Aliens von SimonStardust ================================================================================ Memory 1 -------- Das stete Summen von Stromaggregaten und die leisen Signaltöne, welche die Zentrifuge in regelmäßigen Abständen von sich gab, vermischten sich mit den wenigen Stimmen aus Nebenzimmern und Gängen und bildeten somit die mir vertraute Geräuschkulisse. Außer mir befand sich keine Menschenseele in Labor 5, doch ich wollte es nicht anders. Assistenten kosteten nur Zeit, Nerven und Geduld und das beste Arbeitsergebnis lieferte ich meist sowieso nur im Alleingang ab. Einzig das Sicherheitspersonal, das mir Tag für Tag seinen Routinebesuch abstattete, oder auch seltener Forschungsleiter Dr. Crown duldete ich in meinem Reich aus empfindlichsten Instrumenten und DNS-Proben. Nach sechs Jahren, die ich nun schon für die Smile-Corporation tätig war, stand mir der Luxus von ein wenig Einsamkeit aber auch zu, fand ich. Bewusst war mir dabei selbstverständlich, dass meine Forschungen ausschließlich der Waffenproduktion zugute kamen. Jedoch war das ein Umstand, wie er mir egaler gar nicht sein konnte. Neben einem nicht gerade schlecht bemessenen Gehalt, kostenloser Unterkunft und Verpflegung lockte dieser Job nämlich mit der Arbeit an fremden Lebensformen. Die Bereitwilligkeit, mit der ich damals mein sicheres Zuhause für eben jene Arbeit und das damit verbundene Leben auf einem kargen Planeten aufgegeben hatte, war bei vielen meiner Bekannten Auslöser für Unverständnis gewesen. Was mich aber ebenfalls nicht weiter gestört hatte. Es entlockte mir sogar ein eiskaltes Lächeln, wenn ich daran zurückdachte, wie sehr Shachi gejammert hatte, ich könne ihn und Pengu doch nicht einfach an der Universität zurücklassen und Aliens jagen gehen. Unbezahlbar ihre Gesichter, als sie gesehen hatten, dass ich es sehr wohl konnte. Ich war keine umgängliche oder gar besonders mitfühlende Person. Wissen war alles, was ich wollte. Solange ich an Informationen und Fakten kam, die ich niederschreiben, katalogisieren und analysieren konnte, bedeutete mir ein Leben nicht viel. Keinen Deut besser machte es die Tatsache, dass ich ganz genau wusste, was für ein Arschloch ich doch war, und auch das nur mit einem Schulterzucken abtat. Jeder hatte immerhin seine Probleme und musste alleine zusehen, wie er damit fertig wurde. So auch ich, der ich gerade unter dem Plasmamikroskop beobachtete, was unterschiedlich hohe Dosen Ilexx-Gift mit den Blutzellen eines Gauoron anstellten. Die genügsamen Riesen waren mit Abstand die größten Lebewesen auf Punk Hazard und ernährten sich ausschließlich von einer speziellen Pflanzenart, die als Felsblöcke getarnt die unwirtlich eisigen Ebenen der sonnenabgewandten Seite des Planeten besiedelte. Die Regenerationskräfte der Gauoron waren enorm und das einzige, was sie innerhalb weniger Minuten zu Fall brachte, war das Gift der Ilexx. Es verursachte nicht nur vorübergehende Lähmungen, sondern zerstörte auch mehrere Gerinnungsfaktoren im Blut, wie ich aus erster Hand wusste. Schon mehrere Ilexx-Bisse hatte ich während meines Aufenthalts hier behandelt, mir einen eher oberflächlichen sogar selber zugezogen. Deswegen hatte ich eine sehr genaue Vorstellung davon, womit ich es zu tun hatte. Nicht jedoch begriff ich, warum das Gift selbst in geringen Mengen auf die Gauoron um so vieles fataler wirkte und sogar ihre Zellwände zerstörte. Möglicherweise ist es ja nur ein einzelner Bestandteil, der diese Reaktionen hervorruft. Es könnte aber auch eben diese exakte Mischung sein. Ich seufzte kaum hörbar, dann gab ich es auf, zuzusehen, wie der Giftcocktail die verschiedenen Blutkörperchen in eine undefinierbare Masse verwandelte. Sicher war ich mir, dass des Rätsels Lösung in der blaugrünen Farbe des Gauoron-Bluts zu finden war, doch noch fehlte mir der Beweis. Ein rascher Blick auf die Uhr sagte mir, dass es halb elf Uhr morgens war – nach Erdzeitrechnung zumindest. Hier auf Punk Hazard gab es keine Tageszeiten. Zur Wahl standen nur eine von fortwährender Nacht bedeckte Eiswüste und eine zerklüftete Vulkanlandschaft, auf die unerbittlich die Sonne herab brannte. Das Forschungslabor der Smile-Corporation befand sich irgendwo auf dem schmalen Landstrich zwischen beiden Gebieten und um meinem Gehirn vorzugaukeln, dass es sich bei der dauerhaften Dämmerung draußen eigentlich um einen produktiven Vormittag handelte, musste ich schwere Geschütze auffahren. »NutritionX7.0, Betriebsmodus«, auf den Klang meiner Stimme reagierte die große, kantige Maschine in der hintersten Ecke des Labors mit einem aufmerksamen Piepsen, »Programm C.O.F.E. ausführen.« Einen kurzen Moment dauerte es, während dem ich noch eine Notiz auf meinem Holoboard machte, dann ertönte unter geschäftigem Lämpchengeblinke eine künstliche Frauenstimme. »Programm C.O.F.E. wird ausgeführt.« »Na, wenigstens etwas«, murmelte ich, während ich mich nicht weiter um das unweigerlich folgende Geblubber der Maschine kümmerte und meinen Mundschutz ablegte. Mein nüchterner Blick wanderte über das Plasmamikroskop hinweg zu säuberlich verkorkten Reagenzgläsern, Objektträgern in durchnummerierten Boxen, mehreren Pipetten und Skalpellen, dem sorgfältig sezierten Leichnam eines Schneespringers und blieb schließlich am Tagesplaner-Bildschirm hängen. Wie von selbst streckte ich meine Hand danach aus und ließ einen behandschuhten Finger über die Zeile gleiten, die den nächsten Pflichtpunkt im Programm ankündete.   11:00 Uhr: »Big Red« - Euthanasie   Mit einem angedeuteten Kopfschütteln ließ ich die Hand wieder sinken und wandte den Blick ab. Jedes Forschungsobjekt, dessen Intelligenz einen gewissen Grad überstieg, wurde aus Sicherheitsgründen nach zwei Monaten beseitigt. Selbstverständlich war ich mir dieser Regel bewusst. Ebenso, wie mir klar war, dass weder Dr. Crown noch Kommandant Vergo von der Sicherheitsabteilung eine zweite Verlängerung im Falle von Big Red gestatten würden. Einen ausgewachsenen Ilexx-Krieger vier Monate in unserer Einrichtung festzuhalten, grenze an Irrsinn, so hatte man mich zurechtgewiesen. Und jegliche Versuche, meine Vorgesetzten davon zu überzeugen, dass Big Red nicht einfach nur irgendein Ilexx war, sondern etwas Besonderes, das ich dringend genauer erforschen musste, hatten keine Früchte getragen. Der Gedanke daran, dass ich ihn heute verlieren würde, erfüllte mich mit der Trauer eines Kindes, dem man sein Lieblingsspielzeug wegnahm, weil es zu alt dafür geworden war. Ändern jedoch konnte ich nichts an den Gesetzen, die hier vorherrschten. Mir blieb einzig die Aussicht darauf, dass mir der im Kryogenlabor eingefrorene Leichnam noch für wenigstens ein paar Experimente von Nutzen sein würde. Routiniert verdunkelte ich den Tagesplaner, dann ging ich hinüber zu NutritionX7.0, der immer noch fleißig vor sich hin brodelte. Durch die bläulich getönte Schutzscheibe hindurch konnte ich zusehen, wie ausgesuchte Substanzen sich zu einer dunklen, dampfenden Flüssigkeit vermengten. Anschließend ergoss diese sich in einen bereitstehenden Metallbecher. Ein vielversprechendes Leuchtsignal blitzte auf und die künstliche Frauenstimme verkündete: »Programm C.O.F.E. abgeschlossen. Bitte entnehmen Sie das Produkt.« Die Schutzscheibe tat sich nach unten hin auf und ermöglichte es mir somit, des Bechers habhaft zu werden. Er war angenehm warm in meinen Händen – weder zu heiß noch zu kalt – und verströmte das künstlich zugesetzte Aroma von frisch aufgebrühtem Kaffee. Dass es sich bei dieser Flüssigkeit allerdings höchstens auf chemischer Ebene um Kaffee handelte, wurde einem schnell klar, wenn man einen Schluck davon nahm. Es fehlte das gewisse Etwas und man schmeckte, dass sie aus dem Nahrungszubereiter stammte. Jedoch gewohnte man sich schnell daran. Das gesamte Essen der Forschungsstation wurde immerhin auf diese Weise hergestellt. Mit der Absicht, eine kurze Pause einzulegen, trat ich nun mit meinem Becher in der Hand ans Laborfenster und starrte in die Dämmerung hinaus. Der Kaffee zerging bitter auf meiner Zunge, während draußen kleine, rote Lichter einsam über die trostlosen Ebenen schwebten. Es war ein noch ungeklärtes Phänomen, das bevorzugt dann auftrat, wenn die Gauoron ihre langen Wanderungen in die Brunftgebiete unternahmen. Eine weit verbreitete, aber noch nicht bestätigte Annahme hier in der Station war, dass das Leben auf Punk Hazard sich eben nach jenen Lichtern richtete. Ob dies nun der Wahrheit entsprach, sei dahingestellt, eines aber wusste ich genau: Das letzte Mal, als ich die Lichter gesehen hatte, war vor vier Monaten gewesen. Damals an jenem Tag. Genau so wie jetzt war ich mit meinem Kaffee am Fenster gestanden und hatte mich in meinen Gedanken verloren.... … .. .   Gemächlich trank ich den Becher leer. Ich hatte heute nicht viel zu tun und die Zentrifuge, die ich gerade eben eingeschaltet hatte, würde noch einige Zeit brauchen, bis sie mit dem ersten Durchlauf fertig war. Wirklich beeilen musste ich mich daher nicht, wieder an die Arbeit zu kommen. Lieber blieb ich noch eine Weile stehen und starrte die grauen Aschewolken an, die von der Sonnenseite Punk Hazards heraufzogen. Fast war mir nach einem zweiten Kaffee. Wozu es aber nie kam. Schreck durchzuckte meine Glieder, als zunächst ein schrilles Warnsignal aus den Lautsprechern im Labor ertönte und danach eine verzerrte Stimme mit militärischer Strenge verkündete: »Achtung! Achtung! An alle Einheiten! Gate B wurde zerstört! Feindliche Ilexx befinden sich in der Einrichtung! Benötigen dringende Unterstützung bei der Verteidigung des Hangars! Ich wiederhole! Gate B wurde zerstört! Forschungspersonal wird gebeten, sich unverzüglich in Sicherheit zu begeben! Verhalten Sie sich ruhig und erwarten Sie weitere Anweisungen! Over!« Ein letztes Knacksen aus dem Lautsprecher, danach Stille. Ich seufzte auf und entspannte mich wieder. Ilexx-Angriffe waren nichts Ungewöhnliches und trotz der Ernsthaftigkeit, mit der sie das Militär handhabte, kein Grund für mich, mir Sorgen zu machen. Zwar war mir bewusst, dass in gerade diesem Moment, in dem ich meinen Kaffeebecher zurück in den Nahrungszubereiter stellte, irgendjemand seinen Kopf für mich hinhielt, doch selber Schuld waren sie – all jene, die sich eine ruhmreiche Karriere als Soldat ausmalten. Definitiv kein Grund für mich, ein schlechtes Gewissen zu entwickeln, nur weil wir Forscher der Grund waren, weshalb Kommandant Vergos Rekruten überhaupt hier auf Punk Hazard für unser aller Überleben kämpften. Wenn nicht dieser Planet, dann wäre es sicher ein anderer gewesen. Der Tod wartete nun einmal überall auf uns. Die einen traf er früher, die anderen später. Wenig berührt wandte ich mich nun also wieder der Zentrifuge zu. Wenn nicht einmal Kampfgeräusche bis zu mir heraufdrangen, konnte ich getrost mit meiner Arbeit fortfahren. Während meiner Zeit hier hatte ich wahrlich schon Schlimmeres erlebt. Allem voran die Explosion im Nachbartrakt vor zwei Jahren, die etliches Personal in den Tod gerissen hatte. Noch 20 Minuten verblieben, bis ich meine in grobe Bestandteile zerlegten Proben Ilexx-Gift entnehmen konnte. Zu meinem Leidwesen waren es die letzten aus meinem persönlichen Vorrat und das Einfrieren hatte einen Teil der Moleküle unwiderruflich zerstört. Für meine Notizen als Arzt war es natürlich von Vorteil, zu wissen, dass man Ilexx-Gift mit extremer Kälte abschwächen konnte, doch um weiter an den Bestandteilen zu forschen, hätte ich lieber auf frische Proben zurückgegriffen. Leider aber war es bereits ein halbes Jahr her, dass ich einen Ilexx unter meiner Aufsicht hatte und meine Kollegen waren ähnlich Besitz ergreifend wie ich, was ihre Forschungsobjekte anbelangte. Nach einem Reagenzglas voll Ilexx-Gift zu fragen, hätte nur für Lacher gesorgt. Kam es doch der Frage gleich, ob jemand Goldbarren zu verschenken hätte. Ich musste also mit dem arbeiten, was ich hatte. Vielleicht ließ sich die Formel für einen hochwirksamen Blutverdünner ja gerade in den verbliebenen Bestandteilen des Giftes finden. Wobei ich nebenher natürlich nicht meine eigentliche Aufgabe hier vergessen durfte: Ein Gegengift entwickeln, welches prophylaktisch gespritzt werden konnte, bevor man sich in die von Ilexx bewohnten Vulkangebiete begab. Bisher war ich bereits zweimal daran gescheitert und hatte dabei einen der Testkandidaten beinahe umgebracht. Da in der Wissenschaft auch ein Misserfolg als Erfolg galt, kam ein Aufgeben jedoch nicht in Frage. Zu Gunsten der Forschung waren hier nicht wenige bereit, über Leichen zu gehen. Allen voran Dr. Crown selbst. Wenn man vom Teufel spricht.... Ich erkannte die hastigen Schritte, noch ehe die Tür ohne ein Klopfen aufgerissen wurde. Trotzdem zuckte ich kurz zusammen, als die schrille Stimme unseres Forschungsleiters ertönte. »Law! Fleißig wie eh und je, wie ich sehe!« Ich runzelte leicht die Stirn. Aus irgendeinem unbekannten Grund mochte ich es nicht, wenn Dr. Crown mich mit meinem Vornamen ansprach. Ihn darauf hinzuweisen war jedoch zwecklos. Stattdessen erwiderte ich ihm den Gefallen. »Du wirst nicht hierher gekommen sein, um mich auf das Offensichtliche hinzuweisen, oder?«, entgegnete ich kalt und fuhr fort, Stichpunkte auf mein Holoboard niederzuschreiben, »Also, was willst du hier, Caesar?« »Shuorororo!«, Dr. Crowns dämliche Lache erklang dicht hinter mir, »So direkt! Aber was erwarte ich von dir auch anderes?!« Den Mund zu einem schmalen Strich verzogen drehte ich mich endlich um. Ein breites, fast schon irres Grinsen erwartete mich und bei dem Anblick von wirrem, halblangem Haar, Gamshornimplantaten und fast weißer Haut kam mir nicht das erste Mal der Gedanke, dass Dr. Crown wie frisch aus der Nervenheilanstalt entflohen aussah. »Ich hab keine Zeit für Geplänkel«, stellte ich klar, »Außerdem wird unsere Einrichtung gegenwärtig von Ilexx attackiert. Ich denke nicht, dass....« »Shuorororororo! Aber genau darum geht es doch! Warst du es nicht, der das Vorrecht auf den nächsten gefangenen Ilexx beantragt hat?!« Sein Grinsen wurde immer manischer und ich verstummte. Er konnte doch nicht meinen, was ich glaubte, dass er meinte? »Was würdest du also sagen, wenn ich dir erzählte, dass wir einen gefangenen Ilexx unten im Hangar haben?!« »Haben wir?!« Für einen kurzen Moment stand mir Überraschung quer übers Gesicht geschrieben. Normalerweise schafften es die Soldaten nicht, Gefangene zu nehmen, wenn die Einrichtung direkt angegriffen wurde. »Einen richtig großen noch dazu, shuororororo!«, kicherte Dr. Crown. Das reichte aus, damit ich mich in Bewegung setzte und das Labor mit wenigen Schritten durchquerte. Es war mir ganz gleich, dass es noch keine Entwarnung gegeben hatte – ich musste mir meinen neuen Ilexx ansehen! »Shuorororororo! Das ist Dr. Law Trafalgar, wie ich ihn kenne!« Haltlos gackernd eilte Caesar mir hinterher, wie ich zügig durch die kalten, grauen Gänge schritt. Was mich dabei mehr antrieb – Ehrgeiz oder Neugierde – wusste ich gar nicht zu sagen. Sicher war nur, dass ich mir nichts von alledem anmerken ließ. Eine steinharte, verbissene Maske war alles, was ich zur Schau trug. Umso näher wir nun dem Hangar für Bodenfahrzeuge kamen, desto deutlicher war langsam abklingender Kampfeslärm zu vernehmen. Die meisten Ilexx waren mit Sicherheit bereits tot oder geflohen. Warum sie uns mit ihren nur wenige Mann starken Jagdpatrouillen überhaupt anzugreifen wagten, war nur eines der vielen Mysterien, die es auf Punk Hazard zu klären gab. »Halt! Dr. Trafalgar! Sie können hier nicht durch...!« »Erzählt mir nicht, was ich kann und was nicht!« Vollkommen unbeeindruckt zwängte ich mich an den uniformierten Gestalten vorbei, die mir den Weg hinaus auf den stählernen Galeriegang des Hangars versperren wollten. »Aber da draußen finden noch Kämpfe statt!« »Ich bin in Begleitung von Dr. Crown! Das geht in Ordnung!« Wie zur Bestätigung packte ich Caesar am Handgelenk und zog ihn einfach mit mir. In Fällen wie diesem musste man opportunistisch werden und zur nächstbesten Eintrittskarte greifen. Die beiden Soldaten ließen sich aber nicht so leicht abschütteln. »Bis zur Entwarnung hat das Forschungspersonal keine Befugnis, den Hangar zu betreten!« Das war der erste, der neben mir auftauchte, während ich meinen Weg zielstrebig fortsetzte. »Es ist zu gefährlich!« Das war der andere. »Mir egal«, widersprach ich ihnen mit ruhiger Stimme. Ich wusste, worauf ich mich einließ. Wenn die beiden nicht begriffen, dass der Tod zu jeder Zeit in jedem Winkel lauern konnte und nicht nur, während Aliens über unsere Forschungsstation herfielen, waren sie die Leichtsinnigen und nicht ich. Allzu dumm schienen sie dann aber doch nicht zu sein, da sie relativ schnell einsahen, dass ich mich nicht aufhalten ließ. Stattdessen begnügten sie sich damit, Dr. Crown und mich hinaus auf den Galeriegang zu eskortieren. Dort angekommen ließ ich sofort Caesars Handgelenk los und stürzte vor zur Brüstung. Das Schauspiel, das sich mir unten zwischen Gelände-Speedern und Transportmaschinen bot, war bei weitem nicht so dramatisch wie die beiden Soldaten mir hatten weismachen wollen. Gate B sah zwar stark zerfetzt aus, doch dabei handelte es sich auch schon um den schlimmsten hinterlassenen Schaden. Wenige verletzte Soldaten wurden gerade vom mit Blut besprengten Schlachtfeld getragen, vereinzelt konnte ich tote Ilexx ausmachen. Sie würden eingefroren im Kryogenlabor schon bald Teil unserer Forschungen werden. Tatsächlich war das einzige, was sich noch halbwegs als Kampf bezeichnen ließ, ein halb in einem Plasmanetz verwickelter Ilexx, der trotz seiner misslichen Lage aggressiven Widerstand bot. Es schien ganz so, als wolle er sich einen Weg zum Treppenaufgang bahnen, wurde aber von acht Soldaten in Schach gehalten. Und das war auch bitter nötig, denn dieser Ilexx war riesig! Er überragte seine gefallenen Artgenossen um geschätzte ganze zwei Köpfe und war immer noch dazu fähig, seinen langen, kräftigen Schwanz mit einem Peitschenknall zwischen seine Gegner zu treiben. Mit gebrochenen Beinen ging einer der Soldaten zu Boden und ich sog scharf Luft ein. Ich hatte schon oft Ilexx kämpfen gesehen, doch nicht mit dieser Entschlossenheit. »Ich habe nicht zu viel versprochen, shuorororororo~ nicht wahr, Law?« Caesar lehnte feixend neben mir an der Brüstung und betrachtete das Spektakel von oben herab wie einen spannenden Film. »Nein. Du hast gelogen«, ich verschränkte lässig die Arme vor der Brust und versuchte nicht allzu beeindruckt zu wirken, »Er ist noch nicht einmal betäubt. Sie werden ihn erschießen müssen, wenn wir noch länger warten.« Der Ilexx zertrümmerte mit seinem nächsten Schlag den schützenden Helm einer weiteren Einheit, die daraufhin taumelnd von dannen stolperte und sich den Kopf hielt. Von Glück war zu reden, dass dieser überhaupt noch dran war. »Shuorororo~ und hier irrst du, Law«, kicherte Dr. Crown, »Dieser Ilexx dort unten wurde bereits von einem Betäubungsgewehr getroffen. Die Dosis war wohl nicht ausreichend.« Auf diese Information hin zuckte eine meiner Brauen leicht nach oben. Was für eine Bestie dieser Ilexx war, wurde immer ersichtlicher. Umso wichtiger, dass ich ihn lebend bekam. »Sie sollen ihm noch eine Dosis verabreichen«, beschloss ich, was von Caesar nur mit einem weiteren »Shuororororororo!« quittiert wurde, anschließend gab er der mit Betäubungsmunition bewaffneten Spezialeinheit am gegenüberliegenden Geländer ein Handzeichen. Mit nicht wenig freudiger Aufregung erfüllte es mich, als ich zusah, wie nur wenige Sekunden später ein scharfes Zischen ertönte und der Ilexx getroffen aufbrüllte. Er wehrte sich weiterhin gegen die Betäubung und schaffte es dabei sogar noch, einen weiteren Soldaten außer Gefecht zu setzen. Schließlich aber verloren seine Bewegungen an Kraft, bis er in sich zusammensackte und regungslos liegen blieb. Als wäre es ein Startschuss gewesen, rauschte ich die Treppe hinab. Irgendwo über mir ertönte aus den Lautsprechern die Entwarnung, aber das kümmerte mich gerade nicht. Ich hatte nur noch Augen für den Ilexx. »Befreit ihn von dem Ding!«, herrschte ich die umstehenden Soldaten an. Eigentlich hatte ich nicht die Befugnis, um ihnen Befehle zu erteilen, doch etwas in meinem zielstrebigen Blick schien Respekt einflößend genug zu sein, um die Männer ohne Widerrede zum Handeln zu bewegen. Mit speziellen Messern hieben sie auf die Plasmafäden des Netzes ein, bis es sich vollständig von dem sehnigen Körper entfernen ließ. Was darunter zum Vorschein kam, war ein riesiger, jagderprobter Humanoid von strahlendem Rot. Ziegelrot die an manchen Stellen von schützenden Schuppen bedeckte, an anderen Stellen empfindsam dünne Haut. Blutrot die zu einer wilden Frisur aufgestellte Federpracht, welche das Kopfhaar ersetzte. Weinrot der Federteppich, der sich von den Schultern über den Rücken bis hin zur Schwanzwurzel zog und in einem feinen Kamm auslief. Noch nie hatte ich einen Ilexx von gleicher Färbung gesehen. Bei den meisten hoben sich die Federn komplementär von der Haut ab. Zusammen mit seiner auf knappe drei Meter geschätzten Länge machte es ihn einzigartig. Er war ein roter Riese. Big Red. »Ich brauche eine Hoverliege Klasse E oder größer, falls wir eine besitzen. 160 Kilo bringt der sicher auf die Waage.« Ich kniete mich nieder, um den Puls des Ilexx zu kontrollieren. Wer in der Zwischenzeit meinen Forderungen nachkam, war mir vollkommen einerlei. Hauptsache war, dass es getan wurde, und dafür fand sich unerklärlicherweise immer eine Schar von Assistenzforschern. »Puls und Atmung normal«, murmelte ich, dann näherte sich meine Hand dem Federansatz an der Stirn, wo eine Jagdbrille prangte, wie ich sie bei den Ilexx schon des öfteren gesehen hatte. Sie war gefertigt aus einem blauen, kristallartigen Glas, welches nicht nur große Temperaturunterschiede problemlos ertrug, sondern auch durch Gewalteinwirkung nahezu unzerstörbar war. Wie die Ilexx dieses Material und auch das helle, leichte Metall herstellten, aus dem sie ihre Waffen fertigten, war ebenfalls eine spannende Sache, fiel jedoch leider nicht in meinen Forschungsbereich. Sowohl die Brille, als auch die monströse Handklinge, die der Ilexx um den linken Arm trug, würde ich an die Abteilung abtreten müssen, welche die Kultur der Aliens erforschte. Sachte berührten meine bloßen Finger die kühle, glatte Stirn, um die Körpertemperatur zu überprüfen. Bevor ich allerdings entscheiden konnte, ob sie zu niedrig war oder nicht, gab der Ilexx ein knurrendes Schnauben von sich. Als hätte ich mich gestochen, zog ich die Hand wieder zurück, dann starrte ich wie hypnotisiert in diese Augen. Orangerote Augen, die mich voll brennendem Zorn durchbohrten. Wäre der Ilexx in diesem Moment zu mehr in der Lage gewesen, hätte er mich auf der Stelle mit Klauen und Zähnen zerfleischt – daran bestand kein Zweifel. Nur von kurzer Dauer war unser Blickkontakt, dann sanken dem Krieger doch die Augenlider herab. Mich hingegen überkam eine bitterböse Erkenntnis, ehe ich mich wieder aufrichtete. Ich hatte in die tiefen, blutrünstigen Abgründe seiner Seele gesehen. Hatte gesehen, wie sehr er uns hasste, insbesondere mich hasste, und wie gerne er uns alle umbringen würde. Ein kaltes Lächeln umspielte meine Lippen, während ich zusah, wie der schlafende Ilexx auf die Liege gehievt wurde. Meinetwegen sollte er mich doch tot wünschen. In Ketten und unter Beruhigungsmitteln würde er mir nichts anhaben können. In der Zelle, in die ihn die Assistenten nun brachten, herrschten meine Regeln vor. Von jetzt an bis zu seinem Tod und darüber hinaus war er mein. Mein Forschungsobjekt. Mein Ilexx. Big Red. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)