Erwachen von VZerochanV (Die Welt nach dem Ende) ================================================================================ Kapitel 2: Begegnung -------------------- „Das ist einfach so… verflucht anstrengend!“, stöhnte sie, nachdem sie den Raum nun schon gefühlte zehnmal auf und ab gegangen war. Erschöpft lehnte sie sich an einen eingestaubten Gegenstand, um sich für ein paar Minuten ausruhen zu können. Das war ihr Plan, aber der Gegenstand hinter ihr gab mehr nach, als ihr lieb war, und sie wäre beinahe auf ihren vier Buchstaben gelandet. Das viele Bäume klettern während des Jagens hatte sich bezahlt gemacht, denn so konnte sie ihren Körper noch rechtzeitig nach vorne verlagern und ihr Gleichgewicht wiederfinden. Ihre strampelnden Armbewegungen waren zwar nicht unbedingt ein Hingucker, auf den sie stolz war, aber solange sie ihr blaue Flecken ersparten, war ihr das egal. Ein Schreck kam selten allein, durfte Mina schon bald feststellen. Kaum stand sie wieder auf beiden Füßen, bemerkte sie, wie sich bei den Behältern etwas bewegte. Die Glasplatten, die wie Kuppeln auf ihnen lagen, begannen sich nach oben zu bewegen und aus dem Inneren der Behälter strömte weißer Rauch. Minas Augen wanderten zu dem Gegenstand, an dem sie sich angelehnt hatte. Es war ein rostiger Stab, der sich von links nach rechts bewegt und anscheinend einen Mechanismus in Gang gesetzt hatte. Sie hatte ihr Ziel somit erreicht, wenn auch mehr durch Glück als Verstand. Aber das war unwichtig. Am Ende zählte das Ergebnis. Sie wartete. Darauf, dass sie ein Lebenszeichen erhielt. Einer wenigstens, hoffte sie inständig. Eine Minute war vergangen und der Rauch war verschwunden. Die Behälter standen offen und in ihnen lagen die Menschen. Schlafende oder nicht. Das Nicht bereitete ihr Angst. Zwar kannte sie die Menschen nicht, doch ein Mensch war ein Mensch. Ein Lebewesen der gleichen Art, ein Gefährte, ein Bekannter, vielleicht irgendwann sogar ein Freund. Sie wollte nicht daran denken, wie sie ein Dutzend Menschen im Untergrund gefunden hatte, nur um schließlich festzustellen, dass sie alle schon längst tot waren. Ein Dutzend – das entsprach ungefähr einem Drittel ihrer Siedlung. „H…hi…l….“, drang plötzlich eine schwache Stimme in ihr Ohr. Sofort lief sie zum Ursprung und fand sich vor dem ersten Behälter wieder. Dort sah sie ihn: Ein junger Mann, dessen Lider noch halb geschlossen waren, aber seine Hand nach oben streckte und um Hilfe bat. „Hil… fe…“ „Ich bin hier!“, rief Mina euphorisch und ergriff die Hand des Mannes. Sie erkannte, wie seine Pupillen sich langsam in ihre Richtung bewegten und sein Blick klarer wurde. Er hatte wunderschöne, golden leuchtende Augen, die Mina sofort in ihren Bann zogen. „Alles in Ordnung?“, fragte sie ihn vorsichtig und lockerte ihren Griff leicht, als sie bemerkte, wie sein Bewusstsein wieder zurückkehrte. Der junge Mann sagte nichts, sondern starrte bloß in Minas Gesicht. Er hatte Mühe beim Atmen, weshalb das Formulieren von richtigen Worten noch warten musste. Solange er nichts sagte, wartete Mina bloß still und streichelte sanft über die Finger, die sie umfasst hatte. Ein Stein war ihr vom Herzen gefallen, als sie seinen Hilferuf wahrgenommen hatte. Er lebte und das gab ihr ein unglaublich gutes Gefühl. Sie spürte förmlich, wie sich die Wärme ihres Körpers auf seinen übertrug und langsam wieder mit Leben füllte. Es verging einige Zeit, bis der junge Mann wieder sprach: „Kannst du… mir… hoch…?“ Seine Stimme war weit weniger zerbrechlich und leise als zu Beginn, doch richtige Sätze konnte sie immer noch nicht bilden. „Soll ich dir hochhelfen?“, versuchte Mina seine Worte zu deuten. Die ausbleibende Reaktion interpretierte sie als ein Ja. Behutsam berührte sie seine Arme und zog ihn nach oben, sodass sich sein Oberkörper aufrichtete. Eine Weile zitterte der fremde Körper, doch bald hatte er sich an die veränderte Haltung gewöhnt und Mina konnte ihn loslassen. Abwesend schaute er in Minas Richtung und öffnete seinen Mund, nur um ihn wenige Sekunden danach wieder lautlos zu schließen. Etwas überfordert wandte Mina kurzzeitig ihren Blick ab, denn auch ihr wollten nicht die passenden Worte in den Sinn kommen. Sie hatte nicht die leiseste Ahnung, was man in solch einer Situation überhaupt tat. Sich vorstellen? Sich nach seinem Befinden erkundigen? Oder doch lieber schweigen, bis er etwas sagte? Letztendlich entschied sie sich für das Zweite. Sie hatte ihn zuvor schon gefragt, ob alles in Ordnung sei, doch da schien er noch nicht wirklich in der Realität angekommen zu sein. „Wie geht es dir? Du siehst ehrlich gesagt gar nicht gut aus.“ Und das war keine Übertreibung. So schön seine Augen auch waren, so leblos wirkten sie in diesem Moment auch. Seine Haut war blass wie Schnee und seine dunkelblonden Haare sahen aus, als hätte man sie mit unscharfen Klingen abgeschnitten. „…Kopfschmerzen.“, erhielt sie lediglich als Antwort. „Das ist nicht gut… Ich meine, Schmerzen im Allgemeinen! Ähm…“, erwiderte sie improvisierend und lachte, um ihre Unsicherheit zu verbergen. Dass dies eher das Gegenteil zur Folge hatte, war ihr nicht bewusst. „Und?“, ließ der Fremde ein weiteres Mal seine Stimme erklingen. Ein gewisser Druck schwang in seinem Unterton mit. „Und?“, wiederholte Mina das genannte Wort, jedoch in einer völlig anderen Betonung. Sie wusste nicht, was sie mit diesem Brocken anfangen sollte. „Das Jahr. Welches Jahr haben wir? Wie lange war mein Körper in Starre?“, konkretisierte er nochmals seine Frage und warf Mina einen musternden Blick zu. Sofort merkte sie, wie seine Augen ihren Körper gedanklich beinahe auszuziehen drohten. Aber das war ihr momentan herzlich egal. Stattdessen liefen seine Worte in einer Endlosschleife in ihrem Kopf auf und ab und drängten darauf, verarbeitet zu werden. Es gelang ihr nicht. Nichts davon ergab Sinn. Die Frage wollte sie ihm trotz des Chaos‘ in ihren Gedanken beantworten: „2564, das ist unser Jahr.“ „Zweitausendfünfhun…“, führte sich der Blonde die Zahl vor Augen. Zuerst geschah nichts. Er starrte nur nach vorn mit geöffnetem Mund und blinzelte die 30 Sekunden nicht ein einziges Mal. Dann kam es über ihn und er stolperte kopfüber aus dem Behälter heraus, an dem er sich ein Knie aufschlug, und landete letztlich mit seinem Hintern auf dem harten Betonboden. Er verzerrte sein Gesicht beim Aufprall, während er Mina komplett ignorierte. Kurz danach hielt er sich an dem Behälter fest, um sich mit dessen Hilfe nach oben zu ziehen und auf beiden Füßen zu stehen. Das Resultat sah eher dürftig aus: Zitternde Arme und schlotternde Beine machten keinen besonders sicheren Eindruck. „Kann ich dir irgendwie weiterhelfen?“, bot Mina dem jungen Mann an. Sie konnte es nicht ertragen, ihn so zu sehen und nichts dagegen zu unternehmen. Er schien Schmerzen zu haben; zumindest lag seine Stirn in Falten. Das konnte allerdings auch mit seinen bevorstehenden Worten zu tun gehabt haben: „2287 bin ich in dieses Ding eingestiegen… 277 Jahre lag ich da drin…“ Langsam dämmerte es Mina. Der Untergrund, der trotz der Bombenangriffe unversehrt blieb, die merkwürdige Anlage und schließlich noch diese Aussage. Das Jahr 2287 lag genau in dem Zeitraum, in dem der 80-jährige Krieg geherrscht hatte, was so viel bedeutete, dass diese Anlage… „Sie sollte euch vor dem Krieg beschützen!“, fasste Mina laut zusammen und schaute erwartungsvoll in das Gesicht des Mannes, der trotz seiner gekrümmten Körperhaltung immer noch größer war als sie selbst. „Und es scheint funktioniert zu haben.“, fügte sie noch leise hinzu. Eigentlich hatte sie nicht erwartet, dass er sie hören konnte, da seine Sinne ihm immer noch nicht ganz gehorchen wollten, doch er hatte ihren letzten Satz sehr wohl vernommen und machte daraufhin ein finsteres Gesicht. „Funktioniert? Du… wer bist du überhaupt? Du scheinst keine Wissenschaftlerin zu sein.“ Nach genauerer Betrachtung zog er seine rechte Augenbraue hoch und korrigierte sich: „Was rede ich da? Du siehst aus wie eine Wilde!“ Empört stieß Mina ein lautes „Hey!“ aus und plusterte ihre Wangen gespielt wütend auf. In gewisser Hinsicht hatte er damit gar nicht so Unrecht, doch sein Unterton klang ihr viel zu abwertend, als dass sie diesen Kommentar einfach so stehen lassen konnte. „Ich bin Mina! Jägerin. Und ich habe dich aus diesem Ding befreit und kein komischer Wissenschaftler!“, stellte sie sich nun endlich vor, wenngleich etwas anders als geplant. Mittlerweile konnte der Fremde wieder fast kerzengerade stehen, doch seine Stütze wollte er immer noch nicht loslassen. Mina schätzte seine Größe auf 1,82 m. Sein Körper war nicht dünn, aber auch nicht sehr muskulös. Gegen die meisten Männer aus ihrer Siedlung hätte er in einem Zweikampf kein Land gesehen. „Aaron. Ich bin… Ich war Student, aber das ist jetzt ja sowieso egal.“, seufzte er und schaute sich ein wenig im Raum um. Von seiner scharfen Zunge war nicht mehr viel übrig, dafür war seine Frustration kaum zu überhören. Mina sagte nichts. Zu traurig war der Anblick, wie Aaron an den Behältern vorbeischritt und sich die Gesichter der anderen Menschen einprägte. Jedes Mal hielt er einige Minuten inne, bevor er zum nächsten überging, bis er schließlich am Ende angekommen war. „Verdammt.“, fluchte er leise. „Sie alle…“ „Aaron, es tut mir leid. Immerhin… schienen sie keine Schmerzen gehabt zu haben.“, versuchte sie ihn zu trösten, doch Aaron hielt nicht viel von ihren leeren Floskeln. „Halt den Mund.“, knurrte er in ihre Richtung. Er wollte davon nichts hören. Zu viel ging momentan in seinem Kopf herum, da konnte er nicht auch noch einer Fremden sein Herz ausschütten. Mina war sich dessen bewusst, weshalb sie ihm deswegen nicht böse sein konnte. Sie selbst fühlte es auch, dabei waren es für sie nur Fremde. Wie musste sich Aaron dann bloß fühlen? Darauf fand sie keine Antwort. Alles, was sie tun konnte, war darauf zu hoffen, dass sich sein Herz schnell wieder erholte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)