For the World Is Hollow and I Have Touched the Sky von Morwen ================================================================================ Kapitel 14: Dorian ------------------ Als Dorian am nächsten Morgen aus dem Zelt kroch – hungrig und ungewaschen, aber das erste Mal seit Tagen wieder erholt – herrschte im Lager Aufbruchsstimmung. Die Feuer waren mit Erde zugeschüttet und die meisten Zelte bereits abgebaut worden, und die Soldaten waren dabei, Vorräte und Gepäck auf die weniges Bisents zu laden, die sie bei der Zerstörung von Haven hatten retten können. „Ah, Serah Pavus!“, hörte er eine fröhliche Stimme und Dorian wandte sich zu Varric um, der ihm im Vorbeigehen einen Apfel in die Hand drückte. „Schön, dass Ihr wach seid. Wir setzen unseren Marsch bald fort, also esst, solange Ihr noch könnt.“ Dorian sah ihm für einen Moment sprachlos nach, dann schwang er seinen Beutel über die Schulter und griff nach seinem Stab, bevor er sich beeilte, Varric einzuholen, während hinter ihnen das Zelt abgebaut wurde. „Wohin geht es?“, fragte er. „Und was ist mit der Heroldin? Ich dachte, sie–“ „Es geht ihr gut“, unterbrach ihn Varric mit einem Lächeln. „Ihr habt bei ihrer Rückkehr schon geschlafen, aber als sie uns letzte Nacht schließlich fand, war sie in weitaus besserer Verfassung, als man es nach dem Kampf gegen den Drachen und eine Wanderung durch den Schneesturm erwartet hätte. Eine Nacht Ruhe und sie ist wieder wohlauf. Ich fange langsam an zu glauben, dass diese Frau nichts erschüttern kann.“ „... es scheint so“, meinte Dorian mit einiger Verspätung, der noch nicht wach genug war, dass seine Gedanken wieder in gewohnter Geschwindigkeit arbeiteten. Während sie das Lager durchquerten, fiel sein Blick auf die hünenhafte Gestalt des Qunari, der ihm schon am Vortag aufgefallen war. Er lachte gerade über eine Bemerkung, die einer seiner Männer gemacht hatte, doch als er den Blick des Magiers bemerkte, zwinkerte er ihm zu. Dorian wandte schnell das Gesicht ab. Nichts an dem Blick, den der Qunari ihm zugeworfen hatte, war unschuldig gewesen, und Dorian wusste nicht, was er davon halten sollte. Er wusste noch weniger, was er von der Wärme halten sollte, die ihm dabei in die Wangen gestiegen war, und für einen kurzen Augenblick erlaubte er seinen Gedanken abzuschweifen und all die Möglichkeiten in Betracht zu ziehen... Aber nein. Nein, mehr als eine Fantasie würde diese Sache niemals sein, und er sollte sofort damit aufhören, sich ihr weiter hinzugeben... Er war so in seine Gedanken vertieft, dass er beinahe in Cullen hineingerannt wäre, der ihnen entgegenkam. Nur die Geistesgegenwart des Kommandanten, der schnell zur Seite trat, rettete Dorian vor einem Zusammenstoß. Mit entschuldigendem Lächeln stützte er sich auf seinen Stab. „Verzeiht mir“, sagte er. „Ich war für einen Moment nicht bei der Sache.“ „Es ist ja nichts passiert“, entgegnete der andere Mann nur, bevor er Dorian kurz musterte. „Ihr seht gut aus“, meinte er dann. Dorian war für einen Moment zu perplex, um zu antworten. Dann konnte er hören, wie Varric neben ihm ein unterdrücktes Lachen von sich gab, das er erfolglos als Räuspern zu tarnen versuchte, und hob seinerseits amüsiert eine Augenbraue. „Ihr ehrt mich, Kommandant, aber was veranlasst dieses Kompliment...?“ Cullen schien erst jetzt bewusst zu werden, was er gesagt hatte, und er seufzte auf.  „Andraste steh mir bei...“ Er rieb sich verlegen den Nacken. „Was ich meinte, war – Ihr seht besser aus, als letzte Nacht. Erholter. Ich hoffe, Ihr konntet gut schlafen?“ Dorian und Varric tauschten einen kurzen Blick. „Der Geräuschpegel hielt sich in Grenzen, wenn es das ist, was Ihr meint“, erwiderte Dorian diplomatisch, und Varric grinste. „Was ist mit Euch?“, fragte Dorian dann und sah Cullen wieder an. Der Kommandant war wie immer blass, aber die Ringe unter seinen Augen waren nicht mehr ganz so tief, wie in der Nacht zuvor. Dennoch zweifelte Dorian nicht daran, dass ihm ein paar Tage Ruhe gut tun würden. „Es wird reichen“, meinte Cullen nur, dann drehte er sich zur Seite und warf einen Blick an die Spitze des Zuges, der sich allmählich um sie herum bildete. Dorians Augen folgten seinem Blick, und er sah die Heroldin mit schimmernder Rüstung und offenem, roten Haar, die gerade in ein Gespräch mit Cassandra vertieft war. Sie machte in der Tat einen sehr lebhaften und entschlossenen Eindruck, und Dorian stellte überrascht fest, dass er ihr folgen würde, egal, wohin ihr Weg sie auch führen mochte. Lavellan besaß einen Optimismus und eine Stärke, die Hoffnung sehen ließen, wo man keine mehr für möglich gehalten hatte. Und es schien den anderen Männern und Frauen der Inquisition ähnlich zu gehen, wie Dorian, denn trotz ihrer schweren Niederlage in Haven wirkten sie weniger niedergeschlagen, als man es vermutet hätte. Ein Blick in Cullens Gesicht sagte ihm jedoch, dass der Kommandant anders empfand. „Ihr wirkt besorgt“, stellte Dorian fest. „Was beschäftigt Euch?“ „Ich...“ Cullen sah ihn nicht an, aber Dorian entging der Ausdruck von Resignation auf seinem Gesicht nicht. „Ich bete, dass es das Richtige ist, was wir tun. Als die Heroldin an Cassandra und mich herantrat und sagte, sie wüsste von einem Ort, an dem die Inquisition sicher wäre, war ich voller Zuversicht. Doch jetzt...“ „Jetzt habt Ihr Zweifel“, vermutete Dorian und der Kommandant senkte den Blick. „Es hängen zu viele Menschenleben vom Ausgang dieser Reise ab“, sagte er leise. „Wenn uns unterwegs ein Unglück widerfahren sollte, gibt es nichts, was ich sagen könnte, um ihren Schmerz zu lindern... außer, dass ich an die Heroldin geglaubt habe.“ „Aber ihr glaubt an sie“, warf Varric ein. „Das ist schon viel wert. Und Leute, die spüren, dass Ihr an das glaubt, was Ihr tut, sind eher bereit, Euch zu vertrauen – und Euch zu folgen.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust. „So wie ich das sehe, sind die Alternativen, die wir haben, nicht viel besser“, meinte er. „Was spricht also dagegen, der Heroldin zu folgen und zu sehen, ob nicht etwas an dem dran ist, was sie sagt...?“ Cullen hob den Kopf und starrte Varric einen Moment lang an, als würde er ihn zum ersten Mal sehen. Schließlich begann er zu lächeln. „Ihr habt Recht“, entgegnete er. „Die Leute vertrauen darauf, dass wir sie an einen sicheren Ort führen. Vielleicht sollte ich meinerseits etwas mehr Vertrauen in die Heroldin haben.“ „Vielleicht solltet Ihr das“, meinte Varric, aber es war kein Spott in seiner Stimme, und der Blick, den er dem anderen zuwarf, war aufmunternd und bestärkend. Cullen nickte ihm und Dorian kurz zu, dann wandte er sich ab und setzte seinen Weg durch das Lager fort, um seinen Leuten letzte Anweisungen vor ihrem Aufbruch zu geben. Dorian starrte Varric an. „Ihr seid bemerkenswert geschickt darin, anderen den Glauben an sich selbst zurückzugeben, Varric“, stellte er nicht ohne einen Hauch von Anerkennung fest. Der andere grinste ihn an. „Und trotzdem behaupten sie, Zwerge könnten keine Magie wirken.“ Dorian begann zu lachen.   In den ersten paar Stunden ihrer Wanderung lief Dorian neben Varric her. Sie unterhielten sich über alles und nichts – belanglose Dinge, die eher ihre Meinungen zu verschiedenen Themen widerspiegelten, als Details aus ihrem Leben preiszugeben. Denn so sympathisch Dorian den Zwerg auch fand, er hatte kein Bedürfnis danach, ihm seine Lebensgeschichte zu erzählen, und Varric, der dies zu spüren schien, ging auf die seichte Unterhaltung ein und mied alle privaten Themen, wofür Dorian ihm unendlich dankbar war. Die Unterhaltung zwischen ihnen und Cullen hatte ihm klargemacht, dass der Zwerg ein außerordentliches Feingefühl beim Umgang mit anderen besaß und jegliche Stimmungsänderungen sofort wahrnahm. Er war ehrlich, aber nie beleidigend, und jeder, der sich mit ihm unterhielt, begann sich automatisch nach einer Weile zu entspannen. Denn Varric stellte keine Fragen, wo sie nicht erwünscht waren, und er urteilte nicht über andere, sondern respektierte ihre Grenzen. Und Dorian ahnte, dass er von allen Mitgliedern der Inquisition, die er bisher kennengelernt hatte, ihn als ersten würde Freund nennen können. Selbstverständlich würde es noch eine Weile dauern, bis sie diesen Punkt erreicht hatten, aber er fühlte sich in seiner Gegenwart wohl und wenn er weiter bei der Inquisition blieb, dann würden er und Varric sicher noch viele Unterhaltungen führen. Varric war es auch, der ihm einen kurzen Überblick über die restlichen Mitglieder des Inneren Kreises der Heroldin gegeben hatte. „Wenn Ihr Euch bemüht, werdet Ihr bestimmt auch bald dazu zählen“, hatte er gesagt. „Ihr habt Verstand, seid ein fähiger Magier und kennt Euch mit der Geschichte und Kultur Tevinters aus, was im Kampf gegen Corypheus mit Sicherheit kein Nachteil ist.“ Dorian, der es nicht gewohnt war, ehrlich gemeinte Komplimente zu erhalten, hatte nichts gesagt, aber er hatte Varric einen dankbaren Blick geschenkt. Mit den engsten Vertrauten der Heroldin hatte er bisher kaum Kontakt gehabt. Sowohl Leliana als auch Cassandra machten einen schwer zugänglichen Eindruck, während Jospehine auf den ersten Blick zwar offen und vertrauensvoll wirkte, aber nach kurzem Gespräch mit ihr schnell klar wurde, dass sich hinter ihrem freundlichen Lächeln eine berechnende und zielstrebige Frau verbarg, die ihre Gegner nicht mit dem Schwert, sondern mit der Feder durchbohrte. Cullen war ein wandelndes Enigma. Auch wenn er oft einen fast schon charmant unbeholfenen Eindruck machte, wurde doch bei jeder Gelegenheit deutlich, dass er seine Truppen absolut unter Kontrolle hatte. Darüber hinaus drang manchmal eine Finsternis durch die Risse in seiner Fassade, auf die Dorian sich keinen Reim machen konnte, und er fragte sich, ob er den Mann jemals verstehen würde. Mit den anderen Mitgliedern des Inneren Kreises hatte er sich bisher kaum beschäftigt, sah man einmal von Varric ab – und Solas, mit dem er sich am Nachmittag für eine Weile unterhielt. Das umfangreiche Wissen des Elfs über das Nichts war schlichtweg beeindruckend, das musste selbst Dorian nach einer Weile zugeben. Er selbst hatte schon vieles im Nichts gesehen und mit dem ein oder anderen Dämonen dort anregende Unterhaltungen geführt – meistens bevor besagter Dämon versucht hatte, Besitz von Dorian zu ergreifen – aber Solas erzählte ihm von Wesen, die er gesehen, und Geistern, die er getroffen hatte, von denen Dorian noch nie zuvor gehört hatte. Wäre der Tonfall des anderen dabei nicht so furchtbar belehrend gewesen, dass Dorian nach einer Weile innerlich die Augen verdrehte, hätte er sich gewiss noch länger mit ihm unterhalten. Doch nach zwei Stunden hielt er die Art und Weise, wie der Elf von oben herab mit ihm sprach – ob es bewusst oder unbewusst war – nicht mehr aus und beendete die Unterhaltung. Solas schien dies allerdings nicht zu stören, und er setzte seinen Weg allein fort, mit sich und der Welt im Einklang auf eine Art, für die Dorian ihn fast beneidete. Während Dorian sich Stück für Stück zurückfallen ließ und darauf wartete, dass Varric ihn einholte, bemerkte er aus dem Augenwinkel plötzlich einen Schatten. Er drehte den Kopf zur Seite und sah einen jungen Mann neben sich herlaufen, der wie aus dem Nichts neben ihm aufgetaucht war. Dorian hatte ihn noch nie zuvor gesehen, was ihn ein wenig überraschte, denn den furchtbaren Hut, den der Junge trug, hätte er sicher niemals vergessen können. „Aber Ihr habt ihn vergessen“, sagte der Junge plötzlich leise und sah ihn aus blassen, blauen Augen an. „Außerdem ist er nicht furchtbar“, fügte er dann mit leisem Vorwurf hinzu. „Er hält meinen Kopf warm.“ „Was...?“, machte Dorian nur, der keine Ahnung hatte, was in diesem Moment vor sich ging. „Lasst Euch von dem Jungen nicht irritieren“, brummte ein dunkelhaariger Mann mit imposantem Bart, der neben ihnen herlief. „Er spielt diese Spielchen mit allen, die neu sind.“ „Es ist kein Spiel!“, protestierte der junge Mann. „Ich wollte mich nur unterhalten.“ „Das einzige, was du bisher geschafft hast, ist, den armen Mann durcheinanderzubringen“, entgegnete der Fremde, der die Rüstung der Grauen Wächter trug, wie Dorian in diesem Moment bemerkte. „Verzeiht mir die Direktheit“, sagte Dorian und runzelte die Stirn. „Aber wer seid Ihr?“ „Wer?“, fragte der Mann. „Ich oder er?“ „‚Er‘?“ Dorian sah neben sich, doch dort war niemand. Seltsam, er wurde das Gefühl nicht los, dass er sich eben noch mit jemandem unterhalten hatte... Der Mann neben ihm fluchte leise. „Ich hasse es, wenn der Bengel das macht.“ Dorian sah ihn verwirrt an. „Wenn wer was macht?“ „Keine Sorge, er taucht bald wieder auf“, meinte der andere. „Es erfordert ein bisschen Konzentration, um sich an ihn zu erinnern. Ihr werdet bald wissen, wovon ich rede.“ „Das hoffe ich“, meinte Dorian trocken. Bisher war er vor allem verwirrt, und es war kein Gefühl, das er besonders mochte. „Blackwall ist mein Name“, stellte der andere Mann sich vor und sah ihn aufmerksam an. „Ihr seid aus Tevinter, oder?“ „Ist das eine rhetorische Frage?“, entgegnete Dorian, der sich den Spott nicht verkneifen konnte. „Ich dachte, es wäre mittlerweile ein offenes Geheimnis in der Inquisition, woher ich stamme.“ Doch Blackwall schien ihm die Bemerkung nicht übel zu nehmen, sondern lachte nur auf. „Ich habe bisher tatsächlich noch nicht von Euch gehört“, erwiderte er. „Aber Euer Akzent ließ es mich vermuten.“ „... oh“, meinte Dorian. Er fühlte sich plötzlich wie ein Narr. Dann fiel sein Blick wieder auf das Wappen auf Blackwalls Rüstung. „Und was treibt einen Grauen Wächter wie Euch in eine Gegend wie diese?“ „Eure Beobachtungsgabe ist wirklich bemerkenswert“, meinte Blackwall mit amüsiertem Funkeln in den Augen. „Und um Eure Frage zu beantworten: ich bin ganz offensichtlich zum Bergsteigen hergekommen.“ Dorian verdrehte die Augen. Dieser Mann wollte ihn herausfordern? Na schön! „Also habt Ihr nicht vor, neue Mitglieder für den Kampf gegen die Dunkle Brut zu rekrutieren, der früher oder später unvermeidlich mit dem Tod endet?“, fragte er mit gespieltem Lächeln. Ein Muskel zuckte kurz in Blackwalls Gesicht, doch er ignorierte den Köder. „Warum die Frage?“, entgegnete er stattdessen. „Habt Ihr denn vor, nachts in mein Zelt zu schleichen und mein Blut für finstere Rituale zu verwenden?“ „Uhm“, machte Dorian, den die Bemerkung für einen Moment aus dem Konzept gebracht hatte. „Nein?“ „Gut.“ Blackwall nickte. „Dann sollten wir keine Probleme miteinander haben.“ Dorian starrte ihn nur an. Dies ist jetzt mein Leben, dachte er. All meine Entscheidungen haben mich an diesen Punkt geführt. Doch auch wenn er Blackwall in diesem Moment am liebsten erwürgt hätte, bereute er noch keine einzige davon. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)