Wenn Spinnenlilien schlafen gehen von YukimuraRuki ================================================================================ Kapitel 1: Wenn Spinnenlilien schlafen gehen -------------------------------------------- Renka hieß ein junger Dämon, der den Schnee und das Eis auf dem Berg verkörperte und als als ein heiliger Bote der Berggottheit diente. Die weißen Mäntel und Hüte, welche die höchsten Berge Japans zu vielen Jahreszeiten trugen, gaben den Menschen die Gewissheit seiner Anwesenheit. Renka brachte mit dem Winter auch einen kalten Nordwind ins Land und legte viele Pflanzen schlafen. Dank seiner Position als Gottesbote, gab man ihm das Privileg sich auch außerhalb seiner Jahreszeit frei bewegen zu können. Auf diese Weise lernte er Kotoko kennen, den Geist der Spinnenlilien in weiblicher Gestalt, welche am Fuße des Berges lebte. Sobald die Blüte der Spinnenlilien endete, schlief sie bis zur nächsten Blütezeit friedlich im Erdboden. Kotoko bemerkte den Unterschied zwischen sich selbst und den Eisdämonen. Der nicht an die Zeit gefesselte Renka und die an die Jahreszeit gebundene Kotoko, hatten nicht viel Zeit miteinander. Den Brauch den Geist einer Blume als Gottesboten einzusetzen gab es von Urzeiten an nicht. Aus diesem Grund war ihr ein ähnliches Privileg, wie es Renka zuteilwurde, nie angeboten. Sie hasste diese Ungerechtigkeit. Der warme Sommerwind fuhr raschelnd durch die den Ozean aus dichtwachsenden Spinnenlilien, welche dort in der unaufhörlichen Glut des Sommers erblühten. Die schmalen Stängel der Blumen stützten die feinen Blütenblätter im Wind, wobei ihre kräftige rote Farbe ein Menschenauge wohl erfreute, wenn es sie erblickte. Das Spinnenlilienmeer erschien wie ein weitläufiger Flächenbrand, wenn sie sich in gleichmäßigen Bewegungen rhythmisch hin und her wiegten. Ein junges Fräulein hatte sich inmitten dieser vollen Blütenpracht niedergelassen und beobachtete ihre Brüder und Schwestern liebevoll. Ein vollkommen schwarzer Kimono verhüllte Kotokos schlanken Körper. Sie machte nicht den Eindruck älter zu sein, als ein zwanzigjähriges Erdenmädchen. Ein Mensch erwartete nie, dass sie bereits hundert Jahre am Fuße dieses Berges zählte. Das einzige äußerliche Merkmal, welches Kotoko von einem gewöhnlichen Menschen trennte, waren die mysteriösen Augen, die funkelten wie der klare Himmel während einer untergehenden Sonne. „Dann bin ich wohl ein Fräulein, das man in einem Feuer verlassen hat?“, Kotoko brachte sich mit ihren eigenen gemurmelten Worten selbst zum Lachen, „Dabei bin ich viel zu alt für ein Fräulein.“ Das schwarze Haar fiel ihr in glänzenden Kaskaden über die Schultern und während ihres leisen Lachens bewegte es sich elegant mit ihrem Körper. Nachdem ihr Lachen nach einer Weile verstummte, starrte Kotoko die blühenden Spinnenlilien unaufhörlich an. Wehmut wohnte in ihren fixierten Augen. „Heute ist also der letzte Tag?“, seufzte Kotoko während ihre Augenbrauen sich unweigerlich nach oben zogen. Vorsichtig triezte sie einige der Pflanzen vor ihren Augen indem sie vorsichtig an ihren Blüten zupfte. Heute war der letzte Tag, an dem Kotoko auf irdischem Boden verweilen durfte. Sobald die Sonne schlafen ging, musste auch Kotoko unter dem dunklen Boden schlummern bis die nächste Saison den Berg besuchte. Ein weiterer Seufzer drang aus ihren scharlachroten Lippen, worauf sie die Worte eines trotzigen Kindes aussprach, das sich einfach nicht zur Nachtruhe begeben wollte: „Das gefällt mir gar nicht…“ Ihre Brust war erfüllt von einer immer größer anschwellenden Sorge. Kotoko vergrub ihre Hände in den Kimono und seufzte noch einmal tief und hoffnungslos aus. In diesem Moment fiel ein Schatten von oben auf sie herab. Ein ungewöhnlicher Winterwind streifte ihren Rücken. Obwohl sich bei diesem eiskalten Wind eine dicke Gänsehaut auf ihren Armen ausbreitete, wirkte Kotoko nicht verdrießlich. Im Gegenteil, es breitete sich ein sanftes Lächeln auf ihren Lippen aus. Als das Mädchen über ihre Schulter hinter sich sah, erblickte sie bereits einen Jungen auf der Wiese stehen. Bei dessen Anblick wirkte ihr Lächeln noch fröhlicher. „Renka!“, rief Kotoko aus und empfing ihren Geliebten voller Glückseligkeit. Renka erschien ebenfalls in der Gestalt eines jungen Burschen, der nicht älter erschien als zwanzig Jahre. Er trug einen kurzärmlichen, schwarzen Kimono und einen ebenso schwarzen Hakama. Das aquamarinfarbene Haar hing ihm lang bis auf den Rücken, wobei sein Pony sein rechtes Auge verdeckte. Ein roter, mondförmiger Krummjuwel zierte seine linke Wange, bildete einen eindrucksvollen Kontrast zu seinen tiefblauen Augen. Selbstverständlich gehörte auch Renka nicht zu den Menschen. Er verweilte bereits einhundert und fünfzig Jahre auf diesem Berg. Die verstrichenen Jahre hatten bereits ein paar feine, kaum merkliche Spuren, in Form von weißen Strähnen in seinem Haar hinterlassen. In seiner Gegenwart tanzte zu jeder Jahreszeit ein wenig Schnee zu Boden. „Heh, Koto-…“, es verschlug Renka deutlich die Sprache als Kotoko, die nicht mehr abwarten konnte bis er seinen Gruß fertig ausgesprochen hatte, auf ihn zusprang und ihn fest umarmte. Sie hörte zwar seine leicht vor Schmerz unterdrückte Stimme, aber das wollte sie augenblicklich noch nicht kümmern, sie klammerte sich weiter an seinen Hals fest. Kotoko empfing sowohl die Kaltluft, die von Renkas Körper ausging, als auch das robuste Brustbein, als sie sich anschmiegte. Sie mochte diese Merkmale an ihm und rieb ihre Wange sanft an seine. Renka erwiderte Kotokos stürmische Umarmung und fühlte wie ihre heiße Wange seine eigene berührte und tätschelte behutsam ihren Rücken. So als berührte er eine tatsächliche Spinnenlinie. Durch seine sanfte Umarmung bemerkte Kotoko, wie sich eine neue Seelenruhe in ihr breit machte und der Tumult in ihrem Herzen langsam zur Ruhe setzte. „Du bist heute wohl früher mit deiner Arbeit fertiggeworden“, bemerkte sie während sie weiter an ihm hing und nur den Kopf hob um ihn anzusehen. Renka nickte während seine dunkelblauen Augen die feurigen des Mädchens traf: „Jepp, hab die Gottheit ganz unverschämt darum gebeten mir ein bisschen früher frei zu geben.“ „A-aber, ist es ihm denn wirklich Recht?“, Kotoko warf ihm einen etwas bekümmerten Blick zu. Sie wollte auf keinen Fall den Zorn einer Gottheit heraufbeschwören oder etwas Schlimmeres provozieren. „Das geht schon klar. Sonst bin doch ich immer derjenige, der die Eigensinnigkeit der Gottheit mitmacht. Da ist es nur gerecht, dass ich auch ein wenig eigensinnig sein darf“, erklärte Renka während seine Augen lächelten. In dem Augenblick kam ein leichter Wind auf und streichelte sanft seine Wangen. Renka nahm als Gottesbote die Position von dessen Armen und Beinen ein. Dies führte einen ungeheuren Zeitmangel mit sich, aber dennoch konnte Renka etwas Zeit erübrigen um Kotoko zu besuchen. Der Geist empfand große Freude und liebte Renka nur noch mehr. Um ihm dieses Glücksgefühl näher zu bringen, umarmte sie ihn noch stärker. Vorsichtig streichelte Renka die rosigen Wangen des Mädchens und erfreute sich der weichen Haut. „Wo wollen wir hingehen?“, fragte er sie sofort. „Zum Wasserfall des weißen Bindfadens“, entgegnete sie sofort. Auf die Antwort seiner Geliebten hin formte er seinen Mund zu einem schiefen Lächeln um ein freches, aber auch etwas rebellisches Gesicht zu erzeugen. Der Wasserfall des weißen Bindfadens befand sich auf der Ostseite des Berges. Er stürzte mit rasender Geschwindigkeit in seinem schmalen Lauf, in ein großes Bassin, wobei er den Eindruck einer weißen Schnur machte. Man sagte ihm nach, dass er der schönste Wasserfall weit und breit sei. Aber meinte man auch, dass er durch seine Geschwindigkeit und Tiefe gefährlich sei. Der Wintergeist bedachte dies und bemerkte mit verspielter Stimme um seine Bedenken zu verdecken: „Der Wasserfall des weißen Bindfadens? Dort ist es aber auch gefährlich. Vor einiger Zeit ist der alte Kappa Tarou dort ertrunken.“ Kotoko aber ließ sich davon nicht abringen: „Möchtest du es mir lieber verwehren?“ Sie bettelte ihn mit einem nach oben gerichteten Blick an, wohlwissend dass Renka eine große Schwäche für eben diesen Blick hatte. Wie bereits angenommen verengte der junge Mann seine Augen zu Schlitzen, so als sähe er in grelles Licht hinein und drückte seinen Rücken stolz durch. Kotoko sah ihn unentwegt aber schweigend an, so dass sich eine merkwürdige Stille zwischen ihnen ausbreitete. „Also gut!“, gab Renka schließlich mit einem kleinen Nicken nach. Der Sieg gehörte Kotoko – wie üblich. Die junge Seele der Spinnenlilien erfreute sich an diesem und ballte die Hand zur Faust zum Zeichen des Erfolges. „Hab vielen Dank, Renka! Ich liebe dich!“ „Das weiß ich doch“, meinte er mit einem kecken Zwinkern, „Du weißt doch, ich mache dir gern eine Freude.“ Innerlich aber ließ er einen kleinen Seufzer heraus. Gleich darauf hob er die zierliche junge Dame auf seine Arme und trug sie fest an sich, wie es bei Prinzessinnen üblich war. „Halt dich gut fest.“ „Ja.“ Koto folgte seinem Befehl ohne Widerworte. Renka machte darauf kräftige Schritte auf den Erdboden und sprang in das leicht schummrige Wäldchen hinein. Ein kühler Wind begleitete sie und umspielte das Haar der Liebenden. Das Donnern des kalten Wassers, welches in das Bassin unter dem Wasserfall hineinfiel, erfüllte die Luft und brachte das Ufer zum Erbeben. Über die Wasseroberfläche fegte ein rascher Wind, der die langsam buntwerdenden Baumwipfel zum Schütteln brachte. „Es ist doch immer wieder ein imposanter Eindruck!“, meinte Kotoko begeistert während sie das schäumende Wasser beobachtete, welches fortwährend im Schatten lag. Renka setzte das Mädchen am Sandufer ab, so dass sie die sagenumwobene Sicht auf den Wasserfall genießen konnte. Renka selbst suchte nach überzeugenden Worten, doch entgegnete ihr schließlich mit einem simplen: „Ja, stimmt.“ Kotoko warf ihrem Liebsten einen skeptischen Blick zu, denn er stand augenscheinlich desinteressiert neben ihr und hatte nur ein nüchternes Nicken übrig. Die Seele blies ihre Wangen mit Luft auf, um ihrem Missfallen Ausdruck zu verleihen. „Ach Mensch. Jetzt sind wir an solch einem wunderschönen Ort und du siehst ihn gar nicht richtig“, nörgelte sie. „Aber nein, weißt du…“, Renka wandte seinen Blick zum Himmel hinauf und murmelte etwas Unverständliches. Auf dieses Verhalten hin legte sie ihren Kopf etwas zweifelnd zur Seite. „Na weißt du, hier ist doch jemand ertrunken. Und wenn du genau nachdenkst, wirst du dich sicher daran erinnern können, dass es dir ähnlich ging vor drei Jahren… du warst auch ins Wasser gefallen, erinnerst du dich noch?“ „Ach so, das meinst du. Ja, das ist geschehen“, Kotoko tat diese Tatsache, an die sie sich kaum noch erinnern konnte mit einem heiteren Lächeln ab, „Ich glaube, das ist passiert als ich beim Spazierengehen hier langgekommen bin und dann plötzlich, fiel ich in den Fluss. Aber du, du warst unheimlich beeindruckend!“ Als die junge Frau sich gänzlich an das Ereignis erinnerte, wurde ihr Lächeln nur noch breiter wogegen Renka den Eindruck machte als habe man ihn dazu gezwungen einen grünen Gemüsesaft zu trinken. „Ich hätte nie erwartet, dass du mich mit dem Fluss zusammen einfrierst“, kicherte sie während sie ihren Mund hinter den langen Ärmeln ihres Kimonos versteckte. Renka konnte vor Scham nicht an sich halten und entgegnete mit lauter Stimme: „D-dagegen konnte ich wirklich nichts tun! Es war immerhin das erste Mal, dass ich jemanden retten musste. Vor allem vor dem Ertrinken! Um uns herum war auch nichts zu sehen gewesen, das als rettendes Ufer hätte dienen können…. Ach Kotoko, jetzt hör doch bitte auf zu lachen.“ Auf die peinlich berührte Verteidigung hin, verengte Kotoko ihre Augen zu kleinen Schlitzen und blickte ihren Freund liebevoll an: „Entschuldige bitte. Aber weißt du… ich nehme dir es dir überhaupt nicht übel. Auch damals nicht.“ „Wie bitte? Ich hab dich konserviert wie einen Fisch, einfach so eingefroren!“, Renka warf Kotoko einen fragenden Blick zu als er ihre Augen erneut traf. „Das mag sein, aber dadurch habe ich dich doch erst kennengelernt!“, entgegnete sie und lachte als ob es nie ein großer Zwischenfall gewesen war und auch Renkas Gemüt lockerte auf worauf er ihr mit einem kleinen Nicken zustimmte. Ein sanfter Rotschleier breitete sich auf dessen Wangen, denn er erinnerte sich nun auch gut an das Bild des Spinnenliliengeistes, der zunächst wie ein hilfloser Stock im Wasser auf und ab tauchte und als er sie über einem Lagerfeuer und sommerlicher Hitze wieder aufgetaut hatte, dankte sie ihm sofort mit einer Umarmung. An diese Zeit zurückdenkend, konnte er nicht verhindern, dass er bis über beide Ohren errötete. Das Mädchen verfiel in ein erneutes Lachen, denn sie empfand seinen Anblick als den liebenswürdigsten auf dem gesamten Erdenrund. „Warum eigentlich?“, fragte Renka plötzlich. „Warum denn was?“, hakte Kotoko mit forschendem Blick nach. Ihr kam diese unerwartete frage unverständlich vor, da sie keinen Zusammenhang erschloss. „Warum wolltest du eigentlich ausgerechnet hierher kommen? Doch wohl nicht nur um dir den Wasserfall anzusehen, stimmt doch?“, entgegnete Renka schließlich und brachte Kotoko dazu für einen winzigen Augenblick ihre Augen zu schließen um ihren Blick gleich darauf wieder zu ihrem Freund hinüberschweben zu lassen. „Renka, du bist wirklich sehr erstaunlich…“, bemerkte sie atemlos. „Nimm mich bloß nicht auf den Arm.“ Kotoko schüttelte den Kopf worauf sie sogleich antwortete: „Den letzten Tag an dem ich wach bin, wollte ich an dem Ort verbringen, an dem wir uns kennengelernt haben.“ Zur Unterstützung ihrer Worte fing sie wieder zu lachen an. Ihr heiteres, lächelndes Gesicht zuckte ein wenig und für den Geist war es schwer den erneuten Anflug von Kummer hinter einer Fassade zu verstecken. Der Gottesbote hingegen stand noch immer leicht von ihr abgewandt neben ihr und antwortete nichts darauf. Der Moment untermalte allein der Wasserfall, der sogleich das tosende Geräusch von Kotokos aufkommenden Selbsthass wurde. Die böse Vorahnung, welche sich schon zuvor zeigte, hatte wohl die Gelegenheit beim Schopfe gepackt um das Fräulein völlig zu verwirren. Sie gab dem unwohlen Gefühl nach, welches sich nun auf ihrem Gesicht widerspiegelte. Mit gesenktem Kopf fragte sie sich, auf welche Weise sie sich wohl entschuldigen sollte. In diesem Moment entfuhr ihr ein leichter Schreckenslaut, denn ein kalter Luftzug nahm sie in besitz. Renka hatte sie in eine sanfte Umarmung gerissen. Sie fand sich fest an seinen starken Oberkörper gedrückt und wieder fühlte sie das robuste Schlüsselbein und seine leicht gekühlte Haut. „Kotoko.“ Sie sah zu ihm auf, als sie seine Worte hörte. Sein Blick war ebenso ernst wie sein Gesichtsausdruck und der Tonfall ihr schon übermittelten. Ihr Herz fing an schneller zu schlagen, so schnell, dass sie beinahe schmerzte. Diese ernsthaften Augen, die auf Kotoko gerichtet waren, ließen sie befürchten, dass er jetzt auf jeden Fall mit ihr zu schimpfen anfangen wollte. „Re-…Renka?“, versuchte sie ihn vorsichtig anzusprechen. Die Überraschung stand ihr ins Gesicht geschrieben, aber sie wurde doch in seinen Armen schwach und lehnte sich seicht an ihn. „Gibt es noch einen anderen Ort, an den du gehen möchtest?“, wollte er leise wissen. „Nein“, antwortete sie ihm nur mit einem Flüstern, aber die Röte in ihren Wangen brannte wohlig. „Darf ich dich dann bis zur Dämmerung umarmen?“, fragte er weiter und seine Züge nahmen wieder fröhliche Bahnen an. Kotoko nickte während sie ihr Gesicht an seiner Brust versteckte: „Ja natürlch!“ Der ernste, von ihrer Meinung nach traurigen Gesichtsausdruck, welchen Renka zuvor gezeigt hatte war ganz bestimmt keine Einbildung. So setzten die beiden Liebenden sich vorerst schweigend in ein weiteres Feld aus Spinnenlilien um den Abend langsam entgegen zu sehen. An der Wirbelsäule der westlichen Berge neigte sich die Abendsonne langsam dem Horizont zu. Mit jedem Millimeter nahm das orange Licht zu und tränkte die unzähligen Spinnenlilien in ein intensives Karmesinrot. Mit dem Abend besuchte sie auch ein frischer Wind, der sanft durch das Haar der beiden Geister wehte und sie leicht erzittern ließ. Renka, der in dem lieblichen Blumenfeld saß, hielt Kotoko fest bei sich, so dass sie ihm niemand wegzunehmen vermochte. „Du, Renka“, fing Kotoko an zu sprechen, während sie die orangen Berge beobachtete, „Ich werde ja nicht sterben.“ „Das weiß ich“, entgegnete Renka in einem leichtfertigen Tonfall, dennoch sah er Kotoko nicht direkt in die roten Augen. „Und deshalb bedeutet das auch, dass wir nicht für immer getrennt sind. Wir werden uns also wiedersehen können!“, meinte sie mit einem Funken Hoffnung in der Stimme. „Das weiß ich“, sagte er wieder. „Wir werden uns im nächsten Herbst wieder treffen!“, versicherte Kotoko. „Ich weiß“, antwortete Renka wieder. „Na dann… mach auch bitte nicht so ein Gesicht“, flehte Kotoko und streichelte sanft über Renkas Wangen. Der Winterdämon berührte diese schlanke Hand mit seiner eigenen, viel größeren und sah sie nun an. Renka wirkte immer noch so als müsse er jeden Moment seinen Tränen freien Lauf lassen. „Trotzdem macht es mich traurig“, erklärte er und umschlang die Spinnenlilie noch stärker. Bei dieser sanften Stärke verstand Kotoko, dass auch Ren sich von ganzem Herzen wünschte nicht von ihr getrennt zu werden. Sie sah in sein betrübtes Gesicht hinein und gleichzeitig gab sie sich einen Ruck und beschloss die Unruhe in ihrem Körper einfach zu verbannen. Sie nickte zu sich selbst und ließ die schweren Ketten, die sich um ihr Herz gelegt hatten einfach davon fliegen als seien sie gar keine Ketten gewesen. Die Unruhe und die Angst widersetzten sich allerdings. Was sich zunächst wie ein Fluch an ihr Herz geheftet hatte, zog nun in ihrer Kehle ein um auf die denkbar ungünstigste Gelegenheit zu warten um auszubrechen. Kotoko biss sich kurz auf die Unterlippe. Nein, sie wollte in Gegenwart ihres Liebsten nicht jammern. Ihr Blick fiel auf ihre Beine. Sie erkannte bereits, dass ihre Knöchel schon nicht mehr zu sehen waren, sondern dass sie langsam wieder eins mit der Erde wurde, auf der sie saß. „Ich wäre viel schöner, wenn du auch ein Gottesbote werden könntest, Kotoko. Dann müssten wir das alles nicht jedes Jahr aufs Neue durchmachen“, meinte Renka ein wenig trotzig. Als ob sie Katzen wären rieb Kotoko ihre Wange verspielt an Renkas. Ausgerechnet er sprach diese Ungerechtigkeit aus und fand, dass der Abschied immer wieder schrecklich war. Es kam ihm beschämend vor. „Das stimmt…“, entgegnete Kotoko mit einem bitteren Lächeln wobei ihre Augen heiß wurden. Der Gedanke daran eine Dienerin der Berggottheit zu werden machte sie zwar froh, doch da gab es noch diese eine hinderliche Regel. Die Naturgeister von Blumen konnten nie die Boten eines Gottes werden. Warum das so war, wusste sie nicht. Auch Renka verfügte über kein Wissen, warum es so bestimmt wurde. Es war so, von Anbeginn der Zeit und so sollte es wohl auch bis in alle Ewigkeit bleiben, denn noch niemand hatte jemand dieses Problem hinterfragt. „Es wäre wirklich schön, wenn ich außerhalb meiner Blütezeit bei dir sein könnte…“, meinte sie und es fiel eine einzige Träne aus ihren Augen hervor. Es war soweit. Aus ihrem Hals löste sich nun der dicke Klumpen voller Zweifel, Angst und Unruhe und wagte hervorzuspringen – im denkbar unpassendsten Augenblick. Sie hätte ihre eigenen Worte gern wieder heruntergeschluckt, doch ihr Mund verhielt sich nun wie ein eigenes Lebewesen und bewegte sich wie von selbst: „Wenn ich auch das ganze Jahr wachbleiben dürfte, dann müssten wir uns jetzt nicht trennen. Dann müsste ich diese Ungewissheit nicht aushalten!“ „Kotoko?“, Renka sah seine Freundin überrascht an, die so plötzlich aus sich herausbrach. Im Augenblick kümmerte sich das Fräulein nickt mehr, sie sprach das aus, was ihr die ganze Zeit schon auf der Seele lag – alles, was sich in ihr angestaut hatte. „Renka, ich hab Angst! Ich fürchte mich davor nächstes Jahr aufzuwachen und festzustellen, dass du vielleicht gar nicht mehr in dieser Welt existierst. Was, wenn das nächste Jahr noch heißer wird und die Berggottheit keinen weißen Hut mehr braucht? Die Menschen kümmern sich nicht um das Wetter und sie wollen auch nicht, dass die Berge warme Kleidung tragen müssen. Und dann denke ich auch immer wieder daran… Was geschieht, falls sich dein Herz inzwischen von mir entfernt hat. Egal wie oft ich mit sage, dass das Quatsch ist, mein Kopf will mich nicht von diesem schlechten Gefühl befreien!“, schrie sie regelrecht aus ihrem Herzen hinaus, während dicke Wasserperlen aus ihren Augen tropften. Gleichzeitig fühlte sie sich schuldig. Es war ihr nicht erlaubt ihren Geliebten solche Schuldgefühle zu machen. Trotzdem hörte sie irgendwo in ihrem Kopf, in ihrem Herzen diese ferne Stimme, die sie ärgerte. Die Balance der Welt hielt nicht ewig an und so unbeständig wie die Welt, verhielten sich auch alle Herzen ganz gleich zu welcher Kreatur sie gehörte. Dazu gesellte sich außerdem das Bewusstsein hinzu, dass sie Renka unrechttat, wenn sie ihn mit ihren Zweifel belastete. Dennoch blieben ihr die Worte nicht zurück: „Seit ich dich zum ersten Mal traf verliebe ich mich mehr und mehr in dich. Und je stärker ich dich liebe, desto größer werden auch diese Ängste. Ich habe Angst, Renka!“ Kotoko klammerte sich an den Ärmeln des Winterdämonen fest. Ihre Tränen ließen nicht nach die rosigen Wangen nass zu machen. Der Wind wehte. Ein kalter Wind strich sanft über ihre feuchten Wangen um sie zu trösten. In einer Ecke ihres Blickfeldes, konnte sie die Spinnenlilien im Wind wiegen sehen. „Kotoko“, Renka berührte behutsam ihre Wange. Kotoko lief ein leichter Schauer über den Rücken, da sie nicht mit dieser Kälte gerechnet hatte. Renka war immerhin ein Wintergeist, so dass er stets kälter war als sie. Er legte seine Lippen neben ihr Ohr und flüsterte ihr mit sanfter Stimme zu: „Es ist alles gut, du wirst sehen.“ Sie lehnte sich nach hinten an seinen Körper und lauschte seinen Worten: „Selbst wenn diese Welt an den Abgrund gerät, egal was auch passiert, ich werde immer an deiner Seite sein, Kotoko. Erst wenn der Winter verschwindet, dann verschwinde auch ich. Sobald aber der Winter stirbt, wird die ganze Welt anfangen zu vergehen. Sollte das geschehen, werde ich trotzdem bei dir sein. Ich werde dich immer lieben. Deshalb… Kotoko, kannst du dich mit allem Seelenfrieden schlafenlegen.“ Dies entsprach lediglich einem einfachen Versprechen, welches mit Worte besiegelt war. Es gab keine Garantie dafür, dass es nicht irgendwann doch gebrochen wurde. Und dennoch… „Wirklich?“, Kotoko blickte Renka mit großen Augen an, dennoch wollte sie seinen Worten Glauben schenken. „Ja, wirklich!“, entgegnete Renka mit einem Lachen, und zeigte ihr eines von seinen selbstbewussten Lächeln. Mit diesem Lächeln brachte Kotoko erneut ein paar Tränen hervor. Jedoch gehörten diese Tränen nicht zu Kummer und Traurigkeit. „Vielen Dank, Renka. Ich liebe dich.“ „Ich dich auch“, antwortete er und küsste sie sanft auf die Stirn. Seine Lippen waren weicher als das Auge erwartete, so dass Kotoko ein wenig bei der Berührung zusammenzuckte. Gleich darauf küsste er ihr die nassen Wangen um ihr somit die Tränen zu trocknen. Durch das leichte Kitzeln entzog sie sich ihm leicht. Am Himmel glitzerten Sterne. Ihr Körper verging langsam, jedoch blieb das Gefühl ihrer Gegenwart noch immer an Renkas Haut haften. Es dauerte nicht mehr lange, bevor sie wieder in die Erde heimkehren musste. „Renka, zeigst du mir mal bitte dein Gesicht von Nahem?“, sie winkte ihn mit der Hand näher heran. Da ihr Körper beinahe verschwunden war, konnte sie sich selbst nicht mehr bewegen. Renka kam ihr mit verwundertem Blick näher, so dass Kotoko in der Lage war ihm etwas zuzuflüstern: „Renka, ich liebe dich von ganzem Herzen!“ Kotoko strahlte über das ganze Gesicht und hauchte ihrem Liebsten einen kurzen Kuss auf die Lippen. Mit dieser flüchtigen Berührung, wollte sie ihm all ihre Gefühle übermitteln. Renka errötete etwas, doch lächelte ebenfalls. ‚Ja, wir werden uns immer lieben‘, ging es ihm durch den Kopf. Kotokos Liebe zu ihm gewann mit diesem Abend an Tiefe. Renka schenkte ihr och ein Lächeln, welches weder Verlegenheit noch Scham zeigte, sondern lediglich voller Zuneigung steckte. Dieses Lächeln verwandelte sich in die letzte Erinnerung, die Kotoko mit sich unter die Erde nahm, als ihr Bewusstsein von der Dunkelheit verschlungen wurde. So erging es den Liebenden jedes Jahr, denn sie hatten nur den Herbst für sich. Die Jahreszeit in der die Spinnenlilien den verlorenen Seelen der Menschen, entlang des Flusses und zwischen Reisfeldern den Weg ins Jenseits wiesen. Dem Winterdämonen Renka und dem Naturgeist Kotoko blieben Jahr um Jahr nur die wenigen Monate des Herbstes vergönnt um sich zu sehen. Somit kehrte der Winter bald ins Land und andere Dämonen und Naturgeister nahmen ihre Arbeit auf. So war der Lauf der Jahreszeiten und so sollte er noch viele Jahre lang bleiben, bis der Schnee und das Eis schmolzen, die Winter milder wurden und sich kaum noch von dem Frühling unterschieden. Ende. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)