For the World Is Hollow and I Have Touched the Sky von Morwen ================================================================================ Prolog: Cullen, Dorian ---------------------- Cullen   Cullens Hände zitterten. Seit einer halben Stunde starrte er schon auf das breite Lederarmband, das sich fest um sein rechtes Handgelenk schmiegte. Er trug es schon seit so vielen Jahren, dass das Leder mit der Zeit nachgedunkelt und brüchig geworden war, doch trotz seines abgenutzten Zustandes hatte er es nie entfernt. Es war eines der wenigen Dinge, die von seiner Vergangenheit geblieben waren und ihn durch Kinloch und das Blutbad in Kirkwall begleitet hatten – es abzulegen bedeutete endgültig ein Kapitel zu beenden, das mehr als fünfzehn Jahre seines Lebens in Anspruch genommen hat. Doch nun, da er kein Templer mehr war, bestand keine Notwendigkeit mehr, es weiter zu tragen. Zum ersten Mal seit vielen Jahren war er sein eigener Herr und bestimmte selbst, wie es mit seinem Leben weiterging. Und zum ersten Mal wagte er zu hoffen, dass es noch mehr zu bieten hatte, als Dämonen, Lyriumwahn und Bürgerkrieg. All seine Hoffnung ruhte auf dem Namen auf der Innenseite seines Handgelenks. Ein Name, den er schon seit seiner Geburt auf der Haut trug, der jedoch nach der Tradition Fereldens mit einem Lederarmband verdeckt worden war, welches schließlich in einer feierlichen Zeremonie an seinem fünfzehnten Geburtstag hätte entfernt werden sollen – wäre er nicht mit dreizehn Jahren den Templern beigetreten. Obwohl der Orden es nie direkt verboten hatte, wurde es nicht gerne gesehen, wenn die jungen Rekruten ihre Armbänder entfernten, lenkte es sie schließlich von ihrem heiligen Auftrag ab, der Disziplin und Wachsamkeit erforderte, und bei dem Partnerschaften eher hinderlich waren, als alles andere. Auch Cullen hatte zu jenen gehört, die aus Loyalität zur Kirche ihr Armband nicht abgelegt hatten, um sich besser auf seine Aufgabe konzentrieren zu können, weshalb er nun, mit fast dreißig Jahren, noch immer nicht den Namen kannte, der auf seine Haut geschrieben war: Den Namen seiner Seelenpartnerin, jener Person, die ihm das Schicksal zugeteilt hatte und die ihn, wenn er den Aussagen seiner Familie Glauben schenken konnte, in allem, was er war, ergänzen würde. Für gewöhnlich war es jemand, der in der gleichen Region lebte, wie man selbst, so dass zumindest eine hohe Wahrscheinlichkeit bestand, dass man ihm früher oder später begegnete. Doch Cullen hatte nie lange am gleichen Ort gelebt, falls er seiner Partnerin also schon einmal begegnet war, dann unwissentlich. Langsam griff er nach dem Messer, das neben ihm auf dem schmalen Bett lag. Seine Hände hatten aufgehört zu zittern, doch die Nervosität saß noch immer in seinem Bauch und bescherte ihm ein flaues Gefühl. Nicht zum ersten Mal fragte er sich, ob er den Namen tatsächlich wissen wollte. Er war nicht mehr der Jüngste, und wer auch immer seine Partnerin sein würde, es war durchaus möglich, dass sie nicht auf ihn gewartet hatte, sondern in der Zwischenzeit einen anderen Lebensgefährten gefunden und mit ihm eine Familie gegründet hatte. Auch bestand die Möglichkeit, dass der Name auf seiner Haut silbern war, ähnlich einer verblassenden Narbe, was bedeutete, dass sein Partner bereits gestorben war. Zweifel ließen Cullen zögern, als er das Messer ansetzen wollte. Spielte es wirklich eine Rolle, wer seine Partnerin war? Er hatte den Namen dreißig Jahren lang ignoriert, er konnte ihn gut noch weitere dreißig Jahre ignorieren und sterben, ohne jemals zu erfahren, wer seine Partnerin hätte sein können. Und doch... hatte er nicht auch ein Recht darauf, den Namen zu erfahren? Er hatte nur dieses eine Leben, und wenn trotz seines Alters und seiner ereignisreichen Vergangenheit als Templer noch immer eine Möglichkeit bestand, den Rest seines Lebens mit der Frau zu verbringen, die ihrerseits seinen Namen auf der Haut trug, dann wollte er sie nicht ungenutzt lassen. Kurzentschlossen schob Cullen die Messerspitze unter das Lederarmband und durchtrennte es mit einem raschen Schnitt. Die Haut darunter war so blass, dass die Adern zu erkennen waren, was nicht überraschend war, wenn man bedachte, wie lange sie kein Sonnenlicht mehr gesehen hatte. Langsam drehte Cullen sein Handgelenk, während sein Herz so heftig klopfte, dass jede Faser seines Körpers im Rhythmus seines Herzschlages zu vibrieren schien. Buchstabe für Buchstabe kam schließlich in zierlicher, schwarzer Schrift der Name zum Vorschein, und Cullens Augen weiteten sich. Nicht, weil sein Partner der Schrift nach zu urteilen offensichtlich noch am Leben war. Auch nicht, weil der Name so fremdartig klang, dass er unmöglich fereldischer Herkunft sein konnte. Nein, dies waren nicht die Gründe für seine Reaktion. Womit Cullen nicht gerechnet hatte, war die Tatsache, dass es der Name eines Mannes war.     ~*~     Dorian     Für Dorian hatten nie Zweifel daran bestanden, dass er etwas Besonderes war. Mit vier Jahren, als er Lesen und Schreiben lernte, las er zum ersten Mal den Namen auf dem Handgelenk seiner Mutter – einen Namen, den er noch nie zuvor gehört hatte. Als er seine Mutter danach fragte, nahm sie ihn mit einem Lächeln auf den Schoß, das ihre Augen nicht erreichte, und erklärte ihm, was Seelennamen waren, und dass es sich nicht schickte, sie mit der Öffentlichkeit zu teilen. Dorian zupfte an dem Band an seinem eigenen Handgelenk und sah sie dann fragend an. „Aber ich habe keinen Namen“, sagte er. „Warum muss ich trotzdem ein Band tragen?“ „Damit niemand weiß, dass du keinen hast“, erwiderte sie. Die Antwort verwirrte ihn nur noch mehr. „Das verstehe ich nicht.“ „Seelennamen sind etwas sehr Persönliches, und oft wird das Wissen um den Namen einer Person gegen sie verwendet, um ihr und ihrem Ansehen zu schaden“, erklärte seine Mutter. „Auch die Tatsache, dass du keinen Namen hast, kann dich angreifbar machen, darum darfst du niemals jemandem davon erzählen, Dorian. Niemals. Hast du verstanden?“ Er nickte mit großen Augen, auch wenn er ihre Worte erst viele Jahre später wirklich begreifen sollte. „Warum habe ich keinen Namen?“, fragte er dann. „Heißt das, ich bin ein Sklave?“ Er rümpfte die Nase, als er an all die Bediensteten in ihrem Haushalt dachte, die mit Narben auf den Handgelenken und leerem Blick ihren Aufgaben nachgingen. „Ich will kein Sklave sein.“ Seine Mutter starrte ihn einen Moment lang mit einer Mischung aus Entsetzen und Verständnislosigkeit an, dann begann sie zu lachen. „Nein“, entgegnete sie, „du bist kein Sklave, Dorian. Auch die Sklaven hatten einst Namen, doch sie wurden ihnen entfernt, um sie friedfertig und gehorsam zu machen. Du hingegen hattest nie einen.“ „Gibt es mehr wie mich?“, fragte Dorian eifrig. „Die nie einen Namen hatten?“ Seine Mutter schüttelte den Kopf. „Ich habe noch nie von einem gehört.“ Wieder schenkte sie ihm dieses Lächeln, das keines war. „Du bist etwas ganz Besonderes, Dorian.“ Wenige Monate später setzte Dorian mit der Kraft seiner Gedanken eine Gardine in Brand, in der er sich beim Spielen verfangen hatte, und konnte gerade rechtzeitig von einem der Diener gerettet werden. Während die Sklaven die Flammen löschten und der Junge sich noch von seinem Schock erholte, betrat sein Vater den Raum. Dorian sah ihn nur sehr selten, da er viel Zeit mit seiner Arbeit für das Magisterium verbrachte und seinen Sohn in der restlichen Zeit zu meiden schien, doch an diesem Tag kam er mit einem Lächeln auf ihn zu und nahm ihn auf den Arm. Dorian, der Zärtlichkeiten wie diese nicht von seinem Vater gewohnt war, starrte ihn an, als wäre er ein Fremder in ihrem Haus. „Selten manifestiert sich Magie in einem solch jungen Alter“, sagte sein Vater und seine Augen funkelten vor Stolz. „Vielleicht bist du doch nicht verflucht, wie ich immer geglaubt habe, sondern gesegnet.“ Und schon damals spürte Dorian einen Stich bei dem Wort „verflucht“, doch die Freude darüber, von seinem Vater gelobt zu werden, war in diesem Moment größer und er schlang die Arme um seinen Hals. „Mein Sohn“, hörte er die Stimme seines Vaters an seinem Ohr, „ich glaube, du wirst es noch weit bringen...“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)