Im Dunkel von Sascha1404 ================================================================================ Kapitel 1: Kapitel 1 -------------------- Kapitel 1 Die Dunkelheit hat etwas Unendliches. Egal wie sehr du dich anstrengst, du kannst nichts sehen. Und manchmal ist das auch gut so. In der Dunkelheit sind deine Sorgen weg, du hast keine Schmerzen. Du siehst kein Leid und kein Elend. Du kannst dir die Dunkelheit so formen, wie du das möchtest. Man kann sich vorstellen, die Dunkelheit ist weich, wie es sich halt eben in einem Bett anfühlt wenn man schläft und das Schlafzimmer abgedunkelt ist. Das stellte ich mir jedenfalls immer vor. Ich sah in den Spiegel und wieder starten mir nur die müden, hellbraunen Augen entgegen. Einige meiner Haare hatten sich aus meinem Zopf gelöst. Das sterile weiß der Wände ließen mich noch blasser erscheinen als ich es ohnehin schon war. Meine Augenringe machten Mondkratern Konkurrenz. Seit 52 Stunden war ich nun auf den Beinen. Ich funktionierte nur noch. Daher wünschte ich mir fast die Dunkelheit herbei. In meiner Kitteltasche vibrierte mein Pager. Ich seufzte, holte ihn raus und sah auf die eingeblendeten Worte. „Komapatientin 025 Notfall“. Ich wusch mir noch schnell das Gesicht und ging wieder aus dem Bad. Seit einem Jahr arbeitete ich nun schon als Ärztin. Die Klinik in der ich arbeitete, hatte alles an Patienten aufzubieten. Kinder, Erwachsene, Ältere, Schwangere und eben auch Komapatienten, die Station auf der ich Stellvertretende Leitung war. Patientin 025 war meine kleine Schwester. Sie lag seit 5 Jahren im Koma und niemand wusste wieso. Und seit einigen Wochen ging es rapide Bergab mit ihr. Das Pflegepersonal wusste nicht dass es sich bei dieser Patientin um meine kleine Schwester handelt. Das sollten sie auch nicht. Die Chefetage wusste es und das reichte mir vollkommen. Meine kleine Schwester war ein Nachzügler gewesen. Ich war 15 als sie geboren wurde, meine ältere Schwester bereits 18. Man hat immer gesehen dass sie anders war als die anderen Kinder. Die Ärzte sagten, sie würde Anzeichen von Autismus zeigen, doch bei dem Test kam heraus, dass sie kein Autismus hatte. Wir liebten unser kleines Baby, egal welche Krankheit sie nun hatte oder nicht. Es war uns egal. Wir wollten nur Gewissheit haben und einfach nur wissen was es ist, dass unsere Kleine Tiara so besonders machte. Während andere Kinder auf dem Spielplatz tobten, lachten, weinten oder sich wegen etwas aufregten, war Tiara immer Still. Sie zeigte ihre Emotionen nie nach außen. Für meine immer älter werdenden Eltern, war das natürlich ein Segen. Ein Kind, das die Nächte als Säugling durchschlief, das im Supermarkt beim Einkaufen nie einen Aufstand machte, das ruhig in seinem Zimmer saß und leise vor sich hin summte. Viola, meine ältere Schwester, fand das immer mehr als merkwürdig. Tiara fing früh mit dem Sprechen an. Doch sie erzählte immer weniger. An ihrem 5. Geburtstag hatte sie das letzte mal gesprochen. Sie sagte „Danke“ als ich ihr eine Spieluhr schenkte. Sie hatte sogar gelächelt, hatte die Spieluhr aufgedreht und zugesehen wie die drei Elfen sich drehten. Zwei Tage später wachte sie nicht mehr auf. Sie war ins Koma gefallen. Ich kam in Tiaras Zimmer und sah schon die ganzen Pfleger um sie herum stehen. Sie war so groß geworden in den 5 Jahren. Meine Eltern waren die ersten paar Jahre noch regelmäßig zu Besuch gekommen. Ihren 8. Geburtstag hatten wir noch zusammen in dem Krankenhaus in dem sie damals lag, gefeiert. Danach wurden die Besuche weniger und sie wurde in diese Klinik hier verlegt. Auf Wunsch meiner Eltern. Viola hatte mal gesagt, dass sie denkt, dass meine Eltern Tiara nicht wirklich vermissen würden. Sie war immer ruhig und man merkte kaum, dass sie überhaupt da war. Nun hatten Sie ihr kleines Mädchen Meilenweit weit weggeschickt in die Berge und sie selber hatten ein großes Haus mit leeren Zimmern. Mittlerweile war aus Tiaras Zimmer das neue Arbeitszimmer meiner Mutter geworden. Mein und Violas Zimmer dagegen waren noch so, wie wir sie verlassen hatten. Sie hatten Tiara schon fast vergessen. Wenn meine Eltern mich mal besuchten, gingen sie noch zu Tiara, ansonsten nicht. „Was ist passiert?“, fragte ich und beugte mich über meine kleine Schwester um ihre Pupillen zu testen. Sie reagierte nicht, wie immer. „Sie fing an zu krampfen“, erklärte eine Schwester und ich seufzte. Nun lag sie wieder so wie vorher. Als wenn nichts gewesen wäre. „Ich möchte, dass hier ein Langzeit EEG angeschlossen wird“, sagte ich und rieb mir über die Stirn. „Dr. North, ein Langzeit EEG? Die Patientin ist Hirntot“, sagte die Oberschwester. Ich hasste es wenn man mir wiedersprach. „Habe ich eine Doktorarbeit über Komapatienten geschrieben, oder Sie? Langzeit EEG. In der nächsten halben Stunde ist sie angeschlossen.“ Ja, vielleicht war ich ab und zu gemein zu den Schwestern und Pflegern, aber sie sollten mir nun mal nicht wiedersprechen. Wenn Tiara krampft, dann muss etwas in ihrem Kopf vorgehen, was wir vielleicht nicht verstehen können. Die Wissenschaft ist noch nicht dahinter gekommen, wieso manche Patienten überhaupt ins Koma fallen. Und Tiara war so wie so ein Sonderfall. Sie gilt seit drei Jahren als Hirntot, doch ihr Körper arbeitet selbstständig. Sie braucht nicht einmal ein Beatmungsgerät. Ab und an lasse ich ein EKG anschließen, doch der Herzschlag ist regelmäßig und so stark wie er bei einer gesunden 10 Jährigen wäre. „Was ist nur los bei dir da drinnen Tia?“, fragte ich leise, strich meiner kleinen Schwester über die Stirn und mein Blick wanderte zu ihrem Nachttisch wo die Spieluhr mit den Elfen stand. Um mich herum war es dunkel. Aber kein warmes dunkel das ich mochte, sondern ein kaltes, durchdringendes. Ein Dunkel, dass einem die Gänsehaut brachte. Nicht weil es kalt war, sondern Schlicht und Ergreifend erschreckend. Ich drehte mich einmal um mich herum und sah mich um. Nichts als Dunkelheit, wohin ich auch sah. Ich rieb mir die Gänsehaut von meinen Armen und plötzlich war mir so, als wenn mich jemand beobachten würde. Ich fuhr herum, doch da war nichts. Oder vielleicht doch? Plötzlich hörte ich ein Kinderlachen. „Wo bist du?“, rief ich und sah mich um, was totaler Unsinn war, da ich definitiv nichts sehen konnte. Ich lief los, dem Kinderlachen hinterher. Ich kam anscheinend immer näher, denn das Kinderlachen wurde lauter. Je näher ich kam, desto mehr Kinderlachen und Stimmen hörte ich. Und plötzlich hörte ich eine Melodie. Die Kinder verstummten und plötzlich sah ich Tiaras Spieluhr da stehen. Als ob sie von innen heraus leuchtete, erleuchtete sie schwach ihre unmittelbare Umgebung. Ich beugte mich runter um die Spieluhr aufzuheben, als plötzlich direkt neben mir jemand erschien. Ich fuhr hoch, sah zur Seite und direkt in Tiaras hellblaue Augen. Sie war keine 5 mehr, sondern 10 und sie trug eine dunkle Hose aus einem festen Stoff und eine Lederjacke wie man sie von Jägern kannte. Sie sah mir fest und selbstbewusst in die Augen und flüsterte: „Rette uns Aria.“ „Was meinst du? Wen soll ich retten?“, fragte ich und runzelte die Stirn. Doch Tiara antwortete mir nicht mehr. Sie sah über meine Schulter, kniff die Augen zusammen und flüsterte: „Renn.“ Und da rannte sie schon los. Ich drehte mich um und schrie auf als ich etwas, wenn es überhaupt möglich war, noch dunkleres auf mich zurasen sah. Dann fuhr ich hoch. Ich war nassgeschwitzt und sah mich in meinem Schlafzimmer um. Das Ziffernblatt meines Weckers zeigte mir kurz nach Mitternacht an. Plötzlich vibrierte mein Pager und ich zuckte zusammen. Ich griff nach dem Ding auf meinem Nachtschrank und sah wieder die Buchstaben „Komapatientin 025 Notfall“. Von meiner Wohnung bis zur Klinik waren es genau 13 Minuten. Bis ich geparkt und in den 5. Stock gefahren bin, vergingen noch mal 10 Minuten. Als ich dann oben war, kam mich schon eine leichenblasse Nachtschwester entgegen und drückte mit einen Ausdruck in die Hand. „Ich weiß nicht was passiert ist, sie hat nicht gekrampft und ich war auch nur zufällig im Zimmer. Das Gerät hat angefangen zu schreiben.“, sagte sie mir mit Schreckgeweiteten Augen während ich mir den Ausdruck ansah. Tatsächlich. Eine Erhöhung nach der anderen von 23:45 Uhr bis 00:15 Uhr. Das Gehirn meiner Schwester funktionierte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)