Aliens von SimonStardust ================================================================================ Memory 4 -------- Die Tür öffnete sich und ich setzte meinen Weg in den Zellentrakt fort. Meine Erinnerung an Big Reds Worte ließ mich dabei nur schleppend los. Selbst, wenn ich ihnen damals nicht viel an Beachtung geschenkt hatte, so hämmerten sie sich mir jetzt umso eindringlicher in den Kopf. Bleich, langgliedrig, weitgehend unbehaart, mit seltsamen Flugmaschinen auf den Heimatplaneten gekommen, um Unschuldige zu entführen und an ihnen zu experimentieren – so hatten die Menschen vor Jahrzehnten noch das Klischee-Alien beschrieben. Und... was war ich schon anderes in den Augen der Bewohner von Punk Hazard? Ich passierte die Haupthalle, die alle Gebäudetrakte miteinander verband, und blendete dabei sämtlichen Lärm aus, der von geschäftig hin und her eilenden Wissenschaftlern, Befehle rufenden Soldaten und dem Surren der unzähligen elektronischen Anlagen herrührte. Ich war in meiner eigenen Welt – eine Welt, in der für gewöhnlich nur zählte, koste es was es wolle an mein Ziel zu gelangen. Doch sie hatte Risse bekommen. Kleine, haarfeine Risse, deren Auslöser Big Reds Worte waren. Oder doch Big Red selbst? Ich hatte keine Antwort auf diese Frage und das machte mich unruhig. Normalerweise hätte ich nie auch nur einen Gedanken daran verschwendet, ob man in mir ein Monster, Ungetüm, Irren, Emo, Mistkerl oder eben ein Alien sah. Es hätte mich nicht im Geringsten berührt. Nur jetzt, da ich unterwegs war, um Big Red den Tod zu bringen, machte sich in mir eine Spur von Unsicherheit breit. Ich würde sein Bild von einem grausamen Alien geradezu komplettieren, wenn ich nun meine Pflicht erfüllte. Ein Teil von mir wollte genau das und somit allem einfach ein Ende setzen, ein anderer Teil von mir wollte beweisen, dass ich mehr sein konnte als nur das Alien, das Big Red in mir sah. Ich war zwiegespalten. Und ich hatte nicht einmal eine Erklärung dafür. Wütend auf mich selbst biss ich die Zähne zusammen und schritt fester aus. Ich würde es durchziehen. Danach musste ich mir keine Gedanken mehr über die Philosophie machen, ob ich nun ein Alien war oder nicht. Dann konnte der Alltag wieder einkehren. Ohne Ilexx zwar, aber dafür auch mit sehr viel mehr Klarheit in meinem Kopf. Mein Gesicht weiterhin eine nicht zu deutende Maske bog ich in den Korridor ein, der durch den Verwaltungstrakt führte. Er war mit kaltem Licht hell erleuchtet und lag beinahe verlassen da. Nur leise gemurmelte Gespräche oder über Tastaturen fliegende Finger waren aus den vielen Büroräumen zu hören. Zusätzlich das hohe Summen einer Leuchtstoffröhre, die wohl bald den Geist aufgeben würde. Hier irgendwo erstreckte sich das Archiv über mehrere Rechnernetzwerke hinweg, wo Monet sich wohl gerade der Datenrettung widmete und dafür sorgte, dass Big Reds Ausrüstungsteile in mein Labor gebracht wurden. Was sie wohl sagen würde, wenn sie wüsste, dass in einer geschätzten halben Stunde ein Stromausfall drohte? Ich könnte sich warnen, wenn ich wollte. Doch ich wollte nicht. Mein eigenes Vorhaben war mir deutlich wichtiger. Endlich tauchte die niedrige Halle vor mir auf, die gesäumt von Fahrstuhltüren war, die in die Untergeschosse führten, und in deren Mitte sich ein riesiger, ovaler Raum mit Glasfassade befand. Die technische Schaltzentrale der Forschungsstation. Die hier beschäftigte Sicherheitsbeamte hatte einen gleichermaßen wichtigen wie auch meist sehr ereignislosen Job, der dafür in Notsituationen ein hohes Maß an Verantwortung voraussetzte. Von hier aus ließen sich nämlich ausnahmslos jedes Licht, jede Tür, jede Klimaanlage, jeder Aufzug und auch die äußeren Schutzschilde des Gebäudes kontrollieren, die bei Bedarf aktiviert werden konnten. Als ich mich dem Raum näherte, blickte die Sicherheitsbeamte von ihrem Magazin auf, in dem sie bis gerade eben gelesen hatte, und begann zu lächeln. Noch bevor ich vor ihr angelangt war, öffnete sie auch schon das Schiebefenster und rief mir begeistert entgegen: »Law! Ich hab mich schon gefragt, wann du heute vorbeikommst! Kann ich dir irgendwie behilflich sein?!« Die Wangen in einen leichten Rotton der Aufregung getaucht wartete Baby 5 meine Antwort ab. Es war typisch für sie, einem ihre Hilfe auf diese direkte Weise anzubieten, und eigentlich hatte mich das nach den drei Jahren, die ich sie schon kannte, nicht aus der Bahn zu werfen. Doch gerade eben tat es das. Dieselbe Frage stellte sie mir jedes Mal, hatte sie mir auch ein jedes Mal gestellt, wenn ich in der Vergangenheit zu Big Red unterwegs gewesen war, und sie hatte sie mir auch an dem Tag gestellt, als die Sache mit der Feder geschehen war.... … .. .   Erwartungsvoll sah Baby 5 mich an. Sie hatte sich mir gegenüber an den Mensatisch gesetzt, etliche Essensportionen auf ihrem Tablett, die höchstwahrscheinlich für all diejenigen bestimmt waren, denen sie etwas mitzubringen versprochen hatte. Gleichgültig erwiderte ich ihren Blick, während ich mir ein weiteres Stück gebratenen Helio-Wels in den Mund steckte. Im Gegensatz zu den restlichen Zutaten des Mittagessens (Fisch mit Pellkartoffeln an einer Zitronen-Sahnesauce) war er nicht synthetisch hergestellt, sondern frisch von der Sonnenseite Punk Hazards gefangen. Gerichte wie diese lockten selbst mich Gesellschaftsmuffel in die Mensa, was aber nicht hieß, dass sie mich auch gesellschaftsfähiger machten. »Nein«, antwortete ich knapp, »Ich lese.« Baby 5 zuckte beim harten Klang meiner Stimme leicht zusammen und ich sah, wie ihr die ersten Tränen in die Augen schossen. Wollte ich wirklich, dass sie wütend und heulend davonstürmte und somit alle Aufmerksamkeit auf mich lenkte? Warum nur gab es Frauen, die so schrecklich emotional waren, dass man sie nicht einmal ansehen durfte? »Oder...«, fügte ich rasch an, »Vielleicht gibt es doch etwas, was du für mich tun kannst.« »Tatsächlich? Du brauchst meine Hilfe?« Man nahm ein leichtes Schniefen wahr, während sie sprach, und ich wusste, dass ich mich noch einmal gerade eben so vor der Katastrophe gerettet hatte. »Du kannst mir die Aufzeichnungen der Sicherheitskameras von Zellenblock F8 auf mein Holoboard rüberschicken«, beauftragte ich sie, »Im Speziellen die der letzten 72 Stunden aus Big Reds Zelle. Ich habe im Verdacht, dass er nur noch die Hälfte seiner Nahrungsportionen zu sich nimmt, weil er bemerkt hat, dass wir Beruhigungsmittel untermischen.« Ihre Augen weiteten sich. »Mache ich sofort! Aber... so schlau ist dein Ilexx? Das hat vorher noch keiner von denen bemerkt!« »Schlau oder eben einfach nur ein misstrauisches Aas«, brummte ich, meinen Blick dabei schon wieder halb im Text vor mir versenkt, »Wenn du mich dann bitte alleine lassen könntest....« »Aber natürlich!«, sie war sofort auf den Beinen, »Ich tue alles, solange es nur hilfreich ist!« Vollkommen in ihrem Element zog sie ab und hinterließ dabei den Geruch von kaltem Rauch. Ich rümpfte nur die Nase und schimpfte in Gedanken über denjenigen, der veranlasst hatte, dass die Nahrungszubereiter auch Zigaretten herstellten. Jedoch hatte mich Prof. Rayleighs Forschungsdokument schnell wieder in seinen Bann gezogen und der Ärger war vergessen. Seit fast zwei Wochen durchforstete ich es nun schon immer und immer wieder nach Anhaltspunkten über den Verbleib des Professors, doch viel hatte ich nicht herausgefunden. Selbst, nachdem ich mir mit Monets Hilfe unerlaubten Zugang zu alten Logbüchern des Militärs verschafft hatte, war ich nicht schlauer. Fest stand nur so viel: Professor Silvers Rayleigh hatte ganz zu Beginn des Entstehens der Forschungsstation freundschaftliche Beziehungen zu dem Ilexx-Stamm aufgebaut, der nur wenige hundert Kilometer von hier entfernt an den Rändern der Vulkangebiete lebte. Genauer gesagt – mehr als nur freundschaftliche Beziehungen zu dem Alpha-Weibchen namens Shakuyak. Neben vielen anatomischen Beschreibungen der Ilexx und einigen interessanten Erkenntnissen über ihre Lebensweisen fanden sich in dem Dokument jedoch auch kleine, versteckte Nebensächlichkeiten, die mir wichtig erschienen. Dass der damals hier befehligende Kommandant Rayleigh ständig einzureden versucht hatte, dass man den Ilexx nicht trauen könne, beispielsweise. Oder dass der Professor und Shakuyak tatsächlich über Familienplanung nachgedacht hatten, insofern das denn möglich war. Der letzte Eintrag endete mit Aussicht darauf, dass in wenigen Stunden der Ilexx-Stamm und die Menschen der Forschungsstation aufeinander treffen sollten, um ein friedliches Miteinander zu vereinbaren. Es hatte Pläne gegeben, Handel miteinander zu treiben, den Ilexx Zugang zum Gebäude zu gewähren, die Menschen auf ihren Feldforschungen durch die Ebenen Punk Hazards zu eskortieren. Doch dass alles ein böses Ende genommen hatte, zeigte schon die Situation, in der wir uns gegenwärtig befanden. Irgendetwas war schief gelaufen und es war zu Auseinandersetzungen mit Waffengewalt gekommen. So viel wusste ich aus dem Militärslog. Der genaue Tathergang war nicht aufgezeichnet. Weshalb völlig unklar war, ob nun die Menschen oder die Ilexx Schuld am Scheitern der Verhandlungen gewesen waren. Ungelöst blieb auch das Rätsel um das Verschwinden Prof. Rayleighs, da ich dazu nirgends Details fand. Interessant war allerdings die Tatsache, dass es zumindest jetzt nach 25 Jahren auch Alpha Shakuyak nicht mehr gab. Gegenwärtig bekleidete dieses Amt eben jener Ilexx, dem ich die schmerzhaften Narbenmale auf meinem Handrücken zu verdanken hatte. Eine Information, die ich ihm auch nur mit dem immens nervenaufreibenden Spiel aus Beharrlichkeit und Nachsicht entlockt hatte, denn er war schwierig. In einem Moment konnte ich noch völlig normal mit ihm reden, im nächsten hatte ich ihn auch schon wieder mit irgendeiner unbedarften Kleinigkeit erzürnt, so dass er mir jegliche weitere Auskunft verweigerte. Mein Ilexx-Gift hatte ich außerdem immer noch nicht bekommen. Langsam aber sicher stellte Big Red meine Geduld auf die Zerreißprobe. Mit einem Seufzen lehnte ich mich in meinem Stuhl zurück, schloss die Augen und massierte kurz mit einer Hand meine Nasenwurzel. Vom ständigen Durchlesen schlichen sich auch keine neuen Worte in Prof. Rayleighs Forschungsdokument ein. Ich war mit meinem Latein am Ende und hatte dabei noch nicht einmal eine herausragende Entdeckung gemacht. Alles, was mir nun noch weiterhelfen konnte, waren die spärlich zu Tage geförderten Informationen, die mir ein jähzorniger Ilexx gab, wenn er denn gerade Lust dazu hatte. »Sie haben eine neue Nachricht erhalten.« Auf die kalte Frauenstimme meines Holoboards hin öffnete ich die Augen wieder und kratzte dann erst einmal die letzten Reste Fisch von meinem Teller, um sie genüsslich zu verspeisen. Danach wischte ich mir den Mund an der beiliegenden Celluloseserviette ab, um anschließend durch die vielen offenen Tabs meines Holoboards zu scrollen, bis ich das Mailprogramm erwischte. Tatsächlich war die neue Nachricht mit dem Absender »Baby 5« gekennzeichnet. Eines musste man dieser Frau lassen: Sie war pflichtbewusst für drei. Und weil mir mit vollem Magen noch nicht ganz der Sinn nach Arbeit stand, öffnete ich die Mail sogar und wählte gleich den Anhang aus, ohne zu lesen, was Baby 5 geschrieben hatte. Ich kannte sie gut genug, um zu wissen, dass es nur ein Block aus höflichen Floskeln war. Die Videos der Überwachungskamera öffneten sich eines nach dem anderen und ich konnte nun aus der obersten Ecke der Zelle heraus beobachten, was Big Red in meiner Abwesenheit trieb. Die meiste Zeit schien er allerdings mit Schlafen und Nachdenken zu verbringen, weshalb ich diese Abschnitte großzügig übersprang. Kurz besah ich mir die wenigen Sequenzen, in denen ich die Zelle betrat und mit dem Ilexx sprach. Zwar gab es keine Tonaufzeichnungen, doch ein jeder würde wohl an den Lippenbewegungen erkennen können, dass Big Red nicht einfach nur willkürliche Laute von sich gab, sondern ein Gespräch mit mir führte. Fast kam ich mir ein wenig ertappt vor. Wenn da nicht die Tatsache gewesen wäre, dass sich für gewöhnlich niemand ohne Grund die Überwachungsvideos ansah. Weswegen ich unbeirrt weiter vorspulte und dann an der Stelle hängen blieb, die ich eigentlich untersuchen wollte. Soeben hatte man durch eine außen angebrachte Klappe eine große Portion gebratenes Fleisch auf das kleine Tischchen in Big Reds Zelle gestellt. Zunächst ignorierte der Ilexx das völlig und blieb weiter die Wand anstarrend auf seinem Bett liegen. Nach zehn Minuten allerdings schien er dem Geruch nicht mehr widerstehen zu können, erhob sich und machte sich über sein Essen her. Zumindest über einen großen Teil davon. Den auf dem Teller verbliebenen Rest zerteilte er tatsächlich in kleine Stücke, die er dann in der Zellentoilette entsorgte. Danach stellte er den leeren Teller zurück auf den Tisch und warf sich wieder auf sein Bett. »Was bist du nur für ein gerissenes Miststück«, knurrte ich leise und spulte noch weiter vor, »Ich weiß zwar nicht, was du vorhast, aber.... Ah.« Die Antwort bekam ich nur wenige Sequenzen später. Kaum waren in dem Video drei Stunden vergangen, schien Big Red den größten Teil der Wirkung des Beruhigungsmittels ausgeschlafen zu haben und begann, sich an den Fesselringen um seine Beine zu schaffen zu machen. Dadurch, dass er weniger präpariertes Essen zu sich nahm, wollte er wohl das Zeitfenster vergrößern, in welchem es ihm möglich war, an seiner Freiheit zu arbeiten. Mit einem schiefen Lächeln schloss ich die Videodateien wieder. Wenigstens wusste ich nun, welche seiner Fesseln diesmal defekt sein würden. Vielleicht sollte ich mir die Sicherheitsaufzeichnungen demnächst öfter ansehen. Es war immerhin eine Art Spiel zwischen uns beiden geworden, dass er die Ringe sabotierte und ich sie daraufhin erneuern ließ. Nicht ganz ungefährlich zwar, da ich bei nicht vollständig gewährleisteter Sicherheit die Zelle betrat, doch zu meinem Schutz hatte ich mir angewöhnt, einen Taser mit mir zu führen. Nachdem ich Big Red damit ein erinnerungswürdiges Mal in die Schranken gewiesen hatte, überlegte er es sich grundsätzlich zweimal, ob er versuchte, mir den Arm abzureißen. Überhaupt hatten wir uns mehr oder weniger zusammengerauft und ich konnte ihn wenigstens dazu bewegen, dass er mir über sich und seine Rasse erzählte. Im Austausch dafür bekam er das Privileg, während meiner Befragungen auf der Bettkante sitzen zu dürfen. Jedoch machte ich mir keine Illusionen – er war nicht zahm geworden. Es war Vernunft gepaart mit Gerissenheit, die ihn so handeln ließ. Erlaubte ich mir in seiner Gegenwart auch nur einen Fehler, wäre ich auf der Stelle tot. Was mich aber keineswegs abschreckte. Im Gegenteil: Die Gefahr, die von ihm ausging, war nur ein Grund mehr, ihn umso genauer erforschen zu wollen. Was ich nun auch tun würde. Das übliche gleichgültige Gesicht aufgesetzt erhob ich mich vom Tisch, klemmte mir mein Holoboard unter den Arm und brachte dann das benutzte Geschirr samt Tablett zu der Maschine, die sich um die Reinigung kümmerte. Danach brach ich postwendend ins Untergeschoss auf.   Als ich Big Reds Zelle betrat, empfing mich die wohlbekannte Hitze, die der Ilexx zum Überleben brauchte. Das und eine schnarrende Stimme. »Du stinkst! Hast du wieder diesen Kaffee getrunken?!« Mies gelaunt funkelte mich Big Red an. Er mochte den Geruch von Kaffee nicht, hatte aber eine sehr feine Nase und mit seiner Annahme völlig recht: Auf dem Weg hierher hatte ich mir tatsächlich einen Becher genehmigt. »Habe ich«, antwortete ich wahrheitsgemäß und nahm mir den einzelnen Stuhl, um ihn dem Bett gegenüber aufzustellen und mich halb auf die Lehne zu setzen, »Und was hast du gemacht? Hier liegen ja überall Federn.« Ich nickte auf den Boden hinab. Tatsächlich sah es aus, als hätte Big Red sich entweder einen Todeskampf geliefert oder einfach Spaß daran gehabt, sich die Federn auszureißen. Da ich allerdings beides für unwahrscheinlich hielt, musste es eine andere Erklärung dafür geben. »Tch«, ich bekam einzig einen abfälligen Blick zu spüren, »Du schimpfst dich Forscher und dann weißt du nicht einmal über den natürlichen Ablauf der Dinge Bescheid? Du enttäuschst mich, kleiner Scheißer.« Ich zuckte nicht einmal mit der Wimper, während mein Gehirn auch schon die Lösung ausspuckte. »Du bist also in der Mauser. Darf ich jetzt auf noch mehr schlechte Laune von dir hoffen?« Eine schneidende Stille folgte. Auch gut. Keine Antwort war auch eine Antwort. Die heutige Befragung würde wohl zu meinem Leidwesen wieder eine kurze werden. »Scheinbar ja«, beantwortete ich mir mit einem Murmeln meine Frage und hatte dabei meinen Blick auf das Holoboard gesenkt. Ich durchsuchte die Videodateien nach der richtigen Stelle. Kaum hatte ich sie gefunden, hielt ich Big Red den Bildschirm unter die Nase. Er sollte ruhig sehen, dass ich wusste, was er hier in meiner Abwesenheit trieb. Während das Video lief, beobachtete ich aufmerksam seine Gesichtszüge. Zunächst blieben sie hart und unverändert, nach einer Weile allerdings verfinsterten sie sich zusätzlich und er hob seinen Kopf, um mich direkt anzufunkeln. »Was soll das?«, brummte er. »Erklär du es mir.« Keine Sekunde wandte ich die Augen von den seinen ab, während ich das Holoboard wieder an mich nahm. Das war eine Auseinandersetzung, die ganz sicher nicht ich verlieren würde. »Euer Fraß macht mich schwach«, kam die simple Erklärung, »Umso weniger ich davon zu mir nehme, desto besser.« Unser Blickkontakt brach nicht ab. Eis und Feuer lieferten sich weiterhin einen stummen Kampf, wobei ich es allerdings nicht für nötig hielt, ihm auf die Nase zu binden, dass es Sinn und Zweck der Beruhigungsmittel war, dass er sich schwach fühlte. Stattdessen erwiderte ich: »Damit du weiter unsere Technologie sabotieren kannst, nicht wahr?« »Du bist doch nur wütend, weil ihr mich nicht daran hindern könnt.« Das boshafte Grinsen war auf Big Reds Gesicht zurückgekehrt und ich spürte zornige Wärme in meine Wangen kriechen. Erstens, weil er Recht hatte, und zweitens, weil mir die großspurigen Sprüche ausgingen. Da ich mich aber selten zu Gefühlsausbrüchen hinreißen ließ, wandte ich nur ruckartig und ohne einen weiteren Kommentar den Kopf ab. Es hatte keinen Sinn, sich über diese Sache aufzuregen. Zumal sie Big Red auf eine hämische Weise fröhlich stimmte. Vielleicht ließ sich heute ja doch mit ihm reden, nachdem ich ihm einen kleinen Triumph gegönnt hatte. »Erzähl mir mehr von deiner Position als Alpha«, wechselte ich abrupt das Thema, meine Nase schon wieder hinter dem Holoboard versenkt, »Wer hat dich in dieses Amt behoben? Musstest du darum mit anderen Anwärtern kämpfen?« Big Red schnaubte belustigt. »Ist das dein Ernst? Wie wählt ihr denn eure Anführer aus? Schmeißt ihr etwa alle Kandidaten in einen Ring, damit sie sich die Köpfe einschlagen, bis einer übrig bleibt? Nein. Wenn ein Ilexx beschließt, dass er einem anderen zur Jagd folgt, ordnet er sich ihm automatisch unter. Wem jeder blind in den Tod folgen würde, ist der Alpha. Zufrieden?« »Und es gibt keine Streitigkeiten, was diese Rangordnung betrifft?« »Selten«, gab er zu, »Man ist aber gut beraten, sie rasch und unter sich zu klären. Auf einer Jagd hängt unser aller Leben von der Rangordnung ab. Wenn bekannt wird, dass sich ein oder mehrere Jäger ihrer Position nicht bewusst sind, werden sie von der Jagd ausgeschlossen, bis sämtliche Unklarheiten beseitigt sind.« Sieh einer an, kam es mir in den Sinn, während ich die Informationen niederschrieb, um die mich ein jeder Kulturforscher beneidet hätte, Eine Rasse, die aufgrund von rauen Lebensbedingungen den Zusammenhalt sucht. Ob wir Menschen das auch tun würden? »Ein Alpha wird also nur dann abgelöst, wenn er in einem anderen Ilexx bessere Führungsqualitäten sieht als er selber besitzt. Habe ich das richtig verstanden?« »So in etwa«, brummte Big Red. Seine Schwanzspitze zuckte angespannt und in mir kam der Verdacht auf, dass er etwas verschwieg. Es schadete also nicht, ihm noch ein wenig mehr auf den Zahn zu fühlen. »Was passiert, wenn sich der Alpha als unwürdig erweist?« »Unwürdig?!« »Den Stamm wissentlich in eine katastrophale Lage bringt, zum Beispiel«, zog ich mich rasch aus der Affäre. Es wäre unklug, wenn Big Red den falschen Eindruck bekam, ich könne auf ihn persönlich anspielen. »Oder sich einem Ilexx unterordnet, den nur er als würdig ansieht und sonst keiner«, fuhr ich fort, »Oder seine Führungsposition ausn....« »So etwas passiert nicht!« Das war eindeutig. Eindeutig, dass ich einen empfindlichen Nerv getroffen hatte. Womit genau, wusste ich allerdings nicht zu sagen. Weiter nachhaken traute ich mich aber auch nicht, da Big Reds gute Laune und damit meine Möglichkeit, an weitere Informationen zu kommen, auf dem Spiel stand. »Schon verstanden«, beschwichtigte ich ihn deshalb, vermerkte mir in meinen Notizen allerdings, dass er mir mit Sicherheit nicht alles erzählt hatte, was er wusste. Das erkannte ich alleine daran schon, wie sehr sein locker gefesselter Schwanz hin und her schlug und sich die von der Mauser struppigen Federn in seinem Nacken sträubten. Irgendetwas an dieser Sache gab es, über das er lieber nicht sprach. Vielleicht wäre es nun klug, eine weniger heikle Frage zu stellen. »Gibt es eigentlich auch weibliche Alpha-Ilexx?« Ich warf ihm über das Holoboard hinweg einen abschätzenden Blick zu. Natürlich kannte ich die Antwort bereits, doch an das, worauf ich eigentlich hinaus wollte, tastete ich mich lieber langsam heran. »Wieso sollte es die nicht geben?« Irritiert und ein wenig herablassend sah er mich an. »Nicht jede Rasse empfindet es als natürlich, eine Frau an die Macht zu lassen«, erklärte ich daraufhin, stieß damit aber auf vehementes Unverständnis. »Macht?«, Big Red schnaubte einmal mehr, »Wer nur darauf aus ist, kann kein Alpha sein. Mein Amt bringt vor allem Verantwortung und wenig Vorteile mit sich. Aber wahrscheinlich versteht das ein Fusselkopf wie du nicht einmal.« Die Ilexx halten uns Menschen also für machtbesessen. Ob das einen Grund hat? Immer größer schien das Puzzle zu werden, das ich zu lösen versuchte; immer mehr Teile tauchten auf, doch die wichtigsten Verbindungsstücke fehlten nach wie vor. »Ich verstehe dich«, sagte ich ernst, da ich in dieser Hinsicht einer Meinung mit ihm war, »Ein Anführer sollte im Interesse aller handeln, nicht in seinem eigenen.« Der Grund, weshalb ich absolut ungeeignet dafür wäre. Auf meine Worte hin machte Big Red ein abfälliges Gesicht. Das Vorurteil schien tief zu sitzen und ich konnte ihm das nicht einmal verdenken – die meisten Menschen in Machtpositionen waren Egoisten. »Das ist aber eigentlich im Moment überhaupt nicht unser Gesprächsthema«, führte ich uns dorthin zurück, wo ich begonnen hatte, »Wir waren bei Alpha-Frauen stehen geblieben. Wie viele gab es davon in eurem Stamm bisher?« »Auch nicht mehr als Männer. Wieso interessiert dich das so?« »Genauer gesagt: Wann war die letzte in ihrem Amt?« Seine Augen verengten sich langsam zu Schlitzen. Begann er den Braten zu riechen? »War das vor 25 Jahren?« Diesmal sträubten sich auch die Federn auf seinen Schultern. Er wusste eindeutig, wen ich meinte. »Ein Alpha namens Shakuyak?« Er zuckte kurz zusammen, sah mich dann einen Moment lang hart an und sagte schließlich in gefährlich leisem Tonfall: »Ich weiß nicht, wovon du redest.« »Das glaube ich dir nicht.« Ich legte das Holoboard hinter mich auf die Sitzfläche des Stuhls, dann erwiderte ich seinen stechenden Blick. »Dein Pech!«, zischte er. »Nein. Ich muss das wissen. Verstehst du?« »Gar nichts musst du!« »Verdammt!«, jetzt hatte er mich doch so weit, dass ich die Beherrschung verlor und von der Stuhllehne aufstand, »Ich versuche herauszufinden, was mit Professor Rayleigh und Shakuyak geschehen ist, nachdem die Verhandlungen zwischen Menschen und Ilexx gescheitert sind!« »Interessiert mich einen Scheißdreck!« »Aber du weißt etwas darüber! Ich finde in unseren Datenbanken keine Aufzeichnungen dazu! Nichts! Warum erzählst du es mir nicht einfach?!« Verzweiflung sprach aus mir, weil ich nicht mehr weiter wusste und ich Big Red zu allem Überfluss nun auch noch meine Absichten verraten hatte. »Wir Ilexx sprechen nicht darüber!«, knurrte er und riss dabei an seinen Handschellen. Hätte er gekonnt, wäre er wohl handgreiflich geworden. Mich machte es nur wahnsinnig. »Jetzt hör endlich auf, so verflucht stur zu sein!«, schrie ich ihn an, »Ich brauche diese Informationen! Hörst du?! Ich....!« Während wir beide uns mit zornigen Blicken gegenseitig aufspießten, hatte sich die vorderste und längste von Big Reds Kopffedern gelockert. Jetzt verlor sie gänzlich ihren Halt und taumelte im Segelflug nach unten gen Boden. Ihr Anblick ließ mich augenblicklich verstummen und auch der Ilexx selbst hatte aufgehört, sich gegen seine Fesseln zu sträuben. Gemeinsam sahen wir zu, wie die Feder ihren luftigen Weg fortsetzte. Kurz bevor sie landete, bückte ich mich danach. Mit einer Wucht, die das Bett erschütterte, begrub ein schwerer, krallenbewehrter Fuß die Feder unter sich. Meinen Arm immer noch ausgestreckt blickte ich zu Big Red auf. Wütend blitzten mir die orangeroten Augen entgegen, während ich nur fragend eine Braue hob. »Was ist das für dich?«, grollte er, »Ein Andenken? Eines deiner... Forschungsobjekte?!« Das letzte Wort spie er aus wie etwas Ekelhaftes. Ich, der ich selbstverständlich kein Stück überrascht deswegen war, dass die Fußfessel ihn nicht ausreichend festgehalten hatte, erhob mich wieder und blickte gleichgültig zurück. Mein Zorn von gerade eben war genauso schnell verraucht wie er gekommen war und hatte der üblichen Kälte Platz gemacht. »Und wennschon«, antwortete ich, »Du würdest sie mir in keinem der beiden Fälle überlassen.« Ich wandte mich um und sammelte mein Holoboard auf. Diese Sitzung war beendet. Es musste schon ein Wunder geschehen, damit ich Big Red die fehlenden Informationen entlocken konnte. Bis dahin blieb mir immerhin noch der Kampf um eine ordentliche Probe Ilexx-Gift. »Du tust auch, als wüsstest du alles, oder?!« Bei dem erneuten Klang von Big Reds Stimme hielt ich im Gehen inne. »Sag nur nicht, du hättest mir die Feder als Andenken gegeben«, erwiderte ich, ohne mich umzudrehen. Für einen unendlich scheinenden Moment herrschte angespannte Stille in der Zelle. Fast glaubte ich, Big Red werde sich tatsächlich für ein »ja« entscheiden, nur um mir zu widersprechen. Doch ganz so einfach gestrickt war er dann auch wieder nicht. »Das wirst du nie wissen, du überheblicher, kleiner Scheißer! Hau ruhig wieder ab und lass mich weiter hier verrotten!« »Wie du willst.« Ohne ihn noch einmal anzusehen, verließ ich ihn. Ich wusste, wann eine Konversation ihren Sinn verlor, und hatte außerdem Wichtigeres zu tun, als mir von einem Ilexx Beleidigungen an den Kopf werfen zu lassen. Hinüber in den Terrarienraum ging ich, um mich bei der Beobachtung von einigen fluoreszierenden Spinnen wieder zu sammeln. Ihrem hypnotisierenden Gekrabbel zuzusehen, wirkte ungemein entspannend auf mich. Ich brauchte Big Reds Feder nicht. Er hatte keinen Grund, sich aufzuspielen oder sich besonders wichtig vorzukommen. Immerhin besaß ich bereits eine beachtliche Sammlung an unterschiedlichsten Ilexx-Federn. Die meisten davon hatte ich postmortal entnommen und früher oder später würde ich das auch mit den seinen tun. Er mochte ein Prachtexemplar sein, doch vor dem Tod waren wir alle gleich. Gedankenverloren strich ich über die tätowierten Buchstaben auf meinen Fingerrücken, zog Linie für Linie das Wort nach, welches sie bildeten. Nur ungern gab ich vor mir zu, dass es durchaus nett gewesen wäre, ein Andenken an Big Red zu besitzen, das er mir freiwillig überlassen hatte. Das war Gefühlsduselei, die ich mir nicht leisten konnte. Mit einem Seufzen trat ich von dem Spinnenterrarium weg. Ich brauchte Abwechslung. Irgendetwas, das ausnahmsweise nichts mit Forschung zu tun hatte. Vielleicht hatte Monet ja Lust auf eine Partie Laserschach. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)