Level 1 von _Delacroix_ ================================================================================ Level 1 ------- Es war still im Camp. Nicht einmal ein Käuzchen schrie. Die Lichter waren längst gelöscht. Nur in meiner Kabine war es immer noch hell. Kayla lag auf ihrem Bett und starrte hoch konzentriert ein Display an. Auf dem Nebenbett gähnte Austin. „Hast Du nicht langsam die Nase voll?“ Kayla hob nicht mal den Blick. „Nein“, murmelte sie abwesend. In der anderen Ecke des Zimmers richtete sich Will auf. „Du weißt doch, sie ist unser Vogelgirl“, erinnerte er seinen Halbruder amüsiert.   Das erste Mal seit Beginn des Gesprächs öffnete ich meine Augen.   „Sie ist kein Vogel“, beschloss ich meinen elterlichen Pflichten zumindest ein Stück weit nachzukommen und meine Tochter vor ihren Brüdern in Schutz zu nehmen. „Noch nicht“, stichelte Austin. Kayla schnaubte. „Das sagst Du nur, weil ich Dich um mehr als 100 Level geschlagen habe.“ Ich musste nicht zu Austin sehen, um zu wissen, dass ihm der Kommentar nicht gefiel. Trotzdem, meine Neugier war geweckt. „Worin hat sie Dich geschlagen?“, rutschte es mir heraus, bevor ich mich selbst eines besseren belehren konnte. Auf seinem Bett stöhnte Will. Scheinbar ahnte er bereits was jetzt folgen würde. Kayla blickte von ihrem Display auf. „Ich bin unsere Hüttenmeisterin im Angry Birds-Spiel“, erklärte sie stolz. „Ich bin inzwischen auf Level 419, weil ich einfach am allerbesten zielen kann.“ „Und weil Du die Einzige von uns bist, die das Spiel 24 Stunden am Tag laufen lassen kann, ohne dass Du Dich dabei zum Hühnchen zurückentwickelst.“ „Ich bin auf Level 205“, warf Will hilfsbereit dazwischen. „79“, murmelte Austin unzufrieden. „Was ist mit Dir D-Apollo? Welches Level hast Du?“ Ich legte den Kopf schief. Es war ja nicht so, als würde ich nicht gelegentlich das eine oder andere Spiel spielen – genau genommen war ich ungeschlagener Weltmeister in Guitar Hero. Aber Angry Birds? Das kannte ich nicht.   „Erzähl mir nicht Du hast das noch nie gespielt“, entfuhr es meiner Tochter ungläubig. „Jeder spielt das, das ist gerade total angesagt.“ Ich verkniff mir den bissigen Kommentar, dass man mir vor Jahren das Diskuswerfen auf eine ähnliche Art und Weise näher zu bringen versucht hatte. Stattdessen zuckte ich mit den Schultern. „Ich bin halt viel beschäftigt“, behauptete ich. „Dann komm, versuch es mal. Ich bin mir sicher Du kannst das richtig gut.“ Meine Tochter sah mich mit ihren großen Augen an und ich wusste aus der Nummer würde ich nicht mehr herauskommen. Sie würde keine Ruhe geben, bis ich mit meinem göttlichen Talent 420 Level dieses Spiels überlistet hatte. Mit Pech würde mich das die ganze Nacht kosten. „Was muss ich machen?“, erkundigte ich mich trotzdem und sie erklärte mir diverse Vögel, die ich wie einen Pfeil auf ihre grünen Feinde niederregnen lassen sollte. Sie hatte recht. Das klang nach einem Spiel für mich. Als Gott des Bogenschießens zielte schließlich niemand so akkurat wie ich. (Auch wenn Eros da nach wie vor anderer Meinung war.) Ich drückte auf das Display, welches mir irgendwann zwischen schwarzem Vogel und hellblauem Piepmatz in die Hand gedrückt worden war und musterte meine drei roten Kugeln. Mit einem Pfeil hatten sie nicht viel gemeinsam, aber das Katapult sah leicht zu bedienen aus. Es gab auch nur ein grünes Schwein, welches ich von einem Turm aus Holz und Steinen schießen sollte. Es musste wirklich einfach sein. Sicher würde ich mit einem Schuss das Level beenden können. Ich musste nur ein bisschen zielen. Langsam spannte ich die virtuelle Sehne. Ich nahm an, dass ich die Windstärke außen vor lassen konnte, immerhin schien in dem Spiel kein einziges Lüftchen zu wehen. Ich nahm noch einmal Maß, dann ließ ich die Sehne los und das rote Geschoss flog über den Bildschirm.   ... ... ...   Das Schwein stand und hatte auch noch die Frechheit mich dumm anzugrinsen. Ich holte tief Luft und schoss erneut.   Eine weitere Niete.   Mein Blick verdüstert sich und wäre ich im Vollbesitz meiner Kräfte gewesen, ich hätte das unverfrorene Gerät augenblicklich zu Staub zerfallen lassen. Verärgert zielte ich ein drittes Mal.   Zu kurz.   „Game Over“ blinkte mir auf dem Bildschirm entgegen. Ich zog verärgert die Luft ein. Auf keinen Fall würde ich aufgeben, wenn meine Kinder in diesem Spiel alle mindestens Level 79 hatten. Immerhin hatten sie ihr gutes Augenmaß von mir! Ich drückte auf den Wiederholen-Knopf und starrte meine Vögel finster an. Egal ob es die ganze Nacht dauern würde, ich würde diese grünen, runden Bälle besiegen, oder mein Name würde nicht länger Apollo sein! Oder zumindest nicht mehr Lester Papadopolous. Der Name hatte mir ohnehin noch nie gefallen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)