Mutant Catcher von jide ================================================================================ Prolog: -------- "So many battles waged over the years... and yet, none like this. Are we destined to destroy each other, or can we change each other and unite? Is the future truly set?" - Charles Xavier     Mutationen gibt es seit dem Anfang der Zeit. Fische mutierten so, dass sie irgendwann an Land gehen konnten. Giraffen mutierten, dass sie an höhere Bäume kamen, um so an Nahrung zu kommen. Die Schwachen wurden aussortiert, während die Starken überleben konnten. Das ist die Darwin'sche Evolutionstheorie.   Auch Menschen entwickelten sich in tausenden von Jahren weiter. Haar- und Augenfarben mutierten, Größe und Statur veränderten sich, um sich der Umgebung so gut wie möglich anzupassen. Menschen waren eigentlich voll von Mutationen. Mutationen, an die sie sich gewöhnt hatten, mit denen sie leben konnten und die normal waren.   Doch es entwickelten sich auch Menschen, die Fähigkeiten, Begabungen hatten, die weit über das Verständnis normaler Menschen hinaus gingen. Telepathie, Teleportation, Gestaltwandlung. Die Menschen fürchteten alles, was sie nicht kannten oder kontrollieren konnten. So wurden die Mutanten ausgeschlossen, verachtet oder aber man experimentierte mit ihnen. Viele Wissenschaftler wollten das X-Gen erforschen und verstehen.   Doch nicht nur die Menschen erwiesen sich zum Teil als Feinde der Mutanten. In den eigenen Reihen war der Krieg meist noch größer. Zwischen denen, die ihre Macht nutzen wollten, um zu herrschen und denen, die den Schwachen helfen wollte. Daraus gründeten sich Gruppierungen und Organisationen.   Die X-Men. Die Bruderschaft der Mutanten. Die Gefolgsleuten von Sebastian Shaw.   Und die Mutant Catcher. Kapitel 1: ----------- Azazel hatte Aerial am Arm gepackt. Heute war ihr dritter Auftrag für die Mutant Catcher, denen sie jetzt seit etwa 2 Jahren angehörte. Die Organisation war von einem Mutanten gegründet worden, den sie nur den Grauen nannten, da niemand sein Gesicht oder gar seine wahre Identität kannte. Er zeigte sich, wenn überhaupt nur im grauen Gewand, mit dem Rücken zu denen, zu welchen er sprach. Aerial war klug genug, um zu wissen, dass sie besser nicht nachfragen, sondern einfach Befehle ausführte. Ihre Organisation hatte viel Vorbereitungszeit benötigt. Sie waren auf der Suche nach den mächtigsten Mutanten, die sich ihrer Sache anschließen sollten. Doch viele dieser Mächtigen Mutanten standen auf der Seite von Charles Xavier. Ein Telepath, der seine Macht mithilfe eines Gerätes namens Cerebro verstärken konnte und somit jeden Mutanten und Menschen der Welt im Blick hatte.   Ihre ersten zwei Aufträge hatte sie ebenfalls mit Azazel durchgeführt. Sie hatten unabhängige, leicht überzeugbare Mutanten aufgesucht, um ihre Gruppe zu verstärken. Aber der heutige Auftrag war anders. Sie war nervös und hatte Angst zu versagen, obwohl sie so lange für genau diese Momente trainiert hatte. Sie hatte ihre Mutation noch nicht vollständig unter Kontrolle, aber seit sie zu den Mutant Catchern gekommen war, hatte man sie auf Kämpfe vorbereitet. Ihre Mutation bestand darin, Luft zu komprimieren und über kurze Zeitabstände Dinge daraus zu Formen. So konnte Aerial beispielsweise Seile aus Luft entstehen lassen oder Schutzschilde erzeugen. Obwohl sie wusste, wie stark sie inzwischen war, hatte sie Angst. Weniger vor einem Kampf, sondern vor dem, was sonst passieren würde.   In der Organisation gab es zwei Hellseherinnen, die mithilfe von Telepathie und anderen Fähigkeiten, die Aerial nicht verstand, Mutanten aufspüren, um ihren wunden Punkt zu treffen. Jeder Mutant hatte ein Herz, dass mindestens einer Person gehörte. Gerade mächtige Mutanten würden sich der Organisation niemals einfach so anschließen, also musste man ihnen das Herz zerquetschen, bevor sie gefügig wurden. So sagte es zumindest der Graue. Und alles, was er sagte durfte und sollte besser nicht in Frage gestellt werden. Jemandem das Herz zu nehmen, davor hatte Aerial am meisten Angst. Sie würde Azazel, ihrem Partner, zwar nur assistieren, aber wenn es hart auf hart kam, musste sie vielleicht das Herz von ihm Mutanten zerstören.   "Können wir dann?" Azazel war ungeduldig geworden, weil Aerial mal wieder ihren Gedanken nach hing. Er war kein gesprächiger Typ, sie wollte aber auch ungerne reden. Ihre Gefühle und Gedanken behielt sie lieber für sich, bevor jemand ihr einen Strick daraus drehen könnte.   Sie nickte. Sie war bereit den Auftrag auszuführen, aber war sie im Notfall auch bereit zu töten? Kapitel 2: ----------- Azazel teleportierte sich und Aerial in eine Gasse in Westchester. Die Hellseherinnen hatten gesagt, dass der Mutant, den sie suchten im Kino mit seinem Herzen war. Aus ihrer Gasse hatten sie einen perfekten Blick auf das Gebäude. Der Film sollte gegen halb elf zuende sein, danach müssten sie zu ihrem Auto gehen, genau durch die Gasse, in der sich die beiden Mutanten versteckt hielten. Menschen zogen vorbei, lachten und redeten. So unbeschwert hätte Aerial sich ihr Leben auch gewünscht. Sie hatte immer normal sein wollen, als sie ihre Fähigkeiten entdeckte. Sie wurde bald von ihrem Freunden verstoßen, weil sie Angst vor dem hatten, was sie tun könnte. Vor ihren Eltern hatte sie ihr Talent so lange wie möglich geheim gehalten, weil sie glaubte, sie würde verstoßen werden. Und sie sollte auch recht behalten. In der Schule hatte sie sich gegen ältere Schüler verteidigen müssen, weil diese ihr Prügel angedroht hatten. Mithilfe eines Luftseils hatte sie die Beine der Angreifer zusammen gebunden und war zum Direktor gelaufen. Der duldete aber keinerlei Kinder, die irgendwie anders waren und schickte einen Brief an die Eltern. Enttäuscht von ihrem eigenen Kind, warfen sie Aerial aus dem Haus. Sie trieb sich in schäbigen Motels rum, lernte Mutanten kennen und kam zu den Mutant Chasern. Sie hatte so sehr gehofft, dass sich endlich ein Zugehörigkeitsgefühl entwickeln würde, weil sie doch nun unter ihres gleichen war, aber das war ausgeblieben. Sie fühlte sich immer noch wie der Außenseiter der Gruppe, weil sie eben auch die Ziele der Gruppierung nicht vertreten konnte. Doch aus Angst alleine zu bleiben, blieb sie. Und sie tat ihren Teil dazu bei, die Mutant Chaser zu vergrößern. Dort hatte sie auch ihren Name bekommen. Vorher hatte sie auf den Name Abilene Cross gehört. Doch diesen Namen legte sie mit ihrer Vergangenheit ab. Sie war nicht länger die verschüchterte, seltsame Abilene, sie war jetzt die kampferprobte Aerial. Ihre Zielperson und die weibliche Begleitung kamen aus dem Kino. Beide lächelten und unterhielten sich angeregt, vermutlich über den Film. Der Straßenlärm war zu laut, um etwas von dem Gespräch mitzubekommen. Sie warteten an der Ampel und kamen kurz darauf in ihre Richtung. Der Moment war gekommen. "Die Vorsichtsmaßnahme." Aerial wusste was zu tun war. Ihre Zielperson war Telepath und konnte sowohl ahnen, was die beiden vorhatten, wenn er sie entdeckte und sie auch kontrollieren. Aerial erschaffte zwei Helme aus Luft, die so dicht komprimiert war, dass ein Telepath nicht durch sie hindurch kommen konnte. Sie hatten diese Fähigkeit von Aerial an den Hellseherinnen getestet und es hatte nach einigen Übungen funktioniert. Deshalb waren auch sie und Azazel für diesen Auftrag ausgewählt worden. Azazel packte sie am Arm und sie teleportierten sich in eine andere Ecke der Gasse, die durch große Müllcontainer verdeckt wurde. Sie wollte so lange wie möglich unentdeckt bleiben. Der Telepath und seine Begleitung kamen in die Gasse und lachten wohl über eine lustige Stelle des Filmes. Kurz bevor sie die Müllcontainer erreicht hatten, trat Aerial ihnen in den Weg. Sie lächelte überlegen und boshaft. Sie hatte diese Lächeln lange vor dem Spiegel trainieren müssen, bis es endlich echt ausgesehen hatte. Azazel teleportierte sich hinter die beiden. So saßen sie in der Falle. "Kann ich dir helfen?", fragte die Zielperson und lächelte aufrichtig. Aerial sah dem Mann streng ins Gesicht. "Wir sind hier, um dein Herz zu zerquetschen." Der Mann schien zunächst irritiert, dann setzte er langsam mit seinem Rollstuhl zurück, als ginge er auf Abwehrmodus. "Ich glaube, wir haben dir nicht zu geben." Dann entdeckte er Azazel und verstand, dass es einen Plan gegeben haben musste. Er versuchte in die Köpfe beider zu blicken, doch er kam nicht durch die Barriere, die Aerial eingerichtet hatte. Gefahr drohte. "Wir nehmen uns schon das, was wir wollen. Ich glaube, wir kennen uns schon, nicht wahr Charles, Moira?" Azazel grinste den jungen Mann dreckig an und blickte zu der Frau rüber während er sprach. "Es ist schon lange her Azazel, aber dein Gesicht habe ich nicht vergessen. Ich dachte, du hättest die Seiten gewechselt?" "Ich bin nur einer anderen Gruppe beigetreten, die Ideologie ist gleich geblieben." Azazel hob seinen Schwert und richtete es auf Charles Xavier. "Wie Aerial bereits sagte," dabei deutete er auf seine Gehilfin, "wir sind hier, um uns dein Herz zu holen." "Und was bringt euch mein Tod?" Er blickte von Azazel zu Aerial. "Oh, aber Charles. Wir wollen dich nicht töten. Wir zerquetschen nur dein Herz, welches du offenbar einem schwachen Menschen gegeben hast." Azazel lachte und fokussierte nun Moira, die ängstlich zu Charles blickte. "Fasst sie nicht an", brachte Charles unter zusammen gepressten Zähnen hervor. "Verabschiede dich von deinem Herzen." Azazel holte mit seinem Schwert aus und schwang es runter zu Moira. Charles schrie. Kapitel 3: ----------- "Warte." Aerial hatte ein Seil aus Luft erschaffen und hielt damit Azazels Hand umklammert. Sie zitterte. "Lass uns einfach den Professor mitnehmen." Azazel riss sich von ihr los. "Wir haben unsere Befehle und daran hast auch du dich zu halten." Er schleuderte seine Hand gegen Aerials Kopf. Sie sank benommen zusammen. Ihr Kopf schmerzte und die Umgebung verschwamm zunehmend. Die Helme, die den Telepathen aus ihren Köpfen raushalten sollte, lösten sich langsam auf. Sie blickte zu ihm. Schmerz und Wut standen in Xaviers Augen. Verängstigt blickte er zwischen Moira und Azazel, der immer noch das Schwert in Angriffsbereitschaft hatte, hin und her. Solange die Schutzbarrieren da waren, konnte er nichts tun. Ein weiteres Mal verfluchte er sich, nicht laufen zu können. "Bitte, nehmt mich mit, aber lasst sie aus dem Spiel." Seine Augen füllten sich mit Tränen der Verzweiflung. Er war so machtlos, nutzlos. Charles konnte sie nicht retten. Die Welt um Aerial wurde immer dunkler. Die Ziegel verschwammen zu einem dunklen Grauton, die Lichter wurden dunkler. Die Gasse schien immer weiter auf sie zu zukommen und ihr die Luft aus der Lunge zu pressen. Sie wollte nicht, dass die Frau starb. Sie wollte, dass niemand verletzt würde. "Azazel, lass sie gehen", nuschelte sie. "Halt dich da raus", schrie Azazel sie an und rammte Moira das Schwert in den Oberkörper. Aerials Kopf schien zu explodieren. Charles Schreie hallten in ihr wider. All die Schmerzen, die er fühlte, fühlte sie auch. Aerial schrie, ohne zu bemerken, dass sie es tat. Wie durch einen Reflex hielt sie sich die Ohren zu, als könnte sie damit den Schmerz aus ihrem Kopf halten. Sie wollte seinen Schmerz nicht. Er sollte endlich aus ihrem Kopf verschwinden. Erst als Azazel sie am Arm packte, spürte sie, wie sehr ihre Lunge schmerzte. "Nein, lass mich hier... ich.. will nicht", versuchte sie ihm mit einem Flüstern zu sagen. "Du wirst dich jetzt für deine Taten verantworten müssen." Sie verschwanden und ließen den Professor und die tote Frau zurück. Azazel und Aerial befanden sie wieder im Versteck der Gruppe. Es waren dunkle Stahlwände, die die abgerundete Decke stützten. Hoch oben befanden sich vereinzelte Lampen, die der Unterkunft nur wenig, kaltes Licht verliehen. Männer kamen auf sie und Azazel zugerannt. "Sperrt sie ein, ich muss mit dem Grauen sprechen." Das war das letzte, was sie mitbekam. Azazel wurde zum Anführer der Mutant Chaser geführt. Er musste durch den langen Eingangsflur, vorbei an Schlaf- oder Trainingsräumen. Der Hauptsaal, in dem sich der Graue zumeist aufhielt, lag am Ende des Ganges. Große Holztüren versperrten den direkten Zugang. Azazel wartete, bis ihm geöffnet wurde. Der Hauptsaal war heller als der Rest der Unterkunft. Ein ausgetretener roter Teppich bedeckte den Boden, zu beiden Seiten standen Tische, an denen gearbeitet wurde. Jeder hatte mindestens eine Kerze auf seinem Schreibtisch, außer einem Mutanten, der sein eigenes Licht erzeugen konnte. Wie alle dieser Organisation war er ein seltsamer Zeitgenosse. Nur der Altar des Grauen wurde vom Schatten umhüllt. Wie immer saß er mit dem Rücken zu dem großen Raum, in denen er mit seinen Anhängern sprach. Ein großer Grauer Mantel umhüllte ihn und die Kapuze bedeckte sein Gesicht. Links und rechts in etwa zwei Metern Entfernung standen seine persönlichen Wachen. "Was gibt es Azazel?" "Grauer, der Auftrag wurde ausgeführt. Das Herz von Charles Xavier wurde zerstört. Aerial hat sich allerdings nicht an deine Befehle gehalten. Sie wollte den Menschen retten. Sie wurde ohnmächtig und ich habe sie in Ketten legen lassen." Der Graue neigte seinen Kopf in Richtung der Hellseherinnen. "Er sagt die Wahrheit", antwortete eine der Beiden auf die unausgesprochene Frage. "Gut. Wenn sie wach wird, bringt sie zu mir. Psylocke soll sie töten." Kapitel 4: ----------- Aerial kam wieder zu sich. Ihr Kopf schmerzte noch immer von dem Schmerz, den der Professor auf sie projiziert hatte. Mühsam richtete sie sich auf und blickte sich um. Sie saß auf einer harten Pritsche, kaum ein Lichtstrahl drängte sich in die Zelle, in der sie sich befand. Vielleicht zwei Quadratmeter Platz wurden von rauen, dunklen Steinwänden eingefasst. Eine massive Eisentür mit einem kleinen, verkratzten Fenster befand sich zu ihrer Rechten. Sie stand auf und ging darauf zu. Als sie eine Hand heben wollte, bemerkte sie die Fesseln. Aerial hob die Hände und wischte über das Fenster, um etwas mehr erkennen zu können. Vergebens. Seufzend ging sie zurück zu der Pritsche und setzte sich wieder darauf. Sie wusste nicht, wie lange sie hier schon war. Ihre Erinnerungen schienen in weiter Entfernung zu liegen, auch wenn die Trauer und die Angst, die sie gespürt hatte noch frisch zu sein schienen. Aerial hatte die Frau sterben sehen und nichts tun können. Sie hatte Azazel noch aufhalten wollen, doch sie hatte sich so machtlos gefühlt. Nichtsnutz, dachte sie. Ein Schlüssel drehte sich im Schloss ihrer Zellentür, kurz bevor sie aufschwang. Ein Junge in grauer Uniform, so wie die Leibwächter des Grauen sie trugen, trat ein. Seine Haare waren tief schwarz, ebenso seine Augen. Doch was Aerial am meisten verwunderte, war die blaue Haut, die er hatte. Sie hatte ihn noch nie zuvor im Versteck der Mutant Catcher gesehen. Andererseits kannte sie die meisten Gesichter nicht und wusste, wie groß die Organisation eigentlich war. Man hatte ihr mal erzählt, dass es Kundschafter gab, die außerhalb der Basis operierten. Dann waren da noch die Bauern, die die kleineren Aufträge ausführten und diejenigen, wie beispielsweise die Hellseherinnen oder die Leibwächter, die direkt unter dem Grauen dienten. "Ich bin Kurt. Ich soll dich zum Grauen bringen. Bitte steh auf." Er wirkte unsicher, was Aerial verwunderte. Der Graue wählte eigentlich nur solche für die Posten aus, denen er strengstens vertraute. Auch Azazel gehörte zu dieser Gruppe. Sie stand auf und folgte dem Jungen in der Uniform, der scheinbar auf den Namen Kurt hörte. "Ich kann dich hier rausbringen. Ich will auch weg von hier. Aber hier unten geht das nicht. Wir müssen auf den richtigen Moment bei dem Grauen warten." Aerial blieb wie angewurzelt stehen. "Wie willst du mich denn hier raus bringen? Ich bin Gefangene, ich habe Befehle nicht befolgt!" Unbewusst war sie beim sprechen lauter geworden, woraufhin Kurt einen Finger auf die Lippen legte. "Ich bin ein Teleporter. Hier unten kann ich das aber nicht. Im Hauptsaal ist die Schutzschicht allerdings gering genug." Kurt war weiter auf die schmale Wendeltreppe zugegangen, die in den Hauptflur führte. Aerial folgte ihm nervös. Oben angekommen, blickte Kurt sich um, entdeckte in dem langen Gang aber niemanden. "Eigentlich kann nichts schief gehen. Außer wir verpassen den richtigen Moment." Kurt ging schnellen Schrittes voran, so das Aerial kaum mithalten konnte. "Na, die Chancen stehen wohl bei 1 zu 100, was?", grinste Aerial bitter. Der Junge reagierte nicht. Er schien sich seiner Sache sehr sicher zu sein. Aerial kam der Weg endlos vor. Mit jedem Schritt, den sie tat, wurde sie nervöser. Sie hatte Angst vor dem, was jetzt passieren würde. Tür an Tür, Fuß an Fuß. Noch nie war ihr dieser Flur so lang vorgekommen. Was sich wohl hinter den Türen befand, fragte sie sich. Die meisten Räume hatte sie nie zu Gesicht bekommen. Ein Büro, direkt vor dem Hauptsaal rechts, einen Trainingsraum hinten links und ihr Schlafzimmer am Eingang hatte sie bisher gesehen. Nicht mal wo ihr nun wohl Ex-Partner Azazel schlief, wusste sie. Aerial und Kurt hatten den Hauptsaal erreicht und standen vor dem doppeltürigen, massiven Holztor. Antike Zeichen waren in die Mitte beider Türen aufgesetzt. Geschwungene Schnörkel umfassten die Zeichen und bildeten einen runden Abschluss für die Schnitzkunst der Tür. Ein paar wenige Kratzer waren erkennbar. Kurt nahm ihre Hände in seine und flüsterte ein kleines Gebet. Seine Hände waren weicher, als sie aussahen. Große, kaputte Fingernägel zierten die blauen, mit Symbolen übersäten Hände. Irgendwie hatte sie erwartet, dass sich seine Hände grob und rissig anfühlen würden, aber das taten sie nicht. "Ich löse jetzt deine Fesseln, lass sie aber dran, bis wir fliehen können, okay?" Aerial nickte, während er einen Schlüssel aus seiner Hosentasche fischte und ihr die Fesseln öffnete. Er atmete durch und schob die rechte Tür nach innen. Kein Geräusch war zu hören, obwohl man von so einer große Tür doch viel Lärm erwarten würde. Kurt führte sie bis zu den Stufen, auf denen sich der Altar des Grauen befand. Er stand dahinter, mit dem Rücken zum Saal. Sonnenlicht drang durch einen Spalt in der sechs Meter hohen Decke und erleuchtete den Altar. Links und rechts standen die Leibwächter, wie Aerial es erwartet hatte. Sie waren muskulös und machten den Eindruck, dass sie alleine durch ihre Hände schon ihren Kopf zerdrücken konnten. Auch sie trugen die gleiche Uniform wie Kurt. Nur die Hellseherinnen konnte sie nirgends entdecken. Die Luft schien wie eine Last auf Aerials Schultern zu sein, während sie gefühlte Stunden darauf wartete, dass der Graue reagierte. Hatte er sie überhaupt bemerkt? Er drehte sich um und kurz huschte ein Lichtstrahl über sein Gesicht, genug, um zu erkennen, dass eine riesige Narbe sein Gesicht zierte. Doch die stechend grauen Augen strahlten auch in der Dunkelheit, die ihn vollends zu umgeben schien. "Aerial, du hast dich nicht an meine Befehle gehalten. Du weißt, dass ich kein Freund davon bin, unseres Gleichen zu Töten. Ihr seid meine Brüder und Schwestern. Doch ich kann ein solches Verhalten nicht dulden. Deshalb muss du jetzt leider sterben." Eine Frau mit langen schwarzen Haaren und leicht asiatischen Gesichtszügen trat aus dem Schatten des Grauen hervor. Aerial hatte sie zuvor gar nicht bemerkt. "Es ist eine Schande, dass wir du dein Talent so verschwendet hast. Du wärst für Großes bestimmt gewesen. Nun denn: Psylocke, töte sie." Die Asiatin kam auf Aerial zu, die sich hinkniete. Psylocke erschuf mithilfe ihrer Mutation ein Schwert und hielt es über ihren Kopf. Aerial hob den Blick und sah zum Grauen. Sollten seine Augen das letzte sein, was sie jemals sehen würde? Kapitel 5: ----------- Kurt hatte eine Hand auf Aerials Schulter gelegt. Psylocke zögerte einen Moment, als sie die Geste des Jungen sah. Sie wollte gerade ansetzen, etwas zu sagen, doch Kurt war bereits mit Aerial verschwunden. Die Beiden tauchten auf einem kleinen Platz in Westchester auf. Durch den Schwung der Teleportation war Aerial hingefallen und schaute sich nun verwirrt um. Es war inzwischen Nacht geworden und kaum noch Menschen waren unterwegs. "Du hast uns da raus geholt." Ihre Aussage glich mehr einer Frage. "Du solltest deinen Schutzhelm machen, die Hellseherinnen werden sofort auf dich angesetzt. Mach's gut." Kurt drehte sich von Aerial weg, doch sie hielt ihn an einem Bein fest. "Warte. Was ist mit dir? Die werden dich auch suchen!" Kurt senkte den Blick auf sie und schüttelte den Kopf. "Ich bin so schnell wieder weg, wie ich da bin. Ich komme alleine klar." Er lächelte und verschwand. Aerial stand auf und klopfte sich den Schmutz von der Hose. Dann erzeugte sie ihren Lufthelm und setzte ihn auf. Doch sie wusste, dass sie ihn nicht ewig halten konnte. Bisher musste sie die Barriere nur für wenige Minuten erzeugen, doch sie wusste nicht, wie lange sie ihn jetzt brauchte, bis sie irgendwo untergetaucht war. Aerial sah sich um. In der Mitte des Platzes war ein kleiner Springbrunnen, der aber wohl aufgrund der Temperaturen ausgestellt war. Gegenüber von ihr flackerten einige Leuchtreklamen, dessen Geschäfte aber schon längst geschlossen hatte. Sie musste schnellsten herausfinden wo sie war und wo sie hin konnte. Sie brauchte Schutz. Dann fiel ihr die Reklame eines Internetcafés auf. Sie lief quer nach rechts durch den Park, vorbei an dem Brunnen und einigen vertrockneten Blumenbeeten, die wohl schon lange keiner mehr gepflegt hatte. Aerial erreichte den Laden und stellte mit Erleichterung fest, dass er noch geöffnet hatte. Als sie den Laden betrat klingelte eine Glocke und sie blieb kurz stehen. Nur ein ungepflegter Mann saß in der hinteren linken Ecke und starrte abwesend auf seinen Bildschirm. Er würdigte sie keines Blickes. Als nach kurzer Zeit keiner kam, quetschte sie sich vorbei an einem Schreibtisch, der voller leerer Junkfood Verpackungen und Comichefte war. Gelüftet worden war dort auch schon länger nicht mehr. Rechts hinter einem Raumtrenner fand sie einen geeigneten Platz. Aerial startete den PC und warf die angegebene Menge Münzen in den Apparat. Es wunderte sie, dass es in dieser Zeit überhaupt noch Internetcafés gab, wo doch sowieso jeder zuhause mindestens einen Computer stehen hatte und sich mit Smartphones die Zeit vertrieb. Sie hatte von ihren Eltern nie eins bekommen, weil sie diese Technik für unsinnig hielten. Und bei den Mutant Catchern hatte sie nie eines benötigt. Nach einigen Minuten hatte der Browser sich endlich geöffnet und sie rief zunächst ihren Standort ab. Sie war in North Salem, Westchester gelandet. Sie überlegte, ob sie sich ein Motel suchen sollte, was jetzt noch geöffnet hatte, verwarf diese Idee aber schnell wieder, weil sie ihren Schutz nicht aufrecht erhalten konnte, wenn sie schlief. Sie musste in Bewegung bleiben, zumindest fürs erste. Dann fiel ihr der Professor wieder ein. Sie hatte in der Basis ein Gespräch mitbekommen, dass er wohl eine Schule für Mutanten führte. Da sie bereits in Westchester mit Azazel gewesen war, hatte sie vielleicht Glück und die Schule wäre ganz in der Nähe. Offenbar hatte sie Glück, denn die Adresse, die sie suchte, lag ebenfalls in North Salem, Westchester. Entweder hatte Kurt nur gut geraten oder er hatte sie bewusst hierher gebracht. Charles Xaviers Schule für junge, begabte Menschen. Sie kritzelte sich die Adresse auf einen Zettel, der auf dem Tisch gelegen hatte. Dann öffnete sie die Website des Nahverkehrs und suchte die Verbindung heraus. Geld für ein Taxi hatte sie nicht und um diese Uhrzeit konnte man gut schwarz fahren, weil die Busfahrer zu müde waren, um sich mit einem jungen Mädchen zu beschäftigen. Aerial steckte den Zettel ein, quetschte sich durch das Café und lief zur nächsten Bushaltestelle. Etwa eine halbe Stunde später stand sie vor dem Tor der Schule. Das Gebäude war weitaus größer, als sie es sich jemals vorgestellte hätte. Ein riesiger Park umgab das kleine Schloss in der Mitte. Es waren mindestens 5 Stockwerke, die sich in die Höhe erstreckten. Möglichst lautlos schob sie das Tor zur Seite und huschte durch einen Spalt. Die Dunkelheit, die sich über das Land gelegt hatte, schien noch dunkler zu werden und mit immer größerer Kraft an ihr zu zerren. Der Helm verlangte so viel Kraft von ihr, dass es ihr immer schwerer viel auch nur geradeaus zu laufen. Doch sie war fast in Sicherheit angekommen, sie musste doch nur noch zwanzig Meter durchhalten. Fünfzehn Meter. Zehn Meter. Fünf Meter. Mit letzter Kraft klopfte sie an die Tür und sank auf die Knie. Ihr Kopf schien kurz vor dem zerbersten. Nägel bohrte sich durch die Kopfhaut, um ihren Schutz mit dem Gehirn zusammen zu halten. Sie wollte sich das Ding am liebsten vom Kopf reißen. Die Tür öffnete sich und ein schmächtiger, junger Mann mit Brille stand vor ihr. "Kann ich dir helfen?", fragte er und reichte ihr eine Hand. "Ich muss zu dem Professor. Es ist wirklich wichtig." Ihr Versuch aufzustehen missglückte und sie sank wieder in die Knie. "Er hat vor kurzem jemanden verloren und unterrichtet derzeit nicht. Du kannst mit einem anderen Lehrer sprechen. Komm erst mal rein." Er nahm ihren Arm und zog sie hoch. Sie riss sie los und starrte ihn wütend an. "Es ist ein Notfall." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)