A Fork Stuck In The Road von Puppenspieler (Aliens, Armdrücken & andere Absurditäten) ================================================================================ Kapitel 6: Time Of Our Lives ---------------------------- Eigentlich hatte er einfach nur einen Tag am Meer verbringen wollen. Heisuke liebte das Meer. Er liebte ewige Strandspaziergänge, er liebte es, nach Muscheln zu suchen und Sandburgen zu bauen – er liebte es, wenn seine Brüder mit ihren Kindern zu Besuch waren, denn das war immer eine wunderbare Ausrede dafür, wieso er lieber mit Eimer und Schäufelchen im Sand saß, als sich an erwachseneren Aktivitäten zu beteiligen. Er hatte schon immer einmal eine Flaschenpost abschicken wollen, ohne dass er wirklich daran glaubte, dass er je Antwort bekommen würde. Eigentlich hätten sie heute auch noch in Sendai sein sollen. Zurück zuhause zu sein, warf seinen Plan zumindest halb über den Haufen. Mithilfe von einigen Kleinigkeiten, die er Zuhause mopsen konnte, hatte er am Morgen, als seine Freunde alle noch schliefen, etwas anderes vorbereiten können – und dann hatte sich alles verselbstständigt.   Statt am Strand waren sie im Stadtzentrum, das ihm winzig erschien im Vergleich zu Sendai. Es war immerhin groß genug, dass sie Purikura-Automaten fanden. „Wir sind doch keine Schulmädchen“, brummte Sawauchi mit verschränkten Armen. Matsukawa und Hanamaki tauschten einen Blick, dann sahen sie an Sawauchi hoch und wieder runter und zuckten die Schultern. „Man hätte sich täuschen können…“ Dass Oikawa sich viel zu wortreich freute, einmal nicht das Opfer der Späße der Beiden zu sein, lenkte Sawauchi lange genug von allen Mordgedanken ab, um die ganze Meute radikal in den Fotoautomaten zu bugsieren – Iwaizumis Verdienst. Heisuke war sich leider viel zu sehr bewusst, dass er da keine Chancen gehabt hätte. Allein die Vorstellung, wie er versuchte, seine Freunde irgendwohin zu bugsieren, ließ ihn peinlich berührt erröten. Zu siebt war es viel zu eng. Es dauerte keine fünf Sekunden, bis die ersten Beschwerden kamen: „Du stehst auf meinem Fuß!“ – „Wessen Ellenbogen ist da in meinen Rippen?!“ – „Wieso hab ich da was im Schritt?!“ Heisuke, wenn er ehrlich war, fand es lustig, und er hörte vom anderen Ende des großen Chaoshaufens, dass Kaneo nur noch am Lachen war. Mit ein bisschen Geduld, Liebe und beherztem Eingreifen von Iwaizumi fanden sie sogar irgendwie noch zu Positionen, in denen sich niemand mehr unangenehm belästigt fühlte. Das Fotomachen selbst danach war dann nur noch halb so schwierig – und, wenn Heisuke ehrlich war, auch nur noch halb so lustig.   Einmal wieder aus dem Fotoautomaten herausgepurzelt ging es ans Dekorieren der Bilder. Wobei vermutlich der Begriff Verschandeln weit besser passen würde. Schnurrbärte, peinliche Hüte, lächerliche Sonnenbrillen und Tieröhrchen, extra viel Glitzer und andere Peinlichkeiten… Auf einem Bild schaute Iwaizumi so grimmig drein, dass Oikawa verkündete, sie müssten das dringend zensieren, und er packte irgendeinen dümmlich lachenden Tierchensmilie über Iwaizumis Gesicht. Seine Rache kam prompt – auf dem Bild, auf dem Oikawa sein bestes Schmollen inszenierte, wurden erst einmal rings um ihn Luftbläschen verteilt und er bekam obendrein die verblüffend passende Überschrift Fishykawa. Hanamaki und Matsukawa brachen beinahe ein vor Lachen. Leider nicht so sehr, dass es sie daran gehindert hätte, Heisuke auf jedem einzelnen Bild glühend rote Wangen zu zaubern. (Leider spiegelten sie seine aktuelle Gesichtsfarbe viel zu gut wider.)   Als die fertig gedruckten Bilder aus dem Automaten kamen, konnte Heisuke sich gar nicht mehr entscheiden, welches ihm am besten gefallen sollte. Sie waren einfach alle herzerwärmend hässlich und bunt, und darin lag so viel sentimentaler Wert, er war sich ziemlich sicher, Kaneo würde in einem halben Jahr schon in Tränen ausbrechen, wenn er sie dann ansah.     Heisuke scheuchte noch an zwei weiteren Purikura-Automaten vorbei, außerdem fanden sie noch eine Fotobude am Strand, wo sie sich mit extra kitschigen, maritimen Motiven im Hintergrund ablichten lassen konnten. Als sie fertig waren mit der Fotojagd hatte Heisuke einen großen Umschlag voll mit Fotos zwischen den anderen Sachen in seiner Tasche, die er am Abend noch brauchen würde.   Jetzt aber stand erst einmal der Strandspaziergang an, den er eigentlich hatte haben wollen. Weil es einfach noch viel zu kalt fürs Meer war, waren kaum Menschen unterwegs, und auf Badesachen hatten sie auch verzichtet. Es war schade, und Heisuke trauerte einer ordentlichen Wasserschlacht nach, aber… es war okay. Immerhin konnten sie überhaupt noch so zusammen sein, da war es gut zu verschmerzen, dass die Jahreszeit und Witterung einem guten Teil von ihnen einfach in ihre Planung grätschten. Und ein bisschen war Heisuke sogar wirklich froh, bedenkend, dass Oikawa schon über den Sand in seinen Schuhen jammerte. Er wäre wahrscheinlich über Meereswasser im Haar in Tränen ausgebrochen oder so, und so viel nervliche Belastung konnte man Iwaizumi doch nicht ständig zumuten. Fand Heisuke zumindest. Dass Oikawa das eindeutig anders sah, zeigte sein Verhalten ja schon zur Genüge. „Wisst ihr, was wir lange nicht mehr gemacht haben?“, riss Matsukawa ihn aus seinen Gedanken. Heisuke sah blinzelnd zu ihm hinüber. Er lief rückwärts, die Hände hinter dem Kopf verschränkt und grinste. Er sah kurz in die ganze Runde, dann blieb sein Blick auf Hanamaki hängen, und Heisukes Blick folgte automatisch – er erwartete jede korrekte Antwort ohnehin aus dessen Richtung. „Einen Wettkampf“, erwiderte Hanamaki, und Heisuke konnte das Grinsen in seiner Stimme hören.   „Wir können Sandburgen bauen!“   Heisuke wusste schon, wieso er Kaneo so sehr liebte.   „Wir sollten Teams aufstellen“, schlug Sawauchi vor, „Ansonsten sind wir doch ewig beschäftigt. Zu zweit oder dritt geht alles schneller.“ – „Wir könnten unsere Zimmeraufteilung aus Sendai nehmen, oder?“ Sawauchi lachte barsch, klopfte Kaneo auf die Schulter, „Es ist immer wieder gruselig, wenn du mal ne gute Idee hast, Kumpel.“ – „H-hey!“ Es war nett, dass es zur Abwechslung einmal nicht Heisuke war, der rot wurde.     Ohne jegliche Form von Equipment war es gar nicht so einfach, irgendetwas aus dem Sand zu formen. Hätten sie ihre großen Rucksäcke bei sich, wären sicher einige zweckentfremdete Werkzeuge dabei herumgekommen, aber da sie die nächste Nacht wieder bei Heisuke übernachten würden, hatten sie sich das einfach gespart. Heisuke bereute es ein bisschen. Aber andererseits war Heisuke auch froh darum, denn mit Iwaizumi und seinen Keschern in der anderen Gruppe hätte sich einfach viel zu viel machen lassen – und die waren sowieso schon in der Überzahl und damit im zahlenmäßigen Vorteil! Nach einigen Minuten Kriegsrat hatten sie einen halbwegs brauchbaren Schlachtplan und dank Hanamakis edelmütigem Opfer auch bald ein T-Shirt, das er unter seinem Pulli getragen hatte, mit dem sie Wasser aufnehmen und über dem Sand wieder auswringen konnten, um eine brauchbare Sandburgenkonsistenz zu bekommen. Ein paar Steinchen und Muscheln und Stöckchen, die sie noch fanden, konnten als Werkzeuge und Dekoration missbraucht werden, und Heisuke hatte immerhin genug Papier in seiner Tasche, dass er ein bisschen davon auch zum Sandburgformen opfern konnte. Ein Blick nach rechts zu ihren Gegnern zeigte, dass irgendwer eine Wasserflasche bei einem nahen Kiosk besorgt hatte, und Oikawas Notfallfrisierset, bestehend aus verschiedenen Bürsten und Kämmen, schien zu Modellierwerkzeugen umfunktioniert worden zu sein – Oikawa beweinte es laut, aber Iwaizumi setzte sich gar nicht unerwartet durch in der Sache.   Es würde eine harte Schlacht werden.   Bei aller Härte aber, Heisuke hatte einfach nur Spaß. Jahrelange Übung machte es ihm leicht, mit dem feuchten Sand zu arbeiten, während Sawauchi immer ein bisschen zu grob war und ihr Kunstwerk hier und da wieder eindellte und zerdrückte, und Hanamaki gar nicht erst so recht zu wissen schien, wo er überhaupt anpacken sollte. Oikawa klagte über Sand unter den Fingernägeln, und auch wenn Heisuke nicht hinübersah, so klang es mehr als einmal so, als würde Iwaizumi verärgert den gesamten Bau wieder einstampfen, wenn Oikawa zu viel plärrte. Nach einer Weile fing Matsukawa an zu pfeifen – konnte er besser als singen – und noch einen Augenblick später stimmte Hanamaki singend in das kleine Liedchen ein. Heisuke hätte es gern aufgenommen, als Erinnerung, und – ja, warum eigentlich nicht? Also schnappte er sich sein Smartphone, hoffte, dass das Mikrofon gut genug war, um beide Stimmen aufzufangen und schaltete es ein, als die beiden gerade auf einen anderen Song überwechselten.   Er konnte sich eine neue Speicherkarte kaufen.     Sie waren fast den halben Tag – mit Mittagspause – damit beschäftigt, ihre Sandburgen zu beenden. Am Ende hatte Team Oikawa etwas gebaut, das mehr Ähnlichkeit mit einer Rakete hatte als mit einer Sandburg, und Heisuke war sich sicher, dass es volle Absicht war. Zumindest von Oikawa, der ausgesprochen selbstzufrieden grinste. Heisukes eigenes Team hatte eine recht traditionelle Burg zusammenbekommen, und weil Sawauchi das unbedingt gewollt hatte, hatte sie sogar einen Burggraben und ein paar aus Stöckchen, Steinchen und Muscheln zusammengestapelte Burgwachen. „Ich finde, wir haben eindeutig gewonnen“, brummte er überzeugt. Oikawa widersprach inbrünstig, weil ihre Rakete doch viel cooler war, und überhaupt viel handwerklich hochwertiger – natürlich fiel ihm Iwaizumi in den Rücken: „Ich stimme Sawauchi zu.“ „Und, was haben wir gewonnen?“ Heisuke kannte die Antwort auf Hanamakis Frage schon, ehe Matsukawa blöde grinsend „Nichts“ erwiderte. Bevor sie ihre Burgen zurückließen, um von der Flut wieder in die Vergessenheit gespült zu werden, machte Heisuke Fotos mit seinem Handy, dann ließen sie ihre Kunstwerke hinter sich. Es war spät genug, die Sonne schon am Untergehen, und langsam frischte das Wetter so sehr auf, dass es unangenehm hier draußen am Meer wurde. Ganz davon ab, dass sie noch ein gutes Stück Weg bis zu ihrem letzten Ziel für Heute vor sich hatten. Nur eine Sache fehlte noch.   „Was haltet ihr von Flaschenpost?“ Die Antworten waren absehbar gewesen – Kaneo fand es super, Oikawa war auch zu begeistern, Sawauchi und Iwaizumi waren einig darin, dass es nutzloser Kitsch war, während sich Hanamaki enthielt und Matsukawa nur einen Witz über Fishykawa machte, der sie alle zum Lachen und Oikawa zum Schmollen brachte. Heisuke fand, das war genug Zuspruch, also ließ er sich einfach in den Sand fallen und warf seine Tasche vor sich. „Wir schreiben eine“, verkündete er, seine Freunde zu sich hinunterwinkend. Obwohl er sich sicher war, dass niemand protestieren würde, und dass das schon okay war, spürte er, wie sein Gesicht heiß wurde. Er hielt es absichtlich über die Tasche gesenkt, während er Stifte und Papier und eine Schreibunterlage hervorkramte. „Und was schreiben wir, Shicchi?“ – „Einfach nur kleine Nachrichten. Egal was, aber deutlich, damit man sie auch lesen kann! Oder sich übersetzen lassen, je nachdem, ne? Und dann schreib ich meine Adresse drunter, und vielleicht krieg ich in ein paar Jahren ja ne Postkarte!“ Glaubte er selbst nicht wirklich dran, aber er wollte es hoffen. Die Vorstellung war einfach so spannend! So schwer, wie Iwaizumi seufzte, fand er die ganze Sache wohl weniger spannend, trotzdem schwebte kurz darauf eine Hand in Heisukes Blickfeld.   „Dann gib mal her.“     Liebe Grüße und viel Glück aus Miyagi! – Yuda   Hütet euch vor Oikatastrophen. – Matsukawa   Ich bin mit einem Haufen gemeiner Barbaren befreundet! - Oikawa   Und hütet euch vor Fishykawa. – Hanamaki   Möge Fishykawa I in Frieden ruhen. – Iwaizumi   Sorry an wen auch immer, der das hier lesen muss. – Sawauchi   Schick ne Postkarte zurück, lieber Leser! – Shido     Iwaizumi, weil er den stärksten Wurfarm hatte, durfte die Flasche, nachdem sie sicher verkorkt war, schließlich ins Meer werfen. Sie flog viel weiter, als Heisuke erwartet hätte, und in schweigendem Staunen sah er zu, wie ihre verrückten Grüße durch die Luft segelten und schließlich so weit entfernt von ihnen im Meer landeten, dass sie das Platschen über das Rauschen der Wellen hinweg gar nicht mehr hörten und auch das aufspritzende Wasser ziemlich wenig beeindruckend aussah. Er blinzelte, presste die Lippen zusammen. Zog die Nase kraus. Neben ihm schniefte Kaneo, während Heisuke das ganze Gesicht verzog. Es dauerte ein paar Sekunden, aber dann hatte er sich wieder gefangen und konnte seine Freunde fröhlich angrinsen.   „Ich lasse es euch sofort wissen, wenn eine Antwort kommt!“   An die keiner so recht glauben wollte, außer Heisuke und Kaneo, aber das war okay – früher oder später würden sie es schließlich sehen! Heisuke wollte gar nicht darüber nachdenken, wie viel Zeit bis dahin vergehen würde. Wie sehr sich seine Freunde und er selbst verändern würden. Würden sie heiraten? Kinder kriegen? Heisuke wollte eine Familie, keine Frage. Trotzdem kam ihm der Gedanke gerade viel zu groß und gruselig vor und er schüttelte ihn hastig wieder ab. Heute war es ohnehin egal. Heute wollte er einfach nur Zeit mit seinen Freunden verbringen und ein paar schöne Erinnerungen machen, ehe sie getrennte Wege gingen, nach langen drei Jahren. Oder sechs, teilweise. Oder sogar noch mehr, in Iwaizumis und Oikawas Fall. Er holte tief Luft, dann sah er ernst in die Runde, die Hände in die Hüften gestemmt und extra streng aussehend – die unbeeindruckten Blicke, die ihm begegneten, waren vertraut, aber einfach immer noch peinlich.   „Und jetzt gehen wir zur Schule!“     Obwohl selbst Oikawa so dreinsah, als hätte Heisuke den Verstand verloren, folgten sie ihm. Bis sie ankamen, war es stockfinster. Hinten auf dem Schulhof war ein Baum, der laut Heisukes ältestem Bruder schon vor zehn Jahren hier gestanden hatte, und Heisuke war sich sicher, er würde auch in zwanzig und in dreißig Jahren noch hier stehen. Unter der kargen Baumkrone ließ er sich zu Boden plumpsen und begann, seine Tasche auszuräumen – Briefumschläge, Papier, Schreibunterlage, Stifte, eine luftdicht schließende Plastikbox, der Umschlag mit den Fotos, drei kleine Schäufelchen, die er im Gartenschuppen gefunden hatte (und beim Sandburgenbauen völlig vergessen. Ähem). Dazu kam noch die Speicherkarte aus seinem Handy, und dann lehnte er sich zurück, sah erwartungsvoll zu seinen Freunden auf. „Zeitkapsel“, erklärte er, grinste breit, „Wir schreiben alle ein paar nette Worte an unsere zukünftigen Ichs! Und in… weiß nicht, zehn Jahren oder so holen wir das Ding wieder hoch und schauen mal, was so aus uns geworden ist!“ „Das ist kitschig“, stöhnte Sawauchi kopfschüttelnd. Kaneo klatschte lachend in die Hände – „Ich finde es wunderbar!“   Fünf Minuten später saßen sie eng beieinander auf dem kalten Boden, hatten ihre Handys zu Taschenlampen umfunktioniert und schrieben Briefe an ihre Zukunft. Heisuke wollte nur zu gerne, aber er spitzte nicht, was die anderen schrieben, sondern konzentrierte sich ganz auf das, was er seinem eigenen zukünftigen Ich erzählen wollte – das überforderte ihn ohnehin schon genug.   Hey, Ich in der Zukunft!   Wie geht’s dir? Wie war die Uni in Tokyo? Hast du die Großstadt überlebt? Ich hoffe, du hast deine Freunde und Familie oft besucht! Wart ihr bei Sawauchi in Amerika? Wie ist es dort? Hat er es überhaupt bis dahin geschafft? Ich denke schon, dass er es schaffen wird. Wenn du Kinder hast, hoffe ich für dich, du hast ihnen keine peinlichen Namen gegeben. Sie müssen doch ihr ganzes Leben damit ertragen! Sind Oikawa und Iwaizumi immer noch so anstrengend? Hat Seijoh es mal in die Nationalmeisterschaft geschafft? Spielst du noch Volleyball? Wehe wenn nicht!   Minutenlang starrte Heisuke auf sein Papier hinunter, ohne recht zu wissen, was er noch schreiben sollte – dann schrieb er einfach alles auf, das ihm einfiel. Jeden dummen Gedanken, jede irre Anekdote, jedes Gefühl, das er nicht vergessen wollte, an das er sich selbst erinnern wollte, wenn er in wie vielen Jahren auch immer diesen Brief wieder lesen würde. Als er schließlich auf- und sich umsah, sah er, dass auch die anderen noch über ihrem Papier brüteten. Sawauchi kaute auf dem Ende seines Stifts herum, Iwaizumi starrte sein Papier so grimmig an, als erwarte er, es würde sich alleine füllen, obwohl die dunklen Linien, die sich fast bis zum Ende zogen, zeigten, dass er schon einiges geschrieben hatte. Hanamaki und Matsukawa sahen nicht mehr ihre Papiere sondern einander an, und Heisuke fragte sich, wie viel in ihren Briefen sich wohl miteinander decken oder aufeinander beziehen und ergänzen würde. Ob sie in zehn Jahren noch immer so innig sein würden? Bestimmt. Kaneo tropfte Tränen auf sein Papier. Oikawas gerümpfte Nase und zusammengezogene Augenbrauen ließen auch ihn aussehen, als wollte er gleich losheulen – ein Drang, den Heisuke viel zu gut verstehen konnte. Der dicke Tränenkloß in seinem Hals ließ sich nur mit Mühe herunterwürgen.     Schließlich waren alle Briefe in Umschläge gesteckt, die Kiste gefüllt und verschlossen und ein kleines Loch unter dem Baum gegraben. Es war seltsam, sie mit Erde zu bedecken, bis nichts mehr davon übrig war. Es fühlte sich ein bisschen an, als hätten sie gerade ihre Vergangenheit zu Grabe getragen. Oder doch eher ihre Zukunft? Wie kompliziert!   „Das nächste Mal, wenn wir alle zusammen sind, sollten wir sie öffnen. Und noch mehr hineintun.“ Kaneos Stimme war so leise, dass Heisuke sie kaum hörte. Er lachte sanft, zog die Schultern hoch. „Das klingt schön. Am Ende brauchen wir eine größere Kiste!“ Was Heisuke aber auch nur recht war. Er hörte Sawauchi ächzen, doch gleichzeitig legte der Kerl ihm einen Arm um die Schultern und zog ihn kumpelhaft an sich.   „Das würde ja heißen, dass ich noch viel zu lange mit euch geschlagen bin.“   „Und du liebst es, Ucchi.“ – „Klappe, Shittykawa. Niemand liebt dich.“ – „Iwa-Chan!!!“   Heisuke liebte sie. Jeden einzelnen. Und er würde sie unglaublich vermissen, wenn er erst in Tokyo war. Aber wie sagte man so schön?   Die Liebe wuchs mit der Entfernung. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)