Bin ich wertlos in deinen Augen ...? von North-Blue ================================================================================ Kapitel 40: ------------ Die nächsten Stunden, bis zur Mittagszeit etwa, verbrachte ich vor mich hindämmernd. Ich wollte nicht gänzlich einschlafen, denn ich hatte -und das gab ich offen zu-, Angst davor, erneut einen solchen Traum zu haben. Die in der Zelle nach wie vor vorherrschenden kalten Temperaturen nahm ich kaum noch wahr, ich hatte mich an sie gewöhnt. Ich wusste nicht, was ich machen sollte. Zu Fliehen versuchen, sobald wir an der nächsten Insel anlegten? Beim letzten Mal, als ich geflohen war, war ich bei der Marine gelandet und Law hatte mich aufgespürt und wieder mitgenommen. Und davor das Mal, als ich Bepo betäubt hatte, war ich gerademal bis zur Tür gekommen, ehe ich ihm über den Weg gelaufen war. Nachgeben kam für mich auch nicht in Frage. Selbst wenn ich ihm die gewünschten Informationen geben würde, würde er mich niemals im Leben hier rauslassen. Nein, denn es dachte hier ja scheinbar jeder, dass ich Schuld an Kōris Tod hatte. Es war zum Verrücktwerden. Egal, was ich probierte, es endete immer gleich. Warum sollte ich also überhaupt noch versuchen, hier rauszukommen? Heute Abend, wenn ich meinem Vater noch einmal verdeutlichen würde, dass ich ihm rein gar nichts zu sagen hatte, würde ich wahrscheinlich erfahren, wie er weiter mit mir verfahren würde. So wie ich ihn einschätzte, würde das nichts Positives sein. Ich wurde erst aus meinen Gedanken gerissen, als ein Ruck durch das gesamte U-Boot ging. Unsanft stieß ich mir meinen Kopf an den Gittern. Waren wir etwa aufgetaucht? Das Sonnenlicht, welches durch das kleine Fenster an der gegenüberliegenden Wand des Flures schien, bestätigte diese Annahme. Sofort hielt ich mir meine Hand vor meine Augen, als ich von ebendiesem geblendet wurde und rückte innerhalb der Zelle in die hinterste Ecke, welche im Schatten lag. Ich hatte in der letzten Zeit eine richtige Aversion gegen die Sonne entwickelt. Gleichzeitig fragte ich mich, ob Law als Arzt sich nicht Sorgen darum machen sollte, ob die Mannschaft bei den langen Tauchgängen nicht langsam einen Vitamin-D- Mangel entwickelte, so selten wie diese manchmal nur das Tageslicht sah. Zum Glück war das nicht mein Problem. Als ich meinen Körper, der vom langen Nichtbewegen und Liegen auf dem kalten Boden ganz steif und verspannt geworden war, streckte, fiel mir die Schüssel mit Essen ins Auge, welche Shachi mir zuvor gebracht hatte. Darin befand sich eine undefinierbare Masse aus weißem Brei, welcher widerlich stank. Ernsthaft, diese Crew sollte sich dringend einmal einen neuen Koch zulegen. Selbst wenn Saburo von der Marine gewesen war, er hatte wenigstens kochen können. Es dauerte noch eine Weile, dann vernahm ich, wie erwartet, Schritte auf dem Gang. Es war irgendwie logisch, dass wenn ich zum Frühstück Essen hingestellt bekam, ich Mittags auch damit genervt werden würde. Tatsächlich war es dieses Mal keiner der üblichen Nervensägen Shachi, Penguin oder Bepo. Nein, der von der Statur her eher rundliche Typ, der meiner Einschätzung nach nur ein paar Jahre älter sein konnte als ich selbst und der sich noch nicht allzu lange in der Mannschaft befand, gehörte zu denjenigen, mit denen ich sonst nie ein Wort wechselte. Wenn ich nicht falsch lag, hieß er Mītobōru. Ich kannte ihn zwar so gut wie gar nicht, aber das, was ich über ihn wusste, genügte, um ihn nicht ausstehen zu können. Einmal hatte ich mitbekommen, wie er mit ein paar anderen Crewmitgliedern darüber am diskutieren war, ob Frauen überhaupt etwas auf Piratenschiffen zu suchen hatten. Seiner Meinung nach höchstens zum Kartoffeln schälen oder zeitweilig als Beschäftigung, wenn an Bord Langeweile aufkam. Ansonsten würden Frauen nach Hause gehören, um dort Kinder großzuziehen und so weiter. Keine Ahnung, ob er nicht wusste, dass ich vom Nachbartisch aus zuhörte, oder ob er das gesagt hatte, um mich mich zu provozieren, aber das war der Moment gewesen, in dem ich mir sicher war, dass ich diesen Hohlkopf wohl nie würde ausstehen können. Ok, es kam noch dazu, dass er die Angewohnheit hatte, Leute bei Law zu verpetzen. Mich hatte er schon zwei Mal gemeldet, weil er meinte, dass ich das Deck nicht sauber genug geschrubbt hatte. Blödes, verwöhntes Arschloch. Und das selbstgefällige Grinsen, mit dem er nun vor meiner Zelle stand, zeigte offenkundig, dass er es genoss, Macht über andere zu haben. Verwunderlich war nur, dass er sich in Laws Anwesenheit immer komplett anders benahm. Da war er immer zurückhaltend, unterwürfig, ja beinahe schon schüchtern. Wie hieß es so schön? Nach oben buckeln, nach unten treten. Passte perfekt zu ihm. "Du willst sicherlich dein Essen haben, Kleine." Alleine seine Stimme reichte aus, um mich aggressiv zu machen. Er sprach mit mir, als sei ich ein Kleinkind. Außerdem erkannte doch wohl jeder Blindfisch, dass ich noch nicht einmal mein Frühstück gegessen hatte. "Danke, ich hab noch. Und wenn du Fettsack mich noch einmal Kleine nennst, bist du bald nen Kopf kürzer", murrte ich. "Wie hast du mich grade genannt?!" Mītobōru war sofort auf Hundertachzig. Hastig entriegelte er die Tür, stellte eine Schüssel, in der sich aller Wahrscheinlichkeit nach mein Essen befand, auf dem Boden ab und baute sich bedrohlich vor mir auf. "Fettsack. Bist du schwerhörig?", wiederholte ich mit Nachdruck, wohlwissend, dass ich ihn damit grade auf die Palme brachte. "Du kleine Mistgöre!" Mītobōru war vollkommen außer sich. Langsam und mit großer Mühe stand ich auf, ihm dabei fest in die Augen sehend. "Weißt du, wenn du mal dein Hirn einschalten würdest, würdest du bemerken, dass ich sogar größer bin als du. Scheinst wohl was kompensieren zu müssen, indem du deine Makel auf andere projizierst. Also wenn überhaupt bist du hier der kleine, dicke Zwerg." Es stimmte tatsächlich. Ich war mit meinen 1,71 Meter von der Größe her mindestens durchschnittlich groß für mein Alter, während Mītobōru es maximal auf 1,65 Meter brachte- wenn hier also einer klein war, dann jawohl er. Normalerweise war ich der Letzte, der Menschen nach dem Äußeren beurteilte oder sie für ebendieses beleidigte. Aber mein Gegenüber hatte es nicht anders verdient, er sollte nicht denken, dass ich mich nicht traute, ihm Kontra zu geben, nur weil er jede Kleinigkeit petzen ging. Außerdem hatte er angefangen. Sprachlos vor Wut suchte dieser nun nach den richtigen Worten. Und das dauerte bei ihm ziemlich lange, er war wohl nicht der hellste. Aber ohne etwas zu erwidern würde er sicherlich nicht gehen. Er war einer der Typen, die immer das letzte Wort haben mussten, das wusste ich. Und schon gar nicht würde er sich etwas von einer Frau sagen lassen, das würde zu sehr an seinem Ego kratzen. Wie ich solche Kerle doch hasste. Nach einer gefühlten Ewigkeit trat er mit feixendem Gesichtsausdruck näher an mich heran. "Muss ein ziemliches Scheißgefühl sein, wenn einen der eigene Vater einsperrt, oder Mina?", begann er hämisch von sich zu geben. "Aber ich kann ihn da vollends verstehen, wenn ich so eine Schande wie dich als Tochter hätte, würde ich mich auch schämen. Glaub ja nicht, dass es auch nur noch einen innerhalb der Crew gibt, der zu dir hält, denn wir wissen alle, dass du uns an die Marine verraten hast. Ich persönlich verstehe nicht einmal, weshalb der Captain dich überhaupt noch an Bord behält. Wenn es nach mir ginge, würden wir dich einfach an der nächsten Insel aussetzen und-" "Argh, verdammte Scheiße!" Seine Stimme klang eine Oktave höher als zuvor. Bei mir war eine Sicherung durchgebrannt und so hatte ich mit voller Wucht mein Knie hochgezogen und es ihm in die Kronjuwelen gerammt. Als er nach meinem Oberarm greifen wollte, um mich festzuhalten, wich ich zur Seite aus. Ich zitterte vor Wut. Dieser elende Pisser hatte doch keine Ahnung, wovon er sprach, zumal ich nicht diejenige gewesen war, die irgendwen an die Marine verraten hatte. Ich wollte ihn grade nur noch büßen lassen für seine Worte. Und so griff ich nach der Schüssel, in der sich noch das Essen vom Frühstück befand, und beförderte sie gegen Mītobōrus Kopf, an welchem sie zerbrach. Der Getroffene stolperte ein paar Schritte zurück, verließ eiligst die Zelle und knallte das Gitter zu. Nun erst sah ich, dass er durch die Scherben einen langen, tiefen Schnitt auf seiner Schläfe davongetragen hatte. Geschah ihm recht. Hoffentlich würde das eine schöne Narbe geben, von der er für die Ewigkeit etwas hatte. Schwer atmend und zornig starrten wir uns an. Langsam hob er seine Hand, um die Wunde zu betasten. Als er all das Blut an seiner Hand sah, wurde sein Blick noch finsterer. "Du kleine Verräterin wagst es, erneut deine Hand gegen diese Crew zu erheben? Hat es dir noch nicht gereicht, was du Kōri angetan hast? Ich werde all das dem Captain sagen, das ist dir wohl hoffentlich klar?" "Mach doch, was du willst, du elende Petze. Hast keine Eier in der Hose, sondern versteckst dich hinter meinem Vater." "Du elende kleine... Das wird dir alles noch Leid tun, Mina." "Was will Law machen, mich einsperren?", fragte ich ironisch. „Ich glaube, du kennst deinen Vater nicht.“ In Mītobōrus Augen lag ein schadenfroher Ausdruck. „Ja, das gebe ich dir Recht, das glaube ich auch." Früher hatte ich geglaubt, meinen Vater zu kennen. Aber mit der Zeit war er mir immer fremder geworden. Nicht nur, dass mir bewusst geworden war, dass ich kaum etwas über ihn wusste, mein Bild von meinem Vater war schlichtweg zerstört worden durch die ganzen Erfahrungen und Erkenntnisse der letzten Zeit. "Wobei es die Crew sicherlich lustig finden wird, zu erfahren, dass du dich von nem siebzehnjährigen Mädchen hast schlagen lassen." Zuerst sah er so aus, als habe er grade in eine Zitrone gebissen. Dann setzte er ein widerwärtiges Grinsen auf. "Genauso, wie Selbige es lustig fand, zu hören, was zwischen dir und Saburo gelaufen ist?" Okay, mit dieser Aussage hatte er mich wirklich erwischt. Mir entgleisten sämtliche Gesichtszüge. Verdammte Scheiße Shachi, was hattest du denen bitteschön erzählt? "Weißt du was? Genauso hat dein Vater auch geguckt, als er davon erfahren hat. Dass die eigene Tochter so etwas bringt... Echt, in deiner Haut möchte ich jetzt nicht stecken." Oh Gott, das konnte doch nicht wahr sein... Dafür würde ich Shachi sowas von einen Kopf kürzer machen! Und Mītobōrus Grinsen machte die Sache auch nicht besser, nein, es machte mich vielmehr tierisch aggressiv. "Mītobōru du schwabbelige Tonne, beim nächsten Mal wird es nicht nur bei einem Kratzer bleiben, das schwöre ich dir", brachte ich zischend hervor. "Wir werden ja noch sehen, wer hier den Kürzeren zieht. Von mir aus kannst du dadrin verrotten", antwortete er mir mit säuerlicher Stimme. Mit diesen Worten wandte er sich leise vor sich hinfluchend ab, um, bei Law Bericht zu erstatten zu gehen. Und sich vermutlich verarzten zu lassen. Das würde noch Ärger geben, das wusste ich. Aber konnte ich meine Situation überhaupt noch verschlimmern? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)