amy, um schlimm geht es nicht. Es geht um unausgelastet sein und ungenutztes Potenzial.“ „Wie?“ „Ich will, dass dein Vater dich endlich trainieren lässt.“ „Echt?!“ „Wenn ich es sage.“ Amys Gesicht hellte sofort auf, was doch wieder mein Grinsen zurückbrachte, während ich weiter die Spuren von Skylers Unfall beseitigte: „Woah! Du rockst, Undertaker! Papa hält so viel auf dich. Wenn ihn einer umstimmen kann, dann du!“ Ich kicherte: „Nihihi. Freue dich nicht zu sehr zu früh. Auch ich kann keine Wunder wirken und du weißt wie sehr deine Eltern dich lieben. Denn aus Boshaftigkeit tun sie das alles nicht. Ob ich dagegen ankomme, steht in den Sternen.“ Nun wieder besser gelaunt, wischte Amy weiter: „Du machst das schon!“ Ich seufzte giggelnd. Dann hörte ich Schritte von links. Als ich meinen Kopf dorthin drehte, sah ich Skyler zu uns heran humpeln. Sie sah in meinen Kleidern vollkommen verloren aus. Sie trug sie auch nicht mit sonderlich viel Souveränität. Trotzdem wirkte sie in den viel zu langen Kleidern irgendwie furchtbar süß, was mich kichern ließ: „Du solltest doch rufen.“ Sie schüttelte den Kopf: „Es geht schon wieder besser.“ Halbherzig seufzend stemmte ich eine Hand in die Hüfte: „Übertreibe es nicht, ja? Das Volleyballtraining morgen ist für dich jedenfalls gestorben.“ Sie klimperte überrascht mit den Augen: „Du weißt Bescheid?“ „Aber ja!“, lachte ich. „Woher?“ „Der Earl erzählte es mir vor ein paar Tagen. Ich bin sehr erpicht darauf, das zu sehen. Ehehehe!“ Und ich wollte nicht, dass Sebastian seinen Frust über die Situation an den Mädchen ausließ. Skyler schaute mich an, als würde sie sich lieber ihr eigenes Bein abkauen, als bei diesem Volleyballtraining mitzumachen. Ich musste weiter lachen, als ich diesen missmutigen Ausdruck erblickte. „Worüber habt mein Vater und du denn gesprochen?“, fragte Amy durch mein Lachen. „Nihihihi! Ein paar Angehörige verschmähten meine Dienste. Sie nahmen ihre Verblichenen mit sich. Wie es scheint gehören sie zu einer neuen religiösen Ausrichtung mit strengen Regeln und waren in Sorge, ich würde ihre Rieten nicht bis ins Detail vollführen können, wie es ihre Regeln fordern.“ „Ehrlich?“, eine von Skys Augenbrauen wanderten nach oben: „Jemand verschmäht deine Dienste?“ Ich grinste sie an: „Wenn die Angehörigen jemand anderen wünschen, so ist dies ihr gutes Recht. Doch es gab ein paar Details, die Alexander interessant fand, ahehehe!“ „Was denn?“, blinzelte Sky mich an. „Ach“, tat ich grinsend ab: „Das sind Aristokratengeschäfte. Ahahahaha! Belaste dich nicht damit.“ Mehr mussten die Mädchen nicht wissen. Alles in mir widerstrebte den Namen ‚Aurora‘ fallen zu lassen. Vor allen Dingen, weil es zu doch recht unangenehmen Fragen führen könnte. Amy kannte die Geschichten. Skyler nicht. Ein Umstand, der mir recht lieb war. Ein gutes Licht warf es nicht auf mich und mir fiel auf wie wichtig mir Skylers Meinung von mir war. Eigentlich waren mir die Meinungen der Anderen so egal, wie die Fliege an der Wand. Nur ihre… ganz und gar nicht. Denn was sie von mir hielt war existenziell wichtig dafür, ob sie ging oder blieb. Ich stellte auch wieder fest wie sehr ich wollte, dass sie blieb. „Okay...“, wirkte Skyler verwirrt, doch beließ es dabei: „Wenn du es sagst.“ Die beiden Frauen wollte trotz Skylers Blessur weiter machen, was ich ihnen hoch anrechnete. Schnell einigten sich die Beiden darauf, dass Amy die Regale und Skyler die Gläser wischte, damit sie sitzen bleiben konnte. So ging auch ich wieder zu meinem Gast. Mein Blick fiel auf meine Robe. Skyler trug nur ein T-Shirt. Auch wenn ihr die Ärmel zu lange waren und bis zu den Ellbogen reichte, standen immer noch alle Fenster offen und ich wollte auf keinen Fall das sie frieren musste. Doch wenn ich die Fenster schloss würden wir wahrscheinlich alle ersticken, außerdem bekam ich den Laden mit meinem einsamen Kamin im Lesezimmer nicht so schnell geheizt. So nahm ich meine Robe vom Regal, wickelte mit einem Lächeln das brünette Ding darin ein, die mich schüchtern und rot dankend zurück anlächelte. Ehrlich anlächelte. Mein Herz hüpfte immer noch ganz komisch hin und her, als ich die Pumpe wieder anstellte und meinen Gast zu Ende einbalsamierte. ‚Awwwwwwww!~♥ Du bist ja wirklich total verknallt!‘ Ob es daran lag, dass ich ‚verknallt‘ war – wie Grell es so salopp auszudrücken pflegte – konnte ich immer noch nicht recht sagen. Ich wusste nicht wie sich so etwas anfühlte. Es war mir noch nie passiert. Aber dass ich noch nie verliebt war und so etwas vorher noch nie gefühlt hatte, legte die Vermutung nahe, dass es zusammen hing. Mit einem seichten Seufzen schubste ich meine Brille aus meinen Haaren auf meine Nase, strich mir den Pony hinter die Ohren und widmete mich wieder voll und ganz meiner Arbeit. Immer noch dieses Gefühl in meiner Brust. Es war kein unangenehmes Gefühl. Mit Nichten! Doch irgendwie machte es mich furchtbar nervös. Einbalsamieren war ein recht langes Unterfangen. Damit sich alles ordentlich verteilte musste ich die Gliedmaßen meines Gastes durchgängig massieren. Doch es machte mir nichts. Meine Arbeit machte mir Freude und erfüllte mich. Auf wie wenig Anklang dies bei dem Rest der Welt auch treffen möge. Außerdem kam es meiner Unruhe zu gute, dass meine Finger schwer beschäftigt waren. „Wir sind fertig!“, schallte es nach einiger Zeit zu mir herüber. Daraufhin stellte ich die fast durchgelaufene Pumpe aus. Mit einem Seitenblick durch die offene Hintertür sah ich, dass die Sonne am untergehen war. Die Mädchen waren wohl gerade rechtzeitig fertig geworden, um ohne große Hast in ihr Wohnheim zurückkehren zu können. Ich streckte meinen grinsenden Kopf aus dem Türbogen: „Ehehehehe! Tatsächlich?“ „Ich hoffe du bist zufrieden“, sagte Amy mit einem Gesichtsausdruck der verriet, dass sie es war. Meine Augen wanderten durch meinen Laden, als ich ein paar Schritte weiter in den Raum trat. Mein Laden hatte selten so gut ausgesehen. Die Beiden haben sich herzerquickend viel Mühe gegeben: „In der Tat. Ihr wart mir eine große Hilfe, meine Damen.“ Ein doppeltes breites Grinsen schien mir entgegen, was mich zum giggeln brachte. Dann schaute ich auf meine Taschenuhr: „Es ist schon spät, hehehe. Ihr solltet heim gehen.“ Skylers Kopf wanderte kurz zum Fenster. „Sebastian holt uns hier ab“, bei dem Klang von Amys Stimme drehte Skyler den Kopf zu ihr und auch die Phantomhive sah ihre beste Freundin an: „Nun ja… Mich. Sky fahren wir besser zurück ins Wohnheim.“ Doch Sky schüttelte den Kopf: „Ich komm schon alleine nach Hause.“ ‚Bitte?‘, doch ich kaschierte meine unbegeisterte Überraschung mit einem Auflachen: „Hehehe. Ich bin kein Fan von dieser Idee.“ Skyler schaute zu Boden und schwieg einige Zeit. Etwas an ihrem Gesicht verursachte in mir ein ungutes Gefühl. Ich wusste nicht wieso, aber irgendetwas in mir war sich sicher, dass in Skyler etwas vorging, was mir nicht gefallen würde. Und ich war mir sicher sie wusste, dass es mir nicht gefallen würde. „Was hast du, Sky?“, fragte Amy neben mir nach einer Weile und Skyler blinzelte uns wieder an. „Ich“, sagte sie zögerlich und unsicher, als wog sie noch ab ob sie wirklich tat was sie tun wollte: „Würde Undertaker gerne noch etwas fragen.“ „Tu dir keinen Zwang an“, grinste ich trotz des schlechten Gefühls in meiner Magengrube. Sie seufzte schwer, mein Gefühl wurde noch schlechter: „Ich… würde dich das gerne unter 4 Augen fragen...“ Amy und ich wechselten einen irritierten Blick, bis ich meinen Kopf wieder zu Skyler drehte: „Aha? Muss ich mir Sorgen machen?“ Sie schüttelte den brünetten Schopf: „Ich… weiß nicht.“ „Hehe“, lachte ich, obwohl mir immer weniger danach war: „Das klingt ja dramatisch.“ „Ja...“, kam ihre leise Antwort. Ich schaute Amy an: „Fahre du mit Sebastian. Ich bringe sie heim.“ „Wirklich?“, legte sie den Kopf schief und ich nickte zur Bestätigung. Skyler straffte auf einmal ihren, durch ihren Zwist mit sich selbst und ihrer Unsicherheit gebuckelten Rücken und zog die Schultern zu den Ohren: „Ich glaube Sebastian ist schon da...“ „Ich wünsche einen guten Abend“, flog auch schon die Stimme des Butlers in meinen Laden und er kam durch meinen Türbogen. Ich musste kichern, immer wieder erstaunt von Skylers Fähigkeiten: „Hallo, Butler. Tihihi! Du in meinem bescheidenen Etablissement. Was eine Ehre. Ehehehe!“ Auch Amy kicherte: „Hi, Sebastian.“ Sebastian betrachtete meinen Laden mit hoch gezogener Augenbraue und ein schnippisches Lächeln erschien in seinem Gesicht: „Verspäteter Frühjahrsputz, Undertaker?“ Ich lachte ihn an: „Ehehehe! Kann man so sagen.“ Darauf legte er den Kopf schief: „Besser spät, als nie. Wie sonst üblich.“ „Du tust ja fast so, als hauste ich in einer Müllkippe. Tehehehe!“, lachte ich weiter. „Nein, eher in einem Sammellager für Sondermüll“, ging der verbale Schlagabtausch mit einem kalten Lächeln des Butlers weiter. „Wenigstens habe ich in meinem Leben noch andere Inhalte, als putzen, kochen, backen und babysitten. Hihi!“ „Ich führe ein sehr bereichertes Leben. Danke der Nachfrage.“ „Ich ebenfalls. Nihihihi!“ „Ja“, der Butler seufzte: „Glück liegt wohl im Auge des Betrachters. Junge Lady? Lady Rosewell? Seid ihr fertig?“ Amy nickte und schaute dann zerknirscht zu Sky, die Sebastian auch eher betend musterte. Warum sich Skyler in meinen Laden Sorgen wegen Sebastian machte, war mir wieder rätselhaft. Bei dem kleinsten falschen Schritt würde ich den Butler so hochkant aus meiner Tür befördern, wie er in seinem auch recht langen Leben noch nie irgendwo raus geworfen worden wäre. „Ja schon, aber…“, begann Amy und Sebastians Gesicht verfinsterte sich schon bei dem ‚aber‘ in Unangetanheit: „Sky kommt doch nicht mit, Sebastian.“ „Wie darf ich das verstehen?“, fragte der Butler mit düsterer, aber noch höflicher Mine nach. „Sky hatte einen kleinen Unfall und hat sich am Knie verletzt“, führte die Tochter seines Meisters aus. „Ah“, Sebastian schaute zu Sky: „So, so. Das erklärt dann wohl auch euren sonderbaren Aufzug, Lady Rosewell.“ Diese nickte knapp: „Jap...“ „Sie kann nächstes Wochenenden sicherlich mitmachen, hehehe“, nahm ich Skyler lachend die Konversation ab. Gegen Sebastian bestand sie nicht und ich traute es dem Dämon in seinem zornigen Grundgefühl zu, sie trotz Knieverletzung mitnehmen zu wollen. Er war immer noch ein Dämon, hatte keinen Bezug zu Skyler und so war sie ihm nur in sofern nicht egal, dass sie Amy nicht egal war. „Nur dieses nicht“, setzte ich mit finalem Tonfall hinzu. „Aha? Wie gut, dass du vollkommen im Bilde bist, Dr. Undertaker.“ Ich lachte. Sebastian schnippische Reaktion gab mir zu verstehen, dass es ihm nicht schmeckte: „Tehehehe! Ich bin sicher du hättest es auch rausbekommen, Butler.“ „Ich ebenfalls“, Sebastian wandte sich zum gehen: „Kommt, junge Lady. Lady Rosewell? Ein erholsames Wochenende wünsche ich euch. Erholt euch schnell. Euer Haus zählt auf euch.“ „Schönes Wochenende, Sebastian. Viel Spaß, Amy“, wirkte Skyler immer noch nicht gerade aus dem Häuschen, dass sie bei der Sportveranstaltung mitmachen sollte. Amy drehte sich zu ihr und funkelt sie düster an. Ich umarmte Amy zum Abschied und steckte ihr unauffällig ihre neue Silberkette zu. Sebastian sah es nicht. Es wäre für Amy auch fatal gewesen hätte er. Er war Alexander verschrieben, nicht Amy: „Tschüss, Amber. Hihihi! Bis Morgen.“ Amber beschaute unauffällig auf die Kette, lächelte mir zu und wandte sich zum gehen: „Bis Morgen! Bye Sky!“ Die Beiden entschwanden und nahmen das letzte Sonnenlicht mit sich. Ich schloss die Fenster. Danach verschwand ich kurz in der Tür hinter dem Tresen, da in der Schublade meines Tresens keine Streichhölzer mehr waren. Als ich aus der Küche kam, drehte ich mich kurz zur Badezimmertür. Unwillkürlich warf ich einen Blick hindurch und er fiel auf Skylers nasse Kleider. Ich sah zwei gerissene Enden einer Silberkette aus der Hosentasche hängen. Mit einem Schnauben zog ich den Anhänger aus der Hosentasche, fädelte ihn auf dem Rückweg auf die neue Kette und steckte ihn in die Hosentaschen. Dann zündete ich die Kerzen meines großen alten Kerzenleuchters an, der schon so alt war, wie mein Laden selbst. Elektrisches Licht war praktisch und die einsame Stehlampe neben meinen Tresen benutzte ich, wenn ich abends noch etwas aufschreiben musste, doch war ich von Kerzen bei weitem mehr angetan. Ihr Licht ist natürlicher. Wärmer. Einfach viel gemütlicher. Außerdem war dieser Kerzenständer ein Geschenk von Cloudia zur Eröffnung meines Ladens gewesen. Ich würde ihn auf ewig wieder zusammenflicken, anstatt ihn wegzuwerfen. Nachdem ich das Streichholz ausgepustet und entsorgt hatte, schob ich meine Brille in die Haare und setzte mich Skyler gegenüber. Ich war neugierig was sie fragen wollte. Gleichzeitig war ein Teil von mir sicher, ich wolle es eigentlich gar nicht wissen. Doch sie schaute mir gerade nur in die Augen. Die verschwommenen Spiegelungen der Flammen in ihren blauen Augen, erinnerten mich an die Schiffchen die jedes Jahr an Halloween den Bach der Phantomhives hinunter segelten. Dieser Gedanke ließ doch ein leichtes Lächeln auf meinen Mundwinkeln erscheinen: „Also. Was hast du auf dem Herzen?“ „Ich…“, blinzelte sie, als hätte ich sie geweckt: „Wollte dich das eigentlich schon vorgestern gefragt haben, aber... da habe ich mich nicht mehr getraut...“ „Hehehe! Warum denn nicht?“ „Ich..“, sie ließ den Kopf hängen: „Du warst so sauer auf uns. Ich dachte ich hatte in dieser Situation kein Recht dazu...“ Ich lachte mit einem kleinen Seufzen: „Herrje. Ja, ich war sauer. In der Tat. Ihr habt mir auch einen furchtbaren Schrecken eingejagt. Doch als ich gegangen bin, war doch alles schon längst wieder in Ordnung.“ Sie schaute mich wieder an. Lange. Mit ihrem Künstlerblick, den ich so mochte. Und es ehrte mich, dass sie ihn mir so oft schenkte. Ich schaffte es allerdings nie zu fragen, was sie sah. Was ich in ihren Augen sah wusste ich: Trübe Traurigkeit. Gebrochenes Vertrauen. Verstümmeltes Selbstbewusstsein. Und doch waren sie voller Wärme, Mitgefühl und Passion. „Also ääääh…“, machte sie irgendwann: „Mein Ohr teilt deine Auffassung nicht!“ Ich lachte auf: „Das habt ihr euch selbst zuzuschreiben. Hehehehe!“ „Ich weiß“, ließ sie ihre dünnen Schulter hängen, die doch immer noch viel zu viel Gewicht zu tragen schienen. Junge Dinger sollten leichter sein. Ich wollte ihr so viel abnehmen wie ich konnte. Doch Skyler machte es mir nicht gerade einfach. Ihr alles abzunehmen war unmöglich, das wusste ich. Was ihr Elternhaus ihr mitgab wird sie ewig behalten. „Ich will mich auch nicht beschweren“, sagte sie ein wenig geknickt: „Du hattest jedes Recht der Welt sauer zu sein. Wie geht es deiner Schulter?“ Ich grinste. Die kleine Schürfwunde hatte ich sofort vergessen und nie wieder daran gedacht: „Besser als deinem Knie.“ Sky zog eine Augenbraue hoch: „Du bist doof.“ „Du wiederholst dich. Hehehe!“, lachte ich. „Denk mal drüber nach“, konterte sie Ein belustigtes Schnauben entfloh mir: „Brauche ich nicht. Hehehehe, ich weiß was du meinst. Doch nun spanne mich nicht weiter auf die Folter. Was möchtest du mich fragen?“ Sky nahm ihr Handydingsda aus der Tasche und wischte darauf herum. „Hier“, hielt sie es mir schließlich vor die Nase. Ein irritiert skeptischer Blick zog in meine Augen angesichts dieses neumodischen Krimskrams: „Tehehe. Was soll ich damit?“ „Das Bild. Schau es dir an. Bitte.“ Ich ergab mich und nahm ihr das Handy aus der Hand. Schon die Überschrift bestätigte mir jedes schlechte Gefühl und machte es noch um einiges schlechter »Tragödie auf der RMS Campania«: ‚Ach du Sccchhhh… Schande!‘ Ich bekam einen mentalen Leberhaken angesichts des Zeitungsartikels auf dem Foto und wusste selbst nicht wie ich es geschafft hatte diese Empfindung zu verstecken. Ich kannte diesen Artikel. Ich hatte mir noch am 22.4.1889 diese Zeitung gekauft und mich köstlich über den rigorosen Schwachsinn amüsiert der darin stand. Wie sie alles Wahre, als Spinnerei abtaten und alles Falsche nur allzu bereitwillig für voll nahmen, war köstlich gewesen. Angesichts dieser Erinnerung grinste ich dann doch wieder. Doch der Name ‚Stoker‘ stieß mir auf. Der Name ‚Chamber‘ stieß mir auf. Das sie diesen dämlichen Zeitungsartikel gefunden hatte, stieß mir allerdings am aller meisten auf. Denn nun war ich nicht mehr nur in Erklärungsnot, nein, ich hatte ein riesiges Problem. Mit dem Finger wischte ich über das Display und schob das Bild somit hoch. Ja, ich wusste wie die Dinger funktionieren und nein, ich wollte nie Eins haben. Ich hab ein Telefon. Die Menschen sollen damit zufrieden sein und sich selbst wieder beibringen was eine Briefmarke war. Schließlich lachte ich, weil ich schlicht und einfach nicht wusste wie ich anders reagieren sollte: „Hehehehe! Ja, die Campania! Und was genau möchtest du nun von mir?“ Ich konnte es mir denken. Natürlich, konnte ich es mir denken. Und ich hatte keine Ahnung, wie ich um diese Konversation herum kommen sollte. Ich bin mir auch sicher, das Skyler die Wahrheit eigentlich nicht wissen wollte. Das wird ihr aber erst dann klar werden, wenn sie sie kannte und ich hatte ich versprochen Rede und Antwort zu stehen. Diese Situation hatte ich also von vorne herein verloren. Die wichtige Frage war allerdings: Wie viel noch? Ich gab Sky ihr kleines Gerät wieder. „Was habt ihr gemacht?“, fragte sie, als sie es in die Tasche zurücksteckte. „Kehehehehehe! Vieles“, lachte ich und hatte immer noch keine zündende Idee: „Doch worauf willst du hinaus?“ „Ronald erzählte du hast eigentlich das Schiff versenkt“, erzählte Sky leise. ‚Ronald, du minderbemittelter Einfaltspinsel...‘, grummelte ich sauer in meinem Kopf. Doch äußerlich nickte ich nur mit einem kleinen Lachen: „Das stimmt. Tehe. Anders wird man den Butler auch nicht los. Bringe seinen Meister in Gefahr und du hast gewonnen. He he he.“ Ich schaute Skyler eindringlich in ihre blauen Augen und versuchte mein Widerstreben in meinem Kopf zu behalten. Sie war so unsicher. Ich hatte immer das Gefühl eine merkliche Ablehnung ihrer Anliegen würde nur dazu führen, dass sie nie wieder sprach. Und ich wollte, dass sie wusste, dass sie mit allem zu mir kommen konnte. Doch sollte sie so tief bohren, wie ich befürchte, wird sie bald verstehen was ich meinte, wenn ich von mir selbst als ‚nicht gütig‘ sprach. Und wie unsagbar untertrieben dies eigentlich war. Sie wird Dinge hören, die mit keiner Goldzunge der Welt schön zu reden waren. Dinge, die einfach furchtbar waren. Dinge, die blutig waren und grausam. Moralisch verwerflich und brutal. Und ich amüsierte mich immer noch über den verzweifelten Todeskampf der Passagiere. Und ich war immer noch stolz auf meine Bizzare Dolls. Ich bereute einfach nichts. Vorstellen, dass sie diesen Informationen stand hielt, konnte ich mir nicht. Doch Lügen werde ich nun auch nicht. Sie studierte derweilen aufmerksam mein Gesicht: „Weißt du woher die Differenz kommt?“ Ich nickte: „Ja, weiß ich. Tehehehe! Sehr genau sogar.“ „Und du hast dem Scotland Yard nichts erzählt?“, fragte sie, was mich dann doch lauter zum Lachen brachte: „Pahahahahaha! Abberline hielt mich für einen Verrückten! Schon lange vorher! Und das vollkommen zu Recht! Mir hätte er kein Wort geglaubt, auch wenn er am Ende seiner Ermittlungen gar nicht mehr wusste was er noch glauben konnte.“ „Wurde der Fall aufgeklärt?“, bohrte sie weiter und erntete ein Kopfschütteln von mir: „Tihihi! Nie ganz, nein.“ „Warum nicht?“ Ich seufzte, allerdings nur innerlich. Es nahm genau die Richtung, die ich nicht wollte: „Weil das Scotland Yard die Wahrheit nicht glauben wollte. Fast 700 Leute haben sie ihnen erzählt und viele wurden dafür in die Klapsmühle geschickt. Nur dem Einen, der gelogen hat, dem glaubten sie.“ „700 Leute erzählten die...“, sie brach kurz ab: „Aber die Leute haben halluziniert, Undertaker! Und etwas von Zombies erzählt. Selbst der Earl Phantomhive hat gesagt, dass es Schwachsinn war.“ „Ich weiß“, grinste ich, verschränkte die Arme und überkreuzte die Beine und habe mich dabei noch nie so gequält gefühlt. Doch ich log nicht. Auch jetzt nicht. Selbst wenn ich mir sicher war, dass die Wahrheit nichts war, was Skyler hören wollte. Sie dachte immer noch viel zu gut von mir, obwohl ich ihr so oft davon abgeraten hatte: „Aber das sie halluzinierten war lediglich ein Hirngespinst der überstrapazierten Gemüter im Scotland Yard. Tehehehehe! Und der Earl, hmm, hehehe! War er nicht ein unbeschreiblich guter Lügner?“ Sie schaute mich mit großen Augen an: „Du willst mir nicht erzählen, dass du wirklich denkst die Geschichte stimmt, oder?“ Sie sah jetzt schon überfordert und ansatzweise verstört an, dabei war das alles doch nur – wortwörtlich – die Spitze des Eisbergs: „Ich denke nicht. Tehehehe. Ich weiß es.“ Entsetzen erschien in ihr Gesicht: „Bitte?! Du willst mir doch nicht ehrlich erzählen, dass du an Zombies glaubst?!“ Doch ich grinste, ein weiteres Mal amüsiert von der menschlichen Naivität: „Ich glaube nicht. He he he. Ich weiß, dass es sie gibt. Oder sagen wir, ich weiß dass es etwas gibt, dass ihr Menschen als Zombies betiteln würdet.“ Ihr Mund klappte auf: „Echt jetzt?“ Ich nickte kichernd und verbarg wie unwohl mir war. „Ohne Witz?“ Ich nickte wieder. „Du verarschst mich auch nicht?“ Jetzt schüttelte ich den Kopf. „Ganz, ganz ehrlich?“ Erneut nickte ich. „Aber… woher?“ Meine Erinnerungen an das sinkende Schiff tanzten durch meine Gedanken. Es war ein guter Tag gewesen. Das dachte ich immer noch. Denn ich hatte auf der Campania und auch auf dem Weston College viele Erkenntnisse über das vorbestimmte Ende und dem was hinter dem Abspann war erhalten. Und auch über Ciel, Sebastian und die Sensenmänner. Dieser Tag hatte sich für mich mehr als nur gelohnt. Ich war mir bewusst, wie abstoßend das gewesen war. Ich war mir bewusst, wie abstoßend ich war. Ich lachte durch meine geschlossenen Lippen, als mir all das durch den Kopf schoss und fühlte eine gewisse Art von… Resignation. Denn was ich war konnte ich nicht mehr ändern. Wie wenig mir die Menschen bedeuteten und das die meisten für mich nicht mehr als atmendes Spielzeug waren, war ein inneres Gebilde geformt aus Jahrhunderten von gesehenen Records und immer weiter wachsender Frustration gegenüber dem was Menschen sich antaten. Immer und immer wieder. Auch in meiner Zeit bei den Menschen wuchs die Frustration ständig weiter und war schließlich gekippt in blanke Abscheu. Reue fühlte ich nicht. Ich war mir des Weiteren mehr als nur bewusst, dass ich… kein guter Wegbegleiter für eine junge gequälte und doch so reine Seele war, wie Skyler eine hatte. Langsam, getragen von dieser Bitterkeit, meiner Frustration und meiner Resignation breitete ich immer weiter dunkel lachend meine Arme aus: „Weil ich sie erschaffen habe. Ehehehehehe!“ Skylers Augen sprangen auf. Schock und Unglauben standen in dem endlosen Himmelblau. Ich konnte mit ansehen, wie ihr Gesicht immer weißer wurde: „Wa… was?“ Sie begann zu zittern. Wegen mir. Vielleicht verstand sie endlich mit wem sie es zu tun hatte. Es war wichtig, dass sie wusste mit wem sie es zu tun hatte. Der Unglauben in ihren Augen musste verschwinden. So ließ ich meinem schwarzen Pläsier freien Lauf: „Ke he he he. Wie ich es sagte. Ich habe sie erschaffen und auf das Schiff gebracht.“ Skyler zitterte weiter. Wegen mir. Ein Umstand, der mich sonst höchstens nur noch mehr zum Lachen brachte, doch bei ihr… machte es mir keinen Spaß. Meine Erinnerungen machten mir Spaß, doch ihre verständlich verängstigte Reaktion verlieh meinem Amüsement eine stechend bittere Note. Ihre blauen Augen musterten mich immer noch, als würde sie sich einreden wollen ich hätte gerade nicht gesagt, was ich gesagt hatte: „Aber… aber was?“ Ich wechselte meine überschlagenden Beine und stützte mein Gesicht auf meiner Hand ab: „Meine Bizzare Dolls. Hehehe.“ „Bi…“, Skyler blinzelte, immer noch in Unglauben verstrickt: „Bizzare Dolls? Was ist denn das?!“ „Nun“, grinste ich weiter. Mir war so unwohl. Ich wollte, dass dieses Gefühl verschwand: „Ih hi hi, ihr bezeichnet sie als Zombies. Geifernde Monster, die nach dem Blut lebender Menschen lüstern, hehehe! Eigentlich lüsterten sie nach ihrer Seele, aber das verstanden die Menschen nicht. Tehehehe! Ich bezeichne sie als meine großartigste Kreation. Nur leider hatte die Welt nicht viel dafür übrig.“ „Kre… Kreation?“, Skyler sprang auf. Energisch schaute sie mich an. Energisch in dem Punkte, dass sie mir nicht glaubte was ich sagte: „Du verarschst mich! Warum sollte man sich Zombies zusammenbasteln?!“ Ich legte den Kopf schiefer und musterte sie in Unverständnis. Dem Fakt gegenüber, dass sie zu verleumden schien was ich erzählte und dem gegenüber, dass ihr Knie furchtbar wehgetan haben musste, als sie aufgesprungen war. Wenn sie so achtlos mit ihrem Knie umging, würde die Heilung unnötig lange auf sich warten lassen. Und sie würde unnötig lange Schmerzen haben. Was ich nicht wollte. Ich wollte nicht, dass sie irgendwie geartet Schmerzen hatte: „Du solltest dein Knie nicht so schnell bewegen, das ist nicht gut.“ „Mein Knie ist gerade vollkommen egal!“, donnerte sie. Ich hatte eher gedacht sie verschluckte wieder ihre Zunge. Doch sie war aufgesprungen und schrie mich an. Hysterisch. Laut. In vollkommenen Unglauben und vor allem Unverständnis: „Erkläre es mir, Undertaker!“ Ich seufzte und verschränkte wieder meine Arme. Wenn ich auf etwas keine Lust mehr habe, dann meine Motive verständnislosen Menschen zu erklären zu versuchen. Es funktionierte eh nicht. Vergebene Liebesmüh war in diesen Fällen eine Umschreibung, die der Sache nicht gerecht wurde. Und auch sie war verständnislos: „Warum sollte ich? Du hast ja auch kein Verständnis für ihre bezaubernde Beschaffenheit.“ „Be… bezaubernde Beschaffenheit!?“, sie wedelte wild mit ihren Händen: „Auf der Campania sind 2195 Menschen gestorben!“ „Nein“, konterte ich: „Nur 1873. Die Restlichen 322 waren vorher schon tot. Hehehehe! Daher kommt die Differenz. Die überschüssigen“, ich lachte auf in meinem dunklen Pläsier: „‘Blinden Passagiere‘ waren meine wunderbaren, kleinen Dolls und diese Trottel vom Yard haben noch nicht einmal alle gefunden. Jammerschade. Sie liegen wohl immer noch auf dem Grunde des Nordatlantiks. Meine armen Kinder.“ „Nur 1873?!“, Skyler schien nun doch komplett von ihrem Glauben abzufallen. Es war besser so. Denn was sie glaubte was ich war, schien schlicht falsch zu sein, wenn sie was sie hörte noch so treffen konnte. Sie schüttelte vehement ihren Kopf: „Das macht es nicht ansatzweise besser! Das sind immer noch 1873 Menschen zu viel, verdammt! Und was meinst du bitte mit ‚deine armen Kinder‘? Bist du verrückt geworden, Undertaker?!“ Etwas zuckte durch mich hindurch. Ein spitzer Blitz. Ganz kurz war eine Welle Wut in mir so präsent, wie ich es nur selten erlebte. Hatte sie das wirklich gefragt? Ich wusste nicht warum mich diese Aussprüche so ärgerten, tat ich solcherlei Äußerungen doch für gewöhnlich nur noch mit einem recht müden Lachen ab. Das schneidende Gefühl verebbte zwar binnen Sekunden, hinterließ aber ein Teppich grauer Verdrossenheit in mir und verscheuchte selbst das düstere Amüsement. Aus Gründen denen ich atok nicht gewahr war, hatten mich diese Sätze aus Skylers Mund hart getroffen und ich merkte wie diese Härte in meinem Gesicht erschien. ‚Awwwwwwww!~♥ Du bist ja wirklich total verknallt!‘ Ich unterdrückte ein Seufzen, als mir Grells Ausruf wieder durch den Kopf sprang und mir meine Frage für mich beantwortete. Und was brachte es mir? Nichts. Dieses Gefühl war schrecklich. Wie kann dieselbe Empfindung dafür sorgen, dass sich alles so warm, weich, hell und gut anfühlte und zu einer anderen Zeit ein so graues, kaltes, missmutiges und verärgertes Gefühl verursachen? Das war bis ins letzte paradox. Ich hatte nicht erwartet, dass Skyler verstand. Sie war immer noch ein Mensch. Ein besonderer Mensch, den ich besonders zu mögen begonnen hatte, doch ein Mensch. Und Menschen verstanden es nicht. Die Reaper verstanden es ebenfalls nicht. Noch nicht einmal der Dämon verstand es. Mein Platz am Rande aller Rassen und Welten hatte viele Vorteile. Doch auch einige Nachteile. Ich hatte mich damit abgefunden, dass es wohl niemanden mehr gab, der mich verstand. Doch ich merkte wie ich mir irgendwie wünschte, sie hätte anders reagiert. Natürlich wusste ich, dass dies Unsinn war. Ihre Reaktion war nachvollziehbar. Es war nachvollziehbar, dass sie alles andere als begeistert war von dem was sie hörte. Mit Begeisterung hatte ich auch wirklich nicht gerechnet. Doch diese Rationalität war ohnmächtig gegenüber diesem Gefühl, was so plötzlich über mich gekommen war: „Ja. Schon lange.“ Das schönste Wesen, das ich je getroffen hatte, erstarrte. Blieb einfach stehen. Bewegte keinen Muskel mehr. Sie starrte mich nur an, ein Wirbelsturm in den hellen großen Augen. Irgendetwas in dem Blick dieser Augen - die ich sonst Stunden beschauen konnte ohne das mir langweilig wurde - löste Missmut in mir aus. Vor allem, da Skys Frage warum ich die Dolls als meine Kinder bezeichnete, mich daran erinnerte wie alles geendet hatte. Ich erhob mich langsam und ging ein paar Schritte durch den nur von den Kerzen erleuchteten Verkaufsraum, angetrieben von einer ungewohnten inneren Unruhe: „Die Dolls waren wie Kinder für mich. Ich habe sie mit meinen eigenen Händen erschaffen. Ich habe sie sich entwickeln sehen, nur damit ein kleines Balg und sein dämonischer Butler meine ganze harte Arbeit zu Nichte machen konnten und ein paar Shinigamis sich die Dreistigkeit heraus nahmen mir die Hände zu binden“, ich warf lachend und abwertend eine Hand in die Luft, nun vollends gefesselt von meinem Ärger, den mir Ciel, Sebastian und auch William, Grell und Ronald bereitet hatte. Ich hatte es ihnen nicht nachgetragen. Ich verstand sie. Doch ihre gönnerhafte Vergebung und die Fesseln die sie mir anlegten, indem sie mir verboten weiter zu experimentieren erzürnte mich, wenn ich daran zurückdachte. In der Regel nur unterschwellig, doch gerade war dieser Zorn mehr als nur präsent und sickerte in mein dunkles Lachen: „Eh he he he! Dass ihr Menschen davon nichts haltet, interessiert mich nicht.“ Ich sah wie Skylers Versteifung fester wurde. Ich sah die hilflose Ungläubigkeit in die sich eine unerwünschte Erkenntnis schlich. Ich sah, dass sie begann zu verstehen. Zu verstehen was ich getan hatte, aber nicht warum. Wie auch? Niemand verstand es. Niemand verstand mich und niemand gab sich die Mühe dazu. Eigentlich war mir dies egal. Doch in diesem Moment war nichts wie es eigentlich war. Denn irgendetwas in mir wünschte, nein, sehnte sich danach, dass genau sie mich verstand. Alle anderen waren mir in diesem Hinblick egal. Selbst die Phantomhives, die Fengs, die Hermanns, die von Steinen, der Dämon sowieso und auch die Todesgötter. Sie sollte… Ich wollte… Ich sah die Tränen in ihren Augen durch den Schein der Kerzen glänzen. Ich sah wie sie eine Hand vor ihre Brust presste und sich ihr Körper zusammen zog. Ich sah wie sie wieder zitterte. Ich sah ihre vielen Fragen und Gedanken, in ihren Augen eine Art von Schmerz, bevor sie sie zusammenkniff. Ich bekam einen schmerzhaften Stich in Retour. Und ich sah ihren Zwiespalt. Einen Zwiespalt, den ich nicht deuten konnte. Und bei diesem Anblick wusste ich, dass sie litt unter dem was sie erfahren hatte. Ich wollte nicht, dass sie litt. Das hatte ich nie gewollt. Und zum ersten Mal wünschte ich mir, dass ich ihr etwas anderes hätte erzählen können. Bereuen tat ich was ich getan hatte immer noch nicht, doch ich bereute, dass ich ihr keinen Grund geben konnte, der besser zu verkraften war. Ich verschränkte meine Arme, um mich diesen Empfindungen zu erwehren und merkte wie sich meine Finger krampfhaft in meinen Armen vergruben. Ich merkte wie der Stoff meiner Ärmel unter den Nägeln meiner angespannten Finger riss. Doch ich konnte diese Gefühle nicht vertreiben. Skyler sah so leidend aus, als sie mit ihrer Hand ihren Oberarm griff. Ich wollte sie so nicht sehen. Noch viel weniger wollte ich der Grund dafür sein. Ich legte meine Hand an ihre Wange, ohne weiter darüber nachzudenken, ob ich in der Position dazu war. Skys Augen sprangen auf und schauten mich recht seltsam an. Mit einem schweren Gefühl im Herzen und dieser steifen missmutigen Kälte in mir, strich ich mit dem Daumen über ihre wunderbar warme Wange und wollte es irgendwie schaffen ihr Leid zu lindern. Dessen Grund meine Taten waren. Weswegen mir dies unmöglich war. Mit einem Seufzen schloss ich kurz meine Augen und öffnete sie sofort wieder: „Ich habe dich gewarnt...“ „Wo...“, sie schluckte gequält: „Wovor?“ Meine Augen fielen nach unten. Dann nahm ich meine Hand schweren Herzens wieder von ihrem Gesicht und drehte mich ab. Ich wollte ihr Gesicht sehen, immer, doch so wie sie gerade schaute konnte ich es nicht weiter anschauen: „Davor, dass ich kein nettes Wesen bin. Nicht im Ansatz, meine Schöne.“ „Aber...“, ihre Hand an meiner vermied, dass ich mich ganz abdrehen konnte: „Da… Du musst doch einen Grund gehabt haben, dass du...“ „Ryan Stoker“, unterbrach ich sie. In mir fielen die Gedanken übereinander. Ich war verwirrt. Warum hielt sie mich fest? Nach allem was ich erzählt hatte? Nun schaute ich ihr doch wieder ins Gesicht. Ich suchte darauf Anzeichen, was sie dachte und fühlte. Warum sie mich trotz des schweren Schocks in ihren Augen davon abhielt mich weg zudrehen. Warum sie mich festhielt. In ihrem Gesicht standen immer noch der Schreck und das Unverständnis. Ein Kampf zwischen Unglauben und Erkenntnis. Ein leidender Ausdruck stand weiter in ihren Augen und quälte mich. „Der Arzt, der verschollen blieb?“, fragte sie nach einer kurzen Weile, nahm ihre zweite Hand an mein Handgelenk und hielt es fester, nachdem sie zwei weitere Schritte auf mich zugegangen war. Meine Verwirrung stieg. Ich wusste nicht mehr, was ich von dem halten sollte was sie tat. Stand es doch gänzlich gegen den rationalen Menschenverstand. Jemanden, der eine Masse an Menschen in den Tod rennen ließ, den hielt man nicht fest. Dem kam man nicht näher. Selbst Grell und Ronald taten oft zwei Schritte nach hinten, wenn wir auf das Thema kamen. Ich war auch nicht sicher, ob sie wirklich weiter fragen wollte, oder ob es wieder eine der Situationen war, in der sie nicht wusste was sie tun sollte. „Er ist tot“, fuhr ich trotz dieser Frage in meinem Kopf fort. Ich hatte ihr versprochen zu antworten, sollte sie fragen und sie wusste, dass ich meine Versprechen ernst nahm. Sobald sie fragte musste sie also mit den Antworten leben, die sie bekam. Denn dass ich nicht log, wusste sie auch: „Ich habe ihn umgebracht, indem ich ihn in einem nassen Loch voller Dolls versenkt habe. Sie haben ihn gefressen. Er kam damals zu mir und bat mich um Hilfe.“ „Sie“, Sky brach mit einem erschrockenen Schaudern ab und ging einen Schritt nach hinten: „Sie haben ihn gefressen?“ Ich merkte wie meine Augen sich kurz zusammenzogen, als sie einen Schritt nach hinten tat. Ein kaltes Sirren zog so kurz durch mich hindurch, wie meine Augen zuckten. Da war er. Der Schritt zurück, auf den ich nur gewartet hatte. Der erste Ansatz einer Flucht vor mir: „Natürlich.“ Skyler schluckte ein weiteres Mal und ihr Mund verspannte sich, als sie mir weiter irritiert und hin und her gerissen in die Augen schaute. Und immer noch meine Hand hielt. Und ich wusste nicht wieso. Ich verstand es nicht. „Stoker“, bemühte ich mich trotz meiner Unruhe eine ruhige Stimme zu halten: „Zog einen Verein widerwärtig wohlhabender Briten auf. Sie alle suchten nur eins. Die absolute Lösung. Das Heilmittel gegen die für Menschen bedrohlichste Krankheit überhaupt: Den Tod.“ Ihre Augen flatterten in Erschütterung: „Und… und du hast sie gefunden?“ Ich schüttelte knapp den Kopf: „Nein, das habe ich nie.“ Unwillkürlich wanderte mein Blick zu den Bilderrahmen in meinem Regal. Mein Laden war gleichzeitig mein Wohn- und Schlafzimmer. Ich lebte darin und hatte einige persönliche Stücke in dem Regal hinter meinem Tresen. Dort standen 8 kleine Bilderrahmen. 5 Bilder von den Generationen der Aristokraten, denen ich beiwohnte. Ein Bild mit den 3 Sensenmänner, mit dem Grell uns eines schönen Sommertages überrascht hatte und auf dem niemand von uns - außer Grell selbst – wirklich vorteilhaft aussah. Ein Bild mit Cloudia. Ein Bild mit Vincent. An dem Bild von Vincent blieb mein Blick eine Weile hängen. Sebastian und die Todesgötter unterlagen lange der Überzeugung ich hätte das alles getan, um Vincent wiederzuholen. Unsinn. Ich wollte niemanden wiederholen. Ich hatte schon mit Records und Leichen experimentiert, da kannte ich selbst Cloudia noch nicht. So war die Wachhündin damals erst auf mich aufmerksam geworden. Da ich Leichen gestohlen hatte. Kam mir jemand über den Weg der es verdiente, habe ich sie mir auch selbst gemacht. Ich wollte wissen was hinter dem Ende kam, da ich selber nicht mehr hoffte es in nächster Zeit an mir selbst zu erfahren. Ob es wirklich nur Nichts war. Ich wollte wissen was nach dem Abspann kam. Ob man Leben über den Tod hinaus erweitern konnte. Aufgrund dieser Fragen, war ich erst zu den Menschen gegangen. Wegen dieser Fragen und der sengenden Langeweile. Es war nicht so, dass ich erst angefangen hatte zu forschen, als Vincent verstorben war. Dass ich mich über die Grenze bewegen wollte und ihm den Tod wieder entreißen wollte. Es war unmöglich. Wer tot war, war tot. Wer weg war, war einfach weg. Sobald die Seele verschwunden war, war auch der Mensch fort. Unwiederbringlich. Ich konnte mit den Records, dem einzigen Seelenstück was im Körper verbleibt, keine ganze Seele schneidern. Das war unmöglich und das war mir von Anfang an klar gewesen. Ich hatte es natürlich aus schierer Neugier heraus versucht und war selten so gescheitert. Und selbst wenn ich es schaffen würde, aus einem Record wieder eine funktionierende, fühlende Menschenseele zu konstruieren, so wäre sie doch nicht mehr als eine Kopie. Ein billiger Abklatsch des Originals. Ich wollte nicht neben einem Duplikat meines besten Freundes herlaufen. Er würde immer tot bleiben. Jemand der so aussah, vielleicht sogar ähnlich oder gleich dachte und sich gebar, wäre mir nicht genug. Ich wollte wenn ihn zurück und nicht einen Abzug von ihm. Ich würde immer wissen, dass es eigentlich nicht wirklich er war. Vincents Record hatte ich trotzdem behalten. Als Erinnerungsstück. Ich hatte ihn in meinen Anhängern versteckt. Die Anhänger mit den vielen Haarsträhnen. Die Anhänger, die nun irgendwo in einem Schaukasten lagen und darauf warteten über den Tisch zu gehen. „Aber...“, weckte mich Skyler und ich wusste sofort was sie tun wollte, sodass ich sie nach dem ersten Wort wieder anschaute und unterbrach: „Nichts aber. Wie du schon sagtest, es sind 1873 Menschen gestorben und ich habe es mehr als nur billigend in Kauf genommen. Ich ließ es so laufen, wie es seinen Lauf genommen hatte. Ich hätte meine Dolls aufhalten können. Problemlos. Doch es war mir einfach egal, ob und wie viele Menschen dabei vor die Hunde gingen“, ich lachte, als ich mir der Schreie und des ganzen Blutes erinnerte. Der Panik und alldem Leid: „ Ehehehehe! Es sollte sich raus stellen, wer überlebte: Die Toten oder die Lebenden. Es lief anders als ich geplant hatte, zugegeben, doch es hatte mich nicht im Mindesten geschert. Es war nicht angedacht, dass Ciel und Sebastian an der Kreuzfahrt teilnahmen. Doch im Endeffekt hatte ihre Anwesenheit alles nur noch viel interessanter gemacht. Außerdem war es eine fantastische Gelegenheit den überheblichen kleinen Earl und seinen Butler wieder auf den Boden der Tatschen zu bringen. Tehehehe!“ Skyler antwortete nicht sofort. Einige Minuten starrte sie mich nur an. In ihren Augen schlugen die Gedanken hohe Wellen. Die Wellen glänzten im Kerzenlicht, das den Raum in einen warmen Schein hüllte, was ganz und gar nicht zu der angespannten Atmosphäre passte. Zu dieser so angespannten Atmosphäre zwischen ihr und mir. „Du hast den Earl verraten...“, hauchte sie schließlich. „Nein“, gab ich trocken zurück: „Ich habe ihm gezeigt, dass er durch seinen Butler nicht im mindestens so übermächtig war, wie er zu denken begonnen hatte und ihm von seinem viel zu hohen Ross getreten.“ „Aber…“, Sky konnte sich auf all das keinen Reim machen. Natürlich konnte sie das nicht: „Was hatte der Earl denn gemacht?“ Ich schaute ihr abschätzend ins Gesicht, immer noch nicht sicher ob sie wirklich fragte, weil sie Details wissen wollte, oder einfach nicht mehr wusste wie sie aus dieser Situation herauskam. Doch ich antwortete ihr wieder, trotz dieses Gedankenganges: „Ciel hatte durch Sebastians Dienste den Bezug zur Realität verloren. Er überschätzte sich und den Butler in hohem Maße. Er musste in Gefahr geraten, um zu erkennen wo er eigentlich stand. Was er sich wirklich erlauben konnte und was nicht. Und das habe ich getan, weil Vincent mich bat auf ihn aufzupassen. Denn hätte ich es nicht getan, wäre es jemand anderes gewesen. Und dieser Jemand hätte nicht das Weite gesucht, als es gerade am schönsten war und ihn so am Leben gelassen.“ Sie schluckte. Sie dachte. Sie dachte so angestrengt. Suchte so angestrengt eine Erklärung für sich, dass alles was sie hörte weniger grausam machte. Doch genau das war es. Grausam und der Einzige, der sich darüber belustigen konnte, war ich. „Das nennst du aufpassen?“, fragte sie schließlich, als ihre Suche erfolglos zu blieben schien. „Glaube mir“, rechtfertige ich mich und ich rechtfertigte mich nur sehr selten: „Der kleine Earl hatte von allen Menschen auf diesem Schiff die allerbesten Überlebenschancen. Ich habe es 2 Jahre mit reden versucht. Erfolglos. Wer nicht hören will, muss eben fühlen.“ „Und dafür mussten so viele Menschen sterben?!“, ihre Stimme wurde wieder lauter. Getragen von alldem schlechten was in ihr vorging: „Nur damit der Earl mal einen auf den Deckel kriegt?!“ „He he he, nein“, lachte ich, weil ich immer lachte und weil ich zu dem stand, was ich getan hatte. Weil ich zu dem stand was ich dachte. Weil ich zu meinem Bild von dem Menschen stand. Etliche Records, in denen ich alle Abgründe der menschlichen Seele sah, hatten in meinem Kopf ein eindeutiges Bild gezeichnet und seit dem Tod, nein, dem Mord an Vincent war ich den Menschen gegenüber so verbittert, dass ich kein Mitleid oder Mitgefühl mehr mit ihnen hatte: „Ich sagte doch, der Earl kam relativ spontan auf das Schiff. Diese Menschen starben, weil ich ihr aufbäumen gegen den Tod und ihre verzweifelten Überlebensversuche interessant fand. Weil Menschen mir egal sind, Sky. Bis auf ein paar wenige, habe ich für sie rein gar nichts übrig. Sie sind interessant, ja. Aber auf eine negative Art und Weise. Sie sind gierig, grausam, egoistisch und moralisch bis ins Letzte verwerflich. Meine Dolls waren grausam, weil sie Menschen umbrachten um ihre Seele zu adoptieren und somit ihrem leeren Dasein Sinn zu geben? Menschen töten einander für viel weniger. Immer und immer wieder. Jahrhunderte habe ich Records gesehen. Records von wirklich Unschuldigen, die grausam geschlachtet wurden. Records von ermordeten oder verhungerten Kindern, für die der Tod eine Erlösung war. Records von fetten Pfeffersäcken, die alles andere als Gottesfürchtig waren und nicht den Hauch von Reue ihren Missetaten und Opfern gegenüber empfanden. Von schmierigen Sklaventreiber und Winkeladvokaten. Von scheinheiligen Wohltätern, die doch nur ihr eigenes Portmonee im Blick hatten. Vergewaltiger, Mörder, Schlächter, Folterknechte die noch nicht mal eingesehen haben, dass sie schlechte Wesen waren. Warum, Skyler? Sage mirg warum soll mir an den Menschen irgendetwas liegen?“ „Undertaker“, Skyler schien nun endgültig nicht mehr zu wissen was sie sagen oder denken sollte: „Das kann doch nicht dein Ernst sein!“ „Oh doch, kann es“, ein weiteres kaltes Sirren. Aus dem Nichts. Und dieses blieb. Wog schwer, wühlte den Zorn auf. Den Zorn von dem ich nicht wusste, woher er kam, worauf er zielte: „Mein voller Ernst. Wenn du mir nicht glaubst steht es dir frei zu gehen.“ Sky starrte mich wieder an. Noch geschockter und verlorener als vorher… und ließ meine Hand los. Ging noch einen Schritt nach hinten. Die Distanz zwischen uns wurde immer größer. Und nicht nur die Räumliche. Der nächste Stich war nicht kalt. Er war heiß. Der nächste Stich war nicht stumpf. Es war scharf. Scharf… und auf eine Art und Weise schmerzhaft, wie ich es noch nie erlebt hatte. Sie wurde immer bleicher: „Ich… ich...“ Ich bereute was ich gesagt hatte sofort. Doch… es war so. Wenn sie mit dem was sie heute erfahren hatte, nicht zurecht kam, kam sie auch mit mir nicht zurecht. Und ich wusste von Anfang an, dass sie damit nicht zurecht kommen würde. Bei diesem Anblick wusste ich, dass sie nicht bleiben würde. Bei diesem Anblick wusste ich, dass nun etwas zwischen mir und der schönen, jungen Frau stand, was nichts überwinden konnte. ‚Awwwwwwww!~♥ Du bist ja wirklich total verknallt!‘ Ein weiterer Stich. Was ich fühlte war egal. Denn was ich war wog zu schwer. Sie würde nicht bleiben. Was ich getan hatte, konnte ein so reines und gutes Wesen nicht nur nicht verstehen. Es konnte es nicht ertragen. Reine Wesen, wie die schöne Sky, konnten die Anwesenheit so eines Wesens nicht ertragen. Ein Wesen wie ich es war. Mitleidslos. Reuelos. Selbstsüchtig. Und Rachsüchtig. Und endgültig erkennend, dass ich sie nach heute wahrscheinlich nie wiedersehen würde, steckte ich die Hand in meine Hosentasche und zog den Pentagrammanhänger an der neuen Kette heraus. Ich wollte, dass sie sicher war. Ich wollte, dass sie sicher und glücklich war. Ich wollte… ‚Awwwwwwww!~♥ Du bist ja wirklich total verknallt!‘ Heißer Schmerz, der mein Gesicht nicht erreichte, da ich nicht wollte, dass er da war. Da ich nicht wollte, dass andere wussten, dass er da war. Ich streckte die Hand aus, um Sky ihren Anhänger wieder zugeben. Ich hatte meine Bewegung nicht annähernd halb ausgeführt, da riss sie die Augen auf. Ich stockte. Aus Schock und Schreck war die blanke Panik geworden. Und dieser Ausdruck schmerzte mir mit einer Intensität, für die ich keine Worte fand. Auf einmal rannte sie an mir vorbei. Meine Augen folgten ihr. Sie rannte. Und es war gut dass sie rannte. Was ich in diesem Moment fühlte war eiskalt. Meilen tief… und obwohl ich mir bewusst war, dass sie nicht bleiben würde, war das Gefühl in mir… ...martervoll. ...gramvoll. ...herzzerreißend. …sofort quälend peinigend. ...und so unendlich einsam. Ich fühlte mich einsam. Ich war sauer auf mich selbst, reuevoll gegenüber Skylers leidenden himmlisch blauen Augen und unendlich verloren. Diese Gefühlslage erschien innerhalb von Sekunden. Sekunden, die sich in ungeahnte Längen zogen. Den Sekunden die Skyler brauchte um von ihrem Platz, drei Schritte von mir entfernt, an mir vorbei zu laufen. Und in diesem Moment wurde alles in mir komisch kalt. In diesem Moment fühlte ich mich furchtbar hohl. Das Gefühl was mich immer überkam, wenn eines der Wesen starb, denen ich nah stand. Sie war nicht tot. Doch das Schlimme war nicht der Tod an sich, sondern der Umstand, dass diese Wesen nicht wiederkamen. Warum sie es nicht taten, war einerlei. Das Schmerzhafte war ihre endgültige Abwesenheit. Ich hatte es noch nie geschafft, dieses Gefühl von mir fern zu halten. Es gelang mir es zu kaschieren. Es herunterschlucken bis zu einem gewissen Grad. Doch nie fernhalten. Und es blieb. Bei jedem Mal. Irgendwo tief und zu geschüttet war es immer da. Und immer, jedes Mal, wenn jemand ging, kam es in den Vordergrund. Es waren peitschende Gefühle. Die einzige Tortur, die ich kannte. Wahrscheinlich die Schlimmste, die es gab. Und sie kam immer wieder. Gerade in einer schmerzhaften Präsenz, die mir neu war. Ich reckte meine Hand zu ihr, als sie an mir vorbei preschte. Die Finger ihrer Hand zogen ihre Kette von meinen. Ein letztes Mal streiften meine Fingerkuppen ihre wunderbar warme Haut. Ein letzter heißer Blitz glühte mir durch Brust und Bauch. Dann war sie fort. Noch ein paar Minuten hörte ich ihre schnellen Schritte durch die Gassen hallen. Dann war alles still. Dann war sie endgültig fort. Einfach weg. Total verschreckt. Und ich stand alleine immer noch an derselben Stelle und starrte ins Nichts. Dieses furchtbare Gefühl allgegenwärtig. Meine Fingerkuppen knisterten noch unter der Wärme, die Skylers Haut zurück gelassen hatte. Bald wird dies abgeklungen sein. Schmerz zuckte bei diesem Gedanken durch mein Herz. ‚Awwwwwwww!~♥ Du bist ja wirklich total verknallt!‘ Mit einem lauten und wütenden Geräusch trat ich gegen den Sarg neben mir. Mit einem höllischen Krach flog er gegen ein Regal. Die Gläser darin splitterten. Andere Gegenstände polterten um. Die Tür schlug zu und die Wucht meines Tritts verwandelte den Sarg und das Regal bei der Kollision in Sperrmüll. Ich stand noch einige Zeit an dieser Stelle. Schwer atmend. Meine Hände hatten sich verkrampft, doch diese Randerscheinungen gingen fast gänzlich an mir vorbei. Das kurze heiße Gefühl, was mich dazu verleitet hatte einen Sarg und mein Regal zu demolieren, war wieder verschwunden. Zurück blieb nur dieses kalte, leere Gefühl. Irgendwann setzte ich mich auf einen anderen Sarg. Mein Kopf raste, ohne dass ich einen klaren Gedanken fassen konnte. Etwas Nasses fiel auf einen Finger meiner locker über den Beinen liegenden Hand. Langsam wanderten meine Augen in ihre Richtung und ich hob die Hand an. Über meinen Zeigefinger zog sich die Spur eines weg geflossenen Tropfens. Ich fasste mir ins Gesicht. Und meine Finger spürten noch mehr Nässe. Verwundert schaute ich auf meine feuchten Fingerkuppen: ‚Tränen?‘ Obwohl ich mir nun den kleinen Tropfen bewusst war, schaute ich weiter verwundert auf meine feuchten Finger. Ein schrilles Geräusch ließ mich wieder zu Boden schauen. Merkenau saß vor meinen Füßen und musterte mich eindringlich. Als ich nichts sagte krähte er vehementer. Ich schüttelte Anbetracht des kleinen Vogels nur den Kopf, schloss die Augen und rieb mir durch mein Gesicht. Plötzlich zog etwas an meinem Bein. Ich schlug die Augen wieder auf und sah, dass sich Merkenau an meinen Schnallen und Bändern mein Hosenbein hinaufkletterte. Oder es zumindest versuchte. Ich schnappte den kleinen Vogel und setzte ihn auf mein Knie. Er krähte mich an. Das Grässliche war, das auch der kleine Rabe mich an Skyler erinnerte. Wie sie mich gebeten hatte ihn mitzunehmen. Wie sehr sie den kleinen Raben mochte. Ich schüttelte wieder den Kopf. Wie ich mit dem Gefühl in mir umgehen sollte wusste ich nicht. Ich hatte kein Wort dafür. Es folgte nur teilweise den Mustern, die ich kannte. Doch der Teil dieses Gefühls, das ihnen nicht folgte war so zermürbend, dass ich es nicht mal mehr interessant fand. Es sollte nur verschwinden und zwar schnell. Merkenau krähte wieder. Ich schaute ihn an. Der Blick des kleinen Raben sah besorgt aus. Vor seinen Krallen waren einige runde Flecken auf meinem Mantel. Und es wurden immer mehr. Denn die Tränen tropften immer noch von meinem Kinn, auch wenn ich nicht recht bemerkte, dass sie da waren. Merkenau hüpfte einen Schritt auf meinen Oberschenkel nach vorne und krächzte wieder. Schriller als je zuvor. „Nein“, schüttelte ich mit leiser Stimme den Kopf: „Nein, ich möchte nicht darüber reden.“ Merkenau setzte sich und krähte erneut eine Frage. „Weil ich nicht weiß, was das für ein Gefühl ist.“ Merkenau sah grübelnd aus. Ich schnipste. Die Kerzen erloschen und es war finster in meinem Laden. Finster, still und einsam. Merkenau krächzte wieder. Dieses mal nickte ich leicht: „Ja, ich lege mich hin. Der Tag soll jetzt ein Ende haben.“ Der kleine Rabe krähte zustimmend. Dann stand er auf und hüpfte über mein Bein. Er nahm eine seiner Krallen und zupfte damit an meinem Mantel. Mit einem freudlosen Schnauben setzte ich den kleinen Vogel auf meine Schulter. Ich kramte ein Taschentuch aus meiner Tasche und wischte mir durch mein Gesicht. Ich weinte selten. Warum ich es jetzt tat war mir ein Rätsel. Ich klappte den Sargdeckel auf und bekam einen Flügel ins Gesicht. Es war eher ein wildes Flattern, als ein erster Flugversuch und Merkenau rutschte auch von dem Rand des Sarges ab auf dem er landen wollte. Ich fing den kleinen Vogel, bevor es der Boden tat und setzte ihn ab. Dann legte ich mich in meinen Sarg. Ein langes Seufzen entfloh mir, als ich den Kopf nach hinten schob und aus meinem Fenster schaute. Die Wolken waren weiter gezogen. Sterne funkelten trübe durch meine Fensterscheibe. Ich war mir irgendwie sicher, dass sie nicht wirklich trübe waren, sondern nur für mich so wirkten. Weil dieses hohle Gefühl so trübe war. Ich starrte einfach in die blassen Sterne und dachte an nichts und gleichzeitig an so vieles. Doch präsent waren immer diese erschrockenen himmelblauen Augen. Diese wunderschöne Augen, die mich so entgeistert angestarrt hatten. Die so schockiert waren von dem was ich sagte. Die so schockiert von mir waren und schließlich aus meinem Laden gerannt waren. Vor mir weggerannt waren. Ich legte eine Hand auf meine Augen. Das hohle Nichts brach und mein Herz zog sich in Anflug eines grässlichen Schmerzes zusammen. Nun merkte ich die Tränen, die stumm durch meine Finger rannen. Gewicht erschien auf meiner Brust, was mich durch meine Finger linsen ließ. Merkenau saß nun auf meiner Brust und sah mich besorgt an. Ich nahm meine freie Hand und strich dem treuen Vogel über seinen Schnabel. Dann schloss ich die Spalte zwischen meinen Fingern wieder. „Was ist das?“, flüsterte ich leise und eigentlich nur für mich selbst. Merkenau krähte und ich verstand ihn genau. Das Wort, dass er gekräht hatte war… ...Liebeskummer. Am nächsten Morgen war der Schmerz unterschwellig geworden und einem fast gänzlich leeren Gefühl gewichen. Einem Gefühl, welches dem Gefühl nach Vincents Verlust ganz ähnlich kam. Doch es war nicht ganz dasselbe. Mir graute, da ich noch genau wusste, wie lange mich dieses Gefühl damals verfolgt hatte. Und heute war es sogar noch schlimmer. Trotz allem saß ich am nächsten Morgen in meinem Wagen und fuhr zur Villa Phantomhive. Ich hatte dem Earl und somit auch irgendwie Amy zugesagt vorbei zu schauen. Merkenau saß auf der Kopfstütze des Beifahrersitzes. Als ich heute Morgen in einem arg grau wirkenden Tag aufgewacht war, hatte der Vogel immer noch auf meiner Brust geschlafen. Seit dem weigerte er sich von meiner Seite zu weichen. Als ich ihn 10 Minuten für meine Morgentoilette allein gelassen hatte, hatte er vor meiner Badezimmertüre gesessen, als ich sie wieder geöffnet hatte. Mir war klar, das Merkenau wieder versucht hatte vom Sargrand zu fliegen und wahrscheinlich eine ziemliche Bruchlandung hingelegt hatte. Als ich im Bad gewesen war, fielen meine Augen natürlich auf Skylers besudelte Kleider, was ein stechendes Gefühl herauf beschwor. Ich war dem Gefühl gegenüber so müde. Eigentlich hätte ich mich am liebsten wieder in meinen Sarg gelegt, den Deckel geschlossen und der Welt erklärt wie gern sie mich heute haben könnte. Doch ich war aufgestanden, hatte einen Tee getrunken, Skys Kleider in die Wachsmaschine gesteckt und war in mein Auto gestiegen. Verfolgt von Merkenau. Wegnistens fragte der kleine Vogel nicht wie es mir ging. Ich glaubte jeder, der mir diese Frage heute stellte, könnte es bitter bereuen. Ich atmete durch um mich zu beruhigen. Ich wollte schließlich zu den Phantomhives, um Amy vor Sebastians Gereiztheit und generell immer anwesenden Sadismus zu bewahren. Da sollte ich nicht meine eigene schlechte Laune an anderen auslassen. Ich hoffte inständig, ich hatte mich so gut im Griff wie sonst. Denn es war nichts wie sonst. Außer die Straßen Londons. Die waren verstopft wie üblich und unüblicherweise nervte mich das bis ins Letzte. „Fahr, du Trottel... Grüner wird es nicht“, zischte ich zum sicherlich 4-mal und Merkenau sah so aus, als ob er seufzen wolle. „Hm?“, versuchte ich weniger gereizt zu klingen. Merkenau krähte. Ich seufzte: „Ja, vielleicht. Ein wenig.“ Merkenau krähte wieder. „So schlimm ist es auch nicht“, gab ich zurück. Merkenau schaute mich an und wirkte, als ob er eine Augenbraue hochzog. „Ist ja gut. Ja, vielleicht bin ich ein bisschen überreizter, als ich mir eingestehen will.“ Ein weiteres Krähen. „Ok, ok. Ich bin definitiv überreizt. Und wenn du keinen guten Ratschlag für mich hast, beton es einfach nicht.“ Merkenau seufzte wieder. Der Rest der Autofahrt verlief schweigend. Bei den Phantomhives angekommen stellte ich meinen Leichenwagen in seine übliche Parklücke und stieg aus, nachdem Merkenau auf meine Schulter gehüpft war. Charlies und Franks Autos waren verschwunden. Wahrscheinlich waren die Beiden wieder in Deutschland oder zumindest Charlie an irgendeinem anderen Fleck der Welt. Ich konnte mir denken, wo die Phantomhives waren. Sebastian hatte sicher den Ballsaal in Windeseile umfunktioniert. Es war schließlich der größte Raum im Anwesen. Ohne Eile schritt ich durch das Manor und grüßte zwei Mägde durch meinen Pony, die mir entgegen kamen. Wie erwartet fand ich alle in dem großen Ballsaal, der wieder in altem Glanz glänzte. Auch Fred, Lee, Grell, Ronald und William waren dort. William im Anzug, Fred in einem blauen, Lee in einem grünen, Grell in einem knarschroten und Ronald in einem braunen Trainingsanzug. Ronalds Anblick stieß mir sauer auf: ‚Du kleiner…‘ Auch Sebastian trug einen schwarzen Trainingsanzug und beschoss Amy - in ihrem violetten Trainingsanzug – über ein Volleyballnetz schon mit hart geschlagenen Aufschlägen. Die Beiden wechselten sich ab. William stand neben dem Netz und pfiff hin und wieder durch eine Trillerpfeife, wenn Amys Fuß beim Aufschlag über die Linie schaute. Der Aufsichtsbeamte tat wohl das, was er am Besten konnte: Den Schiedsrichter spielen. Die Anderen unterhielten sich ausgelassen und dehnten sich. Heather und Alexander saßen auf zwei Stühlen am Spielfeldrand und schauten zu. Als ich in den Raum kam, sah Grell mich sofort. Er schwebte auf mich zu: „Einen wunderschönen guten Morgen, Undertaker ~♥“ ‚Stecke dir deinen...‘, ich räusperte mich und grinste: „Ke he he! Einen wunderschönen guten Morgen, liebster Grell.“ Grell packte sich einen weißen Stoffstapel und kam weiter auf mich zu. Merkenau flatterte mit den Flügeln. „Benimm dich oder du kommst auf den Grill“, sagte ich ihm leise. Er krähte. „Und das weißt du ganz genau. Benehme dich wenigstens heute.“ Merkenau setzte sich mit einem missmutigen Blick auf meine Schulter und sah Grell mit zusammengezogenen Augen an. „Ich hab etwas für...“, Grell stockte, als er den Vogel sah: „Uh… du?“ Merkenau krähte säuerlich, unterstand sich aber Grell wieder anzufallen. „Kannst du den Raben einfach Rabe sein lassen, Grell?“, grinste ich wie gewohnt, obwohl ich mich alles andere als gewohnt fühlte. „Solange er mich in Ruhe lässt.“ Ich merkte Merkenau unruhig einmal abwechselnd die Füßchen hob, doch der Rabe blieb sitzen. Ich grinste weiter: „Wird er.“ „Gut“, dann streckte Grell mir den Stoffstapel hin: „Für dich! Awww, du wirst schnuckelig darin aussehen!“ „Und“, schaute ich dem Staple skeptisch entgegen: „Tehehe! Was ist das?“ „Na! Ein Trainingsanzug!“ Ich lachte schrill: „Pahahahaha! Oh nein, nein, nein. Ich bin als Zuschauer hier.“ „Echt jetzt?“, schaute mich Grell recht verständnislos an. „Nihihi! Worauf du dich verlassen kannst, lieber Grell.“ „Aber...“ „Nein“, grinste ich und unterdrückte den gereizten Ton, den ich am liebsten aufgezogen hätte. Grell ließ den Stapel sinken: „Wie du meinst. Das du uns so hängen lässt.“ „Ich lasse niemanden hängen“, grinste ich weiter, obwohl ich jetzt schon recht genervt war, was ebenfalls unüblich war: „Ich habe nie zugestimmt, mich heute zum Clown zu machen. Hehehehe!“ „Du machst dich sonst doch auch immer zum Clown! Das ist doch dein liebstes Hobby!“ „Grell“, grinste ich weiter: „Nein.“ „Ist irgendwas?“ Ich seufzte innerlich: „Nein. Tehehehe! Mir geht es prächtig!“ Ich stockte, ohne es mir anmerken zu lassen. Hatte ich gerade gelogen? Tatsächlich, ich hatte gelogen. Ohne es mit zubekommen. Es war wohl endgültig an der Zeit mich selbst zu vergraben. Grell blinzelte: „Wenn du es sagst.“ „Oi, Undertaker!“, Ronald kam gut gelaunt auf mich zu. Wieder brodelte in mir Wut bei seinem Anblick auf: ‚Du kleiner… Warum konntest du nicht deine Klappe halten? Wieso musst du deinen Mund immer so weit aufreißen? Du…! Atmen...‘, ich grinste ihn an: „Guten Morgen, Ronald.“ „Eh“, grinste der Blonde jugendlich, als er Merkenau sah: „Wer bist denn du?“ „Das“, grinste ich weiter und steckte meine Hände in die Hosentaschen, um Ronald nicht auf der Stelle zu erwürgen: „Ist Merkenau.“ „Ah!“, lachte der junge Reaper vollkommen ungewahr dessen, dass ich ihn am liebsten dreimal übers Knie gelegt hätte: „Der Rabe, der Grell ständig anfällt!“ Merkenau krächzte. Ich nickte. Grell schaute Ronald säuerlich an. „Aufstellen!“, schallte Sebastians Stimme durch den Saal. Wir gingen Richtung Spielfeld. „Machst du nicht mit?“, fragte Ronald. „Nein“, schaffte ich mein Grinsen zu halten, was heute nicht mehr als eine gut gespielte Maske war: „Ehehehe! Ich werde mich zurücklehnen und das Szenario genießen.“ „Du treulose Tomate!“, lachte Ronald. ‚Atmen...‘ Etwas zischte auf mich zu. Ich wandte den Kopf um, zog eine Hand aus der Hosentasche und schickte dem Butler mit einem Schnipsen den Volleyball zurück: „Tehehehe! Netter Versuch, Butler!“ Er fing den Ball: „Guten Morgen.“ „Morgen“, grinste ich: „Kehe. Lass bloß das Mädchen ganz.“ „Meine Härte ist vollkommen angemessen. Sie hat einen weiten Weg vor sich und die Zeit drängt.“ Ich blieb kurz vor ihm stehen: „Und dein Grummeln aufgrund von Oliver und Claude schleicht sich nicht in deine ‚Lehrmethoden‘? Tehehehehe!“ Die Augen des Dämonen zuckten: „Natürlich nicht.“ „Das“, grinste weiter: „Ist gut zuhören.“ Dann setzte mich zu Heather und Alexander. Amy winkte mir. Ich winkte zurück. Dann hatte Amy alle Hände voll zu tun. „Guten Morgen“, grinste der Earl: „Du am Rand statt mitten drin?“ „Kehehehe! Warum denkt jeder ich hätte übermäßig viel Lust mich mit einem Ball beschießen zu lassen?“, die Wahrheit war, dass ich mir eigentlich für nichts zu fein war und es normalerweise liebend gern entgegen genommen hätte den Butler Volleybälle um die Ohren zu hauen. Doch heute war mir gar nicht nach sportlicher Betätigung. Ich fühlte mich leer, müde und phlegmatisch, alles versteckt hinter einem breiten Grinsen. „Du bist doch sonst für jede Schandtat zu haben“, legte Heather ihren Kopf schief und traf damit genau ins Schwarze. „Ich bin auch sehr dafür zu haben, hin und wieder einfach am Rand zu sitzen und zu genießen“, redete ich mich heraus. „Wenn du meinst“, sagte sie und wirkte nicht wirklich überzeugt, doch sich dessen bewusst dass ich über meinen Zustand nicht reden wollte. Ich verfluchte in diesem Moment wie unglaublich empathisch sie war. Launen erkennen war definitiv Heathers größtes Talent. Während Amy sich abstrampelte, unterhielten ihre Eltern sich locker. Hin und wieder auch mit mir. Ich antwortete mit meinem breiten Grinsen, doch merkte selbst ich, dass meine Antworten viel kürzer als gewöhnlich waren. Obwohl die Atmosphäre eigentlich erfrischend leicht und locker war, erreichte sie mich nicht. Auch das Lachen der anderen steckte mich nicht an. Trotz des Umstandes, dass Amy Grell und Ronald im Team hatte, stellten Sebastian in der gegnerischen Mannschaft sie vor größere Probleme und sorgte definitiv für die ein, oder andere sehr amüsante Situation. Aber mehr als ein Giggeln entlockte es mir nicht. Dass Fred und Lee auf Sebastians Seite standen, machte die Sache für Amy nur bedingt fairer. Zumindest bemühten sich Grell und Ronald wirklich ihr eine Hilfe zu sein. Ein Volleyball Sebastians mitten in Grells Gesicht, zeugte von seinen Bemühungen. Er brachte alle Anderen zum Lachen. Selbst William schüttelte den Kopf bevor er abpfiff, was für seine Verhältnisse schon von Belustigung zeugte. Doch mich brachte er nur zum Kichern. Auch Grells darauf folgendes Theater änderte nichts daran. Heph lugte ein ihrem Mann vorbei zu mir herüber: „Ist alles ok, Undertaker?“ Ich schaute sie mit einem Grinsen an: „Wie kommst du auf diese Frage, Heather?“ „Na, du lachst Grell nicht schallend aus. Ich habe mir vollkommen grundlos die Ohren zugehalten.“ „Nehehehe! Ansonsten beschweren sich immer alle darüber.“ Alex zog die Augenbraue hoch: „Der Einzige, der sich darüber beschwert ist Grell und seit wann kümmert dich was wir sagen?“ „Tihihi. Da bin ich mal nett.“ „Bist du krank?“, legte der Earl den Kopf schief. Ich tat gespielt beleidigt: „Das klingt ja als sei ich nie nett! Ehehehe! Was denkt ihr alle von mir?“ „Eine Mischung aus dem Besten und dem Schlimmsten, Undertaker“, lächelte Heather. Dann wurde ihr Blick wieder ernster: „Aber trotz allem wirkst du heute komisch.“ Ich zwang mich zu lachen: „Ich bin immer komisch, nihihihi!“ „Nein“, machte Heph: „Ich meine du bist heute komisch, weil du nicht so komisch bist.“ Ich lächelte sie an: „Mach dir keine Gedanken um mich, Heph.“ „Sicher?“ Ich nickte. Das Training ging weiter. Zimperlich ging der Dämon mit der jungen Phantomhive nicht um, doch es war im Rahmen des Erträglichen. Irgendwann läutete der Butler sogar eine Pause ein und die Gruppe fand sich zusammen, während der Butler verschwand um in einem Salon Häppchen und Tee fertig zu machen. Amy, Grell und Ronald hatten leuchtend rote Wangen. Der Butler hatte es selbst geschafft den Shinigamis mächtig einzuheizen und auch Fred und Lee waren nicht gerade untalentiert in sportlichen Belangen. Vor allem Lee als ehemaliger Prefect der Green Lion nicht. Amy setzte sich auf den Boden und schaute über Kreuz: „Ich sterbe...“ „So schlimm ist es auch nicht“, setzte sich Lee neben sie. „Ich bin ein Wolf, kein Löwe!“, konterte die Phantomhive gestresst. Fred setzte sich neben Lee: „Lee hat recht. Stell‘ dich nicht so an. Meinst du Sebastian ist mit mir zimperlicher umgesprungen? Ich lebe auch noch.“ „Du hast aber auch immer mit Lee trainieren können! Meine beste Freundin erdolcht sich mit einem Bleistift!“ Als Skyler durch die Blume angesprochen wurde, bekam ich einen schmerzhaften Stich. „So schlimm kann Sky auch nicht sein“, erwiderte Ronald. Noch ein Stich. „Du hast ja keine Ahnung“, führte Amy weiter aus und ahnte nicht wie sehr sie mich damit folterte: „Gestern hat sie sich in Undertakers Laden fast umgebracht!“ „Ach Quatsch“, machte Fred. „Doch! Frag Undertaker!“, zickte Amy ihren Bruder an und wandte den Kopf zu mir: „Sag‘s ihm!“ Mein Grinsen blieb wo es war, obwohl mir eigentlich nicht nach Grinsen war: „Sie hat recht.“ Ronald hob eine Augenbraue und schaute Grell komisch an. Dann schauten die Beiden zurück zu mir. In dem Moment trat der Butler in den Saal und holte die Gruppe in den Salon. Ich erhob mich, atmete aber erst schwer aus und schaute durch eins der großen Fenster. Meine Gedanken wanderten nach gestern. Zurück in dieses schockierte Gesicht. Ich wischte mir mit einer Hand durch mein Gesicht. „Yo, Undertaker“, hörte ich eine Stimme neben mir und drehte meinen Kopf zur Seite. Ronald stand dort die Hände in den Hosentaschen und musterte mich recht skeptisch: „Was hast du?“ Eine heiße Welle fuhr durch mich hindurch, als ich den blonden Reaper sah: ‚Hättest du doch nur…! Atmen...‘, ich lachte ihn an: „Kehehe! Was soll ich denn haben?“ „Du hast Grell nicht ausgelacht“, führte der Jüngling mit der viel zu losen Klappe aus: „Generell lachst du heute recht wenig.“ „Ist das schon ein Indiz darauf, ich hätte irgendetwas? Nihihihi!“ Ronald hob eine Augenbraue: „Klar“, dann schüttelte er den Kopf und hob die Hände: „Wir sind Freunde, Undertaker. Wenn irgendetwas ist kannst du mit mir reden. Ich bin vielleicht nicht so alt wie die anderen, aber vielleicht hab ich doch ‘nen Ratschlag für dich.“ Ich merkte mein Auge zucken: ‚Ich hätte die Probleme nicht, wenn du deinen…! Atmen...‘ Ronald stemmte die Hände in die Hüften: „Es geht um Skyler, richtig?“ ‚Atmen...‘, ich verschränkte meine Hände um sie unter Kontrolle zu behalten. Ronald lachte, als ich nicht antwortete: „Herrje, herrje. Keine Antwort ist auch eine Antwort“, dann wackelte er mit einer Augenbraue: „In dem Punkt kann ich dir helfen. Mit den Ladys kenn‘ ich mich aus!“ Meine Wut schwelte an: ‚Atmen…‘, atmete ich das erste Mal wirklich tief durch, obwohl ich mich seit fast einer Stunde immer wieder selbst ermahnte durchzuatmen. Wieder lachte Ronald: „Was ein schweres Seufzen!“ Meine Finger tippten unruhig auf meinen Armen herum, als ich ein weiteres Mal durchatmete. Dann schüttelte der Reaper den Kopf: „Ehrlich! Was Frauen angeht bin ich Experte!“, er legte mir einen Arm um die Schultern: „Ich hab da den ein oder andern… AAAHHH!“ Wie meine Sicherung gesprungen war hatte ich erst bemerkt, als ich mein Faust getragen von meiner ganzen Wut in Ronalds Gesicht versenkt hatte. Der Arm des blonden Reaper wurde von meiner Schulter gerissen, als er quer durch den großen Raum flog und in eine Wand schepperte. Mit einem lauten Krachen und einem weiteren Aufschrei Ronalds, brach sie unter dem Schwung, den ich dem jungen Sensenmann mitgegeben hatte, zusammen und vergrub ihn unter sich. Der Shinigami war verschwunden. Nur ein Bein in brauner Jogginghose schaute zuckend aus dem Trümmerhaufen. Merkenau krächzte mich an. „Ja“, antwortete ich ihn: „Jetzt geht es mir besser.“ Und dem war wirklich so. Ein Teil des Drucks war verschwunden. Was nicht hieß, dass es mir nun gut ging, oder ich nicht mehr wütend auf die blonde Tratschtante war, der nicht mal für 5 Pfennig darüber nachdenken würde, was er gerade von sich gab! Ohne Eile ging ich auf den Trümmerhaufen zu. In dem Moment hievte Ronald ein großes Trümmerstück von seinem Oberkörper und setzte sich auf. Seine Nase blutete. Sein Blick fand mich und war mindestens genauso wütend wie mein eigener: „Hast du sie noch alle?! Ich glaube es hakt bei dir, alter Mann! Und ich wollte dir helfen!“ „Du“, ich streckte ihn meinen Zeigefinger mit ruhiger, aber bedrohlich dunkler Tonlage ins Gesicht: „Unsägliche Labertasche. Wenn du das nächste Mal unbedingt aus dem Nähkästchen plaudern willst Nimm. Dein. Eigenes.“ Ronald schaute mich kurz sehr blass an, sich nun doch gewahr, dass ich ganz klar auf ihn und nicht generell wütend war und aufgrund dieser Erkenntnis ein wenig geschockt. Doch er fasste sich wieder und haute wütend meinen Finger aus seinem Gesicht: „Was meinst du damit, man?! Was soll ich denn schon wieder gemacht haben?!“ „Skyler“, verschränkte ich wieder die Arme. „Was ist mir ihr?! Wenn ihr Beiden Streit habt ist das nicht mein Problem, klar?! Ich hab dir meine Hilfe angeboten und das ist dein Dank?!“ Ich merkte wie sich mein Mund verzog, als mich der Jüngling so unverfroren anschrie. Meine Stimme war ein dunkles Grollen geworden: „Könntest du deine Klappe halten, hätte ich diese Probleme nicht.“ „Wie meinst du das denn?!“ „Campania“, grollte ich. „Und?“ „Was stellte dich vor die unumgängliche Notwendigkeit es unbedingt ihr gegenüber fallen zu lassen?“ „Ja, was ist denn passiert?!“, er wischte sich mit einem angeekelten Ausdruck das Blut aus dem Gesicht. „Sie hat recherchiert und mir gestern diesen blödsinnigen Zeitungsartikel unter die Nase gehalten.“ „Den vom April 1889?“ Ich nickte knapp. Ronalds Mund klappte auf, als ihm klar zu werden schien was passiert war: „Ach du Scheiße.“ Nun nickte ich verärgert: „In der Tat.“ „Und was wollte sie damit?“ „Was wohl, Ronald?“ „Ach du Scheiße.“ „Fürwahr.“ „Und was hast du gesagt?“ Ich seufzte und setzte mich auf ein großes Trümmerteil: „Die Wahrheit.“ „Ach du...“ Ich hob eine Hand: „Sage es nicht noch mal.“ Ronald drückte die Hand vor seine weiter blutende Nase: „Mir fällt nichts besseres dazu ein. Man! Das wollte ich nicht...“ Ich seufzte ein weiteres Mal, kramte in der Hosentasche und reichte Ronald ein Taschentuch: „Das nützt mir nun auch nichts mehr.“ Ronald sah auf das Taschentuch. „Nimm“, sagte ich kurz. Zögerlich nahm er es an und drückte es unter seine Nase: „Und weiter? Wie hat sie reagiert?“ „Mit erwartend wenig Begeisterung.“ „Das heißt?“ „Sie ist so schnell sie konnte aus meinen Laden gerannt.“ „Oh verdammt“, Ronald fiel zurück in den Trümmerhaufen: „Ich hätte nie gedacht, dass sie nachforscht. Von den Dolls habe ich wirklich nichts gesagt...“ Ich schaute ihn an: „Was hast du ihr denn dann erzählt?“ „Dass wir dich dort getroffen und du uns ziemlich eindrucksvoll fertig gemacht hast.“ Ich seufzte: „Ronald, du bist ein unsagbarer Trottel. Sie kennt uns als Freunde. Denkst du wirklich nicht davon zu hören, dass wir uns mal angegangen sind, käme ihr komisch vor.“ Er drehte die Augen nach oben: „Da habe ich nicht drüber nachgedacht...“ „Das habe ich allerdings gemerkt.“ Ronald setzte sich wieder auf: „Ich wollte dich wirklich nicht ins Bockshorn jagen.“ „Hast du aber. Nach allen Regeln der Kunst.“ „Was machst du jetzt?“ Ich schüttelte den Kopf: „Was soll ich denn tun, Ron? Was ich getan habe, habe ich getan. Ich kann es nicht ändern und ich will es auch nicht. Denn ich bereue es heute genauso wenig wie damals. Ich denke noch genau wie damals. Es hat sich nichts geändert.“ „Aber das kannst du doch nicht so stehen lassen!“ Mein Kopf fiel zur Seite: „Und was soll ich deiner Meinung nach tun, oh du großer Frauenexperte?“ Ronald seufzte: „Es tut mir wirklich leid, Undertaker. Das war echt keine Glanzleistung...“ „Was du nicht sagst. Nun?“ Ronald schaute an die Decke: „Ich hab keine Idee...“ „Wie gut, dass wir da schon zu Zweit sind.“ Dann schaute er mich wieder an: „Rede doch einfach noch mal mit ihr.“ „Und was soll ich ihr sagen? Abgesehen davon, dass sie wohl eher Reißaus nehmen wird, als noch einmal in meiner Nähe zu bleiben. Schließlich bin ich ein Massenmörder.“ „Ja“, nickte er: „Das bist du. Daran gibt‘s auch echt nix zu rütteln.“ „Ich weiß, Ron“, grummelte ich. „Hey, das ist nun wirklich nicht meine Schuld!“ Ich rollte unter meinen Pony die Augen: „Auch das weiß ich.“ „Das hier ist wohl ein Fall von ‚Du hast dir die Suppe versalzen, also löffel sie aus‘.“ Ich schaute auf den Boden: „Auch dessen bin ich mir bewusst.“ „Du bist wirklich verknallt, oder?“ Ich nahm einen kleinen Stein und warf ihn Ronald gegen den Kopf. „Au!“, rieb sich dieser die Stelle, die ich getroffen hatte: „Ist ja gut, ist ja gut! Ja, bist du und deine Laune ist dementsprechend echt beschissen.“ „Wenn du es so salopp ausdrücken möchtest.“ „Die Situation ist echt zum Kotzen...“ Ich grinste ihn an: „Ach, denkst du?“ „Jetzt werd‘ nicht noch sarkastisch. Ich habe verstanden und du mir wahrscheinlich die Nase gebrochen. Wir sind quitt, oder?“ „Ich überlege noch.“ „Echt jetzt?!“ „Ronald, mit Verlaub. Du bist gerade nicht mein Problem.“ „Ich weiß“, ließ der Jüngling die Schultern hängen: „Doch ich glaube irgendwie nicht, dass sie noch mal wegläuft.“ Ich wurde hellhörig: „Aha? Weil?“ „Naja“, machte Ronald: „Weil sie dich doch so mag.“ „Ich glaube ‚mochte‘ ist das bessere Wort“, knirschte ich. Dann seufzte ich wieder und zog danach ein Grinsen auf: „Wahrscheinlich ist es besser, dass sie ging. Ich bin kein Umgang für so ein zartes, reines Ding wie sie.“ „Ach Paperlapap!“, machte Ronald und wedelte mit einer Hand: „Du bist kein schlechter Kerl. Du bist nur einfach kein Mensch und hast vielleicht ein paar zu hoch gesteckte Moralvorstellungen.“ „Es gab Zeiten, da hast du was ganz anderes gesagt.“ „Ich weiß. Doch die Zeiten sind schon knapp 100 Jahre her. Und in den letzten 100 Jahren hast du mir oft geholfen. Und Grell. Selbst William!“ „Was alles nichts ändert.“ „Oh doch. Du bist nicht mehr derselbe wie vor 100 Jahren.“ „Ehehehehe!“, bracht mich Ronald naive Aussage doch wieder zum Lachen: „Natürlich bin ich das!“ „Nein. Du bastelst keine Dolls mehr.“ „Ich ‚bastel‘ keine Dolls mehr, weil ich es euch versprochen habe.“ „Doch wenn du wirklich so’n Arsch wärst, würde dich das einfach nicht interessieren.“ Ich seufzte wieder. Und es nervte mich, dass ich seufzte: „Aber auch all das bringt mir nichts.“ „Hast du ihr erzählt, dass die Campania gar nicht deine Idee war und die Dolls eigentlich keine Waffen waren?“ „Was soll das denn ändern, Ronald? Ich habe mitgemacht. Mit großem Pläsier! Ich war von Anfang an nur auf dem Schiff um es zu versenken. Das Osiris das Experiment beschloss, ist ein Detail was nichts ändert.“ Ronald nickte: „Du hast echt Scheiße gebaut.“ „Ich bereue nichts.“ „Doch, tust du.“ „Was bereue ich denn deiner Meinung nach?“ „Dass du Skyler damit verjagt hast.“ Ich wandte mein Gesicht nach vorne und schaute ein paar Augenblicke stumm in die Luft. Auch Ronald sagte nichts. „Ja“, sagte ich irgendwann leise: „Das tue ich wirklich.“ „Und jetzt belässt du es einfach dabei?“ „Mir bleiben nicht viele Optionen.“ Dann lachte Ronald auf einmal und ich schaute zu ihm: „Darf ich wissen, was daran so lustig ist?“ Ronald schaute mich grinsend an: „Fühlt sich doof an, wenn man ohne ersichtlichen Grund ausgelacht wird, wa?“ Ich hob wortlos einen weiteren Stein auf und meine Hand in die Höhe. Ronald warf die Hand nach vorne, die das Taschentuch nicht hielt: „Warte! Nicht noch mal! Is‘ gut!“, dann seufzte er, wischte einmal unter seiner Nase hin und her, zog sie hoch und ließ das Taschentuch sinken: „Aber ich glaube du musst auch gar nichts tun.“ „Wie meinst du das?“, ließ ich den Stein fallen. Ronald grinste mich wieder an: „Ich denke sie kommt früher oder später eh zurück.“ Aus irgendeinem Grund blieb mein Herz bei diesen Worten kurz stehen: „Warum denkst du das?“ Er hob beide Hände: „Sie mag dich. Ich glaube sie hat dich sogar richtig gern. Wenn du dich so gegeben hast, wie du dich immer gibst, hast du sie nur erschreckt. Aber ich glaube irgendwann findet sie ihren Mut wieder und kommt zurück zu dir“, nun streckte er mir den Zeigefinger ins Gesicht: „Und dann solltest du den Karren nicht wieder vor die Wand fahren!“ Mit einem freudlosen Schnauben stand ich auf und schubste mit dem Fuß die restlichen Trümmerstücke von Ronalds Beinen: „Dein Wort in Gottes Ohr, Ronald“, ich hielt ihm die Hand hin: „Doch ich meine es ernst. Lasse mein Nähkästchen zu.“ Ronald griff meine Hand und ich zog ihn auf die Füße: „Ich habe verstanden. Tut mir echt leid, Kumpel.“ Mit einem leisen Lachen wuschelte ich Ronald durch die Haare: „Vergeben, aber nicht vergessen“, Ronald schaute mich in einer schlechten Vorahnung an, doch ich grinste ihm entgegen: „Kumpel.“ Als wir uns auf den Weg durch den Ballsaal machten sahen wir schon, dass die Anderen in einem kleinen Pulk weiter von uns weg standen. Sebastian hatte die Arme verschränkt, als wir sie erreichten: „Ich bin Butler. Kein Maurer.“ Ich kicherte: „Nihihihihi! Ich bin mir sicher, du bist auch ein höllisch guter Maurer, Butler.“ Er seufzte: „Nur weil ich etwas kann, musst du mich nicht ewig dazu bringen es zu tun.“ „Kehehehe! Aber es macht so viel Spaß!“ Er hob eine Augenbraue: „Warum war dies überhaupt nötig? Nicht, dass ich es nicht nachvollziehen könnte.“ Ronald warf dem Butler einen giftigen Blick zu. Ich kicherte: „Tihihi. Das ist eine Sache zwischen uns beiden, du neugieriger kleiner Butler.“ „Aha“, machte der Dämon: „Und ich darf nun die Wand wieder hochziehen.“ „In der Tat“, grinste ich: „Ich will doch nicht, dass dir langweilig wird.“ „Wie unerwartete gütig von dir“, konterte der Butler. Ich ging an dem Butler vorbei: „Ist die Pause schon vorbei? Sage nicht ich habe den Tee verpasst.“ „WAS?!“, Grell stand auf einmal vor mir: „Du bringst fast Ronald um und fragst nur nach Tee?!“ „Ich mag Tee“, grinste ich zurück. Grell schüttelte ungläubig den Kopf: „Ich fasse es nicht.“ Ich tätschelte nur schelmisch Grells Kopf. Dieser wedelte meine Hand weg: „Lässt du das wohl! Warum hast du das gemacht?“ „Weil Ronald es verdient hatte, nihihihi!“ „Wofür?!“ „Ist gut Grell“, machte Ronald: „Ich hatte es wirklich verdient. Alles wieder gut.“ „Bist auch du gut?“, fragte der rote Reaper. Ron nickte: „Ja, bin ich. Ganz und noch an einem Stück.“ Nun erschien William neben Grell, die Arme verschränkt: „Gut zu hören. Es wäre unangenehm, solltest du ausfallen.“ „Wow“, machte Ronald: „Die Wand hatte mehr Mitgefühl.“ Ich kicherte. Was Ronald gegen Ende unseres Gespräches sagte, ich konnte es nicht ganz glauben. Doch irgendwie war das Gefühl in mir ein wenig leichter. Nicht gut, aber leichter. Ein ganz ganz kleines Stück. Natürlich hatte ich den Tee verpasst. Und natürlich war es nicht mehr, als ein schlechter Vorwand gewesen, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken. Als sich die Anderen wieder zum Training versammelten kam Amy auf mich zu. Sie sah besorgt aus und hatte ihr Handy in der Hand: „Undertaker!“ Ich blieb auf dem Weg zu meinem Sitzplatz stehen: „Was kann ich für dich tun, Amber?“ „Es geht um Sky!“ Wieder ein fieser Stich. Doch ich grinste: „Was ist mit ihr?“ „Ich… ich hatte sie gerade angerufen.“ „Und?“ „Sie...“, Amy seufzte: „Sie hat geweint, Undertaker.“ Wieder ein Stich, nur fühlte er sich dieses Mal anders an. Schmerzhaft wie die vor ihm, doch er war… erschreckt: „Warum?“ „Sie meinte, sie kann es mir nicht sagen. Aber ich bin mir sicher es hat mit dir zu tun.“ Auch Amy konnte man einfach nichts vormachen: „Wie kommst du darauf?“ „Ihr habt gestern noch geredet.“ „Ja.“ „Unter 4 Augen.“ „Ja.“ „Worüber?“ Ich schüttelte den Kopf: „Wenn Sky nicht darüber sprechen möchte, solltest du das akzeptieren, oder?“ „Ja, schon“, die Phantomhive seufzte: „Aber sie hat so sehr geweint… und einfach aufgelegt...“ „Ich“, der Schmerz wurde schlimmer. Ich ballte eine Hand zur Faust, aufgrund meiner inneren Spannung: „Kann nichts dagegen tun, Amy.“ „Warum nicht?!“ „Weil...“, ich seufzte: „Weil ich es nicht kann.“ „Wow“, machte Amy: „Das ist die Antwort des Tages. Ungewöhnlich dämlich für dich. Ihr habt gestritten, richtig?“ „Ich werde einen Teufel tun Skyler in den Rücken zu fallen.“ „Ihr habt gestritten“, stellte Amy fest und hielt mir ihr Handy ins Gesicht: „Ruf‘ sie an!“ Ich blinzelte ihr mit großen Augen entgegen, die aber von meinem Pony verborgen blieben. Ich drückte ihre Hand aus meinem Gesicht: „Warum?“ Amy sah mich verärgert an: „Schön und gut, wenn ihr Beiden nicht mit mir reden wollt, aber dann ruf‘ sie wenigstens selbst an und rede mit ihr. Sie weint, man!“ Amy streckte mir wieder das Handy entgegen. Eine Weile schaute ich es an. Dann legte ich meine Hand darauf und drückte Amys wieder hinunter: „Sie wird nicht mit mir reden wollen.“ „Versuch‘ es wenigstens!“ „Amy, ich...“ „Nix da!“, sie legte ihre andere Hand auf meine, drehte unsere Hände herum und zog ihre weg, sodass ihr Handy in meiner Handfläche lag: „Los jetzt!“ Ich schaute auf das Handy. Auf dem Display war ein Kontakt aufgerufen »Sky R. ƸӜƷ « Ich schaute ein weiteres Mal zu Amber. Ihr Blick war auffordernd. Mit einem Seufzen drückte ich auf die komische, grüne Schaltfläche. Ich hielt das Handy an mein Ohr. Es wählte. Tutete ein paar Mal. Dann tutete es schnell hintereinander. Ich ließ das Handy sinken: „Sie hat aufgelegt.“ „Noch mal!“ Ich versuchte es ein weiteres Mal. Dasselbe Spiel: „Wieder.“ „Noch mal!“ Mit einem schweren Durchatmen versuchte ich es ein drittes Mal. Dieses Mal klingelte es… und klingelte… und klingelte… und klingelte… bis Ambers Handy von selbst auflegte. Ich schüttete nur den Kopf. „Junge Lady“, hörten wir Sebastians Stimme: „Wir erwarten euch.“ „Ich komme sofort“, dann schaute Amy mich wieder an: „Versuch es noch mal!“ „Sie möchte nicht mit mir reden, Amber.“ „Sie kann nicht wissen, dass du es bist!“ „Dann möchte sie noch nicht einmal mit dir reden. Das sollte dir zu denken geben.“ Amy riss mir das Handy aus der Hand und wählte nun selbst: „Ihr seid furchtbar.“ Amy versuchte es zweimal. Amy versuchte es dreimal. „Junge Lady“, Sebastians Geduld schien sich dem Ende zu zuneigen. „Sofort! Man, dass ist wichtig!“ „Amy, du solltest gehen. Es bringt doch nichts“, redete ich der Phantomhive zu. „Gleich“, gab sie mir einsilbig zurück. Amy versuchte es viermal. Amy versuchte es fünfmal. „Euer Training ist wichtig, junge Lady.“ „Ich komme gleich!“ Amy versuchte es sechsmal. Der Butler erschien neben ihr und nahm ihr das Handy weg. Er lächelte, doch ich wusste er war genervt: „Jetzt, junge Lady. Die Anderen nahmen sich extra Zeit für euch.“ Amy schaute mich an. Besorgt. Ich nickte nur in Richtung Volleyballnetz. Amy seufzte und gab auf. Der Tag bei den Phantomhives verging. Was auch immer das Gefühl in mir ein wenig leichter gemacht hatte, war verschwunden und etwas gewichen, was noch viel schwerer war. Sky weinte. Sky verschmähte selbst Amy. Ohrenscheinlich ging es der jungen Frau sehr sehr schlecht. Und es kann dafür nur einen Grund geben. Mich. Ich hatte nicht oft ein schlechtes Gewissen, doch dieses Mal hatte ich es. Doch ich konnte die Wahrheit nicht ändern. Ich konnte nicht ändern, dass sie gefragt hatte. Ich konnte nicht mehr ändern, dass sie weinte. Nachdem ich zwei Stunden im Manor geblieben war, entschuldigte ich mich. Amy hatte Grell und Ronald an ihrer Seite. Sie würde den Butler überstehen. Doch ich hatte mein Maß an Gesellschaft für den heutigen Tag definitiv überschritten. Ich stieg in meinen Wagen, fuhr allerdings nicht nach Hause. Ich fuhr zum Friedhof. Als ich ausstieg krähte Merkenau, doch ich tippte ihm nur auf den Schnabel: „Du bleibst hier.“ Er krähte wieder. „Ich möchte für einen Moment meine Ruhe haben.“ Merkenau ergab sich. Ich setzte ihn auf die Motorhaube, damit er wenigstens an der frischen Luft saß. Dann ging ich über den Friedhof. Es war friedlich. Friedlich wie eh und je. Doch dieser Frieden blieb mir fern. Denn dies war der Friedhof, wo ich die schöne Sky das erste Mal traf. Obwohl wir nicht gesprochen hatten, wog dieses Treffen mit am schwersten. Wie sie auf dieser Bank gesessen hatte, so passioniert in ihrem Zeichnen versunken und ihren doch so trüben und schweren Augen, war ein Anblick gewesen, den ich nicht wieder vergessen könne. Als ich die alten Gräber erreichte streifte ich mit der Hand im vorbeigehen über Laus Stein. Der fabulante Asiate hatte ein Händchen für Frauen gehabt. Ich hatte für sie definitiv kein Händchen. Zumindest solange sie atmeten. Lange hatte mir das nichts ausgemacht. Denn Keine hatte je romantisches Interesse in mir geweckt. Ich hatte viele interessante Frauen getroffen, doch keine war interessant genug gewesen. Dann traf ich Skyler und sie hatte meine Welt einmal komplett durcheinander gewürfelt. Auf eine Art und Weise, die ich gut fand. Es war interessant gewesen. Das warme Kribbeln. Ihre warme Haut. Das Entdecken immer neuer Eigenschaften, Talente und Angewohnheiten. Ihre paradoxe Art. Ihre wenn auch nur selten zu sehende kecke und neckische Ader. Ihr rotes Gesicht. Ihre erstaunlichen hellblauen Augen. Augen, die so unglaublich außergewöhnlich waren. Und was war nun übrig? Ein kaltes Nichts. An dem einzig und allein ich schuld war. Ich hatte die ganze Wärme zu Nichte gemacht, die Skyler mir schenkte. Und wieder bereute ich. Denn es war genau wie Ronald gesagt hatte: Ich bereute es sie verjagt zu haben. Ich ging durch die Gräber und schloss das Mausoleum der Phantomhives auf. Das graue Novemberlicht fiel bunt durch die vielen bunten Fensterfragmente, die ich vor knapp 120 Jahren in Kleinstarbeit zusammen gestellt hatte. Doch wirkte auch dieses Farbenspiel furchtbar träge. Mit einem langen, schweren Seufzen strich ich über einen der drei steinernen Sarkophage in der Mitte des großen Mausoleums und beschaute ihn: „Hallo, alter Freund.“ Dann setzte ich mich auf den Boden und lehnte mich gegen den steinernen Sarkophag. Auf ihm stand »Earl Vincent Phantomhive 1851 – 1885«. Ich seufzte ein weiteres Mal: „Hach, Vinc. Ich bin ein Trottel. Ein unaussprechlicher Idiot.“ Ich legte meine Hände locker auf meine angewinkelten Knie. Es störte mich nicht auf dem staubigen Boden zu sitzen. Es störte mich, dass Vincent mir nicht mehr antworten konnte: „Du hättest sicherlich eine fixe Idee, was ich jetzt tun könnte.“ Doch selbst wenn, hatte er alle guten Ratschläge vor 130 Jahren mit sich genommen. Nein. Die Flammen hatte sie mit sich genommen. „Das ist die ‚Schreckliche Tragödie‘ von der du sprachst, hm?“ Natürlich blieb es still im Mausoleum und mich überkam noch mehr als vorher das Gefühl totaler Einsamkeit. Ich wusste sonst nie, ob ich mich an Vincents Grab mehr oder weniger einsam fühlte. Ein wenig von Beidem, schätzte ich. Ich wusste nur, dass mich meine Füße immer wieder hier hin trugen. Und ich wusste, dass ich mich immer etwas besser fühlte wenn ich wieder ging. Doch gerade fühlte ich mich definitiv einsamer. Und schwerer. Ich hatte mich verabschiedet, weil ich die laute Gruppe nicht mehr ertragen konnte. All diese Wesen, die ich doch mochte. Doch gleichzeitig empfand ich ein Bedürfnis nach unaufdringlicher Gesellschaft. Und Vincent war nie aufdringlich gewesen. Es gab Situationen, da hatten wir einfach nur nebeneinander gesessen und nichts gesagt. Schweigend Schach gespielt. Oder Karten. Oder Billard. Und nicht selten saßen wir nebeneinander in zwei Ohrensesseln in der Bibliothek des Manors, versunken in ein Buch. Nun saß nur noch ich auf dem staubigen Boden eines Mausoleums, im Rücken Vincents schweigendes Grab. Und die Einsamkeit in mir wuchs noch mehr. Ich schaute nur auf die im bunten Licht tanzenden Staubteilchen: „Ich habe meine Lockets verloren, Vinc. Ich hab sie weggeworfen, um Sky retten zu können. Das junge Ding, in das ich mich verliebt habe. Mehr als 130 Jahre, nachdem du es mir prophezeit hattest. Ich bereue nicht sie weggeworfen zu haben, alter Freund. Ich bereue, dass nun die Erinnerungsstücke an dich fort sind. Dein Record. Eine Locke konnte ich dir ja nicht mehr abschneiden“, ich lehnte meinen Hinterkopf gegen den kalten Stein: „Denn das Feuer hat alles was dich ausmachte mit sich genommen.“ Ich schwieg einige Zeit, genau wie die Gräber. Um mich herum war Totenstille. Totenstille, die ich sonst immer begrüßte, doch mir gerade schwer in den Ohren lag. Ich seufzte schon wieder: „Und was mich ich? Ich inkompetenter Schwachsinniger? Ich verjage sie. Bringe sie sogar zum Weinen. Und nun sitze ich hier und weiß tatsächlich nicht mehr was ich tun soll.“ Es war mir so selten passiert, dass ich vollkommen ratlos war, dass ich vergessen hatte wie es sich anfühlte. Nun wusste ich es wieder. Grässlich: „Ich denke und denke… und heraus kam nur Buchstabensalat.“ Ich weiß nicht wie lange ich dort saß. Ich weiß nur, dass ich nicht mehr gesprochen hatte. Ich hatte gedacht… und gedacht… und gedacht. Sogar kurz erwogen bei Skyler vorbei zuschauen, nach ihr zu sehen, doch diese Idee verworfen. Sicherlich würde sie denken ich käme vorbei um sie zu fressen oder ähnliches. Meine Anwesenheit würde für sie alles nur noch schlimmer, anstatt besser machen. Mir waren die Hände gebunden. Und es fühlte sich schrecklich an. Es fühlte sich schrecklich an zu wissen, dass sie irgendwie geartet zu leiden schien und ihr nicht helfen zu können. Auch wenn sich mir nicht ganz erschloss warum sie litt. Irgendwann stand ich auf und lehnte mich mit den Armen auf den ebenso staubigen Deckel. Ich wischte ein bisschen des Staubs weg: „Wie kann eine Empfindung, so schön und schrecklich zugleich sein? Unter schrecklich schön hatte ich mir bis jetzt immer etwas anderes vorgestellt.“ Ich seufzte und tätschelte den Sarg meines besten Freundes: „Ronald denkt sie käme wieder. Doch ich glaube eher nicht. Ich glaube… Ich habe es einfach vergeigt. Du hättest mich ja vorwarnen können, dass das alles so kompliziert ist.“ Nach einigen weiteren schweigenden Minuten richtete ich mich wieder auf: „Wie auch immer“, ich wandte mich mit einem Seufzen um: „Das ist alles mein Problem und nicht deines. Mache es gut, mein Freund. Wo auch immer du gerade bist, ich weiß du machst das Beste daraus.“ Dann entschwand ich aus dem Mausoleum. Und anders als sonst, ging es mir nicht ansatzweise besser, als ich es tat. Sonntage waren geschäftig. Sie waren nur allzu gern Termine für Beerdigungen. Allein an diesem hatte ich 4 Beerdigungen. Zwei auf dem Highgate Cemetery und zwei auf dem River Thames Cemetery. Die Arbeit lenkte ein wenig ab, doch verschwinden tat das Gefühl nicht. Einen Sarg hatte ich diese Nacht nicht von innen gesehen. Ich war zu rastlos zum Schlafen gewesen und habe mich die ganze Nacht um meine Gäste gekümmert. Auch diese Arbeit hatte mich nicht so gut abgelenkt wie ich es von ihr gewöhnt war. Doch der Tag war ruhig und arbeitsreich. Ich verbrachte Stunden damit Kapellen vorzubereiten und per Hand Gräber auszuheben. Wie nicht anders von Gästen der Phantomhives zu erwarten waren alle Trauerfeiern relativ pompös und es wurde an einfach nichts gespart. Während der laufenden Trauerfeiern, verblieb ich wie gewohnt in der dunkelsten Ecke der Kapelle und schaute zu, trug dann mit einigen Angehörigen die Särge zu der Grabstelle und machte mich daran das Grab zu zuschütten, nachdem die Angehörigen ihre letzten Wünsche mit einer Blume in das Loch geworfen hatten. Außer mein zerrendes Unwohlgefühl gab es an diesem Sonntag also einfach nichts Besonderes. Der Tag schritt einfach voran und immer wieder sprangen meine Gedanken zurück zu diesen erschrockenen, himmelblauen Augen, die laut Amys Aussage so furchtbar geweint haben mussten. Und wieder spielte ich mit dem Gedanken vorbeizugehen. Wieder verwarf ich ihn. Einige Zeit später dachte ich ihn wieder. Doch ich verwarf ihm ein zweites Mal. Als ich mit meinem Leichenwagen auf den River Thames Cemetery zu meiner letzten Beerdigung fuhr, dachte ich ihn wieder. Ich wollte ihn wieder verwerfen, da mischte sich eine weitere Idee in diesen ausgelaugten Gedankengang: ‚Sie muss mich ja nicht sehen.‘ Doch mit einem ermatteten Seufzen tat ich auch ihn ab. Was würde es bringen? So konnte ich auch nicht dafür sorgen, dass es ihr irgendwie geartet besser ging. Auch bezweifelte ich, dass ich an mir halten könne sollte ich sie wirklich weinen sehen. Eigentlich war ich mir sicher, ich konnte es nicht. Sobald ich sah es ginge ihr nicht gut, würde ich meinen versteckten Posten aufgeben und damit alles nur noch schlimmer machen. Ich rollte die Augen noch oben und seufzte: ‚Diese ganzen Gedanken machen doch einfach keinen Sinn...‘ Und ich mochte Dinge nicht, die keinen Sinn machten. Es sei denn sie waren amüsant. Und von amüsant war dieses Gefühl und diese Gedanken mehr als nur meilenweit entfernt. Ich stieg aus und trug alleine meinen Gast in seinem Sarg in die Kapelle. Dann pendelte ich mehrmals zwischen meinem Wagen und der Kapelle hin und her und schleppte alles hinein, was ich für das Dekor brauchte. Wie mit der Familie abgesprochen dekorierte ich die Kapelle. Ich saß gerade auf meiner Leiter und steckte schwarze Tücher an einer Säule fest, da hörte ich eine helle Stimme von unten: „Was machst du da?“ Ich schaute nach unten. Vor meiner Leiter stand ein blonder Junge - vielleicht 6 oder 7 Jahre alt - und schaute mit großen braunen Augen zu mir hoch. Das der Kleine sich in die Kapelle geschlichen hatte, war mir komplett entgangen. Ich lächelte ihn an: „Ehehehe. Ich bereite die Feier vor. Doch was machst du hier, junger Mann?“ „Die Feier für meinen Papa? Mama hat gesagt wir sagen ihn heute für immer Tschüss...“ Ich nickte: „Ja, genau die.“ „Kanntest du meinen Papa?“ Ich schüttelte den Kopf. „Schade“, der Junge setzte sich auf eine Bank neben der Leiter und wedelte mit den Beinen, da sie zu kurz waren um den Boden zu berühren: „Mein Papa war echt cool, weißt du.“ Ich nahm meine Hand aus den Tüchern, ging die Leiter herunter und setzte mich auf einen der unteren Tritte: „Das glaube ich dir sofort.“ Der blonde Junge schaute sich um, dann wieder zu mir: „Wie heißt du?“ Ich grinste: „Undertaker.“ „Undertaker?“ „Kihihi. Ja.“ „Komischer Name.“ „Fu fu fu. Auch das ist richtig.“ „Ich bin Luca.“ „Tihihi. Schöner Name.“ Der Junge hüpfte von seiner Bank und stellte sich vor mich. Dann hatte ich auf einmal seinem Finger vor der Nase: „Warum hast du so viele Haare im Gesicht? So kannst du doch gar nichts sehen!“ „Nihihihihi! Doch, ich kann sehen. Nur halt nicht viel.“ „Dann mach sie doch da weg.“ „Ich sehe auch so nicht viel. Ehehehehe!“ Plötzlich krabbelte der Junge auf mein Knie, nahm seine Hand und schob mir meinen Pony aus dem Gesicht: „Hast du keine Augen?“ Ich blinzelte ihn an. Dann lachte ich: „Fuhuhuhu! Natürlich habe ich Augen.“ Sein Kopf fiel zur Seite und er schaute eine ganze Weile in mein Gesicht: „Aber komische. Komischer Name, komische Augen“, dann nickte er: „Du bist komisch.“ Ich lachte noch mehr: „Pahahahahaha! Danke für das Kompliment!“ „Und was ist das?“, er piekste mit seinem Finger auf meiner Narbe herum. „Tihihihi! Eine Narbe.“ „Hat das weh getan?“ Ich nickte grinsend: „In der Tat.“ Dann drückte er auf meinem Hals herum: „Da hast du auch eine.“ „Ja, gut gesehen.“ „Hat die auch weh getan?“ „Gewiss.“ „Was?“ „Nihihihihi! Ja, hat sie.“ „Das klingt aber nicht lustig.“ „Ach, wuhuhuhu! Das ist schon lange her. Die tun schon lange nicht mehr weh.“ „Ok“, er rutschte von meinem Knie und mein Pony fiel nur halb wieder zurück in mein Gesicht. „Weißt du“, erzählte der Junge und setzte sich wieder auf seine Bank: „Ich bin mal mit dem Roller hingefallen“, er breitete einmal komplett die Arme aus: „Das war soooooo ein Loch. Mein halbes Knie war weg.“ Ich lachte lauter: „Ahehehehe! So schlimm, ja?“ Er nickte: „Hat auch weh getan.“ „Aber jetzt ist dein Knie wieder da, oder?“ Er nickte: „Jup. Papa hat‘s wieder geholt“, seine Augen fielen nach unten: „Papa hat immer alles wieder geholt…“ „Junger Mann“, fiel mein Kopf zur Seite: „Was machst du hier?“ Ich war mir bei seinem Anblick sicher, er hatte einen Grund dafür hier zu sein. „Ach“, der blonde Luca schaute auf seine wieder wackelnden Füße: „Draußen sind alle doof.“ „Und?“ „Das ist blöd.“ „Deswegen bist du hier?“ Er nickte und schaute mich dann wieder an: „Mama sagt die ganze Zeit ich soll nicht lachen, ich soll nicht rum rennen und ich soll mich benehmen. Die sind alle voll öde.“ Ich seufzte. Also war der Junge in die Kapelle geflüchtet, weil die Erwachsenen sich nicht auf ihn einstellen konnten. Es war auf Beerdigungen immer dasselbe. Die Leute zwangen den Wenigen, die nicht so traurig waren wie sie es für richtig erachten, auf es zu sein und nahmen ihnen damit das Recht zu trauern wie sie es selber möchten. Vor allem Kindern. Kinder trauerten anders als Erwachsene. Doch das verstanden leider nur die Wenigsten. „Tihihi! Natürlich darfst du lachen“, grinste ich dem Jungen entgegen, der auf der großen, leeren Bank so verloren aussah. Der Junge schaute mich fragend an: „Mama meint das gehört sich nicht.“ „Und warum meint deine Mutter das?“ Luca zuckte mit den Schultern: „Weiß nicht. Sie hat nur gesagt es gehört sich nicht. Das wäre… äh… respektlos... oder so.“ Ich war mir sehr sicher, dass der Kleine nicht ganz verstanden hatte was das Wort ‚respektlos‘ eigentlich bedeutet. Generell war diese Aussage auch einfach falsch. Die Wenigsten wünschen sich eine Trauerfeier, die in Tränen ertrinkt. Die Meisten würden wollen, dass die Leute lachten, weil sie sich all der schönen Dinge erinnerten die sie gemeinsam erlebt hatten: „Sage mir, Luca, hat dein Vater gerne gelacht?“ Der Junge bewegte überlegend seine Nase, dann nickte er. Ich grinste breiter: „Dann ist es auch nicht respektlos, ehehehe, oder so.“ „Echt?“ Ich nickte grinsend: „Viele vergessen, dass die Toten gar nicht wollen, dass sie traurig sind.“ „Echt?“ Ich nickte wieder: „Oder würde dein Vater wollen, dass du traurig bist?“ „Ne. Er fand weinen auch immer doof.“ „Würde er wollen, dass du lachst?“ „Jup. Er sagte immer“, der Junge räusperte sich und ahmte die Stimme eines Erwachsenen nach: „ ‚Lachen ist Gesund!‘ “ Mein Grinsen wurde so weit, dass meine Zähne sichtbar wurden: „Also. Dann weißt du sicherlich selbst was du nun zu tun hast.“ Der Junge zeigte mir ein breites Grinsen in dem 3 Zähne fehlten: „Lachen!“ „Ahahahaha! Genau!“ Kurz lachten der Junge und ich und die hohe Decke der Kapelle warf es hin und her. Dann schaute der kleine Luca mich wieder an: „Du bist cooler als die anderen Erwachsenen. Du lachst.“ Ich konnte nicht verhindern, dass mein Grinsen aufgrund dieser Aussage noch einmal weiter wurde: „Ich mag es zu lachen. Nihihihihi!“ „Warum hast du dann die ganze Zeit so traurig geguckt?“ ‚Uff...‘, brach mein Grinsen wieder ein Stück ein. Ich lobte mir ja Kinder für ihre direkte Ehrlichkeit. Doch gerade hatte sie mich recht hart getroffen: „Öhm… Kehehehe! Auch ich habe jemanden verloren.“ „Dann such doch.“ Ich musste lachen. Teilweise vergaß ich wie wörtlich Kinder alles nahmen: „Fuhuhuhuhuhu! Nicht so verloren. Sie ist weggegangen und kommt nicht wieder.“ „So wie ich meinen Papa? Mama sagt der kommt auch nicht wieder“, Luca schaute beleidigt zur Seite: „Was echt doof von ihm ist.“ „Na. Dein Vater hat es sich ja nicht ausgesucht.“ „Echt?“ „Ehehe. Ganz sicher nicht.“ „Woher weißt du das?“ „Ööööhm“, ich räusperte mich. Ich konnte dem Jungen ja nicht sagen, dass ich daneben stand als sich ein niedriger Dämon an seinem Vater gütig tat: „Nun. Ahehehe. Menschen sterben und dann kommen sie nicht wieder. Da kann niemand etwas gegen tun. Irgendwann ist es einfach an der Zeit. Das sucht man sich nicht aus.“ „Dann passiert das einfach?“ Ich nickte. „Einfach so?“ „Irgendwann, ja.“ Luca schaute schräg an die Decke, dann wieder zu mir: „War es bei dir auch dein Papa?“ Ich schüttelte grinsend den Kopf: „Nein. Eine Freundin.“ „Ist die auch einfach so gestorben?“ Ich schaute zur Seite: „Nein. Sie ist nur weggegangen.“ „Und das macht dich traurig?“ Ich schaute den blonden Jungen wieder an: „Schon, ja.“ „Weißt du? Ich hab auch eine Freundin und die ist eine totaaaaale Zicke.“ Ich zog eine Augenbraue hoch, doch ich konnte nicht verhindern aufgrund dieses Tonfalls zu lachen: „Fuhuhu! So redet man doch nicht über seine Freunde!“ „Aber sie ist eine. Kann ich doch nix für.“ „Fuhuhuhuhu! Wahre Worte.“ „Und wenn die mal wieder beleidigt ist geht die auch immer weg.“ „Ist dem so?“ Luca nickte: „Ja, das nervt! Ich bin dann auch immer traurig. Ich lauf ihr dann immer hinter her.“ Ich nickte anerkennend: „Das ist sehr löblich von dir.“ „Bist du deiner nicht hinterher gelaufen?“ Ich schüttelte den Kopf: „Nein, bin ich nicht.“ „Wieso nicht?“ „Weil“, ich stockte kurz, dann grinste ich dem Jungen wieder entgegen: „Das nicht gut gewesen wäre.“ „Aber wenn dich das traurig macht, dann lauf ihr doch jetzt hinterher.“ Ich neigte den Kopf hin und her: „Das… geht nicht so einfach.“ „Warum nicht? Kannst du nicht laufen?“ Ich lachte: „Tihihihi. Natürlich kann ich laufen.“ „Warum geht das dann nicht?“ „Weil ich denke… dass sie nicht möchte, dass ich ihr hinterher laufe.“ „Hat sie das gesagt? Weißt du. Meine Freundin sagt auch immer ich soll ihr nicht hinterher laufen und wenn ich das dann nicht mache, dann ist sie wieder beleidigt! Nicht, dass deine Freundin auch beleidigt ist, dass du ihr nicht hinterher gelaufen bist.“ Ich stockte kurz in meinen Gedanken. Ich hatte nicht sofort eine Antwort auf das parat, was der junge Luca mir sagte. Es war kindlich naiv, doch alles andere als unüberlegt: „Du bist ein ziemlich schlauer Junge, Luca.“ Luca grinste wieder: „Echt? Bin ich?“ Ich nickte: „In der Tat, in der Tat.“ Der Junge grinste wieder sein löchriges Grinsen, doch bevor er etwas sagen konnte schallte eine Stimme durch die Kapelle: „Luca? Luca, bist du hier?“ „Ich bin hier, Mama!“, antwortete der Junge. Eine Frau erschien. Es war die Frau die noch spät Abends, an dem Montag als ich wieder in meinem Laden eingekehrt war, in meinen Laden kam und ihren Mann betrauert hatte: „Was machst du hier, Luca? Draußen suchen dich alle.“ „Draußen war es doof.“ „Du kannst doch nicht einfach weglaufen.“ „Aber es ist so langweilig!“ Die Frau schüttelte den Kopf: „Rede nicht so respektlos, Luca. Das hier ist Papas Beerdigung und du benimmst dich wie die Axt im Walde.“ „Tu‘ ich gar nicht!“ „Doch. Du rennst die ganze Zeit lachend um die Leute herum. Das macht man nicht, die Leute trauern.“ „Der Mann hat gesagt ich darf das!“ Erst jetzt schien die Frau mich zu bemerken: „Sie?“ Ich neigte den Kopf: „Ich wünsche einen guten Tag. Nhihihihi.“ „Warum sagen sie so etwas?“, fragte die Frau verständnislos. Ich grinste sie an: „Weil es die Wahrheit ist, werte Dame.“ „Wie können sie… Sie sind Bestatter! Sie sollten doch wissen, dass sich so etwas nicht gehört!“ Ich stand von meiner Leiter auf: „Was ich weiß ist, dass Eltern in der Regel nicht wollen, dass ihre Kinder traurig sind. Ihr Sohn trauert auf seine Weise. Er gedenkt seinem Vater in guten Erinnerungen und ist glücklich sie zu haben. Was gehört sich daran nicht?“ „Nun...“, Lucas Mutter schien eine gute Erklärung zu suchen, um mein Argument auszuspielen. Doch dies schien nicht ganz von Erfolg gekrönt: „Also...“ Ich lachte wieder: „Ehehehe. So wie ihr Sohn mir erzählte, hat ihr Gatte gerne gelacht. Vielleicht sollten sie ihre Anschauungen eine weitere Überlegung gönnen.“ Die Frau schaute auf ihren Sohn: „Ja, die Beiden haben immer viel gelacht.“ „Also?“ Sie seufzte: „Doch die anderen Gäste beschweren sich über sein Verhalten.“ „Und das hat sie wie viel zu interessieren? Sie sollten nicht hinter den anderen Gästen, sondern hinter ihrem Sohn stehen, oder nicht?“ Die Mutter fuhr ihrem Sohn durch die Haare: „Wahrscheinlich haben sie recht“, sie schaute durch die Kapelle: „Es ist nur alles so schwer.“ „Nein, es ist ganz einfach.“ Die Frau schaute mich wieder an: „Inwiefern?“ „Sagen sie den anderen Trauergästen einfach die Wahrheit.“ „Welche Wahrheit?“ „Dass ihr Gatte Freude mehr schätzte als Trauer und ihr Sohn das im Gegensatz zu den Übrigen verstanden hat. Denn er ist ein sehr sehr kluger Junge und darüber hinaus sehr quirlig. Das sollte er bleiben, oder nicht?“ Ein leichtes Lächeln erschien in ihrem Gesicht: „Ich glaube… sie haben recht“, sie wandte sich wieder zu ihrem Sohn und fuhr ihm noch mal liebevoll durch die Haare: „Machen wir das so, Schatz?“ „Ja!“, rief der Junge freudig. „Doch nun komm“, sie streckte ihm die Hand hin: „Der Mann muss arbeiten. Stören wir ihn nicht weiter.“ „Oh, er störte nicht. Es war ein sehr angenehmes Gespräch“, ich zwinkerte dem jungen Luca mit meinem freiem Auge zu: „Ehehehe! Wir haben viel gelacht.“ Luca kicherte. Die Mutter lächelte mich warm an: „Dann bin ich beruhigt. Wie lange brauchen sie noch?“ „20 Minuten“, lächelte ich: „Ich werde mich bemerkbar machen.“ „Gut. Ich danke ihnen.“ Ich stellte wieder meinen Fuß auf die Leiter: „Fu fu fu. Doch nicht dafür.“ Die Mutter wandte sich zum gehen, ihren Sohn an der Hand: „Ich danke auch nicht dafür.“ Ich neigte meinen Kopf: „Es war mir ein Vergnügen.“ Mit einem seichten Lachen ging die Mutter los. Luca wandte sich noch mal um und winkte energisch: „Tschüss Undertaker!“ Sie schaute ihren Sohn an: „Luca! Du kannst die Leute doch nicht mit ihrem Beruf ansprechen!“ „Aber, der Mann hat gesagt er heißt so!“ Sie schaute noch einmal zu mir: „Wirklich?“ Ich lachte schriller: „Nihihihi! Ja, wirklich. So heiße ich.“ Jetzt blinzelte sie verwirrt: „Okay... Gut. Wenn es so ist.“ Als ich noch einmal lachte, drehte sich die Mutter weg und ging fort. Luca winkte mir ein weiteres Mal. Ich winkte zurück und stieg wieder auf meine Leiter um weiter zu arbeiten. Während ich die Kapelle zu Ende dekorierte hing mir das Gesagte des jungen Luca weiter nach. Ich hatte selber öfter mit dem Gedanken gespielt, bei Skyler vorbei zu gehen, doch mich immer dafür entschieden es sei keine gute Idee. Ich war wirklich davon ausgegangen es sei keine, doch nun war ich mir nicht mehr so gänzlich sicher wie zuvor. Ich seufzte. Es hatte schon eine gewisse Aussagekraft, dass ein 7-Jähriger mehr Ahnung von solchen Dingen zu haben schien, als ich. Natürlich war Sky nicht weggelaufen, weil sie beleidigt war. Doch ich hatte das Gefühl was der Junge sagte war auf vieles übertragbar. Nur irgendwie verwirrte es mich auch. Ich unterbrach meine Gedanken, da ich mit der Dekoration fertig war. Ich klappte den Sarg auf und ließ die Trauergemeinde herein. Wieder bezog ich Posten in der hintersten Ecke. Die Feier war besinnlich. Hin und wieder hörte ich ein Kinderlachen, doch die Anwesenden sagten nichts dazu, was doch wieder ein leichtes Lächeln auf meinem Gesicht erscheinen ließ. Als es an der Zeit war trug ich den Sarg mit einigen Angehörigen zu seiner letzten Ruhestätte. Der Priester hielt seine Rede am Grab ab, da vibrierte plötzlich die Luft. Es krachte. Die Sonne verschwand. Unruhe und Rufe gingen durch die Trauergemeinde. Mein Kopf wanderte den Himmel entlang und ich sah was vor sich ging. Ich wischte meinen Pony aus meinem Gesicht und setzte meine Brille auf. „Was ist das?“ „Oh mein Gott!“ Der Himmel war verwirbelt in dunklen schwarz- violetten Wolken. Rote Blitze krachten durch die Luft: ‚Ein Höllentor!‘ Sofort hatte ich eine Vermutung wem dies geschuldet war. „Habt ihr so etwas schon mal gesehen?“, riefen die Leute weiter. „Was geht da vor sich?!“ Der kleine Luca schrie: „Mami! Ich hab Angst!“ Ein roter Blitz krachte Richtung Boden. Obwohl das Phänomen klar sichtbar war muss es in einiger Entfernung liegen. Ich zog die Augen zusammen. Es war nicht die Richtung des Manor Phantomhive. Auch nicht des East Ends oder der Villa Trancy. In dieser Richtung lagen… Meine Augen sprangen wieder auf: ‚Die Colleges!‘ Ich rannte los. Mit einem Satz war ich über das offene Grab gesprungen und für die Augen der Menschen einfach verschwunden. Ein Kreischen fuhr durch die Luft. Ich sprang über Gräber, Mauern, Büsche und Bäume auf die Dächer der umliegenden Häuser. Nun sah ich, was der zweite dämonische Butler uns dieses Mal entgegen warf: Eine Wasserschlange direkt aus den tiefsten Tiefen der Hölle. Gespickt mit Armen, Hörnern und grässlichen Flügeln. Ein ausgewachsener Leviathan. Mir entfloh ein gereiztes Fauchen. Diese Viecher waren verdammt hartnäckige Gegner. Kein Vergleich zu den Hunden, mit denen uns Claude an Halloween höchstens ein wenig geärgert hatte. Auch waren sie so stark und stur, dass es niemanden mehr möglich war sie zu steuern. Mir war sofort bewusst auf wie viele Arten diese Situation mehr als nur gefährlich war. Mein Lauf wurde schneller. Ich eilte in Richtung der Colleges. Es konnte nur ein weiterer Anschlag Olivers und Claudes auf Amy sein. Und wenn er sich gegen Amy richtete war auch… Sky… nicht weit…: ‚Verdammt!‘ Ich überlegte nicht mehr, ob es eine gute Idee war. Sky war vor mir davon gelaufen, doch das änderte nichts daran, dass ich nicht zu lassen würde, dass ihr irgendetwas zustieß. Ich hatte es ihr versprochen. Ich wollte, dass sie gesund und sicher war. Ich merkte mein Herz schneller schlagen. Nicht aufgrund der Anstrengung. Ich hatte Angst um sie. Ich hatte schon wieder Angst um sie. Der Laufwind wehte mir der Zylinder vom Kopf. Die Themse peitschte und leckte wütend weit über ihr Ufer. „Undertaker!“, hörte ich eine Stimme. Im Lauf wandte ich den Kopf. Grell, Ronald und William kamen auf mich zu gesprungen, ihre Death Scythes schon in den Händen und rannten sofort mit mir mit. „Was ist hier los?!“, fragte William. „Ich weiß es nicht“, zischte ich und beschwor meine Sense: „Doch ich kann es mir denken.“ „Als ob Claude einen Leviathan beschwört!“, rief Ronald aus: „Die Dinger sind total unberechenbar!“ „Und stark!“, ergänzte Grell. „Darin liegt wahrscheinlich auch der Sinn“, rief ich zurück. Die Luft hatte laut zu pfeifen begonnen, nun wo wir näher kamen: „Claude kann ihn nicht kontrollieren, doch es ist ihm sehr wohl möglich Amy aus dem Chaos heraus mitzunehmen. Das Vieh kann uns beschäftigen und zwar länger als uns lieb ist.“ „Das ist riskant“, fauchte William. „Und effektiv“, grollte ich zurück. „Das Vieh bringt uns noch die ganze Liste durcheinander!“, pikierte sich der Aufsichtsbeamte weiter. Der Leviathan schrie schrill und laut. Es vibrierte schmerzhaft in meinen Ohren. Dem Zusammenzucken der andern Drei entnahm ich, dass ich damit nicht alleine war. Reaper trainierten ihre Ohren, um ihre schlechten Augen im Notfall kompensieren zu können, machten sie so aber gleichzeitig auch empfindlich. Ein weiteres Detail weswegen der Kampf gegen einen schrill kreischenden Gegner sehr unschön war. „Bassy!“, rief Grell auf einmal aus. „Wo?!“, fragte Ronald, durch die tosend um sich schlagende Luft. „Dort!“ Mein Kopf folgte Grells Finger. Der Butler sprang als schwarzer Schatten einige Häuserreihen von uns entfernt über die Dächer Richtung College. Genau so hastig wie wir. Die Tentakel des Biestes schlugen um sich. Die Luft schlug uns um die Ohren und wieder schrie das Vieh. „Wa!“, machte Ronald: „Das ist ja grauenhaft!“ „Mein Ohren!“, jammerte Grell. „Konzentriert euch!“, mahnte William. Ich rannte nur. Den Anderen ein paar Schritte voraus. Die Dächer endeten. Wir sprangen. Taten ein paar Sprünge über einige Bäume, schon auf dem Schulgelände. Dann auf das Dach eines der Wohnheime. Unter uns schrien und flohen Schüler, Lehrer und Angestellte. Wir sprinteten über das Dach und sprangen ab, auf das Biest zu, unsere Waffen im Anschlag. „WAS?!?! Sebastian, nein!“, die bekannte Stimme ließ meinen Kopf herum fahren. In mir erstarrte etwas. Meine Augen rissen auf. Ich sah Sebastian, der Amy gegriffen hatte und wegsprang… und Skyler zurück ließ! Ich drehte im Sprung ab und preschte Richtung Boden. Die schöne Brünette hockte auf dem Boden und hielt die Hände schützend vor ihr Gesicht. Eine Tentakel raste auf das schutzlose Ding zu… … und mir entfuhr ein Rufen: „SKY!“ Hosted by Animexx e.V. 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