Ashi-chan in Kama-To von abgemeldet (6 elements of card magic) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Langsam hob Ashi den Blick und sah an den Pfeilern des riesenhaften steinernen Tores empor. Sie konnte es kaum glauben, schließlich doch noch hier angekommen zu sein; hier war ihre Reise fast zu Ende. Jetzt hatte sie die große Stadt endlich erreicht. Die große Stadt, von der sie alle sprachen; die Stadt, die sie noch nie mit eigenen Augen gesehen und von der sie so viel gehört hatte. Nervös rückte sie den alten, verdreckten Rucksack auf ihrem Rücken zurecht und sah sich vor dem Tor um. Wachposten gab es keine. Das Tor stand offen. Es gab ihr den Weg frei in die große Stadt... die Stadt, wo Träume und Wünsche in Erfüllung gehen sollen. Die Stadt, in der alles war, was Ashi noch hatte... oder was sie glaubte, noch zu haben. Die große Stadt Kama-To. Part 1: Der Junge mit dem Schwert Sie wusste selbst nicht warum, aber irgendwie hatte Ashi ein ungutes Gefühl, als sie auf das große Tor zusteuerte. Sie hatte nur noch wenig Hoffnung, aber dieses kleine Bisschen, das ihr noch geblieben war, würde sie unter keinen Umständen aufgeben. Das hatte sie sich geschworen, als sie hierher aufgebrochen war. Und sie würde diesen Schwur nicht brechen. Ashis Schritte wurden fester und bestimmter. Das Tor rückte näher. Und dann stand sie direkt davor. Einen Moment überlegte sie, ob sie nicht doch lieber umkehren sollte, doch dann schüttelte sie entschieden den Kopf und trat durch das große Tor, durch das die Straße, auf der sie hierher gekommen war, direkt hindurch führte. Vielleicht wird es an dieser Stelle Zeit für ein paar Erklärungen. Wir befinden uns in einer Welt, die der unseren ziemlich ähnlich ist. Kama-To ist eine der größten Städte dort und überall bekannt. Kama-To erstreckt sich über ein weites Gebiet und ist in völlig verschiedene Bereiche eingeteilt, in denen die Zeit macht, was sie will. Herrschen in manchen Zonen noch mittelalterliche Verhältnisse, so ist die Zivilisation in anderen Bereichen dagegen weit nach oben geschossen. Ein Motorrad und einen Bauern mit der Mistgabel in der Hand zusammen auf einer Straße zu sehen ist hier nichts Ungewöhnliches. Gut, zugegeben, vielleicht ist Kama-To ein wenig verrückt. Aber das ist ja nicht so wichtig. Um Kama-To herum liegen einige kleine Dörfer verstreut, in denen die Zeit scheinbar still steht. Dort leben die Bewohner sorglos vor sich hin und fristen ein sehr einfaches Leben. Kama-To bezeichnet man dort nur als "die große Stadt", die kaum einer der Dorfbewohner je von innen gesehen hat. Das Mädchen, von dem unsere Geschichte handelt, heißt nicht wirklich Ashi. Eigentlich ist ihr Name Ashidori Kaze, aber der ist zu lang, um ihn so oft zu erwähnen und Ashidori wurde schon immer nur Ashi gerufen. Was Ashi nun dazu gebracht hat, ihr Heimatdorf außerhalb Kama-Tos zu verlassen und in die große Stadt zu gehen? Nun, um das zu klären, ist es noch etwas zu früh. Doch wir werden es schon bald erfahren, denn Ashis Ankunft in Kama-To sollte nicht unbemerkt bleiben... Ashi hatte das steinerne Tor nun hinter sich gelassen und sah sich mit großen Augen um. Vor ihr führte die Hauptstraße vom südlichen Tor weg direkt ins Zentrum der Stadt, wo auf dem Berg Nemui Kyojin die Stadtverwaltung stand. Diesen Berg konnte Ashi nur als kleine Erhöhung in weiter, weiter Ferne erkennen, die hinter riesigen Hochhäusern versteckt war. Es würde ein langer Weg werden, wenn sie den Berg erreichen und überwinden wollte. Doch so war sie am schnellsten. Es wäre bei Weitem beschwerlicher gewesen, den langen Weg außen am Berg vorbei zu nehmen - und auch gefährlicher. Denn diese Stadt beherbergte nicht nur Leute, die jemandem wie Ashi wohl gesonnen waren... Ashi tat einen Schritt weiter auf der Hauptstraße. Es war ungewöhnlich ruhig und die vielen Fahrzeuge, die Ashi in der großen Stadt erwartet hatte, blieben aus. Na ja, vielleicht war sie einfach noch nicht weit genug in der Stadt drin, überlegte Ashi und sah sich nervös nach allen Seiten um. Vor ihr führte die Hauptstraße schnurgerade in das Hochhausgebiet; links und rechts von ihr taten sich kleine Gassen auf, die zu einigen verfallenen Häuserblöcken führten. Besonders einladend war es wirklich nicht und Ashi beschloss, schön auf der Hauptstraße zu bleiben - auch, wenn ihr der Anblick der großen Hochhäuser nicht unbedingt besser gefiel. Ein paar Meter weit kam sie noch, dann wurde Ashi plötzlich am Arm gepackt und von der Straße gezogen. Überrascht riss das Mädchen den Kopf herum und starrte in die Gesichter dreier ziemlich schäbig aussehender Kerle, die sie hämisch angrinsten. "Na sieh mal einer an", sagte einer von ihnen, "was haben wir denn da?" "Ein kleiner Engel, der sich in die Stadt verlaufen hat", vermutete ein anderer. Ashi sah verängstigt von einem boshaften Gesicht zum anderen. "Was... was soll das, lasst mich gefälligst los!", protestierte sie, als die Kerle immer noch keine Anstalten machten, von ihrem Arm zu lassen. "Immer mit der Ruhe", sagte der Dritte im Bunde und sein Griff wurde fester, "wir sind hier die Kontrolltruppe, Kleine; wir überprüfen jeden, der die Stadt betritt oder verlässt. Das ist unsere Aufgabe und die nehmen wir sehr ernst, weißt du." "Ja", pflichtete ihm einer seiner zwei Kumpanen bei, "und du siehst mir nach einem Neuzugang für Kama-To aus, Schätzchen. Du kennst dich hier nicht aus, oder?" "Tut sie nicht", bestätigte der Dritte, bevor Ashi noch den Mund aufmachen konnte, "und das heißt, wir müssen dir erst noch ein paar Fragen stellen, bevor du hier weitergehst." Jetzt wurde es Ashi zu dumm. "Lasst mich sofort in Ruhe", knurrte sie, "oder ihr könnt was erleben. Ich bin nicht so hilflos, wie ich vielleicht aussehe...!" Wütend riss sie sich aus dem Griff der drei jungen Männer und verpasste einem von ihnen eine schallende Ohrfeige. Der Getroffene stolperte einen Schritt zurück und hielt sich seine Wange, die anderen beiden starrten überrascht auf Ashis rechte Hand. "Hey!", keuchte der eine und hielt sich an seinem Kumpanen fest, "Das... das Zeichen da...!" Ashi wurde bleich und sah ebenfalls auf ihre Hand herab. Hatten die beiden etwa...? Sie hatten. Denn jetzt stellte sich ein noch boshafteres Grinsen auf ihren Gesichtern ein und selbst der, dem Ashi eine Ohrfeige verpasst hatte, konnte schon wieder siegessicher lächeln. Die drei hatten das Zeichen auf Ashis rechter Hand gesehen. Es war geformt wie ein verschnörkeltes, schwarzes Z und Ashi trug es schon seit ihrer Geburt. "Eine Asahoshi also", höhnte der größte der drei Kerle, "ich hätte es wissen müssen. Jungs, ihr hattet recht. Endlich wieder Arbeit für uns..." Die drei jungen Männer rollten die rechten Ärmel ihrer Hemden hoch und entblößten drei schwarze Zeichen in Form eines verschnörkelten X. Das gab Ashi den Rest. Sie verfiel endgültig in Panik. "Y... Yorukage!", brachte sie stammelnd hervor, "ihr drei seid... Yorukage!!" "Du hast es erfasst, Kleine", bestätigte einer der Kerle. Er zog eine Spielkarte aus seiner Hosentasche und zog sie über sein Zeichen, das im nächsten Moment hell aufleuchtete. Er brüllte "Whitewater!!" und im nächsten Moment schoss ein riesiger Wasserstrom aus dem Nichts heraus auf Ashi zu. Im letzten Augenblick warf sich das Mädchen zur Seite und ging hinter einem Häusereck in Deckung. Hastig zog sie den Rucksack von ihren Schultern und versuchte mit zitternden Fingern, die Schnalle zu öffnen - da wurde ein Teil der Hauswand, hinter der sie Schutz gesucht hatte, plötzlich von einem weiteren Wasserstrom weggesprengt, als bestünde die Wand aus Pudding. "Scheiße!!", fluchte Ashi und fingerte weiter an der Schnalle ihres Rucksacks herum, der sich immer noch nicht öffnen ließ. Ihre Deckung war jetzt im Eimer und sie stand den drei Yorukage völlig schutzlos gegenüber. "Na warte!", schrie der Größte von ihnen und schickte seine Karte abermals über sein Zeichen, "Diesmal erwisch ich dich, jetzt bist du dran!!" Ein letzter, gewaltiger Wasserstrom schoss aus dem Nichts hervor und zielte direkt auf Ashi, die nur noch vor Angst schreien konnte und panisch die Augen schloss. Sie wartete auf den Aufprall des Wassers - aber der blieb aus. Statt dessen hörte sie, wie die Luft plötzlich unter der Wucht eines Hiebes erzitterte und das Wasser im nächsten Moment an etwas abzuprallen schien... etwas Festem, das da gerade zwischen den Wasserstrom und Ashi gekommen war. Das Geräusch des Wassers verstummte und Ashi öffnete die Augen. Verwirrt stellte sie fest, dass das, woran der Angriff des Yorukage abgeprallt war, dieses eiserne Schwert gewesen sein musste, das da in den Händen eines blonden Jungen im roten Kampfanzug lag, der sich offenbar im letzten Augenblick vor Ashi geworfen hatte. Sein Schwert tropfte noch vom Wasser, doch keine Sekunde später flammte die Klinge plötzlich rot auf und schien nur noch aus Feuer zu bestehen. Ashi bekam nicht mal mehr das Gesicht des Jungen zu sehen, der sie da gerade gerettet hatte, denn er stürmte jetzt mit dem Schwert in der Hand und einem Kampfschrei auf die drei verdatterten Yorukage los, die sein Auftauchen offenbar ebenso wenig erwartet hatten wie Ashi. Der Junge störte sich nicht an der Verwirrung seiner Gegner und hieb mit seinem Flammenschwert nach ihnen. Schreiend wichen die Männer aus und sprangen nach drei Seiten davon. Erstaunlich schnell erholten sie sich wieder von ihrem Schock und förderten alle drei gleichzeitig ihre Spielkarten zutage. Sie zogen sie über ihre Zeichen und nun schossen gleich drei Wasserströme auf einmal auf den blonden Jungen zu. Der allerdings ging die Sache ziemlich gelassen an. In Sekundenschnelle holte er tief Luft und baute einen Schutzschild aus Flammen um sich herum auf, an dem alle drei Wasserattacken abprallten und sich in Nichts auflösten. Der Junge ließ die Feuerwand verschwinden. Sein Schwert hörte auf zu brennen und er steckte es seelenruhig in den Schaft, den er mit einem Ledergurt auf seinem Rücken trug, zurück. Als er einen der drei Männer mit einem überlegenen Blick bedachte, fing dieser sich wieder und riss den Mund auf: "Ja... ja scheiße, ist der stark!! Bloß weg hier!!" Er rappelte sich auf und gemeinsam mit seinen beiden Kumpanen ergriff er hastig die Flucht. Der Junge kümmerte sich nicht mehr um sie und drehte sich zu Ashi um, die immer noch sprachlos am Boden saß und ihren Rucksack in Händen hielt. Als in der Ferne nochmals ein Schrei von einem der drei Kerle erklang, schnaubte der blonde Junge abfällig. "Pah. Solche Versager... Beherrschen alle gerade mal den Anfänger-Wasserzauber der Yorukage und lassen sich dann auch noch von einem Feuermagier einfach so in die Tasche stecken. Flaschen..." Ashi sah ihn mit großen Augen an - da fiel ihr Blick auf seinen rechten Oberarm. Ihre Kinnlade klappte nach unten. Nicht nur, dass dort äußerst beeindruckende Muskeln saßen, nein, auf der sonnengebräunten Haut des Jungen war ein schwarzes Zeichen zu sehen - und es hatte die Form eines Z. "Hey", brachte Ashi schließlich erleichtert hervor, "du... du bist ein Asahoshi...?" Der Junge nickte. "Ein Feuer-Asahoshi, um genau zu sein. Und du musst auch einer von uns sein, sonst hätten dich diese drei Deppen nicht angegriffen." "Ja", gab Ashi zu, "ich bin eine Wind-Asahoshi. Vermutlich keine besonders Gute... hab schließlich auch nur eine Karte." Der blonde Junge grinste. "Und die hast du natürlich hübsch in den Tiefen deines Rucksacks versteckt, dass du sie auch sofort zur Hand hast, wenn du mal in Schwierigkeiten kommst. Sehr praktisch." Ashi lief rot an und holte die Karte aus ihrem Rucksack, den sie nun endlich aufgebracht hatte. "Zeig mal her", forderte ihr Retter. Ashi warf ihm die Spielkarte zu und er begutachtete sie. "Whirlwind Blast", stellte er mit Kennermiene fest, "der leichteste Zauber der Wind-Asahoshi. Mit der wärst du auch nicht weit gekommen... die anderen waren schließlich in der Überzahl." "Hey, so schlecht bin ich nun auch wieder nicht!", verteidigte sich Ashi, als der Junge ihr die Karte wieder entgegen warf. "Das bleibt zu hoffen", meinte er und verschränkte die Arme, "sonst wirst du hier in Kama-To nicht weit kommen." Nun ist es an der Zeit, von der seltsamen Begabung Ashis und des Jungen zu erzählen. Wenn ihr mehr darüber wissen wollt, sollte ich euch wohl die ganze Geschichte erzählen... sie beginnt im Mittelalter, zu der Zeit, als Kama-To noch weit vor der industriellen Revolution stand und sich im Land um die große Stadt herum zwei Gruppen von den normalen Bürgern abspalteten. Es waren zwei Familien, die sich magische Kräfte aneigneten - woher auch immer, das ist bis heute nicht bekannt. Diese zwei Familien lernten, die Mächte der Elemente und des Übernatürlichen zu nutzen. Sie vertrauten auf die Stärke von Feuer, Wasser, Wind, Natur, Gewitter und des Drachengeistes. Die beiden Familien unterschieden sich anfangs kaum, doch mit der Zeit begannen sich auf ihrer Haut zwei verschiedene Zeichen zu bilden. Die eine Familie trug das Zeichen eines schwarzen, verschnörkelten Z und bekam den Namen Asahoshi, die andere Familie war durch das schwarze X auf ihrer Haut zu erkennen und wurde unter dem Namen Yorukage bekannt. Um ihre Zauberkraft unter Kontrolle zu bekommen, erfanden die beiden Familien zusammen das Kartensystem. Sie hatten nämlich erkannt, dass die Zeichen auf ihrer Haut auf ganz bestimmte Energieströme reagierten. So fingen sie an, Spielkarten herzustellen und in ihnen bestimmte Mengen an Feuer-, Wasser-, Wind-, Natur-, Gewitter- und Drachenenergie zu versiegeln. Immer, wenn diese Karten in Berührung mit den Zeichen der Asahoshi oder der Yorukage kamen, wurde diese Energie freigesetzt und konnte zu einem bestimmten Zauberspruch verwendet werden, der, je nach Energiemenge der Karte, mehr oder weniger mächtig war. Zu Beginn nutzten die Asahoshi und die Yorukage noch einheitlich die weiße Magie der sechs Zauberelemente, aber irgendwann verfielen die Yorukage der schwarzen Magie und begannen, die Asahoshi zu hassen. Sie erschufen sich neue Karten, die nun mit schwarzen Energiemengen der sechs Elemente gefüllt wurden, und nutzten sie, um gegen die weiße Magie der Asahoshi zu bestehen. Mit der Zeit gewann die schwarze Magie vollkommene Kontrolle über die Familie der Yorukage und brachte sie dazu, die Asahoshi bis aufs Blut zu hassen. Seitdem herrscht Krieg zwischen den beiden Clans der Magier und die Yorukage setzen alles daran, die Asahoshi endgültig auszurotten, damit es keine weiße Magie mehr gab und die schwarze Magie alles beherrschen kann. Sowohl die Asahoshi als auch die Yorukage sind aber bei den gewöhnlichen Bürgern des Landes verhasst. Sie haben Angst vor den Zauberkräften der beiden Familien und können sich nicht wehren, wenn der Familienkrieg wieder einmal Spuren in der Stadt und den Dörfern hinterlässt. Deshalb halten sich die beiden Magierfamilien die meiste Zeit über versteckt oder reden nicht über ihre Abstammung. Der Konflikt zwischen den zwei Clans jedoch ist bis in die heutige Zeit erhalten geblieben und noch immer versuchen die Yorukage die Asahoshi auszulöschen. Ashi biss sich auf die Unterlippe und wollte ihre Spielkarte wieder in den Rucksack stecken. "Das würde ich nicht tun", kam ihr der Junge zuvor, "du solltest sie griffbereit haben, falls dir so was noch mal passiert. Üble Typen wie die lauern immer und überall auf wehrlose Asahoshi, die sich hier nicht auskennen..." "Ich bin NICHT wehrlos!", widersprach Ashi und schob die Karte in eine ihrer Hosentaschen. "Nö, gar nicht. Wärst ja gerade nur fast von drei Anfängern der Gegenseite platt gemacht worden, die noch nicht mal gegen einen mittelmäßigen Feuermagier bestehen - und das, obwohl sie doch das Wasser beherrschen, den größten Gegensatz zu meiner Feuermagie." "Ich bin trotzdem nicht wehrlos", entgegnete Ashi stur. "Ja, ja, schon klar", seufzte der Junge, "wo willst du überhaupt hin? Und wo kommst du her? Aus einem der Dörfer?" "Das geht dich nichts an", erklärte Ashi zähnebleckend, "woher soll ich wissen, ob ich dir vertrauen kann?" Der Junge rümpfte die Nase. "Zum Beispiel, weil ich gerade deine Haut gerettet hab. Ist das Beweis genug oder nicht?" Ashi schwieg einen Moment. Dann sagte sie leise: "Doch. Ist es... tut mir leid, dass ich so unfreundlich war. Ist schon ne Weile her, seit ich jemanden getroffen habe, der mir nicht misstraut hat oder an die Gurgel wollte." Der blonde Junge nickte verständnisvoll. "Schon okay." "Ich muss mich noch bedanken", meinte Ashi, "ohne dich wäre meine Reise wohl hier schon zu Ende gewesen, obwohl ich doch gerade erst angekommen bin... äh... wie heißt du eigentlich?" "Tetsuno", antwortete der Junge, "Tetsuno Kasai. Ein einfacher Siebzehnjähriger, der hier durch die Stadt streunt und seine Schwertkünste aufbessern will..." Ashi warf einen neugierigen Blick auf das Schwert des Jungen. "Mein Name ist Ashidori Kaze, ich bin auch siebzehn, falls dich das interessiert. Dein Schwert ist echt toll... wie kriegst du die Klinge dazu, in Flammen aufzugehen?" Tetsuno zuckte mit den Schultern. "Nur eine Frage der Beherrschung. Ich muss dazu meinen Geist mit dem Schwert verbinden - ein Kinderspiel für jemanden, der mit dem Schwertgriff in der Hand aufgewachsen ist." Ashi nickte ziemlich beeindruckt. "Ach so." "Aber jetzt sag schon endlich, wo willst du hin?" Das Mädchen zögerte. "Ich... will ans andere Ende der Stadt. Zum Himitsu-Tempel..." "So weit?", kam es überrascht von Tetsuno, "Na, das kann ja lustig werden. Hast du eine Ahnung, wie viele Tagesmärsche das sind und was zur Zeit in Kama-To alles los ist? Dir würde sich der Magen umdrehen, wenn ich der jetzt von all den Blockaden und dem östlichen Terrorgebiet und den Räuberlagern erzählen würde und von..." "Du erzählst es bereits", unterbrach ihn Ashi genervt, "danke, jetzt hast du mir echt Mut gemacht." "Wollte dich nur warnen", entgegnete Tetsuno, "kann dich ja nicht einfach so ins Ungewisse rennen lassen..." "Schon gut", murmelte Ashi, "ich werde schon zurechtkommen. Hab ja jetzt immerhin massig Zeit und Gelegenheit zu trainieren... und wer weiß, vielleicht treib ich ja noch irgendwo ein paar mächtigere Zauberkarten auf... wenn ich Glück hab..." Sie ging an Tetsuno vorbei und wollte die Hauptstraße entlang davongehen. "Noch mal danke für deine Hilfe", sagte sie tonlos. "Hey!", rief Tetsuno ihr plötzlich nach, "Warte doch mal, du hast was vergessen!" Verwundert drehte sich Ashi noch einmal um und sah, wie Tetsuno etwas vom Boden aufhob und damit auf sie zukam. Er streckte seine Hand aus. Darin lag ein kreisrundes, goldenes Amulett mit dem Zeichen der Asahoshi an einer langen Kette. "Mein Amulett!" Erleichtert nahm Ashi die Kette entgegen. "Danke, das muss ich wohl vorhin bei meiner Fluchtaktion verloren haben..." Sie hängte es wieder um ihren Hals. Dann wollte sie sich eigentlich wieder der Straße zuwenden, aber Tetsuno kam ihr zuvor. "Kleine Frage noch, bevor du abhaust." Er grinste. "Sei ehrlich, hast du überhaupt eine Ahnung, wo der Himitsu-Tempel liegt?" Ashi spürte, wie sie wieder rot wurde. "Im... im Norden", erklärte sie stur, "hinter dem Nemui Kyojin..." "Und ich nehm an, du willst direkt über den Berg mit der Stadtverwaltung marschieren, nicht wahr?" "Ja", antwortete Ashi und sah Tetsuno unsicher an. "Ist das falsch?" "Nein. Aber so wirst du nicht weit kommen. Die Zugänge zum Berg sind alle gesperrt, weil erst gestern etwas sehr Wichtiges aus der Stadtverwaltung gestohlen wurde und die da oben jetzt nicht riskieren wollen, dass so was noch mal passiert, während das Sicherheitssystem beschädigt ist." Ashi stand der Mund offen. "Was..? Soll das heißen, ich komm gar nicht erst den Berg rauf??" "So sieht's aus", bestätigte Tetsuno gelassen, "du wirst wohl oder übel drum rum laufen müssen. Entweder östlich, wo ein ganzer Haufen Gewitter-Yorukage schon seit Wochen das ganze Gebiet terrorisiert, oder westlich, wo du schon nach ein, zwei Kilometern in die Hände der Wasser-Yorukage fallen wirst, die hier ganz in der Nähe ein Räuberlager haben. Du hast die Wahl." Bestürzt starrte Ashi zu Boden. Damit hatte sie nicht gerechnet. Tetsuno zuckte gleichgültig mit den Schultern. "Na ja, aber du hast ja gesagt, du kommst klar. Wie auch immer, ich muss weiter. Bon voyage..." Er drehte sich um und wollte davon. Doch Ashi hielt ihn zurück. "Wa...warte mal! Tetsuno!", rief sie und lief ihm hinterher. Der Junge blieb noch einmal stehen und drehte sich zu ihr um. "Was denn?" Ashi sah ihn verzweifelt an. "Kannst... kannst du mir nicht wenigstens einen kleinen Tipp geben, wie ich da durchkomm?? Nur einen kleinen!" Tetsuno schien zu überlegen. Eine Weile musterte er Ashi kritisch, dann meinte er: "Tja, schätze, du könntest ganz gut einen Fremdenführer vertragen... jemanden, der sich hier auskennt und dich bis zum Himitsu-Tempel bringt. Ich zum Beispiel." Ashis unsichere Miene verformte sich plötzlich zu einem Strahlen. "Das... würdest du das tun??", wollte sie beglückt wissen. "Kannst du zahlen?" Sofort fiel die Fröhlichkeit wieder von Ashi ab. "Was?", fragte sie ungläubig. Tetsuno verdrehte die Augen. "Soll ich's dir buchstabieren? Z-A-H-L-E-N! Verstehst du? Ich will Kohle! Oder meinst du, ich mach das umsonst? Hätte schließlich Besseres zu tun..." Ashi überlegte verzweifelt. Geld hatte sie keines bei sich, ihr war ja nichts geblieben, als sie von zu Hause fortgelaufen war. Andererseits hatte Tetsuno wohl recht; ohne jemanden, der sich in Kama-To auskannte, würde sie nicht weit kommen... Ashi holte tief Luft und lenkte ein: "Okay. Ich bezahle dich. Aber... erst, wenn du mich zum Tempel gebracht hast." Tetsuno schüttelte den Kopf. "Nix da. Im Voraus wird gezahlt, oder gar nicht." "Dann gar nicht", konterte Ashi sofort. Tetsuno musste grinsen. "Na gut, auf den Mund gefallen bist du immerhin nicht..." Ashi grinste ebenfalls. Tetsuno seufzte. "Okay, von mir aus, ich bring dich zum Tempel. Aber dann wird geblecht, klar?" Das Mädchen nickte vergnügt und folgte Tetsuno, der jetzt auf die Hauptstraße zusteuerte. Sie wusste noch nicht, wie sie ihren Fremdenführer jemals bezahlen sollte. Aber wenn sie am Himitsu-Tempel das fand, wonach sie jetzt so verzweifelt suchte, dann würde das sicher kein Problem mehr sein. Und wenn nicht... dann wäre für Ashi sowieso alles verloren und sie konnte ihm genauso gut ihr Amulett geben; das war zwar ihr Heiligtum, ließ sich aber bestimmt gut verkaufen. Part 2: Beginn der Kama-To-Tour Ashi und Tetsuno waren schon eine Weile auf der Hauptstraße unterwegs und es begann langsam zu dämmern. Viel unterhalten hatten sie sich noch nicht, beiden fiel es offenbar schwer, ein Gesprächsthema zu finden. Was sollte ein siebzehnjähriges, schüchternes Mädchen auch schon mit einem siebzehnjährigen, anscheinend auch nicht gerade gesprächigen Jungen reden? Tetsuno wollte nicht die ganze Zeit nur schweigen und gab hin und wieder Kommentare zu ihrer Umgebung ab, so etwas wie "Jetzt kommen wir in so'n Villenviertel, da wohnen die hohen Tiere in Kama-To." oder "Das da links ist ne große Druckerei hier.". Seine Sprüche wurden mit der Zeit aber auch immer einfallsloser und schließlich, als er überhaupt nicht mehr wusste, was er noch erzählen sollte, wies er Ashi sogar auf Bäckereien und Supermärkte hin. Ashi störte sich nicht weiter daran, sie war mit ihren Gedanken sowieso meistens woanders... aber als Tetsuno dann plötzlich nur noch von irgendwelchen Lebensmittelläden schwafelte, konnte sie plötzlich ein gewaltiges Magenknurren nicht mehr unterdrücken. Tetsuno hielt in seiner Rede inne und sah Ashi überrascht an. Diese grinste hilflos. "Tut mir leid, das war mein Bauch... mir sind gestern die Vorräte ausgegangen und ich hab schon ewig nichts mehr Richtiges zwischen die Zähne gekriegt." Tetsuno grinste. "Kein Problem. Müssen wir uns halt was besorgen." Mit diesen Worten steuerte er auf den Supermarkt zu, den er Ashi noch vor kurzem lang und breit beschrieben hatte. Ashi folgte ihm nicht und rief zögernd: "Aber ich hab doch kein Geld bei mir!" Tetsuno hielt inne und drehte sich zu ihr um. "Gar keins?", vergewisserte er sich misstrauisch. "Wenn ich's dir doch sage", antwortete sie kleinlaut. "Und wie willst du mich dann bitte bezahlen?" "Ich hol mir mein Geld im Tempel." "Im Tempel?? Du verarschst mich doch, oder? Sag jetzt bloß nicht, dass du da Bekannte hast. Oder wohnst du am Ende dort?" "Ich glaub nicht, dass dich das was angeht." "Tut es wohl! Immerhin schuldest du mir Geld und ich will wissen, ob ich das auch sicher kriege!" "Du kriegst es schon, verdammt!", rief Ashi entnervt, "Wenn dir mein Wort nicht reicht... ich hab leider auch nichts, was ich verpfänden könnte, tut mir leid!" Sie hatte gar nicht bemerkt, dass sie während des Wortgefechts mit Tetsuno angefangen hatte zu zittern. Das hatte nichts mit Angst zu tun, Ashi war einfach nur wütend. Worauf sie wütend war, wusste sie allerdings nicht. Konnte sein, dass es einfach nur Tetsuno und sein blödes Gerede waren. Vielleicht war sie aber auch so zornig, weil sie sich einfach hilflos vorkam und diesen Gedanken nicht ertragen wollte. Tetsuno sagte jetzt nichts mehr und sah Ashi einen Moment lang an. Sein Blick wanderte von den weißen Handknöchel ihrer geballten Fäuste über das goldene Amulett um ihren Hals, das sich gewiss verpfänden ließ, bis in ihr Gesicht mit den verzweifelten grauen Augen und den zitternden Lippen. Dann nickte er langsam. "Okay. Ich glaube dir. Wart am besten hier draußen auf mich... ich beeil mich." Mit diesen Worten verschwand er hinter der Ladentür. Ashi holte tief Luft und atmete schwer aus. Dann wich sie auf der verlassenen Hauptstraße einem einzelnen Auto aus und setzte sich an die Hauswand des Supermarktes, wo sie auf Tetsuno warten wollte. Ein wenig später kam der wieder aus dem Markt heraus und trug eine Einkaufstasche in der Hand. Ashi stand auf und ging ihm entgegen. Tetsuno sah sich um und deutete dann die Straße hinauf. "Siehst du den Park da hinten? Da können wir heute nacht bleiben. Ich kenn den Ort, da hab ich schon öfter übernachtet. Ist ungefährlich, die Yorukage achten nicht sonderlich drauf und ansonsten ist auch nur selten jemand dort." Ashi nickte. "Na gut. Dann mal los." Die beiden gingen also in den Park - und Ashi bemerkte schon von weitem, warum der Park wohl so wenige Besucher hatte. Es war schlicht und einfach der Grund, dass die Stadtverwaltung dieses grüne Fleckchen in Kama-To offenbar vergessen hatte. Die Bäume waren riesig geworden und das Gras und die Sträucher wucherten über die Parkwege. Die meisten Bänke waren morsch oder durchgekracht, es drang kaum noch Sonnenlicht durch die dichte Decke der Baumkronen. Alles in allem sah dieser Park eher nach einem Urwald aus. Tetsuno grinste bei Ashis ungläubigem Blick. "Sorry, ist nicht gerade die Luxussuite heute, aber immerhin werden wir da bestimmt keine ungebetenen Besucher haben." Während Ashi ihm noch einen zweifelnden Blick zuwarf, betrat Tetsuno den Park und schlug sich durch das wuchernde Gebüsch hindurch. Ashi folgte ihm lieber, sonst würde sie ihren Führer in dieser Wildnis wohl nicht mehr wiederfinden. Einige Zeit später, als die Nacht schon hereingebrochen war, saß Ashi mit angezogenen Knien an einen Baumstamm gelehnt und sah fröstelnd dabei zu, wie Tetsuno sich ins kühle Gras fallen ließ und auf den Boden blickte. Dann schnippte er mit den Fingern und eine kleine Flamme erschien in seiner Hand. Er ließ sie auf den Boden fallen und sofort begann ein fröhliches Feuer vor ihm zu prasseln. Ashi bibberte an ihrem Baumstamm vor sich hin und beobachtete, wie Tetsuno jetzt eine Dose mit Würstchen aus der Einkaufstüte zog. Er öffnete sie und holte ein Würstchen heraus, das er dann auf einen kleinen Zweig aufspießte und über das Feuer hielt. Die Wurst wurde immer dunkler und endlich zog er sie vom Feuer zurück und biss herzhaft hinein. Er kaute, schluckte und wollte gerade zum zweiten Bissen ansetzen, als plötzlich ein lautes Knurren hinter ihm ertönte. Verblüfft drehte er sich um, konnte aber nur Ashi erkennen; diese allerdings mit ziemlich verzweifelter Miene. "Sorry", murmelte sie, "nur... mein Magen..." Tetsuno musste wieder grinsen. "Alles klar, ich geb mich geschlagen. Na los, komm schon her. Ich denk mal, es werden schon ein oder zwei Würstchen für dich abfallen... und das warme Feuerchen wird dir bestimmt auch nicht schaden", fügte er mit einem Blick auf Ashis schlotternde Knie hinzu. Ashi jedoch zögerte. "Ich... ich mag kein Feuer", meinte sie mit einem nicht sonderlich begeisterten Blick auf die Feuerstelle. Tetsuno lachte leise. "Wie ein kleines Kätzchen, ehrlich... da hast du mit mir aber die Arschkarte gezogen; was Feurigeres als mich hättest du kaum auftreiben können." Ashi antwortete nicht. "Mach schon, brauchst dich ja nicht direkt an die Flammen hocken. Ich pass schon auf, dass du dir nicht die Finger verbrennst." Einen Moment lang zögerte sie noch, dann stand Ashi doch auf und hockte sich zu Tetsuno ans Feuer. Eigentlich wollte sie gar nicht so erleichtert und dankbar aussehen. Ihr wäre es viel lieber gewesen, wenn sie selbst für sich hätte sorgen können. Aber ohne Geld konnte sie sich nun mal nichts zu Essen leisten und als Windmagier war sie auch nicht so einfach im Stande, ein Feuer erscheinen lassen, wenn ihr gerade mal kalt war... Ashi biss in das Würstchen, das sie gerade im Feuer geröstet hatte, und schlang es gierig hinunter. So viel Hunger hatte sie schon lange nicht mehr gehabt. Und sie konnte machen, was sie wollte, sie war einfach nur dankbar, dass sie jetzt hier am Feuer sitzen und Würstchen essen durfte... vielleicht war es gar keine so dumme Idee gewesen, Tetsuno anzuheuern. Am nächsten Morgen wanderten die beiden durch ein ziemlich heruntergekommenes Viertel und das Wetter machte den Anblick auch nicht unbedingt schöner, es goss nämlich in Strömen. Ashi und Tetsuno waren schnell triefend nass und froren erbärmlich in ihren kalten Klamotten. "Toller Beginn für ne Reise durch Kama-To, ehrlich", bibberte Tetsuno mürrisch. "Hab mir das Wetter ja nicht ausgesucht", brummte Ashi zurück. Die beiden liefen eine Weile lang über die Hauptstraße, dann hörten sie aus einer Nebengasse einen Schrei. Sie blieben stehen und blickten sich an. "Was war das?", wollte Ashi beunruhigt wissen. Tetsuno sah sich um. "Keine Ahnung... kam von dort. Da scheint jemand in Schwierigkeiten zu stecken." Ohne noch ein Wort zu sagen stürmte er auf die dunkle Gasse zu und verschwand darin. Ashi wollte nicht einfach nur herumstehen und so folgte sie ihm. In der Gasse angekommen bot sich ihr ein schreckliches Bild: In einer Ecke saß ein völlig verängstigtes junges Mädchen von vielleicht neun Jahren; ihr Gesicht und ihre ganzer Körper waren mit Schrammen übersät und teilweise blutig geschlagen. Sie rührte sich kaum noch und der Grund für ihre Verletzungen waren wohl die beiden Typen, mit denen Tetsuno sich gerade einen heißen Wettkampf lieferte. Es waren eine junge Frau und ein Kerl, die beide das Zeichen der Yorukage trugen und Tetsuno unaufhörlich mit Pflanzenranken angriffen. "Natur-Yorukage", murmelte Ashi mit grimmiger Miene. Ihre Pflanzenattacken waren zwar stark, hatten aber kaum Chancen gegen Tetsunos Feuermagie. Er fackelte das Grünzeug kurzerhand ab, doch seine Gegner waren äußerst hartnäckig und schienen nicht aufgeben zu wollen. Ashi nutzte die Tatsache, dass die beiden völlig auf ihren Kampf gegen Tetsuno konzentriert waren, und schlich sich geduckt an der Gassenwand entlang zu dem Mädchen. Bei ihr angekommen tippte sie der Kleinen auf die Schulter. "Hey... hey, komm zu dir! Wach auf!" Das Mädchen verzog das Gesicht vor Schmerzen und öffnete langsam die Augen. Als sie Ashi erblickte, bekam sie sofort wieder einen Schreck und war kurz davor, einen Schrei loszulassen - was ihr aber kläglich misslang, da der Schmerz sie offenbar fast lähmte. "Schon gut, ich tu dir nichts", beruhigte Ashi das kleine Mädchen, "deine Gegner sind da drüben, die kämpfen gerade mit meinem Bekannten. Dir wird nichts passieren, keine Sorge." Die Kleine sah Ashi noch einen Moment lang ängstlich an, dann nickte sie kraftlos. "Jetzt erklär mir mal, was hier eigentlich los ist", verlangte Ashi, "warum haben dich die beiden angegriffen?" Das Mädchen stöhnte, schien dann aber doch ihre Stimme wiederzufinden und krächzte leise: "Ich... bin eine Asahoshi... die zwei da sind Yorukage... sie haben mich überfallen, als ich den Müll rausbringen wollte..." "Konntest du dich denn gar nicht wehren?", wollte Ashi ungläubig wissen. "Ich bin erst neun", erklärte die Kleine beleidigt, "außerdem besitz ich nur eine einzige Wasserzauberkarte und die liegt oben in meinem Zimmer..." "Du solltest sie immer bei dir tragen", riet Ashi und sah unruhig zu den beiden Yorukage hinüber, die nun langsam aber sicher von Tetsuno aus der Gasse gedrängt wurden. Ashi hätte ihm nur zu gern geholfen, aber sie wusste, dass sie sowieso keine Chance hatte. Schließlich hörte sie einen wütenden Schrei und die beiden Yorukage ergriffen letztendlich die Flucht. Tetsuno steckte sein Schwert keuchend auf seinen Rücken zurück und kam auf Ashi und das Mädchen zu. "Ist die Kleine okay?", erkundigte er sich und wischte sich den Schweiß von der Stirn. "Weniger", antwortete Ashi, "wir sollten sie schnellstens ins Haus zurückbringen; sie wollte eigentlich nur den Müll aufräumen..." Tetsuno warf einen grimmigen Blick über seine Schulter zurück. "Diese Feiglinge... zu zweit ein kleines Mädchen zu überfallen... die Yorukage kennen auch gar keinen Skrupel mehr." Er nahm die Kleine vorsichtig auf seinen Arm und gemeinsam mit Ashi machte er sich auf den Weg aus der Gasse heraus. Die Haustür war gleich um die Ecke und Ashi drückte den Klingelknopf. "Danke, dass ihr mich gerettet habt", brachte die Kleine von Tetsunos Arm her hervor. Ashi und Tetsuno lächelten. "Kein Thema", meinte Tetsuno. "Seid ihr auf Reisen?", wollte das Mädchen mit einem Blick auf Ashis Rucksack wissen. Langsam schienen ihre Lebensgeister wieder zurückzukehren. "Ja", antwortete Ashi, "wir wollen in den Norden der Stadt..." Die Kleine bekam große Augen. "Oh, dann geht auf keinen Fall westlich um die Stadtverwaltung herum. Da ist es im Moment sehr gefährlich... die Yorukage haben dort ein Räuberlager und außerdem liegt dort der verhexte Wald... geht da auf keinen Fall rein, hört ihr?" Bevor Ashi noch dumm schauen konnte, wurde die Haustür aufgerissen und eine Frau in Küchenschürze stand vor ihnen. Als sie das kleine Mädchen sah, schlug sie die Hände vors Gesicht und kreischte: "Oh mein Gott! Tess!!" Tetsuno überreichte ihr die Kleine und erklärte: "Tut mir leid, sie wurde von ein paar Yorukage angegriffen... die Wunden sind nicht lebensgefährlich; sie wird durchkommen, keine Sorge. Sieht schlimmer aus, als es ist. Wir konnten leider nicht eher eingreifen." Die Frau riss ihren Kopf immer wieder von der kleinen Tess zu Tetsuno und Ashi herum und wieder zurück. "Ihr - ihr habt sie gerettet?? Oh, ich danke euch, das war sehr mutig, wirklich... wartet einen Moment." Sie rannte mit Tess auf dem Arm ins Haus hinein, verschwand hinter einer Tür und kam keine Minute später wieder heraus geschossen. Zurück an der Haustür drückte sie Ashi einen Geldschein in die Hand und schüttelte den beiden erleichtert die Hände. "Ich danke euch nochmals... vielen Dank." Etwas später schlenderten Ashi und Tetsuno weiter auf der Hauptstraße entlang. Tetsuno grinste und meinte: "Ist doch toll, jetzt bist du doch noch zu Geld gekommen, freu dich. Immerhin kannst du dir jetzt was zu Essen kaufen und musst dich nicht mehr bei mir durchfressen..." Ashi konnte nicht lachen. "Das Geld steht mir gar nicht zu. Ich hab ja nur daneben gestanden und dabei zugesehen, wie du die beiden Yorukage fertig gemacht hast..." "Stimmt auch wieder. Los, her damit." Ashi sah Tetsuno ungläubig an, dieser aber grinste schon wieder. "Jetzt guck nicht gleich so, war doch nur'n Witz." Immer noch brachte Ashi kein Lächeln zustande. "Hey, was ist denn? Wenn man dich anschaut, könnte man meinen, die Welt geht morgen unter." "Tetsuno", sagte Ashi zögernd, "meinst du... meinst du nicht, du könntest... mich vielleicht ein wenig trainieren...? Ich, ich meine, ich will ja nicht ewig so schwach bleiben und dich die ganze Arbeit machen lassen; da komm ich mir blöd vor..." "Wie jetzt, Gratistraining auch noch??" Ashi sah ihn flehentlich an. "Bitte...!" Tetsunos Mundwinkel zuckte. Dann ächzte er, schlug sich die Hand vor die Stirn und meinte gnädig: "Na gut, du hast mich soweit. Von mir aus, ab heut abend bring ich dich ein bisschen in Form... aber wehe, du beschwerst dich über meine Methoden, dann setzt's was, klar?" Ashi seufzte glücklich. "Danke, Tetsuno... das ist echt lieb." Eine Weile lang trotteten sie schweigend nebeneinander her, dann erhob Ashi noch einmal das Wort. "Was hat die kleine Tess vorhin gesagt? Hast du das verstanden mit dem Räuberlager und diesem... verhexten Wald?" Tetsuno zog die Stirn in Falten. "Ja, das ist mir'n Begriff. Von dem Räuberlager hab ich dir doch schon erzählt, das ist nicht weit von hier auf der Westseite... ein Haufen Wasser-Yorukage, ich könnt was wetten, dass die drei, die dich anfangs angegriffen haben, auch zu denen gehört haben. Üble Burschen... und sie kennen kein Erbarmen. Man verirrt sich besser nicht in ihr Lager, das könnte gefährlich werden." Ashi nickte beunruhigt. "Und was ist mit dem Wald?" "Na ja... ich weiß nicht so ganz, ob man den Gerüchten trauen darf, aber auf der Westseite des Nemui Kyojin gibt es einen Wald, durch den man durch muss, wenn man links rum ins Nordviertel will. Ich war noch nie drin, aber seit ich klein war, bekam ich immer wieder die Geschichte zu hören, dass der Wald angeblich verhext ist... völliger Schwachsinn, wenn du mich fragst, aber die Leute glauben es und haben Angst vor dem Wald." Dadurch hob sich Ashis Stimmung auch nicht gerade. "Na klasse. Gehen wir westlich oder östlich?" Tetsuno seufzte. "Ach... ich weiß nicht, wahrscheinlich ist es besser, wenn wir den östlichen Weg nehmen. So müssen wir zwar direkt durch das Terrorgebiet der Gewitter-Yorukage durch, aber ich kenn da einen kleinen Schleichweg am Nemui Kyojin vorbei; so müssten wir uns durchschummeln können, ohne dass uns jemand bemerkt." Ganz überzeugt war Ashi zwar nicht, aber sie nickte trotzdem - was blieb ihr auch anderes übrig, als Tetsuno zu vertrauen; sie kannte sich ja hier erst recht nicht aus. Part 3: Fühle den Wind Der Tag ging schnell vorüber und die beiden hatten schon ein beachtliches Stück Weg geschafft, als sie sich wieder nach einem Schlafplatz umsahen. Inzwischen standen um sie herum wieder ganz normale Häuser, weder völlig heruntergekommen noch übermäßig protzig. Schlafgelegenheiten schienen allerdings nicht gerade in Massen vorhanden zu sein. Tetsuno ließ seinen Blick nachdenklich durch die Umgebung schweifen. "Tja... von einer Riesenauswahl kann ich hier echt nicht sprechen. Heut haben wir Pech mit dem Übernachten; das wird wohl nicht so gemütlich wie im Park gestern." NICHT so gemütlich wie im Park? Ashi glaubte, ihr Magen würde sich umdrehen. Als ob das feuchte Gras und das wuchernde Unkraut gestern Nacht bequem gewesen wären... "Jetzt guck nicht so belämmert", forderte Tetsuno ungeduldig, "so viel Pech werden wir nicht immer haben. Aber ich fürchte, für heut muss es die Baustelle da drüben tun." Er wies auf ein halb fertiges Haus, das mit Gerüsten umbaut war und noch nicht mal eine Haustür aufweisen konnte. Ashi wollte sich nicht schon wieder beschweren, also folgte sie Tetsuno ohne Widerworte im Dämmerlicht in das Haus. Keiner beobachtete sie dabei, da die ganze Straße schon zu schlafen schien. Das hieß allerdings auch, dass sie sich ab jetzt leise verhalten mussten. Nicht gerade praktisch, denn eigentlich wollten die beiden doch noch... "Trainieren", fiel Ashi ein, als sie ihren Rucksack auf ein paar Holzlatten abstellte, "wir wollten doch heute mit dem Trainieren anfangen!" "Stimmt." Tetsuno warf einen wachsamen Blick durch eines der unfertigen Fenster der Hauswand. "Hm... na ja, wenn wir hinters Haus gehen, wird's schon keiner merken." Also betraten Ashi und Tetsuno gleich darauf den Hinterhof der Baustelle. Hier sollte wohl mal ein Garten entstehen, was aber noch nicht sonderlich gelungen aussah. Egal, zum Trainieren taugte es allemal. Tetsuno sah sich noch einmal um, ob sie auch bestimmt nicht gesehen werden konnten, dann nickte er Ashi auffordernd zu. "Na los. Lass mal sehen, was du so draufhast." Ashi holte ihre Spielkarte aus der Hosentasche und betrachtete sie kurz. Wie oft hatte sie das Zaubern schon versucht? Oft war es nicht gerade gewesen... eigentlich hatte Ashi immer andere Sorgen gehabt. "Kriegst du das Teil heut noch über die Hand oder kann ich noch ne Runde schlafen?", erkundigte sich Tetsuno ungeduldig. "Schon gut... ich mach ja schon", murmelte Ashi und zog die Karte über das schwarze Z auf ihrer rechten Hand. Es leuchtete hell auf. Ashi rief: "Whirlwind Blast!" und im Nu entstand ein kleiner Wirbelsturm vor ihr, der ungefähr auf ihre Körpergröße anschwoll und auf Tetsuno zusauste. Dieser verdrehte die Augen und hatte sogar noch genug Zeit um sein Schwert zu ziehen, bevor der Wirbelsturm ihn erreicht. Dann schlug er die Attacke mit einem einzigen Hieb seiner Klinge davon und der Wind löste sich in Nichts auf. Ashi schluckte. "War das alles? Mann, ehrlich, so wird das nichts, Ashi-chan. Der Whirlwind Blast kann bis zu vier Meter hoch werden und du schaffst noch nicht mal zwei. Außerdem kann dein Gegner sich bei der Geschwindigkeit noch ne Tasse Tee holen, bevor er überlegt, ob er jetzt ausweicht oder abwehrt." "Ich weiß doch, dass ich schlecht bin", brummte Ashi und betrachtete ihre Karte traurig. "Das hab ich nicht gesagt", widersprach Tetsuno, "bleib cool, das kriegen wir schon hin. Erst mal musst du da noch ein paar grundsätzliche Dinge verstehen..." Er zog eine Spielkarte aus seiner Hosentasche und erklärte: "Erstens musst du dich auf die Karte konzentrieren. Du musst die Energie, die ihn ihr steckt, fühlen. Bei mir ist das immer so, als ob... als ob mich plötzlich eine Hitzewelle durchflutet. Wie das bei euch Wind-Asahoshi ist, weiß ich natürlich nicht, aber ich könnte mir vorstellen, dass du vielleicht so was wie... ne Gänsehaut kriegst. Wie bei einer frischen Brise." Ashi sah Tetsuno unsicher an. "Im Ernst jetzt...?" "Ja, im Ernst. Wenn du die Energie der Karte nicht fühlen kannst, dann kannst du sie auch nicht richtig einsetzen. Punkt. Solange du das nicht beherrschst, ist jedes andere Training nutzlos. Krieg das unter Kontrolle und ich kann dir weiterhelfen." Für ihn schien das Gespräch damit beendet; Ashi jedoch sah das anders. "Hey, jetzt warte doch mal! Du musst mir das erklären! Wie soll ich das anstellen, die Energie der Karte spüren?? Das kann ich nicht so einfach!" Tetsuno sah nachdenklich auf seine Karte. "Hm... wie erklärt man das am besten... lass mich mal kurz probieren. Kann ich nicht auswendig sagen." Er schloss die Augen, stand vollkommen ruhig da und führte die Karte langsam zu dem Zeichen auf seinem rechten Oberarm. Kurz, bevor sie dort angekommen war, öffnete er die Augen wieder und nickte. "Okay. Also pass auf... das Geheimnis ist, dass du dich mit deinem Element in Einklang bringen musst. Versuch einfach, den Wind in dir zu fühlen. Du kannst auch den Wind um dich herum mit einbeziehen; das Wichtigste ist, dass du dir deines Elements bewusst bist. Du musst den Wind mit allen Sinnen aufnehmen. Hören, Sehen, Fühlen..." "Einspruch", schnitt Ashi ihm das Wort ab, "wie soll ich denn den Wind sehen, wenn ich die Augen geschlossen hab? Oder muss ich das nicht? Ich meine, du hast das doch auch so gemacht..." "Natürlich musst du sie geschlossen haben, so kannst du dich besser konzentrieren", erklärte Tetsuno, "ich rede nicht vom tatsächlichen Sehen, sondern vom Sehen mit dem inneren Auge. Schon mal gehört?" Ashi nickte. "Ja, schon, aber... wie das funktionieren soll..." "Das musst du eben lernen. Sonst kannst du auch die Karte nicht fühlen. Ihre Energie besteht aus Wind. Wenn du nicht mal den Wind um dich herum fühlen kannst, dann haut das mit der Karte erst recht nicht hin." Ashi schien ziemlich überfordert. Tetsuno schüttelte den Kopf. "Schon okay. Steiger dich da nicht rein... wir haben Zeit und das mit dem Elementfühlen kannst du auch üben, ohne dich groß in Kampfpose zu setzen. Machen wir Schluss für heute, ist sowieso schon stockfinster. Üb das einfach nebenbei, okay?" "Ja... gut", murmelte Ashi. Sie steckte ihre Karte wieder weg. Tetsuno steuerte auf das Haus zu. "Ich mach mir was zu Essen. Kannst ja noch ein wenig draußen bleiben, wenn du willst", rief er ihr noch über seine Schulter zu, dann verschwand er durch die Hintertür. Ashi stand allein auf dem Hof und blickte in den Himmel. "Den Wind... fühlen...", flüsterte sie und schloss die Augen. Sie versuchte sich zu konzentrieren. Es dauerte eine Weile, doch dann glaubte sie zumindest, das Rauschen des Windes zu hören, auch wenn es eigentlich ziemlich windstill war. Wenn sie ihn jetzt noch sehen und spüren konnte... Lange stand Ashi auf dem Hof hinter dem unfertigen Haus und mühte sich ab, das zu fühlen, wovon Tetsuno ihr erzählt hatte. Doch sie schaffte es nicht. Das Gefühl blieb aus. Ein wenig enttäuscht ging Ashi zurück ins Haus, wo sie noch etwas von dem Fertiggericht aß, das sie heute in einem Supermarkt erstanden hatte, und sich dann auf dem harten Betonboden zum Schlafen legte. Leicht fiel ihr das Einschlafen heute nicht. Während Tetsuno schon längst im Reich der Träume war, lag Ashi mit offenen Augen auf ihrem Lager und fand keinen Schlaf. Irgendwann zog sie dann ihre Spielkarte hervor und strich langsam über den kalten Kunststoff. Die Karte war maschinell hergestellt worden. Ashi wollte nicht glauben, dass an solch einem normalen Gegenstand etwas Magisches sein sollte. Hier sollte sie den Wind fühlen können...? Noch einmal schloss sie die Augen, um sich auf die Karte zu konzentrieren. Doch wieder spürte sie nichts. Statt dessen übermannte sie plötzlich der Schlaf und ihre Hand mit der Spielkarte sackte zu Boden. Sie würde wohl noch etwas Zeit brauchen, um ihr Element zu finden... Gähnend richtete sich Tetsuno am nächsten Morgen auf. Schlaftrunken rieb er sich die Augen und sah sich um. Einen Moment brauchte er, um sich daran zu erinnern, wo er eigentlich war, dann fiel sein Blick auf Ashi. Er sah die Karte in ihrer Hand auf dem Boden liegen und musste lächeln. "Seltsames Mädel bist du, Ashi-chan", murmelte er und rappelte sich auf, "Aus dir kann noch was werden, auch wenn's jetzt noch nicht danach aussieht..." Er schnappte sich seine Einkaufstüte und wühlte darin herum, bis er etwas Brauchbares zu Essen fand. Schweigend machte er sich über sein Frühstück her, während Ashi neben ihm selig weiter schlief. Irgendwann wachte sie dann doch auf und schnupperte verwundert. Ruckartig setzte sie sich auf und warf den Kopf herum. "Tetsuno...! Ach, du bist das mit deinem Fertigkaffee... ich dachte gerade schon, ich träum noch..." Verschlafen lächelnd schob sie sich zu ihrem Rucksack hinüber. Dabei fiel ihr auf, dass sie immer noch die Spielkarte in ihrer Hand hielt. Sie warf Tetsuno einen flüchtigen Blick zu, der von ihm mit einem breiten Grinsen beantwortet wurde. Schnell steckte Ashi die Karte wieder weg und holte sich ebenfalls etwas zu Essen aus ihrem Rucksack. Während des Frühstücks schwiegen sich die beiden lange Zeit an, dann wollte Ashi zwischen zwei Bissen wissen: "Was steht heute an? Irgendwas Besonderes auf der Strecke?" Tetsuno schüttelte den Kopf und stellte seinen Kaffee beiseite. "Nö. Nicht wirklich... aber wenn wir uns reinhängen, sind wir in einer Woche an der ersten großen Gabelung." Ashi blieb ein Stück Brötchen im Hals stecken und sie verdrehte die Augen. Hustend und keuchend würgte sie den Bissen hinunter und schüttete ächzend einen Schluck Milch hinterher. "Hey, hey, immer langsam, bring dich ja nicht selbst um, bevor wir beim Tempel sind, klar?", kam es halb erschrocken, halb belustigt von Tetsuno. "Ha, ha", knurrte Ashi und hustete nochmals, "ich krieg gleich nen Lachkrampf, du Vollidiot." Tetsuno verzog das Gesicht. "War doch nicht so gemeint. Sei nicht immer gleich so empfindlich." "Lass die blöden Sprüche stecken, dann bin ich nicht empfindlich. Aber was ich eigentlich sagen wollte, brauchen wir echt so lang bis an die erste Gabelung oder verarschst du mich schon wieder?" "Das war mein voller Ernst", stellte Tetsuno richtig, "Kama-To ist kein Kuhkaff, das solltest du immer im Hinterkopf behalten, Ashi-chan. Du wolltest diese Reise durchziehen, jetzt darfst du dich auch nicht beschweren." "Tu ich doch gar nicht", entgegnete Ashi, "und nenn mich nicht Ashi-chan." "Wieso denn nicht? Klingt doch viel hübscher als Ashi. Oder soll ich Ashidori sagen?" "Sollst du nicht", erwiderte Ashi genervt, "aber Ashi-chan ist tabu, klar? So darf mich keiner nennen, jedenfalls nicht du." "Gibt's denn überhaupt jemand, der dich so nennen darf?", erkundigte sich Tetsuno beiläufig. Ashis Blick richtete sich zu Boden und wurde starr. "Es... gab jemanden... früher mal..." Sie schüttelte den Kopf und wandte sich ab. "Ach, was erzähl ich dir das eigentlich. Brechen wir so langsam auf." Ashi nahm den Rest ihres Frühstücksbrötchens zwischen die Zähne und packte ihren Rucksack. Tetsuno beobachtete sie eine Weile lang nachdenklich, dann beendete auch er sein Frühstück und die beiden setzten ihre Reise fort. An diesem Tag war das Wetter nicht mehr so bescheiden wie noch am gestrigen Tage; die Sonne schien wieder durch die Wolken das sonst so nervige Aprilwetter war heute gar nicht mal so übel. Der Vormittag verlief recht ereignislos und auch über Mittag geschah nichts Erwähnenswertes. Gegen Nachmittag hatten Ashi und Tetsuno erst eine einzige Pause eingelegt und unterhielten sich gerade über Belangloses, um sich die Langeweile zu vertreiben. Doch sie wurden unterbrochen, als beide plötzlich Schüsse vor sich hörten. Überrascht blickten sich beide um. Vor ihnen rechts stand ein riesiges Hochhaus, das offenbar als Kaufhaus diente. Dort strömten jetzt gerade Menschenmassen heraus und suchten schreiend das Weite. Als die erste Menschenflut abgeebbt war und Ashi und Tetsuno sich dem Haus schon etwas genähert hatten, wurden die Schüsse lauter und ein Mädchen und ein Junge von vielleicht achtzehn Jahren kamen aus der Tür gerast. Hinter ihnen kam ein halbes Dutzend Polizisten hergejagt, ihre Schusswaffen im Anschlag und äußerst wütend dreinblickend. Ashi ging vorsichtshalber in Deckung und Tetsuno hielt das auch nicht für die schlechteste Idee; man konnte ja nicht wissen, wie diese überreizten Gesetzeshüter auf sie reagieren würden. Die beiden fremden jungen Leute standen jetzt mitten auf der Straße und grinsten die Polizisten höhnisch an. Der Junge mit dem langen, stacheligen, merkwürdig silber-grauen Haar war zwar von riesiger Statur, ansonsten aber eher unscheinbar grau gekleidet. Seine Begleiterin hatte fast dasselbe Gesicht wie er und trug äußerst auffällige, in Rottönen gehaltene Kleidung. Ihr Haar war feuerrot, lockig und ging ihr bis an die Taille. Der Chef des Polizeitrupps richtete die Waffe auf die zwei und schrie zornig: "Keine Bewegung, oder ich knall euch ab!!" "Aber, aber, Officer", säuselte das rothaarige Mädchen, "wir haben doch gar nichts getan; warum sind sie denn so wütend auf uns...?" "Von wegen gar nichts getan!", brüllte der Polizist und fuchtelte mit seinem Revolver herum, "Einfach so ein paar unschuldige Käufer anzufallen, ihr habt sie wohl nicht mehr alle! Und jetzt werft die Waffen weg!" Der Junge lächelte gefährlich. "Waffen... haben wir so was dabei, Daiya...?" "Nicht, das ich wüsste", meinte das Mädchen hämisch, "Waffen sind uns zuwider, Officer. Wir verteidigen uns lediglich mit unserem Körper... und vielleicht ein paar Spielkarten." Sie zückte eine schwarze Karte und ließ sie zwischen ihren Fingern herumwirbeln. Dem Officer klappte die Kinnlade runter. "Was?? Ihr seid Asahoshi??" Der Blick des Jungen wurde finster. "Yorukage, du Ignorant. Die Typen, die wir angegriffen haben, waren Asahoshi." Aufgebracht schrie der Polizist: "Ist mir doch egal!! Ihr gehört zu diesen verfluchten Zauberfamilien, das reicht mir schon! Ich bin befugt, euch einfach so über den Jordan zu schicken, ist euch beiden das eigentlich klar??" Das Mädchen lächelte. "Ja, ich denke schon... aber warum tun sie es dann nicht einfach, Officer? Wir sind doch wehrlos..." Während der Polizist noch den Kopf von einem Yorukage zum anderen warf und seine Augäpfel zu hüpfen begannen, pfiffen die beiden Jugendlichen laut und deutlich durch ihre Finger. Im nächsten Augenblick kamen aus einer Nebengasse zwei Pferde angeprescht, das eine schwarz, das andere weiß, beide riesenhaft und offenbar Kaltblüter. Der Officer stand wie angewurzelt mit seiner Waffe in der Hand vor dem Hochhaus und begann zu zittern. "Ich... keine Bewegung!!", krächzte er panisch, "Nur ein Schritt und ich mach euch alle!!!" Die Pferde kamen bei den beiden Yorukage an und das Mädchen und der Junge schwangen sich auf ihre Rücken. "Bye bye, Officer!", rief die Rothaarige noch mit zuckersüßer Stimme, bevor sie auf ihrem Rappen mit ihrem Begleiter davon ritt. Der Polizist erwachte aus seinem Trancezustand und schrie: "H-hey!! HALT!!" Wie verrückt begann er den beiden hinterher zu schießen, doch die Yorukage waren schon fast über alle Berge und er traf sie nicht mehr. Ashi schluckte laut und vernehmlich und Tetsuno stieß leise die Luft aus. "Hätten wir nicht eingreifen sollen?", fragte Ashi leise. Tetsuno schüttelte den Kopf. "Das wär glatter Selbstmord gewesen, Ashi-chan. Hast du den Cop nicht gesehen? Der ist total durchgeknallt, er hätte uns ohne zu fragen umgelegt." "Warum hat er denn nicht geschossen?", wollte Ashi verständnislos wissen, "Einmal kurz auf den Fuß geballert, dann hätte er die zwei doch am Wickel gehabt..." "Vergiss es", erwiderte Tetsuno grimmig, "die hatten ne furchtbare Ausstrahlung, solchen Typen gehen die Normalos doch reihenweise auf den Leim. Die Rothaarige hatte ihn voll in ihrem Bann." Ashi sagte nichts mehr. Sie warteten noch, bis die Polizisten wieder im Gebäude verschwunden waren, dann marschierten sie an dem Hochhaus vorbei - das wollten sie zumindest. Im Vorbeigehen an der Eingangstür jedoch wurden sie von einem Polizisten entdeckt und er kam aus der Tür auf sie zugetrabt. "Moment mal!", rief er und Ashi und Tetsuno blieben stehen. "Ah", sagte Tetsuno mit einem schiefen Grinsen, "Morgen, Herr Polizist. Na, sind die Hüter des Gesetzes schwer im Einsatz?" "Keine dummen Fragen mehr heute, bitte", ächzte der Cop und beäugte die beiden misstrauisch. "Sagt mal... ihr habt nicht zufällig mitgekriegt, was hier gerade los war, oder?" "Wir? Nö. Sind grade erst vorbeigekommen", log Tetsuno. Der Polizist nickte langsam. "Gut... und... habt ihr vielleicht Asahoshi oder Yorukage getroffen?" Sein Blick durchlöcherte Ashi und Tetsuno fast. Ashi stellte entsetzt fest, dass man das Z auf Tetsunos rechten Oberarm sehen konnte, da er ja keine Ärmel an seinem Kampfanzug hatte. Blitzschnell schaltete sie und lehnte sich an seine rechte Schulter. Tetsuno warf ihr einen höchst überraschten Blick zu, kapierte dann aber und sagte rasch: "Nein, haben wir nicht, Sir. Die sind doch so in ihre Bandenkriege vertieft, dass sie sich hier gar nicht mehr blicken lassen..." Der Polizist stöhnte. "Na, ihr habt vielleicht ne Ahnung... egal, ich will euch nicht weiter aufhalten. Seid vorsichtig, hier ist zur Zeit Einiges los..." Tetsuno grinste schief. "Natürlich. Bye, Sir. Wir gehen dann mal wieder..." Eilig suchten die beiden das Weite. Als der Polizist außer Sichtweite war, nahm Ashi sofort wieder zwei Meter Abstand von Tetsuno. "Verdammt", maulte ihn Ashi genervt an, "Kannst du dein Zeichen nicht wenigstens ein bisschen verstecken?? Das hätte ins Augen gehen können!" "Wozu denn? Hab doch dich dabei... so kann mir nichts passieren..." "Glaub ja nicht, dass ich nächstes Mal noch mal meinen Kopf für dich hinhalte!", fauchte Ashi und lief leicht rosa an, "Pass gefälligst selber auf. Wenigstens auf dich." "Hey, ich bin dein Fremdenführer, nicht dein Bodyguard, okay?" "Das hab ich auch nicht behauptet. Ich kann selber auf mich Acht geben." "Jaaa, schon klar", gab ihr Tetsuno nicht sehr überzeugend recht, "aber sag mal, warum läufst du eigentlich so rot an? Siehst aus wie'n Feuerhydrant..." Er grinste breit. Ashi wurde noch röter und stammelte: "Ach... es ist nur..." "Ja? Sag schon!" "Ich... bin das nicht so gewohnt", wich Ashi aus. "Was?" "Mit... mit Jungs unterwegs zu sein. Ich hatte bisher nur mit ganz wenigen zu tun... und die waren alle jünger als ich." "Ah, daher weht also der Wind", sagte Tetsuno feixend, "brauchst aber keine Angst zu haben, Ashi-chan, ich fress dich nicht auf, nur weil ich ein Kerl und vielleicht ein paar Monate älter als du bin... wir sind echt verträglich, wenn man uns näher kennt." Ashi wollte noch etwas sagen, aber dann schluckte sie die Bemerkung herunter und legte entnervt einen Zahn zu. "He, jetzt renn nicht gleich davon!" "Du hast doch gesagt, wir sollen uns reinhängen, oder nicht?", gab Ashi zurück, "Außerdem nervt mich dein dummes Gelaber." Tetsuno betrachtete grinsend, wie Ashi davon stiefelte. "Schon klar, Ashi-chan... ich wusste gleich, dass ich nem windigen Wirbelwind wie dir zu feurig bin", murmelte er und heftete sich an Ashis Fersen. Gegen Abend erreichten Ashi und Tetsuno eine recht merkwürdige Gegend. Die Hochhäuser verschwanden urplötzlich und die Häuser wurden immer kleiner und unkomplizierter. Die Hauptstraße, die bis jetzt geteert gewesen war, bestand nun nur noch aus harten Pflastersteinen und sah nicht besonders gepflegt aus. Keine Autos, Motorräder oder sonstige motorisierte Fortbewegungsmittel düsten mehr vorbei, jetzt trafen die beiden nur noch Bauern mit kleinen Karren oder auf Pferden an. Alles in allem wurde ihre Umgebung zusehends mittelalterlicher, je weiter sie kamen. Nichts erinnerte mehr an die große Industriestadt Kama-To; es war, als hätten sie eine andere Zeitebene betreten. Ashi konnte sich gar nicht satt sehen an der Gegend. Tetsuno beobachtete belustigt, wie sie den Kopf hin und her warf und überall alte Gegenstände und Einrichtungen bestaunte, während sie die Straße entlang wanderte. "Findest das wohl alles ziemlich spannend, was?", erkundigte sich Tetsuno. Ashi nickte heftig mit dem Kopf. "Ja doch! Ich mein, ich komm ja auch nicht gerade aus der Zukunft, aber hier ist alles so furchtbar alt; das kenn ich nur aus Büchern..." "Oder aus dem Fernsehen", bestätigte Tetsuno beiläufig. Ashi sah ihn verwirrt an. "Was?" "Fernsehen!" Tetsuno setzte eine ungläubige Miene auf. "Mann, sag jetzt bloß nicht, dass bei dir zu Hause noch nicht mal Flimmerkisten existieren, das raff ich nicht...!" Er schüttelte den Kopf, als Ashi ihn weiterhin ansah, als käme er vom Mond. "Verdammt, Ashi-chan, ich dachte ja anfangs, du wärst einfach nur ein Landei, aber... inzwischen hab ich meine Meinung geändert. Du bist schlimmer. Eine echte Provinzkartoffel." "Nenn mich nicht immer Ashi-chan!", beschwerte sich Ashi, "Und jetzt erklär mir endlich, was dieses Fernstehen oder wie immer es heißt ist!!" "Später", ächzte Tetsuno, "das ist mir jetzt zu kompliziert... genieß lieber noch diese hübsche, nostalgische Umgebung, solange wir nicht wieder im hochtechnisierten Teil Kama-Tos rumlaufen." Ashi zuckte mit den Schultern. "Na schön." Die beiden marschierten weiter und Ashi beobachtete interessiert die Leute um sie herum. Sie trugen alle mittelalterliche Kleidung und hantierten mit teilweise schon sehr antiquierten Werkzeugen herum. Irgendwann musste Ashi dann grinsen. "Weißt du, was mir schon die ganze Zeit über aufgefallen ist? Die Leute hier sind alle viel kleiner als wir." Tetsuno nickte feixend. "Jau, die Menschen waren früher alle kleiner. Und hier ist eben noch dieses "früher", da ist das ganz normal..." "Ist wie immer", erklärte Ashi und sah einem Bauer nach, der eine Mistgabel über der Schulter trug und ihr gerade mal bis ans Kinn ging, "ich bin die letzten zwei Jahre lang die Größte in meinem Dorf gewesen." "Kann ja nicht besonders riesenhaft sein, dein Dorf", bemerkte Tetsuno. "So klein war es auch wieder nicht", protestierte Ashi, "das waren schon gut an die hundert Einwohner!" Tetsuno gab einen ungläubigen Kehllaut von sich. "Ich pack's nicht, in so einem Kuhkaff lebst du??" "Hab ich gelebt", antwortete Ashi mit plötzlich sehr leiser Stimme, "jetzt nicht mehr... und selbst wenn es ein Kuhkaff war, es war ein sehr schönes." Tetsuno sah sie ein wenig unsicher an. "Alles... alles okay mit dir? Du hörst dich auf einmal an, als wärst du gar nicht mehr da... als ob du in Gedanken ganz woanders wärst." Ashi antwortete nicht. "Ashi-chan? Hey! Geht's dir gut??" Besorgt hielt Tetsuno inne, als er bemerkte, dass Ashi stehen geblieben war und jetzt auf den Boden starrte. Mit unruhiger Miene versuchte der Junge, ihren Blick aufzufangen. "Ashi-chan... sieh mich an! Komm schon! Was hast du denn?" Ashi hob langsam die Arme und bedeckte ihr Gesicht mit den Händen. Einen Moment lang sah sie so aus, als ob sie zusammenbrechen würde, dann senkte sie ihre Hände wieder und hob den Blick. "Hey! Jetzt sag doch was!" Ashi lächelte matt und sah Tetsuno an. "Sorry... ich... war grade wirklich woanders. Tut mir leid. Gehen wir weiter..." Sie setzte sich wieder in Bewegung und Tetsuno folgte ihr verwirrt. "Was war denn eben los mit dir?", wollte er wissen, "War dir schwindlig?" Ashi schüttelte den Kopf - und dann nickte sie. "Nein. Doch. Ein bisschen... da waren nur wieder... diese Bilder... ach, vergiss es." Sie setzte eine einigermaßen fröhliche Miene auf und beschleunigte ihren Schritt wieder. "Wo waren wir stehen geblieben?" Tetsuno sah sie noch einen Moment lang zweifelnd an, dann beschloss er, Ashi besser nicht weiter auszufragen und die Unterhaltung normal fortzusetzen. "Bei deiner Größe", antwortete er, "du warst immer größer als alle anderen." "Ich bin", widersprach Ashi, "immer noch." Tetsuno warf ihr einen belustigten Blick zu. "Ach ja? Dann schau mir mal in die Augen, Kleines." Ashi sah ihn verblüfft an. "Was?" Tetsuno lachte triumphierend. "Na also! Musst gleich ein paar Stockwerke höher gucken, um meine Augen zu sehen, hab ich Recht oder hab ich Recht?" Ashis Gesicht nahm einen ungläubigen Ausdruck an. "Stimmt ja echt...! Wahnsinn, du bist fast einen halben Kopf größer als ich! Wieso ist mir das nicht schon früher aufgefallen?" Tetsuno grinste zufrieden. "Wusst ich's doch. Keiner schafft es, auf Tetsuno Kasai herabzublicken - es sei denn, er steht auf'm Schemel!" Da kam ihm ein Gedanke und er gluckste vergnügt. "Na ja... bis auf einen vielleicht..." Ashi sah ihn verständnislos an. "Wer denn bitte?" Tetsuno winkte ab. "Vergiss es. Kennst du nicht. Solltest du auch nicht kennen lernen... der ist nämlich auch größer als du. Am Ende kriegst du noch Depressionen..." "Hey", murrte Ashi beleidigt, "so empfindlich bin ich nicht, schon gleich gar nicht wegen meiner Größe. Das ist nur... ungewohnt für mich, neben so einem Riesen wie dir herzutraben, verstehst du? Bisher war ich eben immer der Riese." Tetsuno nickte. "Schon klar. Ist aber trotzdem besser, du begegnest ihm nicht. Er ist nicht ganz sauber im Oberstübchen..." Eine Weile lang schwiegen sich die beiden an, dann fand Tetsuno ein anderes Gesprächsthema. "Hey, sag mal... wie läuft's eigentlich mit deinem Element? Schon was gespürt seit gestern abend?" Ashi senkte den Blick. "Na ja... ich hab's versucht. Gehört hab ich den Wind immerhin schon mal... aber alles andere... ich kapier's nicht, Tetsuno, wie kann ich mein inneres Auge benutzen? Und wie kann man so was wie Wind in sich drin fühlen? Ich kann nicht glauben, dass der Wind irgendwie in mir drin sein soll..." "Er ist in dir, das darfst du mir schon glauben", sagte Tetsuno überzeugt, "du bist eine Wind-Asahoshi, du würdest nicht existieren, wenn du nichts von deinem Element in dir hättest. Der Wind fließt durch deine Adern und beherrscht dein Blut. Du trägst ihn immer bei dir, kannst ihn überhaupt nicht verlieren... es sei denn, du kratzt ab oder begegnest nem Vampir." Er grinste. Ashi hob ihren linken Arm und betrachtete die Stelle, wo ihre Pulsadern saßen. "Der Wind... ist in meinem Blut?", wiederholte sie nachdenklich. Tetsuno nickte. "Korrekt. Merk's dir. Vielleicht hilft dir das zu verstehen." Ashi starrte weiterhin auf ihr Handgelenk und die Unterhaltung war zu Ende. Während sie neben Tetsuno auf der mittelalterlichen Hauptstraße wanderte, versuchte sie den Wind zu fühlen. Er war da, natürlich, sie hörte sein Rauschen ganz deutlich und er ließ ihr langes Blondhaar durch die Luft wirbeln... aber fühlen, nein, fühlen und sehen konnte sie ihn trotzdem nicht. Part 4: Arikata Als die Sonne langsam den Horizont hinunter rutschte und ihre Strahlen nur noch spärlich die Stroh- und Holzdächer des uralten Stadtteils Kama-Tos erleuchteten, waren Ashi und Tetsuno bereits fast alleine auf der Straße. Die Leute hier gingen anscheinend mit den Hühnern ins Bett und standen wohl auch dementsprechend früh wieder auf... wie man es eben von echten Mittelalterbürgern erwartete. Ashi und Tetsuno kamen gerade an einem alten Brunnen vorbei und machten davor halt. Ashi ließ sich auf den Boden sinken und stützte sich auf den Brunnenrand. "Mann", murmelte sie mit verzweifelter Miene, "ich glaub, ich verhungere gleich... mein Magen führt sich dermaßen auf, ich kann einfach nicht mehr." "Hast ja lange auch lange genug durchgehalten heut", stellte Tetsuno mit einem Blick auf den Sonnenstand fest, "wir haben schon ewig keine Pause mehr gemacht. Also, Abendessen und dann in die Federn?" "Gute Idee", stimmte Ashi sofort zu, "aber wo willst du denn hier bitte übernachten?" Tetsuno drehte sich langsam einmal um sich selbst und überschaute die Lage. "Hm... ich tendiere zu der Scheune da drüben. Ist bestimmt unbewohnt, bis auf ein paar Ratten vielleicht..." Ashi schüttelte sich. "Hör bloß auf." Tetsuno grinste. "Keine Sorge, ich pass schon auf, dass sie dich nicht fressen. Vorher spieß ich sie auf meinem Schwert auf und brutzel uns ein Abendessen draus..." Ashi gab ein angewidertes Geräusch von sich und stiefelte mit einer Grimasse auf die von Tetsuno ausgewählte Scheune zu. "Hey, stampf nicht so!", zischte Tetsuno ihr hinterher, "Muss ja nicht gleich jeder wissen, dass wir uns hier unbefugt einquartieren!" Ashi verlangsamte ihre Schritte einsichtig und warf einen prüfenden Blick auf die Scheune. Von außen sah sie einfach nur groß aus. Groß und mit furchtbar dunklem Holz verkleidet. Da kaum noch Tageslicht auf sie fiel, wirkte das Scheunentor wie ein riesiger schwarzer Schlund, der nur darauf wartete, Ashi und Tetsuno zu verschlingen... Ashi schüttelte sich. "Was denn?", erkundigte sich Tetsuno, "Schiss vor nem alten Heulager?" "Quatsch mit Soße", brummte Ashi und marschierte mechanisch auf das Scheunentor zu. Ihr war nicht ganz wohl bei der Sache, aber dort drin gab es wenigstens Heu und das war besser als auf der Straße zu schlafen... Ashi schluckte schwer, dann kniff sie die Augen zusammen und tat den ersten Schritt über die Torschwelle in die Finsternis. Sofort umfing sie Dunkelheit. "Hui", gab Tetsuno von sich, als er hinter ihr eintrat, "ganz schön finster, der Kasten." Er schnippte mit den Fingern und eine helle Flamme tauchte vor ihm in der Luft auf. Jetzt konnten die beiden immerhin ein wenig von ihrer Umgebung erkennen. Sie standen in einer großen Halle, in deren Mitte eine Leiter senkrecht nach oben und dann durch die Holzdecke führte. So gelangte man offenbar in den Heuboden. An den Seiten der Halle standen alte Gerätschaften wie Pflüge und kleine Kutschen, Schubkarren und Wagenräder. "Ist doch ganz nett", bemerkte Tetsuno und steuerte mit interessierten Seitenblicken auf die Leiter zu, "sehen wir uns mal im zweiten Stock um." Er packte die Leiter und rüttelte daran, um zu prüfen, ob sie stabil war. Dann nickte er, offenbar zufrieden, und begann die Sprossen hoch zu klettern. Die Flamme, die er herbeigezaubert hatte, folgte ihm brav wie ein Hund an der Leine. Ashi wollte Tetsuno eigentlich nicht sofort hinterher rennen, das hätte so ausgesehen, als ob sie Angst hätte - aber wenn sie ehrlich war, dann hatte Ashi ja Angst. Ein bisschen zumindest. Oder vielleicht war es ja auch einfach die Kälte dieses Aprilabends, die ihre Knie schlottern ließ... Nun doch ziemlich zügig hüpfte Ashi auf die Leiter zu und kraxelte daran empor. Tetsuno war bereits über ihr verschwunden und die Decke kam näher. Ashi beeilte sich, weil sie kaum noch Licht hatte und die Flamme bereits in den ersten Stock entschwebt war. Eilig streckte sie den Kopf durch das Loch in der Holzdecke und... "Buh." "Hyyyaaaaaaaaaaaaaaaaah!!!" Ashi kreischte auf und wäre fast wieder die Leiter hinunter geflogen, als Tetsuno sie von hinten anstupste. Bevor das Mädchen jedoch wieder ein Stockwerk tiefer segeln konnte, packte sie eine starke Hand am Unterarm und hielt sie in der Luft fest. "Tetsuno!!", schrie Ashi wutentbrannt und sah zu ihm hinauf, "Sag mal, hast du'n Stich in der Birne?? Ich wär grade fast draufgegangen, das sind mindestens fünf Meter bis nach unten!!" Tetsuno blickte grinsend durch die Leiterluke auf Ashi herab, die da an seiner Hand baumelte. "Sorry", beteuerte er, "aber das war einfach zu verlockend... kann's sein, dass du doch ein bisschen Schiss hast?" "Nein", grollte Ashi mit funkelnden Augen, "und jetzt zieh mich endlich rauf, du Vollidiot, ich häng hier zwischen Himmel und Hölle, ist dir das eigentlich klar?" Tetsuno sah sie an und wollte gerade antworten, als er innehielt. Jetzt erst fiel ihm auf, wie seltsam diese Situation doch war... er stand hier fünf Meter über dem Erdboden und hielt ein Mädchen mit nur einer Hand und ohne Mühe davon ab, in die Tiefe zu stürzen. War er denn wirklich so stark? Oder... war Ashi einfach nur so leicht? Er lächelte bei dem Gedanken, dass sie wohl doch etwas mit ihrem Element verband. Er konnte sie halten, als wäre sie nicht schwerer als eine Frühlingsbrise. Und doch... ihr Handgelenk war so dünn... als würde es jeden Moment zerbrechen... Tetsuno schüttelte den Kopf, als er merkte, dass er völlig in Gedanken war und da immerhin noch ein Mädchen an seiner Hand baumelte. "Na schön", rief er nach unten, "dann hol ich dich jetzt mal hoch in... wie hast du es genannt? Den Himmel?" Er grinste und zog Ashi mit einem Ruck nach oben. Kaum hatte Ashi wieder festen Boden unter den Füßen, atmete sie hörbar, aber doch genervt auf. Sie blickte sich im Schein von Tetsunos Flamme um und brummte: "Von wegen Himmel. Morsche Dielen, Dreck und Heu wohin man schaut. Kalte Zugluft und wahrscheinlich wegen dem dauernden Gequietsche irgendwo Fledermäuse und Ratten. So was bezeichne ich bestimmt nicht als Himmel... schon gleich gar nicht, wenn ich hier auch noch eine ganze Nacht verbringen muss, und das mit dir." "Hey, was war'n das für ne Anspielung?", wollte Tetsuno grimmig wissen, "Willst du mich etwa mit dem Viehzeug hier vergleichen?" "Ratten und Fledermäuse", sagte Ashi nachdenklich, "ja, wenn man sie kombiniert, könnte man tatsächlich auf dich kommen." Tetsuno wollte gerade etwas Empörtes sagen, als Ashi noch hinzufügte: "Obwohl... da fehlt was." "Was?", fragte Tetsuno zähnefletschend, "Spielst du auf meine Waffe an? N Schwertfisch vielleicht noch? Oder Sägefisch??" Ashi drehte sich zu ihm um - und lächelte. "Nein. Eher ein Feuersalamander. Und ein Löwe... mit Riesenkräften, so stark, dass er mich in der Luft halten kann, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken." Tetsuno klappte die Kinnlade nach unten und für einen Moment war er sprachlos. Dann spürte er, wie seine Stirn unwillkürlich heiß wurde. "Sag mal, liegt das an dem schlechten Licht oder bist du es jetzt, der hier rot anläuft?", erkundigte sich Ashi feixend. Tetsuno machte den Mund wieder zu und knurrte: "Red nicht so'n Schrott. Ich bin nicht rot." "Na gut, dann eben nicht", meinte Ashi und warf einen Blick auf die Flamme, die neben Tetsuno in der Luft schwebte, "aber du solltest mit dem Feuer aufpassen, nicht dass du hier noch was abfackelst. Ist immerhin fast nur Heu, Stroh und Holz hier." Sie betrachtete die Wände unruhig. Tetsuno nickte. "Okay. Gehen wir in die Halle runter zum Essen? Da sind die Decke und die Wände nicht so nah dran und der Boden ist aus Stein..." Ashi zuckte mit den Schultern. "Soll mir recht sein." Sie ging auf die Leiter zu, hielt dann aber inne und warf Tetsuno einen warnenden Blick über die Schulter zu. "Aber wehe dir, wenn du noch mal auf dumme Gedanken kommst, klar??" Tetsuno grinste. "Schon in Ordnung. Ich halt mich zurück." Mit einem Blick, der Bände sprach, kletterte Ashi in die große Halle hinunter. Tetsuno folgte ihr mitsamt seiner Flamme und machte tatsächlich keine Dummheiten. So schürten sich die beiden also ein kleines Feuer in der Halle. Dann rösteten sie ein paar Marshmellows darüber und unterhielten sich noch ein wenig, bevor Tetsuno das Feuer wieder löschte und die beiden die Leiter hochkletterten und sich hundemüde irgendwo ins Heu warfen. Ashi schlief nicht sofort ein, weil ihr ihre Umgebung immer noch nicht so ganz gefiel. Sie nahm sich vor, noch diesem andauernden Gepiepse auf den Grund zu gehen und herauszufinden, was das für Tiere waren, die hier so einen Lärm veranstalteten... aber das Heu war so weich und warm, dass Ashi dann doch nicht mehr aufstehen wollte. Außerdem hatte sie ja einen fähigen Kämpfer an ihrer Seite. Der würde schon merken, wenn was nicht stimmte... das hoffte Ashi jedenfalls. Als Tetsuno ein paar Meter neben ihr zu schnarchen begann, lächelte Ashi schläfrig. Na ja... vielleicht würde er es auch nicht merken, wenn hier etwas nicht mit rechten Dingen zuging. Aber das war auch egal. Immerhin war das hier nur eine einfache alte Scheune... da gab es so etwas wie Monster nicht... Ashi versuchte noch, sich krampfhaft auf diesen beruhigenden Gedanken zu konzentrieren - doch am Ende gab sie es auf und rutschte im Heu noch ein Stück näher zu Tetsuno hin. Das war ihr zwar eigentlich zuwider, aber sie konnte es nicht leugnen. Ashi fühlte sich gleich viel sicherer. Gähnend streckte sich Ashi im Heu, als sie am nächsten Morgen aufwachte. Sie blinzelte. Wovon war sie eigentlich wach geworden? Bestimmt wegen diesem Geruch... es duftete unverkennbar nach Kakao. Ashi zog die Stirn in Falten. Kakao? Hier? In einer mittelalterlichen Scheune? Das war doch irgendwie unlogisch... Verwirrt rappelte sie sich auf und sah sich um, während sie das Heu aus ihren Klamotten klopfte. Bei Tageslicht war die Scheune viel heller und sah überhaupt nicht mehr gruselig aus. Auch das nervtötende Gequietsche der hier hausenden Tiere war verstummt und alles in allem konnte sie sich nicht erklären, weshalb sie gestern zu Tetsuno gerutscht war... ja - wo war der denn eigentlich? Suchend ließ Ashi ihren Blick durch den Heuboden schweifen. Keine Spur von ihrem Fremdenführer. Also steuerte Ashi auf die Luke zu und schwang sich auf die Leiter. Ein paar Sprossen kletterte sie nach unten, dann blickte sie über ihre Schulter hinab und erkannte Tetsuno, der dort unten eine kleine Flamme in seiner Hand hielt und darüber einen Becher, aus dem heißer Dampf aufstieg. In diesem Augenblick bemerkte Tetsuno sie und grinste die Leiter empor. "Morgen, Ashi-chan! Du kommst grade rechtzeitig, Frühstück ist fertig." Ashi musste lächeln. Frühstück ist fertig... dieselben lieben Worte, mit denen sie schon als kleines Kind immer geweckt worden war. Sie starrte kurz geradeaus, dann nahm sie ihre Kletterei wieder auf und sprang das letzte Stück nach unten. Mit einem leisen Geräusch kam sie auf dem Steinboden auf und gesellte sich zu Tetsuno. "Ebenfalls guten Morgen, Feuerfanatiker. Musst du eigentlich zu jeder Mahlzeit was Warmes essen?" "In diesem Fall trinken", erwiderte Tetsuno und reichte ihr einen Becher mit dampfendem Kakao, "und nein, ich kann auch mit einer warmen Mahlzeit am Tag leben. Gut geschlafen?" Ashi zuckte mit den Schultern und strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn. "Mehr oder weniger." "Verstehe. Nicht gerade das Grand Hotel hier. Aber man gewöhnt sich dran, glaub mir." Ashi nahm einen Schluck aus ihrer Tasse und sah Tetsuno nachdenklich an. "Wie lange bist du denn schon alleine unterwegs? Hört sich an, als würdest du seit Jahren als einsamer Schwertkämpfer durch die Stadt ziehen und Heulager statt Betten benutzen..." "Ich nehme, was ich gerade kriege", erklärte Tetsuno mit einem leisen, ungewohnt scharfen Unterton in der Stimme, "das Leben läuft nicht immer so, wie man es gerade gern hätte. Deswegen bin ich auf Achse." Ashi blickte traurig lächelnd ihren Kakao an. "Du läufst also davon. Genau wie ich." "Wir sollten so langsam aufbrechen." Tetsuno schien unbedingt das Thema wechseln zu wollen, denn jetzt richtete er sich auf und leerte seinen Rest Kakao in einem Zug. "Ist schon spät, scheinst doch ganz schön gut geschlafen zu haben, wenn du jetzt erst wach geworden bist..." Ashi murmelte etwas Unverständliches und machte sich ebenfalls bereit zum Aufbruch. Den ganzen Morgen lang waren Ashi und Tetsuno auf der mittelalterlichen Hauptstraße unterwegs. Gegen Mittag wurde den beiden schrecklich langweilig, weil sie kein Gesprächsthema mehr fanden und aus lauter Verzweiflung beschlossen sie irgendwann, jetzt Wörterraten in Reimen zu spielen. Ashi war gerade am Zug, als sie einen kleinen Hügel hinaufstiegen. "Ein gutes Aroma liegt in der Luft", begann sie und sah Tetsuno herausfordernd an. Tetsuno blickte zurück, runzelte die Stirn und schien angestrengt nachzudenken. "Öhm... Ein gutes Aroma liegt in der Luft, Ashi trägt ne Wildlederkluft." "Nein", antwortete Ashi säuerlich, "nicht Kluft." Tetsuno startete einen neuen Versuch: "Es riecht nach Gauner und nach Schuft." "Falsch!" "Die Knoblauchzwiebel steigt aus der Gruft!!" Genervt hielt Tetsuno sich den Kopf. "Ich meinte Duft, du Trottel", belehrte ihn Ashi und warf einen Blick nach vorne. In diesem Moment hatten sie den Gipfel des Hügels erreicht und nun bot sich ihnen der Ausblick auf ein riesiges, buntes Schauspiel: Sie standen direkt vor einem Markt. Ashi fielen fast die Augen aus dem Kopf. Stände über Stände waren dort wild durcheinander gewürfelt auf dem Marktplatz aufgebaut und die verschiedensten Waren wurden mit lautem Geschrei angepriesen, das man sogar bis hierhin hören konnte. Unzählige Menschenmassen drängten sich dort herum und amüsierten sich prächtig. Ein Feuerwerk aus Farben, Geräuschen und Gerüchen, die man teilweise kaum zuordnen konnte. Tetsuno sah Ashi lächelnd an. " Lass mich raten: Noch nie auf nem richtigen Markt gewesen?" Ashi schüttelte mit offenem Mund den Kopf. "Tetsuno... können... können wir da mal drüberlaufen???" "Müssen wir sogar. Der Marktplatz überschneidet sich mit der Hauptstraße; es ist praktisch unmöglich, auf der Hauptstraße weiter zu laufen, ohne sich an den ganzen Marktständen vorbeizuschieben." Ashis Miene hellte sich auf. "Toll!! Also los!" Begeistert setzte sie sich in Bewegung und trabte auf das mittelalterliche Markttreiben zu. Tetsuno folgte ihr belustigt. Ashi strahlte wie ein Honigkuchenpferd, während sie mit Tetsuno einen Stand nach dem anderen bewunderte. Es gab Stände, an denen Schuhwerk angeboten wurde, solche mit feinsten Tüchern und welche mit Gold- und Silbergeschmeide. Bei einer kugelrunden Bauersfrau erstanden Ashi und Tetsuno ein halbes Dutzend Äpfel, das sie zu ihrem Mittagessen machten und glücklich kauten, während sie weiter von einem Stand zum nächsten wanderten. Das Gedränge wurde immer dichter, je weiter sie vorankamen. Irgendwann war es kaum noch zu ertragen und Ashi war richtig froh, als sie schließlich ein kleines Zelt entdeckte, in dem sie einmal kurz Rast machen konnten. Die Zeltplane war lavendelfarben und der ganze Bau war äußerst niedrig und wackelig. Trotzdem schoben Ashi und Tetsuno sich hindurch - und waren sofort überrascht, als sie sich umsahen. Wo waren sie hier bloß gelandet? Gedämpftes, violettes Licht durchflutete den kleinen Zeltraum wie ein zäher Nebel und sobald die Zeltplane hinter ihnen zugefallen war, wurde der Lärm von draußen schon fast unnatürlich leiser und war kaum noch zu hören. Es roch angenehm nach Rosmarin und im ganzen Raum stand nicht mehr herum als ein kleiner Tisch von gerade mal dreißig Zentimetern Höhe, um den herum einige Sitzkissen verteilt waren. Von der niedrigen Decke hing ein laternenartiges Gebilde aus blauem Papier, das wohl so etwas wie eine Lampe darstellen sollte. Hinten ans Zelt schloss sich noch ein weiterer Raum an, der durch einen glitzernden lila Vorhang abgetrennt war. Genau dieser Vorhang schob sich jetzt zur Seite und ehe Ashi und Tetsuno noch wussten, wo sie sich überhaupt befanden, trat eine zierliche, ungewöhnlich hübsche junge Frau in einem langen, dunkelblauen Kleid aus dem Hinterraum hervor. "Ich heiße euch willkommen", sagte sie mit einer leisen, wohlklingenden Stimme und einem Blick auf ihre beiden Besucher, "ihr seid im Zelt von Arikata, falls ihr euch das fragt." Sie lächelte, als Tetsuno, der gerade den Mund aufgemacht hatte, sofort von seiner Frage abließ. "Ich sage die Zukunft voraus und kann euch helfen, wenn ihr Probleme habt. Vermutlich wusstet ihr nicht, dass ihr hier bei einer ollen Wahrsagertante landet, deswegen nehme ich es euch auch nicht übel, wenn ihr wieder geht, ohne meine Dienste in Anspruch zu nehmen." Ihr Lächeln wurde eine Spur breiter. Ashis Augen weiteten sich. "Sie - sie sind eine Wahrsagerin??", platzte sie heraus, "Oh bitte, ich bin schrecklich neugierig! Sagen sie mir meine Zukunft voraus!" Arikata nickte freundlich. "Natürlich, gerne, wenn du möchtest. Aber ob dein Begleiter damit einverstanden ist? Er scheint nicht ganz so überzeugt zu sein wie du..." Tetsuno sah in der Tat nicht besonders begeistert aus. Er warf Ashi einen zweifelnden Blick zu. "Du willst Händchen lesen lassen? Mit Kristallkugel und Pendel, Tarotkarten und dem ganzen anderen Brimborium? Ist das dein Ernst, Ashi-chan?" "Nur Ashi", erwiderte die Angesprochene gereizt, "und ja, ich will. Das ist sogar mein voller Ernst." Tetsuno warf einen beunruhigten Blick auf Ashis rechte Hand. "Aber... Ashi-chan, du weißt doch, dass... deine Hand..." Ashi blickte verdutzt an sich herunter, dann fiel ihr wieder ein, dass auf ihrer rechten inneren Handfläche ja das Asahoshizeichen saß. Arikata folgte ihrem Blick nicht, sondern lächelte auch weiterhin ihr geheimnisvolles Lächeln. "Hab keine Angst. Ich habe nichts gegen eure Abstammung, es ist äußerst selten, dass mir zwei Asahoshi die Ehre geben, und es ist mir immer wieder ein Vergnügen." Ashi klappte endgültig die Kinnlade nach unten. "Aber - aber woher wussten sie..." "Ich bin die große Seherin, schon vergessen?", erwiderte Arikata belustigt, "Die Aura um euch herum, die von euren Elemente ausgeht, ist unverkennbar. Und zur Beruhigung deines Begleiters: Ich beschränke mich in meinem Beruf auf die Kunst des Handlesens. Keine Kristallkugeln und auch kein Pendel. Das ist alberner Aberglaube, nichts, was wirklich funktioniert." Tetsuno blickte Ashi noch warnend an, diese aber war nicht mehr von ihrer Idee abzubringen und nickte strahlend. "Okay, dann fangen sie mal an!" Arikata deutete auf den Vorhang. "Folge mir bitte ins Hinterzimmer. Dein Freund kann hier solange warten." "Begleiter", korrigierte Ashi sofort, als Arikata den Vorhang beiseite schob und dahinter verschwand. Sie drehte sich noch einmal zu Tetsuno um und lächelte. "Dauert auch bestimmt nicht lange! Bis gleich!" Mit diesen Worten folgte sie der Wahrsagerin in das Hinterzimmer. Tetsuno blieb allein in dem violetten Raum zurück. "Ja, ja, schon gut", brummte er noch und ließ sich auf ein Sitzkissen fallen. "Weiber", knurrte er entnervt. Ashi nahm neben Arikata in dem ähnlich wie der Vorraum eingerichteten Hinterzimmer auf einem großen Teppich Platz und die Wahrsagerin forderte: "Deine linke Hand, bitte." Ashi war verblüfft. "Ach, sie wollen gar nicht die Rechte?" Arikata lächelte. "Nein. Die linke Hand kommt von Herzen, an ihr ist viel mehr zu erkennen." Ashi nickte schulterzuckend und reichte der Wahrsagerin ihre Hand. Arikata konzentrierte sich auf die feinen Linien, die sich durch Ashis blasse Haut zogen und im blauen Licht des Raumes ungewohnt hervorstachen. Eine Weile lang schwieg sie, dann sagte sie leise: "Ah... ich verstehe. Eine ungewöhnliche Konstellation der Linien, so etwas habe ich noch nie gesehen..." Sie zog die Stirn in Falten und meinte: "Ein junges Mädchen mit sehr viel Entschlossenheit im Blut, vom Wind mal ganz abgesehen. Ich sehe... Schmerz. Sehr viel Schmerz und Trauer in dir." Ashi biss sich auf die Lippen. "Ja... du hast es nicht leicht. Dein Herz ist groß, doch es verschließt sich immer mehr. Sei vorsichtig, das führt zu nichts Gutem... oh. Was ist das?" Sie musterte eine der Linien prüfend und stellte dann fest: "Deine Lebenslinie macht hier eine ungewöhnliche Biegung. Das dürfte der Lebensabschnitt sein, in dem du dich gerade befindest. Sehr interessant. Du hast eine große Aufgabe, die du unbedingt alleine erfüllen willst." Arikata lächelte und fing den Blick aus Ashis Wolfsaugen auf. "Aber da sind noch andere Menschen, die dir helfen werden, Ashi. Noch weißt du es nicht, aber du wirst sie alle sehr schnell ins Herz schließen..." Sie ignorierte Ashis überraschten Blick und sah noch einmal auf ihre linke Hand zurück. "Ja. Das Ende deiner Mission vorauszusehen ist mir nicht möglich. Es liegt im Dunkeln... aber du kannst es schaffen, wenn du an dich und die anderen Fünf glaubst. Gemeinsam seid ihr stark." Ashis Mund stand schon wieder offen. Sie wusste absolut nicht, was sie von dieser Voraussage halten sollte. Doch Arikata war noch gar nicht fertig. Noch einmal warf sie einen Blick auf Ashis Hand und erklärte schließlich: "Im Moment befindest du dich in einer Phase, in der du etwas suchst, es aber nicht findest. Es ist schwierig, das stimmt schon... aber noch heute wird etwas geschehen, dass dir bei diesem Problem entscheidend weiterhelfen wird." Sie lehnte sich zurück und sah in Ashis völlig verdattertes Gesicht. Arikata grinste. "Was denn? Haut dich meine Vorhersage so vom Hocker?" Ashi jedoch war anscheinend unfähig, ein Wort hervorzubringen. Arikata griff in ihre Tasche und holte daraus etwas hervor. Es war klein, flach, eckig und vollkommen weiß - eine Spielkarte. Die Wahrsagerin hielt sie Ashi entgegen. "Nimm sie", sagte sie aufmunternd, "du kannst sie behalten; wirst sie nötiger haben als ich." Immer noch total verwirrt stotterte Ashi ein Dankeschön und nahm die Karte entgegen. Bei der Armbewegung der Wahrsagerin rutschte der seidige, dunkle Stoff ihres Kleides am linken Ärmel ein Stück zurück und für einen kurzen Moment glaubte Ashi, auf Arikatas blasser Haut ein schwarzes Z zu erkennen... Nur langsam fing sie sich wieder und wollte schließlich verunsichert wissen: "Wieviel schulde ich ihnen, Arikata?" Die Wahrsagerin lächelte. "Nicht der Rede wert, Ashi. Du brauchst mir nichts zu bezahlen, ich habe meinen Lohn schon erhalten... ich konnte dir helfen, Ashi. Das weiß ich." "Aber Arikata!", protestierte Ashi, "Ich kann doch nicht einfach so..." Die Wahrsagerin unterbrach sie. Ihr Gesicht wurde plötzlich todernst und sie legte den Finger an ihre Lippen. "Einen Moment", sagte sie beunruhigt. "Ich - da draußen", sie wurde nervös und warf einen Blick auf den dichten Vorhang, der zum Vorraum führte. "Ashi", flüsterte sie tonlos, "geh sofort nach deinem Begleiter sehen. Auf der Stelle." Das Mädchen sah sie verwirrt an. "Aber warum..." Arikata schüttelte den Kopf. "Sofort. Ich war so in unser Gespräch vertieft, dass ich es nicht bemerkt habe..." Ashi sah, dass Arikata es ernst meinte und nickte. Sie stand vom Teppich auf und schob den Vorhang beiseite. Als Ashi in das Vorzimmer trat, fand sie es so leer vor, wie es gewesen war, als sie mit Tetsuno hereingekommen war. Überrascht sah Ashi sich um. "Tetsuno? Wo steckst du?" Besorgt musste sie feststellen, dass er wie vom Erdboden verschluckt war. Arikata trat hinter ihr aus dem Nebenraum. "Er... ist tatsächlich weg", bemerkte sie unruhig, "Ich hatte es befürchtet. Ashi, du musst ihm sofort hinterher! Sonst findest du ihn auf dem riesigen Markt nie wieder!" Ashi nickte. "Ja, sie haben recht. Vielen Dank noch mal für ihre Hilfe, Arikata. Oh je, hoffentlich ist er noch nicht zu weit weggegangen..." Nervös verabschiedete sich Ashi von der Wahrsagerin und verließ das Zelt wieder. Kaum war sie aus dem Zelt herausgetreten, wurde sie von unmenschlichem Lärm und Gedränge empfangen und musste aufpassen, nicht von einem dicken Fischhändler zerquetscht zu werden, der sich gerade an ihr vorbeischob. Ächzend machte Ashi einen Schritt zur Seite und reckte den Hals. Auch hier gehörte sie zu den größten Leuten; so hätte es ihr eigentlich leicht fallen müssen, Tetsuno zu finden. Aber so sehr sie sich auch reckte und streckte, sie konnte den großen blonden Jungen nicht im Menschengetümmel entdecken. "Tetsuno!!", brüllte Ashi durch das Marktgeschrei, "Verdammt, das ist nicht witzig!!! Komm sofort wieder zurück!" Keine Antwort. Jedenfalls keine von Tetsuno. Der Lärm hielt an und immer noch keine Spur von Ashis Fremdenführer. Genervt und jetzt doch einigermaßen beunruhigt begann Ashi sich vom Zelt der Wahrsagerin zu entfernen. Sie hatte keine Ahnung, wo sie anfangen sollte zu suchen, und so beschloss sie, einfach der Nase nach die Marktstraße entlang zu laufen. Irgendwie würde sie Tetsuno schon finden... verdammt, sie MUSSTE ihn sogar finden! Part 5: Das Silberarmband Eine Weile lang pflügte Ashi durch die gewaltige Menschenmenge und wunderte sich, wie sie es geschafft hatte, nach fünf Minuten erstens noch nicht zerquetscht und zweitens nur zehn Meter weit gekommen zu sein. Immer noch war nichts außer den vielen bunten Marktständen zu sehen. Der Himmel hatte sich dunkelgrau gefärbt und die Sonne war verschwunden. Das half Ashi bei ihrer Suche auch nicht gerade weiter. Doch als sie gerade ihre Chancen abwägte, Tetsuno auf solch einem riesigen Markt zu finden, fiel ihr Blick plötzlich nach links. Dort war zwischen zwei Ständen ein kleiner Spalt, der in eine Seitengasse führte... und wenn ihre Augen Ashi keinen bösen Streich spielten, dann hatte sie da eben Metall aufblitzen sehen. Sie zog die Stirn in Falten, biss die Zähne zusammen und kämpfte sich durch den vorwärts treibenden Menschenstrom bis zu der Spalte hindurch, wobei sie einem alten Herrn auf den Fuß trat und sich unbeholfen entschuldigte. Ashi war unendlich froh, als sie sich durch den Spalt zwängen durfte - auch wenn sie nicht wusste, was sie in der Seitenstraße nun erwarten würde. Die Schatten der hohen Häuser und der dunkle Himmel ließen nur wenig Licht in die kleine Gasse; dennoch war da etwas, das Ashi sofort ins Auge stach: Etwas unverkennbar Rotes, das sie als Tetsuno in seinem Kampfanzug identifizierte. Sie wollte schon erleichtert aufatmen, als sie auch schon wieder den nächsten Schreck bekam: Tetsuno war nicht allein. Außer ihm befand sich noch eine andere, große Gestalt in einem unscheinbar grauen Kampfanzug in der Gasse, die sich kaum von den düsteren Mauern abhob. Ashi erkannte ihn sofort: Es war der Yorukage, den sie auch schon beobachtet hatten, als er mit diesem rothaarigen Mädchen aus dem Kaufhaus geflohen war. Er und Tetsuno standen sich nun gegenüber. Tetsuno hatte die Zähne gefletscht und hielt sein Schwert mit beiden Händen umklammert, während der Yorukage mit einem höhnischen Lächeln auf den kalten Gesichtszügen eine schwarze Spielkarte mit seinen Fingern herum balancierte. Ashi wollte Tetsunos Namen rufen, doch im letzten Moment fiel ihr ein, dass das wahrscheinlich ein Fehler gewesen wäre. Trotzdem konnte sie einen ungläubigen Kehllaut nicht unterdrücken, der die beiden jungen Männern augenblicklich zu ihr herum wirbeln ließ. "Ashi-chan!", rief Tetsuno halb überrascht, halb entsetzt, "Verdammt, was machst du hier?? Sieh zu, dass du wieder verschwindest; das ist nichts für dich!!" Der Yorukage, der keine fünf Meter von Ashi entfernt stand, lachte leise. "Warum denn so unfreundlich, Asahoshi? Wenn sich deine kleine Freundin an unserer Unterhaltung beteiligen möchte... ich habe nichts dagegen." Er zog den Ausschnitt seines grauen Kampfanzuges nach unten, sodass man das schwarze X auf seiner linken Brust sehen konnte. "Lass sie aus dem Spiel, du Feigling!", knurrte Tetsuno und sein Schwert klirrte, "Vergreif dich nicht an Schwächeren! Ich bin dein Gegner!" Das Lächeln des Yorukage wurde gefährlich und er musterte Ashi mit einem Blick, der durch alles hindurchzugehen schien. Ashi wurde beinahe schwindlig, als sie den Blick aus seinen eiskalten blauen Augen auffing. Der Yorukage sagte leise und ohne von Ashi wegzusehen: "Du bist mir zu langweilig, Feuer-Asahoshi. Deine Sorte kenne ich schon... ihr kämpft bis ihr am Boden liegt und sterbt dann in dem Glauben, es ehrenhaft zu Ende gebracht zu haben. Aber die Aura dieses Mädchens... die ist was Besonderes. Ich würde zu gerne sehen, was sie so drauf hat..." Und dann, in einer unglaublich schnellen, kaum zu sehenden Bewegung riss er die Spielkarte in seinen Händen über sein Zeichen und schrie: "Devil Dragon!!" Aus einem urplötzlich auftauchenden, silbernen Nebel formte sich in Windeseile die Gestalt eines ein Meter hohen geflügelten Drachen, die im ersten Moment lächerlich aussah. Aber wirklich nur im ersten Moment. Denn als der Drache dann seine Flügel ausbreitete, auf Ashi zuflog und seine langen scharfen Klauen ausfuhr, konnte Ashi nur noch schreien vor Angst. Der Drache schnellte auf sie zu und Ashi warf sich im allerletzten Augenblick zur Seite. Der erste Angriff des Drachen ging ins Leere, doch dies war keine Eintagsfliegen-Attacke. Der Drache startete einen neuen Versuch und raste abermals auf das Mädchen zu. Hastig und ohne wirklich daran zu glauben, dass es ihr auch nur das Geringste nützen würde, zog Ashi ihre erste Karte aus ihrer Hosentasche und schickte sie über das Zeichen auf ihrer rechten Hand. "Whirlwind Blast!!", schrie sie und sofort formte sich ein kleiner Wirbelwind vor ihr, den sie mit einer Handbewegung auf den Drachen losließ. Und zu ihrer absoluten Überraschung tat der Gegenangriff seine Wirkung. Der Wirbelwind schwoll auf eine Größe von zweieinhalb Metern an und prallte gegen den silbernen Drachen. Im nächsten Moment löste er sich auch schon wieder in Nichts auf, doch der Drache schien geschwächt und brüllte vor Schmerz. Ashi wollte gerade eine erleichterte Miene aufsetzen, denn jetzt würde sich die Energie gewiss gleich in die Karte ihres ungläubig dreinblickenden Meisters zurückziehen - doch da lag die junge Wind-Asahoshi falsch. Für einen letzten Angriff hatte der Drache noch Kraft, und der kam nun wirklich zu überraschend für Ashi. Mit einem Satz war er vor ihr und rammte die messerscharfen Krallen an seinen Füßen nach vorne - dahin, wo eigentlich Ashi hätte stehen sollen. Doch der Angriff traf nicht das Mädchen, sondern Tetsunos Klinge. Der Junge hatte sich im letzten Augenblick vor Ashi geworfen und wehrte nun mit verzerrter Miene und seinem Schwert, dass er an beiden Enden vor sich hielt, die Drachenenergie ab. Ashi war auf die Knie gesunken, öffnete die vor Angst geschlossenen Augen und erkannte, was da vor sich ging. Erschrocken schrie sie auf. "Tetsuno!!" Der Yorukage lachte ein paar Meter entfernt abfällig. "Hau ab!!", fauchte Tetsuno und Ashi brauchte eine Weile, um zu begreifen, dass er gar nicht den Drachen meinte, sondern sie. "Jetzt lauf endlich!", zischte Tetsuno ihr verbittert zu, "Ich kann ihn nicht mehr lange aufhalten!" Entsetzt sah Ashi, wie Tetsunos Arme inzwischen zu zittern begonnen hatten und die Spitze seines eigenen Schwertes in seine linke Hand schnitt, wo sie blutige Spuren hinterließ. Vollkommen von ihrer eigenen Panik gelähmt war Ashi unfähig, sich zu bewegen. "A-aber... aber..." "LAUF!!", brüllte Tetsuno noch einmal, "VERFLUCHT, NUN LAUF SCHON!!!" Noch ehe Ashi reagieren konnte, gaben Tetsunos Arme unter dem Widerstand nach und die Krallen des Drachen bohrten sich zu beiden Seiten in Tetsunos Schultern. Silberne Energie knisterte und Tetsuno schrie vor Schmerz auf. Das gleiche tat auch Ashi - sie schrie. Sie schrie so laut, wie sie es noch nie zuvor getan hatte. "NEIN!!!" Im gleichen Moment stob eine gewaltige Druckwelle von ihr weg und riss sowohl den Drachen als auch den Yorukage um. Tetsuno sank stöhnend auf die Knie und die Windbö verlor sich im Nichts, ebenso wie der Drache. Die Karte in den Händen des zu Boden gestürzten Yorukage glühte noch einmal kurz auf, dann erkaltete sie wieder. Ashi saß zitternd auf dem Boden und registrierte wie in weiter Ferne, dass sich der Yorukage mit einem Ächzen aufrichtete und durch seine Finger pfiff. Vom anderen Ende der Gasse her kam ein weißes Pferd angaloppiert und machte vor ihm halt. Der Yorukage zog sich kraftlos auf den Rücken des Schimmels und warf Ashi und Tetsuno einen hasserfüllten Blick zu. "Wir sehen uns wieder, verlasst euch drauf!", grollte er und ritt auf seinem Pferd im Höllentempo davon. Als ob ein Bann von ihr abfallen würde, kehrten Ashis Lebensgeister in dem Augenblick wieder zurück, als der Yorukage um die nächste Häuserecke verschwand. Plötzlich wurde sie sich wieder bewusst, wo sie sich befand und was geschehen war. Entsetzt riss sie die Augen auf, als sie sah, wie Tetsuno zugerichtet worden war. Seine beiden Schultern bluteten unaufhörlich, an seiner linken Hand war der weinrote Stoff seines Halbhandschuhs durchgewetzt und aus einem tiefen Schnitt quoll ebenfalls Blut. Tetsuno war schweißgebadet und keuchte erschöpft, die Klinge in seiner rechten, noch unversehrten Hand, zitterte. Sein Kopf war ihm auf die Brust gesunken und er stützte sich mühevoll vom Boden ab. Mit krampfhaft geschlossenen Augen war sein ganzes Gesicht zu einer einzigen, schmerzvollen Grimasse verzerrt. "Tetsuno!! Oh mein Gott, geht's dir gut??" Was für eine dumme Frage. Hilflos rutschte Ashi zu ihm herüber und ließ ihren Blick unruhig über seine Verletzungen schweifen. "Ging... schon mal besser", kam die heisere Antwort des Feuermagiers. Ashi schossen unwillkürlich Tränen in die Augen. "Oh Tetsuno, es tut mir so leid... ich hasse mich dafür, dass ich so ein verdammter Schwächlich bin! Wenn ich anständig kämpfen könnte, hättest du mich nicht vor dem Drachen beschützen müssen, dann..." "Hör auf", krächzte Tetsuno, "du kannst nichts dafür, denk nicht solchen Unsinn. Du bezahlst mich dafür, dass ich dich heil zum Himitsu-Tempel bringe, hab ich recht? Es bringt mir nicht mehr allzu viel, wenn ich dich im Plastiksack da hinschleppe, also musste ich das tun..." "Du Idiot!", rief Ashi, während ihr heiße Tränen übers Gesicht liefen, "Es bringt dir auch nichts, wenn du jetzt hier stirbst; dann hast du von dem Geld sowieso nichts mehr!!" Für einen Moment schwieg Tetsuno. Dann atmete er tief aus und setzte sich wieder auf. Ashi entging nicht, dass sein Gesicht sich bei dieser Bewegung noch mehr verzerrte. "Egal", brummte er schließlich und sah Ashi ernst an, "dein Angriff vorhin war unglaublich, Ashi. Noch vor zwei Tagen konntest du den Whirlwind Blast nicht mal halb so gut. Und dann diese Druckwelle gerade eben... der Wahnsinn. Wie hast du das bloß hingekriegt?" Ashi machte ein langes Gesicht. Darüber hatte sie sich noch gar keine Gedanken gemacht. "Äh... keine Ahnung", gab sie zu, schüttelte dann heftig den Kopf und fuhr fort: "Aber das ist doch jetzt auch total unwichtig! Wir müssen was gegen deine Verletzungen tun!" Tetsuno biss die Zähne zusammen. "Und was willst du machen? Auf den Markt rennen und jemandem holen, der einem verwundeten Asahoshi hilft?" Er lächelte grimmig. "Die würden mir höchstens doch noch den Gnadenstoß geben." Ashi sah sich fieberhaft in der Gasse rum. "Verdammt, aber irgendwas muss uns doch einfallen...! Wenn ich nur was bei mir hätte..." Mit zitternden Fingern zog sie den Rucksack von ihrem Rücken und wühlte darin herum. Nichts Brauchbares war zu finden. "Mist." Verzweifelt warf sie den Rucksack beiseite und durchsuchte ihre großen, breiten Hosentaschen - doch auch dort fand sich nichts bis auf die zwei Spielkarten. "Zwei?" Erstaunt betrachtete Ashi die beiden Karten in ihren Händen. Die eine war ihr Whirlwind Blast und die andere... "Ach ja", interessiert musterte sie die weiße Karte, "Arikata hat mir ja diese Karte geschenkt... Tetsuno, ich glaube, sie ist auch eine Asahoshi. Ich hab ihr Zeichen gesehen." Tetsuno nickte kaum merklich. "Ich dachte es mir fast. Sie hat uns zu schnell durchschaut." Nachdenklich drehte Ashi die Karte herum und musterte die Zeichnung darauf. Auf ihr war ein weißer Windhauch zu sehen, der über eine Blumenwiese schweifte. "Cure Breeze", las Ashi leise vor und wandte sich mit fragender Miene an Tetsuno, "Was soll das sein?" Tetsuno verzerrte das Gesicht, als er sich nach vorne beugen wollte, um die Karte in Augenschein zu nehmen. Hastig hielt Ashi sie ihm hin. Tetsuno runzelte die Stirn. "Eine Heilkarte, Ashi-chan. Darüber darfst du mich nicht ausfragen, so was kennen die Feuermagier nicht... Flammen verbrennen und läutern, aber sie heilen nicht." Ashis Miene hellte sich auf. "Meinst du... mit der Karte kann man Wunden heilen...?" "Dazu sind sie eigentlich da, ja", bestätigte Tetsuno ächzend. Ashi blickte bekümmert auf das Zeichen in ihrer rechten Hand. "Aber ich bin so schwach... es wird bestimmt nicht funktionieren." "Quatsch nicht", knurrte Tetsuno, "du bist nicht so schwach, wie du glaubst. Versuch macht kluch." Einen Augenblick sah Ashi unschlüssig auf die Spielkarte, dann stimmte sie Tetsuno mit einem Kopfnicken zu und zog die weiße Karte über ihr Zeichen. "Cure Breeze!" Ein zarter Windhauch strömte aus der Karte und schwebte vor Ashi in der Luft. Fasziniert sah Ashi die Erscheinung an, dann lenkte sie die winzige Bö allein durch ihren Blick auf Tetsunos Verletzungen. Der Wind strich sanft über die tiefen Schnitte an seinen Schultern und seiner Hand und Ashis Augen wurden größer und größer, als sie sah, wie sich die Blutspuren in Nichts auflösten und die Wunden langsam wieder zusammenwuchsen... doch sie verheilten nicht vollständig. Mittendrin verschwand der Windhauch plötzlich und Ashi ließ ihre Karte enttäuscht sinken. "Ich hab's doch gewusst. Ich bin zu schwach", sagte sie tonlos. Tetsuno strich sich eine Strähne seines nassgeschwitzten Blondhaars aus der Stirn, fuhr vorsichtig über die drei kleinen Schnitte, die zurückgeblieben waren und lächelte Ashi an. "Hör schon auf. Ich fühl mich viel besser. Auf der Größe brauchen die Schnitte höchstens noch eine halbe Woche, bis sie wieder verheilt sind. Und weh tut's auch nicht mehr." Ashi sah Tetsuno zweifelnd an. "Glaub ich nicht." "Wenn ich's dir doch sage", beharrte Tetsuno und stand etwas ungelenk auf, "ich spür schon fast nichts mehr, ehrlich." Ashi war immer noch nicht ganz zufrieden, aber Tetsuno nickte ihr aufmunternd zu. "Na los, jetzt steh endlich auf. Wir wollen den Markt heut noch hinter uns bringen - oder hast du Lust, hier zu übernachten?" Sofort verschwand das Misstrauen von Ashis Gesicht und verwandelte sich in pures Entsetzen. "Hier?? In so einer Gasse oder da draußen in dem Getümmel? Nein danke!" Mit bleicher Miene kam sie erstaunlich schnell wieder auf die Beine und steckte ihre neue Karte zurück in die Hosentasche. Sie hob ihren Rucksack auf, legte ihn um und marschierte zielstrebig auf den Spalt zwischen den beiden Ständen zu, der wieder nach draußen in das lautstarke Markttreiben führte. Tetsuno folgte ihr mit einem matten Lächeln auf den Lippen und steckte sein Schwert wieder auf seinen Rücken zurück. Sie erreichten das Ende des Marktes erst gegen Abend. Der graue Himmel hatte inzwischen Wort gehalten und einen reichhaltigen Regenguss auf Kama-To nieder geschickt, was das Gedrängel auf dem Markt auch nicht unbedingt angenehmer machte. Aber auf diese Weise brannten wenigstens Tetsunos Wunden nicht mehr so sehr, wie sie es noch zuvor getan hatten. Dass er überhaupt Schmerzen hatte, verschwieg der Asahoshi. Es erschien ihm nicht wichtig. Und über den mysteriösen Yorukage konnte er sich auch noch Gedanken machen, wenn sie ihre Ruhe und einen stillen Schlafplatz gefunden hatten. Ashi verrenkte sich irgendwann, als es schon zu dämmern begonnen hatte, fast den Hals und rief schließlich durch das Marktgeschrei in Tetsunos Ohr: "Da vorne ist der Markt zu Ende, da hören die Stände auf und die Leute werden auch weniger!!" Tetsuno brüllte zurück, dass er das auch eine Stufe leiser verstanden hätte und Ashi zog erschrocken den Kopf ein, als ihr Ohr zu schmerzen begann. Die beiden kämpften sich an den letzten Händlern vorbei und sofort wurde der Menschenstrom erträglicher und war nicht mehr ganz so dicht gedrängt. Ashi atmete erleichtert auf. Die Stände verloren sich im Nichts und plötzlich lag wieder die ganz normale mittelalterliche Hauptstraße vor ihnen, wie sie sie schon kannten, nur eben etwas reger bevölkert. Die Menschenflut ebbte erst richtig ab, als es schon fast dunkel war und Ashi und Tetsuno schon auf der Suche nach einem Schlafplatz waren. Doch während sie nach allen Seiten Ausschau hielten und sich die mit dreckiger Erde übersäte, vom Regen matschig gewordene Hauptstraße entlang schleppten, sahen sie auf einmal einen Karren vor sich herrollen. "Muss ein Händler vom Markt sein, der seine Zelte abgebrochen hat", vermutete Tetsuno. Sie hatten den Karren schnell eingeholt, denn er wurde, wie sich sogleich herausstellte, nur von einem alten, klapprigen Esel gezogen, der ziemlich müde und geschafft aussah. Auf dem Kutschbock saß eine noch ältere, bucklige Frau mit langem weißen Lockenhaar. Ihre Augen waren geschlossen und sie döste offenbar, während ihr treues Zugtier den Karren gen Norden schleppte. Als er vorbeiging, fragte sich Tetsuno, ob sie nicht sogar eingeschlafen war - doch das war sie nicht. Sobald Tetsuno und Ashi den ersten Schritt am Kutschbock vorbei getan hatten, schreckte die alte Frau hoch und warf einen Blick zur Seite. "Ah, guten Abend!", krächzte sie heiser und lächelte freundlich. Ashi sah sie mit großen Augen an. Ihr Gesicht erzählte von den alten Zeiten, trotz ihres Alters konnte man noch erkennen, dass sie früher mal sehr hübsch gewesen sein musste. "So spät noch unterwegs?", erkundigte sich die Alte, "Kinder wir ihr gehören um diese Zeit schon längst ins Bett." Tetsuno wollte die Alte gerade anpflaumen, dass sie eine äußerst mittelalterliche Einstellung hatte, doch dann fiel ihm im letzten Moment noch ein, dass sie sich ja quasi im Mittelalter befanden. "Äh... wir suchen noch nach einem Schlafplatz", erklärte er statt dessen mit einem schiefen Grinsen, "Sind froh, dass wir den Markt hinter uns haben..." "Oh, ihr kommt vom Markt?", wiederholte die Frau interessiert und hielt ihren Karren an. Ashi und Tetsuno blieben ebenfalls stehen. "Ich bin Händlerin, müsst ihr wissen", fuhr sie fort und kletterte ungewöhnlich gelenkig vom Kutschbock, "für heute habe ich genug Geschäft gemacht. Ich ziehe mit meinem Karren zum nächsten Markt, um dort weiter meine Ware anzubieten..." Ashi grinste innerlich. Die Alte gefiel ihr. In ihrer Stimme schwang ungetrübte Lebensfreude und eine positive Einstellung mit. Außerdem fand sie das für ihr Alter noch ziemlich fitte Mütterchen irgendwie lustig. "Ich biete alles an, was hübsch oder magisch angehaucht ist; Milendra ist mein Name." Sie verschwand hinter der Plane ihres Wagens und man konnte sie kramen hören. "Ashi." "Tetsuno." Die Vorstellung kam schon ganz automatisch. Ashi sah der Alten unsicher hinterher. "Äh... ich will ja nicht unhöflich sein, aber... suchen sie was Bestimmtes?" "Ja", drang es gedämpft hinter der Plane hervor, "und ich finde es lustig, dass gerade du mich das fragst, Ashi...", sie kraxelte wieder aus dem Karren heraus und watschelte auf die beiden Asahoshi zu, "... denn wegen dir habe ich dieses Etwas gesucht." Sie streckte ihre knochige Hand aus und hielt sie Ashi hin. Darin lag ein kleiner, silberner Armreif, in den winzige Zeichen eingeritzt waren. Ashi konnte sich nicht erklären warum, aber irgendwie war sie sofort von diesem Schmuckstück fasziniert. Die letzten Sonnenstrahlen am Horizont verfingen sich in dem Silber und das Armband funkelte. Die Alte lächelte bedeutungsvoll. "Na bitte. Ich wusste doch, dass er für dich bestimmt ist. Ich habe diesen Armreif schon seit Jahrzehnten in meiner Sammlung, Ashi. Viele sind seitdem an meinen Karren gekommen und wollten ihn haben. Ich habe ihn keinem von ihnen verkauft, sondern immer darauf gewartet, dass ich eines Tages dem Menschen begegne, der seiner würdig ist." Sie nickte Ashi aufmunternd zu und das Mädchen streckte ihre Hand nach dem Armband aus. Sobald sie mit dem Silber in Berührung kam, schoss ein heller Blitz durch ihren Kopf und Ashi musste überrascht die Augen schließen. Alles war dunkel um sie herum, es rauschte unaufhörlich in ihren Ohren, alles drehte sich und dann... ... dann sah sie es plötzlich. Tief aus der Schwärze, die hinter ihren geschlossenen Lidern herrschte, sah sie etwas auf sich zukommen. Es war mehr ein unwirklicher Nebel, als dass es eine wirklich feste Form gehabt hätte. Es war hell und Ashi erkannte es nicht sofort. Erst, als es direkt vor ihrem geistigen Auge schwebte, wurde ihr bewusst, dass dies der Wind war. Der Wind, den sie schon seit langer Zeit versuchte zu sehen... jetzt war es soweit. Die Lider ihres inneren Auges, die so lange geschlossen gewesen waren, hatten sich endlich geöffnet. Und Ashi sah den Wind... tief in sich drin. "Ashi-chan!!" Erschrocken schlug Ashi die Augen auf, als Tetsuno ihren Namen rief und sie an der Schulter rüttelte. "Ashi-chan, komm zu dir!" Das Mädchen warf ihren Kopf verwirrt hin und her. "Was? Aber... was ist denn... was ist denn passiert...?" Tetsuno sah ihr in die Augen. "Frag nicht so dämlich. Das Armband!" Er zeigte auf den silbernen Reif in Ashis rechter Hand. Erst jetzt wurde sich die Wind-Asahoshi wieder klar darüber, wo sie sich befand und was geschehen war. Mit offenem Mund starrte sie von dem Armband in ihrer Hand über Tetsunos besorgte Miene in das breit grinsende Gesicht der alten Milendra. "Hab ich's nicht gesagt?", wollte die Händlerin herausfordernd wissen, "Dir will er gehören, dir allein, Wind-Asahoshi!" Gut gelaunt schwang sie sich auf den Kutschbock ihres Karrens zurück und schnalzte mit der Zunge. Ihr Zugesel setzte sich schwerfällig in Bewegung und der Wagen rollte langsam durch den Regen von dannen. Milendra beugte sich noch einmal zur Seite und rief über ihre Schulter zu den beiden völlig verwirrten Asahoshi zurück: "Wenn ich ehrlich sein soll, bin ich froh, dass ich ihn endlich loshabe! Er ging mir schon auf die Nerven mit seiner dauernden Fragerei nach seinem wahren Meister!" Sie grinste und winkte mit ihrer knochigen Hand. "Lebt wohl, Tetsuno und Ashi-chan!" Sie hielt inne und verbesserte sich mit einem noch breiteren Grinsen. "Oh, verzeih, Ashi, du magst diesen Spitznamen ja nicht." Ashis Kinnlade verlagerte sich zwei Etagen nach unten. Sie hielt den Armreif immer noch in ihrer offenen Hand und starrte dem Karren hinterher. Tetsuno war nicht weniger verblüfft. "Woher - woher wusste sie, dass du... dass wir Asahoshi sind?? Und wie konnte sie wissen, dass du es nicht magst, wenn man dich Ashi-chan nennt?" Ashi schüttelte lahm den Kopf. Zu einer Antwort war sie offensichtlich nicht fähig. Im nächsten Moment rollte ein weiterer Karren an ihnen vorbei, bedeutend schneller als der von Milendra. Tetsuno sah ihm einen Moment lang geistesabwesend hinterher, dann fiel sein Blick zu Boden. Er sah hinter Milendras Wagen her - und riss die Augen auf. Ein ungläubiger Laut entfuhr ihm und Ashi sah ihren Begleiter verwundert an. "Was denn?" "Ashi-chan!", krächzte Tetsuno und deutete zu Boden, "Sieh dir das an! Die Spuren!" Ashi warf einen verwunderten Blick auf den matschigen Boden - und dann begriff auch sie. Der Wagen, der gerade an ihnen vorbei gerollt war, hatte mit seinen Rädern und den Hufen seines Zugtieres tiefe Spuren im Matsch hinterlassen. Milendras Karren jedoch hatte überhaupt keine Spuren erzeugt. Ungläubig sah Ashi der Händlerin hinterher - doch sie war nicht mehr da, ebensowenig wie ihr Karren und ihr Zugtier. "WAS??" Fassungslos suchte Ashi die Straße ab. "Aber... Tetsuno!! Sie - sie ist verschwunden!!" Tetsuno wandte den Kopf herum und griff sich langsam an die Stirn. "Ashi-chan", brummte er nach einer Weile, "Kann es sein, dass wir langsam verrückt werden? Ich glaub, der Markt und der Kampf vorhin sind uns nicht besonders gut bekommen..." "Du glaubst, dass Milendra gar nicht da war? Dass sie nur in unserer Fantasie existiert hat?" Ashi schüttelte den Kopf. "Das geht nicht, Tetsuno. Sieh doch mal." Sie hielt Tetsuno ihre Hand hin - und darin lag immer noch das Silberarmband. Eine Windbö fegte über die leere Hauptstraße. Ashi hörte und sah den Wind ganz deutlich. Sie waren allein. Niemand fuhr noch auf dieser Straße. Es gab keine Milendra. Nachdenklich legte Ashi das silberne Armband um ihr linkes Handgelenk. Wenn sie ehrlich war, dann war ihr das aber auch gleichgültig. Egal, wer oder was Milendra gewesen war, sie hatte Ashi das Armband gegeben und durch dieses silberne Schmuckstück war Ashi ihrem Element ein großes Stück näher gekommen. Part 6: Mit allen Sinnen Noch spät in der Nacht saßen Ashi und Tetsuno auf der Terrasse vor dem Garten hinter einem verlassen Haus. Der Mond schien voll und rund auf sie herab und die beiden Asahoshi starrten gedankenverloren in die Flammen des Feuers, das vor ihnen an einer kahlen Stelle im Rasen prasselte. Nach einer Weile rutschte Ashi unruhig hin und her. "Ich... hab mich noch gar nicht richtig bedankt", sagte sie leise in die Stille der Nacht hinein, "du hast mir vorhin das Leben gerettet... als wir mit dem Yorukage gekämpft haben." Tetsuno ächzte. "Ashi-chan, ich dachte, das hätten wir geklärt!" Das Mädchen lächelte matt. "Schon gut. Ich wollte mich ja nur noch mal bedanken. Ich weiß doch, dass du es nicht für mich getan hast, sondern weil ich dir noch Geld schulde." Bei dieser Formulierung zuckte Tetsuno unwillkürlich zusammen. "Hey, so war das auch wieder nicht gemeint!" Ashi sah ihn verwundert an. "Soll das heißen, du hast es doch für mich gemacht?" Der Feuermagier starrte sie einen Moment lang an, dann schluckte er schwer und Ashi glaubte zu erkennen, wie sich sein Gesicht im Mondlicht leicht rosa färbte. "Nein. Äh, doch. Na ja, vielleicht ein wenig... wegen dir. Aber nicht nur." Er setzte eine trotzige Miene auf. "Ich hab auch nicht Geld wie Heu. Deswegen kann ich mir so was nicht durch die Lappen gehen lassen." Ashi lächelte leicht. "Schon okay. Es war jedenfalls lieb von dir. Danke." "Was ist eigentlich mit dem Armband? Warum warst du so weggetreten, als Mil... als du es gekriegt hast?" Tetsuno schien unbedingt das Thema wechseln zu wollen. Ashis Miene hellte sich ein wenig auf. Sie schloss die Augen und erklärte: "Es war wie ein Blitzschlag, Tetsuno. Als ich das Silber berührt habe, da hab ich etwas gesehen, obwohl ich die Augen geschlossen hatte. Es war der Wind. Ich konnte ihn wirklich sehen." Tetsuno machte große Augen. "Im Ernst??" Ashi grinste. "Ja doch. Ich seh ihn jetzt immer noch..." Der Feuermagier war sofort begeistert. "Mann, Glückwunsch, Ashi-chan! Du wirst echt immer besser! Erst die Nummer mit dem Yorukage, dann..." "ASHI", unterbrach ihn die Asahoshi knurrend, "Lass diese dämliche Verniedlichung weg!" Tetsuno zog einen Schmollmund. "Oh, Verzeihung, Miss Hyperempfindlich. Ich werde euch nie wieder auf diese unziemliche Art und Weise titulieren." Ashi verdrehte die Augen, da fiel ihr plötzlich etwas ein. "Hey, Tetsuno, sag mal... dieser Yorukage von vorhin... was war das für einer? Seine Kraft war unglaublich..." "Ein Drachenmagier", erklärte Tetsuno grimmig, "sie beherrschen die stärkste Kraft unter uns Zauberern, das älteste und zugleich mächtigste Element, die Drachenenergie. Es ist ein Wunder, dass wir ihm überhaupt entkommen sind... normalerweise ist dein Todesurteil schon gesprochen, wenn du einem seiner Art von der gegnerischen Seite in einer dunklen Gasse begegnest." "Warum warst du überhaupt in der Gasse?", erkundigte sich Ashi, "Als Arikata mit ihrer Vorhersage fertig war, warst du einfach verschwunden." Tetsuno schüttelte langsam den Kopf. "Frag mich nicht. Ich hab da im Vorzimmer gesessen und gewartet, dann war da auf einmal diese Aura... sie war so stark und mächtig, dass ich neugierig geworden bin. Also bin ich aus dem Zelt raus und ihr gefolgt. Tja, ich war natürlich weniger begeistert, als mich die Aura zu diesem Drachen-Yorukage geführt hat..." Ashi grinste kläglich. "Kann ich verstehen..." "Was hat dir unsere große Seherin denn prophezeit?", wollte Tetsuno wissen, "Ich meine, nicht dass es mich wirklich interessieren würde, ich glaube nicht an solchen Firlefanz..." "An magische Kräfte, wolltest du sagen?", hakte Ashi feixend nach, "Und über was diskutieren wir hier die ganze Zeit, mein Fürst des Feuers?" Tetsuno gab sich geschlagen. "Okay, okay, ich geb ja schon auf. Vielleicht ist dieser ganze Wahrsagerkram gar nicht so doof... aber jetzt sag schon, was hat sie dir erzählt?" Ashi versuchte sich an Arikatas Weissagung zu erinnern und schlagartig veränderte sich ihre Miene. "Arikata... hat mir Einiges gesagt, was mich ziemlich verblüfft hat", gestand sie langsam, "Sie meinte, dass ich eine große Aufgabe vor mir habe und dass ich sie... nicht alleine zu Ende bringen werde. Angeblich sind da noch fünf andere Personen, die mir dabei helfen werden..." Tetsuno hob die Augenbrauen. "Fünf?? So viele, die sich deinem kleinen Ego-Trip anschließen wollen?" Ashis Gesicht wurde finster. "Nenn meine Mission nie wieder Ego-Trip", sagte sie gefährlich leise. Tetsuno war überrascht von dem Ernst, der sich plötzlich auf der Miene des Mädchens spiegelte. "Ent... entschuldige", murmelte er. Ashi sah zum Vollmond auf. "Sie hat mir auch erzählt, dass ich in einer Phase stecke, in der ich etwas suche, es aber nicht finde. Ich nehme an, dass sie damit die Schwierigkeiten mit meinem Element gemeint hat. Aber dann sagte sie noch... das schon heute etwas passieren würde, was mir da unheimlich weiterhelfen würde." "Das Armband." "Genau." Ashi nickte. "Das muss es gewesen sein. Es hat mir ja weitergeholfen. Sehr sogar..." Stille kehrte zwischen den beiden Asahoshi ein. Eine Weile lang sagte keiner von ihnen mehr etwas, dann brach Tetsuno das Schweigen noch einmal. "Ashi-chan... hör mal, ich weiß, dass du wahrscheinlich nicht gern drüber redest, aber... willst du mir nicht ein wenig darüber erzählen, warum du nach Kama-To gekommen bist? Ich meine... du hast irgendetwas vor, das sieht ja ein Blinder mit dem Krückstock." Ashi schwieg. "Du hast ein Ziel", setzte Tetsuno nochmals an, "du willst etwas erreichen, aber ich weiß nicht was... es muss dir jedenfalls sehr wichtig sein." Wieder blickte Ashi den Mond an. Sein Licht verfing sich in ihren grauen Augen und ließ sie irgendwie unheimlich wirken. "Ich bin auf der Suche nach jemandem", erklärte sie nach einer Weile leise, "ich suche die letzten beiden Menschen, die mir noch geblieben sind. Zu denen ich noch gehen kann. Von denen ich nicht wirklich weiß, wo sie sind... ob sie überhaupt noch sind..." Ihre Stimme verlor sich in der Dunkelheit. Tetsuno senkte den Blick. "Du... hast deine Familie verloren?" Ashi starrte weiterhin zum Himmel. "Ja. Bis auf zwei sind all die Menschen, die ich liebe, schon von mir gegangen." "Das tut mir leid." Tetsuno betrachtete bedrückt seinen Stiefel. "Danke", sagte Ashi mühsam beherrscht, "aber ich brauch keinen Trost. Ich hab es verwunden, glaub mir." Tetsuno zog die Stirn in Falten. "Unsinn. Hast du nicht. Dir hängt das immer noch schwer nach, das seh ich doch... wenn ich was Falsches sage, starrst du in die Ferne und driftest geistig an ganz andere Orte ab; so was übersieht man doch nicht." Trotzig wandte Ashi den Blick ab. "Ich halte das aus. Ich bin..." "Stark?" Tetsuno lachte hohl. "Heute mittag hast du noch das Gegenteil behauptet, als du gegen den Yorukage gekämpft hast. Du hast ne verdammt gespaltene Persönlichkeit, weißt du das?" "Ja." Tetsuno verdrehte die Augen. "Jetzt komm schon, Ashi-chan..." "ASHI." "Ashi, von mir aus", sagte Tetsuno ungeduldig, "ich versuch doch nur dir zu helfen, schnallst du das denn nicht?" Kopfschüttelnd fing er ihren Blick auf - und schreckte zurück. Als Ashi eine Augenbraue hob, grinste er entschuldigend. "Sorry... das Mondlicht eben... du hast'n ganz schönen Gruselblick drauf..." Ashi lächelte kaum merklich. "Das sagen alle..." "Trotzdem", meinte Tetsuno, "du solltest Hilfe annehmen, wenn sie sich dir bietet. Hör auf, dich so abzuschotten, das bringt nichts." Das hat Arikata auch gesagt. Als Ashi Tetsunos Blick sah, in dem sich Ungeduld, Beharrlichkeit und eine gewisse Sorge spiegelten, rutschte sie fast unbewusst einen halben Meter beiseite. "Hey, was denn, hab ich dir was getan?", erkundigte sich Tetsuno verwirrt. Ashi schüttelte langsam den Kopf. "Nein. Entschuldige." Sie setzte ein schiefes Lächeln auf und sah Tetsuno hilflos an. "Es ist nur... eine komische Situation für mich, weißt du...? Ich mag es nicht, wenn sich die Leute Sorgen um mich machen. Außerdem... hatte ich schon ewig nichts mehr mit Jungs zu tun." Sie biss sich auf die Unterlippe, bis es schmerzte. Tetsuno schmunzelte. "Ah, verstehe. Gab's in deinem Dorf so wenige davon?" "Die waren entweder kleine Knirpse oder Opis", erklärte Ashi unsicher, "mit keinem von ihnen konnte ich mich so richtig unterhalten... wären sie in meinem Alter gewesen... aber das hätte ich mich wahrscheinlich nicht mal getraut." Tetsuno grinste. "Und warum sprichst du dann mit mir?" "Ausnahmesituation", kam es wie aus der Pistole geschossen, "du bist mein Fremdenführer; ich bin in so einer großen, fremden Stadt auf dich angewiesen, schon vergessen?" "Jaa, jaa, schon klar. Aber was mich immer noch beunruhigt, Ashi-chan... warum hast du vorhin auf einmal so wahnsinnig viel Kraft entwickelt? Ich meine, die Druckwelle und dein Whirlwind Blast..." Ashi zuckte mit den Schultern. "Gute Frage. Das wüsste ich selbst gern. Gespürt hab ich die Karte jedenfalls nicht, falls du das meinst." "Nicht?" Tetsuno schien enttäuscht. "Na gut, hätte ja sein können..." Er überlegte eine Weile, dann dachte er laut: "Vermutlich wird deine Kraft nur so groß, wenn du wirklich ernsthaft in Schwierigkeiten bist. So wie vorhin eben." "Aber damals, als ich meinen ersten Schritt hinter die Mauern von Kama-To gesetzt habe und von diesen Anfänger-Yorukage angegriffen worden bin, musstest du ja auch erst den Retter spielen!" Tetsuno hob eine Augenbraue. "Soweit ich mich erinnern kann, warst du damals aber auch zu blöd, überhaupt erst an deine Karte ranzukommen. War's nicht so, Ashi-chan?" Das Mädchen wurde knallrot. "Ääh... so war's wohl, ja..." "Wie gut, dass es eben immer noch Ritter in Rüstungen gibt, die in solchen Situationen zur Stelle sind." Ashi lachte hohl. "Du und Ritter? Kein Vergleich. Ritter sind groß und stark und hübsch und..." "Hey", unterbrach Tetsuno sie genervt, "ich bin immerhin größer als du und das mit dem stark wollen wir jetzt nicht ausdiskutieren, da verlierst du sowieso... und hübsch bin ich ja wohl auch." Ashi sah ihn spöttisch an. Tetsuno jedoch grinste. "Guck nicht so seltsam. Das erinnert mich an unsere erste Begegnung, da konntest du den Blick auch nicht von mir nehmen... ich muss wohl doch was an mir haben, was nicht zu übersehen ist. Also, wie war das noch gleich mit dem hübsch...?" Ashi biss sich auf die Lippe und drehte sich weg. "Vergiss es. Ich sag jetzt nicht das, was du hören willst." Der Feuermagier wollte noch etwas erwidern - doch da entfuhr ihm plötzlich ein unüberhörbares Gähnen. "Oh je, schon spät, wir sollten es für heut gut sein lassen", meinte Ashi hastig - ein wenig zu hastig, wie Tetsuno belustigt dachte - und machte es sich auf den Holzlatten so bequem wie möglich. "Gute Nacht." "Schlaf gut", murmelte Tetsuno, dann sah auch er ein, dass er nun endgültig müde wurde, und legte sich zum Schlafen. Kurz bevor er jedoch endgültig ins Reich der Träume fiel, kam ihm noch eine Idee. Ein Lächeln stellte sich auf seinem Gesicht ein. Er freute sich schon jetzt auf den nächsten Morgen... "Hey, Ashi-chan!! Raus aus den Federn!" Ashi ließ ein Brummen ertönen und wälzte sich auf die andere Seite. "Jetzt komm schon! Hoch mit dir!" Widerwillig hob Ashi ein Augenlid und sah Tetsuno bestens gelaunt vor ihr auf der alten Terrasse stehen. Die Sonne schien bereits und stach ihr erbarmungslos ins Auge, so dass Ashi es gleich wieder schließen wollte. "Nix da! Lass die Rollläden oben! Es ist schon hellichter Tag!" Der Feuermagier sah Ashi auffordernd an. Das Mädchen jedoch knurrte etwas von "Lass mich schlafen, verdammt" und wälzte sich abermals herum. Tetsuno zog die Stirn in Falten und ließ eine Flamme in seiner Hand erscheinen. Damit beugte er sich zu der dösenden Wind-Asahoshi hinunter und hielt sie ihr direkt ans Ohr. Einen Moment lang geschah gar nichts, dann ließ Ashi einen heulenden Schrei ertönen und sprang wie von der Tarantel gestochen auf. Tetsuno richtete sich ebenfalls auf und ließ die Flamme mit einem Fingerschnippen verschwinden. "Na also. Geht doch." Ashi funkelte ihn wütend an. "Tetsuno!! Sag mal, geht's dir zu gut?? Du weißt doch ganz genau, dass ich eine Heidenangst vor Feuer habe!" "War die einzige Methode, die mir noch einfiel, um dich wach zu kriegen", erklärte Tetsuno ungerührt und gleich darauf stellte sich wieder ein breites Gute-Laune-Grinsen auf seinem Gesicht ein. "Und jetzt hopp, beweg dich. Wir wollen los!" "DU willst los", korrigierte Ashi brummig und strich sich durch das zerzauste Blondhaar, "was ist denn bloß in dich gefahren, dass du so früh schon so fit bist?" Tetsuno lächelte geheimnisvoll. "Lass dich überraschen. Und jetzt komm mit." Mit diesen Worten packte er Ashi am Handgelenk und schleppte sie mit sich hinter dem Haus hervor auf die Straße, wo bereits einige fröhlich pfeifende Bauern mit ihren Schubkarren und ihrem Vieh unterwegs waren. "Hey!! Tetsuno! Jetzt mach doch endlich langsamer, ich komm sonst nicht mit!" Der Feuermagier ignorierte Ashis Protestgeschrei und zog sie weiter im Laufschritt hinter sich her. "Wo willst du denn überhaupt hin?", versuchte Ashi es noch einmal, doch Tetsuno gab keinen Kommentar ab sondern strebte weiterhin nach vorne. Die Wind-Asahoshi warf einen beunruhigten Blick auf seine Schulter. "Wär es nicht besser, dich ein wenig zu schonen, mit deinen Verletzungen...?" "Ach Quatsch, hast du doch so gut wie weggeheilt." Ashi gab es auf und blickte die Straße entlang - da wurden ihre Augen auch schon größer und größer. Die mittelalterliche Baukunst verschwand plötzlich zu beiden Seiten und sie konnte in der Ferne schon wieder Hochhäuser erkennen, was zweifellos bedeutete, dass sie dem Zentrum Kama-Tos immer näher rückten - aber das war es nicht, was Ashi in solch gewaltiges Staunen versetzte. Nebel, Regen und Nacht hatten ihnen gestern die Sicht auf etwas verdeckt, was sich jetzt wie ein übermächtiger Gigant vor ihnen aufbaute: Ein unbeschreiblich hoher Turm, der bis über die Wolken zu ragen schien, da man seine Spitze nur noch erahnen konnte. Ashi stand der Mund offen und für einen Moment lief ihr Staunen Gefahr, sich in Panik zu verwandeln. "Te-Tetsuno...!", krächzte sie, während sie hinter dem Feuer-Asahoshi her trabte, "Wa-was ist das da vorne??" Tetsuno warf einen Blick über seine Schulter zurück und sah Ashis verängstigten Gesichtsausdruck. Er grinste. "Keine Sorge, kleines Landei, ist mir schon klar, dass jemand wie du noch nie so etwas wie den Fernsehturm Kama-Tos gesehen hat..." "Fernsteh - was bitte für ein Turm??" "Fern-seh-turm", wiederholte Tetsuno geduldig, "du musst jetzt nicht unbedingt wissen, wozu er da ist, das wäre viel zu kompliziert zu erklären - wichtig ist, dass wir da jetzt hoch gehen." "WAS???" Ashi kriegte ihren Mund gar nicht mehr zu, aber Tetsuno sparte sich jede weitere Erklärung und zog sie auf den Turm zu. Nachdem Ashi beinahe eine halbe Stunde lang hinter Tetsuno hergekeucht war, hatten die beiden Asahoshi den Fuß des Fernsehturmes erreicht. Er war breiter als alles, was Ashi bis jetzt gesehen hatte - von seiner Höhe ganz zu schweigen. Als Tetsuno schnurstracks auf das Eingangstor zu marschierte, machte sich Ashi hastig von seiner Hand los und blieb stehen. "Hey, was ist denn?", erkundigte sich der Feuermagier. "Ich - ich geh da nicht rauf", erklärte Ashi mit zitternder Stimme, "nie im Leben nicht... das ist mir viel zu hoch!! Man erkennt ja überhaupt nicht, wo der Turm aufhört; das ist doch..." "Ashi-chan", Tetsuno kam auf sie zu und Ashi war so entsetzt, dass sie nicht einmal auf seine Anrede reagierte, "jetzt hab dich nicht so, du musst doch keine Angst haben! Dir kann überhaupt nichts passieren." Die Asahoshi sah ihn absolut nicht überzeugt und mit bleichem Gesicht an. Der Feuermagier lächelte. "Das ist mein Ernst." Er hielt ihr seine Hand hin, aber Ashi rührte sich immer noch nicht und starrte weiterhin den Turm hinauf. "Du wirst es ganz bestimmt nicht bereuen, wenn du erst mal droben bist", versprach ihr Tetsuno und Ashi warf ihm einen unsicheren Blick zu. "Vertrau mir." Einen Moment lang zögerte Ashi noch, dann schluckte sie schwer und griff nach Tetsunos Hand. Der Junge feixte und marschierte mit Ashi im Schlepptau durch das Tor in den Turm hinein. Die Eingangshalle war schlicht, aber für jemanden wie Ashi dennoch beeindruckend. Alles war verchromt und glitzerte metallen, das Mädchen war viel zu fasziniert, um noch irgend etwas zu sagen - bis sie mit Tetsuno im Fahrstuhl stand und sich die Tür hinter ihnen schloss. Ashi wirbelte einmal um ihre eigene Achse und starrte Tetsuno an. "Was - was ist denn das jetzt schon wieder??" "Keine Sorge, ist gleich vorbei", besänftigte sie der Feuermagier und drückte auf eine Taste am Schaltbrett, "wir fahren jetzt rauf." Im selben Moment setzte sich der Fahrstuhl in Bewegung und die Kabine sauste im Höllentempo nach oben. Ashi war absolut nicht begeistert von der Fahrt; ihr wäre beinahe schlecht geworden, doch im letzten Augenblick hielt der Fahrstuhl dann an und die Tür sprang mit einem "Pling" auf. Ächzend stolperte die Wind-Asahoshi nach draußen - und bekam auch schon den nächsten Schock. Sie stand im Freien, hoch über den Wolken auf einer Aussichtsplattform, die von einem hohen Geländer gesäumt wurde. Ein Sturmwind wehte mit solcher Wucht, dass Ashi beinahe Angst bekam, davongeweht zu werden. Tetsuno trat hinter ihr aus dem Fahrstuhl, die Hände in den Hosentaschen, und grinste von einem Ohr zum anderen. "Na, was sagst du?" Ashi antwortete nicht. Sie tappte unsicher bis zum Geländer vor und klammerte sich daran fest. Ihr Blick schweifte über die unendlichen Wolkenfelder, die über Kama-To hingen, und der Wind zerrte wie verrückt an ihrem blonden Haarschopf. Ihre Kinnlade war inzwischen wieder mal nach unten geklappt und ihre grauen Wolfsaugen waren ungläubig auf das gewaltige Schauspiel gerichtet. Tetsuno fasste neben ihr ans Geländer und folgte ihrem Blick. "Hat's dir die Sprache verschlagen?", erkundigte er sich. "Das - das ist der Wahnsinn", brachte Ashi mühevoll hervor und endlich konnte Tetsuno das Flackern in ihren Augen als fassungslose Begeisterung deuten, nicht als helle Panik. Plötzlich strahlte Ashi übers ganze Gesicht und ihr Griff am Geländer lockerte sich. "Absolut fantastisch!" Tetsuno lächelte zufrieden. "Ich sagte doch, du würdest es nicht bereuen. War das die Aufzugfahrt wert?" Ashi nickte heftig. "Gut." Tetsuno fing ihren Blick auf und sah sie ernst an. "Dann versuch es jetzt, Ashi-chan. Versuche, den Wind zu fühlen. Wenn du es hier oben nicht schaffst, hier, wo einzig und allein dein Element herrscht, dann wirst du es nie hinkriegen." Ashi zögerte einen Moment, dann nickte sie. Sie ließ das Geländer vollends los und schloss die Augen. Der Wind rauschte unglaublich laut in ihren Ohren, und doch war es angenehm. Sie sah den Wind deutlicher als je zuvor vor ihrem geistigen Auge schweben, Tausende von riesigen Sturmböen zogen an ihr vorbei und schienen ihr etwas zuzuflüstern. Es dauerte einen Moment - aber nicht halb so lang, wie Ashi erwartet hatte. Dann tauchte es plötzlich auf. Dieses Gefühl, das kaum zu beschreiben war, so unendlich gut fühlte es sich an. Da war etwas in ihr. Ashi bekam eine Gänsehaut, als sie spürte, wie es in ihren Adern zu pochen begann. Ihr Blut pulsierte so stark, als ob es die Venen sprengen wollte. Ihr Herzschlag beschleunigt sich ebenfalls rapide und in ihrem Bewusstsein herrschte eine seltsame Klarheit, wie Ashi sie noch nie zuvor empfunden hatte. Plötzlich schärften sich alle ihre Sinne und sie nahm Dinge war, die ihr noch auf dem sicheren Erdboden entgangen waren. Ashi konnte nicht nur den Wind rauschen hören, sie hörte auch, wie sich die Wolken bewegten und sich sanft weiter unten am Turm vorbei schoben. Sie nahm den leichten Geruch nach Regen, der in der Luft lag, wahr und wenn sie ganz genau lauschte, glaubte sie sogar, Tetsunos leises Atmen und seinen Herzschlag zu vernehmen. Und auf einmal, wie durch eine Erleuchtung, spürte sie den Wind ganz deutlich durch ihre Adern rauschen. Er war da. Ganz zweifellos. Und Ashi konnte ihn jetzt sehen, hören und spüren - ein Gefühl, das für sie in diesem Moment durch nichts überboten werden konnte. "Tetsuno", hauchte sie leise und ohne die Augen zu öffnen, als hätte sie Angst, sie könnte dieses wunderbare Gefühl damit verlieren, "ich... ich kann ihn spüren." Sie hätte es noch durch Tausende Worte deutlicher sagen können, doch keines davon schien im Moment zu passen. Es war einfach unbeschreiblich. Tetsuno neben ihr lächelte glücklich. Er kannte den Ausdruck, der jetzt auf Ashis Gesicht lag. Genau so hatte auch er sich gefühlt, als er sein Element zum ersten Mal in vollem Ausmaß wahrgenommen hatte. "Ich kann ihn fühlen..." Part 7: Acht Rollen und ein Haufen Streit Der Tag verlief in einem Nebel gleißenden Sonnenscheins. Selbst wenn das Wetter schlecht gewesen wäre, Ashi hätte sich immer noch gefühlt, als ob sie im siebten Himmel schweben würde. Tetsuno wurde von ihrer guten Laune angesteckt und so waren beide den ganzen Tag über so freundlich zueinander, wie sie es wohl noch nie gewesen waren. Kama-To um sie herum hatte sein mittelalterliches Flair gegen Abend dann endgültig verloren und sein hochindustrielles Image vollends zurückgewonnen. Ashi hatte der mittelalterliche Teil Kama-Tos gut gefallen, aber sie hatte auch nichts gegen ihre neue, technisierte Umgebung. Die riesigen Gebäude versetzten das Landmädchen immer wieder in namenloses Staunen, über das sich Tetsuno prächtig amüsierte. Es geschah nichts mehr Nennenswertes an diesem Tag und als es langsam dunkel wurde, besuchten Ashi und Tetsuno noch einen Supermarkt und schlichen sich dann in eine kleine Parkanlage zwischen den Hochhäusern. Hier waren sie von den Blicken Neugieriger gut abgeschottet, denn zu drei Seiten des kleinen Parks lagen kahle Hochhauswände mit Feuertreppen und ohne ein einziges Fenster; die vierte Seite führte zur Hauptstraße, wurde aber von einem Haufen Bäume davon abgeschirmt. Der ideale Trainingsplatz also. Denn jetzt, nachdem sie ihr Element endlich fühlen konnte, wollte Ashi natürlich sofort den richtigen Umgang mit den Karten lernen, was Tetsuno verstehen konnte. Die beiden vergewisserten sich also nochmals, ob sie auch wirklich alleine waren, dann suchten sie sich eine kleine Wiese aus. Der Mond schien inzwischen hell vom Himmel und es war schon reichlich spät. Kaum noch Geräusche drangen von der belebten Hauptstraße zu ihnen durch und Ashi war auch viel zu konzentriert, um so etwas überhaupt noch wahrzunehmen. Gerade eben beobachtete sie Tetsuno dabei, wie er eine Karte aus seiner Tasche fischte und seine Schülerin dann ernst ansah. "Also", begann er, "jetzt wollen wir es erst mal soweit schaffen, dass du die Macht der Karte endlich spürst. Karte." Er wedelte mit seiner linken Hand herum und Ashi holte hastig ihre erste Karte aus ihrer Hosentasche. "Okay. Jetzt konzentrier dich auf sie. Versuch, den Wind in ihr zu spüren. Das geht genau so, wie wenn du den Wind in dir suchen würdest, nur dass du deine Gedanken eben jetzt auf die Karte richten musst." Ashi nickte und schloss die Augen. Angestrengt stellte sie sich auf eine lange innere Suche ein, doch dann ging alles wie von selbst. Ein Blitz vor ihrem inneren Auge und auf einmal nahm sie den Wind mit allen Sinnen wahr. Es war nicht der Wind, der hier draußen im Park durch die nachtschwarzen Baumwipfel wehte, nein, es war der Wind, der durch die Spielkarte in ihren Händen floss. Und der fühlte sich irgendwie ganz anders an als der normale Wind... stärker. Wenn auch nicht so sanft, wie Ashi es gewohnt war. Trotzdem war es ein gutes Gefühl. "Du hast es", stellte Tetsuno fest, als er Ashis Miene grinsend studiert hatte. Ashi nickte. "Ja. Jetzt kann ich es spüren. Das ist wahnsinnig toll... ich fühle mich, als könnte ich abheben..." "Verschieb das mal auf später", riet Tetsuno feixend, "und jetzt zieh das Kärtchen über dein Zeichen, los!" Ashi gehorcht. Das Z in ihrer rechten Hand glühte auf, als es mit der weißen Karte in Berührung kam, und im Nu entstand ein Wirbelwind von fast drei Metern Höhe. Er fegte auf Tetsuno zu und der Junge hatte Mühe, noch rechtzeitig auszuweichen. Dann verpuffte der Windstoß im Nichts. Tetsuno stieß einen lauten Pfiff aus. "Boah. Nicht schlecht. Das war genauso gut wie gestern in deinem Kampf mit dem Yorukage. Dein Element scheint dir gut zu bekommen, Ashi-chan..." Nachdenklich musterte er die Asahoshi, die jetzt vollkommen begeistert auf ihre Karte blickte. "Kämpfen wir." Ashi blickte verwirrt auf. "Was?" "Ich sagte: Kämpfen wir." Tetsuno zog das Schwert von seinem Rücken und richtete es auf Ashi, die ihn völlig entgeistert anstarrte. "Ich will sehen, wie weit du es jetzt im Zweikampf schaffst. Du bist um einiges besser geworden, ohne wirklich trainiert zu haben; wahrscheinlich weißt du selbst gar nicht, was noch alles in dir drin steckt." Er wirbelte sein Schwert durch die Luft und ging ein paar Meter auf Abstand. "Komm schon. Greif an! Ich halt mich auch wirklich zurück..." Ein wenig unsicher griff Ashi wieder zu ihrer Karte. "Na gut... wenn du meinst..." Sie konzentrierte sich auf die Macht der Karte, zog sie über ihr Zeichen und erschuf einen weiteren Wirbelwind, der so groß war wie der von vorhin und auf Ashis Fingerzeig hin auf Tetsuno los schoss. Eigentlich war sich Ashi sicher gewesen, dass sie diesmal treffen würde, aber da hatte sie sich getäuscht. Mit einer blitzschnellen Bewegung zog Tetsuno die Karte, die er vorhin hervorgeholt hatte, über das Zeichen auf seinem rechten Oberarm und schrie: "Hitamashii Slash!!" Sofort setzte sich sein Schwert wieder in Brand, wie Ashi es schon bei ihrer ersten Begegnung mit Tetsuno miterlebt hatte. Es war immer wieder beeindruckend. Die Klinge stand in Flammen und Tetsuno schlug damit ein paar Mal ziellos durch die Gegend. Zumindest sah es für Ashi so aus. Als ihr Wirbelwind Tetsuno aber schließlich erreicht hatte, wurde ihr klar, dass er mit den Schwerthieben ein Schutzschild um sich herum aufgebaut hatte, an dem die Windattacke einfach abprallte und sich im Nichts auflöste. Ashi klappte die Kinnlade runter. "Hey...! Das... das war gemein!!" Tetsuno löste die Feuerwand mit einem Fingerschnippen auf. "War es nicht. Das war Verteidigung. Die wirst du auch gleich nötig haben." Mit diesen Worten rannte er auf Ashi zu, das Schwert im Anschlag. Die Wind-Asahoshi verfiel beinahe in Panik, fasste sich jedoch im letzten Moment, als ihr ein Einfall kam. Hastig führte sie noch einmal die Whirlwind Blast-Attacke durch, was von Tetsuno mit einem spöttischen Blick und einem Schwerthieb bedacht wurde. Ashi aber schickte den Wirbelwind nicht ab, sondern baute ihn um sich selbst herum auf und hob die Hände vors Gesicht. Tetsuno schlug mit aller Wucht zu - und seine Klinge wurde ihm von dem Wirbelwind aus der Hand gerissen. Klang, das Eisenschwert landete im Gras des Parks und verlosch. Tetsuno krachte auf die Knie und der Wirbelwind um Ashi herum löste sich auf. Ächzend brach das Mädchen zusammen. "Mann", kommentierte Tetsuno mühevoll, "alle Achtung, keine schlechte Reaktion... mein Schwerthieb ist einfach abgeprallt. Aber nächstes Mal darfst du nicht so viel Energie einsetzen, verdammt! Sieh dich doch an, du bist vollkommen am Ende!" Ashi stöhnte leise und richtete sich auf. Sie war pausenlos am Keuchen, als ob sie soeben einen Marathonlauf gewonnen hätte. Der blanke Schweiß stand ihr auf der Stirn. "Hey, geht's dir gut?", erkundigte sich Tetsuno. Ashi nickte kraftlos und zwang ein Lächeln auf ihr Gesicht. "Ja. Und danke für die Blumen... die hab ich nicht verdient." Der Feuermagier legte den Kopf schief. "Wieso denn nicht? War doch ne klasse Abwehr." Ashi grinste schmerzlich. "Mehr oder weniger..." Sie hob den Kopf, um Tetsuno den Blick auf ihre linke Wange freizugeben - wo ein blutiger Schnitt klaffte. Tetsuno riss die Augen auf. "Au scheiße!! Das wollte ich nicht, Ashi-chan, ehrlich... muss passiert sein, als du mir das Schwert aus der Hand gerissen hast, es muss sich irgendwie im Wind gedreht haben, ich..." "Hey, hey, schon gut", schnitt ihm Ashi das Wort ab und wischte sich das Blut von der Wange, "Ist ja nicht so schlimm. Nur ein Kratzer. Tut kaum noch weh... au!" Verärgert hielt sie sich den Schnitt zu. "Das brennt ja wie die Hölle, verflucht!!" Tetsuno zuckte grinsend mit den Schultern. "War ja auch ein Feuerschwert. Was will man machen... nur natürliche Nebenwirkungen. Normalerweise kann ich mir drüber freuen. Aber heute... na ja, egal. Hol deine Heilkarte raus, das hast du jetzt nötig. Und - sorry noch mal. War echt keine Absicht..." "Schon okay." Ashi suchte nach ihrer Cure Breeze-Karte und wendete sie an. Anders als noch am Tag zuvor konnte sie die sanfte Windbrise schon fühlen, als sie noch in der Karte eingeschlossen war. Ein Lächeln stellte sich auf Ashis Gesicht ein, als der Windhauch aus der Karte herauskam und zärtlich über die Schnittwunde auf ihrer Wange strich. Die Verletzung verschwand sofort und mit ihr der Windhauch. Ashi seufzte. "Schön. Gleich viel besser." Sie warf einen Blick auf die Wunden an Tetsunos Schulter. "Ähm, wenn du willst, kann ich die endgültig..." Der Feuermagier schüttelte den Kopf. "Nein, schon okay. Außerdem würde es eh nicht funktionieren." Ashi zog die Stirn in Falten. "Warum denn nicht?" "Weil du eine Heilkarte nicht gleich zweimal hintereinander einsetzen kannst. Sie muss ihre Kraft erst wieder regenerieren, denn anders als die Angriffs- und Verteidigungskarten bringen sich Heilkarten nicht mit dem Geist ihres Besitzers in Verbindung. Die Stärke deiner Attacken und Defensive hängt ganz von deinem momentanen körperlichen und geistigen Zustand ab; die Heilkarten hingegen handeln nur aus ihrer eigenen Kraft heraus. Und die ist bei deiner jetzt erschöpft." Ashi staunte. "Ach so... das wusste ich nicht. Und wann kann ich sie wieder einsetzen?" "Vierundzwanzig Stunden braucht die Regeneration normalerweise." "Na gut. Dann mach ich das eben morgen wieder gut..." "Hey, ich sagte doch, das ist vergessen und vergeben." Genervt ließ sich Tetsuno unter einen Baum fallen. "Und jetzt ist Schluss mit Training. Das war genug, du hast dich viel zu sehr verausgabt..." Ashi seufzte und setzte sich ebenfalls ins Gras. "Ich werde nie lernen, meine Kraft kontrolliert einzusetzen." "Quatsch mit Soße", brummte Tetsuno, "das kommt auch noch, du darfst nur nicht alles auf einmal wollen, Ashi-chan." "Ashi." "Ashi, schon klar." Tetsuno hielt sich den Kopf. Dann lächelte er. "Aber mal ganz im Ernst, jetzt kannst du nicht mehr behaupten, du wärst schwach. Das war nämlich echt gut heute fürs erste Mal richtig Trainieren..." Sofort strahlte Ashi wieder. "Echt?? Danke!" Fröhlich verstaute sie ihre beiden Karten in ihrer Hosentasche. Dann herrschte eine Weile Stille zwischen den beiden. Keiner wusste so recht, was er sagen sollte, bis Ashi endlich ein Gesprächsthema fand. "Äh, sag mal, wie weit ist es denn jetzt noch bis zu ersten Gabelung?" "Drei Tage", vermutete Tetsuno, "wir waren schneller, als ich gedacht habe. Hatte mehr Zeit für den Markt eingeplant, aber da waren wir ja durch wie nix..." "Nur noch drei Tage... ist ja toll!" Ashi war sichtlich begeistert. "Nur keine voreilige Euphorie. Dir ist hoffentlich klar, dass wir das Tempo beibehalten müssen, wenn wir das in drei Tagen schaffen wollen, oder? Und außerdem kannst du echt froh sein, solange du noch hier in diesem Bereich Kama-Tos bist. Ab der Gabelung wird's gefährlich, ich sag nur: Gewitter-Yorukage, Terrorgebiet, direkt voraus." Ashi spürte, wie ihr Magen einen kleinen Hüpfer machte. Komisches Gefühl. "Aber ich schleus uns da schon irgendwie durch, keine Sorge..." Seufzend hob Tetsuno den Blick zum Sternenhimmel. "Hey, sag mal... wen genau suchst du eigentlich? Ich weiß, zwei Leute aus deiner Familie, aber... wen?" Ashis Miene wurde sichtlich finsterer. "Warum... sollte ich dir das verraten? Ist doch meine Sache." Tetsuno sah sie abschätzend an. "Normalerweise trag ich meine Lorbeeren ja eigentlich nicht spazieren, aber ich hab dir inzwischen immerhin zweimal das Leben gerettet. Schon vergessen?" Schweigen. Dann... "Meine beiden Schwestern. Mikomi und Nami." "Hübsche Namen... sind sie älter als du?" "Mikomi ist zwei Jahre älter als ich, jetzt also neunzehn... Nami ist acht." "Und die beiden wohnen jetzt im Himitsu-Tempel?" Die Antworten kamen immer zögernder und Ashis Stimme wurde schärfer und schärfer. "Nur Mikomi vermute ich dort. Sie ist mit einem Himitsu-Priester fortgegangen, der sie hierher bringen wollte..." "Und Nami?" "Yorukage... die Yorukage haben sie weggebracht. Vermutlich Sklavenhändler." Tetsuno horchte auf. "Sklavenhändler?? Yorukage? Mann, Ashi, ist dir eigentlich klar, was du da noch alles vorhast...?" Ashis Faust rammte sich in den feuchten Grasboden und begann zu zittern. "Natürlich ist mir das klar, sonst wäre ich nicht hier, Tetsuno." "Ich will ja nichts sagen, aber wäre es nicht besser für dich, wenn du das Ganze abblasen und dich irgendwo verstecken würdest? Wenn die Yorukage so dreist waren, deine Familie bis auf dich und deine zwei Schwester auszurotten, dann solltest du vorsichtig sein. Die werden nicht aufgeben, bis sie..." "BIS SIE NAMI UND MIKOMI UND MICH AUCH NOCH KRIEGEN, VERDAMMT, TETSUNO, DAS IST MIR AUCH KLAR!!!" Der Feuermagier zuckte zurück, als Ashis Stimme plötzlich schrecklich laut wurde und das Mädchen am ganzen Körper vor unterdrückter Wut bebte. Jetzt starrte sie Tetsuno an und fauchte zornig: "Ich hab nichts mehr, was mich noch in meinem Zuhause hält, verstehst du?? Weil mein Zuhause nämlich nicht mehr existiert! Mein ganzes Dorf ist von den Yorukage niedergebrannt worden, kein einziges Haus steht mehr; meine Großmutter, die einzige Verwandte, zu der ich bis vor kurzem noch Kontakt hatte und die ich über alles geliebt habe, ist in den Flammen gestorben; meine große Schwester ist schon seit acht Jahren von zu Hause weg und ich weiß nicht mal, ob sie überhaupt noch lebt, genauso wenig, wie ich es von meiner kleinen Schwester weiß, die von diesen gottverdammten Yorukage in einem Laster abtransportiert und irgendwohin nach Kama-To gebracht worden ist, wo sie jetzt vielleicht als Sklavin gehandelt wird und am liebsten sterben würde, wenn das nicht schon passiert ist! Und jetzt verlangst du von mir, dass ich einfach den Schwanz einziehe und mich irgendwo in ein Loch verkrieche, damit diese Arschlöcher mich nicht auch noch kriegen?? Ich soll hier rumsitzen und mich selber bemitleiden, während die Yorukage vielleicht grade dabei sind, das einzige zu vernichten, was mir noch geblieben ist?? Nein, mein lieber Herr Feuerteufel, das kann ja wohl nicht dein Ernst sein!!" Tetsuno war immer mehr in sich zusammengeschrumpft, je weiter Ashi ihn angeschrien hatte. Jetzt brauchte er einen Moment, um sich wieder zu fangen und das zu verarbeiten, was ihm das Mädchen da gerade offenbart hatte. Dann allerdings sah er sie ernst an und sagte: "Ich will nur nicht, dass du direkt ins Messer läufst, Ashi-chan. Dein Vorhaben kann verdammt gefährlich werden, ich mach mir Sorgen, dass du..." "DU SOLLST DIR ABER KEINE SORGEN UM MICH MACHEN!! VERDAMMT, ICH KOMM ALLEIN ZURECHT!" Wütend sprang Ashi auf und rannte tiefer in den Park hinein; nur weg, weg von Tetsuno, der sie einfach nicht verstehen wollte. Sie hörte noch, wie er ihren Namen rief, drehte sich aber nicht mehr um. Irgendwann, als sie glaubte, so weit weg zu sein, dass Tetsuno sie bestimmt nicht vor morgen früh finden würde, ließ sie sich erschöpft unter einen Baum fallen und lehnte sich an den Stamm. Das Holz roch beruhigend nach unberührter Natur und half Ashi dabei, ihren aufgewühlten Kreislauf wieder in gelenkte Bahnen zu bringen. Das Mädchen saß eine Weile lang keuchend an den Baum gelehnt da, dann drehte sie sich auf den Rücken und schloss die Augen. Ihre Wangen waren heiß. Tränenspuren glitzerten im Licht der Sterne. Ashi wollte nur noch schlafen. Ich brauche niemanden, dachte sie noch, bevor sie ins Reich der Träume fiel, Ich brauche keinen, der sich um mich sorgt. Ich schaffe das alleine. Ich bin stark. Tetsuno ist mir egal. Der soll sich um sich selbst kümmern... Ich brauche niemanden. Als Ashi am nächsten Morgen aufwachte, stand die Sonne bereits ziemlich hoch am Himmel. Ashi gähnte und blickte sich nach Tetsuno um - da fiel ihr wieder ein, dass sie ihm ja gestern abend davongelaufen war. Sie stand auf, streckte und dehnte sich und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Dann machte sie sich auf die Suche nach Tetsuno. Während sie durch den Park lief, spielte sie mit dem Gedanken, den Feuermagier einfach hier zu lassen und alleine weiter zu ziehen. Dann hätte sie eine Sorge weniger... nein, Blödsinn, was dachte sie denn da! Ashi schüttelte genervt über sich selbst den Kopf. Sie machte sich keine Sorgen um Tetsuno. Nicht um diesen geldgeilen Feuermelder ohne das kleinste Bisschen Taktgefühl und mit seinen ewigen dummen Sprüchen. Ashis Laune sank und sank, je weiter sie den Park durchquerte. Noch einmal überlegte sie, ob es nicht doch eine gute Idee war, Tetsuno einfach wegzulaufen... aber dann fiel ihr wieder ein, dass sie ohne ihn wohl nicht weit kommen würde. Außerdem konnte sie von ihm noch Einiges in Sachen Zaubern lernen. Es wäre einfach nur dumm, die Chance auf seine Begleitung zu verspielen. Ashi wollte auf eine Lichtung treten, doch sie hielt mitten im Schritt inne, als sie bemerkte, dass sie nicht alleine war. Auf dem Rasen dort vor dem kleinen Teich stand Tetsuno in Kampfpose, das Schwert in beiden Händen, und trainierte. Ashi machte einen Schritt zurück in den Schatten eines Baumes. Für ein paar Augenblicke sah sie dem Feuermagier einfach nur zu. Tetsuno wippte leicht hin und her und fixierte einen imaginären Gegner. Dann ließ er einen Kampfschrei ertönen und holte mit seinem Schwert aus. Wie wild schlug er einige Male um sich und wenn sein Gegner tatsächlich existent gewesen wäre, hätte Tetsuno ihn mit diesen paar Schlägen wohl zu Hackfleisch verarbeitet. Dann sprang der Feuermagier zurück, holte mit einer Hand eine Karte aus seiner Tasche, zog sie über sein Zeichen und schrie: "Hitamashii Slash!!" Sein Schwert flammte in Sekundenschnelle auf und Tetsuno ging abermals auf seinen nicht vorhandenen Gegner los. Diesmal schlug die Luft unter seinen gewaltigen Hieben Funken und die Spannung knisterte so laut, dass sogar Ashi sie hören konnte. Noch ein letzter, mächtiger Hieb und die Flammen erloschen wieder. Tetsuno steckte das Schwert auf seinen Rücken zurück und keuchte erst mal eine Weile lang, um wieder zu Atem zu kommen. Dann strich er sich eine nassgeschwitzte blonde Haarsträhne aus der Stirn und sagte ruhig, aber dennoch unmöglich zu überhören: "Guten Morgen, Ashi-chan. Wie lange willst du da noch rumstehen? Können wir gleich los oder hast du noch nichts gefrühstückt?" Überrascht kam Ashi aus ihrem Versteck hervor. Tetsunos Sinne mussten schärfer als sein Schwert sein, wenn er ihre Anwesenheit trotz seiner Konzentration auf das Training bemerkt hatte. Da fiel Ashi plötzlich ein, dass er ja in seinem Element gewesen war. Gewiss war es auch bei Feuerzauberern so, dass ihre Sinne mit ihrem Element schärfer wurden - genau wie bei Ashi. "Äh... ich kann auch unterwegs essen... gehen wir." Ashi biss sich auf die Unterlippe. Tetsuno würdigte sie keines Blickes, sondern nickte dem Boden zu und wandte sich zum Gehen. Die Wind-Asahoshi trottete mit einem schlechten Gewissen hinter ihm her. Irgendwie kam sie sich inzwischen blöd vor und schämte sich dafür, dass sie Tetsuno gestern so angeschrien hatte. Sicher, er war zu weit gegangen, war zu neugierig geworden und hatte den Bogen überspannt - aber Ashi selbst hatte wohl auch etwas übertrieben reagiert. Sie überlegte, ob sie sich entschuldigen sollte, aber diesen Gedanken schob sie schnell wieder beiseite. Schließlich war sie nicht allein schuld an dem Streit gewesen. Mit dieser Ansicht vor Augen und trotziger Miene folgte sie Tetsuno aus dem Park heraus und auf die Hauptstraße. Sie waren den ganzen Vormittag über unterwegs und sprachen währenddessen kein Wort miteinander. Gegen Mittag bekam Ashi Hunger. Sie beherrschte sich und sagte nichts. Eine ganze Stunde lang. Dann wurde ihr Magenknurren unerträglich und sie war sich fast sicher, dass Tetsuno es hören musste. Andererseits hätte sich auch schwören können, dass ihr Begleiter ebenfalls nicht mehr wirklich satt war. Sein Gesichtsausdruck verriet ihn. Glaubte Ashi zumindest. Sie spielten das Katz- und Maus-Spielchen weiter, jeder in der Hoffnung, der andere würde als erstes aufgeben und gestehen, dass er kurz vorm Verhungern war. Schließlich begann Ashis Magen dermaßen laut zu knurren, dass Tetsuno ihr einen spöttischen Seitenblick zuwarf. "Hey, Ashi-chan, kann's sein, dass du hungrig bist?" Ashi lief rot an. "Ein... ein wenig. Aber nicht schlimm." "Oh, verstehe. Genauso hat sich das angehört. Aber gut, machen wir da vorne Pause." Er nickte mit dem Kopf in Richtung eines kleinen Cafés. Ashi widersprach nicht und folgte ihrem Fremdenführer auf die Terrasse, wo sie sich an einen kleinen Tisch setzten und Ashi mit Absicht einen Platz neben Tetsuno wählte, damit sie ihm nicht gegenüber saß und ihm zwangsläufig in die Augen sehen musste. Der Kellner kam, um ihre Bestellung aufzunehmen. Mit übertriebener Freundlichkeit notierte er ihre Wünsche und dackelte dann wieder ins Gebäude zurück. Die Leute an den Nachbartischen schnatterten unaufhörlich, doch am Tisch der beiden Asahoshi herrschte tödliches Schweigen. Ashi tat so, als würde sie höchst interessiert dem kleinen grünen Müllauto zusehen, das die Hauptstraße entlang fuhr und vor jedem Haus hielt, um die Tonnen zu leeren. Tetsuno hingegen war sehr überzeugend von dem Eislöffel an seinem Platz fasziniert und balancierte ihn zwischen seinen Fingern herum. Endlich kam der Kellner mit dem Essen. Die beiden Asahoshi hatten sich Suppe bestellt - das Billigste, was sie auf der Karte gefunden hatten. Tetsuno hatte als erstes Tomatensuppe in Auftrag gegeben - woraufhin Ashis Miene finster wurde, da sie eigentlich das Gleiche haben wollte. Sie änderte ihre Bestellung dann aber in Hühnersuppe um. Jetzt saßen die zwei am Tisch und schlürften wortlos ihre Suppenteller leer. Das Essen war ziemlich gut und Ashi langte dreimal in den Korb mit Weißbrot, der noch auf dem Tisch stand. Sie war wirklich verdammt hungrig und ließ nichts übrig. Dann lehnte sie sich seufzend in ihren Stuhl zurück und stellte mit einem raschen Seitenblick fest, dass Tetsuno nun auch fertig war. Gut, dann musste ja jetzt nur noch der Kellner kommen und sie konnten bezahlen und gehen. Nur leider kam der Kellner nicht. Hatte wohl genug drinnen zu tun, denn er ließ sich einfach nicht draußen blicken, weder er noch seine schick uniformierten Kollegen. Die Wartezeit wurde für Ashi zur Folter. Tetsuno sprach noch immer kein Wort und so langsam wurde das Mädchen echt nervös. Schließlich hielt sie es nicht mehr aus und ließ ihren Suppenlöffel, mit dem sie gerade eben noch gespielt hatte, klirrend in den Teller fallen. Unwillkürlich sah Tetsuno auf und direkt in Ashis verzerrtes Gesicht. "Ich - ich", sagte Ashi, ein wenig zu laut und zu schrill, so dass sämtliche Gäste in der unmittelbaren Nachbarschaft die Köpfe hoben und sie anstarrten, "ich wollte mich entschuldigen, Tetsuno. Es tut mir leid, dass ich... dass ich dich gestern so angeschrien habe." Sie kaute auf ihrer Lippe und starrte auf ihren Teller. "Das war übertrieben. Sorry." Jetzt endlich kehrte das sonst immer vorhandene Lächeln wenigstens ansatzweise wieder auf das Gesicht des Feuermagiers zurück. "Ist okay. Entschuldigung angenommen und zurückgeschickt... ich hab mich auch ziemlich dämlich benommen, glaub ich. Verzeih mir." "Nein, ich war schuld", widersprach Ashi, die Tetsuno immer noch nicht ansehen konnte, "ich hab mich blöd aufgeführt. Du kannst nichts dafür..." Tetsuno lachte leise, als der Kellner aus dem Gebäude kam. Dann wandte er sich dem weiß beschürzten jungen Mann zu und hob zwei Finger. "Zweimal Erdbeereis noch, bitte!" Endlich hob Ashi den Kopf und Tetsuno fing ihren Blick grinsend auf. "Jetzt schau nicht so trübselig. Wir haben beide Mist gebaut, es zugegeben und jetzt ist die Sache vergeben und vergessen. Okay?" Langsam, aber sicher, fing Ashi wieder an zu strahlen. Dann nickte sie und wurde rot. Warum, wusste sie nicht, und es war ihr auch zuwider - aber als dann auch noch das Erdbeereis anrollte, konnte sie machen, was sie wollte - sie freute sich einfach, dass jetzt wieder alles gut war. Streit war dumm. In Zukunft würde sie aufpassen, damit er nicht wieder so schnell entstand und alles kaputt machte. Sie würde sich zusammenreißen - es zumindest versuchen. Langsam, ganz langsam begann die Sonne unterzugehen, als die beiden Asahoshi noch auf der Hauptstraße unterwegs waren, wo gerade Berufsverkehr herrschte. Sie wanderten den Bürgersteig entlang und Ashi beschwerte sich fortlaufend über den Gestank, den die Autoabgase verbreiteten. Dann wollte sie von Tetsuno wissen, wie er und die anderen Städter das bloß aushalten konnten. Tetsuno versicherte ihr, dass das für ihn ganz normal war und er es kaum noch bemerkte. Ashi hielt ihn für verrückt, sie konnte sich das Leben ohne Landluft nicht vorstellen. Das wiederum fand der Feuermagier äußerst komisch und er bekam einen Lachanfall. Die beiden waren gerade in eine angeregte Unterhaltung vertieft, als plötzlich aus einer Gasse, an der sie gerade vorbeiliefen, ein Geräusch ertönte. Ashi und Tetsuno wandten gleichzeitig den Kopf herum und starrten in die Seitengasse. "Was war das?", fragte Ashi verwundert. Tetsuno zog die Stirn in Falten. "Das klang irgendwie nach... Rollen." Ashi machte verwirrt einen Schritt in die Gasse und sah sich um. Die Häuserwände waren hier so hoch, dass es bereits verdammt dunkel war und man kaum noch etwas erkennen konnte. An den Seiten standen ein paar blecherne Müllcontainer herum. Ein kaputtes Fenster klapperte ein Stockwerk höher in den Angeln. Tetsuno marschierte an Ashi vorbei in die Dunkelheit hinein. "Rollen...", hörte Ashi ihn noch murmeln. Dann ging alles ganz schnell. Mit einem Mal ertönte ein gellender Kampfschrei in der Gasse und hinter einem der Container sprang ein riesiger schwarzer Schatten hervor und stürzte sich auf Tetsuno. Der Feuer-Asahoshi schrie überrascht auf und fing den ersten Fausthieb des Angreifers ab, bevor er ihm schaden konnte. Die zweite Faust kam, Tetsuno fing sie mit seiner anderen Hand auf und starrte zähnefletschend in das Gesicht seines Gegners. Ashis Mund stand offen. Sie erkannte, dass der Fremde ein Junge war. Er hatte die Statur einer Bohnenstange, mehr konnte Ashi noch nicht ausmachen. Es war zu dunkel. Was ihr jedoch am seltsamsten vorkam, war, dass die beiden sich offensichtlich kannten... "Kasai!" "Mizu! Ich hab's schon gewusst, als ich die Rollen gehört hab!!" Die beiden Jungen knurrten sich gegenseitig an. "Was machst du hier?", zischte der fremde Kerl. "Geht dich nichts an. Außerdem könnte ich dich das Gleiche fragen", gab Tetsuno gleichgültig zurück. "So frech wie eh und je, was?" Die Bohnenstange lachte gehässig. Tetsuno lächelte gefährlich. "Dann lass mal sehen, ob du inzwischen dazugelernt hast!" Mit diesen Worten ging er zum Angriff über. Der Fremde schlug zurück und im Handumdrehen entstand eine waschechte Prügelei zwischen den beiden. Ashi stand sprachlos daneben, während die zwei Jungen sich gegenseitig die Köpfe einschlugen. Sie nahmen keine Rücksicht und kämpften erbarmungslos. Ashis Aufmerksamkeit war auf den Fremden gerichtet. Wenn er sich bewegte, konnte sie das seltsame Geräusch wieder hören, das sie in die Gasse gelockt hatte. Es waren wirklich Rollen. Als Ashi genau hinsah, konnte sie erkennen, dass der fremde Junge auf genau acht Rollen stand - auf Skates. Gerade stieß Tetsuno ihn ein Stück weiter ans Ende der Gasse, wo wieder mehr Licht hinfiel. Jetzt konnte Ashi den Fremden genauer betrachten. Er hatte kastanienbraunes Haar, das mit einem blauen Stirnband aus seinem Gesicht gehalten wurde. Seine Kleidung bestand aus einem hellblauen T-Shirt mit schwarzem Schriftzug und weiten blauen Hosen, die ihm knapp bis unter die Kniekehlen gingen und riesige Taschen aufwiesen. Außerdem trug er Handgelenkschoner, auf der rechten Seite einen Ellbogenschoner und am linken Arm - Ashi musste zweimal hinsehen, um sicher zu gehen, dass sie sich nicht getäuscht hatte - ein Gebilde aus drei spitzen Eisenschonern, die seine gesamte linke Schulter und den Oberarm bis hin zum Ellbogen schützten und irgendwie so aussahen, als stammten sie aus dem tiefsten Mittelalter. Alles in allem eine sehr merkwürdige Erscheinung. Die Skates machten den Anblick noch kurioser. Doch dann setzte der Fremde dem ganzen die Krone auf. Mit einer wuchtigen Bewegung schubste er Tetsuno von sich weg, griff in eine seiner riesigen Hosentaschen und förderte eine weiße Karte zutage. Mit einem "H-Bomb!!" zog er sie über seine linke Wange, auf der Ashi tatsächlich das Asahoshi-Zeichen erkennen konnte - durchschnitten von einer übel aussehenden Narbe. Ashi riss die Augen auf, eine kleine Explosion schleuderte Tetsuno ein paar Meter weit durch die Luft und ließ ihn unsanft auf dem Boden aufkommen. Stöhnend krümmte sich der Feuermagier zusammen. Der Fremde keuchte vor Anstrengung, sah aber triumphierend auf Tetsuno herab. "Wie du siehst, hab ich fleißig geübt, während du weg warst... hast du schon genug?" "Träum weiter", knurrte Tetsuno, hielt sich den Kopf und rappelte sich mühsam wieder auf. Zähnefletschend zückte er ebenfalls eine Karte und setzte sie blitzschnell ein. "Burning Heat!!" Ein Feuerball erstieg aus der Karte und raste auf den fremden Jungen zu. Dieser zog in Sekundenschnelle noch eine Karte hervor, schrie "Starlit Drop!!" und schickte Tetsunos Attacke einen Wasserstrahl entgegen. Die beiden Energien prallten aufeinander, hielten sich eine Weile lang die Waage, während die beiden Kämpfenden verbissen gegen hielten, dann gab es einen Knall und die beiden Angriffe explodierten vor Kraft. Sowohl Tetsuno als auch sein Gegner schrien vor Schmerz auf, als sie durch die Luft geschleudert wurden und an die beiden Gassenwände knallten. Sie brauchten eine Weile, um sich von diesem Schlag zu erholen, dann kämpften sich beide wieder mit zusammen gebissenen Zähnen hoch und wollten sich abermals aufeinander stürzen - doch dazu kamen sie nicht mehr, da sich Ashi zwischen sie warf, die Arme ausbreitete und von einem Streithahn zum anderen blickte, ihre Augen funkensprühend. "Wollt ihr wohl endlich damit aufhören??", fauchte sie die beiden an, "Ich weiß ja nicht, warum ihr euch nicht leiden könnt, aber wir sind alle drei auf der gleichen Seite. Warum also müsst ihr euch unbedingt prügeln? Das bringt doch nichts!" Der Fremde verstummte sofort, als er Ashi erblickte. Offenbar hatte er gar nicht bemerkt, dass sie sich ebenfalls in der Gasse befunden hatte. Tetsuno jedoch zitterten immer noch die Fäuste. "Das ist Privatsache, Ashi-chan. Geht dich nichts an. Ich hab mit unserem Tony Hawk hier noch 'ne Rechnung offen..." Ashi verstand nur Bahnhof, der Fremde aber schüttelte den Kopf und seine Miene entspannte sich etwas. "Verschieben wir das, Kasai. Für heute reicht's mit dem Hühnchen rupfen." Er drehte sich um und marschierte auf einen der Müllcontainer zu. Unter Tetsunos völlig verdatterten Blicken setzte er sich auf das klapprige Metallgestell, stützte den Kopf in die Hände und sah abwechselnd Tetsuno und Ashi an. "Ich frag dich noch mal, Kasai. Was tust du hier? Und seit wann hast du 'ne Freundin?" Ashi lief knallrot an, Tetsuno aber sah den Jungen abfällig an. "Es geht dich ja eigentlich nichts an, aber... Ashi-chan ist nicht meine Freundin. Eine zahlende Kundin, wenn du verstehst. Ich bringe sie in den Norden der Stadt, sie kennt sich hier nicht aus." Die Blicke des Fremden durchbohrten Tetsuno beinahe. Dann wandte er sich Ashi zu und deutete mit dem Daumen auf den Feuer-Asahoshi. "Hör mal, ich rate dir, dich nicht mit dem da abzugeben. Kasai ist gefährlich. Du solltest ihm nicht zu nahe kommen." Ashi hob die Augenbrauen. "Was? Tetsuno? Gefährlich??" "Halt die Klappe, Mizu!", grollte Tetsuno. Der Fremde schüttelte den Kopf. "Tut mir leid. Ich sollte mich erst mal vorstellen." Er sah Ashi an. "Hachiwa Mizu. Wasser-Asahoshi. Siebzehn Jahre alt." Tetsunos grimmige Miene verzog sich zu einem spöttischen Grinsen und er konnte ein Kichern nicht unterdrücken. Der fremde Junge funkelte ihn an. "Was soll das??" "Der Name... ich könnt mich jedes Mal wieder Schrott lachen...", prustete Tetsuno. Ashi kämpfte ebenfalls mit einem Grinsen, enthielt sich aber. Der Wassermagier warf den Kopf zurück. "Für meine Freunde bin ich DBO, wenn dir das besser gefällt, Kasai." "DBO? Ist das eine Abkürzung?", erkundigte sich Ashi. "Ja. Für Dark Blue One." Tetsuno stand am Rande eines Lachanfalls. "Was denn jetzt schon wieder??", knurrte DBO. "BDO würde besser passen", brachte Tetsuno mühevoll zwischen ein paar Lachtränen hervor. "BDO?" Der Wasser-Asahoshi sah ihn perplex an. "Big Daft One." Der Lachanfall ließ sich nicht mehr zurückhalten und Tetsuno kugelte am Boden. DBO sprang mit einem Klirren vom Container und fegte auf seinen Skates auf Tetsuno zu. Abermals ging Ashi gerade noch rechtzeitig dazwischen und DBO legte eine Vollbremsung hin, um sie nicht über den Haufen zu fahren. "Verdammt, jetzt hört doch endlich auf damit!", rief Ashi ungehalten, "Wenn ihr euch nicht beherrschen könnt, dann sollten wir vielleicht besser weiterziehen, Tetsuno. Bevor ihr euch noch ernsthaft weh tut." DBO schüttelte energisch den Kopf. "Nein, Ashi, ich lass dich nicht mit diesem Typen alleine weitergehen. Das kann ich nicht verantworten. Jemand muss aufpassen, dass er dir nicht gefährlich wird." Ashi schob ihren linken Mundwinkel nach oben. Sie konnte immer noch nicht verstehen, dass jemand Tetsuno für gefährlich halten konnte. Der Feuermagier selbst grinste inzwischen wieder spöttisch. "Willst wohl den Bodyguard spielen, was?", höhnte er, "Damit ich böser Tetsuno Ashi-ch"""""""ñþ'ö¿ÿÿÿÿ¨ñþ'ö¿ÿÿÿÿ¨ñþ'ö¿ÿÿÿÿ¨ñþ- und kämpfen kannst du ja auch echt toll... gibt also keinen Grund, dich hier zu lassen." Tetsuno gab einen ungläubigen Kehllaut vor sich. "Jetzt... jetzt nicht im Ernst, Ashi-chan, oder?? Du willst den Kerl nicht wirklich mitnehmen!!" Ashi hob die Augenbrauen. "ASHI. Warum denn nicht?" "Weil er ein Idiot ist!" "Sicher. Du musst es ja wissen. Seit wann kennt ihr euch?" "Schon aus dem Sandkasten", brummte DBO. Tetsuno grinste wieder. "Ja. Und im Schaufelkampf war ich immer besser als du. Außerdem haben meine Sandburgen immer besser gehalten als deine." "Aber auch nur deswegen, weil du meine immer zertrampelt hast!" "Na und?? Das war nur die Rache dafür, dass du mal versucht hast, meinen Sandkuchen zu essen." "Meinst du vielleicht, das hat mir geschmeckt?? Ich hab's auch bereut, hinterher eben!" "Du..." "AUFHÖREN." Entnervt packte Ashi die beiden Hitzköpfe am Kragen und schleppte sie mit sich aus der Gasse hinaus. "Die Sache ist beschlossen, DBO kommt mit, Tetsuno. Wenn's dir nicht passt, kannst du gern auch wieder gehen - DBO und ich finden den Weg zum Tempel auch alleine." "Geht's dir zu gut??", protestierte Tetsuno und machte sich aus ihrem Griff los, "Du schuldest mir noch Geld, verdammt!" "Dann solltest du mir bis zum Tempel folgen. Eher krieg ich kein Geld. Ansonsten bleibst du unbezahlt. Deine Entscheidung." "Aber warum muss DER unbedingt mit??" "Das hab ich dir schon erklärt, Tetsuno. Und jetzt halt den Schnabel, da vorn stehen ein paar Cops rum. Willst du auffallen?" Der Feuer-Asahoshi wollte noch etwas erwidern, sah dann aber ein, dass es sinnlos war. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als Ashi weiterhin zu folgen. Sie hatte ihn in der Hand. Sie stellte die Bedingungen. Er kam sich so furchtbar verarscht vor. Missmutig warf er DBO, der dynamisch neben Ashi her marschierte und ihn kurz triumphierend ansah, einen Blick zu und fragte sich, ob das Geld, das Ashi ihm noch schuldete, diesen Höllentrip wirklich wert war. Als DBO gerade wegsah, knurrte er Ashi ins Ohr: "Das gibt Katastrophenzuschlag, kapiert?" Part 8: Ein reizendes Wiedersehen Als sie am Abend an einem Supermarkt Halt machten, um sich etwas zu Essen zu holen, hielt Ashi inne. "Äh - DBO, hast du Geld dabei, um dir was zu kaufen?" Der Wasser-Asahoshi nickte. "Logisch. Ich bin schon seit Wochen auf Achse. Ohne Geld läuft in Kama-To nichts." Sie versorgten sich also mit Fertiggerichten und Getränken, dann sahen sich die drei nach einem Schlafplatz um. Weil nichts anderes aufzufinden war, mussten sie mit einer dunklen Sackgasse Vorlieb nehmen, an deren Ende sich Sperrmüll stapelte. Ashi zerrte eine uralte Matratze aus dem Haufen, aus der zwar schon teilweise die Federn sprangen, die aber immer noch besser als gar nichts war. Tetsuno wählte einen zerfransten, verstaubten Polstersessel als Nachtlager. Dummerweise hielt der nicht besonders lange, fing irgendwann an zu ächzen und klappte schließlich auseinander. Tetsuno wurde sauer und baute sich aus den Einzelteilen eine Art Ersatzbett. DBO musste sich mit einem einzelnen Kissen begnügen; etwas Weicheres fand er nicht. Alles in allem musste Ashi feststellen, dass sie wohl schon mal bequemer genächtigt hatten. Tetsuno entfachte ein Feuer und sie machten darüber ein paar Dosenravioli warm. Als alle drei satt waren und mehr oder weniger zufrieden in der Gasse saßen und die Sonne beim Untergehen betrachteten, schnippte Ashi plötzlich mit den Fingern. "Hey, Tetsuno, was ist jetzt eigentlich mit Training?" DBO horchte auf. "Training?" "Regelmäßige Instandhaltung und Aufbesserung gelernter oder noch nicht gelernter Fähigkeiten", kommentierte Tetsuno, "Hauptwort zu dem eingedeutschten Verb Trainieren, stammt aus der englischen Sprache." "Schon gut, ich hab's kapiert", knurrte DBO genervt. Bevor Tetsuno noch eine spitze Bemerkung vom Stapel lassen konnte, nahm Ashi die Sache in die Hand. "Ich bin noch Anfänger im Kartenzaubern. Deswegen lass ich mir von Tetsuno Unterricht geben." DBO hob eine Augenbraue. "Und du glaubst im Ernst, der kann dir was beibringen?" Ashi nickte. "Hat er schon. Er hat mir geholfen, mein Element zu finden und die Energie der Karten zu spüren. Das hätte ich ohne Tetsuno nie geschafft." Der Feuermagier warf DBO einen mitleidigen Blick zu, was der Wassermagier mit einem Zähnefletschen beantwortete. "Hey, hallo, ich bin auch noch da", mischte sich Ashi in das Blickgefecht ein, "trainieren wir jetzt heute noch oder nicht, Tetsuno?" "Sicher doch", antwortete der Angesprochene und eiste sich von DBOs boshaft funkelnden Augen los, "wir können sofort anfangen. Ist kaum noch jemand auf der Hauptstraße unterwegs, wir werden unbemerkt bleiben." Also machte sich Ashi bereit für eine neue Trainingseinheit. Kurz darauf stand sie Tetsuno in der Gasse gegenüber, DBO saß ein wenig auf Abstand auf seinem Kissen und sah zu. "Alles klar?", vergewisserte sich Tetsuno, "Dann los! Greif an!" Ashi zückte ihre Whirlwind Blast-Karte und schickte Tetsuno mit aller Macht einen Wirbelwind entgegen. Der Feuer-Asahoshi setzte seine Burning Heat-Attacke ein und sein Feuerball krachte gegen Ashis Windzauber. Ashi hatte Mühe, der Feuerattacke standzuhalten, und schließlich versagten ihre Kräfte. Der Wirbelwind löste sich auf und der Feuerball raste auf sie zu. Ächzend warf sich Ashi im letzten Moment zur Seite und die Attacke krachte gegen die Gassenwand. "Nicht so viel Energie für einen einzigen Angriff verbrauchen, wie oft muss ich dir das noch sagen?" Tetsuno zog seine nächste Karte hervor. "Blaze Ray!" Ein einzelner, fingerdicker Feuerstrahl schoss im Höllentempo aus seiner Karte und genau auf Ashi zu. Die Wind-Asahoshi errichtete ihren Wirbelwind um sich herum, um sich vor dem Strahl zu schützen. Doch Tetsunos Attacke war stärker. Für Sekunden wurde er von Ashis Sturmwand aufgehalten, dann grub er sich hindurch und zischte direkt unter Ashis rechtem Ohr vorbei. Ashi schrie auf und ihr Abwehrzauber fiel in sich zusammen. Doch außer einer goldenen Haarsträhne, die jetzt zu Boden segelte, war nichts an ihr getroffen worden. Das Mädchen sank keuchend auf die Knie. "Das hätte ins Auge gehen können", bemerkte Tetsuno und zückte unbarmherzig sein Schwert, "steh auf." Ashi kämpfte sich verbissen wieder auf ihre Füße zurück und machte sich bereit für einen Gegenangriff. Tetsuno kam auf sie zu, holte mit seinem Schwert aus - und die Klinge krachte auf drei Eisenplatten. DBOs Armschutz. Das Gesicht des Wassermagiers war keine drei Zentimeter von dem Tetsunos entfernt. Ohne die Miene zu verziehen sagte DBO: "Das reicht. Du siehst doch, dass sie total am Ende ist." Tetsuno warf ihm einen finsteren Blick zu und sah dann Ashi an, die sich wirklich kaum noch auf den Beinen halten konnte. "Möchte mal wissen, was es dich angeht, wie ich mein Training gestalte", knurrte er DBO an, "das ist allein meine Sache." "Ich wusste schon, warum ich mitkommen wollte", meinte der Wassermagier und löste seinen Arm von Tetsunos Schwert, "ich hab dir gesagt, dass er gefährlich ist, Ashi." "Tetsuno ist nicht gefährlich", keuchte Ashi und rang nach Atem, "das ist Training und Training bei ihm ist eben hart. Daran werde ich mich gewöhnen müssen." Tetsuno sagte nichts, sondern steckte sein Schwert zurück und marschierte ohne ein weiteres Wort aus der Gasse. "Wo willst du hin?", rief Ashi ihm nach. "Dreh nur noch 'ne Runde", brummte Tetsuno und verschwand um die nächste Häuserecke. Ashi seufzte und steuerte auf ihre Matratze zu. "Danke, dass du mir helfen wolltest", sagte sie zu DBO, der sich gerade auf sein Kissen fallen ließ, "aber ich komm auch alleine zurecht. Kümmer dich nicht um mich." "Warum wär ich sonst mitgegangen?", gab DBO zurück. Ashi setzte sich an eine Stelle auf der Matratze, wo noch keine Feder herausstand, zog die Stirn in Falten und erwiderte: "Trotzdem. Du solltest dich lieber um dich selbst sorgen." DBO nickte. "Okay. Schon kapiert. Ich halt mich ab jetzt zurück." Er schnippte mit den Fingern und vor ihm erschienen ein paar Wassertropfen, die in der Luft schwebten und das letzte Tageslicht reflektierten. Ashi warf ihm einen Blick zu und da fiel ihr wieder etwas auf. "Hey, DBO, sag mal... darf ich wissen, woher du die Narbe hast?" Fasziniert blickte sie auf die linke Wange des Asahoshi, wo sein Zeichen mit dieser mysteriösen Narbe gekreuzt war. Der Wassermagier zuckte gleichgültig die Schultern. "Es gab da mal jemandem, dem es nicht gepasst hat, dass ich existiere, wenn du verstehst. Das ist schon so lang her; ich kann echt froh sein, dass er mir damals nicht den Schädel aufgeschlitzt hat. Ich hab heute noch ziemlich Respekt vor dem Typen, auch wenn man es mir nicht anmerkt..." Ashi biss sich auf die Lippen, um eine weitere Frage hinunter zu schlucken. Wenn er von sich aus nicht mehr sagte, dann ging sie das auch nichts an. Statt dessen forderte sie: "Erzähl mir was über den Wasserzauber. Der interessiert mich." DBO griff in seine Hosentasche und zog ein Bündel Karten heraus. Ashi gingen fast die Augen über. "Wa-wa-was?? SO viel Karten hast du...??" "Na hör mal. Ein halbes Dutzend ist doch nicht viel. Wie soll ich sonst über die Runden kommen, wenn ich wieder mal an ein paar Yorukage gerate?" Mit offenem Mund betrachtete Ashi die weißen Karten. Auf ihren Rückseiten waren Zeichnungen, die die Angriffe beschrieben. Eine blaue Explosion, Nebel, Regenwolken, ein Wassertropfen, Eiszapfen, eine Welle... "H-Bomb." DBO deutete auf die erste Karte. "Du hast den Angriff ja schon gesehen. Ähnelt einer Mini-Wasserstoffbombe. Hat zwar nicht ganz so wahnsinnig viel mit Wasser zu tun, gehört aber dennoch zu unserem Zauber. Next... Blue Mist. Ein blauer Nebel, um den Gegner zu verwirren und ihm die Sicht zu nehmen." Ashi starrte gebannt auf die Karten. "Indigo Rain Shower. Ein ätzender Regenguss, und zwar wirklich ätzend. Nicht besonders angenehm. Eine meiner liebsten Attacken. Nummer Vier: Starlit Drop. Kennst du auch schon. Dann noch Ice Fall. Ein Angriff mit Eissplittern. Ziemlich cool. Und als letztes wäre da noch Storm Tide, meine stärkste Karte... ruft eine Flutwelle hervor. Ich arbeite noch dran, sie größer werden zu lassen, momentan schaff ich es nur auf vier Meter." Ashi hatte es die Sprache verschlagen. DBO sah sie verständnislos an. "Was denn? Haut dich das so um?" "So... viele...", krächzte Ashi, "so... stark..." "Hey, krieg dich wieder ein." DBO musste grinsen und packte seine Karten wieder weg. "Da fällt mir ein... du bist doch ne Windzauberin, oder?" Ashi nickte. "Na ja... ich weiß ja nicht, ob's dir was hilft, aber... meine Mom beherrscht das gleiche Element. Sie hat nur schon lange mit dem Zaubern aufgehört, was ich nie so ganz verstanden hab. Jedenfalls hat sie mir eine ihrer Karten mitgegeben. Als Andenken. Weil ich nicht wusste, wie lange ich wegbleiben würde." Er kramte in seinen vielen Taschen herum, wurde schließlich fündig und förderte eine weiße Karte zutage. "Hier." Aus Reflex fing Ashi die Karte auf, als DBO sie ihr zuwarf und starrte sie an. Auf ihrer Rückseite waren unzählige kleine Sturmböen zu sehen, die über einen grauen Himmel fegten. Heavy Gale. Eine Windzauberkarte. "Kannst sie haben. Hast vermutlich mehr Verwendung dafür als ich..." Ashi schüttelte energisch den Kopf. "Nein, das kannst du nicht machen! Sie soll dich doch an deine Mom erinnern! Du kannst sie nicht einfach so herschenken!" Sie hielt DBO die Karte wieder entgegen. Der Wassermagier jedoch sah nicht die Karte, sondern Ashi an. "Sie hat mir das Ding gegeben, damit ich an sie denke, wenn ich es sehe. Solange ich es habe, bleibt es doch nur in einer meiner Hosentaschen vergraben und ich achte nicht drauf. Dagegen wenn du die Karte hast... ich nehme schwer an, dass du sie ab und zu einsetzen wirst. So krieg ich das Teil viel öfter zu Gesicht, glaub mir." Er grinste. Ashi kämpfte mit sich selbst. "Aber... wenn sie doch von deiner Mom ist..." "Jetzt stell dich nicht so an", schnitt DBO ihr das Wort ab, "ist doch nur ne Karte! Eines Tages seh ich meine Mom sowieso wieder, ob mit dem Ding in der Tasche oder ohne. Und solange du sie hast... ist sie doch immer in meiner Nähe." "Die Karte?" "Ja. Und mit ihr meine Mom." Er lächelte Ashi an. Ashi fiel auf, dass er blaue Augen hatte. Hübsche blaue Augen. Die Farbe ähnelte einer tiefblauen Lagune. Schlagartig sah Ashi wieder die Karte an, als DBO eine Augenbraue hob. "Also gut. Ich nehm sie. Aber nur, wenn... ich sie dir wieder zurückgeben darf. Sobald unsere Reise zu Ende ist." DBO feixte. "Geht klar. Aber tu mir den Gefallen und mach Kasai damit bei eurem nächsten Training platt." Am nächsten Morgen taten den drei Asahoshi sämtliche Knochen weh. Ihr Nachtlager hatte man nicht mal mehr als ertragbar einstufen können; es war einfach nur, gelinde ausgedrückt, saumäßig unbequem gewesen. Sowohl Ashi als auch Tetsuno und DBO spürten die Spuren, die die kaputten Polstermöbel an ihnen zurückgelassen hatten und mussten sich mächtig beherrschen, um nicht aufzustöhnen, als sie sich im Morgengrauen aufrappelten. "Scheiße", ächzte DBO und hielt sich den Rücken, "bleibt zu hoffen, dass wir für die nächste Nacht was finden, das wenigstens ETWAS komfortabler ist... ich fühl mich wie nach dem Schleudergang und an der Wäscheleine aufgehängt." "Nett formuliert, auch wenn ich dein Technik-Gequatsche eh nicht verstehe", grummelte Ashi und schlurfte aus der Gasse, wo sie von den ersten Sonnenstrahlen begrüßt wurde. Tetsuno trat neben sie und rieb sich die Augen. "Okay. Ziehen wir weiter. Wenn wir uns heut ins Zeug legen, kommen wir morgen Mittag bei der Gabelung an." Mehr oder weniger motiviert marschierten die drei Asahoshi die Hauptstraße entlang. Während sie unterwegs waren, frühstückten sie rasch und zeigten trotz der schrecklichen Nacht keine Schwäche. Alle drei hielten tapfer durch. Bis es Mittag war. Irgendwann, als die Sonne am höchsten stand, gab Ashi schließlich als erste auf und als sie an einem Park vorbeikamen, steuerte sie auf eine Parkbank zu und ließ sich ächzend darauf nieder. "Pause. Ich geb's zu, wenn ich noch einen Schritt mache, brech ich zusammen..." "Gute Idee." Die beiden Jungs ließen sich erleichtert neben sie fallen und im gleichen Moment begannen alle drei Mägen lautstark zu knurren. Ashi, Tetsuno und DBO sahen sich an und prusteten los. Unter einem Kicheranfall deutete Ashi auf eine Imbissbude in der Nähe. "Seht ihr den Verkäufer? Der linst voll zu uns rüber... das Geknurre hat man wohl bis zu seiner Bude gehört." "Dann sollten wir ihn nicht enttäuschen", kommentierte Tetsuno und stemmte sich wieder hoch, "Ich opfer mich und hol uns was zu futtern. Löffel steif halten, bin gleich wieder da." Und weg war er. Schnurstracks ging der Feuermagier auf die Bude zu, grinste den Verkäufer - einen Mann im Hotdog-Kostüm - breit an und gab seine Bestellung auf. Während der Verkäufer Würstchen auf seinen Grill schmiss und Tetsuno sich noch fragte, wie weit man eigentlich gehen konnte, um mit billigen Tricks Kunden anzulocken, hörte der Asahoshi etwas. Es war nur ganz leise, aber trotzdem schien es ihm ganz deutlich. Misstrauisch drehte Tetsuno den Kopf und starrte in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Es war dort im Park gewesen, irgendwo in der Nähe von Ashi und DBO... als er den beiden einen Blick zuwarf und feststellte, dass sie nichts Besseres zu tun hatten, als sich locker zu unterhalten, wandte er sich wieder dem Hotdogmenschen zu, da auch das Geräusch nicht mehr zu hören war. Der Wurst-und-Brötchen-gewordene Verkäufer händigte ihm drei Hotdogs aus, dann bezahlte Tetsuno, wünschte der wandelnden Reklame noch einen schönen Tag und steuerte wieder auf Ashi und DBO zu. Als Ashi ihn kommen sah, strahlte sie. "Tetsuno, endlich! Ich bin schon halb am Verhungern..." Doch Tetsuno beachtete sie gar nicht. Er hatte es wieder gehört. Dieses Geräusch. Es war da. Ganz nahe... er riss den Kopf herum. Es kam aus dem Baum neben der Bank! Und - tatsächlich, da bewegte sich etwas, hell und feuerrot, es sah aus wie... "ASHI! MIZU! WEG DA, SOFORT!!!" Tetsuno warf die Hotdogs aus der Hand und stieß die beiden anderen mit einem Hechtsprung von der Bank weg. Alle drei knallten auf den harten Kiesweg und Ashi schrie auf. Im nächsten Moment schoss ein Pfeil aus Feuer aus dem Baum, von dem Tetsuno das Geräusch gehört hatte, und ließ die Parkbank binnen Sekunden in ihre Einzelteile zerfallen. Im Nu waren die drei wieder auf den Beinen und starrten den Baum an, aus dem der Pfeil gekommen war. "Spielverderber", drang eine gelangweilte, helle Stimme aus dem Geäst, "Weglaufen gilt nicht." Eine Gestalt sprang aus den Ästen und landete geschickt auf dem Boden. Als sie sich aufrichtete, klappte Ashi die Kinnlade herunter. "Hey! Dich - dich kenn ich doch!" Das Mädchen, das nun vor ihnen stand, hob eine Augenbraue. "Bitte?" Grüne Augen, um die Achtzehn, auffällige rote Kleidung und ebenso rotes, welliges Haar bis an die Taille. "Die Yorukage vom Kaufhaus", knurrte Tetsuno neben ihr. DBO verstand nur Bahnhof. Die Rothaarige jedoch lächelte jetzt. "Ah, doch, jetzt kommt es mir wieder... ihr wart es doch, die sich bei unserem Überfall auf dieses Kaufhaus in einer Nebengasse versteckt haben, oder? Mieses Versteck. Ihr solltet an euren Reflexen arbeiten. Davon mal abgesehen...", sie warf ihr langes Haar über ihre Schulter zurück und sah DBO an, "dich hab ich noch nie gesehen. Mit wem hab ich die Ehre?" "Vielleicht solltest du dich erst mal selber vorstellen, nachdem du gerade versucht hast, uns über den Jordan zu schicken und jetzt einen auf unschuldig machst", bemerkte DBO säuerlich. Die Fremde lachte leise. "Wie du willst. Mein Name ist Daiya. Daiya Songai." DBO riss die Augen auf, sagte aber nichts. "Was sollte das eben, warum hast du uns angegriffen?", wollte Ashi wütend wissen, "Wir hätten draufgehen können, wenn Tetsuno dich nicht bemerkt hätte! Dabei kennen wir dich noch nicht mal richtig! Also warum??" Daiya spielte mit einer roten Locke, die ihr ins Gesicht hing, und meinte: "Hmm... tja, weißt du, kleines Tornadomädchen, mein Bruder hat mich auf euch aufmerksam gemacht. Vermutlich habt ihr ihn schon persönlich kennen gelernt... sein Name ist Ryo." Ashi schlug sich vor die Stirn. "Der Typ vom Markt! Tetsuno, das muss er gewesen sein!" Daiya lächelte. "Dacht ich's mir doch. Er hat mit euch gekämpft und fand euch höchst interessant... so interessant, dass er mir von euch erzählt hat. Ryo meinte, dass ihr echt was drauf hättet und dass besonders diese mysteriöse Wind-Asahoshi eine seltsame Aura um sich hätte..." In ihrem Blick lag etwas Hungriges, als sie ihn auf Ashi richtete. "Darf ich erfahren, wie du heißt?" "Ashi", antwortete die Angesprochene tonlos, "und jetzt verschwinde." "Warum denn gleich so unfreundlich?" Daiya stolzierte auf sie zu und ihre giftgrünen, kalten Augen trafen auf die grauen, schwarz umrandeten Ashis. "Wie wär's, Ashi, wollen wir nicht mal unsere Kräfte messen? Ich bin mir sicher, das würde ein interessanter Kampf werden... zumal du immerhin schon meinen Bruder besiegt hast." Tetsuno neben ihr fletschte die Zähne. "Lass die Finger von ihr, du mieses Stück Dreck!" "Oh." Daiya sah Tetsuno angenehm überrascht an. "Mein Element. Dass du Feuer hast, sieht man dir an... verrätst du mir deinen Namen, mein Hübscher?" Tetsunos Schwert klirrte. "Wenn du mich besiegen kannst." Die Yorukage lächelte amüsiert. "Auch gut. Dann kämpfe ich eben zuerst gegen dich. Aber danach kommt deine kleine Freundin dran." DBO wollte gerade verkünden, dass er auch noch da sei, Tetsuno aber wedelte mit der Hand. "Macht Platz." Ashi und DBO zogen sich ohne Widerworte zurück. Daiya lächelte immer noch und machte eine elegante Handbewegung. "Nach dir, beautiful stranger." Tetsuno zog grimmig seine erste Karte. "Hitamashii Slash!" Sein Schwert entflammte und er rannte damit auf die Yorukage zu. "Blood-Red Angel Kiss!" In Windeseile holte Daiya eine Karte aus einer Tasche ihrer violetten Hotpants und zog sie über das schwarze X auf ihrem linken Bein. Im nächsten Augenblick hielt sie eine Peitsche aus Feuer in beiden rot behandschuhten Händen und fing Tetsunos ersten frontalen Schwerthieb damit ab. Der Asahoshi riss die Augen auf, Daiya grinste überlegen, knallte mit ihrer Peitsche und riss Tetsuno das Schwert aus der Hand. Es fiel klirrend ein paar Meter weiter zu Boden und verlosch. Entsetzt sprang Tetsuno zurück und suchte hastig nach der nächsten Karte. Er fand sie. "Burning Heat!!" Ein Feuerball schoss auf Daiya zu. Die Yorukage begann, sich rasend schnell im Kreis zu drehen, wobei ihre Peitsche im Kreis mitschwang. Der Feuerball prallte einfach daran ab und verpuffte im Nichts. Während Tetsuno der Mund offen stand, kam Daiya wieder zum Stillstand und lachte hämisch. "Gut. Dann bin ich jetzt wohl dran." Mit diesen Worten rannte sie auf Tetsuno zu und holte mit ihrer Peitsche aus. Tetsuno sprang zur Seite. Daiya schlug erneut zu. Wieder wich der Asahoshi aus. Und so ging das Katz- und Maus-Spielchen weiter, bis Tetsuno die Puste ausging und Daiya einen Treffer landete. Ihre Peitsche knallte und riss mit ihren Flammen Tetsunos linken Oberarm auf. Der Feuermagier schrie vor Schmerz. "Oh, hat das weh getan? Tut mir leid, ich wollte gar nicht so fest zuschlagen..." Daiya lächelte kalt. Ashi und DBO, die in einiger Entfernung vor der zertrümmerten Parkbank standen, starrten fassungslos auf den Zweikampf. Knall. Daiyas Peitsche hatte ein zweites Mal getroffen und Tetsunos Wange blutig geschlagen. Diesmal zuckte der Asahoshi jedoch nicht mal mit der Wimper, sondern starrte Daiya nur hasserfüllt an. Und dann wusste er plötzlich, wie er sie besiegen konnte. Die Yorukage war auf ihre Feuerpeitsche angewiesen. Er musste sie ihr abnehmen, nur so hatte er eine Chance - aber wie? "Tetsuno, pass auf!!" Ashis Kreischen holte den Feuermagier in die Realität zurück. Er wich Daiyas erneutem Peitschenschlag geschickt aus, zog noch im Sprung eine Karte und setzte sie ein. "Blaze Ray!!" Der einzelne, zielsichere Feuerstrahl zischte aus der Karte und bohrte sich tief in das rechte Handgelenk der Yorukage. Daiya heulte auf und die Peitsche fiel ihr aus der Hand. Sowie sie den Boden berührte, löste sich die Feuerwaffe in Nichts auf. Tetsuno zögerte keine Sekunde und stürmte auf Daiya zu. Er stieß sie grob zu Boden, packte sie am Kragen und zog sie wutentbrannt wieder zu sich nach oben. Sein Gesicht mit den Funken sprühenden Augen, den gefletschten Zähnen und der blutigen Wange war keine drei Zentimeter mehr von ihrem entfernt. "Gib auf", knurrte er, "zwing mich nicht, das zu tun, was du vorhin bei meinen Freunden versucht hast!" Daiyas Augen flackerten; sie hatte Angst, fing sich aber dann doch wieder, schluckte und antwortete zittrig: "Das könntest du nicht." "Ach ja?? Soll ich's vielleicht mal ausprobieren?" Tetsuno griff sich sein Schwert, das direkt neben ihm lag und hielt es Daiya an die Kehle. Die Yorukage schloss krampfhaft die Augen. "Verschwinde wieder dahin, wo du hergekommen bist. Lass uns in Zukunft in Ruhe", forderte Tetsuno. Daiyas Augen blitzten auf. "Hättest du wohl gern." Tetsuno brüllte auf, als ihn plötzlich von hinten ein silberner Angriff aus dem Nichts traf. Er hörte noch, wie auch Ashi und DBO aufschrien, dann krachte er zu Boden - wo allerdings noch Daiya lag. Mit gehobenen Augenbrauen schob sich die Yorukage unter ihm hervor und stand auf. "Nicht so stürmisch, Süßer. Fortsetzung folgt. Für heute hab ich die Nase voll..." Ashi und DBO kamen angestürmt, während aus einem Baum neben dem Kampfschauplatz ein Schatten sprang. Daiya lächelte. "Danke, Ryo. Unser Flammenwerfer ist mir zu aufdringlich geworden... wie nett, dass du eingegriffen hast." Ashi riss den Kopf herum. Es war der Yorukage vom Markt. Er und seine Schwester Daiya warfen den drei Asahoshi noch einen letzten, verächtlichen Blick zu, dann verschwanden sie im Park und waren nicht mehr zu sehen. Ashi hätte die Möglichkeit gehabt, ihnen nachzulaufen, sie zu stellen - aber im Moment gab es Wichtigeres. Tetsuno lag immer noch am Boden, sein Gesicht war total verzerrt und er hatte Mühe, überhaupt zu atmen. "Tetsuno!! Oh mein Gott, sag doch was!" Ashi fiel neben ihm auf die Knie. DBO starrte grimmig dorthin, wo die beiden Yorukage verschwunden waren. "Das war Drachenmagie, was Kasai da eben abgekriegt hat. So ein Feigling. In den Rücken zu schießen... widerlich. Von Fairness haben die beiden wohl auch noch nichts gehört." Ashi zog ihre Heilkarte hervor. "Cure Breeze!" Ein Windhauch entstand und hüllte Tetsuno komplett ein. Langsam, ganz langsam gingen die Fleischwunden an seinem Arm und seiner Wange zurück, bis sie nur noch winzige Schnitte waren, die in den nächsten Tagen von selbst gar verheilen würden. Tetsunos Miene entspannte sich wieder ein wenig und er setzte sich stöhnend auf. Ashi seufzte erleichtert und steckte ihre Karte wieder weg. "Verdammt", knurrte Tetsuno und hielt sich den Kopf, "diese Gauner sollen mir nicht noch mal über den Weg laufen... das kriegen sie zurück!" "Alles okay?", erkundigte sich Ashi. Der Feuermagier nickte grimmig. "Ja. Danke. Hauen wir ab. Wir sind sicher beobachtet worden... hier werden bald die Polypen aufkreuzen." DBO hob die drei Hotdogs auf, die noch auf dem Boden lagen. Er wischte den Staub herunter und inspizierte sie prüfend. "Na ja... nicht mehr ganz frisch, aber sie werden wohl noch schmecken." "Sag mal, hast du im Moment keine anderen Sorgen?", erkundigte sich Ashi säuerlich. Tetsuno verzog das Gesicht. "Ich wusste, warum ich ihn nicht mitnehmen wollte..." "Klappe, Kasai", kommandierte DBO und händigte Tetsuno und Ashi ihre Hotdogs aus, "wer krank ist, hat zu schweigen." "Ich bin nicht krank." "Aber verletzt." "Nicht mehr! Das spür ich kaum noch..." "Ach ja? Tut das hier weh??" "AU!!! DU MIESER...!" Part 9: Die erste Gabelung In dieser Nacht schliefen die drei in einem Park. Das war zwar wieder mal nicht der wahre Luxus, aber immerhin besser als das, womit sie letzte Nacht hatten Vorlieb nehmen müssen. Die Asahoshi schürten sich ein Lagerfeuer und brutzelten ein paar Marshmellows darüber, dann trainierten Ashi und Tetsuno noch ein wenig. Heute war Tetsuno nicht so gnadenlos, was vielleicht auch daran lag, dass er für heute vom Kämpfen die Nase entschieden voll hatte. Ashi war ihm jedenfalls dankbar dafür, dass er sie nicht zu hart ran nahm. Nachdem beide erschöpft waren, legten sie sich ans Feuer und schlossen die Augen. DBO saß immer noch aufrecht und erklärte, er wolle noch ein bisschen aufbleiben. Ashi und Tetsuno war das gleich. Die beiden waren zu müde, um sich darüber noch Gedanken zu machen. Beide schliefen sofort ein. Doch Ashis Schlaf war nicht von Dauer. Sie wusste nicht, wie lange sie im Reich der Träume gewesen war, aber als sie dann mitten in der Nacht aus unerklärlichen Gründen aufwachte, saß DBO immer noch am Feuer und starrte in die Flammen; ein paar Wassertropfen schwebten vor ihm in der Luft. Ashi rieb sich die Augen und setzte sich verschlafen auf. "Was'n los, DBO, warum schläfst du nicht?", erkundigte sie sich gähnend. Der Wasser-Asahoshi knetete einen Zweig in seinen Händen und kaute auf seinen Lippen. "Ich denk nach", kam die knappe Antwort. Ashi sah ihn verwundert an. "Über was?" "Diese Yorukage..." Der Zweig in DBOs Händen krachte in der Mitte auseinander und der Asahoshi warf die eine Hälfte ins Feuer. "Ihr Name... er kam mir so bekannt vor!" Ashi kramte in ihrem Gedächtnis. "Daiya und Ryo..." "... Songai", beendete DBO ihre Überlegung, "Songai... ich weiß, dass ich diesen Namen kenne, ich kann mich nur nicht erinnern, woher! Das macht mich noch wahnsinnig!!" Abermals krachte es und der Zweig war wieder um die Hälfte kürzer. Ashi strich sich das wirre Haar aus dem Gesicht. "Warum beschäftigt dich das so?" "Weil ich weiß, dass dieser Name mit etwas für Kama-To sehr Wichtigem in Verbindung steht. Deswegen." "Für Kama-To sehr wichtig...?" Ashi starrte in den Nachthimmel und überlegte. "Vielleicht ein Politiker?" DBO klatschte sich die Hand vor die Stirn und warf den kläglichen Rest seines Zweigs ins Feuer. "Natürlich! Die Stadtverwaltung! Jetzt kommt es mir wieder..." Er schüttelte den Kopf. "Wie konnte ich das nur vergessen?" "Jetzt klär mich endlich auf", verlangte Ashi ungeduldig, "wer oder was ist jetzt Songai?" "Ein verdammt hohes Tier im Stadtrat", antwortete DBO und sah Ashi fest an, "er hat mit Ausnahme des Bürgermeisters hier den größten Einfluss, wird von allen geachtet und bewundert für seine geistreichen Ideen und Verbesserungsvorschläge... Mann, Ashi, ich hätte nie gedacht, dass er ein Yorukage ist!" Der Wasser-Asahoshi konnte es immer noch kaum fassen. "Sein Name ist Eikyo Songai... er hat sogar schon dreimal für die Bürgermeisterwahl kandidiert. Einige Leute glauben, dass er es nächstes Mal schaffen wird." Ashi stand der Mund offen. "Ein - ein Yorukage hockt in unserem Stadtrat?? Das ist ja grässlich... stell dir nur vor, wenn DER Bürgermeister werden würde, da könnten wir gleich alle drei einpacken!" Sie schüttelte sich. DBO nickte. "Genau das beunruhigt mich. Es scheint so, als ob wirklich keiner wüsste, dass er ein Yorukage ist. Kluger Schachzug von ihm. Wenn du mich fragst, wahrscheinlich ist er dafür verantwortlich, dass man die Stadtverwaltung zur Zeit nicht erreichen kann. Bestimmt hat er das so eingefädelt... warum auch immer." Ashi wurde bleich. "Du glaubst doch nicht etwa... er ist aber nicht gefährlich, oder?" DBO zuckte mit den Schultern. "Wer weiß. Vielleicht hat er ja keinen Bock, noch zwei Jahre auf die nächste Bürgermeisterwahl zu warten und will endlich die Macht über Kama-To haben, damit er unseren Clan endgültig ausrotten kann..." "Hör auf damit, du machst mir Angst", beschwerte sich Ashi und zog die Knie an. "Aber das ist mein voller Ernst!", beharrte DBO, "Jemand muss was unternehmen und herausfinden, was da oben auf dem Nemui Kyojin zur Zeit so abgeht!" Auf Ashis Stirn bildete sich eine Sorgenfalte. "Warte mal... die Stadtverwaltung ist doch momentan unzugänglich, weil die Sicherheitssysteme Schrott sind und was Wichtiges gestohlen wurde. So hat Tetsuno es mir zumindest erzählt... weißt du, was da gemopst worden ist?" "Soweit ich weiß, überhaupt nichts. Der Dieb ist zwar bis ins Zentrum der Verwaltung vorgedrungen, aber dann hat man ihn geschnappt. Der Typ hat es irgendwie geschafft, sämtliche Alarmanlagen zu verschrotten, und das ohne dass man ihn dabei bemerkt hat. Sitzt jetzt wohl im Stadtgefängnis. Damit hat er den empfindlichen Nerv unserer Ratskiste getroffen, die haben jetzt Hummeln im Arsch; in der Stadtverwaltung lagert nämlich meines Wissens nach echt so Einiges, was unbezahlbar ist und besser nicht in die falschen Hände kommen sollte... deswegen schotten die da oben sich jetzt erst mal ab, bis der Schaden behoben ist." Ashi nickte nachdenklich. "Verstehe. Und du glaubst, Songai will das jetzt ausnutzen und - " "Ich glaube nicht, ich vermute nur", verbesserte DBO, "es KÖNNTE sein, dass Songai jetzt irgendwas Dummes vorhat, aber das kann ich natürlich nicht beweisen. Wir werden wohl abwarten müssen, was als Nächstes passiert." "Einfach nur warten?" Ashi sah DBO ungläubig an. "Und wenn er wirklich versucht, den Bürgermeister aus dem Verkehr zu ziehen? Dann sehen wir ziemlich alt aus, DBO!" "Das kann verdammt gefährlich werden, Ashi! Diesem Typen will ich lieber nicht über den Weg laufen; du glaubst doch nicht im Ernst, dass wir da irgendwas ausrichten können, oder? Sobald wir, drei Asahoshi, da oben einmarschieren, dauert es nur Sekunden bis die uns identifizieren und wir dürfen erst mal ne Zeit lang gesiebte Luft atmen. Nein, Ashi, darüber können wir uns auch noch Gedanken machen, wenn wir den Himitsu-Tempel erreicht haben", widersprach DBO, "erst mal ist es wichtig, dass Kasai und ich dich bis dahin bringen - ich nehme an, woanders kannst du nicht mehr hin, oder?" Seine Stimme wurde sanfter und er sah Ashi an. Die Wind-Asahoshi blickte verwirrt zurück. Woher wusste er, dass sie kein Zuhause mehr hatte? "Dacht ich's mir doch. Man sieht es dir an. Tut mir leid, wenn ich dich an was erinnert hab, das du lieber vergessen willst..." Ashi schüttelte den Kopf. "Nein, ist schon in Ordnung. Ich hätte es dir sagen müssen." Sie schwieg eine Weile, dann biss sie sich auf die Lippen. "DBO... ich bereue es jetzt schon, dich mitgenommen zu haben." Der Blick des Asahoshi wurde träge. "Bin ich dir so eine Last? Stör ich dich?" "Nein, nein, so war das nicht gemeint!", widersprach Ashi hastig und starrte DBO verzweifelt an, "es ist nur... ich..." Sie brach ab und sah zu Boden. Ihre Finger krallten sich im Gras fest. "Ich will nicht, dass du in Schwierigkeiten kommst... nur weil du mir helfen möchtest. Ich weiß nicht, was auf dieser Reise noch so alles passieren wird, aber ich bin mir sicher, dass es nicht ungefährlich wird. Dass Tetsuno mitkommt ist ja okay, ich bezahle ihn schließlich für seine Hilfe, aber bei dir... da ist das anders." Sie schluckte. "Ehrlich gesagt verstehe ich nicht, warum du mitgekommen bist. Du ziehst doch überhaupt keinen Profit draus, wenn du uns begleitest." DBO lächelte leicht. "Mach dir kein' Stress, Ashi. Ich hab eh grade nichts Besseres zu tun. Und bevor ich einfach so nur durch die Stadt zieh und mich langweile, helf ich lieber jemandem, der mich nötig hat..." Ashi seufzte langsam. "Das... ist echt lieb von dir, DBO. Ich danke dir." Ein paar Minuten später sackte Ashi zur Seite weg und war eingeschlafen. DBO blieb noch eine Weile am Feuer sitzen, dann löschte er es und legte sich nachdenklich ebenfalls zum Schlafen. "Aufstehen, aufstehen, aufstehen!! Na los, raus aus den Federn, nur noch ein paar Stunden bis zur Gabelung!" Schon kurz nach Sonnenaufgang stand Tetsuno wieder auf der Matte, voll ausgeschlafen und bestens gelaunt. Übermütig scheuchte er Ashi und DBO aus dem Schlaf hoch und während die beiden sich noch gähnend die Augen rieben und sich über die Zeit beschwerten, drückte Tetsuno ihnen je einen Becher Fertigkakao in die Hand und schob sie vor sich her aus dem Park heraus. Die beiden waren noch viel zu verschlafen, um sich zu wehren, und im frischen Morgenwind wurden sie dann doch ziemlich schnell munter. Als Ashis Lebensgeister wieder vollständig zurückgekehrt waren, fragte sie Tetsuno, der hoch motiviert in leicht federndem Gang neben ihr her marschierte: "Sag mal... warum freust du dich so drauf, an die Gabelung zu kommen?" "Ja, bist du scharf auf das Terrorgebiet oder aufs Räuberlager, Kasai?", gab DBO seinen Senf dazu. "Weder noch", beteuerte Tetsuno, "ich bin nur froh, dass wir damit schon fast die Hälfte unseres Weges geschafft haben... ist doch cool." Ashi und DBO enthielten sich; beide hatten gehörigen Respekt vor dem, was sie nach der Gabelung auf ihrer Weiterreise erwarten würde. Trotzdem passten sie sich Tetsunos Tempo an und so kam gegen Mittag tatsächlich eine Stelle in Sicht, wo sich die Hauptstraße gabelte. Eine Neunziggradkurve nach Westen und eine nach Osten - und dann war da noch ein Weg, der geradeaus weiterführte, wo allerdings ein Zaun errichtet worden war, der schwer bewacht wurde. "Die Sperre", meinte DBO, "echt ne gute Idee, rechts dran vorbei zu gehen, die haben sich ja mächtig ins Zeug gelegt, damit da ja keiner durchkann." Ashi musterte einen der Wachmänner kritisch. "Seht euch den an... scheint sich ja schrecklich zu langweilen. Meint ihr, er hat Lust, sich ein bisschen zu unterhalten?" Tetsuno sah Ashi mit hochgezogenem Mundwinkel an. "Ashi-chan? Hallo? Bist das noch du?? So kenn ich dich ja gar nicht..." "Ohne -chan", unterbrach ihn Ashi genervt, "und jetzt lass mich machen. Vielleicht erzählt er uns ja mehr darüber, warum die hier alles abgeriegelt haben. Kommt schon." Ohne auf Widerspruch zu warten steuerte Ashi auf den bereits anvisierten Wächter zu, der mit verschränkten Armen und sichtlich gelangweiltem Blick an dem schmiedeeisernen Schutzzaun lehnte. Die beiden Jungs folgten ihr skeptisch. "Ähm... hallo?" Ashi startete einen Versuch, die Aufmerksamkeit des Wächters zu bekommen und stellte sich vor ihn. Der Wachposten erwachte aus seinem Halbschlaf und blinzelte. "Ja?" "Können sie mir vielleicht erklären, warum die Straße hier dicht ist? Wir wollten zur Stadtverwaltung..." Der Wächter schob seine Dienstmütze zurück und sah Ashi ungläubig an. "Habt ihr das noch nicht mitgekriegt? In der Stadtverwaltung ist eingebrochen worden, irgend so ein Irrer hat sämtliche Sicherheitssysteme lahm gelegt und wollte was aus dem Hochsicherheitssafe klauen. Er hätt's ja fast geschafft, aber als er sich am Tresor versucht hat, haben sie ihn erwischt." Er zuckte mit den Schultern. "Pech gehabt. Das Vögelchen sitzt jetzt im Knast... aber die Reparatur der Alarmanlagen wird wohl noch zwei, drei Wochen dauern. Bis dahin müsst ihr euch noch gedulden, eher kommt da keiner mehr rauf..." Ashi sah ihn mit gespielt enttäuschter und überraschter Miene an. "Im... im Ernst...? Oh, so ein Mist... es wäre wirklich wichtig. Meinen sie nicht, sie können eine Ausnahme machen?" DBO packte Ashi unauffällig, aber ziemlich hart von hinten an der Schulter, was diese allerdings ignorierte. "Nee, sorry", kam die Antwort des Wächters, "ihr seht ja echt nett aus, aber das verstößt gegen meine Vorschriften... ich krieg sonst richtig Ärger. Kann euch leider nicht helfen. Schönen Tag noch." "Halt, eine Frage noch", bat Ashi mit flehendem Blick, "wissen sie vielleicht, wer der Dieb war oder was er stehlen wollte?" Der Wachmann zog die Stirn in Falten. "Du bist verdammt neugierig, weißt du das? Aber wenn's dich so brennend interessiert... der Typ war ein Yorukage. Wartet jetzt auf seinen Prozess... aber das kann dauern, die Sicherheitssysteme haben erst mal Vorrang. Was er klauen wollte, hat er noch nicht verraten. Keine Ahnung." "Ein Yorukage! Ich wusste es!!" Kaum, dass sie zwanzig Meter Abstand zu dem Wachposten gewonnen hatten, raufte sich DBO die Haare. Tetsuno verstand nur Bahnhof. "Na und? Was soll daran denn so schrecklich sein? Diese Typen sind dreist genug, so was zu versuchen - wundert dich das echt?" "Ach, du hast doch keine Ahnung, Kasai", fauchte DBO zurück. "Hat er wirklich nicht", bestätigte Ashi, "wir haben ihm das mit Songai ja noch nicht erzählt." "Häh?" DBO ließ sich dazu herab, Tetsuno genau das noch einmal zu erzählen, was er in der Nacht zuvor schon Ashi berichtet hatte. Der Feuermagier nahm das Ganze ziemlich gelassen auf und nickte nur. "Ach so. Verstehe. Deswegen haut dich das so aus den Latschen. Du glaubst, dieser Yorukage hat im Auftrag von Songai gearbeitet, dass er das selbst eingefädelt hat, um die Stadtverwaltung mitsamt ihren Insassen erst mal für sich allein zu haben..." "Aber eins versteh ich nicht", meinte Ashi nachdenklich, "der Vorfall mit dem Einbruch ist doch jetzt schon eine ganze Woche her, wenn nicht noch länger. Wenn er wirklich ein Attentat oder so etwas geplant hätte, warum führt er es dann nicht endlich aus? Er hatte doch jetzt genug Zeit dafür..." "Was weiß ich", brummte DBO, "vielleicht hat er doch die Hosen voll gekriegt. Oder er wartet eben einfach noch den richtigen Zeitpunkt ab. Werden wir schon noch merken." Damit war das Thema erst mal abgeschlossen. Sie schlugen den rechts von der Hauptstraße abzweigenden Weg ein und marschierten den ganzen Nachmittag über einfach der Nase nach, ohne dass noch etwas Besonderes geschah. Gegen Abend sahen sie sich nach einem Schlafplatz um und stießen schließlich auf ein halb fertiges Haus, das zwar schon stand, allerdings noch kein Dach und bis auf ein paar Striche Verputz nur rohen Backstein aufweisen konnte. Ashi ächzte. Sie konnte sich noch sehr gut an ihre letzte Nacht auf einer Baustelle erinnern. Am Morgen darauf hatten ihr sämtliche Knochen weg getan... aber irgendwie gehörte der morgendliche Muskelkater inzwischen fast zum Standardprogramm ihrer Kama-To-Tour und sie fand sich schweigend damit ab. Weil sie sich im Erdgeschoss zu unsicher und beobachtet fühlten, stiegen die drei Asahoshi die nackte Steintreppe in den ersten Stock hinauf. Dort lagen allerlei Werkzeuge und ein Haufen Müll herum; alles in allem sah es aber bedeutend sauberer aus als im unteren Stockwerk. Nach dem kargen Abendessen stand das allabendliche Training auf dem Plan. Ashi fand, dass sie dazu besser nach draußen gehen sollten, bevor noch was kaputt ginge, doch Tetsuno machte ihr einen Strich durch die Rechnung. "Du musst auch lernen, auf engem Raum zu kämpfen", erklärte er streng, "man kriegt nicht immer so viel Platz, wie man gern hätte, wenn es zu einem Kampf kommt - da kannst du dir das nicht aussuchen. Denk an die Leute, die hier noch wohnen wollen, wenn du angreifst... verschrott nicht gleich alles, okay? Halt dich zurück." Ashi schnitt eine Grimasse und brachte ein paar Meter Abstand zwischen sich und Tetsuno. DBO ging in Deckung und die Wind-Asahoshi griff nach ihrer ersten Karte. Dann zögerte sie und sah Tetsuno grimmig an. "Sehr witzig. Und wir soll ich hier drinnen bitte den Whirlwind Blast verwenden?? Der würde die Decke einstürzen lassen, er ist zu groß -" Tetsuno zuckte mit den Schultern. "Dann lass ihn auf niedriger Höhe." "Aber dann hat er keine Power mehr!" "Dein Problem. Andere Karte." "Hab ich nicht." "Hast du doch." Das kam von DBO. Er warf Ashi einen vielsagenden Blick zu und plötzlich stellte sich ein Grinsen auf dem Gesicht der Wind-Asahoshi ein. "Ach ja, genau..." "Was?" Tetsuno warf den Kopf von DBO zu Ashi und wieder zurück. "Was soll das heißen? Woher -" "Lass dich überraschen", unterbrach Ashi den Feuermagier und zog eine andere Karte aus ihren Taschen. Sie schloss die Augen und konzentrierte sich auf die Karte. Bisher hatte sie sie noch nicht eingesetzt... es fühlte sich... anders an. Anders als Whirlwind Blast und anders als Cure Breeze. Cure Breeze hatte dieses Warme, sanfte an sich, Whirlwind Blast bestand aus einer riesigen Menge Angriffsenergie. Die Karte, die sie von DBO bekommen hatte, erinnerte Ashi an Raubtiere, die man auf engstem Raum in einen Käfig gepfercht hatte. Unglaubliche Kraft, die nach allen Seiten entfliehen wollte. Eine seltsame Vorstellung, aber irgendwie fühlte es sich gut an. Ashi öffnete die Augen und setzte die Karte ein. "Heavy Gale!!" Tetsuno war absolut unvorbereitet und hatte keine Ahnung, was da jetzt für eine Attacke auf ihn zukam. So kam es auch, dass er einfach nur hektisch auswich, als plötzlich von allen Seiten wild gewordene Sturmböen auf ihn einpeitschten, die zwar nur kurz aufkamen, dafür aber in Massen vorhanden waren und enorme Durchschlagskraft hatten. Ein paar der Böen streiften ihn und zwei erwischten ihn volle Breitseite, dann war der Angriff zu Ende. Tetsuno taumelte noch einen Schritt zurück und hielt sich zähneknirschend seine linke Seite. "Verdammt... was war denn das??" DBO grinste triumphierend. Ashi konnte einen Anflug von Stolz nicht verbergen und erklärte: "Heavy Gale. Meine neue Angriffstechnik... hat's geschmeckt?" "Bloß nicht frech werden hier, du Frischling", knurrte Tetsuno und zog eine Karte, "ich mach Ernst, jetzt hast du mich soweit!" Da ertönte auf einmal ein Kichern, das Tetsuno mitten in der Bewegung erstarren ließ. Es kam nicht von Ashi. Und auch nicht von DBO. Es kam von der Treppe, die in den ersten Stock hinauf führte. Die drei Asahoshi wirbelten herum und sahen dort einen halbwüchsigen, in schwarzes Leder gekleideten Typen herumstehen. Er schien sie schon länger zu beobachten und keiner von ihnen hatte ihn bemerkt. "Wie kann man nur so dämlich sein", spöttelte er. Die Antwort kam von einem der Fenster. "Indem man sich Asahoshi schimpft. Dieser Clan verblödet immer mehr." Dort auf dem Fensterbrett saß ein weiterer Junge in Schwarz. "Jetzt bekämpfen sie sich schon gegenseitig", pflichtete ihm ein dritter Kerl in Lederkluft bei, der an einem anderen Fenster saß. Ashi war geschockt. Sie hatte keinen der drei bemerkt, war viel zu sehr auf das Training konzentriert gewesen... und jetzt steuerten die Fremden auf sie, Tetsuno und DBO zu. Sie sahen gefährlich aus und verbargen ihre Abstammung nicht gerade sorgfältig. Zu ihrem düsteren Outfit kam noch hinzu, dass sie alle drei wilde Frisuren aus ihren dunklen Haaren gezaubert hatten, die nach allen Seiten abstanden. Außerdem waren ihre Gesichter blass und sie wirkten nicht mehr wirklich lebendig. Die vielen Piercings an allen möglichen und unmöglichen Stellen im Gesicht machten den Anblick auch nicht unbedingt schöner. "Das gerade eben war ja nicht schlecht, aber... wollt ihr euer Können nicht doch lieber an uns erproben, anstatt euch selber anzugreifen?", erkundigte sich der Typ von der Treppe und seine Hand lag lauernd an seinem Gürtel, wo mehrere schwarze Karten griffbereit saßen, "Ich meine, nicht dass ich was dagegen hätte, wenn ihr euch gegenseitig die Köpfe einschlagt, aber..." Seine beiden Kumpanen griffen ebenfalls zu ihren Karten. DBO schloss entnervt die Augen. "Yorukage. Wie nett." "Was wir hier abziehen, nennt sich Training", erklärte Tetsuno grimmig, "wir hatten nie vor, uns gegenseitig zu verletzen. Tut mir leid für euch, kein blutrünstiges Showdown auf der Baustelle, setzt euch ins nächste Kino." "Wir haben keine Lust, noch weiter zu ziehen", entgegnete einer der drei Yorukage mit gierigem Blick, "ob ihr wollt oder nicht, wir kriegen unseren Kampf!" Mit diesen Worten gingen die drei zum Angriff über. Die Yorukage zückte ihre Karten und entblößten ihre Zeichen. "Thunderbolt!!" Dreimal dieselbe Attacke, eine auf Ashi, die andere auf Tetsuno und die dritte auf DBO gerichtet. In Windeseile entbrannte ein Kampf zwischen den Asahoshi und den Yorukage. Tetsuno parierte den ersten Angriff seines Gegners, indem er blitzschnell sein Schwert zückte und die Elektroenergie beiseite hieb. "Gewitter-Yorukage. Reizend", stellte er fachmännisch fest und setzte sein Schwert mit einem "Hitamashii Slash!" in Brand. Sein Gegenüber duckte sich unter Tetsunos erstem Schwerthieb hinweg und erwiderte grinsend: "Feuer-Asahoshi. Entzückend." Ashi hatte es mit dem zweiten Yorukage zu tun bekommen und wich gerade unter dessen ständigen Faustschlägen hinweg immer weiter zur Wand hin aus. Ihr Exemplar hielt wohl nicht allzu viel von Magie und versuchte es lieber mit brutaler Kraft. Da hatte er Ashi gegenüber einen Vorteil, denn die konnte das Wort Prügeln nicht mal buchstabieren. Verzweifelt krachte sie gegen die Hauswand und sah den nächsten Schlag auf sich zu kommen. Instinktiv warf sie sich zur Seite weg und stolperte überrascht aus der Balkontür nach draußen. Hastig sah sie sich um. Sie war auf dem Gerüst gelandet, welches das unfertige Haus noch umgab. Eilig rannte sie ein paar Meter auf dem klapprigen Metallgestell, um Abstand zwischen sich und den Yorukage zu bringen, der ihr inzwischen gefolgt war. Ashi überblickte rasch ihre Lage. Besonders sicher fühlte sie sich hier oben zwar nicht, aber die frische Nachtluft verlieh ihr neuen Mut. Sie starrte ihren Gegner herausfordernd an und suchte nach einer Karte. Zuerst wollte sie Whirlwind Blast einsetzen - aber dann überlegte sie es sich anders und griff noch einmal nach Heavy Gale. Der riesige Wirbelsturm hätte das Gerüst wahrscheinlich sofort zum Einsturz gebracht. Also setzte sie DBOs Karte ein und schickte ihrem Gegner zahllose Windböen entgegen, wie sie es vorhin schon an Tetsuno erprobt hatte. Der Yorukage riss die Augen auf und versuchte verzweifelt auszuweichen. Das war auf dem engen Gerüst aber gar nicht so einfach und so erwischten ihn einige der Böen mit voller Wucht. Die letzte schlug ihn gegen das Geländer und er ruderte für einen Moment hilflos um sein Gleichgewicht. Das war Ashis Chance. Kurzerhand griff sie nach einer Metallstange, die neben ihr auf dem Gerüst lag, sprintete auf den Yorukage zu und zog ihm mit dem Eisen eins über. Mit einem Ächzen sackte er zu Boden und rührte sich nicht mehr. "Starlit Drop!" "Electric Strike!" "H-Bomb!!" "Blinding Flash!!" DBO und sein Gegner lieferten sich ein heißes Kartengefecht. Attacke und Defensive folgten so rasch aufeinander, dass ein Schiedsrichter es nicht leicht gehabt hätte, wäre einer vorhanden gewesen. Trotzdem schaffte DBO es irgendwann, sich einen Vorteil zu verschaffen. Er setzte Blue Mist ein und sofort versank das ganze erste Stockwerk in einem blauen Nebel. Von Tetsuno drang irgendwo neben DBO Protestgeschrei, doch der Wasser-Asahoshi ließ sich davon nicht aus der Fassung bringen. Er allein konnte durch diesen Nebel sehen, weil er mit dem Element Wasser vertraut war. So fixierte er seinen Gegner, der blind durch die Gegend tappte, sofort durch die blauen Regentröpfchen und zückte abermals seine H-Bomb-Karte. Der Angriff traf den Yorukage mit voller Wucht und er ging zu Boden. DBO löste den Nebel auf und warf einen kurzen Blick zu Tetsuno hinüber, der es irgendwie geschafft hatte, sich durch den Nebel von hinten an seinen Gegner heran zu schleichen und ihn jetzt im Schwitzkasten hielt. Der Wasser-Asahoshi sah sich nach Ashi um, die gerade mit der Eisenstange in der Hand zur Balkontür herein stolperte. Er hob die Augenbrauen. "Sieht so aus, als wären wir fertig", bemerkte er trocken. Die drei Yorukage verzogen sich ziemlich schnell, nachdem sie wieder halbwegs bei Sinnen waren, und Ashi, Tetsuno und DBO hatten wieder ihre Ruhe. Inzwischen war es draußen vollkommen dunkel geworden und die drei saßen um eine winzige Flamme herum, die vor Tetsuno in der Luft schwebte und ihnen noch etwas Licht spendete. Ashi grinste ununterbrochen, die beiden Jungs waren ebenfalls bestens gelaunt nach ihrer gewonnenen Schlacht. "Ehrlich, Ashi, das war cool. Ich meine, die Typen waren zwar Anfänger, aber trotzdem war's echt 'ne Leistung, diesen Rocky-Verschnitt platt zu machen", plapperte DBO. Ashi strahlte, als auch Tetsuno zustimmend nickte. "Jau, da sieht man, was du durch mein Training doch alles gelernt hast." "Ach, hast du ihr etwa auch beigebracht, mit Metallstangen durch die Gegend zu prügeln?", erkundigte sich DBO zynisch. "Gehört zwar nicht zu meinem Standardtraining, aber sie hat ja schon Erfahrungen mit meinem Schwert machen dürfen", gab Tetsuno bissig zurück. Ashi, die bereits wieder einen Streit entstehen sah, breitete demonstrativ die Arme zwischen den beiden Kampfhähnen aus. "Hey, hey, cool bleiben, ihr beiden. Kommen wir zum Thema zurück. Das waren Gewitter-Yorukage." Tetsuno nickte nachdenklich. "Die Vorhut des Terrorgebiets, wenn du mich fragst. Wir steuern auf direktem Weg drauf zu..." "Willst du da etwa durch??", platzte DBO ungläubig heraus. "Ich kenn einen Schleichweg, der uns am Nemui Kyojin dran vorbei führt", beruhigte ihn Tetsuno, "keine Sorge, bis morgen Abend haben wir ihn erreicht. Wird nicht gefährlich." DBO sah nicht gerade so aus, als ob er ihm das abnahm, gab sich aber damit zufrieden. Nach einer Weile begann Tetsuno zu grinsen und sah auf. "Hey, Ashi-chan, sag mal... warum hast du eigentlich eingewilligt, als DBO mit uns gehen wollte?" Ashi sah ihn verwundert an. "Häh? Wie - wie meinst du das, ich..." "Ich meine", unterbrach Tetsuno sie mit gehobenen Augenbrauen, "dass du jetzt immerhin schon mit zwei Jungs in deinem Alter durch Kama-To ziehst. Hat dir einer nicht gereicht?" Ashi wurde rot und starrte zu Boden. "Lass deine dummen Sprüche stecken, Tetsuno." "Ashi hat das ja nicht von sich aus vorgeschlagen!", verteidigte DBO sie, "Es war meine Idee - und ich bin gerade deswegen mitgekommen, WEIL sie mit einem Kerl wie dir unterwegs ist. Also zählt das nicht." Tetsuno lachte. "Du zählst nicht als Kerl oder was?" "NEIN", fauchte DBO, "so hab ich das nicht gemeint!" "Außerdem weißt du gar nicht, worum es geht", entgegnete Tetsuno, "ich hab das nur gesagt, weil Ashi-chan mir erzählt hat, dass sie eigentlich was gegen Jungs hat..." "Ich hab nichts gegen Jungs!", protestierte Ashi, die sich jetzt auch mal einschalten musste, "Ich hab nur... Schwierigkeiten, mit ihnen umzugehen!" "Du hattest", stellte Tetsuno richtig, "immerhin hast du jetzt schon zwei im Gepäck, wenn ich mich wiederholen darf." "Darfst du nicht", knurrte Ashi zurück, "und jetzt lass mich in Ruhe, verdammt! Deine Sprüche gehen mir so was von auf den Senkel, ich hoffe, irgendwann erstickst du mal dran!" Mit diesen Worten warf sie sich auf den Betonboden und schloss entnervt die Augen. Tetsuno und DBO sahen sie an und der Feuermagier grinste. "Schwierigkeiten, mit Jungs umzugehen. Klar doch. Hab ich gemerkt, Wirbelwind..." "In deiner Gegenwart lernt jeder, dass und wie man sich verteidigen muss", meinte DBO schnippisch, "insofern hast du ihr wohl wirklich einen Schritt weiter zur Selbstfindung geholfen, Kasai." Part 10: Kehrt Marsch Der Muskelkater, den sich alle drei in der Nacht zugezogen hatten, konnte keinem von ihnen am nächsten Morgen die gute Laune nehmen. Die Asahoshi freuten sich und waren schon mächtig gespannt auf ihren Tag. Ashi konnte es kaum abwarten, den Schleichweg kennenzulernen. DBO hatte zwar noch ein paar Zweifel, ließ diese aber unausgesprochen - er wollte den anderen beiden nicht die Stimmung versauen. Tetsuno war die Ruhe selbst. Anscheinend war er sich sehr sicher über seinen Schleichpfad und Ashi fragte sich insgeheim, wie oft er ihn wohl schon benutzt hatte. Doch Tetsunos Unbekümmertheit bestärkte ihren Mut nur noch. So marschierten die drei im frühen Morgengrauen los, nachdem sie sich den Staub aus den Kleidern geschüttelt und gefrühstückt hatten. Je weiter sie in den Osten Kama-Tos vordrangen, um so bewusster wurde ihnen aber, wohin sie sich jetzt bewegten. Die Häuser um sie herum waren immer noch sehr modern, doch auf der Straße war kaum noch jemand unterwegs. Es war ungewöhnlich still auf der Hauptstraße und auch in den Wohnsiedlungen nebenan. Ashi schluckte. Es schien fast so, als ob Kama-Tos Bewohner alle vor einer drohenden Gefahr geflüchtet wären und die Stadt verlassen hätten. Am späten Vormittag stellten sich erste Anzeichen des Terrors ein. Zerbrochene Schaufenster, zugebretterte Häuser, vernagelte Läden und verwüstete Gassen. Und trotz allem immer noch Totenstille. Die Stimmung von Ashi, Tetsuno und DBO war in den Keller gesunken. Nichts von der morgendlichen Motivation war noch übrig geblieben; die drei wanderten bedrückt und nervös die leere Hauptstraße entlang und sahen sich immer wieder nach allen Seiten um. Irgendwo weit in der Ferne heulte eine Polizeisirene. Als es Mittag wurde, wollten sich die Asahoshi eigentlich nach einem Platz umsehen, wo sie Halt machen und zu Mittag essen konnten, und so liefen sie noch ein Stück weit, um eine Bank oder etwas Ähnliches aufzutreiben - da fiel ihnen plötzlich auf, dass ihre Weiterreise wohl gerade wieder um ein Hindernis beschwerlicher geworden war. Tetsuno bemerkte es als erster und hielt mitten im Schritt inne. Er packte DBO hart an der Schulter und öffnete ungläubig den Mund, gerade nach vorne starrend. DBO folgte seinem Blick und ließ ein verzweifeltes Ächzen ertönen. "Oh nein... verflucht..." Auch Ashi erkannte jetzt, was die beiden Jungs so fertig machte: Gut zweihundert Meter vor ihnen war ein riesiger Haufen Steine auf die Straße gerollt worden. Eine Barriere, die von einer Straßenseite zur anderen reichte und anscheinend auch noch weit in die Siedlungsblöcke auf beiden Seiten eindrang. Der Steinwall war gut fünf Meter hoch und sah verdammt stabil aus. "Das darf doch nicht wahr sein!!" Tetsuno raufte sich die Haare. "Wir hätten nur noch einen halben Tag gebraucht, um bis zu meinem Schleichweg durchzukommen; das ist nicht fair, verdammt!" Ashi schüttelte den Kopf. "Beruhigt euch, lasst uns die Sache erst mal genauer untersuchen. Vielleicht kommen wir ja irgendwo durch..." Mit langen Gesichtern steuerten die drei auf die Blockade zu. Je näher sie kamen, um so größer und bedrohlicher wirkte der Steinhaufen. Als sie schließlich direkt davor standen, wurde sowohl Tetsuno und DBO als auch Ashi ziemlich schnell klar, dass sie Monate brauchen würden, um sich hier durch zu wühlen. DBO klopfte an den Stein und rüttelte ein wenig daran herum. Er schüttelte den Kopf. "Vergiss es, Kasai. Du bräuchtest eine halbe Armee, um das ganze Zeugs hier in einer Woche wieder wegzuschaffen. Ich frag mich bloß, wie die so was so schnell errichten konnten..." "Wer, die?", wollte Ashi wissen. "Die Gewitter-Yorukage", antwortete DBO grimmig, "du weißt doch, dass sie diesen Teil der Stadt jetzt schon seit Wochen terrorisieren - das war mir schon lange bekannt, aber von so einer dämlichen Blockade hab ich noch nichts gehört." "Apropos Hören", warf Tetsuno ein und legte die Stirn in Falten, "spitzt mal die Lauscher, Leute. Und sagt mir, was das ist..." Verwundert lauschten Ashi und DBO in die Stille hinein. Der Fels bröckelte etwas, ein wenig Wind war aufgekommen - ansonsten hörte Ashi nichts. DBO aber nickte. "Jetzt, wo du es sagst, Kasai... das klingt echt seltsam." "Was denn??" Ashi sah ungeduldig von einem Jungen zum anderen. Tetsuno warf ihr einen genervten Blick zu. "Ashi-chan. Hallo. Wie war das noch mal mit Sinne schärfen? Haben wir das nicht irgendwann schon mal gelernt...?" Ashi lief rot an. "Äh... ach so. Klar. Ganz vergessen..." Sie schloss die Augen und konzentrierte sich auf ihre Element. Sie nahm den Wind mit allen Sinnen auf und spürte erneut dieses enorme Gefühl von Stärke in sich aufsteigen. Gleichzeitig wurden alle ihre Sinne schärfer und sofort konnte sie auch jenes Geräusch hören, das Tetsuno als Erster bemerkt hatte. "Hey", murmelte Ashi verwirrt, "das klingt wie... Musik." Tetsuno hatte genug und marschierte in die Richtung los, aus der er das Geräusch gehört hatte. Musik in einem von Gewitter-Yorukage terrorisierten Viertel Kama-Tos - das passte einfach nicht zusammen! Ashi und DBO hefteten sich an die Fersen des Feuermagiers und die drei liefen die Barriere entlang, bis in eine Seitenstraße. Dahinter stießen sie auf ein kleines Siedlungsviertel, wo ein paar hübsche, aber von den Spuren des Terrors gezeichnete Häuser standen. In einem der Vorgärten saß eine Gestalt auf einer Bank vor der Steinmauer und hielt - Ashi rieb sich die Augen - eine Gitarre in Händen. Man konnte das "Häh?" geradezu von DBOs Gesicht ablesen, als er verwirrt auf diese Person zusteuerte, die da seelenruhig im Terrorgebiet vor einer Steinblockade saß und Gitarre spielte. Diese ließ ihr Lied erst verstummen, als DBO direkt vor ihr stand und sie höchst erstaunt ansah. "Äh... Verzeihung, wenn ich so unhöflich frage, aber... was machst du hier?" "Gitarre spielen, sieht man doch", antwortete das junge Mädchen lächelnd. Ashi und Tetsuno flankierten DBO und musterten sie misstrauisch. Das Mädchen hatte wohl ungefähr ihr Alter, war einen halben Kopf kleiner als Ashi und hatte schönes, rotbraunes Haar, dass zusammengebunden bis an ihre Taille fiel. Ihre Augen waren wunderschön und von einem hellen Braun, ihre Kleidung bestand aus einem grün gestreiften Top, einem kurzen, dunkelgrünen Rock, einem Paar brauner Stiefel und grünem Perlenschmuck. Und was allen dreien sofort ins Auge stach, war das schwarze Z an ihrer linken Seite. Jetzt sprang das Mädchen von der Bank auf und strahlte die drei an. "Mein Name ist Ivy, Ivy Shizen. Und wer seid ihr?" "DBO." "Ashi." "Tetsuno." Ashi warf einen Blick auf die Steinblockade hinter Ivy. "Wir wollten eigentlich weiter nach Osten ziehen, aber das können wir jetzt wohl vergessen..." "Ihr wusstet nichts von der Sperre?", vermutete Ivy lächelnd, "Ich auch nicht. Hatte das gleiche Ziel wie ihr... und muss mir jetzt einen anderen Weg ausdenken, wie ich wieder nach Hause komme." "Du wohnst hinter der Blockade?", vergewisserte sich Tetsuno. Ivy nickte, immer noch freundlich lächelnd. "Ja. Ich wollte meine Eltern besuchen gehen. Ich denke, ich werde jetzt den langen Weg westlich an der Stadtverwaltung vorbei nehmen müssen, weil diese Sperre wohl noch einige Wochen bestehen bleiben wird. Das wird zwar eine halbe Ewigkeit dauern, aber was anderes bleibt mir nicht übrig..." Ashi seufzte. "Ich fürchte, wir müssen dasselbe tun, Jungs. Wir haben auch keine andere Wahl." DBO wurde bleich. "Moment mal, Leute. Wenn ihr echt westlich gehen wollt... wisst ihr, was da alles auf uns zukommt?? Wir müssen am Räuberlager vorbei, durch den verhexten Wald..." "Kannst auch den Schwanz einziehen und hier bleiben, Mizu", brummte Tetsuno. DBO schüttelte entschieden den Kopf. "Nein. Ich komme mit. Allein ist es zu gefährlich für Ashi." Tetsuno wollte gerade noch etwas sagen, da meldete sich Ivy zu Wort. "Ähm... entschuldigt, wenn ich euch unterbreche, aber... wenn ihr wirklich den gleichen Weg habt wie ich, könnten wir dann nicht zusammen gehen?" Ashi, Tetsuno und DBO erst sich und dann Ivy an. "Öh", sagte Ashi, "klar, warum nicht, ich hab nichts dagegen." Tetsuno zuckte mit den Schultern. "Ich auch nicht." DBO nickte und Ivy strahlte wie die aufgehende Sonne. "Oh, toll! Endlich bin ich nicht mehr allein! Ich danke euch!" Ashi musste ebenfalls lächeln. Irgendwie mochte sie Ivy jetzt schon. Etwas später wanderten die vier die Hauptstraße entlang, den gleichen Weg, den sie schon bis zur Blockade genommen hatten, wieder zurück. Aber irgendwie wirkte die Gegend auf einmal gar nicht mehr so trist und verlassen, weil Ivy mit ihrem Sonnenscheinlächeln automatisch gute Laune verbreitete. Sie war äußerst redselig und verstrickte Ashi, Tetsuno und DBO rasch in eine Unterhaltung. "Aaaalso", fing Ivy an, sah in die Luft und dann zu Ashi, "lasst mich mal raten... du bist ne Wind-Asahoshi." Ashi entgleiste vor Verblüffung die Kinnlade und sie griff aus Reflex nach ihrer rechten Hand. "Aber - was - wie hast du..." Ivy grinste. "Wusst ich's doch. Deine Aura ist so unregelmäßig, das konnte nur das luftige Element sein." Sie wandte ihren Blick dem ebenso erstaunten Tetsuno zu, verengte ihre Augen und verkündete dann: "Feuer. Ich kann dein Temperament regelrecht fühlen, mannomann, so was hab ich ja noch nie erlebt!" Noch bevor Tetsuno etwas sagen konnte, schnellte Ivys Finger auf DBO zu. "Und du bist ein Wassermagier! Momentan eine ruhige Aura, aber das ändert sich, sobald es Ärger gibt." "Jetzt halt mal die Luft an!", ächzte Ashi und sah Ivy fassungslos an, "Du - du wusstest die ganze Zeit, dass wir Asahoshi sind??" Ivy lachte. "Eure Zeichen sind doch nicht zu übersehen. Außerdem spür ich Gleichgesinnte aus hundert Meter Entfernung... das war ganz leicht. Und ich hätte mich euch nie angeschlossen, wenn ihr normale Bürger oder Yorukage wärt; bin ja nicht lebensmüde." "Okay", meinte Tetsuno und sah Ivy kritisch an, "dann bin ich jetzt dran beim lustigen Elemente-Raten. Du bist... ne Naturzauberin." "Bingo", bestätigte Ivy fröhlich, "ich beherrsche die Macht der Pflanzen und der Erde besser als irgendeiner von euch dreien." "Eine Kräuterhexe also", kommentierte DBO schnippisch. Ivy lachte und knuffte ihn in die Seite. "Pass bloß auf da drüben, sonst verwandel ich dich in Rittersporn." Ashi riss die Augen auf. "Mann! Du bist echt ne Natur-Asahoshi?? So jemand hab ich noch nie getroffen! Ich interessier mich wahnsinnig für den Naturzauber!" "Ich erzähl dir bei Gelegenheit was drüber, einverstanden?", meinte Ivy und zwinkerte Ashi zu. Während Ashi erfreut nickte, wanderte Tetsunos Blick zu Ivys Rücken, wo die Naturzauberin ihre Gitarre umgeschnallt hatte. "Ääh", begann der Feuermagier unsicher, "sag mal... du bist doch auf Reisen, oder?" Ivy sah ihn überrascht an und nickte. "Ja doch. Schon seit über einem Monat." "Schleppst du das Ding immer mit dir rum?", platzte Tetsuno heraus und deutete auf das Instrument. Ivy lächelte. "Natürlich. Ich kann ohne meine Gitarre nicht leben... die muss mit, wo immer ich auch hingehe!" "Ich fand dein Lied vorhin toll", bemerkte Ashi und sah Ivy bewundernd an, "du spielst echt klasse. Seit wann machst du das?" "Hab ich schon mit Fünf gelernt", erklärte die Angesprochene, "mit Elf hab ich Gesangsstunden gekriegt - damit war ich dann mit siebzehn fertig. Und älter bin ich noch nicht." "Was'n Zufall, wir sind alle gleich alt", warf Tetsuno ein. "Ja, eine mystische Fügung, Kasai!", hauchte DBO und packte Tetsuno ehrfurchtsvoll an der Schulter. "Lass den Quatsch", fauchte der Feuermagier zurück. Ivy hob die Augenbrauen. "Kasai? Ich dachte, dein Name wär Tetsuno...?" Ashi verdrehte die Augen. "Die zwei reden sich immer mit den Nachnamen an. Haben so ein kleines Kommunikationsproblem." Ivy grinste. Tetsuno und DBO schmollten und sahen beide zur Seite weg. Am Abend waren sie wieder an der Baustelle angekommen, wo sie schon in der Nacht zuvor geblieben waren. Die vier Asahoshi beschlossen, den verlassenen Bau noch einmal als Nachtlager zu nehmen - etwas Besseres war auch heute nicht aufzufinden. Ivy schien sich nicht an der miesen Qualität ihres Lagers zu stören, sie war es wohl auch gewohnt, ihre Nächte an solchen Plätzen zu verbringen. Tetsuno war sich eigentlich ziemlich sicher, dass keine unerwünschten Besucher mehr auftauchen würden; die drei Gewitter-Yorukage vom Vorabend hatten wohl erst mal genug und außerdem war es inzwischen stockdunkel draußen. Alle vier waren todmüde, trotzdem blieben sie noch lange auf und machten es sich im ersten Stock wieder so bequem wie möglich. Tetsuno ließ ein kleines Feuer erscheinen, worum sie dann Platz nahmen und sich ihr Abendessen brieten. Nachdem sie satt waren, griff sich Tetsuno ein Stück Sperrholz und ritzte mit einem Stück Metall eine Skizze von Kama-To hinein. Die anderen drei blickte ihm über die Schulter und der Feuermagier murmelte: "Also... wir laufen jetzt zurück zur Gabelung und nehmen dann die Straße nach Westen. Die dürfen wir eine Zeit lang nicht verlassen, weil südlich davon die Wasser-Yorukage ihr Räuberlager haben. Irgendwann macht die Straße dann einen Knick nach Norden und führt nach einiger Zeit direkt durch den verhexten Wald hindurch. Dahinter werden wir auf eine Sperre stoßen... die ist da schon seit Längerem, aber es wurde noch nicht geplant, sie wieder abzubauen. Entweder wir gehen links oder rechts dran vorbei, jedenfalls können wir nicht auf der Straße bleiben. Wenn wir links rum gehen, verlieren wir einen Haufen Zeit, wenn wir rechts rum gehen...", er schluckte schwer, "müssen wir... durch..." DBO unterbrach Tetsuno und klopfte ihm auf die Schulter. "Schon gut, Kasai, das überlegen wir uns, wenn wir am Räuberlager vorbei und durch den Wald durch sind. Das ist erst mal Herausforderung genug." Tetsuno nickte einsichtig und das war dann auch das Letzte, was sie an diesem Abend noch besprachen. Ashi und Tetsuno trainierten noch eine Weile, während DBO und Ivy schon am Feuer schnarchten. Wenig später lagen auch die beiden anderen geschafft im Baustellenstaub und fielen ins Reich der Träume. Part 11: Das goldene Kästchen Am Morgen darauf machten sich die Vier daran, zurück zur Gabelung zu marschieren. Keiner von ihnen erwartete, dass die Sperre inzwischen aufgehoben worden war, und so stellten sie sich auf einen mehr oder weniger angenehmen Marsch westlich um den Nemui Kyojin herum ein. Die Sonne strahlte an diesem Tag zur Abwechslung mal wieder und die vier Asahoshi waren bester Laune. Die Gegend um sie herum wurde zusehends wieder ansehnlicher und die Gewitter-Yorukage gerieten bald in Vergessenheit. Es gab schließlich viel Wichtigeres zu besprechen... "Aaaaaargh, Kasai, jetzt HÖR endlich auf, mir dauernd in den Rücken zu pieksen!!" "Was?? Ich mach doch gar nichts!" "Natürlich machst du was! Pass auf, wo du mit deinem dämlichen Schwert rumstocherst!" "Mein Schwert ist auf meinem Rücken, du Blindfisch." "Und was piekst mich dann bitte die ganze Zeit von hinten??" "Idiot. Da hängt ein Zweig hinten an deinem T-Shirt. Wo hast du dich wieder rumgetrieben, dass der sich da verfangen konnte?" Ashi verdrehte die Augen. Sie konnte sich auch nicht helfen; irgendwie nervte sie der ewige Streit zwischen den beiden Jungs mächtig. Ivy hingegen, die neben ihr lief, kicherte vergnügt. "Sind die zwei immer so süß?", erkundigte sie sich bei Ashi. Ashi sah Ivy entgeistert an. "Hast - hast du gerade süß gesagt?? Ivy, die beiden sind die Kampfhähne der Nation! Sie benehmen sich einfach nur kindisch! Wo soll da was süß sein??" "Aaach, komm schon", meinte Ivy grinsend, "was sich neckt, das liebt sich doch." Ashi warf einen raschen Blick auf die immer noch zankenden Jungs und wandte sich dann wieder Ivy zu. "Lass sie das bloß nicht hören, sonst reißen sie sich noch gegenseitig die Köpfe ab." Das Grinsen wich nicht von Ivys Gesicht, doch sie schloss das Thema einsichtig ab. "Okay, reden wir über was Anderes. Wie lange bist du schon mit den beiden unterwegs?" "Ich bin vor zehn Tagen losgezogen und hab Tetsuno getroffen. DBO ist erst seit ein paar Tagen bei uns." Ivy nickte interessiert. "Verstehe. Und wo wollt ihr hin?" "In den Norden", antwortete Ashi, "kennst du den Himitsu-Tempel?" "Klar doch. Jeder kennt ihn. Und wie kommst du mit Tetsuno und DBO klar?" Ashi war froh, dass Ivy nicht weiter nach ihren Absichten fragte und verzog das Gesicht. "Geht so. Eigentlich sind sie ja beide in Ordnung... aber Tetsuno geht mir manchmal schon mächtig auf den Wecker." Ivy warf Tetsuno, der DBO gerade die Zunge rausstreckte, einen Blick zu. Sie lächelte. "Wieso das denn? Ich find ihn richtig schnuckelig." Ashi schnitt eine angewiderte Grimasse. "Gut, ist wohl Geschmackssache", meinte sie zweifelnd, "aber ich sag's dir, der ist ein Wolf im Schafspelz. Manchmal labert er so viel Mist, dass ich ihn am liebsten verprügeln würde... aber erstens kann ich das nicht und zweitens wär ich meinen Fremdenführer dann los. Ende der Reise." "Fremdenführer?", wiederholte Ivy überrascht. "Was hast du denn geglaubt, was er ist?" Ashi seufzte. "Ich kenn mich hier in Kama-To nicht aus. Ich komme vom Land... und brauche jemanden, der mich sicher zum Tempel bringt. Deswegen hab ich Tetsuno angeheuert. Damals dachte ich ja auch noch, er sei ganz okay... und jetzt hab ich den Salat." Ivy schüttelte lächelnd den Kopf. "Ach was. Du hättest es viel schlimmer erwischen können, Ashi, glaub mir. Tetsuno ist ein Engel gegen manche Typen, die dir hier begegnen und dich gnadenlos übers Ohr hauen. Er ist wenigstens ehrlich." "Ja, sicher", brummte Ashi und kickte einen Stein aus dem Weg, "seit DBO da ist, hat er zum Glück jemand anderen, den er verarschen kann. So krieg ich nicht mehr die volle Ladung ab." Ivy lachte. "Oh je, ihr beiden lasst euch aber schnell ärgern. Versuch doch mal, nett zu ihm zu sein!" Ashi grinste schief. "Ivy, ich glaub, bei dir ist das was anderes als bei mir..." Mit hochrotem Kopf holte DBO die beiden Mädchen ein und marschierte mit verzerrter Miene neben Ashi her. "Hey, Mizu, soll ich jetzt weinen, weil ich alleine laufen muss?", tönte es hinter ihm. "Dieser Idiot!", fauchte DBO und richtete den Blick stur nach vorne. Ivy kicherte. "Sieht so aus, als hätte Tetsuno es mal wieder zu weit getrieben." "Worauf du einen lassen kannst", knurrte der Wassermagier, "gib dich bloß nicht mit ihm ab. Der Kerl ist lästiger als ein Sack Flöhe." "Hey", Ivy schnippte mit den Fingern und fixierte DBO, "da fällt mir ein, ich weiß ja noch gar nicht, warum du dich Ashi und Tetsuno angeschlossen hast." "Na, warum wohl", gab DBO zurück, während er sich eine braune Haarsträhne aus der Stirn wischte, "damit Ashi nicht allein mit diesem Hirnamputierten bis nach Norden gehen muss." Ivy hob die Augenbrauen. "Oh, kennt ihr euch von früher?" "Nein", antwortete DBO und hielt den Blick auf die Gabelung gerichtet, die gerade wieder in Sicht kam, "ist Ehrensache. Da vorne ist die Sperre." Alle Blicke wandten sich sofort geradeaus, wo sich der Sicherheitszaun über die Straße zum Berg hinauf erstreckte und sich ein kleiner Menschenauflauf gebildet hatte. Ashi zog die Augenbrauen zusammen. "Hey... was... was ist denn da vorne los...?" Tetsuno holte Ashi, DBO und Ivy ein und starrte ebenfalls geradeaus. "Blaulicht", bemerkte er tonlos, "die Polizei ist da... scheiße, da muss was passiert sein! Kommt!" Die Asahoshi rannten los, auf das Szenario zu. Am Zaun angekommen kämpften sie sich durch die Menge Schaulustiger bis zu einem Sicherheitsbeamten durch, der Mühe hatte, die Leute von einem freigehaltenen Stück Straße fernzuhalten. Ashi erkannte ihn sofort. Es war der Wächter, mit dem sie erst vor zwei Tagen gesprochen hatten. Sie drängelte sich zu ihm nach vorne. "Hallo, Herr Wachmann!", grüßte Ashi, während sie ihre Füße in Sicherheit brachte, damit niemand drauf trat. Der Beamte sah Ashi überrascht an. "Oh. Ihr schon wieder", gab er von sich, als er auch Tetsuno und DBO im Gewirr erkannte. Bloß nicht zu freundlich, wollte Ashi sagen, aber dann dachte sie es lieber nur und erkundigte sich: "Was ist denn hier los? Warum der Auflauf?" Der Wachmann boxte einen dreisten Bürger zurück, der versuchte über die Absperrung zu klettern, und erklärte mit gebleckten Zähnen: "Hier sind gerade zwei Yorukage durchgekommen, die ein paar wehrlose Spaziergänger überfallen haben. Die beiden haben ihre schwarze Magie eingesetzt, die Leute niedergestreckt und sie beraubt. Dann sind sie abgehauen. Wir konnten sie nicht identifizieren... meine Kollegen suchen gerade nach Hinweisen." Er deutete hinter sich, wo ein paar Polizisten eifrig den Tatort inspizierten. Ashis Gesicht verfinsterte sich. Tetsuno hatte sich bis zu ihr durchgeschlagen und hielt sich an ihrer Schulter fest, um nicht von dem Menschenstrom weggerissen zu werden. "Zwei Typen, sagen sie?", wiederholte er und trat einem lästigen Gaffer auf die Zehen, um ihn loszuwerden, "Wie sahen sie aus?" Ashi machte sich genervt aus seinem Griff los und der Wachmann kratzte sich am Kopf, wobei seine Dienstmütze verrutschte. "Hmm, lasst mich mal nachdenken... ein riesiger Kerl und eine etwas kleinere, junge Frau. Der Kerl sah ziemlich düster aus, das Mädel hatte lange rote Locken und..." "Daiya und Ryo", murmelte Tetsuno mit finsterer Miene. Der Wächter riss die Augenbrauen nach oben. "Was hast du gesagt??" Tetsuno wich zurück. "Ääh..." "... Donner und Mayo", antwortete Ashi hastig für ihn, "das, ähm... sagt man in unserem Heimatviertel so, hat ungefähr die gleiche Bedeutung wie Donner und Doria." Sie lächelte schief und Tetsuno spann den Faden weiter. "Ja, unsere Eltern betreiben zusammen ein Fastfood-Restaurant. Unsere Spezialität sind Pommes mit einem Riesenhaufen Mayo. Köstlich, ehrlich." Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und kniff Ashi in die Seite, als diese bei dem neuzeitlichen Wort Fastfood einen verständnislosen Blick aufsetzte. Der Beamte hatte den linken Mundwinkel nach oben gezogen und sah Ashi und Tetsuno an, als ob sie nicht mehr ganz dicht wären. Dann nickte er mit einem schiefen Grinsen. "Ah... verstehe. Natürlich." "Danke für die Auskunft!", zwitscherte Ashi noch, dann packte sie Tetsuno am Kragen und zog ihn in die Menschenmenge zurück. "Verdammt, Tetsuno", knurrte sie ihn an, "beinahe hättest du es vermasselt!" Der Feuermagier wollte sich gerade verteidigen, als sie plötzlich Ivys Stimme vernahmen. Die Natur-Asahoshi hüpfte ein Stück links von ihnen auf und ab und winkte ihnen eifrig zu. Neugierig steuerten Ashi und Tetsuno auf sie zu. Bei ihr angekommen deutete Ivy zur Seite. "Seht euch das an. Die laden die Verletzten gerade in den Krankenwagen ein..." Ashi und Tetsuno folgten Ivys Fingerzeig und erkannten einen Krankenwagen, ein paar Sanitäter, fünf auf Bahren liegende Zivilisten und DBO, der schon etwas weiter vorne am Geschehen stand und alle anderen überragte. Tetsuno hob die Schultern. "Ja und?" Ivy sah ihn eindringlich an. "Eine von diesen Verletzten ist eine Asahoshi. Ich spüre ihre Energie bis hierher... die Frau da auf der ganz rechten Bahre, mit den langen blonden Haaren in diesem hübschen blauen Kleid, die muss es sein!" Sofort war das Interesse von Ashi und Tetsuno geweckt und die beiden drängelten sich mit Ivy zu DBO durch, der inzwischen mit einem Sanitäter diskutierte, weil er zu der Asahoshi durchwollte. "Nichts da, wenn sie nicht mit ihr verwandt sind, darf ich sie nicht durch die Absperrung lassen", schnauzte der Krankenpfleger DBO gerade an. Der Wassermagier warf der Frau, die ihn erstaunt anstarrte, einen hilflosen Blick zu. "Aber ich..." "Entschuldigen sie", meldete sich die Frau von der Bahre mit kraftloser Stimme und sah den Sanitäter an, "würden sie die vier bitte zu mir lassen? Das sind Bekannte von mir... ich möchte mit ihnen reden, bevor ich ins Krankenhaus eingeliefert werde." Der Sanitäter bedachte Ashi, Tetsuno, DBO und Ivy mit einem misstrauischen Blick, dann nickte er widerwillig und ließ sie durch die Absperrung. Die vier Asahoshi versammelten sich um die Bahre der verletzten Frau von vielleicht zwanzig Jahren; diese brachte mühevoll ein Lächeln zustande. "Ihr seid auch Asahoshi", flüsterte sie so leise, dass es keiner der Sanitäter hören konnte, "tut gut, ein paar Verbündete zu sehen, bevor sie mich ins Gefängnis werfen." Ashi sah sie groß an. "Was?? Aber - aber wieso das denn; ich meine, du bist doch verletzt und brauchst Hilfe und..." "Sobald die anfangen mich zu untersuchen, entdecken sie mein Zeichen und das war's dann", sagte die Asahoshi mutlos. "Wo bist du verletzt worden?", wollte Ivy wissen. "Diese rothaarige Yorukage hat mir den Rücken aufgerissen", kam die Antwort hinter zusammen gebissenen Zähnen hervor. Ivy wandte sich an Ashi, Tetsuno und DBO. "Versperrt den Sanis mal den Blick und lasst mich machen." Die drei Asahoshi gehorchten verwirrt und drängten sich so um die Bahre, dass keiner der Pfleger mehr einen Blick darauf werfen konnte. Ivy ging neben der Bahre in die Hocke und bat die Frau, sich umzudrehen. Mit Müh und Not gelang es der Asahoshi, Ivy ihren Rücken zuzudrehen. Ivy zückte eine Karte aus ihrem Gürtel und zog sie rasch über ihr Zeichen. "Healing Plants!", murmelte sie und im nächsten Moment rauschte ein dichter, grüner Nebel über die Wunden der Asahoshi. In kurzer Zeit waren kaum noch ein paar Schnitte zu sehen und das Blut war verschwunden. Die junge Frau richtete sich überrascht auf. "Hey! Mir geht's schon wieder viel besser!" Sie strahlte Ivy an. "Vielen Dank!" Tetsuno grinste und wandte sich einem Sanitäter zu. "He, sie da. Können sie mir sagen, warum sie die arme Frau da auf eine Bahre verfrachtet haben? Ihr geht's blendend, hat nur ein paar Kratzer abgekriegt. Ersparen sie ihr die Krankenhauskosten, sie kommt schon alleine klar." Der Sanitäter stellte mit ungläubigen Blicken fest, dass Tetsuno Recht hatte und schüttelte verwirrt den Kopf. "Tut... tut mir leid, das muss ein Irrtum gewesen sein. Sie sahen vorhin schwer angeschlagen aus." "War nur der Schock", behauptete die Asahoshi grinsend und erhob sich langsam von der Bahre, "danke, dass sie sich Sorgen um mich gemacht haben." Möglichst schnell und unauffällig verließ sie mit Ashi, Tetsuno, DBO und Ivy den Schauplatz und sie zogen sich in einen ruhigeren Teil der Straße zurück. Dort atmete die Asahoshi erst einmal auf. "Das war knapp. Noch mal vielen Dank." "Kein Thema", meinte Ivy lächelnd, "wir sitzen schließlich alle im selben Boot." "Was ist passiert?", wollte Tetsuno wissen. Das Gesicht der jungen Frau verfinsterte sich. "Dazu muss ich mich erst einmal vorstellen. Mein Name ist Inori, ich bin eine Messedienerin des Himitsu-Tempels." Ashi zuckte zusammen. "Momentan befinde ich mich auf einem Botengang; ich sollte einen wertvollen Gegenstand aus dem Südviertel abholen, wo einer unserer pensionierten Priester lebt. Inzwischen ist er in meinem Besitz und ich bin auf dem Rückweg zum Tempel, aber wegen der vielen Sperren ist es für mich fast unmöglich, wieder in den Norden zu kommen. Und wenn ich ehrlich sein soll... hab ich auch ein wenig Angst davor, noch weiter zu reisen. Ich hätte viel Wichtigeres zu tun... ich muss dringend zu meiner Mutter nach Hause; sie ist krank und ich habe sie schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Ich weiß nicht wie es ihr geht und das lastet schwer auf mir." Sie seufzte. "Ich habe schon überlegt, ob ich dem Tempel nicht den Rücken kehren und einfach davon laufen sollte. Meine Mutter ist mir wichtiger als dieses Artefakt. Ich hatte echt Glück, dass ich es vorhin vor den Yorukage retten konnte." Ashi kaute auf ihrer Unterlippe. Tetsuno warf ihr einen warnenden Blick zu, aber da war es schon zu spät. "Wir könnten ihn für dich mitnehmen. Wir wollen auch nach Norden zum Tempel, das wäre kein Problem." Inori hob hoffnungsvoll den Kopf. "Das würdet ihr tun? Ehrlich?" "Nein", knurrte Tetsuno in Ashis Ohr, "ich warne dich, Ashi-chan, wir haben schon genug am..." "Aber gerne doch!", erwiderte Ashi und sah Inori lächelnd an, "Geh ruhig zu deiner Mutter und kümmere dich um sie, wir erledigen das für dich." Inori seufzte glücklich. "Oh, ich danke euch. Das ist wirklich lieb..." Sie wühlte in den Taschen ihres langen, ziemlich zerfetzten Kleids und förderte schließlich ein kleines Kästchen zu Tage. Es war golden; verschnörkelte Linien zogen sich über den Deckel und ließen es ziemlich wertvoll erscheinen. Als Inori das Erstaunen in den Gesichtern der Asahoshi sah, kicherte sie. "Lasst euch nicht täuschen. So kostbar es auch aussehen mag, es ist nur die Verpackung für etwas viel Wertvolleres..." "Noch wertvoller?", krächzte DBO. "Darfst du mir schon glauben", meinte Inori und zwinkerte DBO zu, "wenn ihr am Himitsu-Tempel angekommen seid, übergebt das Kästchen bitte an die Priesterin Mikomi." Ashi riss die Augen auf. "Hast - hast du gerade Mikomi gesagt???" Inori hob die Brauen. "Aber ja doch. Mikomi. Sie ist eine gute Freundin von mir und genießt großes Ansehen unter den höheren Priestern..." Rasch tauschte Ashi einen aufgeregten Blick mit Tetsuno und wollte dann atemlos wissen: "Wie sieht diese Mikomi aus, von der du redest?" Inori blickte in die Luft. "Hmm... wie könnte man Miko beschreiben... na ja, sie ist ungefähr so groß wie du, hat sehr langes schwarzes Haar mit einem interessanten Rotschimmer, graue Augen und..." Inori brach ab, als sie sah, dass Ashi Tränen in die Augen gestiegen waren. "Hey, was hast du denn?" Ashi schüttelte den Kopf. "Ach, gar nichts", murmelte sie lächelnd, "wir bringen das Kästchen zu Mikomi, versprochen. Mach dir keine Sorgen, sie wird es bekommen..." Inori nickte langsam und lächelte ebenfalls. "Gut. Ich danke euch nochmals. Ihr tut mir einen Riesengefallen. Ich wünsche euch viel Glück." Ashi nickte und schluckte einen Kloß in ihrem Hals hinunter. "Ich hoffe, deine Mutter wird bald gesund. Vielleicht sehen wir uns ja mal wieder... mach's gut!" "Ihr auch! Richtet Miko Grüße von mir aus!" Fröhlich winkte sie den Vieren zu und ging davon. Ein paar Minuten später waren Ashi, Tetsuno, DBO und Ivy auf der Hauptstraße nach Westen unterwegs. Die Sonne stand direkt vor ihnen über den Häusern und wanderte langsam, aber beständig auf den Horizont zu. Fragen über Fragen, die es zu beantworten galt. Ivy machte den Anfang und redete auf Ashi ein. "Jetzt erzähl schon, Ashi-chan! Kennst du diese Mikomi etwa?" Ashi überlegte einen Moment, dann nickte sie. "Ja. Wir haben uns mal... sehr nahe gestanden. Sie ist einer der Gründe, warum ich nach Norden will." Ivy nickte. "Verstehe. Deswegen hast du dich so gefreut, als Inori von ihr erzählt hat." Ashi seufzte. "Ja. Weißt du... ich habe sie schon ewig nicht mehr gesehen und wusste nicht mal, ob sie überhaupt noch lebt. Aber jetzt... geht es mir gleich viel besser." Sie lachte und nahm Ivys Hand. "Ich freu mich für dich", meinte Ivy lächelnd. Tetsuno machte einen Schritt neben Ashi und räusperte sich laut und vernehmlich. "Ashi-chan", setzte er an, fing sich einen bösen Seitenblick ein und korrigierte: "ASHI, schon okay, Mann, wenn Ivy das sagt, beschwerst du dich doch auch nicht. Mit dir hab ich noch ein Hühnchen zu rupfen." Ashi verdrehte die Augen. "Jetzt komm schon, Tetsuno, es ist ja wohl wirklich kein Problem, wenn wir dieses - was auch immer es ist - mitnehmen. Hätten wir Inori im Stich lassen sollen? Für sie ist es viel schwieriger als für uns nach Norden durchzukommen und sie hat was Besseres zu tun..." "Wir haben schon genug Schwierigkeiten", brummte Tetsuno mürrisch, "wenn wir jetzt auch noch so ein megawichtiges religiöses Teil mit uns rum schleppen, hocken uns die Yorukage nur noch dichter im Nacken, das ist dir ja wohl hoffentlich klar." "Ach, komm schon", meinte Ashi grinsend und knuffte ihn in die Seite, "durch dein Wundertraining werde ich so stark, dass ich uns irgendwann alle beschützen kann, selbst wenn sämtliche Yorukage Kama-Tos gegen uns stünden." Tetsuno lief rosa an. "Verarsch mich nicht." "Warum nicht? Du erlaubst dir das bei mir ja auch." "Das ist was Anderes." "Oh, lass stecken, Tetsuno." Sie wandte sich Ivy zu. "Mal was anderes: Dein Heilzauber vorhin, der war echt cool! Was war das für eine Karte?" Ivy grinste, zog die Karte hervor und gab sie Ashi. "Healing Plants. Eine Naturheilzauberkarte mit großer Macht." "Allerdings", staunte Ashi, "ich hab zwar auch eine Heilkarte, aber so riesige Wunden wie die von Inori kann ich nicht heilen. Dazu bin ich zu schwach." "Ach was. Wenn, dann ist deine Karte schwach. Du hast enorme Kräfte, Ashi-chan", widersprach Ivy. Ashi lachte hohl. "Ja, sicher doch. Ich brauch noch Jahre, bis ich annähernd so gut bin wie einer von euch Dreien." "Darf ich dich dran erinnern", mischte sich DBO ein, "dass du Kasai vor zwei Tagen auf der Baustelle fertig gemacht hast? Der hatte null Chancen gegen dich." "Halt die Klappe, Mizu!", knurrte Tetsuno, "Natürlich hatte ich eine Chance! Ich war nur nicht drauf vorbereitet, dass Ashi-chan ne neue Karte hat. Woher sollte ich das denn wissen?" DBO zuckte unbeeindruckt mit den Schultern. "Mit Überraschungseffekten musst du zurechtkommen, wenn du dich einen großen Elementzauberer nennen willst." "Ja klar, da bist du mir nämlich haushoch drin überlegen, nicht wahr?", spottete Tetsuno, "Ich erinnere mich nicht an den Tag, an dem du mich schon mal besiegt hast. Spiel dich hier nicht so auf." "Tu ich gar nicht! Außerdem KÖNNTE ich dich schlagen, wenn ich es nur wollte, du Großmaul!!" "Ach ja??? Versuch's doch!!" Ashi packte Tetsuno am Kragen und Ivy übernahm DBO. "Macht euch kein' Stress, Jungs", befahl Ivy, "wir brauchen unsere Kräfte noch, wenn wir die nächsten Tage überleben wollen. Stichwort Räuberlager." Tetsuno und DBO bombardierten sich gegenseitig mit giftigen Blicken und veranstalteten ein Geknurre wie von einem ganze Rudel Wölfe, sahen aber beide ein, dass Ivy Recht hatte und hielten sich zurück. Es wurde rasch Abend und die vier Asahoshi sahen sich in ihrer neuen Umgebung nach einem Schlafplatz um. Hier an der westlichen Hauptstraße waren die Häuser nicht mehr ganz so fortschrittlich gebaut wie im Ostviertel und an der südlichen Straße. Hochhäuser sah man hier überhaupt nicht, es gab nur hübsche kleine Häuschen von gerade mal ein bis zwei Stockwerken. Die Gegend wirkte ruhig und friedlich, doch es war niemand auf der Straße zu sehen. Nur ab und zu eilte mal ein Passant vorbei, die Leute ignorierten die Asahoshi allerdings. Ashi versuchte sich mit dem Gedanken zu beruhigen, dass es einfach schon ziemlich spät waren und die Leute wohl kaum noch Zeit hatten. "Ziemlich unfreundlich, die Leute hier", meinte Tetsuno dennoch und sah einer jungen Frau nach, die gerade ohne ein Wort und nur mit einem misstrauischen Blick an ihnen vorbeimarschiert war. Ivy nickte nachdenklich. "Ja. Es scheint irgendwie so... als hätten sie vor etwas Angst. Zumindest scheinen sie keine Fremden zu mögen." DBO lachte hohl. "Habt ihr mal an das Räuberlager gedacht? Ist doch klar, dass sie Fremden gegenüber nicht gerade aufgeschlossen sind, wenn jeder zweiter in der Menge ein Langfinger ist." "Hey, meine Adleraugen haben was aufgespürt, Mädels", verkündete Tetsuno plötzlich und deutete schräg nach rechts, "da drüben scheint's einen kleinen Park zu geben. Wie wär's, da könnten wir doch eigentlich nächtigen, oder?" Alle waren einverstanden, der Park sah sehr sauber und gepflegt aus. Also suchten sie sich dort ein schönes Plätzchen unter Kastanien, weit weg von der Hauptstraße und Tetsuno und Ashi trainierten noch ein wenig, bevor der Feuermagier ein Feuer herauf beschwor, über dem sie ihr Abendessen rösteten: Würstchen und Brot. Während der Himmel sich allmählich schwarz färbte und die ersten Sterne zum Vorschein kamen, kaute Ashi nachdenklich auf einem Stück Brot herum und spielte mit dem goldenen Kästchen in ihren Händen, das sie von Inori bekommen hatten. "Wenn ich nur wüsste, was da drin ist", murmelte sie und fuhr mit ihren Fingern die feinen, goldenen Linien nach, "würde mich doch zu sehr interessieren..." Ivy rückte ein Stück näher zu Ashi und betrachtete das Kästchen ebenfalls. "Es muss was ungeheuer Wertvolles sein... wenn es wirklich kostbarer sein soll als die Verpackung." Tetsuno zuckte mit den Schultern. "Mach's doch auf und schau nach. Dann weißt du, was drin ist." Ashi warf ihm einen empörten Blick zu. "Tetsuno! Das geht mich doch nichts an! Es ist irgendein wichtiges, religiöses Artefakt und gehört nur in die Hände der Himitsu-Priester." Tetsuno feixte. "Und warum liegt es dann grade in deinen?" "Wir überbringen das nur, schon vergessen?", pflaumte Ashi giftig zurück. "Ach, tu doch nicht so, irgendwann hältst du's ja doch nicht mehr aus und guckst rein." "Tu ich nicht! Ich bin ehrlich!" "Ja, sicher. Aber verdammt neugierig auch, Ashi-chan." "Ich heiße ASHI, du Idiot!" "Ashi-du-Idiot? Netter Name. Ich dachte immer, es hieße nur Ashi..." "Jetzt hör endlich auf, mich zu nerven!!" Ivy hatte während des Streits ihre Gitarre hervorgezogen und begann jetzt, sanft ein paar Akkorde zu spielen. Die Klänge beruhigten Ashi wieder einigermaßen und sie drehte sich einfach zu Ivy um, damit sie Tetsunos dumm grinsendes Gesicht nicht mehr sehen musste. Sie setzte sich ein paar Meter neben Tetsuno zu der Naturmagierin, die ihr zulächelte und eine ruhige Melodie spielte. DBO, der immer noch neben Tetsuno am Feuer saß, warf dem Feuermagier einen überlegenen Blick zu. "Jetzt hast du's dir mal wieder verscherzt mit Ashi, Kasai." Tetsuno zuckte mit den Schultern. "Ach was. War doch nicht ernst gemeint. Ich liebe es, sie zu verarschen." DBO verdrehte die Augen. "Du bist so abartig, Kasai. Tust du dir nicht manchmal selber leid?" "Jetzt komm mir nicht wieder auf die Tour", ächzte Tetsuno genervt, "für heut hab ich genug." DBO spielte an den klappernden Rollen seiner Skates herum und sah ins Feuer. "Warum musst du Ashi eigentlich immer ärgern?" "Das hab ich dir doch schon erklärt. Macht eben Spaß..." Die Rollen hörten auf zu klappern und DBO warf Tetsuno einen scharfen Blick zu. "Hör zu, ich hab ja nichts dagegen, wenn du mich die ganze Zeit über nervst, aber lass sie in Ruhe!" "Seit wann bist du so parteiisch, Mizu?", erkundigte sich Tetsuno mit hochgezogenen Brauen. "Wenn's um dich geht, bin ich immer parteiisch. Außerdem hab ich Mitleid mit ihr. Ashi hat's nicht leicht." Tetsuno lachte kurz auf. "Woher willst du denn das wissen?" DBO starrte zu Ashi hinüber, die neben Ivy im Gras saß und gedankenverloren den Klängen der Gitarre lauschte, während sie den Sternenhimmel betrachtete. "Man sieht es ihr doch an. Ihre Augen sind so leer... sie tut so, als würde sie keine Sorgen haben, aber das ist nur Fassade. Irgend etwas liegt ihr schwer auf dem Herzen. Und sie scheint im Konflikt mit sich selbst zu liegen. Ich frage mich, warum sie so viel Abstand von uns hält..." "Abstand?" Tetsuno sah ihn zweifelnd an. "Guck sie dir doch an, siehst du da noch irgendwo Abstand zwischen ihr und Ivy?" "Das mein ich nicht", widersprach DBO, "du hast ja recht, manchmal scheint sie nicht mehr dran zu denken, aber... es kommt mir so vor, als ob sie sich so weit wie möglich von uns fernhalten will. Oder weißt du vielleicht so wahnsinnig viel über sie, Kasai?" Er sah Tetsuno herausfordernd an. Der Feuermagier rutschte unbehaglich hin und her. "Wenn ich ehrlich sein soll... weiß ich so gut wie gar nichts über sie. Gut, sie hat mir ein wenig von ihrer Vergangenheit erzählt - aber alles nur sehr vage, ein ziemlich blasses Bild. Ergibt bei mir keinen rechten Sinn." DBO schien überrascht. "Sie hat dir - von ihrer Vergangenheit erzählt? DIR??" Tetsuno zuckte mit den Schultern. "Ist das so schlimm?" Der Wassermagier lachte abgehackt und ungläubig. "Schlimmer, als du denkst... ich nehme an, von dir weiß sie überhaupt nichts?" Tetsuno zuckte zusammen und warf Ashi einen nervösen Blick zu. "Ja, das dachte ich mir. Das ist typisch für dich, Kasai. Steckst deine Nase zu tief in die Angelegenheiten anderer und behältst deine Geheimnisse für dich. Sie hält dich also für einen lebensfrohen Schwertkämpfer, der durch Kama-To pilgert, um Perfektion im Kartenzauber zu erreichen, hab ich recht?" "Halt die Klappe, Mizu", knurrte Tetsuno, ohne den Blick von Ashi zu nehmen, "mehr muss sie nicht wissen. Noch nicht." DBO schüttelte angewidert den Kopf. "Gern. Mit dir will ich eh nichts zu tun haben. Ich für meinen Teil leg mich jetzt schlafen. Wünsche angenehme Träume." Mit diesen Worten rutschte er so weit wie möglich von Tetsuno weg und rollte sich auf dem Parkrasen zusammen. Tetsuno ignorierte ihn und stocherte mit einem Stock in der Glut herum, während er finster in die Flammen starrte. Ein wenig später gesellte sich Ivy zu ihm und grinste ihn an. "Hallo. Nett, dass du noch auf bist... Ashi-chan war wohl zu müde." Sie deutete hinter sich, wo Ashi jetzt im Gras lag, die Augen geschlossen. "Hatte ja ein hübsches Schlaflied", gab Tetsuno zurück und lächelte wieder. Ivy betrachtete den Abstand zwischen Ashi und der Feuerstelle. "Warum hat sie sich eigentlich nicht mit ans Feuer gesetzt? Da hinten ist es doch viel kälter..." Der Feuermagier zuckte mit den Schultern. "Sie hat mir erzählt, dass sie kein Feuer mag. Angst, wenn du mich fragst. Warum auch immer." Ivy lachte leise. "Ashi-chan mag kein Feuer? Und ist mit jemandem wie DIR unterwegs...?" Tetsuno grinste. "Ja, ich weiß, find's ja auch etwas seltsam... ich war eben die Notlösung. Was anderes hat sie nicht gefunden." Ivy blickte zum Himmel. "Aber warum hat sie Angst vor Feuer? Wie könnte diese Angst entstanden sein?" "Finger am Bügeleisen verbrannt, auf die Herdplatte gesetzt, mit der Heißklebepistole ausgerutscht, über den Grill gestolpert... was weiß ich. Ist doch ganz normal, dass manche Leute solche Phobien haben." "Hmmm... na gut... wenn du meinst..." Ivy gähnte zierlich und hielt sich die Hand vor den Mund. "Oh je, ich werde langsam auch müde. Ist ja auch schon spät... gute Nacht, Tetsuno. Ich leiste Ashi-chan Gesellschaft." Sie lächelte und krabbelte zu Ashi zurück, neben die sie sich ins Gras legte. Zwei Minuten später war sie eingeschlafen. Tetsuno atmete tief durch. Sein Blick wanderte von dem schnarchenden DBO über die im Traum zuckende Ashi bis hin zur friedlich schlummernden Ivy. Er schickte ein Stoßgebet zum Himmel und legte sich ebenfalls ins Gras. Part 12: Alte Fesseln Der nächste Tag begann nicht sonderlich ermunternd. Die vier Asahoshi wurden von einem kräftigen Regenguss geweckt, der sich kurz nach Sonnenaufgang einstellte und absolut nicht mehr aufhören wollte. An Frühstück war also erst mal nicht zu denken, keiner hatte Lust auf durchweichte Brotscheiben. Also mussten sie sich gedulden und beschlossen schon einmal weiter zu ziehen und einen Unterschlupf zu finden. Irgendwann kamen sie dann doch noch zum Frühstück, tauften es allerdings in Mittagessen um, weil die Sonne - auch wenn sie nicht wirklich zu sehen war - inzwischen schon ganz weit oben stand. Einen wirklichen Unterstand aufzutreiben war schwieriger gewesen, als sie es sich erträumt hatten. In diesem Viertel Kama-Tos schien so etwas nicht zu existieren. Die Mittagspause wurde also unter einem steinernen Denkmal abgehalten, das sie wenigstens einigermaßen vom Regen abschirmte. Gute Laune hatte heute eigentlich nur Ivy, aber bei der war das ja nichts Besonderes. Die anderen Drei latschten mit langen Gesichtern neben dem Sonnenschein her und Ivy versuchte immer wieder verzweifelt, ihre Freunde aufzumuntern. Der Dauerregen verzog sich erst gegen Abend wieder und die Vier waren heilfroh darum. Als es aber wieder darum ging einen Schlafplatz zu finden, wurden sie fast wahnsinnig. Es gab da zwar einen wunderschönen, großen lauschigen Park - aber da war natürlich alles durchnässt. Da sich jedoch nichts Besseres fand, mussten die Asahoshi eben ihr Nachtlager in einer uralten, feuchten Eiche aufschlagen. Die Laune von Ashi, Tetsuno und DBO hatte sich nicht wirklich gehoben, aber jetzt reichte es Ivy. Sie befahl Tetsuno, ein Feuer heraufzubeschwören und erklärte, dass sie jetzt ein Abendessen zaubern würde, von dem die drei anderen nur träumen konnten. Die Aussicht auf etwas Leckeres zu Essen - nicht wie sonst der Dosenfraß - motivierte Ashi und Tetsuno dann doch tatsächlich noch dazu, ein wenig Trainieren zu gehen. DBO blieb also bei Ivy zurück und erbot sich, ihr beim Kochen zu helfen. Ashi und Tetsuno marschierten eine Weile lang über den matschigen Parkboden und machten auf einer Lichtung in der Nähe ihrer Freunde Halt. Tetsuno zog das Schwert von seinem Rücken, stützte sich darauf ab und atmete tief durch. "Okay. Fangen wir an. Aber heut hängst du dich mal so richtig rein, klar? Du hast in letzter Zeit nachgelassen, Ashi-chan." "Ashi", korrigierte die Angesprochene ungeduldig, "und was soll das heißen, ich hab nachgelassen?" Tetsuno erhob sein Schwert und säuberte kritisch die Spitze. "Das soll heißen, dass du schon mal besser warst. Seit einigen Tagen fehlt bei dir einfach der Biss." Ashi schnaubte. "Ach ja? Das ist ja interessant. Dann lass mich hier mal klarstellen, dass ich mich immer reinhänge, wenn ich mit dir trainieren soll. Immerhin hab ich dich darum gebeten; ich will stärker werden und von diesem Entschluss bringt mich keiner ab." Tetsunos Augen blitzten auf und er hob seine Klinge. "So gefällst du mir schon besser. Na los, zeig, was du drauf hast." Ashi ließ sich nicht lange bitten. Im Nu beförderte sie eine Karte zu Tage und setzte den Whirlwind Blast ein. Der Wirbelsturm schwoll auf drei Meter Größe an und fegte im Höllentempo auf Tetsuno zu. Der Feuermagier setzte Burning Heat ein und hielt mit einem Feuerball dagegen. Die beiden Attacken hielten sich eine Weile lang die Waage, dann krachte der Feuerball direkt durch den Wirbelsturm hindurch und raste auf Ashi zu. Die Wind-Asahoshi warf sich überrascht zur Seite weg und entkam der Feuerattacke im letzten Moment. Sie wollte sich gerade aufrichten und den Matsch von ihren Kleidern wischen, als die Spitze von Tetsunos Schwert knapp neben ihrem Hals in den Boden stach. Ashi keuchte erschrocken auf und rutschte einen Meter beiseite. Tetsuno sah abschätzend auf sie herab. "Ich sagte doch, du warst schon mal besser. Glaubst du mir jetzt? Immerhin hast du es schon mal fast geschafft, mich zu besiegen. Was ist los mit dir?" Wütend stand Ashi endgültig vom Boden auf und wischte den Dreck von ihrem Arm. "Ich gebe mein Bestes, klar? Vielleicht bin ich einfach zu schwach für deine Trainingsmethoden, kann sein, dann sag es mir aber gleich ins Gesicht und laber mich nicht dumm an! Deine Sprüche gehen mir so was von auf den Wecker, Tetsuno!" Das Gesicht des Feuer-Asahoshi verfinsterte sich. "Du bist nicht zu schwach für mein Training, das weißt du selber ganz genau. Ich glaube, dir vergeht nur langsam die Lust daran. Dann kannst du aber von mir auch nicht erwarten, dass ich dich stärker mache. Von nichts kommt nun mal nichts." Die Funken sprühten aus Ashis Augen. "Jetzt reicht's mir aber gleich...! Was unterstellst du mir eigentlich?? Natürlich hab ich noch Lust zum Trainieren, sonst würde ich es doch aufgeben und dir das klar sagen!" "Und warum kommt es mir dann so vor, als ob es dir langsam zu viel wird?" "ES WIRD MIR NICHT ZU VIEL!!", schrie Ashi den Feuermagier an, "Ich will ja stärker werden, versteh mich doch, aber ich kann es eben einfach nicht!" Ihre Stimme brach ab und sie senkte den Kopf. Noch bevor Tetsuno irgendwie reagieren konnte, sagte sie leise: "Tut mir leid. Ich wollte dich nicht anschreien. Vielleicht hast du ja recht. Vielleicht wird mir wirklich alles zu viel. Ich bin wohl doch zu schwach..." Tetsuno sah in das traurige Gesicht der Windzauberin und schüttelte langsam den Kopf. "Das bist du nicht. Ich weiß, dass in dir viel mehr steckt, als dir oder mir gerade bewusst ist. Irgendwann wirst du eine verdammt große und mächtige Magierin sein, Ashi-chan. Und ich möchte dir gern dabei helfen, stark zu werden." Ashi sah ihn warnend an. "Ich heiße ASHI. Merk's dir endlich." Dann wurde ihr Blick wieder sanfter. "Aber das hast du eben lieb gesagt. Danke." Tetsunos Blick blieb an ihren wolfsgrauen Augen hängen und für einen Moment war es ganz still um die beiden. Dann sprangen plötzlich wie aus dem Nichts ein halbes Dutzend Schatten von den Seiten her auf die zwei Asahoshi zu und im nächsten Augenblick lagen Ashi und Tetsuno am Boden. Bevor beide noch reagieren oder Tetsuno wenigstens nach seinem Schwert greifen konnte, spürten sie einen Schlag auf den Hinterkopf und alles wurde dunkel. DBO marschierte genervt durch die große Parkanlage, die Hände gelangweilt in den Hosentaschen vergraben. Er hatte keine Ahnung, warum er eigentlich auf die Lichtung zusteuerte, wo er Ashi gerade losbrüllen gehört hatte. Ivy hatte ihn losgeschickt, er solle nachsehen, was da los war und ob Ashi gerade dabei war, Tetsuno zu erwürgen. Mal abgesehen davon, dass DBO nicht wirklich etwas dagegen gehabt hätte, ging ihn das doch nun wirklich nichts an. Gut, der einzige Grund, warum er sich Ashi und Tetsuno angeschlossen hatte, war, dass er Ashi einfach vor diesem Irren beschützen wollte - aber wenn die beiden sich so richtig angifteten und Streit hatten, dann wollte er lieber doch nicht dabei sein. Na ja, andererseits... wenn sie sich so richtig, richtig in die Haare kriegten, hatte Ashi vielleicht endlich genug und sie würde ohne Tetsuno weiterziehen. Dann konnte er sie begleiten, ohne ständig von seinem Erzrivalen genervt zu werden. Tief in Gedanken versunken merkte DBO erst, dass er die Lichtung erreicht hatte, als er schon mitten drauf stand. Er riss überrascht die Augen auf und drehte sich einmal um die eigene Achse. Keine Spur von Ashi und Tetsuno? Wie seltsam. Aber von hier war doch Ashis Gebrüll gekommen... oder etwa nicht? Während er sich am Hinterkopf kratzte und sich ernsthafte Sorgen um seinen Orientierungssinn machte, ging DBO die Lichtung auf und ab - so lange, bis er plötzlich auf etwas Hartes, metallenes trat. Sofort zog er den Fuß zurück und blickte zu Boden. DBO sog überrascht die Luft ein. Das war doch... "Kasais Schwert??" Genau so war es. Dort auf dem Boden, im nassen Gras, lag Tetsunos Klinge. DBO verstand überhaupt nichts mehr. Vollkommen verwirrt hob er die Waffe auf und betrachtete sie. "Kasai lässt sein Schwert nie herumliegen", murmelte er beunruhigt, "verdammt, da ist irgendwas faul..." Urplötzlich ertönte von weit her ein grauenvolles Lachen. DBO packte den Griff von Tetsunos Schwert fester und horchte genau hin. Dann rannte er weiter in den Park hinein, in die Richtung, aus der das Lachen gekommen war. Ein paar Minuten lang war er unterwegs, dann strauchelte er erschrocken und duckte sich hinter einen Baum. Vorsichtig streckte er den Kopf hervor und erblickte ungefähr ein halbes Dutzend zwielichtiger Typen, die dort im Schneckentrab durch den Park marschierten. Sie unterhielten sich lautstark und schleiften zwei Bündel hinter sich her. DBO rieb sich die Augen. Zwei ziemlich große Bündel. Er blinzelte. Dann rutschte ihm das Herz in die Hose. Das, was zwei dieser unheimlichen Kerle da am Arm hinter sich her schleppten, waren keine Bündel. Es waren ohne Zweifel Ashi und Tetsuno. Bewusstlos. "IVY!!" DBO hastete durch den Park zurück zur Lagerstelle, wo Ivy gerade am Feuer saß und etwas in einem Topf umrührte. "IVY! VERDAMMT, ES GIBT MÄCHTIG ÄRGER!!" Ivy sah verwundert von ihrer Beschäftigung auf und erblickte DBO, der vollkommen mit den Nerven fertig und keuchend vor ihr zum Stillstand kam. "Hey, hey, cool bleiben", versuchte sie den Wasserzauberer zu beruhigen, "was ist denn passiert, du führst dich ja auf, als ob sich die beiden wirklich gegenseitig umgebracht hätten..." "Nicht ganz", ächzte DBO und wischte sich den Schweiß von der Stirn, "ich hab auf der Lichtung, wo sie trainiert haben, Kasais Schwert gefunden und bin einem irren Lachen gefolgt - dann bin ich auf ein paar düstere Typen gestoßen, die Richtung Süden davongezogen sind und... scheiße, Ivy, diese Kerle hatten Ashi und Kasai dabei, die beiden sind K.O. und..." Weiter kam DBO nicht, denn Ivy war bereits aufgesprungen und hatte seine Hand gepackt. "Schnell! In welche Richtung sind sie abgehauen? Wir müssen ihnen sofort folgen, sonst ist es vielleicht zu spät!" Im Höllentempo spurtete DBO mit Ivy los und rannte den Weg zurück, auf dem die düsteren Gestalten mit Ashi und Tetsuno verschwunden waren. Die beiden liefen immer weiter nach Süden, bis der Park urplötzlich an einem grasbewachsenen Abhang endete und in eine Senke führte. Ivy strauchelte und wäre fast den Hang hinunter gefallen, wenn DBO sie nicht hastig zurückgezogen hätte. Rasch duckten sich die beiden an die Kante des Hügels und blickten auf die mondhelle Ebene hinunter. Was die zwei Asahoshi sahen, gefiel ihnen überhaupt nicht. In der Senke war ein gutes Dutzend Zelte in wilder Unordnung aufgestellt worden, einige von ihnen waren von innen hell erleuchtet, die anderen dunkel. In der Mitte des Platzes brannte ein großes Lagerfeuer, um das sich ein paar dunkel gekleidete Typen geschart hatten und Fleisch über den Flammen brieten. Die ganze Senke war von hohen Bäumen eingeschlossen, die zwar bestimmt noch zum Park, aber nicht mehr zu dem benutzten Teil gehörten. Alles in allem wohl das perfekte Versteck für Leute, die nicht gefunden werden wollten. "Das Räuberlager", murmelte DBO stirnrunzelnd, "na klasse. Wir haben es gefunden, Ivy. Und so wie's aussieht, haben die Räuber auch was gefunden - nämlich Ashi und Kasai." Ivy sah den Wassermagier unsicher an. "Ich hab von dieser Bande gehört, aber... das sind doch Yorukage, oder?" DBO nickte grimmig. "Ja. Vermutlich haben sie Ashi und Kasai beim Trainieren entdeckt und geschnallt, dass die beiden Asahoshi sind - ein gefundenes Fressen für diese Typen. Die sind so skrupellos, wir müssen uns echt was einfallen lassen und uns beeilen, wenn wir die Zwei nicht im Plastiksack wieder mit nach Hause schleppen wollen." Ivy biss sich auf die Unterlippe. "Verdammt, jetzt haben wir echt ein Problem... soweit ich weiß, besteht die ganze Bande nur aus Wasser-Yorukage, stimmt das?" DBO nickte. "Jau." "Dann haben Ashi und Tetsuno keine Chance, wenn es zu einem Kampf kommen sollte. Erstens sind die Yorukage in der Überzahl und zweitens beherrschen Ashi-chan und Tetsuno genau die beiden Elemente, die gegen Wasser keine Chance haben. Feuer wird sofort von Wasser gelöscht und Wind verleiht dem Wasser nur noch mehr Durchschlagskraft. DBO, jetzt sind wir an der Reihe." Sie sah den Wassermagier ernst an. "Du dürftest ganz gut mit ihnen klarkommen, aber wir sind trotzdem nur zu zweit, das verschlechtert unsere Chancen wieder. Ich kann von Glück sagen, dass ich den Naturzauber beherrsche, darauf fallen die Wassermagier reihenweise rein." Sie grinste DBO an. Der hob die linke Augenbraue. "Na, wenn du meinst... was schlägst du also vor, oh unwiderstehliche Poison Ivy?" "Erst mal müssen wir warten, bis die Räuber alle schlafen und dann rauskriegen, wo sie Ashi und Tetsuno hingebracht haben", erklärte Ivy nervös, "dann kommt es darauf an, dass wir sie ungesehen aus dem Lager kriegen. Sollte es zu einem Kampf kommen, dann verlass dich auf mich. Du würdest staunen, wenn ich dir verraten würde, welche Chancen ein Wasserzauberer wie du gegen Poison Ivy hat." Sie zwinkerte ihm zu und die beiden legten sich am Abhang auf die Lauer, um die Räuber am Lagerfeuer zu beschatten. Ashi stöhnte, als sie ganz langsam wieder zu sich kam. Ihr Kopf dröhnte, als hätte sich ein Elefant draufgesetzt und vor ihren halb geöffneten Augen tanzten bunte Kreise hin und her. Mit einer Grimasse schüttelte sie heftig den Kopf, aber dadurch wurde das Schwindelgefühl nur noch schlimmer. Ashi verstand nur noch Bahnhof. Was, zum Geier, war eigentlich passiert? "Ashi-chan?" Eine vertraute Stimme. Ashi wandte den verschleierten Blick zur Seite und erkannte Tetsunos Gesicht. Das erste, was ihr auffiel, war ein langer Kratzer quer über seine Stirn. "Alles okay mit dir?" Ashi nickte schmerzlich und wollte sich den Kopf halten - was aber nicht funktionierte, da ihre Hände hinter ihren Rücken gefesselt waren. So langsam nahm ihre Umgebung wieder schärfere Umrisse an und Ashi erkannte, dass sie und Tetsuno in einer Art Zelt saßen, beide mit dicken Stricken an einen Pfahl gebunden. Wieder schüttelte sie den Kopf. "Tetsuno", brachte sie kraftlos hervor, "was zum Teufel ist hier los?" Der Feuermagier lachte tonlos. "Das wüsste ich auch gerne, glaub mir. Ich kann dir ja mal meine Theorie vorlegen, vielleicht lieg ich gar nicht mal so falsch. Also: Wir sind zu nah an dieses berüchtigte Räuberlager rangegangen, als wir einen Schlafplatz gesucht haben, und dann beim Trainieren von diesen Gaunern beobachtet worden. Die Typen haben gecheckt, dass wir zum Asahoshi-Clan gehören und sich einen Spaß draus gemacht, uns mal eben aus dem Hinterhalt zu überfallen und uns eins über die Birne zu ziehen. Schwupp, wir fliegen in Ohnmacht und diese Arschlöcher verfrachten uns in ihr Lager, wo uns wohl niemand finden wird. Wenn meine Vermutung stimmt, dann haben wir doch echt rosige Aussichten, oder?" "Lass die Sprüche stecken", brummte Ashi niedergeschlagen, "ich schließ mich deiner Theorie an. Wir sitzen verdammt tief in der Scheiße." Total fertig ließ sie ihren Kopf zurück an den Pfahl sinken. "Unsere einzige Chance sind Ivy und Mizu", überlegte Tetsuno, "wenn die beiden rechtzeitig mitgekriegt haben, dass wir in Schwierigkeiten stecken, sind sie uns vielleicht gefolgt." "Und was wollen die beiden gegen ein ganzes Räuberlager unternehmen?", gab Ashi monoton zurück, "Die haben doch nicht die geringste Chance, Tetsuno." "Wart's ab. Ivy ist immerhin eine Naturzauberin. Die sind neben den Gewittermagiern die Gegner, die Wasserzauberer am meisten fürchten. Und Mizu kennt sich mit dem Element dieser Gauner bestens aus. So schlecht sieht's doch gar nicht aus für die beiden." Ashi seufzte. "Dazu müssten sie uns erst mal finden. Aber wie sollen sie mitgekriegt haben, dass diese Typen uns weggebracht haben? Die dachten bestimmt, wir würden einfach nur so viel Spaß am Trainieren haben, dass es eben etwas länger gedauert hat. Natürlich, inzwischen suchen sie wahrscheinlich nach uns, aber... wer weiß, wie weit das Räuberlager von unserem Trainingsplatz entfernt ist. Sie werden uns nie finden, Tetsuno. Höchstens, wenn es schon zu spät ist. Außerdem können wir nicht von ihnen erwarten, dass sie das alleine regeln. Wir müssen schon versuchen, uns hier selbst rauszuholen." "Fängst du schon wieder mit der Ich-bin-stark-und-kann-alles-Nummer an?" Tetsuno schüttelte genervt den Kopf. "Alles was recht ist, Ashi-chan, ist dir mal aufgefallen, wo wir hier sind? In einem Zelt ohne jegliche Hilfsmittel mit Seemansstricken an einen massiven Holzpfahl gefesselt. Wie willst du hier bitte rauskommen?" Ashi wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als sich plötzlich ein Schatten am Zelteingang aufbaute. Ein riesenhafter Kerl, um dessen Hals an die zwölf goldene Ketten baumelten, streckte den Kopf herein und grinste die beiden Gefangenen an. "Ihr seid ja doch noch aufgewacht. Na, süß geträumt, ihr beiden Schwächlinge?" Tetsuno fletschte die Zähne und Ashi, die direkt neben ihm saß, spürte wie sich seine Fäuste hinter dem Pfahl ballten. Der Räuber warf ihm einen verächtlichen Blick zu und erklärte dann unter einem unverschämten Gähnen: "Der Boss ist gerade erst von seinem Fischzug zurückgekommen. Er hat keinen Bock mehr, sich heute noch um euch Pack zu kümmern. Ihr dürft also noch eine Nacht lang den Ausblick genießen. Ich lass euch auch den Eingang auf, damit ihr noch mal die Sterne seht, bevor unser Boss morgen die Ehre haben wird, euch über den Jordan zu schicken. Asahoshi zu meucheln ist für ihn das Höchste, das dürft ihr mir glauben." Mit einem hämischen Grinsen auf dem Gesicht trat er zurück ins Freie und gab den Blick auf das Lagerfeuer frei, das draußen in der Mitte des Platzes brannte und um das immer noch einige Räuber herum saßen und sich lautstark unterhielten. "Wird echt immer besser", bemerkte Ashi, als sich seine Schritte entfernten, "selbst wenn wir uns befreien könnten, würden die am Feuer das sofort bemerken und wir wären schon wieder geliefert." "Diese miesen Schweine", knurrte Tetsuno wütend, "so was Abartiges kann sich ja nur Yorukage schimpfen!" Die Stunden vergingen und der Mond stieg immer höher. Irgendwann konnten Ashi und Tetsuno ihn nicht durch den Zeltspalt nicht mehr sehen und die beiden fragten sich, wie spät es wohl inzwischen war. Das Gerede am Lagerfeuer ebbte so langsam ab, einige der Räuber pennten einfach am Feuer weg, obwohl die anderen sich noch grölend unterhielten. Die zwei Asahoshi saßen dicht beieinander am Pfahl und warteten hilflos das Kommende ab. Inzwischen war beiden klar geworden, dass sie nicht nur einen Schlag auf den Hinterkopf bekommen hatten. Vermutlich hatten die Räuber sie irgendwelche Schwächungsmittel schlucken lassen, sonst würden sie sich nicht so schwach und kraftlos fühlen. Ashis war immer noch benebelt und wäre am liebsten eingeschlafen. Doch sie befahl sich selbst, wach zu bleiben, falls sie doch noch irgendeine Möglichkeit zur Rettung hatten. Ihr Kopf war inzwischen auf Tetsunos Schulter gesackt und ihr Blick war starr in die Ferne des Nachthimmels gerichtet. Der Feuermagier selbst fühlte sich ebenfalls nicht wirklich fit und hielt seinen Blick auf das Lagerfeuer fixiert. Er hatte versucht, ihre Überlebenschancen auszurechnen, es aber irgendwann aufgegeben und seitdem an nichts mehr gedacht. Um so tiefer fuhr er aus seinem Trancezustand hoch, als er plötzlich etwas Warmes, feuchtes auf seinem Oberarm fühlte. Verwirrt sah er Ashi an, der die Tränen in den Augen standen. "Hey", flüsterte er und stupste sie an, "was ist denn los?" Keine Antwort. "Hast du... Angst?" Ein leises Schniefen. Tetsuno lächelte schwach. "Es tut mir leid, dass ich dich nicht beschützen konnte. Hab meine Rolle als Bodyguard wohl doch nicht so toll erfüllt." "Du solltest mein Fremdenführer sein, keine Leibgarde", sagte Ashi leise, "ich bin nur enttäuscht, dass ich es nicht weiter geschafft habe." "Es ist wegen deinen Schwestern?" Tetsuno schüttelte beruhigend den Kopf. "Du hast alles für sie getan, was du konntest. Hättest du noch etwas mehr Zeit gehabt, wärst du stark genug geworden, um sie beide zu retten, da bin ich mir sicher." Ashi schwieg eine Weile. Dann seufzte sie leise. "Sieht so aus, als würde meine Reise hier enden. Bin ja mal gespannt, wie sie uns morgen umlegen werden. Wahrscheinlich verlässt mich das Glück so weit, dass sie mich sogar verbrennen. Kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich mich schon drauf freue." "Hey, Sarkasmus ist mein Markenzeichen", brummte Tetsuno beleidigt. "Aber... jetzt erklär mir doch bitte mal, warum du solche Angst vor Feuer hast." Wieder kehrte Stille ein. "Kannst du dir das denn nicht denken?" Tetsuno sah Ashi verwirrt an. "Wie meinst du das?" "Ich hab dir doch erzählt, dass die Yorukage mein Dorf niedergebrannt haben. Seitdem geh ich freiwillig nicht mal mehr in die Nähe eines Feuers. Hört sich vielleicht bescheuert an, aber ich war schon immer ein hoffnungsloser Angsthase." Sie schniefte leise und sah zu Boden. "Unsinn. Es ist ganz natürlich, dass du deswegen Panik kriegst, wenn du Feuer siehst, da hätte ich eher drauf kommen müssen, Ashi-chan..." "Ashi." "Ashi, okay. Aber deshalb bist du noch lange kein Angsthase. Immerhin bist du nur um deine Schwestern zu finden ganz alleine losgezogen, dazu braucht man verdammt viel Mut, wenn man sonst niemanden mehr hat." Ashi schniefte wieder. "Danke. Das war lieb. Weißt du... es ist wohl meine letzte Gelegenheit, deswegen spricht wohl nichts dagegen, wenn ich dir jetzt noch alles erzähle. Meine ganze Geschichte. Damit du weißt, wer dich vor ein paar Wochen dafür bezahlen wollte, um in den Norden Kama-Tos zu kommen." Tetsuno rutschte unruhig hin und her. "Na... na gut... wenn du es so willst... ich hör dir zu." Ashi starrte wieder in den Nachthimmel hinaus und begann zu erzählen. "Vor langer Zeit waren wir mal zu fünft, meine Familie und ich. Na ja, eigentlich zu sechst. Ich lebte mit meiner Mutter, meinem Vater und meiner älteren Schwester Mikomi in Mori-Mura, das ist ein kleines Walddorf außerhalb von Kama-To. Die große Stadt hatte keiner von uns je gesehen - bis auf meinen Vater, der dort arbeitete. Eines Tages bekam ich eine kleine Schwester, die meine Eltern Nami tauften. Sie war gerade erst geboren, als mein Vater geschäftlich nach Kama-To musste. Mutter wollte ihn anfangs gar nicht gehen lassen, weil sie von den Unruhen in der großen Stadt gehört hatte. Die Yorukage waren aufmüpfig geworden und mordeten alles, was irgendwo ein schwarzes Z vorweisen konnte. Die Sorge meiner Mutter sollte nicht unbegründet bleiben. Die Yorukage erwischten meinen Vater und töteten ihn kurz vor Kama-To." Ashi schluckte und spürte Tetsunos betroffene Blicke heiß auf ihrer Wange brennen. "Mutter war klar, dass die Spur die Yorukage in unser Dorf führen würde. Sie verfiel in Panik und bekam Angst um mich und meine Schwestern. Einen Tag später reiste ein Himitsu-Priester durch Mori-Mura und Mutter rang ihm in ihrer Verzweiflung das Versprechen ab, Mikomis Sorgerecht zu übernehmen und sie mit zum Tempel zu nehmen, wo sie sicher war. Miko war damals erst elf und wollte nicht fort. Doch gegen die Sorge meiner Mutter hatte sie keine Chance. Der Priester nahm Mikomi mit und wir nahmen schweren Herzens Abschied von ihr. Mich selbst wollte Mutter auch in Sicherheit bringen. Sie schickte mich nach Kumo-Mura, ein Dorf ganz in der Nähe, wo meine Großmutter lebte. Ich hatte genauso wenig wie Miko Lust, mein Zuhause zu verlassen, willigte aber schließlich ein und lebte acht Jahre lang bei meiner Großmutter, die ich sehr lieb hatte. Mutter blieb mit Nami in Mori-Mura zurück, weil sie das Baby nicht auch noch hergeben wollte. Als acht Jahre vergangen waren, schickte Mutter einen Brief nach Kumo-Mura. Sie glaubte, dass die Yorukage inzwischen die Spur aufgegeben hatten und wollte zu Großmutter und mir kommen. Doch die Yorukage hatten auf so einen Fehler nur gewartet. Sie überfielen Mutter auf ihrer Reise und töteten sie. Nami, die inzwischen acht war, verschleppten sie und zogen nach Kama-To zurück. Dabei kamen sie durch Kumo-Mura. Bisher hatten sie diesem Dorf keine Aufmerksamkeit geschenkt, aber jetzt erfuhren sie natürlich, dass dort Asahoshi lebten. Sie brannten Kumo-Mura im Handumdrehen nieder. Meine Großmutter und all meine Freunde starben in den Flammen, nur ich konnte mich unter einem Geröllhaufen verkriechen und überlebte das Feuer. Als die Yorukage weiterzogen, in der Annahme, sie hätten alle Dorfbewohner getötet, konnte ich Nami auf einem ihrer Wägen erkennen. In diesem Moment habe ich geschworen, sie aus der Sklaverei zu befreien und auch Miko eines Tages wiederzufinden." Ashi seufzte zitternd. "Ende der Geschichte. Das ist meine Vergangenheit, Tetsuno. Ich werde weder meine Familie noch die Zerstörung Kumo-Muras je vergessen, denn ich habe zwei Dinge, die mich daran erinnern. Das eine ist mein Amulett..." Sie betrachtete mit trübem Blick den goldenen Anhänger, der um ihren Hals baumelte. "Es war das erste Geschenk meiner Eltern an mich - wenn man von meinem Leben absieht. Und das zweite ist die Narbe über meinem linken Auge. Ganz unbeschadet habe ich den Angriff auf Kumo-Mura nämlich doch nicht überstanden. Ein brennender Ast. Ich spüre ihn heute noch, wie er die Verbindung zu meiner Heimat löste und mir nicht nur ins Fleisch, sondern auch in die Seele schnitt." Ihre Hände hinter dem Pfahl zitterten. "Willst du noch mehr hören?" Tetsuno saß stumm neben ihr. Er hatte die ganze Zeit über ohne die geringste Regung zugehört. Jetzt sah er mit einem stillen Ausdruck von Entsetzen und Mitgefühl im Gesicht die Wind-Asahoshi neben sich an, die ihm gerade alles über ihre Vergangenheit erzählt hatte. Sein Blick wanderte von dem goldenen Amulett um ihren Hals über die Narbe an ihrem Auge, die bisher immer von ihren blonden Haaren verdeckt gewesen war und die er nie bemerkt hatte, bis zu ihren traurigen grauen Augen, wo er schließlich hängen blieb. "Hat's dir die Sprache verschlagen?", erkundigte sich Ashi mit kaum noch vorhandener Stimme. Tetsuno schüttelte den Kopf. "Ich... würde dich jetzt so gern in den Arm nehmen, Ashi-chan..." "Ashi. Nur Ashi. Großmutter war die einzige, die mich Ashi-chan nennen durfte." Wieder kullerten Tränen über die Wangen der Wind-Asahoshi und diesmal versuchte sie erst gar nicht, sie aufzuhalten. Tetsuno griff hinter dem Pfahl nach ihren eiskalten, zitternden Händen und hielt sie fest. Dann sagte zähneknirschend: "Wir werden morgen nicht sterben, Ashi-chan. Selbst wenn ich mein Schwert nicht habe und eine ganze Armee von diesen Widerlingen im Lager hockt, die kriegen mich nicht klein. Egal, was die uns zu schlucken gegeben haben - ich hab soeben meine Kraft wiedergefunden." Part 13: Bacardi Einige Zeit später war Ashi wider Willen eingeschlafen. Tetsuno hatte es aufgegeben, die Räuber am Feuer zu beobachten, er war viel zu sehr in Gedanken als dass er sich auf so etwas konzentrieren konnte. Deswegen kriegte er einen ziemlichen Schock, als er plötzlich eine Hand an seinen Fesseln spürte. Ruckartig riss er den Kopf herum und weckte dabei Ashi auf. "Schhhht!!", zischte ihm eine vertraute Stimme von hinten her zu, "haltet bloß die Klappe, sonst fliegen wir auf!" "Mizu!", krächzte Tetsuno tonlos und freute sich zum ersten Mal in seinem Leben, DBO zu sehen. Während Ashi verwirrt anfragte, was denn nun schon wieder los sei, machte sich DBO mit einem Messer an den Fesseln der beiden Asahoshi zu schaffen und schnitt sie los. Ashi kapierte endlich, dass der Wassermagier gerade dabei war ihnen zur Flucht zu verhelfen und war mit einem Schlag hellwach. Tetsuno warf einen hastigen Blick zum Lagerfeuer hinaus und war heilfroh, dass hier im Zelt kein Licht brannte. Wenn es so dunkel war, hatten sie vielleicht sogar eine Chance zu entkommen... oder? "Mizu!", raunte er DBO zu, "Wie willst du aus dem Zelt rauskommen, einer von den Typen am Feuer ist immer noch wach, der schnallt das doch sofort! ... Äh... wie bist du überhaupt hier reingekommen?" DBO grinste bis über beide Ohren und deutete auf die hintere Zeltwand, in die er heimlich, still und leise ein Loch geschnitten hatte, ohne dass Tetsuno oder die Räuber es bemerkt hatten. Jetzt musste er auch grinsen. "Alle Achtung, keine schlechte Idee." "Ach ja", DBO zog etwas von seinem Rücken, "ich hab da noch was, das dir gehört, Kasai." Er drückte Tetsuno sein Schwert in die Hand und der Feuermagier grinste. DBO bedeutete den beiden, schnell durch das Loch zu klettern. Ashi zögerte. "Wo ist Ivy?" Der Wassermagier nickte nach draußen. "Die ist mit dem Wachposten beschäftigt. Los, beeilt euch." Während Tetsuno sich überlegte, was DBO wohl mit "beschäftigt" meinte, stieg Ashi rasch durch das Loch nach draußen und DBO schubste den Feuermagier gleich hinterher. Das Zelt, in dem sie bis vor einer Minute noch gefangen gewesen waren, lag ziemlich am Rand des Lagers. Sie mussten nur noch ein paar Meter laufen, dann stand ihnen der Abhang bevor, über den sie wieder auf eine höhere Ebene in den Park gelangen konnten. Als sie sich so leise wie möglich in den Schatten des äußersten Zeltes geschlichen hatten und dort angespannt inne hielten, stießen sie endlich auf Ivy. Die stand mit geschlossenen Augen ebenfalls im Schatten des Zeltes. Vor ihr stand ein Wachposten mit völlig abwesendem Gesichtsausdruck. Ivy hatte die Arme nach vorne gestreckt und konzentrierte sich völlig auf einen Zauber, während ihr schwarzes Z ununterbrochen leuchtete. Ein leichter goldener Nebel umgab den Wachmann, der überhaupt nichts mehr wahrzunehmen schien. "Ivy!", zischte DBO, "mach schon, wir müssen los!" Ivy schlug die Augen auf und ließ den Wachposten einfach stehen. So schnell wie möglich kletterten die vier Asahoshi den Abhang wieder hinauf und flüchteten in den Schutz der Bäume. Ashi konnte gar nicht weit genug laufen, um sich wieder sicher zu fühlen. Gewiss würden die Räuber bald den Verlust ihrer Gefangenen bemerken - zu diesem Zeitpunkt wollte sie schon über alle Berge sein. Ivy war anscheinend der gleichen Meinung wie Ashi. "Wir sollten so weit wie möglich laufen", keuchte sie, während sie zwischen den anderen durch die Bäume rannte, "der Park ist nicht mehr sicher für uns; wenn wir nicht noch mal in Schwierigkeiten geraten wollen, dann sollten wir so lange rennen, bis wir nicht mehr können." Das taten sie auch wirklich bis zur äußersten Grenze. Zwar hatten Ashi und Tetsuno ein großes Handicap, weil das Beruhigungsmittel der Räuber noch wirkte, aber sie hängten sich trotzdem beide mächtig rein. Sie wussten alle vier nicht, wieviel Zeit vergangen war, als sie irgendwann schließlich am Rande des Parks zusammenbrachen und sich in einem Gebüsch versteckten, wo jeder von ihnen sofort in einen tiefen Schlaf fiel. Keiner hatte mehr Zeit, sich über diesen unbequemen Schlafplatz zu beschweren - für eine Nacht war das einfach zuviel Aufregung gewesen. Urplötzlich schreckte Ashi aus dem Schlaf hoch. Verwirrt fragte sie sich, wieso sie so unsanft aufgewacht war. Es war zwar schon taghell, aber... Ashi rieb sich den Schlaf aus den Augen und sah sich um. Die anderen Drei lagen noch friedlich schlafend neben ihr im Gebüsch. Ein paar Vögel priesen zwitschernd und trällernd den neuen Tag und - und da war jemand in der Nähe. Ashi hielt mitten in einer Dehnbewegung inne und spitzte die Ohren. Da raschelte doch irgendwas im Gebüsch! Nervös blickte sie nach allen Seiten, dann hörte sie auf einmal jemanden in der Nähe rufen. "Verdammt!! Das gibt's doch nicht, was waren das eigentlich für Vögel?? Sind die gestern die ganze Nacht durch gerannt, weil sie so Schiss vor uns hatten oder was? Wäre doch nur zu fair gewesen, uns noch ne Chance zu geben und sich hier irgendwo zwischen den Bäumen zu verkriechen..." "Ja", bestätigte eine andere Stimme, die bei Ashi Gänsehaut verursachte, "wenn nur dieses dumme Verbot nicht wäre, dann würde ich den Park verlassen und draußen nach denen suchen. Verflixt, ich muss echt mal mit dem Boss reden." "Die haben uns gestern so aufs Kreuz gehauen, das muss ich mir echt nicht bieten lassen. Hast du Toji gesehen? Der war total weg! Heute morgen hat er behauptet, irgendeine braunhaarige Hexe hätte ihn verzaubert. So'n Kaputter. Will gar nicht wissen, was der gestern wieder geraucht hat." Ashis Herz raste. Davon war sie also aufgewacht. Die Räuber waren offenbar ziemlich schlechte Verlierer und gaben sich mit ihrer Niederlage von gestern Nacht nicht zufrieden. Sie hatten sich auf die Suche nach den entkommenen Asahoshi gemacht und waren jetzt kurz davor, sie wieder zu finden... Vorsichtig streckte Ashi den Kopf hinter den Büschen hervor, um die Lage zu peilen. Insgesamt konnte sie sechs Typen erkennen, die leicht genervt die Gegend absuchten. Vermutlich dieselben sechs, von denen Tetsuno und sie am Vorabend überrascht worden waren. Ashis Gedanken rasten. Was sollte sie tun? Die anderen wecken? Bloß nicht, am Ende würden die noch anfangen zu gähnen oder sonst welche Laute von sich zu geben, dann waren sie endgültig aufgeschmissen. Aber was dann?? Wenn sie einfach nur hier sitzen blieb, würden die Räuber sie früher oder später entdecken. Ashi wog ihre Chancen ab. Dann entschloss sie sich, Ivy zu wecken, die war wohl noch am leisesten. Energisch rüttelte sie die Naturzauberin am Arm. "Ivy-chan!", zischte sie, "Komm schon, wach auf, es gibt Ärger!!" Mit einem leisen Quieken wachte Ivy auf und blinzelte verwirrt. "Ashi-chan? Was ist denn..." Rasch hielt Ashi ihr den Mund zu und bedeutete ihr, ruhig zu sein. Ivy schob die Hand weg und flüsterte: "Was ist denn los?" Die Lage war rasch erklärt. Ivy warf einen abschätzenden Blick auf die beiden schlafenden Jungs und meinte dann: "Ist wohl besser, wenn wir sie wecken. Zu zweit schaffen wir die nicht alle. Und liegen lassen können wir sie hier ja auch nicht..." Ashi stimmte zu und sie rüttelten die beiden Jungs wach. Tetsuno öffnete mit einem wolfsähnlichen Knurren die Augen, das im Rascheln der Büsche unterging - DBO jedoch wachte mit einem durchdringenden, erschrockenen Jaulen auf, das unmöglich zu überhören war. Und bevor Ashi oder Ivy noch den Mund aufmachen konnten, hörten sie auch schon einen der Räuber brüllen: "Da drüben, da ist was, das müssen sie sein!!" "Scheiße!!", fluchte Ashi lauthals, da ihre Deckung jetzt eh aufgeflogen war, "Jungs, wir haben mächtig Ärger!" Tetsuno und DBO waren für ihre Verhältnisse ziemlich schnell auf den Beinen, doch die Räuber befanden sich schon im Anmarsch und außerdem im Vorteil. Im Nu entbrannte ein Kampf zwischen den Asahoshi und den Yorukage. Bevor Tetsuno und DBO noch kapieren konnten, was eigentlich abging, hatten sie auch schon drei der Wassermagier am Hals und wurden ausreichend beschäftigt. Wer in diesem Kampf die Nase vorne hatte, zeigte sich schon bald. Mochte sein, dass die Mitglieder der Räuberbande nicht unbedingt die besten Zauberer waren, aber dafür hatten sie im Prügeln eine ganze Menge mehr Erfahrung als die Asahoshi. DBO hatte zwar einige ziemlich gute Karten auf Lager, kam aber gar nicht dazu, sie einzusetzen, weil er schon bald auf dem Boden lag und sich mit Händen und Füßen gegen einen der Yorukage wehren musste. Tetsuno hatte sein Schwert gezückt und es in Flammen gesetzt, was ihm gegen die zwei Wassermagier, die sich ihm in den Weg stellten, allerdings herzlich wenig half. Die beiden löschten sein Schwert sofort wieder und machten ihm ganz schön mit ihren Angriffen zu schaffen. Ivy hatte ebenfalls zwei der Räuber am Hals und setzte ihren Naturzauber gekonnt ein. Mit einem Angriff, der sich Natural Chimera nannte und den sie schon im Räuberlager gegen den Wachposten verwendet hatte, schickte sie den einen ins Reich der Träume. Den anderen griff sie mit der Karte Primeval Tendrils an, woraufhin einige Urranken aus dem Boden schossen und den Wasser-Yorukage im Handumdrehen einwickelten, sodass er sich nicht mehr rühren konnte und lauthals zu fluchen anfing. Ashi hatte sichtlich Schwierigkeiten mit ihrem Gegner. Er verzichtete vollkommen auf Kartenmagie und hatte von Gentlemen-Benehmen wohl noch nie etwas gehört. Ohne Skrupel prügelte er auf Ashi ein und gab ihr keine Chance, auch nur nach einer ihrer Karten zu greifen, da sie sich ununterbrochen verteidigen und ausweichen musste. Als Ashi schon glaubte, sie würde beim nächsten Ausweichen zusammenbrechen, hörte sie plötzlich Ivy rufen. Die Naturzauberin hatte soeben ihre beiden Gegner Schachmatt gesetzt und eilte ihr jetzt zur Hilfe. Erleichtert wollte Ashi schon aufatmen - doch diesen Moment nutzte der Wasser-Yorukage aus. Blitzschnell packte er Ashi im Schwitzkasten und förderte ein Messer aus seiner Tasche zutage. "STOP!!", brüllte er. Ivy blieb sofort stehen und auch Tetsuno und DBO unterbrachen die Kämpfe mit ihren Gegnern. "Jetzt reicht's mir!", erklärte der Yorukage grimmig und fuchtelte mit seinem Messer vor Ashis Gesicht herum, "Noch eine falsche Bewegung und eure kleine Freundin hier wandert ins Jenseits! Also, wenn ihr nicht wollt, dass ich sie platt mache, dann werdet ihr jetzt schön brav sämtliche Wertgegenstände, die ihr so mit euch führt, da auf den Boden legen - und dann nehmt ihr die Hände hoch, bis meine Leute das Zeug eingesammelt haben und weit genug damit weg sind - ihr bewegt euch erst wieder, wenn ich es euch erlaube! So, und jetzt marsch!" Ashi war schneeweiß im Gesicht geworden und schluckte heftig angesichts des Messers, das unangenehm nah vor ihr in der Luft tanzte. Tetsuno, DBO und Ivy wollten dem Befehl des Yorukage gerade zähneknirschend Folge leisten, als plötzlich ein mächtiges Brüllen ertönte. Zuerst hätte man denken können, es stammte von einem ziemlich großen Tier oder gar von etwas Übermenschlichem, aber dann schoss auf einmal direkt hinter Tetsuno und seinen beiden Gegnern ein riesiges schwarzes Motorrad aus dem Unterholz hervor. Tetsuno und die zwei Wasser-Yorukage machten erschrocken einen Satz zur Seite. "Was zum...", setzte der Yorukage, der Ashi immer noch im Schwitzkasten hielt, an, doch die Worte blieben ihm im Halse stecken, als der Fahrer des Motorrades plötzlich Gas gab und genau auf ihn zupreschte. Mit einem Kreischen sprang er zur Seite, ließ dabei sowohl das Messer als auch Ashi los und rannte davon. Der Motorradfahrer setzte ihm mit einem boshaften Grinsen nach und die beiden verschwanden im Gebüsch. Tetsuno, DBO, Ivy und Ashi warfen den drei übrigen, noch einsatzfähigen Yorukage einen überlegenen Blick zu und diese taten das im Moment wohl einzig Richtige: Sie nahmen die Beine in die Hand und ergriffen ebenfalls die Flucht. Tetsuno fing sich als erstes wieder und atmete tief durch. "Okay. Lasst uns abhauen, bevor die es sich wieder anders überlegen." Der Vorschlag wurde einstimmig angenommen und die vier Asahoshi ließen Ivys in Ranken gefesselte und in Trance versetzte Opfer zurück. Hastig suchten sie das Weite und rannten ein Stück weit in den nächsten Siedlungsblock hinein, wo sie sich sicher fühlten. Auf einer Straßenbank machten sie Halt und ließen sich erst mal ächzend darauf nieder. "Oh Mann", stöhnte Ivy, "was für eine Art, den Tag zu beginnen. Da bin ich doch eher für Wecker und Morgengymnastik in normaler Form..." "Sind wir hier in Sicherheit?", erkundigte sich DBO und blickte misstrauisch die Straße auf und ab. Ashi zuckte mit den Schultern. "Denke schon. Ich hab die Räuber reden hören, dass sie irgend so ein Verbot haben, den Park zu verlassen... so was in der Art zumindest." "Wie beruhigend", Tetsuno wischte sich den Schweiß von der Stirn. "Aber... was war das eigentlich für ein riesiges schwarzes Teil, das uns da gerettet hat??", platzte Ashi wissbegierig heraus, "da hat man ja fast Angst gekriegt, so laut hat das gedröhnt." Tetsuno gluckste los. DBO hielt ihm genervt den Schnabel zu, womit er sich einen Biss in den Handrücken einhandelte und einen Schrei losließ. "Au!! Mann, geht's dir zu gut?? Erst machst du dich über Ashi lustig, nur weil sie vom Land kommt und dann..." Ivy wandte sich Ashi zu und ignorierte die beiden Zankhähne, die jetzt natürlich wieder Grund für einen ausgiebigen Streit gefunden hatten. "Das war ein Motorrad", erklärte sie freundlich, "reg dich nicht über Tetsuno auf, du kannst ja nichts dafür, das so was bei euch noch nicht existiert. Eine zweirädrige Abwandlung des Autos könnte man es nennen, ein, ähm... motorisiertes Fahrrad. Verstehst du? Die Teile sind öfters ziemlich laut, man gewöhnt sich aber dran. Ich jedenfalls mag diese Maschinen..." Ihre Augen begannen zu glitzern. Ashi hob eine Augenbraue, weil sie nicht wirklich verstanden hatte, was denn so ein Motorrad jetzt genau war, nickte aber trotzdem. Und, was für ein Zufall, in diesem Moment wurde wieder ein Dröhnen am anderen Ende der Straße laut und ein schwarzer Blitz kam auf sie zugesaust. Tetsuno verging augenblicklich die Lust am Streiten und er starrte den Motorradfahrer entsetzt an. "Hey, Leute, dieser Typ hat doch hoffentlich nicht vor, uns jetzt auch noch... oder??" "Du meinst er ist ein Verrückter?", ächzte DBO. "Ach, hört schon auf", meinte Ivy beruhigend, "er hat uns vorhin geholfen, oder nicht? Für mich sieht er jedenfalls nicht so aus, als ob er uns was antun wollte. Seht euch doch nur mal sein Grinsen an..." Eine Sekunde später hatte der Motorradfahrer sie erreicht, würgte seine Maschine direkt vor den vier Asahoshi ab und schwang sich herunter. Während er erst mal tief Luft holte und sich eine schwarze Haarsträhne aus der Stirn nach hinten strich, feixte er ununterbrochen. "Yeah! Oh Mann, das hat echt megagut getan... diesen Seniorenclub von Räuberbande wollte ich schon lange mal aufmischen." Sichtlich gut gelaunt täschelte er sein Motorrad. Dann grinste er die vier sprachlosen Asahoshi an. "Bloß nicht zuviel der Dankbarkeit, fahrende Ritter wie mich macht das immer ganz nervös." Endlich fasste sich Ivy, die bisher verzückt das Motorrad betrachtet hatte, und stand auf. "Oh, ähm, entschuldige bitte, wir haben dir echt zu danken... das war sehr mutig von dir, dass du uns vorhin geholfen hast!" Sie strahlte den Biker, der fast zwei Köpfe größer als sie war, mit ihrem üblichen Sonnenscheinlächeln an. "Mein Name ist Ivy und das sind meine Freunde Ashi-chan, Tetsuno und DBO." "Nennt mich Bacardi", erwiderte der Riese immer noch grinsend, "und für die kleine Rettungsaktion vorhin schuldet ihr mir nichts, das war Ehrensache... ist schon lange her, dass ich ein paar Verbündete getroffen hab." Ashi klappte die Kinnlade runter und sie griff automatisch nach ihrer rechten Hand, wo ihr Zeichen saß. "Bi-bist du etwa - und woher hast du -" "Hey, ganz cool bleiben, Süße", Bacardi hob beschwichtigend die Hände, "ihr habt eben ganz schön was drauf, ich konnte eure Energien schon aus einiger Entfernung spüren." Er grinste wieder und formte seine rechte Hand zu einer Faust, wodurch auf seinem Handrücken ein schwarzes Z sichtbar wurde. Er genoss die vier überraschten Blicke, dann lehnte er sich an seine Maschine zurück und sah Ashi, Tetsuno, DBO und Ivy auffordernd an. "Und, erzählt schon. Darf ich wissen, was ihr vier Hübschen vorhabt? Wie seid ihr auf den dusseligen Einfall gekommen, durch den Westside-Park zu marschieren...?" Ashi ergriff das Wort. "Ähm... also, wir sind auf dem Weg nach Norden und da wir östlich ja wegen den Gewitter-Yorukage nicht um den Nemui Kyojin herumkommen, dachten wir eben, bevor wir gleich wieder umdrehen, versuchen wir es westlich..." Bacardi stieß einen Pfiff aus. "Ihr wollt nach Norden? Westlich um die Stadtverwaltung herum? Alle Achtung, da habt ihr euch aber ganz schön was vorgenommen. Das Räuberlager habt ihr hinter euch gebracht, die trauen sich ja doch nicht aus ihrem Park heraus, aber... als Nächstes steht der verhexte Wald an, Leute." "Ist uns schon klar", entgegnete Tetsuno, "das hält uns aber nicht von unserer Reise ab. Wir haben schon so Einiges zusammen geschafft, da wird dieser Wald auch kein Problem für uns sein." "Unterschätzt diese Anlage bloß nicht", brummte Bacardi, "in letzter Zeit sind da ein Haufen Leute verschwunden und nicht wieder aufgetaucht. Seitdem traut sich kaum noch einer in die Nähe dieses Waldes." "Ist doch prächtig", meinte DBO, "frei Fahrt für uns und keiner, der sich uns in den Weg stellt." Bacardi grinste abermals und zeigte mit dem Daumen nach oben. "Ihr gefallt mir, Leute. Sagt an, wie kommt's zu so einer bunten Asahoshi-Konstellation, wie ihr es seid?" Ivy räusperte sich. "Also gut, ich versuch mal, dir das zu erklären: Ashi-chan will in den Norden zum Himitsu-Tempel, um dort eine Verwandte zu besuchen und ein religiöses Artefakt zu überbringen. Tetsuno hat sich ihr als Erster angeschlossen, weil sie vom Land kommt und sich hier nicht auskennt, er spielt also den Fremdenführer. Dann ist DBO dazugekommen, er kennt Tetsuno von früher und wollte unbedingt mit ihm ziehen..." Mit zusammen gebissenen Zähnen versuchte sie, den Schmerz in ihren beiden Füßen zu ignorieren, auf denen einer von Tetsunos Lederstiefeln und einer von DBOs Skates standen. "... und ich bin noch mitgekommen, weil ich meine Eltern besuchen will und die Route dazu sowieso nach Norden führt; zu viert ist das einfacher, als wenn ich allein bin." Bacardi nickte interessiert. "Ah ja, verstehe... öhm...", er trommelte mit seinen Fingern auf der Motorhaube seines Bikes herum, "hättet ihr... vielleicht was dagegen, wenn ich mitkomme? Ich hab sowieso grad nichts Besseres zu tun und bin eigentlich nur hier in der Gegend gewesen, weil ich mit diesen Räuber-Waschlappen noch ein Hühnchen zu rupfen hatte. Das hab ich ja jetzt erledigt und..." Der Rest seines Satzes verlor sich hoffnungsvoll im Nichts. Ivy und Ashi grinsten sich an. Tetsuno und DBO holten Luft, um etwas zu sagen, aber da war es schon zu spät. "Klar doch, kannst gerne mitkommen", erklärte Ivy feierlich, "wir haben nichts dagegen. Aber ich fürchte, dass du auf dein Motorrad verzichten musst, uns steht so was nämlich nicht zur Verfügung... so leid es mir tut." Bacardi glaubte ihr sofort, dass sie das ernst meinte. Ihm war gleich aufgefallen, dass dieses Mädchen mit den langen braunen Haaren Gefallen an seiner Maschine gefunden hatte. "Kein Problem", antwortete er, "ich hab hier nen Bekannten in der Nachbarschaft, bei dem kann ich sie solange abstellen... er kümmert sich darum, da muss ich mir keine Sorgen machen." Ashi und Ivy kassierten je einen Rippenstoß von den Seiten her, als Bacardi mit einem "Dauert nicht lange, wartet schnell auf mich" und einem breiten Grinsen wieder auf sein Motorrad geklettert und durch eine Seitenstraße davon gefahren war. "Was denn?", wollte Ivy wissen, "Er kennt sich hier aus und wird uns bestimmt nützlich sein!" "Vielleicht könntet ihr uns wenigstens zuerst mal fragen, wenn ihr nächstes Mal solche Entscheidungen trefft", fauchte DBO. "Hast du was gegen ihn?", erkundigte sich Ashi. Tetsuno feixte plötzlich. "Ja, Mizu hat was gegen ihn, weil Ivy ihn die ganze Zeit über angestarrt hat." DBO lief knallrot an. "So ein Schwachsinn! Halt die Klappe, Kasai, oder muss ich sie dir stopfen??" "Sie hat das Motorrad angeguckt und nicht..." Der Rest von Ashis Erklärung ging im Lärm der Rauferei unter, die DBO soeben begonnen hatte, nachdem Tetsuno noch eine spitze Bemerkung vom Stapel gelassen hatte. Ashi schlug sich vor die Stirn und Ivy kicherte belustigt. Eine Viertelstunde später hatte sich Bacardi wieder bei den vier Asahoshi eingefunden und sie machten sich zu Fuß weiter auf den Weg in Richtung des verhexten Waldes. Die Straße machte so langsam einen sanften Bogen nach Norden und die Sonne kletterte gerade zu ihrem höchsten Stand hinauf. Zeit, um den "Neuzugang" mal genauer unter die Lupe zu nehmen. Während Ivy ihn mit Fragen über Motorräder löcherte, schielte Ashi verstohlen zu ihm hinüber und betrachtete ihn. Bacardi hatte DBO die Spitzenposition als Größter in der Gruppe weggenommen, er war noch größer als der skatende Wassermagier - und außerdem eine ganze Ecke stärker. Seine Oberarmmuskeln waren echt beeindruckend, sie lagen frei, da Bacardi einen schwarzen Kampfanzug trug, der dem von Tetsuno ähnlich sah. An seinen Füßen trug er schwarze Bikerstiefel mit hellgrünen Schnallen und um seinen Hals hing eine Kette, an der eine weiße Zauberkarte baumelte. Seine Frisur war recht abenteuerlich, sein rabenschwarzes Haar stand senkrecht nach oben ab und wurde von neongrünen Strähnen durchzogen, die bis auf den ebenso grünen Gürtel, dem grünen Handschuh an seiner linken Hand und einem grünen Muskelband an seinem rechten Handgelenk die einzigen Farbtupfer an seiner düsteren Erscheinung waren. Bacardis Augen waren von einem tiefen, ruhigen Braun, funkelten aber lustig. "Ooooh, jetzt verrat es mir schon endlich!" Ashi beendete ihre Betrachtung, als Ivy nicht aufhören wollte, Bacardi ständig dieselbe Frage zu stellen. "Welches Element?? Sag schon! Ich komm nicht drauf!" Bacardi gab sich geschlagen, er konnte Ivys Bambiblick nicht länger widerstehen. "Okay, ich geb auf. Schau dir das hier mal genauer an." Er griff nach der Karte, die um seinen Hals hing, und hielt sie Ivy vor die Nase. Die Naturzauberin riss die Augen auf, als sie die Aufschrift las. "Infernal Thunderstorm? Wow! Du bist ein Gewittermagier??" Der Gefragte nickte grinsend. In diesem Moment horchten auch Tetsuno und DBO auf, die bis jetzt eher still gewesen waren, da Ivy den Neuzugang ja regelrecht gegen die Wand geredet hatte. "Cool", kam es von DBO, "nen Gewitter-Asahoshi hab ich noch nie kennen gelernt. Find ich ja sehr passend, dass ein Gewittermagier mit so ner Höllenmaschine durch die Gegend rast..." "Motorräder haben mich schon interessiert, bevor mir überhaupt klar wurde, dass ich'n Elementzauberer bin", erklärte Bacardi, "Meine Eltern dachten ja erst, ich hätt' die Begabung gar nicht geerbt, weil ich mein Element nicht von allein gefunden hab. Aber als ich dann mit sechs Jahren ganz allein und ohne Hilfsmittel die Autobatterie von meinem Dad aufgeladen hab, als uns mitten in der Pampa der Saft ausging, haben sie ihre Meinung wohl geändert und mich auf ne Zauberschule geschickt." Ashis Augen wurden größer und größer. "Es gibt echt Schulen, wo man den Kartenzauber lernen kann??" "Gibt es", bestätigte Ivy, "aber die sind ziemlich teuer. Nur wohlhabende Leute schicken ihre Kinder da hin. Die Ausbildung soll sehr gut sein." Bacardi wurde von den Blicken der anderen geradezu durchbohrt. Abwehrend hob er die Hände. "Hey, denkt bloß nichts Falsches von mir. So betucht sind meine Eltern auch wieder nicht. Mein Opa hatte nur mal'n Lottogewinn und ihn uns vermacht, wisst ihr..." "Lotto?" Ashi blickte verständnislos in die Runde. "Ashi-chan, das Landei in Person", meinte Tetsuno grinsend, "ist'n ziemlich verbreitetes Glücksspiel. Du setzt Geld und wenn du saumäßig Glück hast gewinnst du einen ganzen Haufen Geld. Lotto." "Ah ja... verstehe." Ashi nickte, das hatte sie zur Abwechslung mal wirklich kapiert. Part 14: Drachenfeuer DBO und Tetsuno fingen nun ebenfalls an, mit Bacardi über Motorräder zu fachsimpeln. Ashi hielt ein wenig Abstand von ihnen, weil sie da eh nicht durchblickte. Also nahm sich Ivy ein Herz und unterhielt sich mit ihr. "Ah, da fällt mir ein", Ashi schlug sich gegen die Stirn, "du wolltest mir doch'n bisschen was über den Naturzauber beibringen, weißt du noch? Kann ich vielleicht mal deine Karten sehen...? Dieser Angriff, den du im Räuberlager bei diesem Wachposten angewandt hast, den fand ich voll cool! Was war das??" Ihre Augen begannen zu leuchten. Ivy grinste, holte eine Karte hervor und gab sie Ashi. Darauf war eine Blumenwiese aus betörenden Farben abgebildet. "Natural Chimera?", las Ashi verwundert vor. Ivy nickte. "Ja. Ein Angriff, bei dem berauschende Naturdüfte freigesetzt werden, die das Opfer in ein imaginäres Traumland versetzen. Sehr nützlich." Ashi schien beeindruckt. Ivy holte noch weitere vier Karten hervor und zeigte sie Ashi. "Breath of Nature", erklärte sie, als Ashi eine Karte betrachtete, auf der ein großer Blütenkelch abgebildet war, "eine Attacke mit Blütenpollen. Der Gegner erblindet. Geht ganz schnell, allerdings auch ziemlich schnell wieder vorbei. Die nächste kennst du schon", sie deutete auf eine Karte, die mit grünen Kräutern illustriert war, "Healing Plants, meine Heilzauberkarte. Dann hab ich noch Primeval Tendrils", Ivy zeigte auf eine Karte, auf der grüne Schlingpflanzen zu sehen waren, "die hab ich vorhin bei einem dieser Räuber angewendet. Sie beschwört Urranken herauf, die beste Methode, jemanden zu fesseln und kampfunfähig zu machen. Und last but not least... meine mächtigste Karte." Auf der letzten Karte war eine Klinge zu sehen, die völlig mit Pflanzen umrankt und halb in der Erde eingegraben war. "Matrix Dagger. Ein Dolch, der aus dem Erdboden herauf beschworen wird und die Kräfte der Natur vereint." Ashi war sichtlich beeindruckt. "Wow", gab sie von sich, "echt Wahnsinn, was es doch alles für Karten gibt. Ich hätte auch nichts dagegen, den Naturzauber zu beherrschen." Ivy lächelte und steckte ihre Karten wieder weg. "Hast du was gegen dein Element?" "Nein, nein, nicht direkt..." Betrübt spielte Ashi an ihrem Amulett herum. "Aber... manchmal hab ich das Gefühl, als ob der Wind einfach stärker ist als ich. Ich beherrsche ihn nicht. Eher er mich. Vorhin beim Kampf gegen die Räuber hatte ich null Chancen..." "Das waren Wasserzauberer, Ashi-chan", entgegnete Ivy, "es ist nur natürlich, dass der Windzauber nichts gegen Wasser ausrichten kann. Denk nur mal ans Meer. Die riesigen Flutwellen entstehen doch nur, wenn der Wind dem Wasser nachhilft. Soll heißen, dein Zauber verleiht den Wasserattacken nur noch mehr Power." Ashi schwieg. "Du kannst viel mehr, als du dir zutraust", meinte Ivy überzeugt. "Das erzählt mir Tetsuno auch ständig. Aber ich kann ihm einfach nicht glauben... wenn ich wirklich mehr draufhätte, warum bin ich dann in letzter Zeit so schwach?" Ivy ergriff Ashis Hand und sah die Windzauberin fest an. "Weißt du was? Tritt heute abend noch mal gegen Tetsuno an und denk dir dabei einfach, er wäre der stärkste Feuermagier der Welt. Dann hängst du dich mal so richtig rein und du wirst sehen, was du alles kannst. Bestimmt schaffst du es dann auch, Tetsuno zu besiegen." "Ich hab ihn noch nie komplett besiegen können!", erwiderte Ashi zweifelnd, "Warum sollte ich es heute schaffen?" "Kennst du das Sprichwort Glaube kann Berge versetzen? Denk beim Training daran und glaub einfach mal an dich. Dann fällt dir vielleicht auf, wie viele andere Leute an dich glauben. Ich bin mir sicher, dass ich nicht die einzige bin, die dich für was Besonderes hält, Ashi-chan." Einen Moment lang schwieg Ashi verblüfft. Dann begann sie zu grinsen. "Alles klar, Ivy-chan. Ich trete heut abend noch mal gegen meinen Meister an... gegen den määächtigsten Feuerzauberer der Welt!!" Sie riss die Augen theatralisch auf, woraufhin Ivy anfing zu kichern. "Und dann, Ivy-chan, werde ich Tetsuno mal zeigen, was in mir steckt!" Und der Abend kam. Er brauchte zwar seine Zeit, aber so lange hatte Ashi auch noch Zeit, über ihr Vorhaben nachzudenken. Sie überlegte, wo genau wohl ihre Schwächen im Kampf lagen und was sie dagegen unternehmen konnte. Als die Gruppe dann einen verlassenen Hinterhof als Lagerplatz auswählte, Tetsuno für ein Feuer sorgte und alle darum Platz nahmen, fühlte sich Ashi mutig genug, um gegen Tetsuno anzutreten. Als sie ihn aber dort am Feuer sitzen sah, wo er grinsend dabei war, DBO zu ärgern, erinnerte sie sich noch einmal an das Räuberlager zurück. Jetzt hatte sie ihm wirklich alles erzählt. Und das alles nur, weil sie geglaubt hatte, den nächsten Abend nicht mehr erleben zu können. Ob sie wohl auch mit ihm über ihre Vergangenheit geredet hätte, wenn sie sich sicher gewesen wäre, dass DBO und Ivy sie rechtzeitig befreien würden? Ashi wusste es nicht. Überhaupt wusste sie zu diesem Zeitpunkt verdammt wenig. Immer mehr Leute scharten sich um sie und mit jedem Mal kamen neue Gefühle bei ihr auf. Es wurde langsam schwierig, diese Gefühle alle einzuordnen. Ashi kam sich ziemlich überfordert vor. Am liebsten hätte sie ja mit jemandem über ihre Probleme gesprochen, doch sie wusste nicht, an wen sie sich wenden sollte. Natürlich, da war Ivy, die Naturzauberin, die sie auf den ersten Blick sehr, sehr lieb gewonnen hatte und die ihr bestimmt zuhören würde; da war Tetsuno, der von Anfang an an ihrer Seite gestanden hatte und der inzwischen genau über sie Bescheid wusste und sie wohl auch verstehen würde; da war DBO, der nur wegen Ashi mitgekommen war und ihr gewiss gern helfen würde; und da war Bacardi, der immerzu grinsende Donnergott, der ihr bestimmt auch helfen könnte, aber... "Hey, Ashi-chan! Noch anwesend?" Tetsuno wedelte mit seiner Hand vor ihrem Gesicht herum, um zu prüfen, ob sie nicht inzwischen eingeschlafen war. "Was?" Ashi schreckte hoch. "Oh, äh, tschuldigung, ich war in Gedanken..." "Hab ich gemerkt." Tetsuno grinste sie an. "Was ist, willst du gar nichts essen?" Er biss von einem Brötchen ab und hob kauend eine Augenbraue. Ashi schüttelte den Kopf. "Nö, hab keinen Hunger. Aber ich hab eine Bitte an dich, Tetsuno." Der Feuermagier schluckte. "Was liegt an?" "Würdest du noch mal gegen mich kämpfen?" Er verschluckte sich und hustete erbärmlich. "Äh... wie jetzt? Sofort?" "Wenn du willst. Ich möchte wieder trainieren, Tetsuno", sie sah ihn fest an und Tetsuno las aus ihren Augen, dass sie es wirklich ernst meinte, "gib mir noch ne Chance. Diesmal kämpf ich bis zum Letzten. Ich werde mich echt anstrengen." Tetsuno legte sein Brötchen beiseite und erwiderte Ashis Blick. "Wäre mir ein Vergnügen." Ivy und DBO hielten in ihrem Gespräch mit Bacardi inne, als Ashi und Tetsuno plötzlich vom Feuer aufstanden und auf die Mitte des Hofes zusteuerten. "Hey, Kasai!", rief DBO ihnen hinterher, "Was wird'n das jetzt?" "Training. Was sonst." DBO hob die Augenbrauen, ersparte sich aber weitere Kommentare. "Training?", wiederholte Bacardi ahnungslos. Ivy nickte. "Ja. Tetsuno hilft Ashi-chan seit einiger Zeit, mit ihren Kräften besser klarzukommen. Sie hat noch Einiges zu lernen, allerdings ist ihr auch nicht wirklich klar, dass verdammt viel in ihr steckt." Bacardi nahm einen Zug von seiner Zigarette und beobachtete Ashi, die jetzt Tetsuno gegenüber stand und deren linke Hand leicht zitternd an ihrer Hosentasche lag. Dann nickte auch er. "Könntest recht haben, Ive. Mir ist auch schon aufgefallen, dass die Kleine ne interessante Aura hat..." Die Drei drehten sich in die Richtung des Kampfplatzes und warteten gespannt die Eröffnung ab. "Alles klar da drüben?", erkundigte sich Tetsuno. Ashi nickte. "Jederzeit. Und denk dran - halt dich auf keinen Fall zurück, klar? Sieh mich als ernsthaften Gegner." "Okay. Dann leg los." Er zog das Schwert von seinem Rücken und nickte Ashi auffordernd zu. Die Windzauberin ließ nicht lange auf sich warten. Sie hatte den ganzen Tag über Zeit gehabt, über diesen Kampf nachzudenken und sich vorgenommen, nicht nachzugeben. Jetzt setzte sie ihre erste Karte ein. "Whirlwind Blast!!" Der Wirbelsturm baute sich vor ihr auf und schwoll auf eine Größe von dreieinhalb Metern an. Ashi ließ ihn auf Tetsuno los und der Feuermagier zog überrascht seine Burning Heat-Attacke. Er hielt mit seinem Feuerball gegen die Windattacke - gerade noch rechtzeitig, um den Wirbelwind zu stoppen. Die beiden Kräfte hielten sich solange das Gleichgewicht, bis Ashi die Zähne zusammenbiss und sich so stark wie möglich auf ihren Angriff konzentrierte. Sofort bekam der Wirbelsturm mehr Power und fegte Tetsunos Feuerball beiseite. Hastig wich der Feuermagier aus. Die Windattacke verlor sich im Nichts und Tetsuno grinste Ashi an. "So lob ich mir das. Jetzt bist du wieder die Ashi-chan, die ich kenne!" Er zückte seine nächste Karte. "Hitamashii Slash!!" Sein Schwert ging in lodernde Flammen auf und er rannte auf Ashi zu. Die Windmagierin war auf so etwas vorbereitet gewesen und wich geschickt den ersten sechs Hieben aus. Dann allerdings war Tetsuno schneller als sie und streifte ihren rechten Arm mit seiner brennenden Klinge. Ashi unterdrückte einen Schrei, hielt sich die verwundete Stelle und sprang mit einem Satz zur Seite. Während Tetsuno zum nächsten Schlag ausholte, griff sie sich blitzschnell die nächste Karte. "Heavy Gale!!" Tetsuno war gezwungen, seinen Schwerthieb auf die Windböen umzulenken, die plötzlich von allen Seiten auf ihn eindroschen. Grimmig sah Ashi dabei zu, wie ihre Attacke Erfolge erzielte und Tetsuno mehrere Kratzer durch die scharfen Windböen abbekam. Dann endete ihr Angriff und der Feuermagier wandte sich wieder Ashi zu. "Okay", knurrte er, "jetzt bin ich wieder dran! Mach dich auf was gefasst!" Im Handumdrehen hatte er die nächste Karte gezogen. "Blaze Ray!!" Ein einzelner, zielsicherer und verdammt schneller dünner Feuerstrahl schoss auf Ashi zu. Die hatte nicht mehr genug Zeit um auszuweichen und die Attacke streifte ihre Schulter. Jetzt war Ashi richtig sauer. Noch einmal griff sie nach ihrer ersten Karte. Sie würde nicht verlieren, nein, diesmal nicht!! "Whirlwind Blast!!!" Der Wirbelsturm erstand aus der Karte und wuchs. Er wuchs und wuchs und wuchs, bis er die Größe von viereinhalb Metern erreicht hatte. Tetsuno stieß einen ungläubigen Schrei aus, als der riesige Sturm auf ihn zukam. Rasch holte er zum Gegenangriff aus. Er würde sich nicht von seiner eigenen Schülerin schlagen lassen! "Burning Heat!!" Die Wind- und die Feuerattacke prallten krachend aufeinander. Sofort gewann der riesige Wirbelsturm Überhand und drängte den Feuerball zurück. Tetsuno jedoch legte sich mächtig ins Zeug und ließ seine Attacke anschwellen. Das Gewicht wurde wieder verlagert und nun war die Feuerattacke stärker. Ashi konzentrierte sich, Tetsuno konzentrierte sich. Die Windmagierin schloss krampfhaft die Augen, der Feuermagier biss die Zähne zusammen. Beide lehnten sich gegen den Druck des anderen auf und machten unsichere Schritte nach vorne, um ihren Angriffen mehr Kraft zu verleihen. Das ging so lange, bis Tetsuno keinen Schritt mehr von seinem Feuerball und Ashi keinen Meter mehr von ihrem Wirbelsturm entfernt war, die sich immer noch gegenseitig den Platz wegnehmen wollten. Ashi spürte, wie ein paar Funken an ihr vorbei segelten und Tetsuno fühlte den Wind des Wirbelsturms, wie er sich bis zu ihm ausbreitete. Ivy, DBO und Bacardi, die dem Kampf gebannt zugesehen hatten, saßen jetzt mit offenen Mündern am Feuer und wollten nicht so recht glauben, welche Ausmaße diese kleine Trainingseinheit inzwischen angenommen hatte. Dann kam der große Knall. Die Kraft der beiden Angriffe war so sehr gestiegen, dass die Spannung unerträglich geworden war und sich sowohl der Wind als auch das Feuer mit einer kleinen Explosion aufgelöst hatten. Ashi und Tetsuno brachen auf der Stelle zusammen, fielen nach vorne und krachten gegeneinander. Ivy ließ einen Schrei los und spurtete mit DBO und Bacardi auf die beiden zu. Ashi hob langsam den Kopf. Tetsuno lag direkt vor ihr auf dem Betonboden und sah sie mit verschleiertem Blick an. "Wahnsinn", murmelte er, "einfach Wahnsinn... ich wusste doch, dass du es eines Tages schaffen würdest, mich zu besiegen..." "Das nennst du besiegen?", krächzte Ashi, "Du könntest mich aufwischen, so k.o. bin ich jetzt..." Tetsuno hustete. "Belassen wir's bei Unentschieden..." "Okay... und in nächster Zeit tret ich lieber mal nicht mehr gegen dich an..." "Ashi-chan! Tetsuno!!" Das Krankenteam war eingetroffen und Ivy ließ sich neben den beiden auf die Knie fallen. "Was habt ihr denn gemacht?? Musstet ihr unbedingt so übertreiben?" Sie zückte ihre Healing Plants-Karte und heilte Ashis Wunden. Ashi bedankte sich, setzte sich auf und zog ihre Cure Breeze-Karte hervor, um auch Tetsuno zu verarzten. Die Kratzer und Schrammen verschwanden von seiner Haut und der Feuermagier seufzte tief. "Danke. Das war nötig. Ich glaub, ich kämpf nie mehr gegen Wind." "Und ich nie mehr gegen Feuer", nuschelte Ashi. Sie hatte Tetsuno nicht besiegen können... sich aber trotzdem verdammt gut geschlagen. Die befürchtete Enttäuschung stellte sich nicht ein, das einzige Gefühl, das sich jetzt wie ein Lauffeuer in ihr ausbreitete, war Erschöpfung. "Na komm schon", Ivy schleppte sie ans Lagerfeuer, "reiß dich zusammen, du warst echt spitzenklasse!" Ashi lächelte schwach und setzte sich neben Ivy an die Flammen. So müde, wie sie jetzt war, registrierte sie gar nicht mehr, dass sie gerade ziemlich nah am Feuer saß. Die drei Jungs nahmen ebenfalls wieder Platz. Tetsuno sah auch nicht mehr wirklich fit aus, wie Ashi auffiel. Ivy zog ihre Gitarre hervor und begann eine leise Melodie zu spielen. Das war das Letzte, was Ashi mitbekam. Keine Minute später sackte ihr Kopf zur Seite auf Ivys Schulter und sie war eingeschlafen. Am nächsten Morgen war die Erschöpfung schon wieder völlig vergessen. Die fünf Asahoshi machten sich wieder auf den Weg zum verhexten Wald. Sie waren einen ganzen Tag lang unterwegs, ohne dass etwas Nennenswertes geschah. Ihre Umgebung veränderte sich nicht besonders, die Architektur blieb die Gleiche, nur die Menschen wurden langsam wieder freundlicher, da das Räuberlager inzwischen in weite Ferne gerückt war. Auch der folgende Morgen blieb ereignislos, bis auf Bacardis Ankündigung, dass sie wohl gegen Abend den Wald erreichen würden. "Na klasse", bemerkte Ashi, nicht sonderlich begeistert, "vermutlich müssen wir da drin auch noch übernachten, was? In einem Wald, wo ständig Leute verschwinden und nie mehr gesehen werden..." "Hey, keine Panik, Twister", unterbrach sie Bacardi, "wir werden schon außerhalb dieses Teils auch noch ein Schlafplätzchen finden, kann ja gar nicht so schwer sein. Zumindest werden wir da nicht all zu vielen Leuten begegnen, die halten alle so viel Abstand wie nur möglich von diesem Wald." "Klingt ja sehr beruhigend", brummte Ashi. Im nächsten Moment wäre sie fast gegen Tetsuno geknallt, der vor ihr gelaufen und jetzt ganz plötzlich stehen geblieben war. "Ey", beschwerte sie sich, "das wär fast ins Auge gegangen!" Tetsuno ignorierte ihren Protest und hob etwas von der Straße auf. Es war eine Zeitung. Jetzt wurden die anderen auch neugierig. "Was ist denn, steht da was Interessantes?", wollte Ivy wissen. Tetsuno, anstatt zu antworten, las eine Schlagzeile vor: "Kama-Tos Bürgermeister M. Nakunatta an mysteriöser Krankheit verstorben. Der Tod kam urplötzlich und über Nacht. Kama-Tos Ärzte stehen vor einem Rätsel. Die Krankheit konnte noch nicht identifiziert werden. Stellvertreter E. Songai nimmt den Platz des verschiedenen Stadtoberhauptes ein, bis neue Wahlen eingeleitet worden sind." Den Rest des Artikels sparte er sich, aber das war auch schon genug gewesen. Stille war zwischen den Asahoshi eingekehrt. Ashi, DBO und Tetsuno tauschten bittere Blicke. "Ich wusste ja, dass es irgendwann so weit kommen würde", knurrte DBO. "Was?" Ivy und Bacardi blickten verständnislos in die Runde. "Sagt bloß, ihr wusstet von der Krankheit?" Tetsuno schüttelte den Kopf. "Nein, nicht direkt. Aber... lasst euch das von Mizu erklären, er ist zuerst drauf gekommen." Also erklärte DBO die Sachlage; er erzählte Ivy und Bacardi davon, wie er zum ersten Mal den Namen der beiden Yorukage-Geschwister gehört hatte, die Ashi und Tetsuno angegriffen hatten, wie ihm ein Licht aufgegangen war und er erkannt hatte, dass ein Yorukage ganz oben im Stadtrat saß und die Fäden sofort in der Hand haben würde, wenn dem Bürgermeister etwas zustoßen würde. Er erzählte, wie er dadurch darauf gekommen war, dass Songai vielleicht zu ungeduldig war, um die nächsten Bürgermeisterwahlen abzuwarten und jetzt womöglich etwas gegen Nakunatta unternehmen wollte. "Tja, und jetzt ist es echt passiert", schloss er seinen Vortrag betrübt, "jetzt haben wir den Salat. Songai wird seine Macht so wahnsinnig schnell ausbauen, dass wir wohl nicht mal mehr ungerecht sagen können, bevor er die Asahoshi in der ganzen Stadt verfolgen und umbringen lassen wird. Klasse Aussichten." "Huch! Hab ich da eben unseren Namen gehört?" Die Asahoshi wirbelten herum. Diese Stimme, das war doch... "Daiya!" "Ryo!" Ashi und Tetsuno schnallten es als Erstes. Direkt hinter ihnen und mitten auf der Straße standen die Songai-Geschwister, Daiya und Ryo. Beide mit einem breiten, kalten Grinsen im Gesicht und dem blanken Hochmut in den Augen. Daiya warf ihr rotes Lockenhaar zurück. "Was für ein reizendes Wiedersehen. Wie ich sehe, ist eure Gruppe gewachsen... erfreulich. Wann lasst ihr euch ins Familienregister eintragen? Oder glaubt ihr vielleicht, so habt ihr bessere Chancen, nach Norden durchzukommen?" "Woher weißt du, dass wir nach Norden wollen?", fauchte Tetsuno. Daiyas Augen blitzten auf. "Wir wissen so Einiges über euch, mein Hübscher. Ihr seid nicht immer so allein, wie ihr euch fühlt. Ach, übrigens, ich muss sagen, dass du mir jedes Mal besser gefällst. Irre ich mich oder ist da ein neuer Glanz in deinen Augen, mein kleiner Flammenwerfer?" "Jetzt reicht's aber", knurrte der Feuermagier, "was wollt ihr hier??" "Euer dummes Gesicht sehen, wenn ihr die neuesten Neuigkeiten gelesen habt", meldete sich nun auch Ryo zu Wort und grinste boshaft, "na, was sagt ihr? Wollt ihr nicht ein wenig um den Bürgermeister trauern? So plötzlich verstorben... wie tragisch." "Hört mal, wenn ihr Ärger haben wollt, dann könnt ihr den gerne haben", grollte DBO, "ich glaub, wir sind grad alle in der richtigen Stimmung dafür. Wenn ihr aber doch lieber kneift, so wie letztes Mal, dann haut ab, solange ihr noch könnt!!" "Na, na", Daiya warf ihm einen tadelnden Blick zu, "wer wird denn gleich so aggressiv sein, du kleiner Wasserspeier. Aber jetzt wo du es vorgeschlagen hast... ich glaube, Ryo und ich hätten nichts dagegen, eure Kraft mal wieder zu testen - immerhin habt ihr ja jetzt Verstärkung gewonnen, das dürfte sehr interessant werden." "Na gut, ihr wollt es ja nicht anders!!" Tetsuno zückte sein Schwert und ließ es augenblicklich in Flammen aufgehen. DBO machte ebenfalls einen Schritt nach vorne, entschlossen, es diesen beiden Yorukage diesmal zu zeigen. "Lasst die anderen aus dem Spiel. Kasai und ich sind eure Gegner, kapiert?" "Wenn du meinst." Ryos Augen leuchteten kampflustig. Ashi, Ivy und Bacardi wichen ein paar Schritte zurück und bedachten die Yorukage mit versteinerten Blicken. Der Kampf entbrannte Schlag auf Schlag. DBO ging ohne Vorwarnung auf Daiya los und Ryo stürzte sich ebenso schnell auf Tetsuno. Die vier Kartenzauberer schlugen sich ohne Hemmungen fast die Köpfe ein, doch bald wurde klar, wer diesmal im Vorteil war. Die beiden Yorukage erwiesen sich als perfektes Team und obwohl sie beide Einzelkämpfe führten, schafften sie es doch immer wieder, sich gegenseitig aus der Patsche zu helfen und schneller zu sein als die zwei Asahoshi. Es dauerte nicht lange, bis DBO und Tetsuno keuchend am Boden vor Daiya und Ryo lagen. Sie wollten sich gerade trotz schwerer Verletzungen wieder aufrappeln, als Ivy und Bacardi dazwischen gingen. "Jetzt reicht's", knurrte Bacardi, "lasst die beiden in Ruhe, die können sich kaum noch auf den Beinen halten. Wir werden für sie kämpfen!" "Hey!", protestierte Tetsuno vom Boden her, "Was soll das, das ist unser Kampf..." "Oh, halt die Klappe, Tetsuno", gab Ivy gnadenlos zurück und drängte ihn und DBO vom Kampffeld. Ashi stand mit weißem Gesicht daneben und beobachtete das Geschehen. "Okay", meinte Daiya und zog an ihrer Feuerpeitsche, "dann mal los. Bin schon wahnsinnig drauf gespannt, was ihr beiden so draufhabt." Und weiter ging der Kampf. Bacardi übernahm DBOs Part und lieferte sich ein heißes Gefecht mit Daiya. Ivy gab ihr Bestes, um Ryo in die Knie zu zwingen. Trotzdem Bacardi ungeheuer starke Angriffe wie Battle Lightning oder Thor Strike auf Lager hatte, war Daiya eine Nummer zu groß für ihn. Ivy hatte ähnliche Probleme, denn Ryo war ein Drachenmagier und aufgrund seines heiligen Elements nicht besonders anfällig für ihre Naturattacken. Es dauerte gar nicht lange, da rutschte Ivy nur noch auf Knien hin und her, um Ryos Angriffen auszuweichen, und Bacardi konnte sich kaum noch gegen Daiyas Peitschenhiebe wehren. Als die Feuer-Yorukage ihm mit einem Schlag den Unterarm aufriss und Ryos Devil Dragon Ivy direkt in den Nacken biss, schrie Ashi verzweifelt. "Hört auf!!", flehte sie die Songai-Geschwister an, "Bitte, lasst sie am Leben...!!" Daiya und Ryo ließen augenblicklich von ihren beiden Opfern ab, die nun völlig am Ende zusammenbrachen. "Du willst, dass wir sie verschonen?", hakte Daiya nach. "Machen wir gerne", antwortete Ryo mit gierigem Blick, "wenn du für sie einspringst..." "Lass dich nicht drauf ein, Ashi-chan", stöhnte Ivy vom Boden her, "die zwei sind zu stark..." Doch Ashi hatte genug mit ansehen müssen. Entschlossen stellte sie sich vor Daiya und Ryo und bedeutete Ivy und Bacardi, sich zurückzuziehen. Ihre Hand lag an ihrer linken Hosentasche. "Ich weiß zwar nicht, warum ihr unbedingt gegen mich kämpfen wollt, aber von mir aus. Solange ihr meine Freunde dann in Ruhe lasst, soll es mir recht sein", erklärte sie mit fester Stimme. "Okay", trällerte Daiya vergnügt, "ich darf anfangen!" Im Nu hatte sie ihre Feuerpeitsche wieder herauf beschwört und holte damit gegen Ashi zum Schlag aus. Ashi griff nach ihrem Whirlwind Blast und baute blitzschnell den schützenden Wirbelsturm um sich herum auf. Daiyas Angriff prallte an der Windbarriere ab und Ashi griff nach der nächsten Karte. "Heavy Gale!!" Sofort prasselten zahlreiche Sturmböen auf die beiden Yorukage nieder. Daiya riss erschrocken ihre Peitsche nach oben und Ryo baute ein Schutzschild aus Drachenenergie um sich herum auf. Ein Moment für Ashi, um kurz durchzuatmen und nachzudenken. Egal was du tust, bleib cool. Vertrau auf deine Fähigkeiten und glaub an deinen Sieg. Selbstvertrauen ist eine der wichtigsten Fähigkeiten, die du als Kartenzauberer haben musst. Diese Worte hatte ihr Tetsuno einmal beim Training ans Herz gelegt. Jetzt würden sie vielleicht über Ashis Sieg oder ihre Niederlage entscheiden. Ashi war auf beides vorbereitet, konzentrierte sich jetzt aber voll und ganz auf den Kampf. Daiya und Ryo hatten sich inzwischen wieder von ihrem Schrecken erholt und nun ging der Drachenmagier zum Angriff über. "Das war ja schon mal nicht schlecht", meinte er hämisch, "aber wart nur meine nächste Attacke ab, da hilft dir dein Windwall auch nichts mehr!" Er zog eine Karte und schrie: "Dark Nightmare Dragon!!" Mit einem Mal verdunkelte sich der Himmel. Wind kam auf und fegte über den Kampfplatz. Und dann erstand direkt aus dem Nichts ein riesiger Drache und breitete die Schwingen aus. Seine Augen leuchteten blutrot und die Krallen an seinen Klauen zitterten bereits angriffslustig. Im nächsten Moment stürzte er auf Ashi los. Ein Schrei war das Erste, was der Windmagierin dazu einfiel. Geistesgegenwärtig warf sie sich zur Seite und der Drache stieß ins Leere. Hastig richtete sie sich wieder auf und setzte den Whirlwind Blast ein. Der Sturmwind baute sich vor ihr auf und der Drache startete eine weitere Attacke. Ashi vertraute auf die Macht ihrer Windmauer und wartete ab - doch das war ein Fehler gewesen. Der Drache raste durch die Luft auf den Wirbelsturm zu und flog hindurch, als ob er nicht vorhanden wäre. Ashi riss die Augen auf und der Drache rammte seine Klauen tief in ihre Schultern. Das Mädchen ließ einen schmerzerfüllten Schrei los und sank zu Boden. "Ashi-chan!!", brüllten Tetsuno und Ivy aus einiger Entfernung und versuchten verzweifelt, sich aufzurichten. Ryos Karte erlosch und er lächelte kalt beim Anblick der zusammengebrochenen Asahoshi. "Du darfst übernehmen, Schwester." Daiya grinste ebenfalls und griff nach ihrer nächsten Karte. "Scarlet Arrow!" Ashi hatte gerade genug Kraft gefunden, um sich trotz ihrer blutenden Schultern noch einmal hochzustemmen, als Daiyas Feuerpfeil auf sie zusauste und sich in ihr rechtes Bein bohrte. Mit einem leisen Stöhnen ging Ashi abermals in die Knie. Sie spürte, wie ihr Tränen in die Augen traten. Ihre Schulter brannten unaufhörlich, der Schmerz in ihrem Bein breitete sich weiter aus und wurde unerträglich. Wie in weiter Ferne hörte sie die Schreie ihrer Freunde. Dann sah sie auf und bemerkte, dass Daiya inzwischen direkt vor ihr stand, die Feuerpeitsche in der Hand und ein mordlustiges Funkeln in den Augen. "Du warst nicht schlecht, Tornadomädchen. Aber ehrlich gesagt hätte ich bei deiner Aura weit mehr erwartet. Schade, dass es schon so früh für dich vorbei ist... ich hätte gern noch ein wenig mit dir gespielt. Jetzt muss ich dich leider töten, Ashi-chan... danach dürfen dann deine Freunde dran glauben. Einer nach dem anderen." Sie leckte sich genüsslich über die Lippen und schlug mit ihrer Peitsche zu. Ashis Wange brannte. "Zuerst dieser vorlaute Wassermagier." Sie schlug wieder zu und ein beißender Schmerz machte sich in Ashis Brust breit. "Dann der Gewitterbiker." Ashi ging unter dem nächsten Schlag vollkommen zu Boden. "Anschließend eure Kräuterhexe." Der nächste Hieb traf Ashis Rücken und die Windmagierin hustete Blut. "Und dann als Nachtisch dein feuriger Freund... das wird mir ein besonderes Vergnügen sein... und jetzt stirb, Ashi!!!" Sie holte zum letzten, entscheidenden Schlag aus. Da zitterte auf einmal die Luft. Mit einem Ruck setzte sich Ashi wieder auf und eine übermächtige Druckwelle breitete sich von ihr aus, als sie losbrüllte. "NEEEEEIIIIIIN!!!!" Daiya verlor das Gleichgewicht. Ihre Feuerpeitsche löste sich auf und mit einem Kreischen wurde die Feuer-Yorukage zu Boden geschleudert. Ihr Bruder Ryo taumelte ebenfalls und wurde von den Füßen gerissen. Die Druckwelle fegte über beide hinweg und verlor sich dann im Nichts. Daiya griff sich an die Brust und rang nach Atem, während sie bewegungsunfähig und mit weit aufgerissenen Augen auf dem Boden lag. Ryo bewegte sich überhaupt nicht mehr und starrte nur noch fassungslos und mit geöffnetem Mund an den dunklen Himmel. "ASHI-CHAN!" Ashis Sinne waren benebelt. Verschwommen sah sie Ivy, Tetsuno, Bacardi und DBO auf sich zukommen, sie alle schleppten sich mehr voran, als dass sie wirklich liefen. Ivy und DBO erreichten sie als Erste. Das Bild der beiden wurde immer undeutlicher vor Ashis Augen. "Ich muss sie sofort heilen, sonst stirbt sie uns weg!", hörte sie Ivy noch entsetzt sagen. Das Letzte, was sie mitbekam, war, dass DBO sich über sie beugte und ihr zurief: "Halt durch, Ashi! Halt durch...!" Dann wurde alles schwarz um Ashi. Part 15 : Der verhexte Wald Ashi wanderte durch einen grünen Wald. Die Farben der Natur waren beruhigend, aber irgendwie unwirklich. Ashi kümmerte sich nicht darum und lief weiter zwischen den hohen Laubbäumen hindurch. Wundersame Blumen blühten am Wegrand und ein hauchdünner, blasser Nebel lag in der Luft. Die Sonne schien seltsam rötlich durch die Baumwipfel und verbreitete eine wohlige Wärme über dem ganzen Wald. Alles war wunderschön und gut in diesem Wald. Nur eins fehlte. Es war still. Kein einziger Laut war zu hören. Ein kristallklarer kleiner Bach bahnte sich zwischen den Bäumen hindurch und kreuzte Ashis Weg. Die Windmagierin sah sich um und kniete sich dann ans Ufer des Rinnsals. Als sie sich über den Bach beugte, um etwas Wasser zu schöpfen, sah sie ihr Spiegelbild in den kleinen Wellen. Für einen Moment blieb es erhalten, doch dann färbte sich plötzlich das gesamte Wasser tiefschwarz. Ashi erschrak. Ihr Spiegelbild verschwand und auf einmal schossen Tausende durchscheinende, graue Hände aus den nun tosenden Fluten hervor und griffen nach Ashi. Noch bevor sie schreien konnte, wurde sie von den geisterhaften Händen ins Wasser gezogen und Ashi fiel in ein tiefes schwarzes Loch, das kein Ende hatte. Sie fiel und fiel und fiel und fiel... "Ashi-chan!! Verdammt, jetzt wach auf! Wach auf! Komm schon!!" Zwei starke Hände rüttelten Ashi solange, bis das Mädchen die Augen aufschlug. Verwirrt und erschrocken keuchend blinzelte sie. Es war plötzlich wieder hell um sie, die Schwärze und Dunkelheit waren verschwunden... dann tauchten zwei himmelblaue Augen vor ihr auf und Ashi erkannte Tetsuno. Erleichtert schloss sie die Augen wieder. "Tetsuno..." "Alles okay?", erkundigte sich der Feuermagier besorgt, "Hast du schlecht geträumt?" Ashi wischte sich den Schweiß von der Stirn. "Ich glaub schon..." Noch leicht zitternd setzte sie sich auf und blickte um sich. Sie hatte an einen Baum gelehnt im Gras eines kleinen Parks gelegen, der jetzt von der untergehenden Abendsonne beleuchtet wurde. Kein schwarzes Wasser. Keine Geisterhände. "Hey, Ivy!!", brüllte Tetsuno zur Seite, "Sie ist wach!" Ashi wandte den Kopf herum und erkannte Ivy, DBO und Bacardi, die um ein kleines Lagerfeuer herum saßen. Ivy sah jetzt zu ihnen hinüber, sprang auf und humpelte herbei. Sie ging neben Ashi in die Knie und strahlte sie an. "Na du? Geht's wieder besser? Tut noch irgendwas weh?" "Äh..." Ashi suchte vergeblich nach einem Gefühl von Schmerzen, fand aber keines. "Nein, überhaupt nichts, aber was zum Geier..." Während Ashi verwirrt an sich herunterblickte und feststellen musste, dass von ihren tödlichen Wunden nur kleine Verletzungen übrig geblieben waren, grinste Ivy und erklärte: "Ich hab dich mit Healing Plants geheilt. Dachte ja eigentlich, du würdest sofort wieder auf die Beine kommen, aber ich war wohl zu spät dran... du bist ohnmächtig geworden und hast jetzt den ganzen Nachmittag über geschlafen." Ashi riss die Augen auf. "A-aber Ivy-chan, ihr seid doch auch alle verletzt und..." "Immer mit der Ruhe", mischte sich Tetsuno ein, "du sahst von uns allen am schlimmsten aus, Ashi-chan, du hattest es am nötigsten - gleich nach Ivy, die war auch schon mal hübscher." Ivy boxte ihn in die Seite. "Hey, nicht frech werden, du - oh, entschuldige bitte!" Sie hielt sich die Hand vor den Mund, als Tetsuno ein langgezogenes Stöhnen von sich gab und sich die Seite hielt. "Das hatte ich vergessen, Tetsuno, sorry...!" Ashi rappelte sich vollends auf und holte ihre Cure Breeze-Karte aus der Hosentasche. "Hände weg da und stillhalten", befahl sie Tetsuno und setzte ihre Karte ein. "Ey, stop!", protestierte Tetsuno, als der sanfte Windhauch aus der Karte auferstand und über seine Wunde an der Seite rauschte, "Ich hab doch gesagt, Ivy hat's nötiger!" "Kommt schon noch", erwiderte Ashi und lenkte den Windhauch auf Ivys Nacken um, der blutverschmiert war und wirklich kein schönes Bild abgab, "für soviel reicht die Kraft von Cure Breeze schon." Die beiden Wunden verschwanden fast vollständig und Tetsuno und Ivy sahen Ashi halb überrascht, halb dankbar an. Diese stand jetzt auf und zog die anderen beiden mit sich auf das Lagerfeuer zu, wo sie sich in respektvollem Abstand von den Flammen zu DBO und Bacardi setzte. "Hi Jungs. Alles in Ordnung mit euch?" "N Abend, du Langschläferin", grüßten DBO und Bacardi grinsend und im Chor. "Siehst ja wieder blendend aus, Twister", stellte Bacardi zufrieden fest. "Danke für die Blumen. Aber jetzt erklär mich doch mal einer, wo die beiden Yorukage abgeblieben sind!" "Daiya und Ryo?" DBO schnaubte verächtlich. "Die haben sich so schnell wie möglich aus dem Staub gemacht, sobald sie wieder halbwegs einsatzfähig waren... nach deiner Druckwellenaktion haben die beiden erst mal für ein paar Minuten flach gelegen. Wir haben die Versager liegen lassen und dich in diesen Park gebracht." Tetsuno und Ivy nahmen jetzt ebenfalls bei den anderen Platz und sofort spürte Ashi die Blicke des Feuermagiers, die sie beinahe von der Seite her durchbohrten. Sie sah ihn fragend an. "Das war vorhin absoluter Irrsinn, Ashi-chan", platzte Tetsuno heraus, "Ich pack's immer noch nicht so ganz, wie hast du das bloß angestellt? Dein Angriff hätte sogar den Papst aus den Gebetslatschen gehauen!" Ashi schüttelte langsam den Kopf. "Ich hab keine Ahnung, Tetsuno. Es kam einfach so über mich. Die Kraft war auf einmal da und dann... na ja, dann hab ich sie eben eingesetzt. Mehr weiß ich auch nicht." Stille kehrte am Lagerfeuer ein. Eine Weile lang sagte keiner etwas, dann brach DBO das Schweigen mit einem Seufzen wieder. "Jedenfalls wissen wir jetzt, dass die Songai-Geschwister doch Recht hatten, als sie gesagt haben, du hättest was Besonderes an dir, Ashi." Bacardi nickte und zündete sich eine Zigarette an. "Worauf du wetten kannst. Ich glaube, die beiden haben erst mal die Schnauze voll von uns. Den heutigen Tag werden sie wohl nicht so schnell vergessen." Er lachte leise. "Hättest ihre Gesichter sehen sollen, als sie sich verdünnisiert haben, Ashi... zum Schießen. Leider war mir in dem Moment nicht wirklich danach." Die Windmagierin grinste und fuhr sich über die kleine Wunde an ihrem Arm. "Ich muss mich noch bei dir bedanken, Ivy-chan... war echt lieb, dass du mir geholfen hast." "Gern geschehen." Ivy lächelte sie an. "Außerdem hast du mir ja auch geholfen." "Also", meldete sich Tetsuno wieder zu Wort, "wir haben vorhin beschlossen, dass wir heute Nacht hier bleiben. Der Wald ist bloß noch einen Katzensprung entfernt, aber den nehmen wir morgen in Angriff." Der Wald. Bei diesem einfachen Begriff bekam Ashi urplötzlich eine Gänsehaut. Ivy, die direkt neben ihr saß, sah sie überrascht an. "Ashi-chan, alles klar? Ist dir kalt?" Die Wind-Asahoshi schüttelte zögernd den Kopf. "Nein, ist schon gut. Nur... eine Erinnerung." Sie schluckte. Ivy nickte langsam. "Na gut. Wenn du meinst." Einige Stunden später, als die Flammen des Lagerfeuers langsam herunterbrannten und die Sonne sich bereits hinter den Horizont verzogen hatte, schienen die Asahoshi alle schon zu schlafen. Doch der Schein trog, wie Ashi feststellen musste, als sie sich aufsetzte und umsah, weil sie absolut nicht einschlafen konnte. Ihr Blick streifte den laut schnarchenden Bacardi, dessen neongrüne Strähnen im spärlichen Feuerschein noch immer intensiv leuchteten, den ruhig und still schlafenden Tetsuno, dessen Schwert im Mondschein glitzerte, und die friedlich schlummernde Ivy, deren Mundwinkel immer wieder zuckten, als ob sie gerade von etwas sehr Spannendem träumte. Aber - da fehlte doch einer! Wo war DBO bloß abgeblieben? Ashi rappelte sich auf. Sie sah sich im Schein der Sterne an ihrem Lagerplatz um, konnte den Wassermagier jedoch nirgends entdecken. Also machte sie sich auf und suchte die Umgebung nach ihm ab. Eine Weile wanderte sie so durch den nächtlichen Park, dann kam sie an einem kleinen, von Felsen umrandeten Teich an, in dem sich der Mond spiegelte. Dort, auf einem großen Fels, den Kopf in beide Hände gestützt und still auf das Wasser starrend, saß DBO, vor dem mal wieder ein paar Wassertropfen in der Luft hingen. Er bemerkte Ashi erst, als sie sich neben ihm auf dem Stein niederließ und ihn fragend ansah. "Ashi", sagte er überrascht, "was machst du denn hier...?" "Ich konnte nicht einschlafen, hab schließlich den ganzen Nachmittag über gepennt", erklärte die Angesprochene seufzend, "irgendwie bin ich noch hellwach. Und was ist mit dir? Warum bist du hier?" "Ach, bloß so", murmelte DBO, "ich hab nur ein wenig... nachgedacht." Er fixierte die Wassertropfen vor sich. Ashi legte den Kopf schief. "Darf ich wissen, worüber, oder geht mich das nichts an?" "Geht dich nichts an." "Ah. Na gut..." Sie grinste. "Hab ich mir schon fast gedacht." Eine Zeit lang herrschte Stille zwischen den beiden und sie betrachteten gemeinsam den Sternenhimmel. Dann wollte DBO leise wissen: "Erinnerst du dich wirklich nicht daran, wie du diese Druckwelle erzeugt hast? An gar nichts?" Ashi antwortete nicht. Angestrengt fixierte sie einen Stern am Firmament, um DBO nicht ansehen zu müssen. "Du kannst es mir erzählen. Ich werde mit niemandem darüber sprechen." Er atmete tief durch. "Du kannst mir... vertrauen, Ashi." Die Windmagierin nickte leicht. "Ich weiß, DBO. Und dafür bin ich dir sehr dankbar." Einen Moment zögerte sie noch, dann erklärte sie: "Als ich da vor Daiya am Boden lag... und sie mich immer wieder geschlagen hat... da bin ich furchtbar wütend geworden. Sie hat jeden einzelnen von euch aufgezählt und mir lang und breit erklärt, wie viel Spaß sie doch dran haben wird, euch nacheinander umzubringen. Ich hatte meinen Zorn nicht mehr unter Kontrolle. In diesem Augenblick habe ich nur noch an euch gedacht. An Ivy-chan, Tetsuno, Bacardi und an dich, DBO. Das ist das letzte, woran ich mich erinnern kann, danach entstand plötzlich diese wahnsinnige Kraft in mir." DBO hob die Augenbrauen. "Wow. So ist das also... scheint ja fast, als ob du deine Stärke aus dem Gedanken an deine Freunde gewinnst." Bei dem Worte "Freunde" zuckte Ashi unwillkürlich zusammen. DBO registrierte es und sah sie einen Moment lang verständnislos an. Dann entspannte sich sein Gesichtsausdruck wieder und er sagte sanft: "Du hast Angst davor, uns deine Freunde zu nennen." Ashi riss den Kopf herum und sah ihm in die Augen. Ihr Blick flackerte, ihre Miene wurde immer verzweifelter. DBO fragte gar nicht erst nach, ob er mit seiner Vermutung recht hatte --weil er wusste, dass er recht hatte. Ashi schien für ihn ein offenes Buch zu sein. "Es tut mir leid, wenn dich das eben verwirrt hat", entschuldigte sich DBO vorsichtig, "weißt du, Ashi... wenn ich behaupten kann, eins wirklich gut zu können, dann ist das die Gedanken anderer zu durchschauen. Manchmal wird es mir selbst ein wenig unheimlich, aber... ich weiß einfach, wie die anderen Leute denken." Er griff nach einem Kiesel neben sich und warf ihn in den Teich. "Du musst dich nicht entschuldigen", erwiderte Ashi leise, "ich bin selbst schuld daran. Würde ich meine Gefühle zeigen, dann..." Sie brach ab, biss sich verbittert auf die Unterlippe und sah weg. DBO sah sie weiterhin an, sagte aber nichts mehr dazu. Nach einer Weile ergriff Ashi wieder das Wort. "Was weißt du über diesen verhexten Wald, DBO?" Der Wassermagier zuckte mit den Schultern. "Nicht viel... man muss aufpassen, dass man die Begriffe wissen und gehört haben unterscheidet, wenn man von diesem Wald redet, Ashi. Die Leute erzählen sich viele wirre Geschichten über diesen Platz; ich vermute, dass nicht mal die Hälfte davon stimmt. Ich kann dir erzählen, wieviel ich davon glaube... aber gib nicht allzu viel auf meine Meinung, selbst DBO irrt sich mal." Er warf einen weiteren Kiesel ins Wasser und erklärte: "Man sagt, dass dieser Wald schon länger steht als Kama-To selbst. Die Stadt wurde einfach um ihn herum aufgebaut, ohne dass der Wald gefragt wurde. Fast alle Bäume im Gebiet der Stadt wurden gefällt, um Platz für neue Siedlungen zu schaffen, nur um den verhexten Wald machten die Menschen einen Bogen. Aus irgend einem Grund wagten sie es nicht, ihn abzuholzen. Gerüchte gingen um, dass dieser Wald heilig sei - oder verflucht, das eine oder das andere. Angeblich sollten dort uralte Geister ihr Unwesen treiben. Tja, und diese Legenden haben sich bis in die heutige Zeit hartnäckig gehalten. Die Leute glauben weiterhin dran und haben Angst vor diesem Wald. Zurecht, wenn du mich fragst. Irgend etwas stimmt an dem Wald wirklich nicht, sonst würde es in letzter Zeit nicht dauernd zu solchen mysteriösen Zwischenfällen kommen... irgendwas ist an diesem alten Hokuspokus doch dran." Er warf noch einen Kiesel in hohem Bogen in den See und schwieg dann. "Verstehe", meinte Ashi und zog ihre Knie an, als ein leichter Kälteschauer sie schüttelte, "weißt du, DBO, ich hab... ein bisschen Angst vor diesem Wald." Sie schluckte. "Angst?" "Ja, ich... hab etwas geträumt. Von einem Wald. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es der verhexte Wald war. Und dieser Traum hat mir eben einen ziemlichen Schrecken eingejagt..." "Wie meinst du das?" DBOs Stimme klang alarmiert. "Könnte es gefährlich für uns werden?" "Nein, nein, nicht für euch", widersprach Ashi sofort, "es war nur ein wenig... unheimlich, verstehst du? Ich glaube, dass mit diesem Wald so Einiges auf uns zukommt, worauf wir uns schon mal einstellen sollten... kann sein, dass das eine der schwierigsten Stellen unserer Wanderung wird." DBO stieß geräuschvoll die Luft aus. "Na, da kann ich mich ja auf was freuen. Wenn sogar du schon anfängst zu unken..." Ashi riss die Hände abwehrend vors Gesicht. "Nein, du verstehst das falsch, es ist doch nur so, dass..." Sie hielt inne und ließ ihre rechte Hand langsam wieder sinken. Ihr Gesicht verzerrte sich. DBO registrierte, dass etwas nicht stimmte und besah sich ihre Hand. Ein tiefer Kratzer zog sich über Ashis Handrücken. "Der... ist wohl noch vom Kampf vorhin", meinte Ashi zerknirscht und wollte die Hand zurückziehen. Doch DBO ließ es nicht zu. Er griff nach ihrer Hand und hielt sie fest. "Ashi", sagte er ernst und sah der Windmagierin in die grauen Augen, "Ich glaube, du solltest wissen, warum ich mich dir angeschlossen habe. Ich kann es dir nicht ewig verheimlichen." Ashi sah ihn überrascht an. "Was? Aber... ich dachte, du wärst mitgekommen, weil Tetsuno..." DBO wand den Kopf. "Es ging nicht nur um Kasai, Ashi. Es stimmt schon, ich wollte wegen ihm mitgehen, aber das nur, weil ich... Angst hatte, er könnte dir etwas antun." "Aber warum?", hakte Ashi verständnislos nach, "Du kanntest mich doch damals noch gar nicht!" DBO lächelte matt. "So sah es vielleicht für dich aus. Aber mir kam es so vor, als würde ich dich schon Ewigkeiten kennen, Ashi." Die Windmagierin kapierte immer noch nichts und es blieb bei einem Eichhörnchenblick von ihrer Seite. DBO schüttelte den Kopf. "Du kommst wohl wirklich nicht von selbst drauf. Ashi... ich habe mich im ersten Moment, in dem ich dich gesehen habe, total in dich verliebt." Rumms. Das hatte gesessen. Ashi saß wie vom Blitz getroffen neben DBO auf dem Felsen und starrte ihn mit offenem Mund an. "W-w-was?? Ja, aber, aber ich, aber du..." DBO lächelte schwach. "Schon gut. Du brauchst jetzt nichts zu antworten. Ich wollte es dir nur sagen, weil ich nicht ewig damit leben kann, ohne dass du davon weißt. Ich erwarte nichts von dir, Ashi, weil ich weiß, dass du meine Gefühle nie erwidern wirst." Ashi blickte ihn verzweifelt an. "DBO, ich... du weißt, dass ich dich unheimlich gern habe, aber..." Der Wassermagier hob die Hand. "Ja, das weiß ich. Und ich weiß auch, dass es dabei bleiben wird... weil ich deine Gefühle durchschaue, Ashi." Trotz dieser verfahrenen Situation verlor er sein Lächeln nicht. "Deswegen möchte ich nur eins: Versprich mir, dass du in Zukunft gut auf dich Acht gibst. Ich will dich nicht verlieren. Dafür werde ich dich auch beschützen, solange wir zusammen sind. Versprochen?" Ashi schluckte. Tränen waren in ihre Augen gestiegen und schimmerten jetzt im fahlen Mondlicht wie Perlen. Dann nickte sie mit einem leisen Schluchzen. "Versprochen." DBO nickte ebenfalls. "Dann verspreche ich es auch." Er hob ihre verletzte Hand an und küsste sie. Der nächste Morgen begann mit einem kräftigen Regenguss, der die fünf sorglos schlafenden Asahoshi allesamt mit einem Schlag aus den nicht vorhandenen Betten haute. Tetsunos und Bacardis Stimmung schlug sofort auf Sturmmeldung um, als Tetsuno sich seinen Kaffee über einem Feuerchen warm machen wollte, dieses aber sofort ausging, und Bacardi zwei Minuten lang vergeblich versucht hatte, sich bei dem Regen eine Zigarette anzuzünden; die beiden nahmen ihr Frühstück schweigend und nur ab und zu mit einem leisen Fluchen zu sich. Die anderen drei waren ebenfalls recht schweigsam, sogar Ivy schien heute mal nicht die beste Laune zu haben. Das lag vermutlich aber auch daran, dass sie wie die anderen nicht genau wusste, was heute auf sie zukommen würde. Trotzdem brachen die Fünf ziemlich früh auf, weil sie glaubten, im Wald nicht mehr ganz so nass zu werden wie hier im Park. Und wer konnte schon wissen, ob aus diesem Platzregen nicht noch ein richtig schönes Unwetter werden würde. Nach einer Viertelstunde Fußmarsch hatten sie den Park hinter sich gelassen und betraten wieder die Hauptstraße. Noch eine halbe Stunde später entdeckten sie, durch die grauen Schwaden aus Regen hindurch, vor sich die ersten hohen Bäume. Mit gemischten Gefühlen in der Magengegend betraten sie wenige Minuten später den Wald. Sobald sie am ersten Baum vorbei waren, ebbte der Lärm der Großstadt augenblicklich ab. Je weiter sie in den Wald hineinliefen, um so dichter wurde die gespenstische Stille, die sich von Anfang an eingestellt hatte. Eigentlich hatten sie ja dem Weg folgen wollen, den sie am Rande des Waldes gefunden hatte - nur dummerweise löste sich dieser Weg nach ein paar hundert Meter plötzlich im Nichts auf. Die Asahoshi blieben verblüfft stehen und sahen sich um. Der kleine Teerpfad endete mitten im Wald, als hätte jemand das restliche Stück sauber mit einer Schere abgeschnitten. Erst jetzt bemerkten die Fünf auch, dass der Regen schon lange aufgehört hatte und von dem furchtbaren Wetter nur noch ein dunstiger Nebel übrig geblieben war, der sich federleicht durch die uralten Bäume hindurchschlängelte. Bei jedem Mitglied der Gruppe stellte sich Gänsehaut ein, als auf einmal die ersten Sonnenstrahlen durch die Wipfel schienen. Ivy schluckte. Normalerweise fühlte sie sich in freier Natur ja pudelwohl, immerhin war sie dann in ihrem Element, aber hier... nein, hier wollte sie wirklich nicht länger als nötig bleiben. Dieser Wald hatte etwas Unbeschreibliches an sich. Es war weder gut noch böse, konnte nicht wirklich definiert werden. Die Umgebung schien irgendwie... unwirklich. Die Bäume wuchsen so hoch in den Himmel hinauf, dass man ihr Ende nur erahnen konnte. Der Boden war von taubesetztem Gras übersät, grüne Büsche und Farne wucherten hier und da, Blumen in den schönsten Farben schillerten durch den glitzernden Nebel hindurch. Und doch schien diesem wunderbaren Wald etwas zu fehlen. DBO schluckte plötzlich. "Leute... hört doch mal..." Die anderen spitzten die Lauscher. "Ich hör nichts", verkündete Tetsuno achselzuckend. "Das mein ich ja", murmelte DBO und sah sich unruhig um, "hier ist es so verdammt still... kein Laubrascheln, keine Vögel, keine Tiere - einfach gar nichts." Er drehte sich einmal um sich selbst und stellte dann fest: "Wir sind hier auf keinen Fall in einem gewöhnlichen Wald." Keiner erwiderte etwas auf seine Kundtuung, aber die Gesichter der Asahoshi wurden immer bleicher. Keinem von ihnen gefiel dieser Ort wirklich, so berauschend die Farben und Formen auch sein mochten. Besonders Ashi war mehr als beunruhigt. Dieser Wald, in dem sie sich hier befanden, war ohne Zweifel der Wald aus ihrem Traum. "Ich komm mir vor wie Alice im Wunderland", flüsterte sie nervös. Da ein Weg ja nicht mehr vorhanden war, blieb den Asahoshi nichts weiter übrig, als immer der Nase nach durch den riesigen Wald zu marschieren. Ashi und Ivy blickten immer wieder über ihre Schultern zurück und warfen die Köpfe nach allen Seiten, um vielleicht doch noch irgendwo einen Weg zu finden - vergeblich. So waren sie wohl gut eine Stunde lang unterwegs und verloren währenddessen jegliche Orientierung. Tetsuno und DBO, die ganz vorne liefen, hatten eigentlich keine Ahnung, wohin sie gingen. Die anderen folgten ihnen trotzdem widerspruchslos. Ihre Umgebung veränderte sich kaum - bis sie auf einmal mitten zwischen den Baumstämmen etwas erkennen konnten, das ganz sicher nicht in einen gewöhnlichen Wald passte. Tetsuno erblickte es als Erster, zog die Augenbrauen zusammen und beschleunigte seinen Schritt, während er darauf zusteuerte. Die anderen legten ebenfalls einen Zahn zu und als sie Tetsuno eingeholt hatten, betrachtete dieser gerade eine in den Waldboden eingelegte... "Marmorplatte???" DBO klappte die Kinnlade herunter. Bacardi trat neben ihn und hob den linken Mundwinkel. "Was zum Geier... was soll das hier?" "Das ist nicht die einzige hier", meinte Tetsuno und deutete nach vorne, "seht doch, da vorne kommt noch eine und dahinter noch eine..." "Hey", rief Ashi begeistert, "vielleicht... vielleicht ist das so eine Art Weg!" Bei dem Wort "Weg" setzten sich alle sofort wieder in Bewegung und sie folgten den weißen Marmorplatten. So wurden sie eine ganze Weile lang durch den Wald geführt, bis sie schließlich auf einer Lichtung ankamen, auf deren Boden eine Anreihung von weißen Marmorplatten lag, die ein halbes Fußballfeld füllen konnte. Obwohl es nicht mal wirklich eine Lichtung war. Hier auf den Marmorplatten wuchsen zwar keine Bäume, aber besonders viel Tageslicht drang trotzdem nicht von oben her durch, weil die Bäume an den Seiten sich so weit mit ihren Ästen und Zweigen über den Platz beugten, als ob sie eine Kuppel darüber bauen wollten. Die fünf Asahoshi blieben mit offenen Mündern vor der Lichtung stehen. "Ääh... Leute...?" Bacardi rieb sich die Augen. "Bild ich mir das bloß so ein, oder... kommt ihr euch auch grade wie in einem richtig, richtig irren Film vor...?" "Mir geht's jedenfalls genauso", murmelte Ivy verständnislos. Ashi ließ ihren Blick über den völlig leeren, weiß gefliesten Platz schweifen und schüttelte kaum merklich den Kopf. "Was ist das hier für ein Ort? Ein weißer Marmorplatz mitten in einem Wald... das ergibt einfach keinen Sinn." Tetsuno zuckte mit den Schultern. "Wenn wenigstens irgendwas rumstehen würde, was weiß ich, ein Altar oder so was, dann würd ich ja sagen, hier treffen sich verbotene Sekten, aber..." Ashi überlegte noch einen Moment, dann betrat sie den Platz. Die anderen schienen nur darauf gewartet zu haben, dass einer von ihnen den ersten Schritt machte, denn sie folgten der Windmagierin sofort. Ashi lief bis zur Mitte des Platzes - und blieb wie versteinert stehen, als plötzlich ein Geräusch erklang. Es klang wie das Rauschen des Windes, aber dafür zischte es zu sehr. Die anderen taten ebenfalls keinen Schritt mehr, als sie es hörten. Eine Weile lang fauchte es um sie herum, dann konnten sie endlich erkennen, dass es eine Stimme war, die aus dem Nichts zu ihnen sprach. "Sssssseid willkommen, Reissssssende", zischte die körperlose Stimme, die sie wie eine Windbö zu umkreisen schien, "sssseid willkommen an unsssserem Ruheplatzzzzz..." Part 16: Herzensprüfung "Ruheplatz?", wiederholte Tetsuno verständnislos. Er war der einzige, der noch genug Nerven übrig hatte, um überhaupt noch zu sprechen. "Ja", hauchte die Stimme, "Der Ruheplatzzz der ersssssten Assssahosssshi und Yorukage, die im Ssssstreit der beiden Clansss ihre Leben verloren." Ashi trat einen Schritt zurück und klammerte sich an Ivy fest, die sich ihrerseits in Bacardis Kampfanzug gekrallt hatte und panisch in alle Richtungen blickte. Doch die Stimme erwartete anscheinend gar nicht, dass einer von ihnen etwas sagte, sie sprach von alleine weiter. "Ihr habt den verbotenen Wald betreten, der Wald, in dem unsssser Heiligtum ssssteht, auf dem ihr euch in diesssem Augenblick befindet. Hier an diesssem Ort prüfen wir die Herzzzzen derer, die diessssen Wald durchssschreiten wollen. Wer ein reinessss Herzzz hat, der darf passssieren und wird den richtigen Weg ausss dem Wald finden. Wer bei der Prüfung versssagt... musssss für immer in diessssem Forsssst umher irren, bissss er zzzzugrunde geht." Allgemeines Schlucken. Keiner wusste genau, was jetzt kommen würde. Mussten sie etwa auch so eine Prüfung ablegen...? "Nun sssseid ihr an der Reihe, geprüft zzzzu werden. Macht euch bereit. Ich hole meine Kameraden herbei..." Für einen Moment erstarb das Flüstern. Dann, mit einem Mal, war die Luft plötzlich erfüllt von so vielen zischenden, körperlosen Stimmen, dass Ashi die Augen schloss und darum kämpfte, nicht ohnmächtig vor Angst zu werden. Ivy schien es kaum besser zu gehen, da sie wie Espenlaub zitterte und sich immer noch an Bacardi festhielt - dessen Haut inzwischen eiskalt geworden war. Tetsuno und DBO machten zwar einen gefassten Eindruck, waren innerlich aber auch nicht besser dran als ihre Freunde. Und dann war endlich etwas zu sehen. Die vielen Stimmen nahmen auf einmal Gestalt an. Milchig weiße, durchscheinende Körper bildeten sich auf dem Marmorplatz. Die schillernden Körper verstorbener Menschen, es war ein gutes Dutzend. Einige von ihnen waren noch ganz jung, die anderen sahen schon alt und gebrechlich aus, manche schienen arm, andere reich gewesen zu sein, doch alle hatten eines gemeinsam: Sie starrten Ashi, Tetsuno, DBO, Ivy und Bacardi an wie Geier auf Beuteflug. Die Stimme, die sie zuerst gehört hatten, war in ihre ursprüngliche Form zurückgekehrt und stand jetzt als alte Frau vor den Fünfen. Sie trug ein langes, weißes Kleid und ihre ebenso weißen Haare rahmten ihr ernstes Gesicht in kinnlangen Locken ein. Ihre Augen waren unnatürlich groß und strahlten wie zwei Diamanten, obwohl die Frau schon über siebzig gewesen sein musste, als sie in einem Clanstreit den Tod fand. Wer konnte schon wissen, wie lange sie jetzt als Geist existierte... ein paar Jahrhunderte waren es gewiss schon. Als sie zu sprechen begann, stellten alle erleichtert fest, dass sie endlich aufgehört hatte zu zischen, jetzt, wo sie die Form eines Menschen angenommen hatte. Ihre Stimme war nun hell und klangvoll und wirkte gar nicht mehr so gruselig. "Wir werden nun beginnen", erklärte sie den Asahoshi, "und in eure Herzen sehen. Lasst uns einen Augenblick Zeit. Meine Brüder und Schwestern werden mit mir gemeinsam beraten, ob ihr es würdig seid, diesen Wald auf direktem Wege wieder zu verlassen - oder nicht." Alle versammelten Geister schlossen nun die Augen und schienen sich auf jeden einzelnen in der kleinen Gruppe zu konzentrieren. Ein seltsames Gefühl. Ashi glaubte fast, die Blicke der Verstorbenen zu spüren, die geradewegs in ihr Herz spähten. Sie packte Ivys Hand noch fester und bemerkte kaum, wie sie sich mit der anderen Hand auch noch an Tetsuno festklammerte. Dann, die Zeit schien still zu stehen, öffneten die Geister ihre Augen endlich wieder. "Wir haben uns geeinigt", erklärte die alte Frau mit würdevoller Stimme, "und alle eure Herzen geprüft. Nun werden wir euch sagen, ob euch die Freiheit oder ewiges Umherirren erwartet." Noch bevor die Asahoshi über die Bedeutung ihrer Worte nachdenken konnte, streckte sie einen ihrer knochigen Finger aus und zeigte damit auf DBO. "Du, Wassermagier, hast ein reines Herz. Du möchtest die beschützen die dir wichtig sind und hast keine schlechten Gedanken. Der Zutritt zur Freiheit sei dir gewährt." DBO ächzte erleichtert. Der Finger der Alten richtete sich auf Tetsuno. "Du, Feuermagier, hast nur gute Absichten und stehst treu zu denen, die du liebst. Wir entlassen dich in die Freiheit." Tetsuno atmete tief durch und drückte Ashis Hand. Jetzt war Ivy dran. "Du, Naturmagierin, hast uns bewiesen, dass dein Herz voller Liebe und Freundschaft ist und keine bösen Gedanken birgt. Verlasse diesen Wald in Frieden." Ivy kullerte vor Erleichterung eine Träne über die Wange und sie schmiegte sich an Ashi. "Du, Gewittermagier", der Totengeist zeigte auf Bacardi, "hattest zwar schon ein paar Mal schlechte Gedanken, hast diese jedoch in deiner Vergangenheit ausreichend bereut und besitzt jetzt ein ebenso reines Herz wie die anderen, die ich schon genannt habe. Sei frei." Bacardis Muskeln entspannten sich endlich wieder und er wischte sich den Schweiß von der Stirn. Man sah ihm an, dass er Schlimmeres erwartet hatte... Ashi war die Einzige, die noch übrig war. "Du, Windmagierin, trägst viele gute Absichten in dir. Die Menschen, die dir nahe stehen, sind dir sehr wichtig und du kämpfst für jene, die du liebst. Aber... zu meinem Bedauern muss ich dir mitteilen, dass wir auch einige schwarze Gedanken in dir gefunden haben." Ashi rutschte das Herz in die Hose und sie wurde kreidebleich. "Dein Herz hat sich zu sehr verschlossen. Außerdem spüre ich, dass du nicht nur einen Herzenswunsch hast... so gut die anderen Wünsche auch sein mögen, diesen einen kann ich nicht dulden. Du willst Rache, Wind-Asahoshi. Rache. Er ist nicht so ausgeprägt wie die anderen, doch er ist vorhanden. Daher haben meine Brüder und Schwestern mit meiner Zustimmung beschlossen, dass wir dir die Freiheit nicht mehr wiedergeben können. Du wirst in den Wald verbannt. Leb wohl." Alle Fünf rissen Münder und Augen auf und wollten in Protestgeschrei ausbrechen - doch da hatte die Alte schon mit den Fingern geschnippt und Ashi sich in Luft aufgelöst. Fassungslos starrten die anderen Vier auf die Stelle, an der Ashi noch vor zwei Sekunden gestanden hatte. Während DBO, Bacardi und Ivy ihre Gedanken zu ordnen versuchten, kochte in Tetsuno die Wut hoch. Er fuhr herum und funkelte die Totengeister an. "Sagt mal, habt ihr sie noch alle, ihr bescheuerten Strahlerentner?? Ihr könnt Ashi-chan nicht einfach in euren blöden Wald verbannen! Sie hat doch nichts Böses getan, verflucht; Ashi-chan weiß noch nicht mal, wie man Böse Gedanken überhaupt buchstabiert!!!" Er ballte die Fäuste und starrte die Geister zornentbrannt an, während Ivy ihn vorsichtig an die Schulter fasste und ihn zu beruhigen versuchte. "Mäßige dich, junger Feuermagier", sagte die Alte mit erhobenem Zeigefinger, "wenn du auf diese Weise weiter denkst, werden sich auch bei dir schlechte Gedanken bilden und dann..." "ICH GEB DIR GLEICH SCHLECHTE GEDANKEN!!!", brüllte Tetsuno sie an, "JETZT HOLT SOFORT ASHI-CHAN ZURÜCK UND LASST UNS HIER RAUS, ODER ES SETZT WAS!!!" Selbst Ivy konnte sich jetzt nicht mehr beherrschen. Sie ließ von Tetsuno ab und sah die Geister finster an. DBO und Bacardi fletschten die Zähne und ließen sich durch das Gerede der Alten nun auch nicht mehr beeinflussen. Diese wiederum schüttelte nun bedauernd den Kopf. "Es tut mir leid für euch, doch ich sehe, auch in euren Herzen haben sich schwarze Gedanken angesammelt. Ihr hegt Hass. Gegen mich und meine Brüder und Schwestern. Es fällt mir schwer, doch nun muss ich auch euch in die ewige Verdammnis schicken." Sie hob die Hand, um noch einmal zu schnippen, doch sie hatte die Rechnung ohne Ivy gemacht. "Stop!!", schrie die Naturmagierin mit einer für sie ungewohnten Härte in der Stimme, "Wagen sie es nicht, uns auch noch in den Wald zu schicken! Ihr Prüfungssystem ist ja wohl das Letzte! Wenn Ashi-chan auch nur einen einzigen schwarzen Gedanken hatte, dann ging der in ihrer ganzen Liebe, ihrem Mitgefühl und ihrer Freundschaft so weit unter, dass er sowieso nicht mehr lange existiert hätte! Ashi-chan mag irgendwann einmal etwas Schlechtes gedacht haben, aber sie hat sich geändert! Ich kenne sie noch nicht allzu lange, doch ich weiß, dass Ashi-chan ein herzensguter Mensch ist. Wenn sie bei einer Prüfung wie eurer durchfällt, dann KANN etwas an eurer Methode nicht stimmen... sagt, was ihr wollt, wir jedenfalls werden diese Entscheidung NICHT akzeptieren!!" Auch sie zeigte nun die Zähne und ihr Gesicht hatte sich vor Zorn verzogen. "Sie hat vollkommen recht!", schaltete sich jetzt auch DBO ein, "Ihr lasst uns hier alle zusammen wieder raus - es gibt kein Aber und Oder! Wir lassen Ashi nun mal nicht im Stich, dafür lieben wir sie alle viel zu sehr - egal, was ihr dazu sagt!" Stille kehrte auf dem Heiligtum ein. Die vier übrig gebliebenen Asahoshi starrten die Totengeister mit entschlossenen Gesichtern an, die Geister hingegen musterten sie mit einem Blick, der nicht zu deuten war. Dann erhob schließlich die Alte wieder das Wort. "Ihr... habt uns überrascht, junge Zauberer. Jemanden wie euch hatten wir in diesem Wald noch nicht... eure Willensstärke und auch die Stärke eurer Seele sind bemerkenswert. Ihr denkt nicht nur an euch, sondern würdet alles aufgeben, um diesen Wald gemeinsam wieder zu verlassen. Auch hat keiner je den Mut aufgebracht, uns anzuschreien oder gar unser Prüfungssystem anzuzweifeln... Das zeugt von einer gewissen Herzensstärke, die sich beinahe wieder mit euren dunklen Gedanken aufhebt." Sie machte eine bedeutungsvolle Pause und sah die Asahoshi alle einzeln an. "Deswegen haben wir uns entschlossen, euch allen, auch eurer Freundin, der Windzauberin, eine letzte Chance zu geben. Wir werden die Stärke eurer Herzen noch einmal auf die Probe stellen - jedoch diesmal müsst ihr euch anders beweisen. Wenn ihr bereit seid, Asahoshi, euch von uns prüfen zu lassen und euren schlimmsten Ängsten direkt ins Gesicht zu sehen, dann lasst es uns wissen. Wenn nicht, gibt es für euch nur noch die Verbannung - oder den Tod, solltet ihr ihn während der Prüfung finden." Bacardi ballte die Fäuste und sein schwarzes Z glühte. "Da fragt ihr noch lange? Macht schon, stellt uns auf die Probe! Wir sind bereit!" "Wir haben keine Angst", fügte Tetsuno grimmig hinzu. Die Alte lächelte schwach. "Das wollen wir doch mal abwarten. Aber ihr habt gewählt. Wir werden euch zu einer letzten Prüfung schicken. Besiegt eure Ängste und ihr bekommt die Freiheit wieder. Viel Glück." Sie schnippte noch einmal mit den Finger und alles wurde schwarz um die Asahoshi. Tetsuno schlug die Augen auf - und schloss sie gleich wieder. Verdammt, war das hell! Er würde etwas brauchen, bis er sich an diesen enormen Lichteinfall gewöhnt hatte. In dieser Zeit verließ er sich auf seine übrigen Sinne. Sofort merkte er, dass, wo immer er hier auch war, die Temperatur beinahe unerträglich war. So heiß war es gewiss nicht mal in der Wüste. Er nahm ein unbeständiges Knacksen wahr und Schatten tanzten vor seinen geschlossenen Augenlidern. Außerdem roch es widerwärtig. Sein Blut, das plötzlich wie wild anfing zu pulsieren, bestätigte seine Vermutung, dass es sich hier um Feuer handelte. Tetsuno schlug die Augen auf. Flammen. Das Erste und auch das einzige, was er sah. Der Boden unter Tetsuno bestand aus verbrannter Erde, überall um ihn herum züngelten Flammen, rot, gelb, heiß und gierig darauf, alles zu versengen, was nahe genug an sie herankam. Ein feuriges Inferno - und Tetsuno war mitten drin. Er atmete einmal tief durch. "Cool bleiben, Tetsuno", murmelte er und ging auf eine Flammenwand zu, "Das hier ist dein Element, du musst dich vor nichts fürchten... scheiße... und was ist, wenn doch...?" Er streckte die Hand aus und griff ins Feuer... Ivy hielt sich den dröhnenden Kopf und stöhnte. Sie war gefallen, von oben her war sie unendlich tief gefallen - bis sie dann sehr unsanft am Boden aufgekommen war. Mit einer Grimasse schüttelte sie sich und öffnete die Augen. Was sie sah, war schwarz. Nicht mehr und nicht weniger. Einfach nur schwarz. Verwirrt blinzelte sie und schlug noch einmal die Lider auf - doch das Bild blieb. Erschrocken blickte Ivy an sich herunter, stellte aber erleichtert fest, dass sie zumindest sich selbst noch sehen konnte. Es war also keineswegs dunkel hier. Es war eben... schwarz. Schwarze Leere. Das schwarze Nichts. "Na toll." Ivy drehte sich einmal um sich selbst, blickte nach oben, nach unten und geradeaus. "Schwarz. Ich bin hier also in irgendeinem Raum, der vollkommen schwarz ist. Mann, wie gruselig, ich mach mir gleich in die Hose." Sie schnaubte und stiefelte los, immer weiter ins Nichts hinein. Irgendwo musste hier schließlich ein Licht oder so etwas zu finden sein. Verblüfft sah DBO sich um. Er blickte nach oben, von wo er irgendwie runtergefallen sein musste, wenn er dem Schmerz in seiner Seite trauen konnte. Über ihm war nur eine ganz normale weiße Zimmerdecke zu sehen, die allerdings ziemlich niedrig war. DBO konnte gerade noch aufrecht stehen. Als er nach vorne blickte, stellte er fest, dass er in einem langen Zimmer stand, das keine Besonderheiten hatte. Es gab hier nichts außer den weiß getünchten Wänden, der weißen Decke, dem in Metallplatten gefliesten Fußboden - und eine Tür am anderen Ende. DBOs Augen weiteten sich. Die Tür stand offen. Durch sie drang helles Tageslicht herein. "Der Ausgang." Eine sehr geistreiche Feststellung, aber auch das einzige, was es hier festzustellen gab. DBO marschierte also aus einem Reflex heraus auf die geöffnete Tür zu... Dumpfes Rattern und das Ächzen von Metall holten Bacardi in die Wirklichkeit zurück, als dieser beim Aufprall von oben hart mit dem Kopf gegen eine Stahlwand geknallt war und für ein paar Sekunden das Bewusstsein verloren hatte. Jetzt rappelte sich der Gewittermagier stöhnend auf und blickte um sich. Er stand in einem langen, schmucklosen Gang, der immer wieder durch achteckige, geöffnete Metalltüren unterbrochen wurde und von dem aus einige weitere Gänge abzweigten. Hier und da sah Bacardi Luken in der Decke oder im Boden, die mit Metallsprossen verbunden waren und nach oben oder nach unten weiterführten. Ein entferntes Rauschen war zu hören... und so langsam dämmerte es Bacardi, wo er hier gelandet war. Er fasste sich mit einer zitternden Hand an die Stirn, wo sich Schweißperlen bildeten, schloss die Augen und sagte so ruhig wie möglich. "Ein U-Boot." Total verdattert blieb Ashi stehen. Gerade eben war sie doch noch völlig verzweifelt durch den verhexten Wald gerannt, nachdem die Totengeister sie für unwürdig erklärt und verbannt hatten, aber jetzt... jetzt stand sie auf einmal auf einer wunderschönen, weiten Blumenwiese. Köstlicher Honigduft hing in der Luft, Schmetterlinge in den schönsten Farben flatterten um sie herum, der Himmel war hellblau gefärbt und zarte, rosa Wolken schoben sich in einer warmen Brise an der strahlenden Sonne vorbei. Ashi schüttelte mit offenem Mund den Kopf. "Was... was soll denn das... was ist hier los?" Ein Windhauch fegte an ihr vorbei und eine bekannte Stimme zischte ihr etwas ins Ohr. "Eine letzzzte Herzzzzenssssprobe, Windmagierin! Beweissse die Sssstärke deinessss Herzzzenssss, und wir lasssssen dich wieder frei!" Dann verschwand die Bö wieder und Ashi war alleine. Während sie sich verblüfft fragte, ob ihre Freunde das etwa hingekriegt hatten, änderte sich plötzlich die Situation. Nun stand nämlich nicht mehr nur Ashi auf der Blumenwiese herum. Nein, da waren noch vier andere Gestalten... und als Ashi sie anstarrte, musste sie sich sehr beherrschen, um sich nicht selbst für verrückt zu halten. Sie stand vier Ebenbildern von sich selbst gegenüber. Vier andere Ashis, die ihr genau aus dem Gesicht geschnitten waren. "W... was...??", war das einzige, was ihr dazu einfiel, "aber das bin ja... ich...???" Ihre Augen wurden noch größer, als auf einmal noch vier andere Personen auftauchten. Neben jeder Ashi-Kopie stand jetzt einer von Ashis Freunden. Tetsuno, Ivy, DBO und Bacardi. "AAAAH!!! VERDAMMT NOCH MAL... IST DAS HEISS!!!!" Ruckartig zog Tetsuno seine Hand wieder zurück und vergrub sie tief in den Falten seines Kampfanzuges. Er keuchte vor Überraschung und versuchte, über den grausamen Schmerz in seiner Hand hinwegzukommen. Er hatte sie sich an der Flammenwand verbrannt. Und das, wo er doch seinem eigenen Element gegenüberstand. Tetsuno biss die Zähne zusammen und hielt sich seine Verletzung. Dann starrte er die Flammen grimmig an und drehte sich weg. Er stapfte über den verbrannten Boden hinweg immer weiter durch die brennende Ebene, auf der Suche nach einem Ausweg aus dieser Feuerhölle. Das einzige, worauf er allerdings nach einiger Zeit stieß, war keineswegs das, was er sich erhofft hatte - denn als Tetsuno um eine Flammenwand bog, sah er plötzlich ein riesiges, hölzernes Kreuz, das in den Boden gerammt worden war und an dessen Fuß ein Haufen Reisigzweige aufgeschichtet war. Als er den Kopf herumwarf, musste Tetsuno feststellen, dass es nicht nur ein Kreuz war. Es waren vier. Und an jedes war einer seiner Freunde gefesselt. Bewusstlos. Tetsuno wusste sofort, was hier gleich passieren würde, und stürmte auf das erste Kreuz zu, an dem Ashi hing, um seine Freunde noch rechtzeitig zu befreien. Doch er hatte nicht drei Schritte getan, als die Reisigzweige auch schon Feuer fingen. "NEIN!", schrie Tetsuno entsetzt. Er war drauf und dran, über die brennenden Zweige zu Ashi hinauf zu steigen und sie eigenhändig loszubinden, doch sofort loderte der Schmerz wieder in ihm auf, als er den Flammen zu nahe kam. Erfolglos musste Tetsuno wieder ein paar Schritte zurücktreten. "Verflucht", knurrte er und wollte das Schwert von seinem Rücken ziehen, um sich so den Weg zu seinen Freunden zu bahnen - aber sowie er es in den Händen hielt, musste er es auch schon wieder fallen lassen. Es war glühend heiß. Er konnte es nicht anfassen. "Scheiße!!", fluchte Tetsuno verzweifelt und lief hilflos vor den Kreuzen hin und her. Das Feuer hatte sich ausgebreitet und stieg langsam zu Ashi, DBO, Ivy und Bacardi hinauf, die immer noch ohnmächtig an den Holzkreuzen hingen. Der Qualm, den das Feuer verursacht hatte, hüllte sie bereits ein... "Nein", flüsterte Tetsuno fassungslos, "nein, verdammt, das darf nicht wahr sein...!! Mein Element hat sich gegen mich gewandt... ich kann es nicht mehr kontrollieren!!!" Keuchend blieb Ivy stehen und wischte sich den Schweiß von der Stirn. "Ich glaub das einfach nicht...!", ächzte sie und schüttelte den Kopf. Sie war nun fast eine Viertelstunde lang durch die unendliche Schwärze gelaufen und hatte nichts, absolut gar nichts gefunden. Kein Licht, kein Laut, keine Anzeichen von Leben. Es war niemand hier außer Ivy selbst. Und trotzdem war es seltsam. Ivy hatte nämlich immer noch keine Ahnung, was das für eine Mutprobe sein sollte... sie atmete tief durch und stemmte die Hände in die Hüften. "Also gut", sagte sie zu sich selbst, "gehen wir das alles noch mal ganz ruhig durch. Ich bin hier in einem schwarzen Raum, der offenbar weder Anfang noch Ende hat und in dem sich sonst nichts befindet. Ich kann laufen, so weit ich will, ich werde ja doch nichts finden. Aber warum soll mir das Angst machen?" Ratlos zog sie die Stirn in Falten und sah sich wohl zum hundertsten Mal in dem schwarzen Raum um. Und dann... verstand sie es. Es gab sehr wohl etwas, vor dem sich Ivy jetzt fürchten musste, wenn sie hier nicht mehr rausfand. Denn Ivy war hier allein. Ganz allein. DBO marschierte zuversichtlich auf die Tür zu. Er fragte sich schon, ob wohl hinter dieser Pforte die Herzensprobe auf ihn wartete - als es plötzlich unter seinen Füßen ratterte und er erschrocken einen Satz zurück machte. Der Boden begann sich unter ihm aufzulösen, die Metallplatten schoben sich untereinander zu den Seitenwänden hin weg und gaben eine große Grube frei, die fast das ganze Zimmer einnahm und keinen Weg mehr übrigließ, über den man zur Tür gelangen konnte - es sei denn, man ging direkt durch die Grube hindurch. Besonders tief war sie nämlich nicht. Sie war ungefähr genau so hoch wie DBO selbst... und schwarz. Das wäre eigentlich nichts weiter Erschreckendes gewesen, wenn... ja, wenn dieses Schwarz sich nicht plötzlich bewegt hätte. Überall in der Grube begann sich etwas zu regen und jetzt erkannte DBO endlich, dass sich in diesem Becken keineswegs eine schlammige, dunkle Masse befand - sondern Tausende von kastaniendicken, schwarzen Spinnen. DBO ließ einen Schrei des Entsetzens los, als ihm seine Lage klar wurde. Wenn er die Tür je erreichen wollte, dann musste er durch diese Grube dort hin - und wenn es eines gab, wovor DBO so richtig Angst hatte, dann waren das Spinnen. "Scheiße...!", wimmerte er und betrachtete mit totenbleichem Gesicht den riesigen Haufen Spinnen, die im Becken herumkrabbelten und es bis zum Rand hin füllten. Im ersten Moment wusste er überhaupt nicht, was er tun sollte, er spürte einfach nur die blanke Panik in sich hochsteigen, dann versuchte er verzweifelt sich zu fassen und ruhig über seine Situation nachzudenken. "Okay", hauchte er zitternd, "ich hab von diesen hirnamputierten Flohpulver-Geister-Verschnitten ne letzte Chance bekommen, um die Stärke meines Herzens zu beweisen - die haben mich in ein Zimmer gesteckt, aus dem ich nur rauskomme, wenn ich durch eine Grube gehe, die bis obenhin mit riesigen Spinnen gefüllt ist." Er schluckte. "Eine Mutprobe also... tja... dann... hab ich wohl keine andere Wahl. Ich muss es wenigstens versuchen." DBO machte einen vorsichtigen Schritt bis an den Rand des Beckens. Er streckte seinen rechten Skate aus, um in die Grube zu steigen. Als der Schuh direkt über dem Becken hing, krabbelte eine einzige, schwarze Spinne über die Rollen nach oben zu seinem Bein. DBO schrie vor Angst, schüttelte das Tier wieder ab und wich verzweifelt zurück. "Ich kann das nicht", flüsterte er hilflos und schüttelte den Kopf, während er die Tränen zurückzuhalten versuchte, "ich kann das einfach nicht..." Bacardi hastete los. Ihm war gerade erst klar geworden, in welcher Situation er sich hier befand, als plötzlich vom einen Ende des Gangs aus eine riesige Flutwelle durch ein Leck ins U-Boot geschwappt war. Die Wassermassen strömten blitzschnell herein und fluteten den halben Gang. Der Gewittermagier rannte mit bleichem Gesicht den Gang entlang, bis er endlich eine Leiter fand, über die man auf ein höheres Deck gelangen konnte. Zitternd griff er nach der ersten Sprosse und kletterte nach oben. Während er sich Stück für Stück hinauf hangelte, überdachte er seine Lage. Er war hier, wahrscheinlich vollkommen allein, in einem sinkenden U-Boot. Er wusste nicht, wie weit das Schiff schon unter Wasser war, aber was er genau wusste, war, dass seine einzige Chance darin bestand, so schnell wie möglich die Brücke und dort einen Ausgang zu erreichen. So würde er vielleicht noch rechtzeitig aus dem Schiff herauskommen, um nach oben schwimmen zu können... oder war das U-Boot am Ende noch gar nicht auf Tauchstation gegangen und die Brücke lag noch oberhalb des Wasserspiegels? Bacardi klammerte sich an diese letzte Hoffnung und auch an die letzte Sprosse der Metallleiter, dann zog er sich auf das nächste Deck und sah sich eilig um. Während er am anderen Ende des neuen, langen Ganges eine weitere Leiter nach oben erspähte, hörte er bereits das Wasser in dem Schacht gurgeln, den er gerade hinauf geklettert war. Im Höllentempo raste Bacardi auf die nächste Leiter zu und sah immer wieder über seine Schulter zurück, um mitzukriegen, wie nahe das Wasser schon war. Das war sein Fehler. Bacardi passte einen Moment lang nicht auf - und stolperte über die untere Dichtung einer geöffneten Luke. Der Länge nach knallte er mit voller Wucht auf den harten Metallboden und riss sich dabei das linke Knie an einer scharfen Eisenkante auf. Bacardi konnte einen Schmerzensschrei nicht unterdrücken und versuchte verzweifelt, sich wieder aufzurappeln. Mit Müh und Not gelang es ihm und der Gewittermagier schleppte sich weiter auf die nächste Luke nach oben zu, während ihm das Wasser schon bis zu den Knöcheln stand. Als er die Leiter erreicht hatte, stand er bereits hüfthoch in den Fluten und hatte Probleme, nicht weggespült zu werden. Keuchend zog er sich auf die rettende Leiter und kletterte trotz seines verletzten Beines weiter nach oben. Im nächsten Gang angekommen musste er feststellen, dass die Luke nach oben diesmal noch weiter entfernt war als schon auf den vorherigen Decks. Während das Wasser hinter ihm nach oben stieg, kämpfte sich Bacardi auf die weit entfernte Leiter zu. Er humpelte durch den Metallgang und konnte an überhaupt nichts mehr denken - nur noch an seine Rettung. Das ging so lange, bis er schon zu den Knie im Wasser stand und in den Fluten die nächste Kante übersah. Abermals stürzte Bacardi und schlug sich das sowieso schon verletzte Knie noch einmal auf. Jetzt war die Kraft des Gewittermagiers endgültig erschöpft und auch seine Nerven spielten nicht mehr mit. Hilflos hing er im Wasser und hielt sich an einer Luke fest. "Ich kann nicht mehr", krächzte er heiser, "scheiße, ich kann absolut nicht mehr..." Ashi stand völlig perplex auf der Blumenwiese herum und starrte die vier Kopien von ihr selbst an, die dort mit ihren Freunden zusammen waren. Endlich regte sich die erste Kopie und wandte sich Ivy zu. Die Naturmagierin schien nur diese eine, falsche Ashi zu sehen und sonst niemanden wahrzunehmen. Wie immer freundlich lächelnd hörte sie zu, als die Ashi-Kopie anfing zu sprechen... "Ivy-chan", sagte die Kopie und fasste sie bei den Händen, "hab ich dir je gesagt, dass du dich in letzter Zeit zu meiner allerbesten Freundin gemausert hast...?" Ein schmerzhafter Blitz zuckte durch Ashis Kopf. "Ganz ehrlich", machte die Ashi-Kopie lächelnd weiter, "ich bin so froh, dass du bei mir bist... ohne dich könnte ich mir diese Reise überhaupt nicht mehr vorstellen. Du hast keine Ahnung, wie viel du mir bedeutest, Ivy-chan. Wenn du mich nicht immer trösten und mir mit deiner Gitarre und deinen Liedern Mut machen würdest, hätte ich schon längst aufgegeben." Ashi stand bewegungslos da und starrte die Kopie fassungslos an. Doch da fing auch schon die zweite Kopie an zu reden und wandte sich Bacardi zu. "Hey, Großer... ich schätze, du weißt auch nicht, wie viel mir an dir liegt. Wir... wir kennen uns zwar noch nicht besonders lange, aber mir würde jetzt schon etwas fehlen, wenn du plötzlich aus unserer Gruppe verschwinden würdest." Nervös spielte die Kopie an ihren Haaren herum und grinste Bacardi an. "Wirklich, ich bin mir sicher, dass wir echt gute Kumpels werden, solange wir noch zusammen durch die Gegend ziehen. Ich brauch nur deine Stimme und deinen furchtbaren Sarkasmus hören, schon geht's mir wieder gut..." Sie lachte fröhlich und strahlte Bacardi an. "Lass uns gute Freunde werden, ja? Denn ich hab dich lieb, Bacardi. Egal, wie oft du mich verarschst... immerhin schlag ich jedes Mal zurück." "Nein", flüsterte Ashi und schüttelte entsetzt den Kopf, "nein, oh nein, bitte nicht..." Die dritte Kopie fiel auf der Stelle DBO um den Hals und flüsterte lächelnd: "Ich bin so glücklich, dass du bei mir bist, DBO... du bist ein echter Freund, mit dir kann ich über alles reden... ich weiß, du verstehst mich, weil du mich irgendwie fast besser kennst als ich selbst. Wenn ich dich nicht hätte, dann wüsste ich nicht mehr weiter. Du bist der Freund, den ich mir schon als kleines Mädchen immer gewünscht habe... ein echter Kumpel. Ich hab dich furchtbar lieb, DBO." Ashi fiel kraftlos auf die Knie und hielt sich den Kopf, während die vierte Kopie sich Tetsuno näherte und ebenfalls anfing zu sprechen. "Ich hab es dir lange vorenthalten, Tetsuno, aber jetzt wird es langsam Zeit, dass ich dich über meine Gefühle aufkläre. Weißt du, ich... ich wusste vom ersten Tag an, an dem ich dich getroffen habe, dass du mir eines Tages mehr bedeuten würdest als ich es mir je vorstellen konnte. Ob du's glaubst oder nicht, meine Vermutung ist wahr geworden." Sie lächelte unsicher und nahm Tetsunos Hand. "Ich muss dir gestehen, dass ich mir eine Welt ohne dich nicht mehr vorstellen könnte..." Ashi kullerten dicke Tränen über die Wangen. Sie wollte nicht mehr. Sie konnte nicht mehr. Das ertrug sie einfach nicht länger... "Hört auf", flehte sie kraftlos, "bitte, hört auf..." Part 17: When you believe Ivy saß in dem endlosen schwarzen Raum, den Kopf auf die Hände gestützt. Leise weinte sie vor sich hin. Sie war nun schon so lange hier drin, dass sie die Zeit nicht mehr richtig einschätzen konnte. Es konnten Minuten gewesen sein, vielleicht aber auch schon Stunden. Es war ihr auch egal. Alles, was Ivy wusste, war, dass sie sich unheimlich mies fühlte. Etwas fehlte ihr in dieser schrecklichen Leere. Sie vermisste ihre Freunde. Ivy vermisste Ashi, die freundliche Windmagierin, die ihre beste Freundin geworden war und die sie unbedingt beschützen wollte. Sie vermisste DBO und Tetsuno mit ihren ewigen dummen Streitereien, die sie immer wieder zum Lachen brachten. Sie vermisste Bacardi, mit dem sie sich stundenlang über ihre gemeinsame Leidenschaft, Motorräder, unterhalten konnte. Ivys Dasein war so unglaublich sinnlos, wenn sie allein war und ihre Freunde nicht um sich haben konnte. Denn genau das war es ja, wovor Ivy sich am meisten fürchtete. Alleinsein. Lange, lange Zeit saß die Naturmagierin so da und fand sich mit ihrer trostlosen Lage ab... bis sie sich langsam darüber klar wurde, dass diese Tortur so niemals ein Ende finden würde. Ivy rief sich wieder ins Gedächtnis zurück, dass dies hier ja eine Herzensprobe war. Die Stärke ihres Herzens wurde getestet. Sie konnte diese Prüfung nicht bestehen, wenn sie einfach hier sitzen blieb, aufgab und sich mit ihrem Los abfand. So würde das hier nie ein gutes Ende nehmen. Also dachte sie noch einmal nach. "Meine Freunde... sind nicht da", sagte sie leise zu sich selbst, "Ich bin hier allein... und kann sie weder sehen noch hören. Die einzige Möglichkeit, sie wiederzusehen, ist, diese Prüfung zu schaffen. Aber wie stell ich das an?" Sie hielt sich den Kopf und holte tief Luft. "Irgendeine Lösung muss es doch geben...." Wie aus einem Reflex griff sie nach hinten auf ihren Rücken und holte ihre Gitarre hervor. Ivy zupfte die Saiten und spielte eine leise, traurige Melodie. Dann eine fröhliche, helle. Und nach und nach alle Melodien, die ihr einfielen. Und dann, ganz plötzlich, als würde ein Licht in der Dunkelheit angezündet, wusste Ivy, wie sie ihr Problem lösen könnte. Mit einem Mal lächelte sie und hob den Kopf zum schwarzen Himmel. "Hey, ihr Geister da oben, hört ihr mich? Ihr könnt mich hier behalten, solange ihr wollt. Aber eins sag ich euch... ihr könnt lange drauf warten, dass ich hier vor Einsamkeit umkomme! Meine Freunde sind nämlich immer bei mir! Wahre Freundschaft kommt ganz tief aus der Seele - und meine Freunde trage ich in meinem Herzen! Ich werde sie nie vergessen, weil ich sie lieb habe!" Dann griff sie noch einmal in die Saiten, spielte eine wunderschöne, in ganz Kama-To bekannte Melodie und ließ ihre glockenhelle Stimme dazu erklingen. "There can be miracles When you believe Though hope is frail It's hard to kill... Who knows what miracle You can achieve When you believe Somehow you will... You will when you believe." Mitten in den Flammen stand Tetsuno verzweifelt vor seinen Freunden, die an ihren Kreuzen fast vom Feuer eingeholt worden waren. Es konnte sich nur noch um wenige Minuten handeln, bis es für sie zu spät war und Tetsuno fiel absolut nichts ein, wie er diese vertrackte Situation lösen konnte. Sein Element hatte sich gegen ihn verschworen - eine Situation, die der Feuermagier nicht kannte. Doch gerade, als er aufgeben und kraftlos zu Boden sacken wollte, hörte er plötzlich eine Stimme in seinem Kopf. Es war eine schöne, helle Stimme, die ihm äußerst bekannt vorkam... Tetsuno brauchte nur ein paar Sekunden, um zu verstehen, dass es Ivy war, die er da in seinem Kopf hörte. Sie sang ein wunderschönes Lied, das ihm irgendwie und auf geheimnisvolle Weise die Kraft gab, sich noch einmal zusammen zu nehmen. Tetsuno schloss die Augen, atmete tief durch und befreite seinen Geist von all den Ängsten und traurigen Gedanken. Dann schlug er die Augen wieder auf und sah von seinem Schwert, das vor ihm auf den Boden lag, über die Flammen zu seinen ans Kreuz gefesselten Freunden. Und er fasste einen Entschluss. "Wisst ihr was, oh erhabene Totengeister?", sagte er leise, aber überaus deutlich, "Ihr könnt mich mal. Steckt euch euer dummes Rätsel meinetwegen sonstwo hin. Ich hab zwar lange genug gebraucht, aber jetzt weiß ich, was hier falsch läuft. Ihr habt mich verarscht. Habt meine Gedanken so weit manipuliert, dass ich mich vor meinem eigenen Element, dem Feuer, gefürchtet hab. Aber das ist jetzt vorbei. Ich weiß ganz genau, dass sich das Feuer niemals gegen mich verschwören würde. Ich bin ein Feuer-Asahoshi und gebiete den Flammen! Nicht sie mir!" Mit diesen Worten packte er sein Schwert und hob es vom Boden auf. Für einen Moment glaubte er, es würde ihn wieder verbrennen, doch dann nahm er sich zusammen und rief sich ins Gedächtnis zurück, dass er sich das nur einbildete. Und dann hatte er wieder die Kontrolle und wurde Herr der Lage. Sein Schwert fühlte sich an wie immer und gab ihm zusätzliche Kraft. Schnurstracks rannte Tetsuno auf das erste Kreuz zu, stieg direkt durch die Flammen hindurch zu Ashi hinauf und spürte dabei nichts weiter als eine laue Brise, die das Feuer verursachte. Dann hieb er mit seiner Klinge die Fesseln durch und starrte den brennenden Reisighaufen an, während er die bewusstlose Ashi auffing. Sofort ebbte das Feuer ab und gab ihm den Weg frei. So schleppte Tetsuno Ashi vom Kreuz und legte sie sicher zu Boden. In Windeseile machte er sich daran, auch Ivy, DBO und Bacardi von ihren Kreuzen zu holen. Es war still um DBO. Der einzige Laut, der in dem niedrigen Zimmer zu hören war, wurde von den unzähligen Beinen der schwarzen Spinnen verursacht und jagte DBO eine Gänsehaut nach der anderen über den Rücken. Der Wassermagier war total am Ende. Er hatte die Hoffnung aufgegeben, es hier irgendwann rauszuschaffen. Er konnte sich einfach nicht dazu überwinden, in diese Grube zu steigen... er konnte es nicht. Doch wie er da in der Ecke des Zimmers saß und hoffnungslos zu der geöffneten Tür auf der anderen Seite des Beckens hinüberstarrte, hörte er plötzlich eine Melodie. Ihm wurde schnell klar, dass diese Melodie nur in seinem Kopf existierte und dass es Ivy war, die da sang... der vertraute Klang ihrer Stimme beruhigte ihn und er hörte eine Weile lang zu. Als DBO den Sinn von Ivys Lied erfasste, schöpfte er gleichzeitig neuen Mut. Er brauchte eine Weile, bis er es schaffte, wieder auf die Beine zu kommen. Doch mit Ivys Ermutigungen im Hinterkopf wagte er es tatsächlich, sich dem Spinnenmeer noch einmal zu nähern. Er stellte sich genau an den Rand und starrte mit festem Blick auf die zahllosen, schwarzen Körper, die sich in der Grube wanden und sich gegenseitig kaum Platz ließen. Dann erhob er langsam die Stimme und erklärte kurz, aber prägnant: "Ich tu's." Wem er das erzählte, wusste DBO nicht so genau, aber er dachte auch gar nicht darüber nach. Er machte sich frei von seinen Ängsten und füllte seinen Kopf mit positiven Gedanken. Er dachte an seine Freunde, an die schöne Zeit mit ihnen, an seine dauernden Streitereien mit Tetsuno, die irgendwie aus seinem Leben nicht mehr wegzudenken waren. DBO dachte an Ashi, das Mädchen, für das er lebte; er dachte an Ivy und Bacardi, die zu so guten Kumpels für ihn geworden waren; er dachte an seine Familie zurück, an sein Zuhause, seine Hobbys, sein Lieblingsessen... Dann nahm er kaum noch etwas Anderes wahr, hielt sich eine Hand vors Gesicht, schloss die Augen und sprang mit einem Satz in das Meer aus schwarzen Spinnen. Sofort fing es um ihn herum an zu krabbeln und zu kribbeln und für einen Augenblick drohte DBO die Kontrolle über sich zu verlieren - doch dann fasste er sich wieder und stampfte durch die widerlichen Kleintiere hindurch zur anderen Seite des Beckens. Dort zog er sich mit einem Ruck nach oben, kletterte aus der Grube, schüttelte die letzten Spinnen von sich ab und rannte durch die Tür nach draußen. Das Wasser stand Bacardi bis zum Bauch. Der Gewittermagier hatte seit einer Minute keinen Schritt mehr getan und bereits alles aufgegeben. Er wartete nur noch darauf, dass sich seine schlimmste Angst erfüllte und er in den Fluten ertrank. Der beißende Geruch des Salzwassers, das Dröhnen in seinem Kopf und das scheußliche Brennen in seinem linken Bein benebelten seine Sinne und er nahm kaum noch wahr, dass sein Ende auf ihn zukam. Alles, was Bacardi noch hörte, war diese Melodie. - Moment mal. Melodie?? Bacardi schlug die Augen ruckartig wieder auf und war plötzlich wieder voll da. Ja, tatsächlich, da klang ein Lied in seinem Hinterkopf - ein Lied, das ihm auf einmal wieder Mut machte und anscheinend von Ivy gesungen wurde. Sobald er ihre Stimme hörte, wurde Bacardi schlagartig wieder klar, um was es hier gerade ging. Es ging um sein Leben. Diese Leben, in dem er schon so viele Fehler gemacht hatte, so oft kurz vorm Verzweifeln gewesen war und das er trotzdem über alles liebte. Es gab Personen, die er unbedingt wiedersehen wollte und die er jetzt nicht einfach im Stich lassen konnte. Er musste hier rauskommen. Er musste überleben. Bacardi nahm seine letzten Kraftreserven zusammen und stieg durch die geöffnete Luke. Verbissen kämpfte sich der Gewittermagier weiter durch den Gang, blieb an einem Eisennagel hängen, riss sich wieder los, spürte das Wasser an seine Brust hinauf steigen, wurde fast von der Strömung von den Füßen gerissen, fing sich wieder, kämpfte weiter - und dann erreichte er endlich die Leiter. Bacardi packte die erste Eisensprosse, zog sich mit aller Macht nach oben und hangelte sich aufs nächste Deck. Als er sich umsah und das Wasser hinter ihm den Schacht hinauf schoss, wurde ihm klar, dass er sich hier auf der Brücke befand. Blitzschnell peilte er die Lage und schlug einen Gang rechts von ihm ein. Als ihm das Wasser bereits bis zu den Kniekehlen stand, hatte er das Ende erreicht und stand vor einer Eisenluke. Er hämmerte auf den roten Knopf neben sich und die Schleuse sprang auf. Mit einem Satz war Bacardi drin und hatte die Tür wieder verriegelt. Er stand nun in einem kleinen Raum, der nur einen einzelnen Gegenstand enthielt: Ein mannshohes Rettungsboot. Ashi lag schluchzend auf der wunderschönen Blumenwiese. Ein anderer hätte nicht verstanden, weshalb sie so aufgewühlt und verzweifelt war, doch Ashi hatte ihre Gründe. Die Bilder ihrer Selbst, die sie dort gerade dabei beobachtet hatte, hatten ihren Freunden ihre wahren Gefühle gezeigt. Das allein wäre nicht so schlimm gewesen, wenn... ja, wenn diese Gefühle nicht genau die gewesen wären, vor denen Ashi sich fürchtete. Freundschaft. Liebe. Ashi hatte einfach nur Angst davor, dass ihr die anderen zu sehr ans Herz wuchsen, dass ihre Gefühle für Tetsuno, DBO, Ivy und Bacardi zu groß wurden - denn sollte ihnen irgendwann einmal etwas passieren oder sollten sie gar umkommen, wollte Ashi nicht wieder diesen furchtbaren Schmerz fühlen, wie sie ihn in den letzten Jahren so oft hatte verspüren müssen... beim Tod ihres Vaters, ihrer Mutter, ihrer Großmutter und aller Menschen, die in ihrem Dorf gelebt hatten und die Ashi gern gehabt hatte. Ashi hatte ihre Reise nach Kama-To angetreten, weil nach der Zerstörung ihres Dorfes nur noch zwei Menschen übrig geblieben waren, die ihr wirklich am Herzen lagen und die sie nicht verlieren wollte: Ihre beiden Schwestern Nami und Mikomi. Um zu verhindern, dass den Zweien etwas passierte, war Ashi kurz entschlossen in die große Stadt aufgebrochen - sie wollte die letzten beiden Menschen, die jenen Schmerz in ihrem Herzen noch einmal aufkommen lassen könnten, indem sie starben, beschützen und ihnen nahe sein. Denn die Gefühle für ihre Schwestern konnte Ashi nicht mehr aufheben. Sie waren und sie blieben. Nie hätte Ashi damit gerechnet, dass sie auf ihrer Reise noch Andere treffen würde, die ihr so ans Herz wachsen würden. Nie hätte sie geglaubt, dass sie sich durch diese Reise selbst in den Rücken schießen würde. Und doch war es passiert. Schluchzend fand sich Ashi mit ihrem Schicksal ab. Sie konnte nichts gegen diese Angst unternehmen, das wusste sie. Es gab einfach nichts, was ihr jetzt wieder Mut machen konnte... oder etwa doch? Eine leise Melodie erklang. Ashi nahm sie anfangs nicht wirklich wahr, doch dann wurde ihr klar, dass dieses wunderschöne Lied nur in ihrem Kopf existierte. Verwundert setzte sich Ashi auf und wischte sich die Tränen vom Gesicht. War das etwa Ivy, die da so engelsgleich sang...? Sie musste es wohl sein. Diese Tatsache gab Ashi einen Teil ihrer Kraft zurück. Dann lauschte sie eine Weile lang den traumhaften Klängen von Ivys Stimme, bis sie die Botschaft des Liedes verstand. Und endlich klickte es in ihrem Hinterkopf. Ashi lachte leise. Noch einmal wischte sie sich über die verweinten Wangen, schniefte kurz und richtete sich dann auf. Mit ruhigem Blick sah sie von einer Ashi-Kopie zur anderen und schüttelte den Kopf. "So, ihr Geister, jetzt muss ich euch mal was sagen. Ihr habt euch echt ganz schön was einfallen lassen, um mich zur Verzweiflung zu treiben. Meinen Glückwunsch, das habt ihr auch geschafft. Nur leider habt ihr vergessen, dass ich hier nicht alleine bin. Mag sein, dass ihr meine Freunde auf eine andere Ebene eures Prüfungsraumes teleportiert habt, damit wir uns nicht gegenseitig helfen können, aber da habt ihr euch verrechnet. Ich bin niemals allein. Ivy-chan und die anderen sind immer bei mir." Sie ballte die Fäuste und starrte in den blauen Himmel. "Ihr habt meine innerste und größte Angst erkannt; ihr wisst, dass ich mich am meisten vor meinen eigenen Gefühlen zu den anderen fürchte... davor, dass sie zu groß werden könnten. Aber jetzt weiß ich, dass sie schon längst größer sind, als ich befürchtet hatte. Ich kann diese Gefühle nicht mehr auslöschen, also muss ich einen Weg finden, damit leben zu können. Und, ob ihr's glaubt oder nicht, ich bestehe eure lächerliche Prüfung." Ashi konnte ein triumphierendes Grinsen nicht unterdrücken und brüllte, so laut sie konnte: "Ich werde einfach so stark werden, dass ich meine Freunde beschützen und niemand ihnen mehr was antun kann, denn die Kraft dazu hab ich, auch wenn ich sie noch nicht vollständig entdeckt habe!! ICH WERDE STÄRKER ALS IHR ALLE ZUSAMMEN, DAS SCHWÖRE ICH EUCH, IHR HIRNTOTEN SPUKOPIS!!!" Rumms. Mit einem lauten Knall teilte sich die Erde unter Ashi und sie fiel meterweit in die schwarze Tiefe. Während des Falls musste sie die Augen schließen, weil so viele grelle Farben auf einmal auf sie einströmten. Als sie die Augen wieder aufschlug, stand sie auf dem Marmorplatz im verhexten Wald vor den sprachlosen, versammelten Geistern - und neben ihr ihre Freunde, Tetsuno, DBO, Ivy und Bacardi. Ashi konnte nicht mehr an sich halten und fiel ihnen allen mit einem erleichterten Schluchzen um den Hals. Bei Ivy blieb sie einfach hängen und flüsterte ihr ins Ohr: "Danke, Ivy-chan, vielen, vielen Dank... wärst du mit deinem Lied nicht gewesen, hätte ich das alles nie geschafft..." Ivy lächelte mit Tränen der Freude in den Augen und drückte Ashi fest an sich. "Ich hätte auch aufgegeben, wenn ich nicht an euch hätte denken können, Ashi-chan..." Die beiden sahen sich noch einmal grinsend an, dann fassten sie sich wieder und wandten sich den Totengeistern zu, die immer noch kein Wort gesagt hatten. Auch Tetsuno, DBO und Bacardi blickten die Geister jetzt mit hoch erhobenem Kopf herausfordernd an und endlich räusperte sich die Alte wieder. "Ähem... also..." Sie kratzte sich am Kopf und blickte von einem triumphierend grinsenden Asahoshi zum nächsten, "Ich... ich muss sagen, ihr habt uns alle ziemlich erstaunt. Wir hätten nie geglaubt, dass ihr stark genug seid, euren eigenen schlimmsten Alptraum heil zu überstehen, aber offenbar... haben wir euch unterschätzt. Euch und die Bande, die ihr zwischen euch geknüpft habt. Meine Hochachtung. Ihr habt uns dazu gebracht, selbst unser System anzuzweifeln und eine Entscheidung zu fällen." Sie blickte Achtung heischend um sich. "Aufgrund eurer außergewöhnlichen Durchsetzungskraft und Herzensstärke haben meine Brüder und Schwestern mit mir gemeinsam beschlossen, diesen Wald zu verlassen und uns außerhalb von Kama-To einen stillen Ruheplatz zu suchen. Der Zauber wird aufgehoben und alle, die wir je in diesen Wald verbannt haben, finden den Weg nach draußen wieder. Das gilt auch für euch, Asahoshi. Willkommen in der Freiheit." Sie lächelte schief, aber ehrlich. DBO rammte den Ellbogen nach unten, Bacardi stieß die Faust in die Luft, Tetsuno brüllte "YEAH!!!" und die beiden Mädchen juchzten gleichzeitig auf. Dann begannen plötzlich die Marmorplatten unter ihren Füßen sich zu bewegen. Sie erhoben sich in die Lüfte und fingen an, sich im ganzen Wald zu verteilen - und einen weiß gefliesten Weg zu bilden, der die beiden Teile der Hauptstraße wieder miteinander verband. Bacardi jubelte. "Los, kommt, hauen wir ab! Ich will endlich raus hier, kann keine Bäume mehr sehen!!" Und schon raste der Gewittermagier los, den Marmorplatten nach in Richtung Norden. Tetsuno und DBO folgten ihm auf dem Fuße. Auch Ashi und Ivy wollten sich aus dem Staub machen, doch die Älteste der Geister hielt Ashi noch einmal zurück. "Warte, Windmagierin!" Verwundert drehte sich Ashi um. "Was ist denn noch?" Die Alte lächelte. "Es tut mir leid, dass ich die Stärke deines Herzens angezweifelt habe. Ich habe eingesehen, dass dein Rachegefühl schon lange verloschen ist und nur hin und wieder aufgeflammt ist, wenn du an deine Vergangenheit zurück dachtest. Ich möchte mich entschuldigen, weil wir dir so viel Ärger bereitet haben. Nimm dies und gebrauche es klug. Meinen Segen für deine Mission hast du, Ashidori Kaze." Sie beschwor eine weiße Zauberkarte herauf und legte sie in Ashis Hände. Ashi und Ivy starrten beide auf die Karte. "D-danke", stotterte Ashi und wollte zu der Alten aufsehen - doch sie war nicht mehr da, ebenso wenig wie all die anderen Geister, die hinter ihr gestanden hatten. Nur die Luft war von einem vertrauten Zischen erfüllt, dass sich langsam in Richtung Westen entfernte... "Der Wahnsinn", murmelte Ivy fassungslos, "es gibt bestimmt nicht viele Leute, die von sich behaupten können, schon mal so was wie wir heute erlebt zu haben..." Ashi nickte. "Wo du Recht hast..." Dann warf sie einen Blick auf die Zauberkarte und drehte sie um. Auf dem Bild war ein riesiger Orkan zu sehen, der über eine Wiese fegte und Bäume aus ihren Verwurzelungen riss. "Hurricane Rise", las Ashi mit großen Augen vor, "Mann, Ivy-chan, ich bin jetzt so was von platt..." Die Natur-Asahoshi grinste. "Ist schon okay, Ashi-chan. Komm, lass uns lieber die Jungs einholen - ohne uns verlaufen die sich bloß noch." Sie nahm Ashis Hand und die Windmagierin feixte ebenfalls. Ashi steckte ihre neu gewonnene Karte in die Hosentasche und die beiden eilten auf dem Marmorweg davon, hinter ihren Freunden her. Als es Abend wurde, hatten die Fünf den - nun nicht mehr - verhexten Wald verlassen und im Schutze der letzten Bäume ihr Nachtlager errichtet. Jetzt saßen sie alle versammelt um ein kleines Lagerfeuer und rösteten sich Weißbrot über den Flammen. Seit die Geister sie entlassen hatten, hatte Stille zwischen ihnen geherrscht. Sie alle hatten etwas Zeit gebraucht, um sich von der Prüfung der Totengeister zu erholen, aber so langsam kehrten ihre Kräfte wieder zurück. "Bin ich froh, dass wir das unbeschadet überstanden haben", seufzte Ivy und fing somit endlich ein Gespräch an. "Kannst du laut sagen", brummte DBO, "so was mach ich nicht noch mal mit, dürft ihr mir glauben..." Bacardi sah an sich herunter und bemerkte: "War jedenfalls zu gütig von diesen Geisteropis, wenigstens die Wunden zu heilen, die wir uns bei der Prüfung zugezogen haben. Wir hätten wohl weniger Chancen, bis zum Tempel zu kommen, wenn wir hier alle halb aufgeschlitzt rumsitzen würden." "Ja, zu liebenswürdig", gab Tetsuno zurück, "diese verstaubten Typen sind mir ganz schön auf den Senkel gegangen; hätte nicht mehr viel gefehlt und ich wär ausgerastet." "Denken wir nicht mehr dran", meinte Ivy und spießte sich eine neue Brotscheibe auf ihren Stecken, "den verhexten Wald haben wir hinter uns. Jetzt kann's eigentlich nur noch besser werden, meint ihr nicht auch?" "Pfff", Bacardi schnaubte verächtlich und versprühte dabei Brotkrümel, weil er den Mund voll hatte, sodass Tetsuno und Ivy neben ihm in Deckung gingen, "hasch du vielleisch ne Ahnung, Ive. Isch noch gantsch schön weit bisch tschum Tempel, da wartet noch scho Einigesch auf unsch... vor allem jetsch, wo Schongai den Bürgermeischter übern Jordan geschickt hat." "Danke, endlich hab ich wieder gute Laune", murrte Tetsuno und drehte sein Brot im Feuer herum. "Och, jetzt kommt schon, Jungs", schaltete sich Ivy wieder ein, "darüber könnt ihr euch morgen auch noch Sorgen machen. Für heute Nacht sind wir in Sicherheit, es weiß ja noch keiner, dass der Wald nicht mehr gefährlich ist. Also werden sie ihm auch weiterhin fern bleiben, bis das erst mal jeder kapiert hat." DBO nickte. "Ja, aber wir sollten ab morgen trotzdem Augen und Ohren noch'n bisschen weiter aufsperren. Wer weiß, was Songai sich jetzt so alles einfallen lässt, wo er erst mal die Macht hat. Ich mag mir gar nicht erst ausmalen, was er alles in die Wege leiten könnte, um unseren Clan vollständig auszulöschen..." Er schüttelte sich. "Wie lange dauert es denn bis zur nächsten Bürgermeisterwahl?", wollte Ashi wissen und kaute an ihrem Brot herum, "ich meine, irgendwann brauchen wir doch'n neuen Bürgermeister. Songai kann ja nicht ewig die Macht behalten." Bacardi lachte bitter. "Wenn du wüsstest, was der so alles kann... ich hab'n wenig Ahnung von Kama-Tos Politik und Songai ist mit Abstand der gerissenste Typ im ganzen Stadtrat, wenn du mich fragst. Der hat die anderen jetzt vollkommen in der Hand, weil sie ihm alle vertrauen und meinen, er würde schon alles so machen, dass es passt." "Aber werden die anderen Stadträte nicht misstrauisch werden, wenn er alle möglichen Leute auf uns ansetzt?", erkundigte sich Ashi. "Schon möglich", Bacardi griff sich ein neues Stück Brot, "aber bis die das alle mal geschnallt haben, hat Songai schon viel zu viel Macht. Wir sitzen mächtig in der Scheiße, Leute." DBO riss erschrocken sein Brot aus dem Feuer, das inzwischen schwarz geworden war, weil der Wassermagier wie hypnotisiert der Unterhaltung gelauscht hatte. Verärgert pustete er jetzt auf das Brot ein und schabte die schwarze Schicht herunter. "Meine Meinung, DBO", bestätigte Ivy und ließ sich neben Ashi ins Gras fallen, "wegen mir könnt ihr schwarz werden vor düsteren Vorahnungen und eurer Miesmacherei. Ich für meinen Teil bin k.o., ich brauch jetzt erst mal 'ne Mütze Schlaf..." Sie gähnte hinter vorgehaltener Hand und winkte den Jungs zu. "Gute Nacht." Ashi neben ihr murmelte ebenfalls etwas von "Nacht" und pennte im nächsten Moment weg. Die drei Jungs sahen sich vielsagend an, löschten nach kurzer Zeit aber das Feuer und folgten dem Beispiel der Mädchen. Im Nu waren sie eingeschlafen. Der Tag war einfach zu anstrengend gewesen. Part 18: Ryume Am nächsten Morgen wurden sie alle von Bacardi aus den Betten gehaut. Der Gewittermagier rüttelte die anderen Vier aus ihren Träumen, unter dem Vorwand, dass sie so früh wie möglich aufbrechen sollten - Bacardi war unheimlich scharf drauf, eine Tageszeitung zu erstehen und sich über die neusten Vorgänge im Stadtrat zu informieren. Die anderen waren nicht sonderlich begeistert, aber da sie nun schon einmal wach waren, folgten sie Bacardis Anweisungen murrend. So waren die Fünf schon bald auf der Hauptstraße unterwegs, auf der Suche nach einem Kiosk oder Zeitschriftenladen. DBO warf immer wieder verstohlene Blicke zur Seite, wenn irgendein Passant vorbeikam. Doch er konnte noch keine Auren ausmachen, die von Yorukage stammten. "Was bin ich doch froh, dass die Normalos alle so blind durch die Gegend laufen", sagte er, als eine Gruppe Teenager an ihnen vorbei gehüpft war, ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen, "dabei müssten ihnen unsere Zeichen doch wirklich auffallen. Ich meine, wer trägt schon ein schwarzes Z mitten im Gesicht und kommt damit ungesehen durch die Innenstadt..." "Na, du zum Beispiel", antwortete Ivy, "das liegt an dem Schutzzauber." "Schutzzauber?", wiederholte DBO verständnislos. "Erfasst", pflichtete ihm Bacardi bei, "ein Energiefeld, das jeden Kartenzauberer, ob Asahoshi oder Yorukage, von klein auf umgibt. Es macht ihn von Natur aus unauffällig für nichtmagische Menschen, dafür aber um so auffälliger für Elementzauberer." "Davon hab ich noch nie gehört", sagte DBO überrascht, "lernt man so was auf der Zauberschule?" Bacardi nickte, Ivy zuckte mit den Schultern. "Oder man hat eben schon mal intensiv drüber nachgedacht und sich in Büchern informiert." "Ist schon cool, besonders, wenn man's bewusst ausprobiert", meinte Bacardi grinsend, "als ich Sieben war, bin ich mal nur in Boxershorts über die Hauptstraße und wieder zurück gerannt - hat kein einziger von den Normalos geschnallt. Die übersehen nicht nur dein Zeichen, die checken nicht mal, dass du überhaupt da bist und dich grad voll zum Affen machst... hey, da drüben gibt's Zeitungen!" Sofort sprintete er los und kam keine zwei Minuten später mit einer Tageszeitung in Händen wieder zurück. Die Fünf suchten sich eine kleine Bank aus und ließen sich darauf nieder. Bacardi nahm sich die Titelseite vor - und stieß sofort auf den Namen Songai. "Stellvertretender Bürgermeister E. Songai klagt Asahoshi-Clan des Mordes an M. Nakunatta, dem kürzlich verstorbenen Bürgermeister Kama-Tos, an." Tetsuno schnaubte verächtlich. "Mieses Schwein. War ja klar, dass er uns irgendwas anhängen würde, aber dass er gleich so heftig rangeht..." "Warte, Tet-chan, kommt noch besser", unterbrach ihn Bacardi und las weiter vor, "Angeblich sollen die Asahoshi dafür verantwortlich sein, dass der Bürgermeister sich infizierte. Hat die Zaubererfamilie einen geheimen Erreger entwickelt, um Nakunatta aus dem Verkehr zu ziehen? Hatte der Clan nicht sogar durchaus plausible Motive dafür? Songai kündigte an, sich intensiv mit diesem Fall zu beschäftigen, und bat die Bürger Kama-Tos gestern auf der Pressekonferenz, Ruhe zu bewahren. Er selbst sei sich ziemlich sicher, dass noch so einige andere mysteriöse Zufälle der letzten Zeit auf den weißen Zauberclan zurückzuführen seien; Songai bestätigte, dass er alles Nötige in die Wege leiten würde, um dem finsteren Treiben dieses Clans ein Ende zu setzen." Bacardi faltete die Zeitung knisternd zusammen und lehnte sich zurück. Dann schloss er die Augen und zog sein Fazit: "So ein Arschloch." "Das ist der einzig treffende Ausdruck", gab ihm Ashi Recht. "Von wegen", mischte sich DBO ein, "ich kenn noch ein paar, die so richtig auf diesen hirnverbrannten Gauner passen würden, zum Beispiel..." Ivy hielt ihm den Mund zu. "Wag es ja nicht, unhöflich zu werden, DBO, ist ja peinlich mit dir." Bacardi knallte die Zeitung in den nächsten Mülleimer und wedelte mit der Hand. "Kommt schon, bringt ja eh nichts, sich drüber zu streiten. Warten wir einfach ab, was weiter passiert... noch hat er ja keine drastischen Maßnahmen ergriffen." "Ja, noch", brummte Tetsuno. Die Fünf erhoben sich wieder und marschierten weiter. Den ganzen Tag lang waren sie unterwegs, ohne das etwas Besonderes geschah - was den Asahoshi ganz recht war, denn von Absonderlichkeiten hatten sie erst mal die Nase gestrichen voll. So kam es, dass sie diesen ereignislosen Tag richtig genossen und sich über belanglose Dinge unterhielten, während sie unter den fröhlich scheinenden Sonne in Richtung Norden durch Kama-To wanderten. Gegen Abend veränderte sich ihre Umgebung so langsam. Aus den netten Wohnvierteln wurden immer zwielichtigere Gegenden. Die Zeit schien hier vor einigen Jahrzehnten stehen geblieben zu sein, da bereits der Putz von den Hauswänden bröckelte und das ganze Viertel wie eine kleine Geisterstadt wirkte. Uralte Villen, von Wein und Efeu umrankt, riesige dunkle Holztüren, hohe Fenster mit klappernden Läden, aus denen ein Flackern wie von Kerzenlicht drang. Eine drückende Stille lag über dem Stadtteil und die untergehende Sonne tauchte alles in ein blutrotes Licht, das nicht wirklich von dieser Welt schien. Irgendwann flammten ein paar vereinzelte, altmodische Straßenlaternen auf und gaben dem Ganzen noch einen unheimlicheren Touch. Ashi rückte ein Stück näher zu Ivy und griff nach ihrer Hand. "Mir gefällt die Gegend hier nicht", murmelte sie und beobachtete einen tanzenden Schatten in einer Seitengasse. "Kann ich verstehen", brummte DBO, "ich konnte sie auch nie besonders gut leiden, obwohl ich hier aufgewachsen bin." Ashi wurde mit einem Schlag hellhörig. "Wie, du hast hier gewohnt?" DBO nickte. "Jau. Und nicht nur ich. Kasai auch." Tetsuno schwieg. Ashi musterte sein Gesicht und versuchte, irgend einen Ausdruck heraus zu lesen - doch es misslang ihr. "Die Hazy Lanes", sagte Bacardi leise, "haben wirklich nicht den besten Ruf. Angeblich haben hier die ersten Kartenzauberer überhaupt gelebt. Fast jede zweite Familie, die hier wohnt - oder gewohnt hat - ist adelig." Ashi legte den Kopf schief und sah Tetsuno und DBO an. "Soll das heißen, ihr kommt auch aus adeligen Familien?" DBO lachte heiser. "Sehen wir vielleicht so aus?" Damit gab sich Ashi nicht zufrieden, doch sie sagte nichts mehr, obwohl sie sah, wie Tetsuno dem Wassermagier kurz die Hand auf die Schulter legte und die Augen schloss. Sie hatte auch gar keine Zeit mehr, weiter darüber nachzudenken, denn plötzlich hörten sie von links her ein unerklärliches Flüstern. Sofort blieben sie stehen. Bacardi zog die Augenbrauen zusammen. "Das kommt da aus der Seitengasse." Mit diesen Worten marschierte er los, auf die Geräuschquelle zu. Ivy wollte ihn noch zurückhalten und raunte ihm zu, dass sie das doch eigentlich gar nichts anginge - aber der Gewittermagier war nicht mehr aufzuhalten und so mussten sie ihm wohl oder übel folgen. An der Gasse angekommen spähten sie um die Ecke. Es war eine Sackgasse und ganz am hintersten Ende brannte ein Lagerfeuer. Das Flüstern hatte aufgehört, doch es war ganz sicher aus dieser Seitenstraße gekommen... Bacardi wollte der Sache auf den Grund gehen und trat näher. Ashi hatte nun wirklich keine Lust, ihm auch noch hier rein zu folgen, und blieb einfach am Rande der Gasse stehen. Die anderen drei taten es ihr nach. Bacardi erreichte das Ende der Seitenstraße und sah sich um. Aber außer dem Lagerfeuer war wirklich nichts zu sehen... "Komm schon, Bacardi!", zischte Ivy ihm zu, "Wird schon nicht so wichtig gewesen sein, du..." Weiter kam sie nicht, denn plötzlich ertönte hinten in der Gasse ein gellender Kampfschrei und im nächsten Moment sprangen drei rot gekleidete Gestalten mit vermummten Gesichtern von den Seitenmauern herunter. Bacardi reagierte blitzschnell und wich zurück, bevor sie ihn platt walzen konnten. Er fletschte die Zähne und wollte die drei gerade fragen, was das jetzt bitte sollte, als er die Zeichen auf ihrer Haut entdeckte: Schwarze X. "Dacht ich's mir doch", brummte er und griff nach einer Karte, während er den ersten Angriffen auswich, "Thor Strike!!" Der Himmel zog sich zu und schwarze Gewitterwolken kamen auf. Ein mächtiges Donnergrollen ertönte und das Zeichen auf Bacardis rechter Hand leuchtete auf. Er verpasste dem ersten Angreifer einen Kinnhaken, bevor dieser überhaupt reagieren konnte. Beim zweiten wendete er einen Handkantenschlag in den Nacken an - nur beim dritten bekam er Probleme. Der etwas kleinere Yorukage war so fix, dass er Bacardis aufgepowerten Schlägen immer wieder ausweichen konnte. Obwohl er fast zwei Köpfe kürzer war als Bacardi, war er so dreist, sogar einen Kartenzauber anzuwenden - und dem Gewittermagier einen Feuerblitz entgegen zu schicken. Bacardi sprang gerade noch rechtzeitig zur Seite und griff sich seine nächste Karte. "Battle Lightning!!!" Ein Blitz zuckte in Sekundenschnelle vom Himmel und traf den Yorukage mit voller Wucht. Er ging mit einem Schrei zu Boden und rührte sich nicht mehr. Der ganze Kampf war so schnell gegangen, dass Ashi und die anderen nicht mal eine Chance gehabt hatten, einzugreifen. Jetzt hatten sie ihren Kumpel endlich erreicht und strahlten ihn an. "Mann, voll krass, du hast sie alle platt gemacht!", rief DBO begeistert. "Und das in so kurzer Zeit", fügte Ashi grinsend hinzu. Ivy und Tetsuno wollten gerade auch noch ihren Senf dazugeben - als eine fremde Stimme mit einem merkwürdig rauchigem, tiefen Klang sie davon abhielt. "Du hast dir Respekt verschafft, Bacardi. Scheint so, als würde man dich hier in nächster Zeit fürchten." Der Gewittermagier wirbelte herum und starrte an den Seitenmauern der Gasse empor. Die anderen folgten seinem Blick, ebenso verwirrt, und sie alle erblickten einen schwarzen Schatten, der aufrecht auf der Mauer stand und sie offenbar schon längere Zeit beobachtete. Jetzt machte die Gestalt einen Schritt zur Seite, sodass der Schein des Lagerfeuers sie erhellte. Und da fing Bacardi plötzlich an, ungläubig zu strahlen. "Ryume?? Du erinnerst dich an mich?" Der Schatten lachte leise. "Wie könnte ich dich je vergessen. Bacardi Raiu, der Kerl mit den breitesten Schultern der ganzen Schule - und der Einzige, den ich nie besiegen konnte." Ivy zupfte an Bacardis Kampfanzug. "Wer ist das, Bacardi? Kennst du ihn etwa?" "Ihn?" Bacardi lachte laut auf und klopfte Ivy auf die Schulter. "Das ist Ryume Bannogenso. Sie ist eine Drachen-Asahoshi." Ivy klappte die Kinnlade runter. "SIE???" Der Schatten machte einen Satz und landete vor ihnen am Lagerfeuer. Als er sich aufrichtete, musste nicht nur Ivy sich die Augen reiben und zweimal hinsehen: Auf den ersten Blick hatten sie diese Person wohl alle für einen Jungen gehalten. Das war nicht verwunderlich, denn Ryumes Äußeres ließ nicht gleich erahnen, welches Geschlecht sie eigentlich hatte. Sie war ein paar Zentimeter größer als Ashi und hatte eisblaue Augen, die unnatürlich klar waren. Ihr Gesicht hatte zwar feine Züge und war durchaus hübsch, zeigte jedoch einen Ausdruck völliger Gleichgültigkeit und passte wohl eher zu einem Jungen. Ihr Haar leuchtete silbergrau und hatte an manchen Stellen einen leicht goldenen Schimmer, es war wirr frisiert und die einzelnen Strähnen fiel nach allen Richtungen hin vom Kopf weg. Links am Hals konnte man ein kleines, schwarzes Z ausmachen, das ihre Abstammung endgültig bewies. Sie trug sehr weite, schwarze Kleidung, die ihre Figur nicht gerade betonte - ein T-Shirt und eine knielange Hose, um deren Ärmel und Hosenbeine sich ein silberner Drache wand. Auch ihre schwarzen Schuhe wiesen das Drachenmuster auf und um ihren linken Unterarm trug sie, an einer Lederschnur befestigt, ein silbernes Amulett mit einem eingravierten Drachen. "Fertig mit der Besichtigung?", erkundigte sich Ryume mit gehobener linker Augenbraue und wieder fiel ihre tiefe, irgendwie unheimliche Stimme auf. Bacardi grinste entschuldigend, als seine Freunde sofort zur Seite weg blickten und rot wurden. "Verzeih ihnen noch mal; so langsam müsstest du dich doch dran gewöhnt haben, dass dich die Leute schief angucken. Bist ja selber schuld, was musst du auch wie ein Kerl rumlaufen..." "Ich dachte, wenigstens du würdest das verstehen", meinte Ryume achselzuckend, "also, sag schon an, sind das Freunde von dir?" "Jepp", bestätigte Bacardi, "meine Reisegruppe, sozusagen. Wir ziehen nach Norden, aus verschiedenen Gründen." Er räusperte sich und drehte sich zu den anderen um. "Darf ich bekannt machen: Das ist Ryume, wir waren früher zusammen an der Zauberschule. Sie ist inzwischen, ähm, ich glaub 17, oder...?" Unsicher warf er einen Blick zu Ryume, die aber nickte. "Okay, 17. Hatte ich doch richtig in Erinnerung, ich war immer zwei Klassen über ihr." Er grinste wieder. Ryume blickte in die Runde. "Hi." Das war zwar nicht viel, aber immerhin schon mal der Anfang einer Konversation. Ashi nahm sich ein Herz und lächelte sie an. "Hi. Mein Name ist Ashi..." "Tetsuno." "Ivy." "DBO." "Wind, Feuer, Natur, Wasser. Allesamt Asahoshi, wohl ungefähr mein Alter", stellte Ryume sachkundig fest. "Sie hatte schon immer den vollen Durchblick, war die Klassenstreberin", raunte Bacardi seinen Freunden zu und fing sich einen warnenden Blick von der wortkargen Drachen-Asahoshi ein. Wir zur Entschuldigung wandte er sich wieder Ryume zu und erkundigte sich: "Und... was tust du hier? Ich meine, was sucht jemand wie du in den Hazy Lanes..." "Antworten", gab Ryume zurück und blickte von einem Asahoshi zum nächsten, "Ich will wissen, was hier in Kama-To in letzter Zeit abgeht. Erst der Einbruch bei der Stadtverwaltung, dann die vielen Gerüchte über eine Verschwörung und jetzt auch noch der Bürgermeister." Ihre eisblauen Augen blieben starr und ohne jede Regung. "Vielleicht hatte ich den Durchblick mal, Bacardi, aber jetzt hab ich ihn nicht mehr." "Wenn das so ist", meldete sich Ashi zu Wort, "ich glaub, über die Sache mit dem Bürgermeister sind wir ziemlich informiert. Falls es dich interessiert, könntest du ja..." "Mitkommen?" Ryume hob die Augenbrauen. "Äh... ja...?" Ashi nickte und sah sie unsicher an. Bacardi riss den Kopf immer wieder zwischen den beiden hin und her und erhob dann schließlich wieder das Wort. "Also, ich fänd's cool. Wenn ihr nichts dagegen habt und Ryu-kun Bock hat, für Verstärkung haben wir doch noch Platz, oder...?" Er sah die anderen an. DBO zuckte mit den Schultern. "Von mir aus." "Klar", meinte Tetsuno. Ivy strahlte. "Fänd ich super!" Jetzt blickten alle gespannt auf Ryume, die immer noch mit ausdruckslosem Gesicht am Feuer stand und schwieg. Schließlich blies sie sich eine silberne Haarsträhne aus der Stirn und sagte Schultern zuckend: "Okay. Ich bin dabei." Es war doch immer wieder aufregend, Gruppenzuwachs zu bekommen. Mit Ryume waren sie jetzt schon zu sechst und das löste bei allen Hochstimmung aus - wer konnte sie jetzt schon noch aufhalten? Da war zwar dieser bedrohliche Schatten namens Songai, der sich jetzt weit über die Stadt ausbreitete, aber im Moment hatte Ashi das Gefühl, dass sie es mit jedem aufnehmen konnten. Überhaupt, jetzt, wo sie eine Verbündete hatten, die das mächtigste und heiligste Element der Kartenmagie beherrschte... was sollte da noch schief gehen? Für diese Nacht hatte sie Ryume mit in ihr derzeitiges Quartier genommen, es war ein leer stehender, dunkler und ziemlich gruseliger Schuppen im Garten einer der alten Villen. Dort saßen sie nun alle um ein Feuer herum, dass Tetsuno heraufbeschworen hatte, und unterhielten sich. Wie immer, wenn jemand Neues in die Gruppe aufgenommen worden war, hatten die anderen mächtig viele Fragen - nur diesmal mit dem Unterschied, dass der Neuzugang nicht wirklich Lust hatte, sie alle zu beantworten. Dass Ryume recht wortkarg war, war ihnen von Anfang an aufgefallen, trotzdem ließen die Asahoshi nicht locker und bohrten weiter. "Wie war es denn so auf der Zauberschule, zusammen mit Bacardi?", wollte Ivy neugierig wissen. Ryume zuckte mit den Schultern und antwortete gnädig: "Ganz okay. War ziemlich streng, weil das Teil eigentlich ein Drachenschrein war, wir wurden von den Priestern unterrichtet." "Häh", warf DBO ein, "aber Bacardi ist doch'n Gewittermagier, oder nicht?" "Es waren eigentlich zwei große Schreine, ein Drachenschrein und ein Gewitterschrein, aber man hat sie dann irgendwann verbunden und eine Schule draus gemacht", erklärte Bacardi. "Cool", bemerkte Ashi und ihre Augen begannen zu leuchten, "wie ist der Drachenzauber so, Ryume? Es muss doch furchtbar schwierig sein, so ein mächtiges Element zu beherrschen..." "Wenn dir das Talent in die Wiege gelegt wurde, ist es gar nicht so schwer, wie's aussieht", antwortete Ryume und lehnte sich zurück. Tetsuno nickte. "Verstehe... und wie lange wart ihr an der Schule?" "Acht Jahre lang, bis wir beide sechzehn waren", kam es von Bacardi, "ich musste zwei Jahre vor Ryu-kun raus und hab dann den Kontakt zu ihr verloren." Er zuckte mit den Schultern. "Seitdem haben wir uns nicht mehr gesehen. Jetzt haben wir uns endlich wieder getroffen... und sie hat sich kaum verändert." Er grinste Ryume an, die Drachenmagierin hob eine Augenbraue. "Ah ja, so ist das also", meinte Ivy und spielte an einer ihrer braunen Haarsträhnen herum, "hm, äh, tja, wart ihr denn mal... ähm... also in eurer Schulzeit, mein ich... wart ihr mal... zusammen...??" Neugierig sah sie von Bacardi zu Ryume und wieder zurück. Ryume verdrehte die Augen und Bacardi brach in einen Lachanfall aus, so laut, dass Ivy vor Schreck zusammenzuckte und ihre vorlaute Frage bereute. Als Bacardi sich die letzten Lachtränen vom Gesicht gewischt hatte, erklärte er belustigt: "Nein, waren wir nicht. Das wär auch ziemlich aufgefallen, weil wir nämlich an einer reinen Jungenschule waren..." "WAS??" Ashis Kinnlade entgleiste. "Aber - aber - ich dachte - Ryume wäre -" Bacardi hob die Hand. "Ist sie auch. Nur keine Sorge, wir haben euch nicht verarscht... es ist nur so, dass Ryu-kun ansonsten auf eine reine Mädchenschule hätte gehen müssen - und das hat ihr absolut nicht in den Kram gepasst. Sie hat die Priester acht Jahre lang an der Nase rumgeführt - so was kann nur meine Ryume." Er grinste wieder bis zu den Ohren. "Ist nun mal... ziemlich kerlig." Die Drachen-Asahoshi verpasste ihm einen Hieb in die Seite. Bacardi schrie auf. "Au!! Verdammt, das tut doch weh!" Ryume lachte triumphierend auf. "Wollte nur sehen, ob ich inzwischen stärker geworden bin. Sieht ja fast so aus; als wir noch an der Schule waren, hast du dich nie beschwert, wenn ich dich mal geboxt hab." Bacardi fletschte die Zähne. "Bloß nicht frech werden. Ich schlag dich immer noch; dass du dir ja keine falschen Hoffnungen machst." Ryume grinste. "Schon okay, cool bleiben. Ich hab nicht vor, dich herauszufordern, inzwischen hab ich es aufgegeben, mir bei dir Hoffnungen auf einen Sieg zu machen." Bacardi wechselte das Thema und erklärte sachlich in Richtung der anderen: "Wir waren einfach nur gute Kumpels, sonst nichts." "Was lernt man auf so ner Zauberschule eigentlich?", wollte DBO neugierig wissen. Bacardi zuckte mit den Schultern. "Aaach, bis auf den Kartenzauber nichts weiter Spannendes... die Geschichte der Zauberei, die Gottheiten der sechs Elemente, bla bla bla..." "Gottheiten der sechs Elemente?", wiederholte Ashi verständnislos. Bacardi blinzelte. "Ja klar. Kennst du die Story nicht? Diese Sage, wie die Elemente entstanden sind?" Ashi schüttelte perplex den Kopf. "Nö." "Dann sollte ich dich wohl mal aufklären", beschloss Bacardi und blickte Achtung heischend in die Runde, "Also. Angeblich haben vor Urzeiten, als die Erde gerade erst erschaffen worden war, sechs Gottheiten gelebt, die unserer Welt das Leben einhauchen sollten. Sie verkörperten die sechs Elemente, mit denen wir heute zaubern. Die Mächtigste von ihnen war Dracona, die Göttin der Drachen - sie beherrschte das heilige Element. Dann gab es da den kriegerischen Pyro, den Feuergott, und seinen ewigen Gegenspieler Taki, der Gott des Wassers." Bacardi hielt kurz inne, grinste Tetsuno und DBO breit an, erntete zwei böse Blicke und fuhr fort: "Des weiteren stand noch Arashi auf der Bühne, die mächtige Göttin des Windes. In den anderen Rollen gab es noch Cerasa, die wunderschöne Göttin der Natur, und den launischen Gewittergott Orage. Diese Sechs machten es sich also zur Aufgabe, unsere Welt zu dem zu machen, was sie heute ist. Die großen Sechs starben, als die ersten Menschen geboren wurden. Der Legende nach kehren sie aber immer wieder zurück und werden in Kartenzauberer reinkarniert. Das können sowohl Asahoshi als auch Yorukage sein, da die Gottheiten da offenbar keinen Unterschied machen und unparteiisch sind." Er sah die anderen bedeutungsvoll an. "Na ja, die Leute, in denen die Seelen der Götter stecken, merken das normalerweise nicht, es kommt äußerst selten vor, dass diese Opis in ihren Wirten erwachen. Aber angeblich ist es schon ein paar Mal passiert. Unsere werten Priesterpauker im Schrein haben jedenfalls alle fest an dieses Märchen geglaubt, hab ich Recht, Ryu-kun?" Die Drachenmagierin nickte desinteressiert. "Klingt ja voll cool", staunte Ivy, "ich wär auch gern an so ner Schule gewesen, das muss ja der Hammer sein..." "Ist stinklangweilig, darfst du mir glauben, Ive", wehrte Bacardi ab, "sei froh, dass du da nicht jahrelang eingesperrt warst... zuerst findet man's mordsmäßig spannend, aber nach ner Weile geht's einem dann mächtig auf den Zeiger." "Versteh ich", meinte Ashi grinsend, "wenn's ne reine Jungenschule ist... muss ja grässlich langweilig sein. Kein Wunder, dass du dich mit Ryume angefreundet hast..." "Wie darf ich das jetzt verstehen?", erkundigte sich Bacardi misstrauisch. "Ach, nicht so wichtig... vergiss es." "Nein, erklär mir das!" "Keine Lust." "Twisteeeer...!!" "Ich hab noch einen richtigen Namen. Ashi. Schon vergessen?" "Ich bin zwei Jahre älter als du und hasse es, verarscht zu werden. Auch schon vergessen?" Ryume warf Tetsuno einen Blick zu und nickte in Richtung Ashi und Bacardi, die sich immer noch angifteten. "War das Liebe auf den ersten Blick bei den beiden?" Tetsuno machte ein finsteres Gesicht, statt dessen antwortete Ivy für ihn und grinste. "Äh, eigentlich eher nicht... das entwickelt sich erst so langsam... Irgendwie sind sie sich zu ähnlich", vermutete sie mit einem prüfenden Blick auf die beiden Zankhähne, "ist ungefähr so wie bei Tetsuno und DBO... die haben sich auch so furchtbar lieb... aaaaautsch!!" Ivy brach in Protestgeschrei aus, als sie DBO und Tetsuno gemeinsam an ihrem langen Haarschopf packten und einmal kräftig daran zogen. Ryumes Blick wanderte von Bacardi und Ashi, die sich immer noch Komplimente zuwarfen, bis wieder zurück zu Ivy, die jetzt heftig gestikulierend in ein Wortgefecht mit den anderen beiden Jungs verfallen war. Die Drachenmagierin atmete tief durch, schloss die Augen und fragte sich ernsthaft, was für einer Bande von Chaoten sie sich da bloß angeschlossen hatte... Als sie am nächsten Morgen schon früh aus den Federn kriechen mussten, weil Bacardi und Ryume schon beim ersten Hahnenschrei auf den Beinen waren und die anderen Langschläfer weckten, ging die Sonne gerade blutrot über den Hazy Lanes auf. Die Atmosphäre des Viertels hatte sich über Nacht kein Stück gebessert und Ashi war es immer noch unangenehm, durch diese Gegend zu wandern. Den anderen ging es offenbar genauso, denn sie versuchten verzweifelt, sich durch Gespräche gegenseitig abzulenken. Themen waren nicht schwer zu finden, denn jetzt war Ryume an der Reihe, die Fragen zu stellen. "Also", die Drachenmagierin blickte zu den anderen, während sie neben ihnen her durch die Straßen der Hazy Lanes marschierte, "was ist jetzt mit dieser Bürgermeister-Sache? Was wisst ihr darüber?" "Wir glauben zu wissen", stellte Tetsuno richtig und erklärte Ryume, warum sie Songai in Verdacht hatten. Die Drachen-Asahoshi war alles andere als begeistert, nickte aber nur gleichgültig. "Verstehe. Soll heißen, wir müssen ab jetzt auf verstärkt auf unsere Ärsche Acht geben... wer weiß, was der Typ alles verordnen lässt." Sie verzog das Gesicht. DBO nickte düster. "Vermutlich erlässt er jedem Normalo-Bürger bald die Lizenz, Asahoshi aufzuspüren und sie ohne Wenn und Aber umzunieten." "Sieh nicht gleich ganz so schwarz, DBO", versuchte Ivy ihn zu beruhigen, "so schlimm wird es schon nicht werden." "Hoffen wir's mal", brummte der Wassermagier zurück. "Wohin wollt ihr eigentlich genau?", erkundigte sich Ryume, "Ich weiß nur, dass ihr nach Norden geht..." "Ich will zum Himitsu-Tempel", erklärte Ashi, "Tetsuno ist, äh... so was wie mein Fremdenführer hier, DBO kommt freiwillig mit, Ivy-chan will zu ihren Eltern und Bacardi..." "Hat grad nichts Besseres zu tun", schloss der Gewittermagier selbst. Ryume nickte ausdruckslos. "Verstehe." Dann wurden ihre Augen plötzlich größer. "Hey... Moment mal, wenn ihr von Süden kommt, dann müsst ihr ja eigentlich... durch den verhexten Wald gegangen sein!" "Bingo", DBO grinste, "und wir haben den Spuk aufgehoben. Ab jetzt kann man wieder morgendliches Jogging in diesem Wald betreiben, ohne auf immer und ewig im Unterholz zu verschwinden..." Er schüttelte sich theatralisch und Ryume warf ihm einen zweifelnden Blick zu. "Nicht ernst nehmen, bei Mädels wird der immer so. Will sich nur wichtig machen", brummte Tetsuno und kassierte einen Rippenstoß von DBO. Part 19: Der Fluch Während sie immer tiefer in die Hazy Lanes eindrangen, wurde ihre Umgebung nur noch bedrohlicher und unheimlicher. Die Häuser wurden größer, älter, verfallener, leerer und gruseliger und Regenwolken zogen auf. Bacardi rechnete mit einem baldigen Gewitter - und er musste es ja wissen, also machten sie sich auf, einen Unterstand zu finden. Das stellte sich aber als gar nicht so einfach heraus. Die Häuser, in deren Gärten sich eventuell in Frage kommende Schuppen befanden, waren bewohnt und von riesigen altmodischen Gartenzäunen umgeben. So etwas wie Bushaltestellen gab es hier nicht, alle Türen waren verschlossen und verrammelt oder zugebrettert. Nachdem sie eine Viertelstunde lang nach einem Unterstand gesucht hatten, ertönte plötzlich ein Grollen im Himmel und im nächsten Moment fing es an zu regnen. Erst nur ganz leicht und leise, dann wurden die Tropfen größer und zahlreicher und entwickelten sich zu einem richtigen Landregen. Zusätzlich blitzte und donnerte es und als wäre das noch nicht genug gewesen, zog ein Sturmwind auf, der mit der Zeit so heftig wurde, dass die Asahoshi schon Schwierigkeiten hatten, sich untereinander zu verstehen und nicht weggeblasen zu werden. "Ashi-chan, mach den Wind endlich rückgängig!!", brüllte Tetsuno gegen den Sturm an. "Halt die Klappe und such nach einem trockenen Platz hier, du weißt genau, dass ich das nicht war!", schrie Ashi zurück. Das Unwetter wurde unerträglich und schließlich war es Tetsuno, der einen Platz fand, wo sie sich für eine Weile unterstellen konnten. Irgendwann blieb er stehen und wies mit der Hand schräg nach links, wo sich auf der anderen Straßenseite ein riesenhaftes, schmiedeeisernes Tor gegen den grauen Himmel erhob. "Der Kasten da drüben ist unbewohnt!!", rief er so laut er konnte, "Da können wir uns unterstellen!" "Was ist mit dem Tor?", brüllte Ashi. "Klemmt'n bisschen, aber das krieg ich schon auf!" Der Feuermagier rannte über die Straße und zog am Griff des Gartentores. Das Portal quietschte und ächzte, es ließ sich kaum bewegen und erst als Bacardi und DBO auch noch mit anpackten, ging es endlich mit einem hässlichen Krachen auf. Hastig rannten die sechs Asahoshi hindurch. Vor ihnen erstreckte sich nun ein langer, grau gefliester Gartenweg, der durch einen wuchernden Rasen und eine Allee von riesigen Trauerweiden hindurch bis zu einem mächtigen Anwesen führte, das sich kaum von dem grauen Himmel abhob und irgendwie wie der Eingang ins Reich der Schatten wirkte. Ashi bekam augenblicklich Gänsehaut, und das, obwohl sie des kalten Regens wegen zuvor schon eine gehabt hatte. Und da sollen wir rein?, wollte sie fragen, doch sie kam nicht mehr dazu, da ihre Freunde bereits an ihr vorbei zur Eingangstür gerast waren. Also schloss sich Ashi ihnen an - noch nässer wollte sie wirklich nicht werden. Und alleine hier draußen bleiben? Nein danke. Der Eingang war seltsamerweise nicht abgeschlossen und so kamen sie ungehindert in die riesige Villa hinein. Als die Tür wieder hinter ihnen zu schlug, standen die sechs Asahoshi bis auf die Knochen durchnässt und mit ehrfürchtigen Blicken in einer gewaltigen Eingangshalle. Die Farbe der Wände war wohl vor einigen Jahrzehnten einmal weiß gewesen, glich jetzt aber eher einem trüben Grau und blätterte stellenweise ab. Eine breite Steintreppe führte in den ersten Stock hinauf, der in völliger Dunkelheit lag. Licht drang nur im Erdgeschoss durch ein paar hohe Fenster ins Haus. Die wenigen Möbel, die hier und da herumstanden, waren abgedeckt und verstaubt. Der kalte, geflieste Boden ächzte unter jedem Schritt der Asahoshi. Ashi hauchte unter ungläubigem Staunen: "Wo... wo sind wir hier...?" "Die alte Nazo-Villa", antworteten Tetsuno und DBO gleichzeitig. Ashi sah die beiden verwirrt an. "Jeder, der in den Hazy Lanes aufgewachsen ist, kennt die Nazo-Villa", erklärte DBO und blickte sich unsicher um, "sie war der Ort, wo Tausende von Mutproben ausgetragen wurden... wer auch nur über das Gartentor geklettert und einen Schritt auf das Gelände getreten ist, war schon ein Held." Er beobachtete einen tanzenden Schatten an der Wand, der von den peitschenden Ästen eines Baumes vor dem Fenster herrührte. "Wir sind als Kinder oft hier gewesen. Immer weiter haben wir uns vorgewagt, eines Tages haben wir sogar die Haustür aufgebrochen und sind ins Haus gekommen." Er schwieg und sah zu Boden. "Das war das erste und für lange Zeit auch das letzte Mal, dass ich die Nazo-Villa von innen gesehen habe." "Aber warum?", wollte Ashi verstört wissen, "Was ist denn passiert?" DBO zuckte mit den Schultern. "Einer von uns hat die Falltür zum Keller gefunden. Er hat sie geöffnet und ist runter gestiegen. Wir anderen hatten Angst und haben oben an der Falltür auf ihn gewartet. Vergeblich." Er warf Ashi einen düsteren Blick zu. "Irgendwann haben wir von unten einen Schrei gehört. Wir bekamen Panik, sind abgehauen und haben unsere Eltern zu Hilfe geholt. Die haben den ganzen, verfluchten Keller nach unserem Kumpel abgesucht - er wurde nie gefunden." Ashi wurde einen halben Kopf kleiner und murmelte mit leichenblassem Gesicht: "Oh Gott..." "Es wurden viele Geschichten über die Nazos erzählt", sagte Tetsuno leise, "ein Mord nach dem anderen, immer wieder sind Familienangehörige spurlos verschwunden, Streit, Scheidungen..." Er schüttelte den Kopf. "Es war grauenhaft. Aber gerade das war der Nervenkitzel an der Sache. Als wir klein waren, stand das Haus bereits seit einem Jahrzehnt leer. Niemand wollte dort einziehen, in ein Haus, das eine so düstere Vergangenheit aufzuweisen hatte." "Und wie kommst du dann auf die geniale Idee, dass wir uns genau hier unterstellen sollen?", fragte Ivy mit ungewöhnlich piepsiger Stimme. "Hey, es regnet, oder etwa nicht?", gab Tetsuno bissig zurück, "Außerdem müssen wir ja nicht lange bleiben. Das Gewitter verzieht sich bestimmt ganz schnell. Und so lange halten wir uns eben hier im Eingangsbereich auf... weit weg von der Falltür zum Keller." Keiner war wirklich überzeugt von Tetsunos Idee, aber es fiel auch niemandem ein, jetzt wieder in die Kälte und den Regen hinauszugehen. Also harrten sie ihres Schicksals und warteten darauf, dass das Unwetter vorüberging. Nur leider... ging es eben nicht vorüber. Als es draußen bereits dunkel wurde, saßen die Asahoshi immer noch in der kalten Eingangshalle auf einem mottenzerfressenen Sofa und fühlten sich allmählich mehr als unwohl. "Ich hab Hunger", gab Ashi irgendwann zu, als sie ihr Magenknurren nicht mehr vor den anderen verbergen konnte. "Ich muss mal", murmelte Ivy unruhig. "Ich frier mir hier den Arsch ab", knurrte DBO. "Ein Königreich für ein Bett", gähnte Bacardi. "Hat einer ne Kippe?", gab Ryume von sich. Tetsuno sprang genervt auf. "Haufen Jammerlappen", wies er die anderen zurecht, "erstens sind uns schon gestern die Vorräte ausgegangen, zweitens..." Ein gewaltiges Magenknurren, das eindeutig nicht von Ashi stammte, unterbrach seine Predigt und der Feuermagier wurde rot. Ashi erhob sich ebenfalls, nahm sich ein Herz und Tetsuno am Handgelenk. "Komm schon, wir suchen nach der Küche. So geht das nicht weiter. Vielleicht finden wir ja da was Essbares." "In der Bruchbude??" Tetsuno sah sie entgeistert an. "Du glaubst doch nicht im Ernst, dass nach so vielen Jahren, in denen das Haus leer gestanden hat, da noch irgendwas Genießbares zu finden ist!" "Bevor wir hier rumsitzen und verhungern?" Ashi sah ihn herausfordernd an. "Also los, gehen wir." Tetsuno gab nach und ließ sich mitzerren. Ivy trommelte mit ihren Fingern auf der Sofalehne herum und fasste auch einen Entschluss: "Ich such jetzt mal nach der Toilette." "Ich komm mit, sonst vereis ich hier noch", verkündete DBO. "Okay", Bacardi warf Ryume einen raschen Blick zu und erklärte: "Dann checken wir mal den ersten Stock. Vielleicht lassen sich da irgendwo ein paar Betten auftreiben. Sieht ja ganz so aus, als würden wir die Nacht hier verbringen müssen..." Er sah zu einem der großen Fenster hinaus, nur um seine Vermutung bestätigt zu bekommen, dass es immer noch aus Eimern goss und stürmte. "Warst du als Kind auch mit DBO und seinen Freunden hier?" "Hm", brummte Tetsuno. "Dann kennst du dich doch ein wenig aus, oder...?" Tetsuno lachte leise. "Sicher doch. Wir haben die Räume als Folterkammern, Schwarzmagiebibliotheken, Hexenküchen oder Kerkerzellen bezeichnet; ich hab damals nicht so weit gedacht, mal nachzuprüfen, ob es nicht einfach ganz einfache Bäder oder Esszimmer sein könnten." Ashi grinste schief. "So viel Fantasie hattest du mal? Dabei kenn ich dich doch als gnadenlosen Realisten..." "Ich hab meine Ansichten eben geändert." Ein harter Unterton mischte sich in Tetsunos sonst so beruhigende und angenehme Stimme und auch seine Miene verfinsterte sich. "Irgendwann muss jeder mal lernen, dass wir hier in keiner Traumwelt leben, sondern das Leben verdammt hart ist. Das Schicksal ist gnadenlos und nur, wer es in seiner vollen Grausamkeit erlebt hat, begreift endlich und versucht sich dagegen aufzulehnen." Ashi sah ihn unsicher von der Seite her an. "Tetsuno...? Was - was meinst du damit?" Der Feuermagier schloss die Augen und schüttelte den Kopf, als wollte er damit die finsteren Gedanken abwerfen. "Nicht so wichtig. Komm, wir sollten lieber die Augen offen halten. So langsam krieg ich auch Hunger." Ivy und DBO hatten sich den linken Teil des Erdgeschosses vorgenommen, da Ashi und Tetsuno rechts herum gegangen waren. Wachsam sahen sich beide nach allen Seiten um. "Ich hab noch nie so ein riesiges Haus von innen gesehen", murmelte Ivy beeindruckt, als sie die sechste Tür geöffnet und wieder geschlossen hatte, "hier braucht man ja erst mal eine Woche, um sich überhaupt zurecht zu finden. Hat das Ding ne eigene Postleitzahl?" DBO grinste. "Die Nazos waren eben stinkreich. Der Kasten ist das Familienerbe. Dummerweise ist jetzt halt keine Familie mehr da." "Also ist es nur noch ein Erbe", stellte Ivy fest und blickte hinter die nächste Tür. "Nein, schon wieder nichts - igitt." Sie fischte sich eine Spinnwebe aus dem Gesicht, die sie abbekommen hatte, weil sie ihren Kopf zu weit ins Zimmer hinein gestreckt hatte. "Oh Mann, das gibt's doch nicht! In so einem Riesenhaus muss doch wenigstens ein einziges Klo existieren! Wo sind wir hier, im Mittelalter??" "Nicht ganz, aber fast", gab DBO zurück und schleifte Ivy am Arm weiter, "da vorne ist die letzte Tür hier im Gang. Wenn da auch Fehlanzeige ist, hast du ein Problem, Ive." "Okay, dann darf ich aber auch zuerst reingucken." Ivy trat vor die letzte Tür und drückte die Klinke hinunter. Die Tür ging knarrend auf und gab den Weg in ein riesenhaftes Zimmer frei, das voll mit hohen, schlanken Möbeln stand. Ivy schüttelte den Kopf. "Also, ein Klo ist hier bestimmt nicht drin." Sie wollte die Tür schon wieder schließen, als DBO seine Faust um ihre Hand schloss und die Tür aufhielt. "Moment. Warte mal kurz... ich will mir das ansehen." Mit halb geschlossenen Augen trat er über die Schwelle in den finsteren Raum. Er ging auf die riesigen Möbel zu, stellte sich direkt vor eines davon - und verstand endlich. "Natürlich", murmelte er leise und strich über das alte Holz des hohen Regals, "jetzt weiß ich es wieder... hier ist die Bibliothek." Ivy wurde augenblicklich hellhörig. "Bibliothek?" "Ja, wir haben früher geglaubt, hier würden nur Bücher über schwarze Magie stehen, und hatten deshalb Angst davor", erzählte DBO mit einem leichten Lächeln im Gesicht und fuhr über die staubigen Buchrücken. Ivy riss sich zusammen und betrat ebenfalls den dunklen Raum. "Mann", lautete ihr erster Kommentar, "ich kann zwar nicht besonders viel erkennen, aber hier müssen ja Massen von diesen Bücherregalen stehen... wär doch bestimmt interessant, rauszufinden, was das wirklich für Lektüre ist." Sie zog ein dickes, verstaubtes Buch aus dem Regal und versuchte den Titel zu entziffern. "Hast du mal Feuer, DBO?" "Wenn man Kasai braucht, ist er nicht da", brummte der Wassermagier und kramte in seinen Taschen. Schließlich wurde er fündig und förderte ein Feuerzeug zutage. Er überreichte es Ivy. "Na, dann lass mal sehen", meinte die Natur-Asahoshi neugierig und schnippte das Feuerzeug an, "bin ja echt gespannt, was die Nazos so gelesen haben." Bacardi tastete sich die letzten Stufen ins erste Stockwerk hinauf und blieb neben Ryume stehen, die bereits mit ausdruckslosem Gesicht in die vollkommene Finsternis starrte, die sich ihnen nun bot. "Schnuckelig", bemerkte Bacardi und blinzelte verwirrt, "hier haben die Nazos also gehaust. Exquisiter Lichteinfall. Haben wohl zu viel für ihr Protzhaus ausgegeben, die konnten es sich nicht mal mehr leisten, Fenster im ersten Stock einbauen..." "Wart's ab." Ryume marschierte direkt in die Dunkelheit hinein und war nicht mehr zu sehen. "Hey!", rief Bacardi und stolperte ihr nach, "Ryu-kun, mach keinen Scheiß! Wer weiß, was hier alles rumsteht, du könntest in Sonstwas reinrennen..." Ein Knall und ein folgender Schmerzenslaut sagten Ryume, dass Bacardi gerade über einen der von ihm prophezeiten Gegenstände geflogen war und jetzt wohl am Boden lag. Sie kümmerte sich nicht darum, machte noch einen Schritt nach vorne, packte zu - und riss einen langen, schweren und furchtbar staubigen Vorhang zur Seite. Er gab ein hohes Fenster frei, durch das ein klein wenig Licht hereinfiel. Die Drachenmagierin drehte sich um und sah, wie Bacardi sich gerade vom Boden aufrappelte und fluchend nach dem Schemel trat, über den er gestolpert war. Dann kam er auf Ryume zu und erkundigte sich: "Woher wusstest du, dass da ein Fenster ist? Ich weiß ja, du bist nicht zu unterschätzen, aber willst du mir jetzt echt erzählen, dass du im Dunkeln sehen kannst?" "Drachengene", antwortete Ryume einsilbig und ließ ihren Blick durch den Raum schweifen. Sie standen in einem breiten Gang, der links und rechts je zwei Türen aufwies und mit einer ebenfalls von einem Vorhang verhängten Glastür endete, die offenbar auf eine Art Balkon führte. Ohne zu zögern steuerte Ryume auf die erste Tür von rechts zu und öffnete sie. Spinnweben und blasses Licht empfingen die Drachenmagierin und sie betrat den Raum leise. Bacardi folgte ihr auf dem Fuße und die beiden sahen sich um. Sie standen in einem kleinen Zimmer, das mit einem Himmelbett, einem riesigen Eichenschrank, einem Tisch, einem Sessel und vielen kleinen Lampen ausgestattet war. Früher musste die Einrichtung einmal sehr hübsch gewesen sein, doch der Zahn der Zeit hatte schwer an den Möbeln genagt. Auf einem Regal an der Fensterwand waren ein gutes Dutzend Porzellanpuppen aufgereiht, feinsäuberlich in hübsche Kleidchen gesteckt und immer noch unversehrt. Trotz des schwachen Lichts konnte man annähernd erkennen, dass die vorherrschende Farbe in diesem Zimmer einmal Rosa gewesen sein musste. Ryume schloss die Augen. "Ein Zimmer voller Erinnerungen. Es ist schon lange verlassen, aber die Zeit ist stehen geblieben. Man könnten meinen, dass hier bis gestern noch ein kleines Mädchen gewohnt hat..." Bacardi nickte nachdenklich und trat an den Holztisch. Dort lag ein schönes, in rotes Leder gebundenes Buch, das zwar keinen Titel, dafür aber auf der Rückseite des Umschlags die goldene Inschrift "Sakura Nazo" trug. Bacardi schlug es auf und versuchte in der Dunkelheit etwas zu lesen. Er schüttelte den Kopf. "Keine Chance." Er konzentrierte sich und langsam erschien eine kleine schwebende Kugel vor ihm in der Luft. Die Spannung knisterte, Bacardi hatte Blitzenergie gebündelt und sich somit eine Lichtquelle geschaffen. Jetzt konnte er endlich erkennen, was in das Buch geschrieben war. In feiner, säuberlicher und leicht verschnörkelter Handschrift stand dort auf der ersten Seite "Mein Tagebuch". "Sind wir etwa neugierig, Bacardi?", erkundigte sich Ryume spöttisch, als der Gewittermagier sofort weiter nach hinten im Buch blätterte, bis er den letzten Eintrag fand. Er zeigte mit dem Finger darauf und las das Datum. "Der 13. Oktober vor zwanzig Jahren." Jetzt konnte auch Ryume nicht mehr widerstehen und blickte ihm über die Schulter. "Es ist nicht zu fassen", las Bacardi leise vor, "nie ist mir zuvor aufgefallen, wie unheimlich mein großer Bruder doch sein kann. Dabei habe ich ihn doch immer geliebt und ihm vertraut. Doch seit einigen Tagen ist er nicht mehr derselbe. Er ist wie ausgewechselt. Sein Blick ist so kalt und trübe, als wäre er schon wochenlang tot. Eine grausame Vorstellung, doch anders kann ich es nicht beschreiben. Er hört mir nicht mehr zu und scheint auch unsere Eltern nicht mehr richtig wahrzunehmen. Seit Tagen spricht er nun nicht mehr mit uns, aber heute hat er mich um etwas gebeten. Er sagte, ich solle heut nacht, wenn Mutter und Vater schlafen, zu ihm ins Wohnzimmer kommen. Er müsse mir dringend etwas erzählen, wolle das aber nicht vor den Eltern sagen. Ich verstehe nicht ganz, warum kommt er nicht einfach auf mein Zimmer und spricht dort mit mir über seine Probleme? Wir waren doch immer füreinander da... hat er plötzlich Angst vor mir? Aber weshalb will er dann, dass wir uns mitten in der Nacht im Wohnzimmer treffen? Soll ich wirklich hingehen? Liebes Tagebuch, bitte gib mir einen Rat! Ich will ihn doch nicht enttäuschen... wenn er wirklich etwas auf dem Herzen hat und es bis jetzt nicht sagen wollte, vielleicht hat er dann jetzt endlich den Mut dazu gefunden und will sich mir anvertrauen. Ich habe mich entschieden. Ich werde gehen." Bacardi brach ab, blätterte um und warf Ryume dann einen beunruhigten Blick zu. "Das war der letzte Eintrag. Danach hat sie nie wieder in ihr Tagebuch geschrieben." "Verdammt, das gibt's doch nicht! Hier muss doch irgendwo die Küche zu finden sein; haben die sich von Hausstaub ernährt oder was??" Ashi verlor langsam die Nerven. Das Erdgeschoss war doch gar nicht so riesig und normalerweise versteckte man Küchen nicht im hintersten Eck des Hauses! Oder? Tetsuno riss die nächste Tür auf und trat in den Raum. Für einen Moment blickte er sich um, dann ließ er eine Flamme vor sich erscheinen. Seine Miene hellte sich auf. "Hey, wir haben das Wohnzimmer gefunden. Falls Bacardi und Ryu keine Betten auftreiben, können wir hier übernachten." Ashi schüttelte sich. "Mir gefällt die Vorstellung nicht, in diesem Haus zu schlafen." "Besser als draußen im Regen, oder?", entgegnete Tetsuno und schritt durch das Zimmer. Ashi überlegte gerade, ob sie es nicht doch vorziehen würde, draußen zu nächtigen, als das monotone Geräusch von Tetsunos Stiefeln auf dem Teppichboden urplötzlich verstummte und ein lautes Poltern ertönte. Ashi machte entsetzt einen Satz nach hinten, fing sich dann aber wieder und rannte zu der Stelle, wo Tetsuno eben noch gestanden hatte, jetzt aber nur noch Finsternis war. "Tetsuno??", nervös blickte sie sich um. "Keinen Schritt weiter, bleib bloß stehen!!", ächzte es einen halben Meter vor ihr. Verwirrt trat Ashi nach vorne und hielt Ausschau nach Tetsuno - da verlor sie den Boden unter den Füßen und fiel drei Meter tief durch ein schwarzes Loch im Boden. Die Windmagierin schrie erschrocken auf, dann landete sie merkwürdig weich und ein Keuchen ertönte unter ihr. Blitzschnell schaltete sie und kletterte sofort von ihrem Landeplatz herunter - mit hochrotem Gesicht. "Du Trampel", stöhnte Tetsuno und rieb sich seinen Magen, während er seine heraufbeschworene Flamme zu sich holte, "ich hab doch gesagt, du sollst stehen bleiben..." "Sorry", murmelte Ashi und half ihm hoch, "noch alles ganz?" "Sicher", brummte der Feuermagier, "kannst von Glück sagen, dass ich heut kaum was zu Essen gekriegt hab; wäre es mehr gewesen, hättest du bei deiner Punktlandung wohl ne Portion davon abgekriegt... und ich kann froh sein, dass hier unten dieses komische Pflanzenzeugs wächst, sonst hätt ich wohl ins Gras gebissen." "Siehst du hier irgendwo Gras? Also, ich seh überhaupt nichts. Wo sind wir hier?", fragte Ashi und blickte nach oben, wo das Loch im Wohnzimmerboden klaffte, durch das sie gefallen waren. "Weiß nicht", gab Tetsuno von sich, "also, wir waren im Wohnzimmer, dann sind wir durch so eine Art offene Falltür geflogen und..." Er brach ab. Sein Gesicht wurde leichenblass und er starrte Ashi im Schein der Flamme an. Ashi verstand ebenfalls und fröstelte. "Wir sind im Keller", hauchte sie fassungslos. "Der Fluch der Nazos", las Ivy mit weit aufgerissenen Augen vom Titelblatt des Buches vor, "Dies sind die Aufzeichnungen von Saigo Nazo, dem Letzten einer verdammten Familie." DBO stieß einen leisen Pfiff aus und rückte einen alten Polstersessel herbei. Ivy setzte sich dankend und schlug die erste Seite auf. Während DBO sich auf die Armlehne des Sessels fallen ließ, las sie mit gedämpfter Stimme weiter: "Ich, Saigo Nazo, befinde mich nun seit einigen Jahren im Ruhestand und kann mit Gewissheit sagen, dass ich der letzte bin, der von meiner Familie übrig geblieben ist. Mit mir werden die Nazos aussterben und der Tag, an dem ich von dieser Welt weiche, kann nicht mehr fern sein. Meine Leiden werden schlimmer, ich werde wohl nicht mehr lange durchhalten. Doch solange mir noch Zeit bleibt, will ich zusammentragen, was sich in meiner Familie über Generationen hinweg ereignet hat. Auf dass die Nachwelt dieses Schreiben irgendwann finden und über die Nazos Bescheid wissen werde." Die Naturmagierin stieß leise die Luft aus und warf DBO einen nervösen Blick zu. "Klingt ziemlich ernst, meinst du nicht auch?" "Ja", der Angesprochene lachte leise und hohl, "aber immerhin haben wir die passende Atmosphäre, um was über Flüche und Verdammnis zu lesen." Wie zur Bestätigung ertönte von draußen ein mächtiger Donner. Tetsuno hellte seine Flamme auf und ließ sie etwas mehr Licht in die Finsternis des Kellers bringen. Mit einem seltsamen Gefühl in der Magengegend sahen sich die beiden Asahoshi um. Sie standen in einem langen, steinernen Gang, der direkt unter dem Haus hindurchzuführen schien. Außerhalb des Feuerscheins war alles schwarz, es roch modrig und die Luft war unangenehm feucht. Durch das Loch wieder nach oben zu kommen durfte schwierig werden - aber Tetsuno hatte auch gar nicht die Absicht, diesen Ort so schnell wieder zu verlassen. "Ist doch ganz nett", bemerkte er, "sieht so aus, als würde ich jetzt endlich rausfinden, was in diesem Keller lauert, das unseren Kumpel damals einfach so verschwinden lassen konnte..." "Hör auf", beschwerte sich Ashi, "du machst mir Angst!" Der Feuermagier seufzte. "Ach komm schon, war doch nur Spaß. Wenn du glaubst, dass hier irgendein Urmonster schlummert, dann bist du auf dem Holzweg. Ich weiß nicht, wie mein Kumpel damals verschwinden konnte, aber gefressen worden ist er bestimmt nicht. Los, sehen wir uns um, wenn wir schon mal hier sind. Vielleicht gibt's ja so was wie einen zweiten Ausgang - oder wir kriegen doch raus, welches Geheimnis dieses Loch hier verbirgt." Ashi wusste irgendwie, dass das die dümmste Idee war, die ihnen hätte einfallen können, folgte Tetsuno aber, als er schnurstracks in den dunklen Tunnel hineinmarschierte - denn alleine hier bleiben wollte sie schließlich auch nicht. DBO nickte Ivy zu. "Mach schon, lies weiter. Jetzt bin ich echt neugierig geworden." Ivy gehorchte und blätterte auf die nächste Seite. "Zuerst will ich eine kurze Zusammenfassung schreiben, die ich im Weiteren noch ausführlich erklären werde. Vor einigen Jahrhunderten fing alles an. Ich weiß nur aus Überlieferungen von diesen Geschehnissen, doch ich bin fest davon überzeugt, dass alles so seine Richtigkeit hat. Der Erste unserer Familie verschwand vor fast dreihundert Jahren. Damals stand das Anwesen der Nazos schon. Einer meiner Urahnen, der damalige Familienvater T. Nazo, verschwand von einem Tag auf den anderen spurlos und wurde nicht mehr gefunden. Sein Sohn U. Nazo heiratete und hatte mit seiner Frau drei Kinder. Als er alt geworden war, verschwand auch U. Nazo eines Nachts. Er ging des Abends zu Bett und war am nächsten Morgen einfach nicht mehr da. So ging es durch alle folgenden Generationen weiter; immer wieder war ein Familienmitglied plötzlich wie vom Erdboden verschluckt - bis in diese Generation. Vor einem Jahr war meine geliebte Enkelin Sakura auf einmal nirgends mehr aufzufinden. Wir hatten kaum Zeit, richtig um sie zu trauern, als plötzlich die ganze übrige Familie, einschließlich mir, von einer unbekannten Krankheit befallen wurde. Wir suchten die besten Ärzte Kama-Tos auf, doch keiner konnte uns retten. Einer nach dem anderen um mich herum verschied, bis nur noch ich übrig war. Nun, da es außer mir keine Nazos mehr gibt, habe ich mich entschlossen, über diese Familie nachzudenken. Nach langem Überlegen bin ich zu dem Schluss gekommen, dass wir es hier mit einem Fluch zu tun haben müssen. Ein Fluch, der sich seit drei Jahrhunderten durch alle Generationen gefressen hat und nun schließlich sein Ziel, die völlige Vernichtung unserer Familie, so gut wie erreicht hat. Ein Detail jedoch, dass von allen vernachlässigt oder ganz vergessen wurde, fiel mir kürzlich auf. Kurz vor jedem Verschwinden eines Familienmitglieds legte immer ein anderer in der Familie ein merkwürdiges Benehmen zutage. Er oder sie war ständig geistig abwesend, wirkte leer und krank, sprach nicht mehr mit den anderen. Ich habe lange darüber nachgedacht und die Zusammenhänge gründlichst beleuchtet, bis ich dem Fluch endlich auf die Schliche gekommen bin: Er baut sich daraus auf, dass in jede Generation ein Opfer und ein Vollstrecker geboren wird. Wenn die Zeit gekommen ist, verliert der Vollstrecker die Kontrolle über sich und verfällt dem Einfluss des Fluches. Er wartet den richtigen Zeitpunkt ab und lässt das Opfer dann für immer verschwinden. Hat er seine Aufgabe erfüllt, kehrt er wieder ins normale Leben zurück und kann sich an nichts erinnern. Dies ist nur eine Theorie, meiner Ansicht nach aber die einzige, die wirklich zutreffen könnte. Alles, was mir bis jetzt ein Rätsel geblieben ist, ist die Frage, wie der Vollstrecker sein Opfer aus dem Weg räumt. Die Opfer verschwanden allesamt innerhalb des Hauses - was eigentlich unmöglich ist, da es in diesem Haus meines Wissens nach keine versteckten Räume oder dergleichen gibt, wo man einen Menschen loswerden könnte..." Ivy schlug das Buch knallend zu. Der Text wurde zwar noch einige Seiten lang fortgesetzt, aber der Naturmagierin reichte es jetzt. Sie schüttelte fassungslos den Kopf. "Wie schrecklich, DBO... die ganze Familie über Jahrhunderte hinweg verflucht... was für ein grausames Schicksal..." Sie musste sich zusammennehmen, um nicht in Tränen auszubrechen und schniefte verzweifelt. DBO starrte schweigend in die Finsternis. Part 20: Horror in der Nazo-Villa "Tetsuno... lass uns umkehren, dieser Tunnel nimmt überhaupt kein Ende! Wahrscheinlich suchen die anderen schon nach uns; nicht, dass sie auch noch hier unten landen..." Der Feuermagier jedoch schüttelte energisch den Kopf und ging weiter. "Ich will endlich wissen, was hier unten abgeht. Wäre hier nicht noch irgend etwas Geheimes, dann hätte ich meinen Kumpel damals nicht verloren. Kannst gern alleine umdrehen, Ashi-chan, aber ich zieh das hier jetzt durch." Er war gerade fertig mit seiner Rede, als er plötzlich fast gegen etwas geknallt wäre - gegen eine Wand, die gerade wie aus dem Nichts vor ihm aufgetaucht war. Einen Moment brauchte Tetsuno, um zu verstehen, dann stellte er fest: "Das ist das Ende. Hier geht's nicht mehr weiter." Ashi trat neben ihn und starrte die Wand an. Sie waren tatsächlich am Ende des Gangs angekommen. "Aber das ergibt doch keinen Sinn", murmelte Ashi, "wie konnte dein Freund verschwinden, wenn hier doch nichts weiter ist...?" Tetsuno schüttelte den Kopf. "Ich versteh es auch nicht. Er..." Überrascht brach er ab und fixierte einen Punkt auf Augenhöhe, der direkt vor ihm an der Wand lag. "Hey, sieh dir das mal an! Das sieht ja aus wie... ein Schalter...?" Wie aus einem Reflex heraus drückte er auf den hervorstehenden Felskeil in der Wand - und noch bevor er überhaupt begriff, was er da gerade getan hatte, klappte die nur scheinbar feste Felswand wie Papier nach vorne weg und er stürzte nach vorne. Wer allerdings sofort kapierte, was da eben geschah, war Ashi. In letzter Sekunde packte sie Tetsuno an der Schulter und riss ihn zurück - wodurch sie selbst das Gleichgewicht verlor, stolperte, schwankte... und in den schwarzen Abgrund fiel, den die trickreiche Wand soeben freigegeben hatte. Ashi schrie auf, als sie einen steinernen Abhang hinunter rutschte und sich dabei immer wieder überschlug; sie wollte nicht mehr, es sollte aufhören, aufhören, sie hörte Tetsuno verzweifelt ihren Namen brüllen - dann war es zu Ende und die Windmagierin landete mit einem Knacken und Krachen irgendwo in der Finsternis. Eine ganze Weile lang sprach keiner ein Wort, dann schlug sich DBO plötzlich vor die Stirn. "Das ist es, Ivy... jetzt kapier ich das endlich!" Ivy sah ihn im Schein des Feuerzeuges, das inzwischen verdammt heiß geworden war und ihr fast die Finger verkohlte, an und fragte verständnislos: "Was kapierst du?" Der Wassermagier fuhr herum, deutete auf das Buch und blickte Ivy aufgeregt an. "Der Fluch! Das Opfer! Ich weiß, wie es der Vollstrecker verschwinden lassen konnte!" Er schüttelte grundlos den Kopf und sagte dann: "Im Keller. All diese Opfer müssen irgendwie in den Keller gesperrt worden sein! Der Vollstrecker wusste nichts davon, dass dieser Raum im Haus existierte, bis zu dem Tag, an dem der Fluch von ihm Besitz ergriffen hat. Dann besaß er plötzlich dieses Wissen und konnte das Opfer in einem unbeobachteten Moment dort verschwinden lassen. Keiner hat es je wieder gefunden, weil ja niemand auf die Idee kam, dass ein Keller existieren könnte!" Während Ivys Augen immer größer wurden, spann DBO den Faden weiter: "Deswegen haben wir auch unseren Kumpel nie mehr gefunden, weil er so dumm war, in den Keller zu hüpfen und..." "Halt, warte mal, DBO", unterbrach ihn Ivy, "wie seid ihr denn auf die Idee gekommen, nach einem Keller zu suchen?" "Das war Zufall", erklärte DBO ungeduldig, "wir haben das Wohnzimmer im Erdgeschoss durchstöbert und sind dabei irgendwann unter einem riesigen Schrank auf eine Falltür gestoßen - war doch klar, dass einer von uns den Helden spielen musste und..." "Aber wenn ihr eure Eltern im Keller nach ihm suchen gelassen habt, hätten sie ihn doch finden müssen, oder nicht?", warf Ivy verwirrt ein. DBO wollte etwas sagen, machte den Mund dann allerdings sehr schnell wieder zu. Er zog die Augenbrauen zusammen und dachte nach. "Stimmt ja... das ist allerdings komisch. Warum ist er nicht mehr aufgetaucht?" Ivy kam plötzlich ein furchtbarer Gedanke und sie packte den Wassermagier am Arm. "DBO", sagte sie hastig, "habt ihr damals die Falltür wieder zugemacht, nachdem ihr euren Freund nicht mehr finden konntet?" DBO schüttelte den Kopf. "Nö. Wieso denn, wenn er es irgendwie geschafft hätte, alleine wieder rauszufinden, dann..." Ivy sprang auf, ließ das Feuerzeug verlöschen und zog ihn mit sich in Richtung Tür. "Hey, langsam, wo willst du denn so schnell hin?", protestierte DBO. "Ins Wohnzimmer", erklärte Ivy atemlos, "wir müssen es finden, DBO... bevor Ashi-chan und Tetsuno es finden." "ASHI-CHAN!!! VERDAMMT, ANTWORTE MIR! SAG WAS! IRGENDWAS!!!" Ein grausamer Schmerz hatte sich in Ashis Brust eingestellt und sie rang verzweifelt nach Atem. Alles um sie herum war schwarz. Sie konnte nichts erkennen. Der Boden unter ihr war steinhart und ihr linker Arm schien inmitten von Tausend kleinen Splittern zu liegen. Zuerst hatte Ashi Angst, dass er gebrochen war, doch sie konnte ihn bewegen und atmete tief durch. Für einen Moment ignorierte sie den Schmerz und rief so laut sie konnte: "Alles okay, Tetsuno, mir geht's gut!" Von weit oben ertönte ein erleichtertes Ächzen. Dann schrie Tetsuno: "Wo bist du da unten gelandet, kannst du irgendwas sehen?" "Nein, ist alles dunkel hier", antwortete Ashi. Sie rappelte sich ein Stück weit auf und drehte sich um. Dann blickte sie nach oben und erblickte den langen Abhang, den sie hinunter gefallen war - und an dessen oberen Ende Tetsuno kniete. "Komm schon, versuch wieder hochzuklettern!", forderte sie der Feuermagier auf. Ashi schnitt eine Grimasse, als sie sich vollends aufrichtete, und machte sich daran, den Hang wieder hinaufzuklettern. Beim ersten Versuch rutschte sie ab. Beim zweiten kam sie einen Schritt weiter - und rutschte wieder ab. Der dritte Versuch, bei dem sie sich an den Felsbrocken festhalten wollte, die an den Seiten lagen, endete damit, dass sie einen der Felsen aus seiner Halterung brach und mitsamt dem Brocken wieder zurückfiel. Der Stein knallte auf ihr rechtes Schienbein und Ashi ließ einen Schmerzensschrei los. "Ashi-chan!! Was ist passiert??" "Ich komm hier nicht mehr raus", rief Ashi und die Tränen traten ihr in die Augen, "der Abhang ist viel zu steil, Tetsuno, das schaff ich nie..." Für einen Augenblick herrschte Stille im Keller. Dann ertönte Tetsunos Stimme wieder. Er packte so viel Zuversicht hinein, wie er nur irgendwie konnte. "Cool bleiben, Ashi-chan. Ich schick dir eine Flamme runter, damit du nicht im Dunkeln sitzen musst - und dann lauf ich zur Falltür zurück und ruf um Hilfe. Einverstanden?" Ashi kämpfte mit den Tränen. "Ja..." Am oberen Ende des Abhangs flammte ein zweites Licht auf und schwebte im nächsten Moment durch die Finsternis zu Ashi hinunter. Als sie die Wind-Asahoshi erreicht hatte, brachte sie ein wenig mehr Licht in die Angelegenheit - und Ashi erkannte endlich, wo sie hier gelandet war. Sie saß in einer kreisrunden steinernen Höhle fest, in der mehr als zwei Dutzend menschliche Skelette saßen, lagen oder an die Wand gelehnt waren. Den Schädel des einen hatte sie bei ihrer Landung in der Höhle zerschmettert; es waren die Knochenbruchstücke gewesen, die unter ihrem Arm gekracht hatten. Tetsuno hörte ein durchdringendes, panisches Kreischen aus der Höhle und kippte fast nach vorne vor Schreck. "ASHI-CHAN!!!" Keine Reaktion. Vollkommene Stille antwortete dem Feuermagier und trieb ihn beinahe in den Wahnsinn. "VERDAMMT, WAS IST BEI DIR DA UNTEN LOS???" Er verrenkte sich fast den Hals, um das schwache Licht der Flamme zu erkennen, die er zu Ashi hinunter geschickt hatte. Als er es endlich gefunden hatte, sah er im Schein des Feuers die Windmagierin kauern - das Gesicht in den Händen vergraben, am ganzen Leib zitternd und stumm vor Angst... so lange, bis sie ein Schluchzen nicht mehr unterdrücken konnte und anfing vor Angst zu weinen. Tetsuno raufte sich die Haare. "Bist du da unten sicher, Ashi-chan??", brüllte er in die Höhle. Mit letzter Kraft brachte Ashi ein zittriges "Ja" zustande. Tetsuno nickte. "Gut. Halt durch und bleib bloß, wo du bist. Ich bin sofort wieder zurück." Es kostete den Feuermagier mehr Nerven, als er besaß, um Ashi jetzt alleine zu lassen - aber er hatte keine andere Wahl. Wenn er sie retten wollte, musste er Hilfe holen. "Da vorne! Das muss es sein, ich glaube, ich erinnere mich wieder daran...!" DBO hastete mit Ivy im Schlepptau um die nächste Ecke und hielt vor einer großen Tür abrupt an. Der Wassermagier keuchte entsetzt. "Scheiße, die ist ja offen!! Das bedeutet, dass hier schon jemand durchgelaufen ist..." "Hey, hey, bleib ganz ruhig!", versuchte Ivy ihn zu beruhigen und nahm ihn bei der Hand, "Kann doch auch sein, dass die Tür hier schon aufsteht, seit ihr damals zum letzten Mal in der Nazo-Villa wart, oder nicht?" DBO brauchte eine Weile, um sich wieder zu fassen, dann nickte er nervös und trat durch die Tür. Das wenige Licht, das den Raum durch die kleinen Fenster beleuchtete, bestätigte DBOs Vermutung. "Das ist es. Wir sind im Wohnzimmer. Pass ab jetzt bloß auf, wo du hintrittst..." Eilig schnippte er sein Feuerzeug wieder an und hielt es vor sich, während er den Raum auf- und abging. Schließlich hielt er stolpernd inne und zog Ivy einen Schritt zurück. Mit finsterer Miene starrte er auf den Boden, wo sich jetzt ein quadratisches Loch vor ihnen auftat und in die schwarze Tiefe führte. "Bingo", murmelte DBO. Ivy beugte sich zögernd nach vorne und blickte in die Finsternis hinab. "Wie... wie tief ist das Loch? Wie weit würde man fallen, wenn..." "So um die drei Meter, grob geschätzt." Ivy schluckte. "Das... hätten sie doch bestimmt überstanden, wenn sie wirklich da runter..." "HEY!!!", brüllte eine aufgekratzte Stimme so plötzlich aus der Tiefe, dass Ivy einen spitzen Schrei losließ und einen Satz nach hinten machte, "IVY, MIZU, BACARDI, RYUME, IRGENDWER, HÖRT IHR MICH????" DBO beugte sich nach vorne und lauschte. Eiliges Fußstapfen näherte sich von unten, es musste einfach aus dem Kellergang kommen. Und wenn er seinen Ohren trauen konnte, dann war das eben Tetsuno gewesen... "KASAI?? BIST DU DAS DA UNTEN?", schrie DBO zurück. Als Antwort erklang ein Seufzer der Erleichterung. Die Schritte verstummten und in der Dunkelheit des Kellerlochs erschien eine kleine Flamme, die Tetsunos Gesicht beleuchtete. "Mizu, dem Himmel sei Dank... ehrlich, ich hab mich noch nie so gefreut, dich zu sehen." DBO verzog das Gesicht. "Hör bloß auf mit der Sülzerei, ist ja widerlich. Was gibt's, kann's sein, dass du da unten Hilfe brauchst...?" "Frag nicht so blöd", fauchte Tetsuno zurück und sein Blick sprühte vier Meter weit nach oben Funken, "Ich brauch hier unten sofort Ivy! Weißt du, wo sie steckt? Sie war doch mit dir unterwegs, oder nicht...?" "Ich bin hier, Tetsuno!", antwortete die Naturmagierin und beugte sich ebenfalls über das Loch, "Warum gerade ich?" "Erklär ich dir später", ungeduldig winkte ihr Tetsuno, "komm schon, spring runter. Ich fang dich auch. Ashi-chan hat mächtig Probleme; du bist die Einzige, die ihr da raushelfen kann..." Als die Begriffe Ashi-chan und Probleme fielen, gab es für Ivy bereits kein Halten mehr. Ohne zu zögern sprang die Natur-Asahoshi in das schwarze Loch und landete in Tetsunos Armen. "Und was ist mit mir? Soll ich hier bloß dumm rumstehen??", beschwerte sich DBO von oben. "Erfasst", gab Tetsuno zurück, "erstens kannst du das am besten, zweitens muss jemand aufpassen, dass Bacardi und Ryu nicht auch noch auf diese bescheuerten Falltürtrick reinfallen, und drittens brauchen wir dich vielleicht, um wieder hier rauszukommen. Keine Beschwerden mehr, wir haben keine Zeit zu verlieren." Mit diesen Worten ließ er den Wassermagier oben an der Falltür stehen und rannte mit Ivy den Gang entlang. Mit nassen Wangen und am ganzen Körper zitternd saß Ashi in der kleinen Höhle, die Beine angezogen und die Augen vor Schreck geweitet. Sie hatte den Schock immer noch nicht überstanden, obwohl Tetsuno jetzt schon fast zehn Minuten lang weg war. Sie konnte es einfach nicht ertragen, hier zu sein, in diesem Raum, wo so viele Menschen gestorben waren und sie jetzt aus leeren, schwarzen Augenhöhlen heraus anstarrten. Ashi fragte sich, ob wohl auch DBOs und Tetsunos Kumpel irgendwo hier unten saß. Vielleicht war es sogar sein Schädel gewesen, den sie vorhin bei ihrer Landung zerquetscht hatte... Ashi überlegte, wie diese Leute wohl ihr Leben verloren hatten. Verdurstet? Verhungert? Oder doch vor Angst gestorben? Für sie alle war die unechte Kellerwand, der Abhang und dieses Verließ hier zum Verhängnis geworden. Ein Gefängnis ohne Aussicht auf Begnadigung oder Entkommen. Ob diese Menschen wohl gemerkt hatten, dass sie nicht die ersten waren, die hier umgekommen waren? Wenn es keine Feuerzauberer gewesen waren, konnten sie sich wohl auch kein Licht machen. Aber mit der Zeit hatten sie es bestimmt registriert. Allein, wenn sie sich durch die Höhle getastet und dann irgendwann auf die zerfetzten und stinkenden Kleidungsreste gefasst hatten, mussten sie es bemerkt haben. Was war das wohl für ein Gefühl, wenn man kein Licht hatte und allein durch Tasten erahnen musste, wie viele Skelette bereits in dieser Höhle saßen und ihren neuen Kameraden mit schauriger Stille und unbewegter Haltung willkommen hießen? Den neuen Leidensgenossen, mit dem sie ab jetzt ihr kaltes Grab teilen würden... Ashis Gedanken wurden immer schwärzer. Sie schaffte es nicht mehr, an etwas Positives zu denken. Die Atmosphäre bedrängte sie so sehr, dass sie langsam gegen Wahnvorstellungen kämpfen musste. Bei jedem kleinen Stein, der von der Wand bröckelte und einen Laut verursachte, fuhr Ashi hoch und starrte der Reihe nach die Skelette an. Die Tatsache, dass diese Leute schon lange tot waren und ihr nichts mehr tun konnten - und das wohl auch gar nicht wollen würden - wurde allmählich von Ashis Fantasie verdrängt. So kam es auch, dass sie zuerst, als sie von oben her ihren Namen hörte, zusammenschrak und zu schreien begann. Jetzt war ihre Zeit gekommen, jetzt kam der Tod, um sie zu den anderen hier zu holen; er rief schon ihren Namen, gleich würde er vor ihr auftauchen und das Leben aus ihr heraussaugen, ein hungriger Vampir, der ein neues Opfer gefunden hatte... "ASHI-CHAN!!! VERDAMMT, JETZT ANTWORTE MIR ENDLICH!! GEHT'S DIR GUT??" Mit einem Schlag fand Ashi wieder in die Realität zurück und erkannte Tetsunos Stimme. "Tetsuno!", rief sie zitternd, "Ich... ich... ich will hier endlich raus...!!" "Keine Sorge, Ashi-chan, ich hol dich gleich zu uns rauf!", schrie Ivy zu ihr hinunter. Tetsuno nickte der Naturmagierin zu und diese förderte im Schein von Tetsunos Flamme eine Karte zutage. "Primeval Tendrils!" Der Boden erzitterte und einige gewaltige Pflanzenranken brachen aus dem Felsboden hervor. Ivy zeigte mit dem Finger in die Höhle und die Ranken folgten ihrem Befehl. Sie schlängelten sich den Abhang bis zu Ashi hinunter und verharrten dort. "Halt dich an den Pflanzen fest, sie werden dir nichts tun!", lautete Ivys Anweisung von oben. Ashi nahm ihre letzten Kraftreserven zusammen, riss sich von dem grausamen Anblick der Skelette los und griff nach einer der Ranken. Sobald sie diese berührt hatte, reagierten auch die anderen Ranken und wanden sich schützend um ihren zitternden Körper. Dann hoben sie Ashi in die Luft und krochen wieder den Abhang hinauf, die Windmagierin mit sich ziehend. Oben angekommen nahm Ivy sie aus den Pflanzen und umarmte Ashi. "Es ist vorbei, Ashi-chan, alles wird gut... jetzt beruhige dich." Sie seufzte erleichtert. "Bin ich froh, dass du wieder bei uns bist. Ich hatte echt Angst um dich..." "Danke, Ivy-chan... danke, danke, danke..." schniefte Ashi und hielt sich kraftlos an Ivy fest, die sich zu Tetsuno umdrehte. Sie ließ Ashi los und der Feuermagier nahm die Wind-Asahoshi ohne zu zögern ebenfalls in die Arme. Er drückte Ashi so fest an sich, als ob er sie nie wieder loslassen wollte. "Tet...Tetsuno...?", murmelte Ashi verwirrt. "Mach das nie wieder", flüsterte Tetsuno und kämpfte mit den Tränen, "das nächste Mal lass ich es nicht so weit kommen. Ich hätte da drunten sitzen müssen, nicht du. Du darfst mich nie mehr so erschrecken, Ashi-chan... ich wär fast gestorben vor Sorge..." Ivy stand lächelnd neben den beiden und nickte Tetsuno zu. "Kommt. Lasst uns von hier verschwinden. Wir sind schon viel zu lange an diesem Ort..." DBO trommelte mit seinem Fuß auf dem Teppichboden herum. Mit verschränkten Armen und einem ungeduldigen Ausdruck im Gesicht stand er neben der Falltür und wartete. "Cool bleiben, D. Der Teppich kann auch nichts dafür. Außerdem sind sie bestimmt jeden Moment zurück." "Dein Wort in Gottes Ohr", knurrte DBO und starrte in die Tiefe. Bacardi und Ryume hatten sich inzwischen zu ihm gesellt, da sie mit ihrer Besichtigung des ersten Stocks fertig waren und nun nach den anderen gesucht hatten. DBO hatte ihnen wie ein Wasserfall von den Ereignissen berichtet und war nun wieder in seine Wartehaltung versunken und verstummt. Eine Weile lang standen sie so nebeneinander, dann hob Ryume plötzlich den Kopf. "Sie kommen." Einige Sekunden später hörten es auch die beiden Jungs: Schnelle Schritte unter dem Fußboden, die direkt auf sie zuhielten. DBO sprang wie elektrisiert hoch und kniete sich vor das schwarze Loch. "KASAI??", brüllte er in die Tiefe, "HABT IHR'S GESCHAFFT???" "Schrei mich nicht so an", brummte eine Stimme genau unter ihm, "für heute hab ich genug von dem ewigen Gebrüll." "Geh lieber aus dem Weg da oben; nicht, dass ich dich treffe", fügte Ivys Stimme hinzu. DBO machte sofort ein paar Schritte zurück, Bacardi und Ryume folgten seinem Beispiel. Im nächsten Moment schossen einige Pflanzenranken aus dem Loch heraus und hatten Ashi, Tetsuno und Ivy im Schlepptau. Die drei traten auf den Teppich und die Ranken verschwanden wieder in der Tiefe. "Ashi!" Erleichtert stolperte der Wassermagier auf sie zu und umarmte die Windmagierin. "Dem Himmel sei Dank, du bist wieder da..." "Hey, ihr habt's geschafft", bemerkte Bacardi und grinste Tetsuno und Ivy an, "Gratulation. Wir hatten uns schon echt Sorgen gemacht." Tetsuno patschte Ivy auf die Schulter und hob feixend den Daumen. "Kleinigkeit. Aber wenn ich Poison Ivy nicht gehabt hätte..." Ivy trat ihm auf den Fuß und schmollte. "Jetzt lasst doch alle mal endlich das Poison weg. Ivy, ich heiß einfach nur Ivy, ist das denn so schwer zu verstehen??" "Lass sie wieder los, DBO, sie lebt ja noch", brummte Ryume und tippte dem Wassermagier auf die Schulter, "wir haben oben ein paar nette Schlafgelegenheiten gefunden, die haben fünf einzelne Schlafzimmer..." "Einzeln??" Ivy riss die Augen auf und blickte zweifelnd in die Runde. "Ich glaub nicht, dass auch nur einer von uns Lust hat, nach so einem Erlebnis hier allein in einem Zimmer zu schlafen." Ryume hob eine Augenbraue und zuckte mit den Schultern. "Könnt es euch ja mal angucken. Andernfalls haben die ne echt hübsche Hängematte im Garten. Vielleicht ein bisschen nass und vermutlich auch schon leicht zerrissen, aber..." "Oh, schon in Ordnung, wir kriegen das hin", unterbrach sie Ivy und zog Tetsuno und DBO, der immer noch an Ashi hing, mit sich, "kommt Leute, ich glaube, wir können jetzt alle ne Mütze voll Schlaf gebrauchen." "Immer cool bleiben, Ive", meinte Bacardi grinsend, "kannst dich übrigens glücklich schätzen, Ryu-kun und ich haben die Toilette gefunden. Im ersten Stock oben." "Da hätt ich ewig im Erdgeschoss suchen können", grollte die Naturmagierin. Die Auswahl an freien Zimmern war zwar mehr als groß gewesen, aber irgendwie endete das Ganze dann doch damit, dass die Asahoshi vier Matratzen aus den verschiedenen Betten in ein einziges Zimmer schleppten und dort neben dem großen Himmelbett plazierten. Das Bettzeug folgte und schon bald hatten sich Tetsuno, DBO, Bacardi und Ryume je eine Matratze geschnappt und Ashi und Ivy sich das Himmelbett geteilt. Die Hälfte von ihnen schlief sofort ein, Ashi jedoch lag noch wach und unterhielt sich leise mit Ivy. Sie hatte es geschafft, der Naturmagierin zu erzählen, was sie unten im Keller gesehen hatte. Ivy fand ihre Geschichte einfach nur schrecklich und erklärte Ashi im Gegenzug, was sie mit DBO in der Bibliothek über die Nazos herausgefunden hatte. Das half Ashi zu verstehen und sie beruhigte sich langsam wieder. Im Moment war sie einfach nur glücklich, dass sie gerettet worden war und jetzt wieder hier bei ihren Freunden sein konnte - dort, wo sie sich sicher und wohl fühlte. Bald darauf schlief auch Ivy dann ein und Ashi drehte sich auf die andere Seite. "Ashi-chan?", hörte sie es neben dem Bett flüstern, "Bist du noch wach?" Sie sah über die Bettkante nach unten und erblickte Tetsuno, der ebenfalls noch nicht schlief. Der Feuermagier blickte sie nervös an und meinte leise: "Mir... mir ist aufgefallen, dass ich mich noch gar nicht richtig bedankt habe. Schätze, du hast mir vorhin das Leben gerettet... bei meinem Glück wär ich wahrscheinlich mit dem Kopf voran in die Höhle geknallt und meine Lichter wären ausgegangen, wenn du nicht gewesen wärst..." Ashi lächelte ihn an. "Ist schon okay. Du hast mich schließlich auch zusammen mit Ivy-chan gerettet. Hebt sich also auf." Tetsuno lachte leise. "Schon komisch... irgendwie retten wir uns ständig gegenseitig das Leben, oder?" Ashi zuckte grinsend mit den Schultern. "Kann ich auch nichts dafür. Ergibt sich eben immer so." Der Feuermagier hob die Augenbrauen. "UND", fügte er betont hinzu, "das war heut das erste Mal, dass du dich nicht gegen die ganzen Umarmungen gesträubt hast, als wir dich rausgeholt haben. Ich muss sagen, ich bin positiv überrascht von dir. Hast dich echt gebessert." Ashi blickte ihn spöttisch an. "Danke für das Kompliment. Ich hab mich aber auch gewundert, weil es heute das erste Mal war, dass DU so was bei mir versucht hast. Hast du Gott gefunden oder das achte Weltwunder?" Tetsuno wurde rot. "Ach, schlaf endlich", fauchte er zurück und drehte sich auf die Seite. Ashi grinste und betrachtete die kalte Schulter des Feuermagiers. "Gute Nacht, du Charmebolzen. Ich hab dich auch lieb." Damit drehte sie sich ebenfalls um. Keine halbe Minute später jedoch kam das Echo. "War das eben ernst gemeint?" Ashi lächelte ihr Kissen an. "Klar doch. Hast du mich schon mal lügen sehen?" "Öfter als du denkst. Du hast einige Male nicht ganz die Wahrheit gesagt, wenn ich mich mit dir unterhalten hab. Glaub nicht, dass ich es nicht bemerkt hätte." "Okay, vielleicht hast du Recht. Es tut mir leid." "Bereust du's?" "Und wie. Ich winde mich in Selbstmitleid vor dir, hadere mit dem Schicksal und frage mich, wie ich bloß so einen großen Fehler begehen konnte." "Ha, ha. Ist wohl echt schon zu spät für dich heute. Kleine Mädchen wie du sollten schlafen." "Kleine Jungs wie du schon lange." "Ich bin fünf Zentimeter größer als du, Gartenzwerg." "Lass die Sprüche und schlaf." "Aye, Madam, ich bin ja bloß der untergeordnete Fremdenführer." Wieder kehrte Stille ein. Eine Zeit lang schien es so, als würden die beiden schlafen, dann erhob Tetsuno doch noch einmal das Wort. "Du bist viel offener als früher, Ashi-chan. Hängt das... mit dem verhexten Wald zusammen?" "Erraten. Nenn es... so was wie ne Erleuchtung. Ich hab meine Einstellung geändert." "Hab ich gemerkt. Ich bin froh darüber." "Ich auch." "Gute Nacht." "Träum schön." Dann wurde es wirklich ruhig. Sowohl Ashi als auch Tetsuno schlossen die Augen und fielen bald darauf ins Reich der Träume. Part 21: Das Erbe Es war schwer zu sagen, durch wessen Magenknurren sie am nächsten Morgen aufgewacht waren. Alle sechs Asahoshi hatten einen so mächtigen Kohldampf, dass die dadurch verursachten Geräusche unüberhörbar waren. Sie krabbelten ziemlich schnell aus den Betten und stellten nach einem Blick aus dem Fenster fest, dass das Unwetter endlich aufgehört hatte. Erleichtert, die Villa wieder verlassen zu können, gingen sie hinaus auf die Straße und marschierten im Eiltempo weiter - immer noch auf der Suche nach etwas zu Essen. Fast eine ganze Stunde lang mussten sie es noch aushalten, dann erblickten sie einen uralten Tante-Emma-Laden und stürmten wie ein hungriges Wolfsrudel darauf zu. Was es in diesem kleinen Geschäft zu kaufen gab, war zwar nicht unbedingt viel, aber das störte die Asahoshi nicht. Sie kauften den halben Laden leer (was bei dessen Größe nicht besonders schwer war) und stopften so viel Verpflegung wie nur irgendwie möglich in ihre Rucksäcke und Taschen. Noch einmal kurz vor dem Verhungern in einem unterentwickelten Viertel rumrennen, nein, darauf hatte wirklich keiner von ihnen Lust. Zwei weitere Tage gingen ins Land und die kleine Gruppe bewegte sich auf das nördliche Ende der Hazy Lanes zu. Die meisten schienen froh darüber, dieses Viertel endlich hinter sich lassen zu können, das fiel besonders bei Tetsuno auf. Die anderen mussten ihn kurz vor Einbruch der Nacht minutenlang davon überzeugen, dass sie jetzt ihr Lager aufschlagen sollten, bevor es völlig dunkel wurde. Schließlich willigte er ein und sie ließen sich im Hinterhof einer der letzten alten Villen nieder. An diesem Abend herrschte lange Stille am Lagerfeuer. Niemand sprach; offenbar wusste keiner, worüber sie sich unterhalten sollten. Jeder war mit sich selbst und seinen Gedanken beschäftigt und schien leicht abwesend. Bacardi und Ryume hatten sich einer Packung Melas Lights gewidmet und betrachteten schweigend den Nachthimmel. Tetsuno und DBO saßen vor den Flammen, der Feuermagier völlig in Gedanken, der Wassermagier unruhig an seinen Skates herumspielend. Ivy klimperte ein paar leise Akkorde auf ihrer Gitarre, dachte aber an ganz andere Dinge. Ashi strich immer wieder nachdenklich über den silbernen Armreif, den sie von Milendra bekommen hatte. Schließlich war es DBO, der die Stille durchbrach. Mit einem Ruck setzte er sich auf und erklärte: "Ich finde das beunruhigend." Ivy hörte auf zu spielen, Bacardi fiel vor Schreck über das plötzliche Geräusch seine Zigarette aus dem Mundwinkel und alle starrten DBO an. Der wurde rot und verteidigte sich: "Ich mein... kommt es euch nicht auch seltsam vor? Songai ist jetzt schon seit was weiß ich wie vielen Tagen an der Macht und hätte alles Mögliche in die Wege leiten können, um die Asahoshi zu verfolgen. Und was ist bisher passiert? So gut wie gar nichts. Dabei weiß doch jeder, dass gerade in den Hazy Lanes ein ganzer Haufen von unserem Clan haust. Wir kurven jetzt schon seit vier Tagen hier rum und alles, was uns bisher Schreckliches begegnet ist, waren drei halbstarke Yorukage, ein mordsmäßiges Gewitter und eine alte Spukvilla. Findet ihr nicht auch irgendwie... dass das zu wenig ist?" Er zuckte mit den Schultern und sah hilflos in die Runde. "Du solltest froh sein, dass wir so wenig Probleme haben", ließ Ryume düster verlauten, "bist du so scharf drauf, umgenietet zu werden, bevor wir den Norden erreicht haben, oder was?" DBO wollte zu einer Antwort ansetzen, doch Tetsuno kam ihm zuvor. "Lassen wir das Thema. Bringt doch eh nichts, sich darüber zu streiten. Was Ryu sagt, stimmt schon; wir sollten uns glücklich schätzen, solange Songai und seine Handlanger uns noch nicht entdeckt haben. Ich bin mir sicher, dass er uns irgendwann finden wird - allein schon wegen Daiya und Ryo, die können sich doch nichts Schöneres vorstellen, als uns mal wieder eins auf den Deckel zu geben - aber bis dahin wär's wohl besser, wenn wir hübsch die Klappe halten und so unauffällig wie möglich sind." DBO erwiderte nichts; er sah ein, dass Tetsuno Recht hatte. "Trotzdem", brummte Bacardi, "stimmt irgendwie, es ist... beunruhigend." Für eine Weile kehrte wieder Stille am Feuer ein, dann horchte Ryume plötzlich auf. "Was ist das?", sagte sie mehr zu sich selbst als zu den anderen, die jetzt auch die Lauscher spitzten. "Was meinst du?", hakte Ivy nach. Die Drachenmagierin wandte den Kopf herum und sah nach Westen. "Da drüben... geschieht irgend etwas." Alle Blicke folgten dem ihren. Es war inzwischen völlig dunkel geworden und im ersten Moment erkannten sie alle nur den schwarzen Nachthimmel und die geisterhaften Silhouetten einiger Villen am Horizont. Dann aber bekam Tetsuno eine Gänsehaut und er zitterte. Ashi, die direkt neben ihm saß, warf ihm einen nervösen Blick zu. "Was ist denn, was hast du?" "Feuer", flüsterte Tetsuno tonlos, und starrte auf einen Punkt im Westen, den nur er sehen konnte. Dann schüttelte er fassungslos den Kopf. "Nein. Nein, VERDAMMT, NEIN, DAS DARF NICHT PASSIEREN!!!" Mit einem Satz sprang der Feuermagier auf die Beine und rannte davon. "Tetsuno!!", schrie Ashi, rappelte sich ebenfalls auf und stolperte ihm hinterher, "Warte auf mich, was ist denn nur los??" Die anderen tauschten kurz ein paar erschrockene Blicke und hasteten den beiden dann nach. Ashi keuchte, sie hatte Tetsuno noch nie so schnell laufen gesehen. Er blieb nicht stehen, drehte sich nicht nach ihr um, er schien noch nicht einmal bemerkt zu haben, dass sie ihm überhaupt folgte. Wo, zum Geier, wollte er nur hin? Ashi verstand es nicht. Sie bog um eine Häuserecke und hatte große Mühe, einigermaßen mit Tetsuno Schritt zu halten. Er hatte irgendwas von Feuer gemurmelt und Ashi hatte genau gesehen, wie das pure Entsetzen in seinen sonst so kühlen, blauen Augen aufgeflammt war. Er wusste etwas, was sie nicht wusste. Hatte etwas gesehen, was sie nicht sehen konnte. Doch eines wusste Ashi ganz genau: Gerade musste etwas Furchtbares geschehen. Sie holte die letzten Kraftreserven aus sich heraus und folgte Tetsuno einen breite Straße entlang. Als Ashi den Kopf hob und zum Himmel über den Häusern vor sich blickte, bemerkte sie einen hellen Schein ein Stück weiter hinter den nächsten Dächern. Ein unregelmäßiges Licht flackerte dort auf und ab. Ashi lief es eiskalt den Rücken hinunter und ihr wurde sofort klar, dass dies das Feuer sein musste, von dem Tetsuno gesprochen hatte. Doch was, um alles in der Welt, brannte dort vorne nur?? Einige Minuten später hielt Ashi total erschöpft und nach Atem ringend vor einem schmiedeeisernen Tor an, das an den hohen Metallzaun des Vorgartens eines alten Anwesens angebracht war und weit offen stand. Die Augen der Windmagierin wurden größer und größer. Jetzt hatte sie das Feuer gefunden. Die uralte Villa, riesig und herrschaftlich, stand lichterloh in Flammen. Das Feuer schlug bereits aus den Fenstern des Erdgeschosses und das düstere Mauerwerk wurde von innen her von der roten Glut aufgefressen. Ashi hörte Glas klirren und daraufhin boshaftes Freudengelächter. Sie riss den Kopf herum und entdeckte zwei schattenhafte Gestalten, die gerade dabei waren, eine Fackel nach der anderen durch die Fenster ins Haus zu werfen und sichtlich ihren Spaß dabei hatten. Zorn kochte in der Wind-Asahoshi hoch. Sie wollte gerade durch den Vorgarten auf diese beiden Spinner zurennen und ihnen mal gehörig die Meinung sagen - als ihr Blick an dem kleinen Gartenweg hängen blieb, der zum Eingang des Anwesens führte. Dort stand nur wenige Meter vor ihr Tetsuno. Seine Schultern hingen nach unten und er zitterte immer noch am ganzen Leib. Hastig rannte Ashi auf ihn zu und fasste ihn am Arm. "Tetsuno", sagte sie nervös, "geht... geht es dir gut?" Was für eine dämliche Frage. Ashi gab sich die Antwort selbst, indem sie sein Gesicht betrachtete. Ungläubiges Entsetzen lag in seinem Blick, seine Augen flackerten schlimmer als die Flammen, die an den Mauern des Hauses leckten, sein Mund war zu einem stummen Schrei der Verzweiflung geöffnet und er hatte sich seit einer Weile nicht mehr bewegt. Doch jetzt regte sich der Feuermagier plötzlich. Mit einem Ruck machte er sich von Ashis Griff los und spurtete direkt auf die Eingangstür der brennenden Villa zu. "TETSUNO!!" Sie wäre ihm sofort hinterher gelaufen, wenn sie nicht auf einmal von hinten zwei starke Arme gepackt und festgehalten hätten. "Lass das, Ashi, bleib hier!", zischte DBO ihr ins Ohr. "NEIN!!", schrie Ashi verzweifelt und wand sich im Griff des Wassermagiers, während sie fassungslos dabei zusehen musste, wie Tetsuno die Eingangstür erreichte, sie aufriss und in dem brennenden Anwesen verschwand. "Oh mein Gott!! Er wird sich umbringen!!!", brüllte sie und heiße Tränen stiegen ihr in die Augen, an denen gewiss nicht nur der schwarze Rauch schuld war, der sich nun langsam um sie herum ausbreitete. DBO war nicht weniger entsetzt. Er stand mit Ivy, Ryume und Bacardi hinter Ashi und starrte ungläubig in die Flammen. "Kasai", krächzte der Wassermagier fiebrig, "komm sofort wieder raus da... so darf es nicht enden...!!" Im nächsten Moment explodierte der Dachstuhl des Hauses und unter ohrenbetäubendem Lärm flogen in alle Richtungen brennende Dachbalken davon. Wie eine grelle, todbringende Fontäne schossen die Flammen zum Himmel und loderten noch heller. Schwarze Asche regnete herab. Ivy gab neben Bacardi ein Stöhnen von sich und war kurz davor, das Bewusstsein zu verlieren. Der Gewittermagier fing sie auf und hielt sie fest. "Halt durch", murmelte er, doch es schien eher an Tetsuno als an Ivy gerichtet, "halt durch, verdammt..." "Wer sind diese Irren?", erkundigte sich Ryume mit einem Blick auf die beiden Schatten, die immer noch mit von Schadenfreude überzogenen Gesichtern um das brennende Haus herum sprangen und immer wieder Feuer nachlegten. DBO neben ihr lachte tonlos. "Ich kann sie nicht erkennen, aber ich verwette meine Skates drauf, dass wir die Zwei besser kennen, als uns lieb ist. Das sind Daiya und Ryo." Ashis Gesicht war inzwischen tränenüberströmt. Sie fixierte immer noch starr die brennende Eingangstür, in der Hoffnung, Tetsuno würde jeden Augenblick heil wieder dort heraustreten. Doch er kam nicht. "Das glaub ich nicht", hauchte sie kraftlos und fiel auf die Knie, wobei sie DBO mit sich nach unten zog, "er... er darf nicht sterben...!!" Ryumes harter Blick wanderte das brennende Haus entlang. "Keine Panik. Noch lebt er. Seine Aura ist immer noch zu spüren." Bacardi sah sie entgeistert an. "Wie bitte?? Bei dem Haufen Flammen spürst du allen Ernstes noch die Aura eines Feuermagiers?" Er schüttelte bitter lachend den Kopf. "Vergiss es. Eine Aura, die du hier noch fühlen kannst, müsste stärker sein als all das Feuer im Haus zusammen -" Er hielt inne, als er Ryumes ausdruckslosen Blick sah. "Du hast schon verstanden", erklärte die Drachenmagierin und wandte sich wieder der Eingangstür zu, "sie IST stärker." Die Tür flog auf und das ganze Haus schien zu erzittern. Nicht nur die fünf übrigen Asahoshi, sondern auch die beiden Brandstifter zuckten erschrocken zusammen. Die Flammen loderten um ihn herum und umspielten ihn wie ein Orkan, als Tetsuno mit gezogenem Schwert aus der Eingangstür nach draußen trat. Seine Miene war härter als Eisen und sein Blick heftete sich an die beiden Yorukage-Geschwister, die ihn nun ungläubig und mit offenem Mund anstarrten. Tetsunos blaue Augen waren kälter als Eis und durchbohrten Daiya und Ryo regelrecht. Auf seiner Haut waren die Spuren des Feuers zu sehen, Brandwunden zogen sich über seinen gesamten Körper - ein Zeichen dafür, dass er die Kontrolle verloren und kurz vor einem Nervenzusammenbruch gewesen war, sodass sein Element sich gegen ihn gewandt hatte. Die Klinge des Feuermagiers klirrte und ging in Flammen auf. Er trabte mit festen Schritten auf Daiya und Ryo zu und sprach dabei nur vier Worte, diese aber so eindringlich und aus tiefster Seele, dass auch die anderen es mitbekamen: "Ich werde euch töten." Daiya kreischte angsterfüllt, als Tetsuno mit seinem Schwert ausholte und es auf sie niedersausen ließ. Die Yorukage wich im allerletzten Moment aus und so mussten nur ein paar Strähnen ihrer roten Locken dran glauben. Hastig suchte sie an ihrem Gürtel nach einer passenden Karte, doch Tetsuno war schneller. Er hatte abermals ausgeholt - und diesmal traf er. Sein Schwert schnitt tief in die Daiyas rechte Schulter. Sie schrie qualvoll auf und ging zu Boden. Ryo warf sich eilig vor seine Schwester und wollte es mit Tetsuno aufnehmen, aber dieser hatte genug. Er bedachte Ryo nur mit einem abfälligen, hasserfüllten Blick und machte einen großen Satz zurück. Blitzschnell zog er eine Zauberkarte und setzte sie ein. Im nächsten Moment glaubten sowohl die sprachlosen fünf Asahoshi als auch die beiden Yorukage, die Welt würde untergehen. Der Himmel färbte sich rasend schnell blutrot und schien auf sie herab zu stürzen - was nicht ganz stimmte. Es waren Flammen, helle, tödliche Flammen, die nun vom roten Himmel auf Daiya und Ryo nieder regneten und von denen jede einzelne traf. Die Schreie der zwei Geschwister gingen in dem ohrenbetäubenden Zischen des Feuers und der Asche, dem dunklen Qualm und dem bebenden Himmel unter. Farben, rot und gelb, tauchten alles in so grelles Licht, dass Ashi und ihre Freunde die Augen schließen mussten. Das Inferno nahm kein Ende. Die Flammen fügten den Yorukage immer größere Verletzungen zu und keiner von den beiden hatte noch die Kraft, sich zu wehren. Ashi hielt sich die Hände vors Gesicht und öffnete mühevoll die Augen. Hitze und Asche wehten ihr entgegen und sie hustete erbärmlich, als sie den Rauch einatmen musste. Verzweifelt versuchte sie durch das Chaos hindurch etwas zu erkennen. Als sie schließlich Tetsuno erblickte, der wie ein Fels in der Brandung mitten im Feuer stand und mit kaltem Blick auf die sich vor Schmerz windenden Yorukage starrte, drehte sich Ashi fast der Magen um. Ohne zu zögern rappelte sie sich auf und stolperte auf den Feuermagier zu. "Tetsuno!!", brüllte sie durch den Lärm des Zaubers, "Tetsuno, hör auf, du wirst sie umbringen!!!" Er antwortete nicht und Ashi dachte nicht daran, dass er doch gerade das vorhatte - Daiya und Ryo zu töten. Plötzlich war ihr alles egal, sämtliche Umstände und die Vergangenheit waren für einen Moment vergessen. Ashi wollte jetzt nur noch eins: Dass es aufhörte. Sie fiel Tetsuno um den Hals und drückte sich an ihn. "Bitte", schluchzte sie und krallte sich in seinem Kampfanzug fest, "Bitte, Tetsuno, hör auf... lass sie leben!!" Der Feuermagier schien sie erst zu bemerken, als ihre tränennassen Wangen seine verschrammte Haut berührten. Mit einem Mal zuckte er und schloss krampfhaft die Augen. Der kalte Ausdruck verschwand von seinem Gesicht und mit einem Schrei krümmte er sich zusammen. Die Zauberkarte fiel ihm aus der Hand. Tetsuno kniete keuchend im versengten Gras, Ashi hing weinend an seiner Schulter. Der Himmel nahm wieder ein dunkles Nachtschwarz an, die Flammen um sie herum verloschen. Ein letzter Ascheregen rieselte auf das grausame Szenario nieder und die Luft hörte auf zu zittern. Eine totale Stille kehrte ein, nur die verbrannten Holzbalken des Hauses knisterten noch leise vor sich hin. Es war vorbei. Ashi sah auf und bemerkte es ebenfalls. Schniefend strich sie sich eine angesengte Strähne aus der Stirn und blickte in Tetsunos Gesicht. Er sah so aus, als würde er unerträgliche Schmerzen leiden und keuchte und zitterte ununterbrochen. "Tetsuno", brachte Ashi kraftlos hervor, "alles in Ordnung?" Tetsunos Augen brannten, er konnte sie nicht öffnen, ohne dass heiße Tränen daraus hervorquollen. Trotzdem zwang er sich zu nicken. "Was... was war denn nur mit dir los?", wollte Ashi verwirrt wissen. Der Feuermagier schüttelte erschöpft den Kopf. "Ich weiß es nicht, Ashi-chan, es... da war irgend eine furchtbare Macht... ich konnte nichts dagegen tun..." Ashis Blick fiel auf die Karte, die neben ihnen im Gras lag. Sie wollte sie gerade aufheben, als DBO, Ivy, Ryume und Bacardi auf sie zugerannt kamen. DBO nickte ihnen zu. "Kommt. Verschwinden wir von hier. Lasst diese zwei Versager da drüben liegen." Er warf Daiya und Ryo, die ohnmächtig im Gras lagen, einen angeekelten Blick zu und half Tetsuno dann gemeinsam mit Bacardi aufzustehen. Ashi rappelte sich ebenfalls auf - nicht, ohne die Karte mitgehen zu lassen, die Tetsuno vergessen hatte. Ivy nahm sie bei der Hand, warf ihr einen dankbaren Blick zu, der von Ashi erwidert wurde, und die beiden folgten den anderen. Einige Zeit später saßen die sechs Asahoshi wieder an ihrem Lagerplatz. Sie alle sahen müde und ausgelaugt aus, das Feuer und die Aufregung hatten ihnen mächtig zugesetzt. Am schlimmsten war jedoch Tetsuno zugerichtet. Seine Brandwunden waren nicht gerade ungefährlich und Ivy setzte ihre Healing Plants ein. So heilten wenigstens die äußeren Verletzungen des Feuermagiers. Die Schnitte in seiner Seele aber würde keine Zauberkarte je wieder schließen können. Lange redete niemand am Lagerfeuer. Der Schock saß bei allen noch zu tief, obwohl nicht alle von ihnen wussten, was eigentlich genau passiert war. Als Ashi es nach einiger Zeit nicht mehr aushielt und endlich eine Erklärung wollte, musste sie feststellen, dass sie von Tetsuno wohl keine Antworten mehr erwarten konnte - der war nämlich vor Erschöpfung bereits eingeschlafen und lag geschafft auf dem Boden. Also wandte sich die Wind-Asahoshi an die anderen und bedachte sie alle mit einem eindringlichen Blick. "Jetzt verratet mir endlich eins: WAS-WAR-HIER-LOS, verdammt??" Betretenes Schweigen, dann seufzte DBO auf und fuhr sich übers Gesicht. "Okay. Ich glaube, ich bin euch ne Erklärung schuldig. Kasai hätte es euch wahrscheinlich lieber selbst erzählt, aber dazu ist er jetzt wohl nicht mehr wirklich fähig." Er warf dem schlafenden Feuermagier einen schwer zu deutenden Blick zu. Dann zog er die Knie an und blickte in die Runde. "Wem von euch sagt der Name Kasai was?" Offenbar allen bis auf Ashi, die unwissend den Kopf schüttelte. DBO lächelte matt. "Dacht ich's mir doch. Allzu unbekannt ist Tetsunos Familie nämlich nicht. Die Kasai sind eine der ältesten Familien in Kama-To. Außerdem eine der reichsten. Man sieht Kasai seine Abstammung an, immerhin ist sein Zeichen verdammt groß..." Ashi sah DBO verständnislos an. "Hä? Wie meinst du das? Was hat das mit seinem Zeichen zu tun?" "Oh, Bildungslücke", stellte der Wassermagier fest und wandte sich Ashi zu, "pass auf, das ist so: Je größer das Zeichen eines Asahoshi oder Yorukage ist, desto höher ist der Stand seiner Familie. Guck dir mal das Zeichen von Ryume an, sie hat glaub das kleinste von uns allen - nicht bös gemeint, Ryume, aber sie kommt folglich aus keiner sonderlich angesehenen Familie." Ryume nickte finster. "Und halt dagegen das Z von Kasai. Ist fast so groß wie die Muskeln, auf denen es drauf ist, selbst." Ashi warf dem schlafenden Tetsuno einen Blick zu, ohne dass es eigentlich nötig gewesen wäre. Ihr war schon früher aufgefallen, dass das schwarze Z auf seinem Oberarm eine beachtliche Größe hatte - doch sie hatte nie darüber nachgedacht, was das bedeuten könnte. "Ist ja auch egal. Jedenfalls hatten die Kasai 0ªCTõþA öþ'ö¿ÿÿÿÿ¨ñþA öþ•f Î"" Ashi gab einen ungläubigen Kehllaut von sich und Ivy griff tröstend nach ihrer Hand. "Ist ja nicht so, dass sich die Kasai nicht gewehrt hätten", meinte DBO bedrückt, "die ganze Familie war im Schwertkampf ausgebildet worden und sie konnten meisterhaft zaubern - aber die Verschwörung war zu groß. Ein paar von den Yorukage bissen ebenfalls ins Gras, aber schließlich war es doch die dunkle Seite, die siegte. Die Yorukage zogen bestens gelaunt ab... wollten sie zumindest, dummerweise hatte ein Nachbar die Polizei gerufen und die Bande wanderte lebenslänglich ins Kittchen. Was den Kasai natürlich auch nicht mehr half. Als unser Kasai wieder heim kam und von dem Geschehen erfuhr... ich kann es kaum beschreiben, wie er drauf war. So down hatte ich ihn noch nie erlebt. Er war wochenlang nicht ansprechbar und wohnte alleine weiter in der riesigen, leeren Villa - dann wurde es ihm zuviel und er haute ab. Hat sein Schwert und alles Geld gepackt, was er noch finden konnte und ist davongelaufen. Er zog ein Jahr lang durch Kama-To; Gott weiß, was er alles angestellt hat. Vermutlich hat er sich aber einfach nur durchgeschlagen, so gut es eben ging. Er wollte weg von seiner Vergangenheit... weil er sie nicht ertragen konnte." Mit gesenktem Blick endete DBO. Zum zweiten Mal an diesem Tag rannen Ashi die Tränen übers Gesicht. Ivy drückte sie an sich. "Ist uns klar, dass das ein ziemlicher Schock für dich sein muss", murmelte die Naturmagierin traurig. Ashi schniefte. "Wusstet ihr es etwa alle...?" "Kaum ein Anschlag ist so durch die Presse gegangen wie der auf die Kasai", erklärte Ryume, "jeder, der in Kama-To wohnte, hat davon gehört." Bacardi zuckte mit den Schultern. "Ich hab gedacht, es wär besser, wenn ich ihn nicht drauf anspreche. Hab mir schon meinen Teil gedacht, als ich seinen Familiennamen gehört hab, aber..." Ashi schluchzte. "Das... das ist alles so grausam... ich hätte nie gedacht, dass..." "Schhhh", beruhigte Ivy sie, "ist schon gut, Ashi-chan. Jetzt weißt du wenigstens Bescheid. Wahrscheinlich ist es besser so..." "War klar, dass ihn das den Verstand kosten würde", brummte DBO, "verdammt, und ich hab mich noch drüber beschwert, dass wir keine Probleme haben. Das war jetzt das Echo. Kasais Bude einfach so abgefackelt -" "Diese Songai haben sie wohl nicht mehr alle", knurrte Bacardi, "was fällt denen eigentlich ein? Alles hätten sie anstecken können, aber doch nicht noch eins auf diese grässliche Geschichte draufsetzen! Wären sie bloß in diesem Haus geblieben, ich hätt's ihnen gegönnt, wenn..." "Hör auf", fauchte Ivy ihn an, "sie haben ihre Strafe gekriegt und das reicht!" Ashi wischte sich die Tränen vom Gesicht und schniefte. "Ach ja... diese Karte..." Sie suchte in ihren Hosentaschen und förderte die weiße Zauberkarte zutage, die Tetsuno eingesetzt hatte. Als sie diese umdrehte, konnte sie ein Bild erkennen, das dem Schauspiel von vorhin erschreckend ähnlich war: Roter Himmel, grelle Flammen und schwarze Asche. Und die Karte hieß... "Heritage of Kasai." Ashi schüttelte fassungslos den Kopf. "Das Erbe seiner Familie?" Ryume beäugte die Karte aus einiger Entfernung finster. "Eine Rachekarte. Äußerst selten in der weißen Magie. Nur wenige davon existieren, aber diese wenigen sind verflucht stark." Bacardi biss sich auf die Unterlippe. "Mich wundert's ehrlich gesagt, dass Tet-chan sie überhaupt einsetzen konnte. Ich meine, ich hab echt Respekt vor seiner Kraft, aber..." Ryume schüttelte den Kopf. "Sein Zorn hat ihn mächtig gemacht. Er war so verzweifelt, dass er alle Energien freigesetzt hat, die noch tief in ihm geruht hatten. Jetzt kennen wir seine wahre Stärke." "Wahnsinnig stark", bestätigte Ivy. "Ein Kasai eben." DBO zuckte mit den Schultern. Ashi schwieg. Sie betrachtete die Karte in ihren Händen und schloss die Augen. Mit einem Stoßgebet wünschte sie sich, dass Tetsuno sie nie wieder einsetzen würde. Wenn sie an den starren Blick in seinen Augen zurückdachte, an sein versteinertes Gesicht... vermutlich war all der Schmerz, der sich seit dem Tod seiner Familie in ihm angestaut hatte, in dem Moment, als er das einzige, was ihn noch an seine geliebte Familie erinnerte, zerstört werden sah, plötzlich freigelassen worden. Er hatte gekämpft, war in das brennende Haus gelaufen um es zu retten - doch dann waren seine Nerven gerissen und er hatte wohl die Karte in den Trümmern gefunden. Das Erbe hatte von ihm Besitz ergriffen und durch ihn die Familie der Kasai gerächt... bis Ashi Tetsuno in die Wirklichkeit zurückgeholt hatte. Durch sie war Tetsuno wieder aufgewacht und konnte sich der Macht der Karte entziehen. Ashi brauchte eine Weile, um diesen Gedanken zu verstehen... Es sah tatsächlich so aus, als hätte sie Daiya und Ryo das Leben gerettet. Part 22: Die letzten Stunden Man hätte erwarten sollen, dass Tetsuno am nächsten Morgen als Erster auf den Beinen war - doch weit gefehlt. Der gewohnte Frühaufsteher war von den Ereignissen des Vortages noch so geschafft, dass er fast bis Mittag durchschlief. Die anderen wollten ihn nicht wecken und so ließen sie ihn. Während die Sonne langsam höher stieg und einige Vögel ihr fröhliches Lied zwitscherten, hingen Ashi, DBO, Ivy, Bacardi und Ryume an ihrem Lagerplatz herum und warteten darauf, endlich weiterziehen zu können. "Hey, Twister", ließ Bacardi irgendwann verlauten und wandte sich an Ashi, "du hast doch gesagt, du wolltest zum Himitsu-Tempel, oder?" Die Angesprochene nickte. "Will ich. Warum?" "Oh, hab mich nur noch mal vergewissert. Hab nämlich grade mal im Kopf überschlagen, wie lange wir wohl bis dahin noch brauchen werden." Ashi sah ihn gespannt an. "Und? Was schätzt du?" "Drei Tage, maximal." Er balancierte seine Zigarette zwischen den Fingern herum. Ashi strahlte glücklich. "So wenig nur noch?? Wahnsinn, dann hab ich's ja echt bald geschafft!" Bacardi grinste sie an. Dann wanderte sein Blick zu Ivy. "Was ist mit dir, Ive? Wo wohnen deine Eltern genau?" "Ein paar Kilometer östlich des Tempels. Nicht besonders weit weg und Gott sei Dank auch noch außerhalb des Terrorgebiets." Bacardi nickte nachdenklich. "Und du, D? Was machst du, wenn wir am Tempel vorbei sind?" DBO zuckte mit den Schultern. "Kommt drauf an, was Ashi vorhat. Wenn sie noch weiterreisen will... begleite ich sie." Er warf der Windmagierin einen unsicheren Blick zu, diese schenkte ihm ein dankbares Lächeln. "Was glaubt ihr, wie's mit Tet-chan weitergeht?", erkundigte sich Bacardi und zog an seiner Kippe. Ashi kaute auf ihrer Unterlippe. "Na ja... eigentlich galt sein Versprechen mich zu führen, nur bis zum Tempel. Also wird er wohl wieder seinen eigenen Weg gehen..." Ihre Stimme wurde leiser und sie blickte zu dem immer noch schlafenden Feuermagier hinüber. Bacardi nickte wieder, diesmal langsam und gedankenverloren. "Soll heißen, unsere Wege werden sich wohl trennen." "Kann dir schon passieren", brummte Ryume neben ihm. "Wie jetzt? Hast du auch schon Pläne, wo du hin willst, oder was?" Die Drachenmagierin hob die Schultern. "Ich denke, ich werde alles versuchen, um Songai irgendwie zu stoppen. Jetzt wissen wir ja, dass seine Politik nicht so harmlos ist, wie sie anfangs ausgesehen hat. Außerdem find ich den Typ zum Kotzen. Dass ein Verräter wie der im Stadtrat sitzt, geht mir schon lange auf den Zeiger." Frustriert schnappte sie sich Bacardis Zigarette. "Hey!! Das war meine!!" "Richtig. Es WAR deine." "Eeey, Mann, Bacardi, musst du in aller Herrgottsfrühe so rumschreien?", wollte eine verschlafene Stimme von der Seite her wissen. Die anderen wirbelten herum. Tetsuno stand gähnend vor ihnen und musterte ihre betretenen Mienen. "Was'n los?", erkundigte er sich und zog den Gürtel seines Kampfanzugs fest, "Ihr seht aus, als ob ihr'n Gespenst gesehen hättet." Als ihm nur Schweigen und vereinzeltes Schlucken antwortete, hob er die Augenbrauen. "Also was ist jetzt. Gehen wir weiter? Ihr habt doch nur noch drauf gewartet, dass ich aus den Federn komme, oder?" Ashi klappte der Mund auf, als Tetsuno eine auffordernde Geste in ihre Richtung machte und dann aus dem Hinterhof auf die Straße hinauslief. "Versteht ihr das?", fragte Ivy entgeistert, "Also, ich hätte was anderes erwartet..." DBO knirschte mit den Zähnen. "Seine Art, mit Problemen fertig zu werden. Er bereut's schon wieder, dass er gestern Gefühle gezeigt hat... sturer Topflappen." Genervt marschierte er hinter Tetsuno her. Ashi und die anderen sahen sich an, zuckten mit den Schultern und schlossen sich ebenfalls an. Der ganze Mittag verlief schweigend. Tetsuno führte die Gruppe unerschütterlich an und war ihnen immer ein paar Schritte voraus. Sein Auftreten erschien dynamisch und temperamentvoll wie immer, doch Ashi konnte sich nicht vorstellen, dass er wirklich so drauf war. Nachdem sie einige Zeit lang stumm neben DBO hergewandert war, beschleunigte sie ihren Schritt schließlich und holte Tetsuno ein. Sie lief neben ihm her und warf ihm einen Seitenblick zu. "Hey", sagte sie lächelnd. "Hey." Tetsuno machte sich nicht die Mühe, sie anzusehen. "Ich... ich wollte nur sagen, dass..." "Dass?" "Was gestern passiert ist, tut mir schrecklich leid. Ich hoffe, du bist jetzt nicht sauer, aber DBO hat uns gestern von deiner Vergangenheit erzählt..." Ashi schaffte es nicht länger, ihm in die Augen zu sehen und blickte weg. "Danke. Aber mach dir deswegen keine Sorgen. Ich komm schon klar damit." Ashi musste ihn doch wieder ansehen, diesmal zweifelnd. "Der Satz kommt mir irgendwie bekannt vor... ich glaub, wir hängen zu viel zusammen rum." Ihr missglückte ein schiefes Lächeln. Tetsuno seufzte tief. "Hör zu, Ashi-chan, ich weiß, dass ihr jetzt alle glaubt, ich wär seelisch am Ende und was weiß ich noch alles, aber ihr müsst euch echt keine Gedanken wegen mir machen. Wahrscheinlich... ist es besser so, wie es jetzt ist. Jetzt kann ich endlich alles vergessen. Gibt nichts mehr, was mich noch an Früher erinnern könnte." Er presste die Lippen zusammen. Ashi schüttelte verständnislos den Kopf. "Das nehm ich dir nicht ab, Tetsuno. Du bist nicht so cool, wie du gerade tust. Es ist echt okay, wenn du jetzt down bist und vielleicht für eine Weile deine Ruhe haben willst; du musst dich wegen uns nicht verstellen. Wir verstehen das schon. Jeder von uns würde in so einer Situation ziemlich fertig sein..." Tetsuno aber legte ihr die Hand auf die Schulter. "Schon gut", sagte er und versuchte, Ashi anzulächeln, "ich komm klar. Trotzdem danke, dass du dich um mich sorgst." Eine Zeit lang schwiegen die beiden. Dann schnitt Ashi ein anderes Thema an. "Bacardi vermutet, dass wir in drei Tagen am Tempel sein werden." "Ja, könnte hinkommen", bestätigte Tetsuno und kickte im Laufen einen Stein beiseite. "Für dich ist da wohl Endstation", bemerkte Ashi und blickte dem Stein hinterher. Keine Reaktion. Zumindest nicht die, die Ashi erwartet hatte. "Freust du dich schon auf deine Schwester?" "Äh... ja." Ashi schluckte. "Klar. Gott sei Dank kann ich ja jetzt sicher sein, dass sie noch am Leben ist und dass es ihr gut ist. Was allerdings mit Nami ist... na ja, da kann ich auch noch mit Miko drüber sprechen." Sie überlegte einen Moment, dann murmelte sie: "Ich... weiß nur noch nicht so genau, wie ich das mit deiner Bezahlung abwickeln soll. Keine Ahnung, ob Miko überhaupt Geld hat... am Ende verdient sie als Priesterin überhaupt nichts, dann steh ich aber blöd da." Sie grinste schief. "Immerhin hat's ja lange genug gedauert, du hast sicher Besseres zu tun, als hier mit mir..." "Hör schon auf", brummte Tetsuno, "das mit dem Geld ist doch längst vergessen. Du brauchst mich nicht zu bezahlen. Eigentlich schulde ich eher dir was; ich hätte Ivy, Bacardi und Ryu nie kennen gelernt, wenn ich mich dir nicht angeschlossen hätte." Ashi strahlte ihn an. "Im Ernst?? Du hast es umsonst gemacht?" Der Feuermagier nickte. "Ja, im Ernst. Vor ein paar Wochen hätte ich das noch nicht gesagt, aber... ich hab's mir inzwischen eben anders überlegt." Er lächelte leicht. Ashi war begeistert. "Mann, das ist echt super lieb von dir, Tetsuno! Ich danke dir!" Da fiel ihr plötzlich etwas ein und das Grinsen verschwand von ihrem Gesicht. "Oh, warte mal, ich hab ja noch was, das dir gehört..." Sie kramte in ihren Taschen und förderte Tetsunos Zauberkarte zutage. "Hier. Das ist deine." Sie drückte ihm Heritage of Kasai in die Hand. Tetsuno betrachtete die Karte mit ausdruckslosem Gesicht. Dann steckte er sie wortlos in seine Tasche. "Danke." Ashi schluckte und warf Tetsuno einen unsicheren Blick zu. "Was... was ist jetzt mit der Karte...?" "Ich werde sie nur dann einsetzen, wenn ich keine andere Wahl mehr habe. So schnell lass ich mir nicht mehr die Kontrolle entziehen. Dieses Ding ist gefährlich und das weiß ich jetzt auch." Erleichtert seufzte Ashi auf. "Okay. Dann bin ich beruhigt." Wieder erschien ein freches Grinsen auf ihrem Gesicht und sie fügte hinzu: "Hab auch keine Lust, dir so schnell wieder um den Hals zu fallen, nur, damit du wieder auf den Teppich kommst. Das war einmalig, klar?" Tetsuno kämpfte gegen ein Grinsen an, konnte es aber letztendlich doch nicht unterdrücken. "Hör sofort auf, mich aufzumuntern", meinte er, "du bist ja grausam optimistisch..." Er gab ihr einen Klaps auf die Schulter, der Ashi drei Schritte nach vorne stolpern ließ. "Mann, nicht so doll, du Kraftpaket!", protestierte die Wind-Asahoshi. Tetsuno lachte los. "Ehrlich, jetzt geht's mir wieder gut, solange ich dich ärgern kann..." Ashi zog eine Schnute und verschränkte die Arme. "Blödmann", knurrte sie aus dem Mundwinkel heraus. Innerlich aber freute sie sich, Tetsuno doch wieder zum Lachen gebracht zu haben. Sie konnte es einfach nicht sehen, wenn er traurig war. Das passte nicht zu ihm. DBO rückte auf und fauchte Tetsuno an, er solle gefälligst nicht so grob zu Ashi sein. Als Tetsuno ihn daraufhin in die Wange knuffte und ihm vorschnurrte, was er doch für ein niedliches, fürsorgliches Kerlchen sei, war wieder alles beim Alten. Die beiden warfen sich haufenweise Komplimente an den Kopf, Ashi, Ivy und Bacardi grinsten sich an und Ryume verdrehte die Augen. Keiner wollte in diesem Moment so richtig wahrhaben, dass sich ihre Wege schon in einigen Tagen trennen würden. "Autsch!! Verdammt, halt doch endlich still, du Nervensäge!!" Verärgert machte Ivy einen Satz zur Seite und ging in Deckung, als die Natur-Yorukage ein paar Pflanzenranken nach ihr auswarf. Ihre Gegnerin fluchte laut, als ihr Angriff daneben ging und wollte die Ranken zurückziehen - doch da hatte sie die Rechnung ohne Ivy gemacht. Diese packte das Ende der Lianen kurzerhand und zog mit einem heftigen Ruck daran. Die Yorukage schrie überrascht auf und segelte einige Meter nach vorne. Ivy ließ die Ranken los und zückte ihre nächste Karte. "Natural Chimera!!" Ein gelblicher, trüber Nebel zog auf und hüllte ihre Gegnerin ein. Die Naturmagierin stöhnte und verdrehte die Augen. Im nächsten Moment war sie außer Gefecht und starrte mit verklärtem Blick auf die surreale Traumlandschaft, die sich nun vor ihrem geistigen Auge auftat. Ivy rammte den Ellbogen nach unten. "Yeah!! Meine ist erledigt!" Sie warf DBO, der ein paar Meter neben ihr mit einem zweiten Natur-Yorukage kämpfte, einen triumphierenden Blick zu. Der Wassermagier fletschte die Zähne und wandte sich dann wieder seinem Gegenüber zu. Er hatte ein besonders aufdringliches Exemplar abbekommen, da der Yorukage immer wieder auf ihn einprügelte und offenbar keine Lust hatte, seine Zauberkarten zu benutzen. DBO war nicht unbedingt für den Nahkampf geboren und wich aus. Auf seinen Skates hatte er den Vorteil, schneller als sein Gegner zu sein und in einem günstigen Moment raste er ihm einfach davon. Als er genug Abstand zwischen sich und den Yorukage gebracht hatte, schnappte er sich eine Karte aus seinen unzähligen Hosentaschen und ließ sie an seinem Zeichen aufblitzen. "Blue Mist!!" Sofort stieg ein bläulicher Nebel auf und der Natur-Yorukage hielt stolpernd inne. Verdattert sah er sich nach DBO um, konnte ihn aber nirgends erkennen. Panisch begann er, wild ins Nichts zu schlagen, bis ihm die Puste ausging und er röchelnd nach Luft schnappen musste. DBO hatte ihm aus geringer Entfernung grinsend bei seinem Kraftakt zugesehen und ergriff jetzt seine Chance. "Starlit Drop!!" Der Angriff traf den Yorukage direkt von oben und er sackte k.o. zu Boden. DBO löste den Nebel auf und warf Ivy einen überlegenen Blick zu. "Meiner war härter als deine, Poison", behauptete er. Ivy streckte ihm die Zunge raus. "Angeber." Ashi und Bacardi waren inzwischen mit einem einzelnen Yorukage beschäftigt, der verdammt zäh war und auch der stärkste der kleinen Bande zu sein schien. Verbissen wehrten sich die beiden gegen die Dornenranken, die er ihnen wie Peitschen um die Ohren knallen ließ. Ashi wich einer Ranke aus, die genau auf ihr Gesicht gezielt hatte und sie beinahe erwischt hätte. Blitzschnell duckte sie sich auf den Boden und ergriff eine Karte. "Heavy Gale!!" Zahllose energiegeladene Windböen formten sich um den Yorukage und preschten wie auf ein geheimes Kommando im selben Augenblick allesamt auf ihn los. Der Naturmagier kreischte auf und die Ranken verschwanden wieder in seiner Karte, die ihm aus der Hand fiel, als er sich vor Ashis Angriff schützen wollte. "Hey, super, Twister!", rief Bacardi vergnügt und zog ebenfalls eine Karte aus seinem Gürtel. "Thor Strike!" Er riss seine rechte Faust gen Himmel und ein mächtiges Donnergrollen ertönte. Dunkle Energiemassen strömte in Bacardis Arm und seine Muskeln schwollen an. Mit einem Knurren sprang er den Yorukage an und prügelte mit solcher Macht auf ihn ein, dass der Naturzauberer schon beim zweiten Schlag bewusstlos am Boden lag. Bacardi richtete sich grinsend auf, machte ein Peacezeichen in Ashis Richtung und bekam als Retourkutsche ein Augenverdrehen. "Hitamashii Slash!!" Tetsunos Schwert flammte auf und der Feuermagier stürmte auf seinen Gegner zu. Mit einem raschen Hieb sengte er ihm die untere Hälfte seines linken Hosenbeins weg und schrammte an seinem Knie vorbei. Der Yorukage heulte auf und hüpfte verzweifelt auf einem Bein herum. Tetsuno grinste gefährlich. "Sorry, Kleiner, aber es ist so heiß heute, du solltest echt nicht mit langen Hosen durch die Gegend rennen..." Tetsunos Gegner zeigte die Zähne und knurrte ihn an. "Na warte...!! Gottverdammter Asahoshi!" Er zog eine Karte und schickte Tetsuno einige rasiermesserscharfe Laubblätter entgegen. Tetsuno wehrte jedes einzelne in Sekundenschnelle mit seinem Schwert ab und das Laub segelte verkohlt zu Boden. Er hob die linke Augenbraue. "Nicht doch, ich krieg ja Angst..." Er griff nach seiner nächsten Karte und das Zeichen an seinem Oberarm leuchtete auf. "Burning Heat!!" Der Feuerball traf den Gegner mit dem unterlegenen Element frontal und warf ihn zu Boden. Tetsuno trat auf ihn zu und stupste ihn mit seinem Stiefel an. Als der Yorukage sich nicht mehr rührte, zuckte Tetsuno gelangweilt mit den Schultern. "Der ist zu müde. Ryu, mach hin, du bist die Letzte!" "Spar dir die Sprüche, Tetsuno!", rief die Drachenmagierin genervt und wich dem schlecht gezielten Angriff ihres Gegners aus, "dauert nicht mehr lange, ich hab das Gefühl, der mag mich nicht..." Sie warf dem übrig gebliebenen Yorukage einen mitleidigen Blick zu und zückte eine Karte. "Dragonsoul Release!!" Sofort wurde alles um sie herum schwarz. Ein silberner Lichtblitz erhellte das Szenario und fuhr in Ryume ein. Sie holte tief Luft und ließ ein ohrenbetäubendes Brüllen los, das direkt aus ihrer Seele zu kommen schien und nicht besonders menschlich klang. Im nächsten Moment wurde es wieder hell und Ryume war von einem silbernen Leuchten umgeben. Ihre Augen funkelten pupillenlos und sie spurtete auf ihren völlig eingeschüchterten Gegner zu. Mit einem einzigen Schlag in den Magen schickte sie ihn zu Boden und das Leuchten um sie herum verlosch. Ryume atmete tief durch und ihre Augen wurden wieder normal. Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn und blickte in die Runde. Fünf Yorukage lagen geschlagen am Boden und ihre fünf Freunde standen mit ratlosem Blick daneben. "Und was jetzt?", wollte Ivy wissen und blickte sich auf der inzwischen menschenleeren Straße um, "Wir können die doch nicht einfach so hier liegen lassen, morgen früh werden die doch gefunden... am Ende kommt hier noch ein Lastwagen durch und übersieht sie... schreckliche Vorstellung." Sie schüttelte sich. Ryume hob eine Augenbraue. "Du solltest echt mal'n bisschen von deinem sozialen Trip runterkommen, Ive. Das sind Yorukage, schon vergessen...? Y-O-R-U-K-A-G-E. Feinde aller Asahoshi." "Aber es sind immer noch Menschen!", verteidigte sich Ivy und warf einen Hilfe suchenden Blick in die Runde. "Hurricane Rise!" Mit einem Mal verdunkelte sich der Himmel und ein mächtiger Wind zog auf. Urplötzlich entstand mitten auf der Straße ein Tornado und ergriff die fünf Yorukage mit seiner gewaltigen Sogkraft. Während die sechs Asahoshi wie durch einen Schild geschützt nichts von der weißen Magie abbekamen, wirbelte der Sturm ein paar Häuser weiter bis in einen Park, wo er sich auflöste und die Yorukage einfach ins Gras fallen ließ. Ashi grinste und steckte ihre Karte weg. Die anderen drehten sich überrascht zu ihr um. "Warst du das etwa??", wollte DBO verwirrt wissen. Die Windmagierin nickte fröhlich. "Ja, ich wollte unbedingt mal diese Karte ausprobieren, die diese Geisteroma mir geschenkt hat... ist echt ganz nützlich, findet ihr nicht?" Alle bis auf Ivy hatten keine Ahnung, von welcher Karte Ashi sprach, da sie damals nicht dabei gewesen waren, als sich die älteste der Geister im verhexten Wald verabschiedet hatte. Ivy jedoch lachte fröhlich. "Das passt zu der alten Schachtel - ein Haufen Energie und weg sind sie!" Die anderen warfen sich zweifelnde Blicke zu, dann machten sie sich auf die Suche nach einem Nachtlager. Es war der letzte Abend. Sie hatten die Hazy Lanes endlich hinter sich gelassen und waren nun schon seit zwei Tagen unterwegs. Am nächsten Morgen würden sie das letzte Stück Weg in Angriff nehmen und gegen Mittag den Himitsu-Tempel erreichen. Inzwischen war überall zu spüren, dass Songai an der Macht war, die Bande von Natur-Yorukage, die sie am späten Abend überfallen hatte, war kein Einzelfall gewesen. Die sechs Asahoshi hatten sich in den letzten Tagen unzählige Gefechte geliefert, waren um einige Erfahrungen reicher geworden und hatten sich inzwischen fast daran gewöhnt, täglich ein paar Yorukage zu verdreschen. Und jetzt war es soweit. Jetzt verbrachten sie wahrscheinlich ihren letzten gemeinsamen Abend... noch einmal entschieden sie sich für eine kleine Parkanlage (wohlgemerkt nicht jene, in die Ashi die Yorukage verfrachtet hatte), noch einmal ließen sie sich unter einer kleinen Baumgruppe nieder, noch einmal beschwor Tetsuno ein Lagerfeuer herauf und noch einmal saßen sie alle einträchtig gemeinsam an den Flammen. Die Stimmung war gedrückt, keiner wusste so recht, was er sagen sollte. Ashi hielt das Schweigen irgendwann nicht länger aus, seufzte auf und blickte in die Runde. "Also, Leute... ich wollte mich noch bei euch bedanken, dass ihr mir so weit gefolgt seid. Ich bin echt froh, dass ich euch getroffen hab und dass ich eine Weile lang mit euch zusammen sein durfte... ich werde diese Zeit nie vergessen." Sie lächelte traurig. "Hey, hey, bloß nicht melancholisch werden hier!", wehrte sich Bacardi und quetschte seine Zigarette aus, "Ist ja furchtbar, du redest gerade so, als ob wir uns nie wieder sehen würden..." Ivy strahlte Ashi an. "Er hat recht, wir treffen uns bestimmt eines Tages wieder!" Ashi warf ihr einen zweifelnden Blick zu. "Meinst du...?" "Na klar." Die Naturmagierin grinste und griff nach ihrer Hand. Sie beugte sich zu Ashi hinüber und flüsterte ihr ins Ohr: "Außerdem lass ich mir meine beste Freundin nicht einfach so wegnehmen, wär ja noch schöner!" Ashi lächelte, diesmal ehrlich, und drückte Ivys Hand. "Danke. Das hast du lieb gesagt..." Bacardi räusperte sich. "Also, ich hab beschlossen, dass ich mich Ryu-kun anschließen werde. Wir steigen diesem Songai mal kräftig aufs Dach, dem werden wir schon zeigen, wo der Hammer hängt." Er grinste und zwinkerte Ryume zu. Die Drachenmagierin verdrehte die Augen und nickte genervt. "Verstehe. Gute Idee." Ashis Blick wanderte zu Tetsuno und DBO. "Was ist mit euch? Was habt ihr vor?" DBO zuckte mit den Schultern. "Weißt du doch. Ich warte ab, wie du dich entschließt und wenn du mich noch brauchst, bleib ich bei dir. Wenn nicht... sollte ich vielleicht mal wieder zurück nach Hause. Hab mich schon lange nicht mehr blicken lassen." Ashi nickte. Sie blickte zu Tetsuno - genau wie alle anderen. "Tetsuno?" Der Feuer-Asahoshi starrte zu Boden. "Ich... find schon was. Keine Ahnung, vielleicht mach ich als Fremdenführer weiter... hab ich doch eigentlich drauf, findest du nicht, Ashi-chan?" Er grinste schief. Die Wind-Asahoshi warf ihm einen zweifelnden Blick zu, konnte aber ein Lächeln nicht unterdrücken. Tetsuno rutschte hin und her. "Na ja... und wenn das nichts wird, lass ich mir halt was anderes einfallen. Irgendwie komm ich schon durch." Wieder kehrte Stille am Feuer ein. Allen war klar, dass Tetsuno es am schwersten haben würde... er hatte niemanden mehr, zu dem er zurück konnte. Aber sie wussten auch nicht, wie sie ihm helfen sollten. Bacardi startete einen Versuch. "Hey, Tet-chan, wenn du willst, kannst du gern mit Ryu-kun und mir mitkommen... Verstärkung könnten wir echt gebrauchen." Der Feuermagier sah Bacardi und Ryume mit einem matten Lächeln an. "Danke. Aber ich komm schon allein zurecht, ehrlich." Ashi blickte zur Seite. Die Ironie dieses Satzes war schon fast unerträglich. Früher war sie es immer gewesen, die diese Kommentare abgelassen hatte. Jetzt hatte sie auf Tetsuno abgefärbt. Verbittert wünschte sie sich, mehr für ihn tun zu können. Aber wenn er sich gegen Hilfe wehrte... Ashi wusste, wie stur er sein konnte. Einige Zeit später, als die Nacht vollkommen hereingebrochen war, hatten sich bis auf Ashi und Ivy alle vom Lagerfeuer verzogen. Sie suchten offenbar die Stille oder wollten einfach nur allein sein. Ivy spielte ein langsames Lied auf ihrer Gitarre. Ashi kannte die Melodie. Ivy liebte sie und begann nach einiger Zeit, leise dazu zu singen. Die Windmagierin blieb am Feuer sitzen, bis Ivy geendet hatte, dann seufzte sie leise. "Das war wunderschön." "Danke." Die Natur-Asahoshi lächelte. Dann bemerkte sie Ashis starren Blick und stupste sie an. "Komm schon, steh auf. Ich seh dir doch an, dass du noch mal mit den anderen reden willst." "Nein, stimmt doch überhaupt nicht!", protestierte Ashi und sah Ivy an - doch diese durchschaute sie klar und so hob Ashi die Schultern und kapitulierte. "Okay, hast ja recht. Ich seh mal nach ihnen." Sie stand auf und ging davon. Ivy sah ihr kopfschüttelnd hinterher. Part 23: Der Himitsu-Tempel "Hey." DBO, der an einen Baumstamm gelehnt auf einer Wiese saß, drehte sich zu Ashi um. "Hey", gab er mit einem Lächeln zurück. "Na, ist dir das Feuer zu heiß geworden oder pennt Ivy schon?" Er ließ die paar Wassertropfen vor sich in der Luft herumwirbeln. "Weder noch", erklärte Ashi und ließ sich neben ihm ins Gras plumpsen, "ich wollte nur noch mal mit dir reden, falls... falls wir morgen auseinandergehen sollten." Sie blickte betrübt zu Boden. DBO musterte ihre Miene kritisch. "Siehst ja nicht gerade happy aus." "Wie sollte ich, immerhin verlier ich euch morgen vielleicht alle. Kein sonderlich aufbauender Gedanke, das musst du doch verstehen." "Ach, seh das Ganze nicht so negativ", munterte DBO sie auf und die Wassertropfen vor ihm hüpften auf und ab, "immerhin siehst du deine große Schwester wieder. Und, wer weiß, vielleicht gabeln wir die kleine auch noch auf. Also zieh nicht so ein Gesicht und lach mal wieder. Ist ja grässlich, wenn du so drauf bist." Ashi grinste schief. "Sorry. Vermutlich hast du recht, ich seh das alles zu ernst... aber ich kann irgendwie noch nicht so ganz glauben, dass jetzt alles zu Ende sein soll. All die Zeit mit euch... das war so wunderschön. Ich hab mich in meinem ganzen Leben noch nie so glücklich gefühlt." Sie seufzte und sah zum wolkenverhangenen Sternenhimmel auf. "Durch euch hab ich erst gelernt, wie ich mein Element finden und es im Kampf richtig einsetzen kann. Durch euch bin ich stark geworden... und konnte endlich über meinen Schatten springen. Hätte ich euch nicht gehabt, mit wem sollte ich dann über meine Probleme reden? Ihr wart immer für mich da und das werde ich euch nie vergessen. Dir auch nicht, DBO." Bevor der Wassermagier etwas erwidern konnte, griff Ashi in ihre Tasche und zog eine Karte heraus. "Hier." Sie drückte ihm Heavy Gale in die Hand. "Das ist deine. Ich hab dir versprochen, sie dir zurückzugeben, wenn wir uns trennen sollten." DBO starrte auf die Karte und dann zu Ashi. "Hey... soll das heißen, du glaubst echt, dass hier alles aus ist? Dass die Straße zu Ende ist? Du willst gehen...?" Ashi lächelte traurig. "Ich will dich nicht noch tiefer in meine Probleme reinziehen, DBO. Du hast mir schon so viel geholfen; jetzt wird es Zeit, dass du dich wieder um dich selbst kümmerst." Sie sah ihm direkt in die Augen. "Ich bin jetzt ein großes Mädchen. Ich kann mich selbst wehren. Das war zwar schon immer meine Einstellung, aber jetzt entspricht sie auch endlich der Wahrheit. Ich bin stärker, als ich es mir je erträumt habe. Du musst mich nicht mehr beschützen, DBO. Das hab ich nicht mehr nötig." "Aber..." "Nein, ich schaff das schon. Ehrlich. Ich komm allein zurecht, ich brauch niemanden mehr, der meinen Bodyguard spielt, ich..." DBO hielt ihr die Hand vor den Mund und warf ihr einen eindringlichen Blick zu. "Das weiß ich, Ashi. Ich weiß, dass du stark bist - stärker als wir alle zusammen, auch wenn du mir das vielleicht noch nicht glaubst. Aber das ist auch nicht der Grund, ich will nicht dein Kindermädchen spielen, das hast du echt nicht nötig. Es ist nur so, dass... ich einfach bei dir bleiben will. Verstehst du?" Er lächelte unbeholfen. Ashi setzte zu einer Antwort an, aber wieder kam ihr DBO zuvor. "Nein, denk nicht mal dran. Ich hab es schon lange aufgegeben. Ich will einfach nur dein Kumpel sein... der, den du schon immer in mir gesehen hast. Es ist mir egal, was du über mich denkst. Alles, was ich möchte, ist in deiner Nähe zu bleiben, Ashi. Ganz gleich, wohin du gehst. Mit dir würde ich sogar in die Hölle und zurück marschieren." Eine Weile lang starrte Ashi ihn einfach nur fassungslos an. Dann formte sich ein ungläubiges Lächeln auf ihrem Gesicht und sie fiel ihm um den Hals. "Danke", schniefte sie leise und versuchte ein paar Tränen zurückzuhalten, "Danke, DBO... du bist der Beste." Der Wassermagier seufzte erleichtert und schob sie von sich weg. "Okay, du hast's eingesehen. Dann nimm jetzt die Karte wieder und verzieh dich. Ich wette, du hast noch was anderes vor." Er grinste und warf ihr Heavy Gale zu. Ashi fing die Karte auf, wischte sich über die Augen und grinste zurück. "Alles klar. Falls wir uns nicht mehr sehen - gute Nacht, DBO. Wir bleiben zusammen. Bis zum Ende." "Yeah, das ist die Ashi, die ich kenne!", lachte der Wassermagier und sah ihr hinterher, als Ashi wieder zwischen den Bäumen verschwand. Tetsuno lag ausgestreckt im hohen Gras einer Wiese. Einige Glühwürmchen kreisten über der Lichtung. Der Nachtwind strich kühl durch Tetsunos blondes Haar und seine Augen waren geschlossen. Die Arme hinter dem Kopf verschränkt und einen ruhigen Ausdruck im Gesicht, schien er zu schlafen. Doch das täuschte. Ashi war keine fünf Meter mehr von ihm entfernt, als er sie schon mit einem leisen "Yo, Ashi-chan" begrüßte und die Augen aufschlug. Ashi blieb unsicher stehen und wartete, bis er aufgestanden war. Der Feuermagier klopfte sich den Staub aus den Klamotten und baute sich dann vor Ashi auf. "Was gibt's?" Auf diese einfache Frage war Ashi nicht vorbereitet gewesen. "Ähm, äh, also, eigentlich... eigentlich gar nichts." Sie biss sich auf die Unterlippe. "Gar nichts?" Tetsuno hob die rechte Augenbraue. "Na ja, das heißt, irgendwie schon... ich... ach, verdammt, ich wollte einfach nur wissen, wo du steckst." Sie vergrub die Hände in den Hosentaschen und sah trotzig zu ihm auf. Tetsuno grinste schief. "Ah ja, verstehe..." Ashi rechnete mit einer typischen, spitzen Bemerkung, die sie ärgern würde, aber Tetsuno wechselte erstaunlicherweise einfach so das Thema. "Warst du eben bei Mizu?" "Äh, ja", antwortete Ashi verwirrt, "Woher weißt du das?" "Göttliche Eingebung. Was weiß ich. Vergiss es." Tetsuno zuckte mit den Schultern. "Und, alles mit ihm geklärt?" Misstrauen bildete sich in Ashis Gesicht. "Wie meinst du das? Was sollte ich denn klären?" "Na, er kommt doch bestimmt weiterhin mit dir mit, oder?" "Ja. Aber warum willst du das wissen?" "Irgend jemand muss ja auf dich aufpassen." "Nein, ich schaff das alleine. DBO kommt einfach so mit." "Einfach so." "Einfach so." Ashis Miene blieb trotzig. "Sei mal ehrlich, warum bist du hier, Ashi-chan?" Er musterte sie prüfend. Ashi kam sich vor, als würde sie geröntgt. Automatisch machte sie einen Schritt zurück, um sich diesem Blick zu entziehen. Nur irgendwie funktionierte das nicht so ganz. Sie ballte die rechte Hand zur Faust. "Ich... ähm... wollte dir sagen, dass..." Sie schluckte und versuchte krampfhaft, in Tetsunos kühle, blaue Augen zu sehen. Ihre Faust zitterte. "... dass ich dich vermutlich ganz schön vermissen werde." Der Feuermagier schien überrascht. "Mich?? Meinst du jetzt meine nervtötenden Sprüche, meinen Sarkasmus, meine Sticheleien, oder..." "Nein." Ashi schüttelte den Kopf, gab es auf und sah zu Boden. Ihre Fingernägel bohrten sich in ihre rechte Handfläche. "Dich. Ich werde dich vermissen. Ich war nicht unbedingt scharf drauf, aber du bist mir doch mehr ans Herz gewachsen, als ich gedacht hätte..." Tetsuno lachte leise. "Das kann ich zurückgeben. Wird mir auch nicht leicht fallen, wenn ich mir ab jetzt jemand anderen suchen muss, den ich ärgern kann..." Blut. Ashi bemerkte es kaum, als es aus ihrer rechten Hand zu tropfen begann. Sie schluckte noch einmal krampfhaft, dann nickte sie und warf Tetsuno einen letzten Blick zu. "Gut. Das... wollte ich dir nur noch sagen. Wir sehen uns morgen. Schlaf gut." Sie drehte sich um und lief mit unsicheren Schritten zum Lagerfeuer zurück. Tetsuno blickte ihr nach. Sie wirkte im Licht des verdeckten Mondes leichenblass. Nach langer Zeit fiel dem Feuermagier wieder auf, wie zerbrechlich sie doch wirkte, wenn sie nicht von den anderen umgeben war. Wie weißes Porzellan... Er blickte zu Boden und entdeckte einen kleinen Blutfleck im Gras. Tetsuno sah sich noch einmal nach Ashi um, doch sie war bereits zwischen den Bäumen verschwunden. Er kaute auf seiner Unterlippe, stand für einen Moment lang noch still auf der Lichtung - dann legte er sich wieder ins Gras und versuchte einzuschlafen. "Hey... ich kann ihn sehen!!!" Ivy kniff die Augen noch mehr zusammen, um durch die endlosen Regenschwaden besser sehen zu können. Dann deutete sie aufgeregt geradeaus. "Da vorne!", rief sie über die Schulter zu ihren Freunden zurück, "Das ist er, ganz sicher!" Ashi stolperte platschend ein paar Schritte durch eine Pfütze nach vorne zu Ivy und folgte ihrem Fingerzeig. Der Wind pulsierte in ihren Adern und schon nach ein paar Sekunden konnte sie in der Ferne ein riesenhaftes, helles Gebäude mit Kuppeldach erkennen. Ihre Augen weiteten sich und sie begann zu strahlen. "Du hast recht, Ivy-chan, das muss er sein!" Sie drehte sich um und brüllte durch den Regen: "HEY, JUNGS, WIR HABEN'S GESCHAFFT, DA VORNE IST DER TEMPEL!!!" Tetsuno, DBO, Bacardi und Ryume rückten auf und die sechs Asahoshi marschierten schnellen Schrittes auf die große Anlage zu. Sie waren den ganzen Vormittag über durch den Regen gelaufen und jetzt patschnass bis auf die Knochen. Die Vorstellung eines Empfangs im trockenen Himitsu-Tempel war für alle von ihnen gerade mehr als angenehm. So erreichten sie die riesige, von mächtigen Säulen flankierte Eingangspforte ziemlich schnell. Sie stand offen, wie es für Asahoshi-Tempel üblich war. Rasch flüchteten Ashi und ihre Freunde unter das steinerne Vordach und blieben vor der Schwelle stehen. Bacardi atmete tief durch und warf jedem Mitglied der Gruppe einen einzelnen, kritischen Blick zu. Man merkte ihm an, dass er seine Kindheit in einem Schrein verbracht hatte, denn er hatte gehörigen Respekt vor diesem religiösen Gebäude. "Ive, quetsch mal das Wasser aus deinem Zopf, du siehst aus wie ein begossener Pudel. Twister, mach endlich den Mund zu, ich weiß ja, dass das für dich das erste Mal ist, einen Asahoshi-Tempel zu sehen, aber das kommt nicht gut, ehrlich. Tet-chan, ich nehm an, das Schwert wirst du im Eingangsbereich abgeben müssen... damit lassen sie dich nicht durch. D, tu uns allen den Gefallen und klapper nicht so mit deinen Skates rum, wenn wir drin sind, okay?" Er seufzte nervös und sah Ryume an. "Ich glaub nicht, dass auch nur EINER von denen schon mal in nem Tempel war...", raunte er ihr zu. Ryume grinste und zuckte mit den Schultern. "Lass sie. Das finden wir raus, sobald sie drin sind. Man erkennt's an ihren Reaktionen, verlass dich drauf..." Bacardi nickte feixend und schob die anderen vor sich her in den Tempel hinein. Sobald sie über die Schwelle getreten waren, empfing sie eine wohlige Wärme, die überall im Tempel präsent zu sein schien. Ein sanftes, goldenes Licht hüllte sie ein, während sie um die Trennwand herum gingen, die ihren Blick jetzt noch vom Inneren der Tempelanlage abhielt. Als Ashi um die Wand gelaufen war, hielt sie mitten im Schritt inne und blieb stehen. Langsam und ohne dass sie es merkte verlagerte sich ihre Kinnlade wieder einige Etagen nach unten. Ihre Augen wurden groß und größer, sie starrte ungläubig in die helle Eingangshalle, die sich nun vor ihnen auftat und sowohl Ashi selbst, als auch ihren übrigen Freunden den Atem nahm. Der Boden der kreisförmigen Halle war mit seltsam warmen, hellen Steinfliesen ausgelegt. Die Wände strahlten so aus sich selbst heraus, dass man meinte, sie würden gar nicht existieren, sondern einfach nur der Eingang in eine neue Welt des Lichts sein, die hinter ihnen lag. Die Decke war so weit oben, dass sie mit bloßem Auge kaum zu erkennen war - schon allein deswegen, weil sie so viel Helligkeit aussandte, dass man sie fast für die Sonne persönlich halten konnte. Eine hohe Steintreppe führte am anderen Ende der Halle zweiflüglig zu einem großen Tor hinauf, das ein Stockwerk höher lag. Die Wände der Eingangshalle waren immer wieder mit gigantischen Säulen ausgeschmückt, die kleinere Türen einschlossen und sie größer erscheinen ließen. Doch das war noch lange nicht alles. All die Helligkeit und Wärme wurde keineswegs von diesem Raum allein erschaffen. Vielmehr waren die unzähligen Pflanzen dafür verantwortlich, die überall aus dem Boden, den Wänden und der Decke sprossen und die Anlage in Tausenden von sprühenden Farben und zahllosen Variationen zu einem Paradies auf Erden machten. Ashi und Ivy standen Hand in Hand vor der atemberaubenden Schönheit der Halle und kriegten gar nicht genug von der Atmosphäre, die hier herrschte. Tetsuno und DBO waren in ehrfürchtiges Schweigen verfallen, Ryume schüttelte ungläubig den Kopf. "Das raff ich nicht", murmelte sie, "ich dachte ja, ich wär abgehärtet, weil ich die längste Zeit meines Lebens in einem Drachen- und Gewitterschrein verbracht hab, aber ich wusste nicht, dass ein Naturtempel SO anders ist, dass sogar mir die Spucke wegbleibt..." "No comment", meinte Bacardi wortkarg, "oder meinst du, mir geht's grad viel anders?" Während Ashi noch emsig damit beschäftigt war, eine große Gruppe von weißrosa Blüten zu betrachten, die einen Teil der linken Wand fast komplett umrankten, kam plötzlich eine junge Frau in einem zartroten langen Kleid auf sie zu. Sie blieb vor Ashi und Ivy stehen und lächelte sie an. Die beiden Mädchen brauchten einen Moment, um überhaupt wahrzunehmen, dass sie da war, dann kamen sie beide mit einem Ruck in die Realität zurück und starrten ihr Gegenüber verwirrt an. Die junge Frau ließ sich nicht beirren. "Willkommen im Himitsu-Tempel, Reisende", sagte sie freundlich und schenkte jedem der sechs Asahoshi einen warmen Blick, "Mein Name ist Juzu. Ihr seht sehr müde aus. Sicher habt ihr einen langen Weg hinter euch. Wenn ihr euch gerne ausruhen möchtet, kann ich euch ein paar Zimmer zuweisen..." "Oh", Ashi fand endlich ihre Stimme wieder und blickte das Mädchen entschuldigend an, "ähm, das ist wirklich sehr freundlich, aber wir sind nicht ohne Grund hierher gekommen... wir sollten etwas überbringen. Augenblick." Sie zog ihren Rucksack vom Rücken und kramte geschäftig darin, bis sie das goldene Kästchen zutage gefördert hatte, das sie von Inori bekommen hatte. Sie hielt es Juzu hin und erklärte: "Das hier sollten wir an Priesterin Mikomi übergeben - nur ihr persönlich." Sie biss sich auf die Unterlippe. Die junge Messedienerin nickte verständnisvoll. "Gut. Ich werde sie suchen gehen und ihr Bescheid geben. Ihr könnt solange hier in der Halle warten, wenn ihr wollt. Ich beeile mich." Sie verbeugte sich leicht und ging dann davon, auf die große Steintreppe zu. Ashi atmete tief durch. Ivy stieß sie in die Seite. "Hey, bist du so nervös?" "Ziemlich", murmelte Ashi und spielte mit dem goldenen Kästchen herum, "wenn du wüsstest, wie's in mir gerade aussieht..." Sie schluckte heftig. Bacardi und Ryume hatten sich als erste wieder von dem gigantischen Anblick erholt und steuerten bald auf eine kleine Gruppe von lindgrünen Sesseln zu, die an die rechte Wand gelehnt standen. Die anderen Vier folgten ihnen wortlos und ohne richtig wahrzunehmen, was sie da eigentlich gerade taten. Dieser Ort war so eindrucksvoll, dass er ihre Sinne regelrecht benebelte - und das immer noch, obwohl sie jetzt schon geschlagene fünf Minuten hier waren. Sie warteten ungefähr zehn Minuten und Ashis Nervosität stieg ins Unermessliche. Ivy tat ihr Bestes, um sie zu beruhigen und drückte ihre Hand, doch es half nichts. Hilflos warf die Naturmagierin Tetsuno einen Blick zu. Der aber zuckte genauso ratlos mit den Schultern und flüsterte Ivy zu, sie solle einfach abwarten, das würde sich schon wieder legen, sobald sie ihre Aufgabe erfüllt hatten. Dann kehrte Juzu zurück. Sie kam aus dem Portal im ersten Stock, schloss es sorgfältig, stieg die Treppe wieder hinunter und kam auf die sechs Asahoshi zu. "Sie erwartet euch", verkündete sie und bedeutete der kleinen Gruppe, ihr zu folgen. Wie in Trance stieg Ashi mit ihren Freunden hinter Juzu die große Treppe hinauf. Die Messedienerin führte sie durch das große, hölzerne Tor, das einen freundlich eingerichteten roten Raum beherbergte. Von dort führten einige Türen zu den Seiten weg; am anderen Ende des Zimmers lag die größte Tür, die auch auffällig verziert und mit wunderschönen Pflanzen umrankt war. Juzu sah, wie Ivys Blick daran hängen blieb und sie erklärte: "Hinter dieser Tür ist das Zimmer unserer Hohepriesterin. Sie leitet diesen Tempel und wir alle sehen zu ihr auf. Sie ist eine wunderbare Frau... ich hoffe, ihr werdet das Glück haben sie kennenzulernen, was ich euch aber nicht versprechen kann." Ihre Augen funkelten kurz und sie fügte hinzu: "Wenn ihr allerdings Mikomi kennt... steigen eure Chancen schon enorm." Sie lächelte geheimnisvoll und öffnete eine der linken Türen. Mit einer Geste bat sie die Asahoshi, einzutreten. "Bitte. Sie weiß, dass ihr kommt. Sie hat euch schon heute morgen erwartet..." Ohne den Sinn von Juzus Worten wirklich zu begreifen, trat die kleine Gruppe durch die Eichentür und in ein Zimmer, das in hellen Grüntönen gestaltet war. Es war nicht besonders groß, aber seine Atmosphäre war einladend. Man verspürte sofort den Wunsch hier zu bleiben und sich auszuruhen. Pflanzen blühten überall und in der Mitte des Raumes saß, inmitten eines Zirkels aus weißen Rosenblüten, ein Mädchen. Ihr Haar ging ihr bis an die Taille und war tiefschwarz, reflektierte aber einen merkwürdigen rötlichen Schimmer. Sie trug ein langes weißes Kleid und es schien, als wäre sie in diesem Raum geboren, als gehöre sie nirgendwo anders hin. Sie war wunderschön und glich einem Engel. Sobald der erste der Asahoshi einen Fuß über die Schwelle gesetzt hatte, öffnete sie ihre bisher geschlossenen Augen, die sie jetzt leuchtend grau ansahen. Kaum waren sie alle eingetreten, schloss Juzu von außen die Tür und der Blick des Mädchens blieb an Ashi hängen, die ihr Gegenüber nun fassungslos ansah. Das Mädchen erhob sich. Für einen Moment lang wusste keiner, was ihre Miene widerspiegelte, dann erschien ein ungläubiges, strahlendes Lächeln darauf und sie wisperte: "Ashi...!" Die Windmagierin konnte nicht mehr an sich halten. Nur einen Augenblick lang verharrte sie noch bei ihren Freunden, dann stolperte sie ein paar Schritte nach vorne und fiel der Priesterin um den Hals. "Miko...", flüsterte sie überglücklich und die Tränen traten ihr in die Augen. Auch die Naturpriesterin konnte nicht mehr stark bleiben. Sie weinte ebenfalls vor Glück und drückte ihre kleine Schwester fest an sich. "Wie lange habe ich für diesen Moment gebetet", hauchte sie, "wie lange habe ich warten müssen, bis es endlich soweit war... und jetzt hab ich dich wieder... kleine Schwester..." Ashi schluchzte auf und klammerte sich an Mikomi. Im Moment war sie nicht in der Lage zu sprechen. Die anderen Asahoshi betrachteten sprachlos das Szenario. Tetsuno lächelte und freute sich innerlich für Ashi. Ivy zupfte ihn am Ärmel und wollte leise wissen: "Ääh... sag mal, Tetsuno... ich wusste ja, dass sich die beiden mal sehr nahe gestanden haben, aber... wie nahe genau...?" Tetsuno konnte ein leises Lachen nicht unterdrücken. "Na, du bist gut. Wie nahe steht man wohl seiner eigenen großen Schwester?" Rumms. Das hatte gesessen. Ivy, DBO, Bacardi und Ryume starrten den Feuermagier entgeistert an. "W-w-was??", krächzte DBO fassungslos, "Diese Priesterin ist... Ashis Schwester???" Mikomi blickte auf und auch Ashi schniefte und machte sich von ihrer Schwester los, um sich nach den anderen umzudrehen. DBO wurde rot. "Ähm... Entschuldigung, ich wollte nicht..." Ashi lachte und wischte sich die letzten Tränen vom Gesicht. "Ist schon okay, DBO. Irgend jemand musste mich ja wieder runterholen..." Der Wassermagier grinste verlegen und Tetsuno stieß ihn vergnügt in die Seite. Ein böser Blick folgte, Ivy stellte sich jedoch schnell zwischen die beiden - sie traute diesen beiden Zankhähnen zu, mitten im Tempel einen ausgewachsenen Streit auf die Beine zu stellen. "Entschuldigt bitte", sagte Mikomi nun und wies auf den Boden neben sich, "ich war unhöflich. Setzt euch, ich freue mich, dass ihr da seid." Noch bevor einer der Asahoshi einen dummen Blick aufsetzen konnte, schossen einige Pflanzenranken aus dem Boden und formten sich zu sechs hohen Sesseln. Ivy fasste sich als Erste wieder und hüpfte begeistert auf die natürlichen Sitzgelegenheiten zu. "Mann, Wahnsinn!! Mikomi, wie haben sie das so schnell hingekriegt??" Sie strahlte die Priesterin an. Mikomi grinste verlegen. "Bitte, sagt ruhig Du zu mir, ich bin doch auch erst Neunzehn..." "Oh", Bacardi hob die Augenbrauen und warf Mikomi einen prüfenden Blick zu, "mein Jahrgang, wie interessant..." Ashi und Ryume rammten ihm gleichzeitig die Ellbogen in die Seiten, Ashi wortlos, aber mit vielsagender Miene, Ryume mit einem leisen Knurren: "Ich warne dich, du Weiberheld, wenn du anfängst, hier im Tempel peinlich zu werden..." Bacardi rieb sich die rechte Seite, wo Ryume zugeschlagen hatte, und warf den beiden Mädchen einen beleidigten Blick zu. "Ist ja schon gut, war bloß ne Feststellung, Mann..." Die Asahoshi ließen sich auf den ungewöhnlichen Sitzgelegenheiten - die erstaunlich bequem waren - nieder und wandten ihre Aufmerksamkeit Mikomi zu. Diese stellte sich ihnen gegenüber und setzte sich ebenfalls auf einen Pflanzensessel, der sich ohne eine Regung ihrerseits einfach unter ihr formte, als sie sich hinsetzen wollte. Die Priesterin ließ ihren Blick über die versammelte Gruppe schweifen und lächelte. "Wie schön, dass ihr endlich gekommen seid. Meine Träume haben mir schon vor Wochen eure Ankunft vorhergesagt und ihr glaubt gar nicht, wie nervös ich war..." Tetsuno warf Ashi grinsend einen Blick zu, diese aber ignorierte ihn vorsorglich, als er was von "Liegt wohl in der Familie, was?" flüsterte. "Ashi, ich bin so glücklich, dich wiederzusehen", fuhr Mikomi fort, "und ich weiß, dass du meinetwegen eine lange, gefährliche Reise auf dich genommen hast. Dafür bin ich dir sehr dankbar. Hätte ich hier im Tempel nicht eine solch große Rolle und so viele Verpflichtungen, ich schwöre dir, ich hätte genauso gehandelt wie du. Doch leider hatte ich keine Chance." Sie blickte traurig zu Boden. "Es tut mir leid." Ashi lächelte ihre Schwester an. "Ist schon okay. Ich versteh dich ja, Miko... außerdem bin ich jetzt ja da. Du musst mich nicht mehr suchen." "Glaub nicht, dass ich das nicht getan hätte", erwiderte Mikomi und sah ihre kleine Schwester wieder an, "seit ich erfahren hatte, was mit Mori-Mura und Kumo-Mura geschehen ist, war ich auf der Suche nach Nami und dir. Man hatte mir eingeredet, dass in keinem der Dörfer Überlebende gefunden worden wären, aber meine Träume zeigten mir die Wirklichkeit und ich vertraute ihnen mehr als meinen Freunden. Dass Nami von den Yorukage entführt worden und wahrscheinlich versklavt worden war, wurde mir schon sehr früh klar. Es war nur nicht so einfach, sie zu finden. Durch die Größe des Terrorgebiets fiel es mir sehr schwer, sie unter den vielen versklavten Asahoshi zu finden... ich muss gestehen, dass mir ihr Aufenthaltsort bis vor Kurzem verborgen geblieben ist. Jetzt weiß ich endlich, wo sie steckt." Ein dezentes Lächeln des Triumphes stellte sich auf ihren feinen Zügen ein, Ashi fing an zu strahlen und Mikomi erklärte weiter: "Bei dir war das Ganze noch schwerer. Ich wusste zwar aus meinen Träumen, dass du noch am Leben bist und nun durch Kama-To streifst, doch ich hatte keine Ahnung, wo. Du warst ständig in Bewegung und ich hatte keine Chance, dich mal ordentlich zu orten - ständig bist du mir wieder durch die Lappen gegangen." Ashi grinste. "Erzähl das meinem Fremdenführer. Er hat das Tempo vorgelegt, nicht ich." Tetsuno stieß sie in die Seite. "Schieb nicht schon wieder alles auf mich ab", brummte er, "hättest du mich nicht gehabt, wärst du noch länger in Bewegung gewesen - dann hättest du nämlich null Peilung gehabt, wo du langgehen solltest." Mikomi konnte ein Grinsen ebenfalls nicht unterdrücken und blickte abwechselnd Ashi und Tetsuno an. Sie enthielt sich aber und erzählte weiter: "Als du allerdings mit deinen Freunden im verhexten Wald warst, wusste ich Bescheid. Dass der Fluch von dem Wald gehoben wurde, ist nicht nur mir aufgefallen; das haben alle anderen Priester hier im Tempel auch bemerkt. Ich wurde neugierig und habe ein wenig nachgeforscht, dann ist mir endlich klar geworden, dass du und deine Freunde die glorreichen Helden waren, die diesen Wald von seinem Zauber befreit haben." Sie hob dramatisch die Augenbrauen und die Asahoshi grinsten verlegen. "Tja, Schwesterlein, und von da an hatte ich dich im Auge. Durch meine Träume wusste ich genau, wo du gerade warst und ich war glücklich, als ich entdeckt habe, dass du genau auf den Tempel zusteuerst." "Wow", meinte Ashi beeindruckt, "und... und seit wann kannst du das, das mit den... Träumen...?" Mikomi lächelte. "Das habe ich in meiner Zeit hier am Tempel gelernt. Anfangs, als ich hier eingezogen bin, war ich nur eine gewöhnliche Messedienerin wie Juzu. Später durfte ich wegen meines großen Lerneifers auch Botengänge erledigen und irgendwann ist unserer Hohepriesterin dann mein Talent aufgefallen, was das Kartenzaubern angeht. Sie hat mich jahrelang unterwiesen und meine Fähigkeiten wuchsen ziemlich schnell. Vor einem Jahr wurde ich zur Priesterin geweiht und gehöre seitdem zu den hohen Tieren hier im Tempel." Sie zuckte mit den Schultern. "Nicht besonders spannend, wenn dich alle nur mit "Priesterin" ansprechen und vor dir auf die Knie gehen, man kommt sich irgendwie so seltsam dabei vor..." Mikomi grinste hilflos. "Außerdem kann ich so nicht mehr so viel mit meinen Freunden zusammen sein. Sie haben alle niedrigere Ränge als ich. Aber ich bin mir meiner Rolle inzwischen bewusst geworden und versuche, alle Anforderungen zu erfüllen, die die Hohepriesterin an mich stellt." "Die Hohepriesterin", wiederholte Ivy und ihre Augen begannen zu leuchten, "Juzu hat vorhin von ihr erzählt. Sie muss eine tolle Frau sein..." Mikomi nickte. "Allerdings. Und sie ist... ein wenig anders als die übrigen Hohepriester an anderen Tempeln." Sie begann zu feixen. "Keine Sorge, ich werde sie euch vorstellen. Wenn ich ihr erzähle, dass ich meine kleine Schwester und die Leute hier habe, die uns von dem Problem des verhexten Waldes befreit haben, wird sie sicher nichts dagegen haben, euch kennen zu lernen." "Cool!" Ivy strahlte. "Ich werde später mit ihr reden", meinte Mikomi, "aber jetzt sollt ihr euch erst mal ausruhen. Ich habe Juzu schon gebeten, ein paar Zimmer für euch einzurichten... sie wartet vor der Tür und wird euch hinführen. Entspannt euch ein wenig, ich werde euch dann zum Mittagessen wieder abholen. Einverstanden?" Sie zwinkerte ihnen zu. Alle nickten und erhoben sich. Während die anderen zur Tür gingen, steuerte Ashi noch einmal auf Mikomi zu und überreichte ihr das goldene Kästchen. "Hier. Das haben wir von einer Botin namens Inori bekommen; wir sollten es an dich weitergeben, wenn wir hier im Tempel angekommen sind..." Mikomi fuhr vorsichtig über die feinen Verzierungen und lächelte. "Sie ist also doch zu ihrer Mutter zurückgekehrt. Das war sehr vernünftig. Ich dachte mir schon, dass es eine Weile dauern würde, bis ich sie wiedersehe, als sie uns vor einigen Wochen verlassen hat. Danke, Ashi." Part 24: Abschied Die Tür fiel hinter Juzu ins Schloss und Ashi und Ivy sahen sich in ihrem Doppelzimmer um. "Wow", seufzte Ashi und ließ sich auf eines der beiden Himmelbetten plumpsen, "irgendwie bin ich jetzt ziemlich k.o. ..." Ivy setzte sich auf das andere Bett und nickte. "Kann ich verstehen. Wie lange hast du Miko jetzt nicht mehr gesehen?" "Acht Jahre ist das her. Ich hätte sie fast nicht wiedererkannt... sie hat sich so verändert." Ashi drehte sich zu Ivy um. "Es tut mir leid, dass ich dir bisher nicht erzählt habe, wer Miko eigentlich ist. Bitte, glaub mir, Ivy-chan, ich konnte es einfach nicht... es gibt... Einiges, was du noch nicht über mich weißt. Ich habe es lange genug vor mir hergeschoben... ich denke, jetzt wird es Zeit, dir alles über meine Vergangenheit zu erzählen." Sie sah ihre Freundin schuldbewusst an. Ivy lächelte warm. "Ist schon okay, Ashi-chan. Ich verstehe dich. Ich dachte mir schon lange, dass du etwas vor uns verbirgst... ich würde dir gerne zuhören, wenn du willst." Und so erzählte Ashi Ivy ihre ganze Geschichte. Als sie geendet hatte, verspürte sie Erleichterung. Es war gut, dass sie sich der Naturmagierin anvertraut hatte. Ivy verstand sie und war immerhin ihre beste Freundin. Es wäre falsch gewesen, es ihr noch länger zu verheimlichen. Ivy reagierte damit, indem sie Ashi einfach in den Arm nahm. "Das tut mir so leid, Ashi-chan", murmelte sie bedrückt, "so furchtbar leid... jetzt verstehe ich endlich, warum du unbedingt nach Norden wolltest. Du kamst mir von Anfang an so einsam und verlassen vor, wie du mit Tetsuno und DBO durch die Stadt gezogen bist... als ob du nirgendwo mehr hingehören würdest. Aber dass so eine schlimme Geschichte dahintersteckt, hätte ich nicht erwartet." Ashi seufzte tief und drückte Ivy an sich. "Es ist schön, dass du für mich da bist. Selbst wenn ich Miko nicht gefunden hätte, die Reise wäre es wert gewesen, allein, weil ich dich und die anderen getroffen habe." Ivy ließ los und lächelte Ashi an. "Es freut mich so für dich, dass du deine Schwester jetzt wieder hast. Nun bist du nicht mehr allein und brauchst uns nicht mehr." Ashis Miene veränderte sich schlagartig. "Nein, Ivy-chan, das stimmt nicht. Ich brauche euch immer noch. Ihr seid mir alle so ans Herz gewachsen, DBO, Tetsuno, Bacardi, Ryume und du, ich halt's doch keine zwei Tage ohne euch aus..." Ivy lachte. "Ach, Ashi-chan... du bist so stark geworden, ich bin mir sicher, dass du das schaffen würdest. Und außerdem, du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich nicht doch irgendwann wieder bei dir aufkreuze, wenn du mich gerade am wenigsten erwartest." Ashi grinste. "Okay, du hast mich überzeugt. Ich werde das schon schaffen. Und später werde ich noch mal mit Miko über Nami reden... irgendwie müssen wir sie befreien. Wenn Miko wirklich weiß, wo sie steckt, dann werde ich alles daran setzen, meine kleine Schwester zu finden." Ivy nickte. "Das wirst du ganz sicher. Und ich weiß auch, dass du es schaffen wirst. Darauf bin ich jetzt schon stolz." Sie nahm die Hände ihrer Freundin und lächelte sie an. Ashi wünschte sich einen Moment lang, sie nie wieder loszulassen. Was sollte sie denn ohne Ivy bloß anfangen...? Gut, da war DBO, der würde bestimmt mitkommen, wenn sich Ashi auf die Suche nach Nami machte, aber ob er das Sonnenscheinchen Ivy wirklich ersetzen konnte? "Ashi-chan, sag, sitzt meine Frisur...?? Ist meine Kette verrutscht? Aaargh, Tatsache, der Verschluss hängt schon wieder vorne..." Furchtbar nervös fummelte Ivy an sich herum, während sie zusammen mit den anderen vor der Tür zum Zimmer der Hohepriesterin wartete. Ashi grinste sie an. "Reg dich wieder ab, Ivy-chan. Du siehst klasse aus, wie immer. Wir treffen uns doch nur mit der Hohepriesterin zum Mittagessen, was ist denn so schlimm daran...?" Ivy drehte sich zu ihr um, atmete einmal tief durch und erklärte dann, jedes Wort betonend: "Ich-bin-aufgeregt! DAS ist so schlimm!!" Ashi wollte gerade ansetzen, um ihr klar zu machen, dass das doch überhaupt nicht nötig sei, da ging plötzlich die Tür auf und Mikomi streckte den Kopf heraus. "So, jetzt könnt ihr rein kommen. Fühlt euch wie zu Hause." Sie wies sie mit einer Handbewegung an, einzutreten, und die sechs Asahoshi folgten ihr. Das Zimmer glich einem kleinen Paradies. Die Luft war angenehm und es roch dezent nach Flieder, die Farbtöne der Einrichtung waren pastell und warm. Mitten im Zimmer stand ein großer Tisch aus dunklem Holz, der nun feierlich gedeckt war und auf dem sich die allerfeinsten Speisen türmten. Den Asahoshi lief allein beim Anblick dieses Mahls das Wasser im Munde zusammen. Am einen Ende des Tisches stand eine junge Frau, die noch nicht mal ganz Dreißig zu sein schien. Sie hatte langes, braunes Lockenhaar und funkelnde grüne Augen, ihre Haut war zart und blass und sie trug ein langes, grünes Kleid, das mit vielen kleinen Blüten geschmückt war und ihre schmale, feingliedrige Figur betonte. Ashi staunte. So wunderschön hatte sie sich früher die Elfen aus den Erzählungen ihrer Großmutter vorgestellt... "Hi", sagte die junge Frau nun und grinste sie an, "bitte, ihr dürft euch ruhig setzen. Ich hab mich noch nicht bei euch vorgestellt, mein Name ist Kizuta, ich leite diesen Tempel." Leicht irritiert, weil die Hohepriesterin sie so locker begrüßt hatte, nahmen die Asahoshi Platz. Auch Mikomi setzte sich zu ihnen und amüsierte sich köstlich über die Gesichter der kleinen Gruppe. Sie wandte sich Kizuta zu: "Verzeih ihnen, du weißt ja, wie die meisten Leute reagieren, wenn ich dich ihnen als Hohepriesterin vorstelle." Sie zwinkerte Ashi zu und erklärte dann: "Das ist meine Schwester Ashi, ich hab dir ja bereits von ihr erzählt." Kizuta nickte freundlich und sah Ashi an. "Ich hab's mir schon fast gedacht. Deine Aura ist genauso bemerkenswert wie die von Miko... wenn auch sehr viel unruhiger." Sie grinste wieder. "Das liegt wohl an euren unterschiedlichen Elementen. Ich muss gestehen, dass ich noch nicht viele Windmagier getroffen habe... wie auch immer, du bist jedenfalls meine extremste Begegnung bisher." Ashi blinzelte verwirrt. "Extrem?" "Ja", Kizuta hob die rechte Augenbraue, "in dir tobt momentan ein ganzer Orkan, auch wenn ich nicht sagen kann, warum... vermutlich kommt das alles zu schnell auf einmal für dich, erst der Tempel, dann Miko, Lunch mit der Hohepriesterin..." Verlegen meinte Ashi: "Ähm... ja, kann schon sein... oh, aber ich hab meine Freunde ja noch gar nicht vorgestellt." Sie wurde rot und erklärte hastig: "Also, das hier ist Ivy-chan, sie hat sich unheimlich auf dieses Essen gefreut, weil sie Sie..." "Sagt ruhig Du zu mir." "Äh, auch gut, weil sie dich so gern treffen wollte." Ivy errötete ebenfalls leicht und sah kleinlaut zu der Hohepriesterin auf. Kizuta lachte. "Wie süß. Freut mich, dich kennen zu lernen, Ivy... wie ich sehe, fühlst du dich hier richtig heimisch. Ist doch schön, so von seinem Element umgeben zu sein, oder?" Ivy nickte heftig. Ashi fuhr fort: "Das hier ist DBO und der da drüben heißt Tetsuno." "Wasser und Feuer. Wie hübsch. Ich kann mir vorstellen, dass ihr die besten Freunde seid", bemerkte Kizuta spöttisch. Die beiden Jungs wurden knallrot und warfen sich gegenseitig finstere Blicke zu. "Tetsuno scheint nichts gegen diesen Tempel zu haben", vermutete Kizuta und sah zwischen den beiden hin und her, "DBO dagegen fühlt sich wohl nicht so richtig wohl... zu viel von dem überlegenen Element hier, was?" Sie grinste den Wassermagier an. Da DBO sowieso nicht wusste, was er erwidern sollte - er und Tetsuno schienen von Kizuta irgendwie ziemlich eingeschüchtert, und das war schon eine Leistung - machte Ashi einfach weiter: "Und uns fehlen noch Bacardi und Ryume, die zwei gegenüber." "Oh." Kizuta warf Ryume einen erstaunten Blick zu. "Das heilige Element, hier in meinem bescheidenen Tempel...? Wow, habe die Ehre." Ryume brachte ein schiefes Lächeln zustande. "Für mich ist es auch eine Ehre. Mein Mentor hat früher ständig von der Hohepriesterin des Himitsu-Tempels erzählt, ist schon irgendwie toll, sie jetzt mal wirklich zu treffen." "Der Typ hat sich vielleicht einen abgeschwärmt", bestätigte Bacardi und warf Ryume einen vielsagenden Blick zu, "ging einem echt auf den Senkel. Dabei ist der Kerl doch über Fünfzig... aber du bist viel cooler drauf, als ich dachte, Hohepriesterin." Er setzte sein Casanova-Grinsen auf und bekam einen Tritt gegens Schienbein von links. "Pass auf, was du sagst, die ist viel zu alt für dich", brummte ihm Ryume zu, "außerdem ist sie dir bei Weitem überlegen. Deine Sprüche ziehen bei solchen Frauen nicht." "Oh, nicht doch", meinte Kizuta belustigt, "ich finde den werten Herrn Gewittermagier sehr sympathisch. Ich wette, er hätte nichts dagegen, ein bisschen länger hier zu bleiben... sooo viel hübsche Natur hier." Ashi und Mikomi prusteten gleichzeitig in ihre Trinkbecher und Bacardi, Ryume und Tetsuno, die ihnen gegenüber saßen, gingen hastig in Deckung. Kizuta lachte auf und klopfte Mikomi auf die Schulter. "Da haben sich Zwei wiedergefunden... man merkt euch an, dass ihr Schwestern seid. Fehlt nur noch die Dritte im Bunde." Mikomi fing sie wieder und stellte ihren Becher hin. "Jetzt, wo du drauf ansprichst, Kizuta... ich hab die Sache mit Nami noch mal nachgeprüft. Ich bin mir sicher, es war die Fuhre von gestern." Kizuta nickte erfreut, alle anderen starrten die beiden Priesterinnen verständnislos an. "Ups", meinte Mikomi und warf Ashi einen entschuldigenden Blick zu, "wussten die etwa noch nicht alle, dass...?" Nein, wussten sie nicht. Das fiel Ashi in diesem Moment auch wieder ein. Tetsuno wusste ja schon lange von ihrer Vergangenheit, Ivy hatte sie inzwischen auch davon erzählt - aber was war mit DBO, Bacardi und Ryume? Die hatten keine Ahnung und wussten noch nicht mal, dass Ashi noch eine zweite Schwester hatte. Drei stechende Blicke löcherten Ashi. Die Windmagierin seufzte hilflos. Das konnte ein langes Mittagessen werden... "Wow." Bacardi schluckte heftig an seinem Omelett und warf Ashi einen entschuldigenden Blick zu. "Wahnsinn, Twister, hätte nie gedacht, dass hinter so nem Wirbelwind wie dir so ne ernste Sache steckt..." Ashi starrte auf ihren immer noch vollen Teller. Sie hatte mit der Sprache herausgerückt und ihren Freunden alles über ihre Vergangenheit erzählt. Sie war es ihnen einfach schuldig gewesen. Ryume und DBO schwiegen beide betroffen. Der Wassermagier war sich zwar schon immer ziemlich sicher gewesen, dass hinter Ashis Fassade etwas ganz anderes steckte, aber das hatte er nun auch nicht erwartet. Ryume wusste anscheinend ebenfalls nicht, was sie sagen sollte. "Jetzt wisst ihr also Bescheid", sagte Ashi und wagte es, in die Runde zu sehen, "tut mir leid, dass ich es so lange vor euch verheimlicht habe." "Ist schon okay", meinte DBO und lächelte sie an, "wir hätten an deiner Stelle wohl alle die Klappe gehalten. Und jetzt hast du's ja hinter dir." Ashi bedachte ihn mit einem dankbaren Blick, dann ergriff Ivy das Wort und wandte sich an Mikomi. "Ähm, eine Frage... was meintest du vorhin wegen Nami? Du hast irgend etwas von einer Fuhre erzählt..." "Ach so, ja", Mikomi nickte und zog alle Aufmerksamkeit auf sich, "es ist so, dass am Nemui Kyojin zur Zeit recht seltsame Dinge vor sich gehen. Seit Songai an der Macht ist und die Stadt unter seiner Fuchtel hat, weiß keiner mehr, wie das alles enden soll. Er wünscht die Asahoshi zum Teufel und lässt sie in der ganzen Stadt verfolgen, aber um das Terrorgebiet der Gewitter-Yorukage kümmert er sich kein bisschen. Der Öffentlichkeit hat er zwar erzählt, dass die Asahoshi das größere Problem wären, aber ich glaube, so langsam riechen Kama-Tos Bürger den Braten." Sie wechselte einen kurzen Blick mit Kizuta und fuhr fort: "Wie auch immer, die Zeitungen quellen jedenfalls über mit Artikeln über die Asahoshi-Verfolgung, vom Terrorgebiet steht inzwischen keine Silbe mehr drin. Sehr praktisch für unseren Freund Songai, so kann er mit seinen Verbündeten im Osten nämlich verhandeln, ohne dass es jemandem auffällt. Vor einigen Wochen haben die Gewitter-Yorukage angefangen, geschlagene Asahoshi zu versklaven und sie klammheimlich in ihr Revier zu verschleppen. Es sind meistens Kinder, die bisher nicht besonders gut im Kartenzaubern sind und sich deshalb kaum wehren können. In diesem Gebiet herrschen Zustände wie im Mittelalter, obwohl es eigentlich ziemlich technisiert war... bevor die Yorukage es übernommen haben." Sie zuckte mit den Schultern. "Anfangs haben sie die Asahoshi einfach nur arbeiten lassen, um auf der faulen Haut liegen zu können; inzwischen bieten sie ihre Gefangenen aber auch als sogenannte billige Arbeitskräfte an und vermitteln sie an Geschäftsstellen. Die Asahoshi müssen schuften und den Lohn natürlich, ohne dass es jemand merkt, an die Yorukage weitergeben." "Das ist ja grässlich", stammelte Ivy und sah Mikomi ungläubig an, "wie - wie können diese Gewittermagier nur so unmenschlich sein, wir leben immerhin im einundzwanzigsten Jahrhundert...!" "Wenn ich das nur selber wüsste", brummte Mikomi, "was ich allerdings weiß, ist, dass Nami seit gestern ebenfalls als eine dieser billigen Arbeitskräfte lebt. Sie wurde mit ein paar anderen hoch zur Stadtverwaltung gebracht, wo anscheinend noch Angestelle gebraucht werden. Unsere kleine Schwester sitzt jetzt also in der Höhle des Löwen, direkt im Domizil unseres werten Möchtegern-Bürgermeisters." Ashi sprang von ihrem Stuhl auf und starrte ihre Schwester entgeistert an. "Aber - aber dann müssen wir sie retten!! Wir müssen sie da rausholen, Nami kann doch nicht bei diesem Monster arbeiten...!" DBO zog sie am Ärmel wieder nach unten und sie beruhigte sich ein wenig. "Schon gut, Ashi." Mikomi nickte ihr aufmunternd zu. "Wir wissen ja jetzt, wo sie steckt. Das bringt uns ein ganzes Stück weiter." Sie wurde unruhig und rutschte nervös auf ihrem Stuhl hin und her. "Es ist so... ich würde ja wirklich wahnsinnig gerne mit dir losziehen und sie da rausholen, aber... der Tempel... ich..." Ashi schüttelte ernst den Kopf und stand auf, um die Hand ihrer Schwester ergreifen zu können. "Ist okay, Miko. Ich verstehe dich. Du kannst hier nicht weg. Aber das macht mir nichts aus, ich schaff das auch alleine." Mikomi sah auf und in die wolfsgrauen Augen ihrer Schwester, die wieder dieses unheimliche Leuchten aufwiesen, das manchmal von Ashis Blick Besitz ergriff. Entschlossenheit, Mut und Verständnis konnte die Priesterin aus ihrem Blick lesen. Mikomi lächelte. "Ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann." "Und du kannst dich auf mich verlassen." DBO rumpelte von seinem Stuhl hoch und sah Ashi fest an. "DBO...?" "Ich komme mit dir, Ashi. Zusammen kriegen wir das hin." Ashi seufzte erleichtert. "Danke, DBO... das ist echt lieb von dir." Auch Bacardi erhob sich und beugte sich über den Tisch zu Ashi hinüber. Sein Gesicht war keine drei Zentimeter mehr von dem ihren entfernt und er grinste die Wind-Asahoshi breit an. "Irgendwie hätt ich mir denken können, dass sich unsere Wege doch noch mal kreuzen würden. Ryu-kun und ich wollten Songai sowieso mal in seinen dreckigen Yorukage-Arsch treten, da kommt's mir grad recht, dass du auch ein Wörtchen mit ihm zu wechseln hast..." Ashi grinste ebenfalls kampflustig. "Alles klar. Ziehen wir in die Schlacht, du allmächtige Kriegsmaschine, du." Sie kniff ihn in die Wange und der Gewittermagier heulte auf. "Aaaaau!!! Ja, sag mal, spinnst du total?? Bist wohl größenwahnsinnig geworden, oder..." Ryume packte ihn am Kragen und zog ihn auf seinen Platz zurück. "Ruhe", brummte sie, "wir sind hier in einem Tempel, nicht im Kindergarten." Bacardi knurrte sie an und warf Ashi dann einen beleidigten Blick zu. Die Windmagierin feixte und wandte sich dann der Drachen-Asahoshi zu. "Du kommst echt auch mit, Ryume?" Die Angesprochene zuckte mit den Schultern. "Klar. Warum nicht, du hast doch sicher nichts gegen Unterstützung... oder?" "Absolut nicht!" Ashi strahlte sie an. "Find ich cool, die Yorukage da oben werden ganz schön den Schwanz einziehen, wenn wir mit dem heiligen Element antraben...!" Ryume hob aufgrund Ashis überzeugendem Enthusiasmus zweifelnd die linke Braue, doch noch bevor sie etwas erwidern konnte (was die wortkarge Drachen-Asahoshi eigentlich eh nicht vorgehabt hatte), ergriff die Hohepriesterin wieder das Wort. "Okay, okay, immer mit der Ruhe", sie blickte in die Runde, "jetzt kriegt euch mal wieder ein. Alles weitere könnt ihr später noch besprechen, aber... jetzt haut erst mal rein, Leute, das ganze schöne Essen wird doch kalt!" Sie deutete anklagend auf die Köstlichkeiten, die immer noch kaum angerührt vor den Nasen der Asahoshi lagen, und wedelte mit der Hand. Ohne Widerspruch befolgten die anderen Kizutas Rat, da inzwischen allen heftig der Magen knurrte. Bis auf Bacardi, der schon die ganze Zeit über am Futtern gewesen war, hatte noch keiner etwas gegessen. Das holten sie jetzt nach. "Es ist gut, dass die anderen jetzt Bescheid wissen." Ashi ging unruhig in Mikomis Zimmer auf und ab. Mikomi grinste schief. "Sorry, dass ich mich vorhin verplappert hab... ich konnte ja nicht riechen, dass du es ihnen noch nicht erzählt hattest." "Was denn, wo bleibt die große Traumseherin Miko?", spöttelte Ashi und funkelte ihre Schwester an. Mikomi verdrehte die Augen. Der Tag war erstaunlich schnell vergangen und jetzt dämmerte es draußen bereits. Ashi und Mikomi hatten sich noch einmal zusammengesetzt, um ein wenig zu reden. Sie hatten sich einfach zu lange nicht mehr gesehen... es gab so Vieles zu erzählen. "Die große Traumseherin kann vielleicht Einiges in dir spüren, aber nicht in deinen Kopf reinschauen, Ashi. Was sie allerdings sehen kann, ist, dass du dich ziemlich verändert hast in den letzten Jahren..." Sie musterte Ashi von Kopf bis Fuß. "Du hast Einiges durchmachen müssen. Das hat dich gezeichnet." Ihr Blick blieb an der Narbe über dem linken Auge ihrer Schwester hängen. "Nicht nur äußerlich. Du hast dich ziemlich verschlossen, nachdem... nachdem es passiert ist, hab ich Recht?" Ashi sah zu Boden und strich nervös über ihren Arm. "Ja. Scheint so... ich hatte Angst." Mikomi nickte verständnisvoll. "Angst, wieder verletzt zu werden, wenn dir wieder jemand ans Herz wachsen würde. Das war nicht gut, aber ich hätte wohl genauso gehandelt." "Ich hab es ja aufgegeben", sagte Ashi leise, "mit der Zeit hab ich gemerkt, dass ich mich gegen meine eigenen Gefühle nicht wehren kann. Das ist etwas, worüber ich keine Kontrolle habe... ich hätte allein bleiben müssen. Aber ich konnte ja auch nicht wissen, dass mir die anderen so teuer werden würden..." "Das ist nur natürlich. Soweit ich deine Freunde bis jetzt kennengelernt habe, scheinen mir das alles echt liebe Typen zu sein. Kein Wunder, dass sie dir so viel bedeuten." Ashi grinste schief. "Ihr könnt direkt zur Stadtverwaltung hinaufgehen. Die Sperre wurde vor drei Tagen aufgehoben, anscheinend sind jetzt alle Systeme wieder repariert worden." Sie hob den Blick. "Aber sag mal, was ist mit Ivy und Tetsuno? Wollen sie nicht mit dir kommen? Sie haben vorhin am Tisch nichts dazu gesagt..." Ashi schüttelte den Kopf. "Nein, Ivy-chan will ihre Eltern besuchen, deswegen ist sie eigentlich mit nach Norden gekommen. Das hatte sie schon lange vor, ich kann es ihr nicht übel nehmen. Und Tetsuno..." Sie wusste nicht, wo sie hinsehen sollte und hielt sich den Kopf. "... Tetsuno hat andere Sorgen. Von ihm kann ich nicht verlangen, dass er mich noch weiterhin begleitet." Mikomi senkte den Kopf. "Er hat gelitten." Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Ashi nickte. "Ja. Genau wie ich. Wir scheinen dasselbe Schicksal zu haben... aber jetzt führen unsere Wege auseinander. Er läuft davon... wie ich damals." Sie lächelte traurig. "Wir sind so verschieden und doch sehen wir uns so ähnlich." "Er hat dir Einiges beigebracht, hab ich nicht Recht?" Mikomi schloss die Augen und legte ihre Hand auf Ashis Stirn. "Ich spüre eine neue Kraft in dir. Ich wusste schon immer, dass du eines Tages stärker als ich werden würdest, aber ich hatte keine Ahnung, dass es so früh geschehen würde..." Ashi wich zurück. "Was meinst du damit? Ich... ich bin nicht stark. Nicht so stark wie die anderen." Mikomi schüttelte den Kopf. "Nein, das siehst du falsch. In dir schlummert eine ganz besondere Kraft, Ashi. Sie war lange Zeit tief in dir verborgen, aber in den letzten Wochen hat sie sich nach oben gearbeitet. Noch ist sie nicht vollständig erwacht, aber das wird sie sehr bald." Sie sah ihre kleine Schwester ernst an. "Diese Kraft hat sich allein durch die Freundschaften, die du geschlossen hast, daran gemacht zu erwachen. Deine Freunde sind der Grund dafür, dass du so stark werden konntest. Sie haben dir sicherlich einiges an Technik im Kartenzauber beigebracht, aber sie haben dir auch innerlich Stärke gegeben. Solange du mit ihnen zusammen bist, wird dich niemand schlagen können, Ashi." Die Windmagierin lächelte matt. "Ja. Solange ich es noch bin." Mikomi wandte den Blick ab und ging auf eine gläserne Vitrine im Zimmer zu. Von dort holte sie das goldene Kästchen, das Ashi auf ihrem Weg von Süden mitgenommen hatte. Jetzt überreichte Mikomi es ihr. "Hier", sagte die Priesterin, "nimm es, Ashi. Es gehört dir." "Was...??" Entgeistert starrte Ashi vom Kästchen zu Mikomi und wieder zurück. "Wie - wie meinst du das, es gehört doch dem Tempel und ist viel zu wertvoll! Du kannst es nicht einfach so hergeben, was ist, wenn ich es verliere..." Mikomi schüttelte den Kopf und lächelte. "Ist schon okay, Ashi. Es war von Anfang an für dich bestimmt. Hier im Tempel kann niemand etwas damit anfangen. Ich habe Inori gebeten, es für mich zu holen, als es einem unserer Priester in die Hände gefallen ist. Meine Träume hatten mir vorausgesagt, dass ich dich eines Tages wiedersehen würde. Auf diesen Augenblick habe ich gewartet. Und wer hätte gedacht, dass ich die Zweite sein würde, die es dir übergibt..." Sie lachte leise. Dann nickte sie der immer noch sprachlosen Ashi zu. "Na los. Mach es auf." Ashi legte die Hand an das goldene Kästchen. In diesem Moment fielen ihr Tetsunos Worte von damals wieder ein. Irgendwann hältst du's ja doch nicht mehr aus und guckst rein. Sie grinste. Noch vor ein paar Wochen hatte sie ihm nicht geglaubt. Jetzt war es wirklich soweit... Sie öffnete den Deckel des Kästchens. Es war innen mit schwarzem Samt ausgelegt und enthielt nichts weiter als... "Eine Karte???" Ashis Kinnlade entgleiste. In diesem furchtbar wertvollen Kästchen lag tatsächlich eine weiße Zauberkarte. Mikomi lachte. "Was hast du erwartet? Den Osterhasen?" Ashi holte die Karte heraus und betrachtete sie staunend. Auf der Abbildung konnte man den von weißen Wolken verhangenen Himmel sehen, an dem ein prächtiger Falke seine Kreise zog. "Holy Hawk Flight", las Ashi ehrfurchtsvoll vor. "Klingt ziemlich beeindruckend, was?", bemerkte Mikomi vergnügt, "Und ich bin mir sicher, wenn du sie einsetzt, wird sie noch beeindruckender sein. Jemand anderem würde ich das nie zutrauen. Aber du kannst sie beherrschen, das weiß ich." Ashi warf ihrer Schwester einen zweifelnden Blick zu. "Das ist eine Priesterkarte", erklärte Mikomi, "nur die Rachekarten übersteigen die Kraft dieser Kartenart. So was Mächtiges fällt dir nicht alle Tage in die Hände." Ashi schüttelte entschieden den Kopf. "Vergiss es. Nimm das Ding wieder zurück. So eine Karte kann ich nicht einsetzen, dafür bin ich viel zu schwach, ich kann sie nicht kontrollieren..." "Hey, das mit dem schwach hatten wir doch heute schon mal." Mikomi grinste. "Vertrau mir. Du schaffst das. Glaub an dich selbst." Ashi zögerte. Sie betrachtete die Karte eine Weile lang respektvoll, dann nickte sie leicht und steckte sie in ihre Hosentasche. Ihre Schwester lächelte stolz und fasste sie bei den Händen. "Okay, das hätten wir. Versprich mir, dass du Nami da rausholst, ja? Wenn es nötig ist, mit dieser Karte... du musst es schaffen, Ashi." Die Windmagierin nickte entschlossen. "Du kannst auf mich zählen. Wenn ich zu dir zurückkomme, ist Nami bei mir. Und ich werde zurückkommen. Versprochen." Ashi schlief unruhig in der folgenden Nacht. Sehr unruhig. Sie war viel zu aufgeregt und wachte ständig auf, wälzte sich in ihrem Bett herum und warf immer wieder einen Blick zu Ivy ins andere Bett, nur um festzustellen, dass die Naturmagierin wie ein Stein schlief. So war es auch nicht verwunderlich, dass Ashi hellhörig wurde, als tief in der Nacht vor ihrem Zimmer leise Schritte erklangen. Die Windmagierin blinzelte und spitzte die Ohren. Die Schritte kamen näher. Sie wurden deutlicher, waren aber immer noch kaum zu hören... fast, als ob derjenige, von dem sie stammten, nicht auffallen wollte. Als Ashi glaubte, sie wären direkt vor der Tür, verstummten die Schritte für einen Moment. Es hätte Ashi nicht gewundert, wenn die Tür jetzt aufgehen würde, doch die Schritte entfernten sich wieder. Diesmal in die andere Richtung. Und schneller. Da kam Ashi plötzlich ein furchtbarer Verdacht. Hastig und doch so leise wie möglich, um Ivy nicht zu wecken, krabbelte sie aus ihrem Bett und öffnete die Tür. Der Gang lag wie ausgestorben vor ihr. Es war niemand da. Die Schritte waren kaum noch zu hören. Ashi schloss die Tür und rannte los. Sie sprintete auf Katzensohlen durch den schlafenden Tempel auf das Eingangsportal zu, das wie immer geöffnet war. Als sie hinausgestürmt war, sah sie endlich denjenigen, der für die Schritte verantwortlich gewesen war. Im Schatten der Nacht stand eine Gestalt vor dem Tempel und machte sich jetzt unsicheren Schrittes auf der Straße nach Osten davon. "Tetsuno!!" Ashi hastete hinterher und holte die Gestalt ein. Überrascht drehte sich der Feuermagier zu ihr um - und wurde bleich, als er sie erkannte. "Ashi-chan", fauchte er, "was machst du um diese Zeit noch hier draußen, du solltest schon längst..." "Schlafen??" Ashi schnaubte verächtlich. "Ja, das sagt der Richtige. Wenn DU nicht gewesen wärst, würde ich jetzt vielleicht sogar schlafen. Du wolltest ohne einen Abschied einfach so abhauen, gib es doch zu!!" Tetsuno schluckte. Die Windmagierin kochte, die Zornesröte stand ihr im Gesicht und ihre Fäuste zitterten - aber warum eigentlich? Das konnte sich Tetsuno nicht erklären. "Okay, okay, du hast ja Recht", brummte er schließlich und steckte die Hände in die Hosentaschen, "ich war noch nie ein Freund von Begrüßungen oder Abschieden. Das wär mir alles zu viel geworden. Das ganze Händeschütteln, eventuelle Tränenausbrüche von Seiten gewisser Naturhexen..." Er zuckte mit den Schultern. "Versteh mich doch." Ashi schüttelte energisch den Kopf. "Das kann ich nicht. DU kannst das nicht. Nicht machen, mein ich..." Ihre harte Miene wich. Betrübt sah sie zu Boden. "Einfach so davonzuschleichen... hast du dir mal überlegt, was die anderen dann von dir halten würden? Vielleicht wollten sie dir ja noch was Wichtiges sagen..." "Blödsinn", murrte Tetsuno. "Ist es nicht." Ashi sah ihn trotzig an. "Was soll ich ihnen denn morgen erzählen? Dass ich dich nicht aufhalten konnte? Das kommt nicht gut, werter Herr Feuermagier, überhaupt nicht gut. Das klingt so, als würden wir dir alle überhaupt nichts bedeuten. Willst du das wirklich so im Raum stehen lassen und abhauen?" Tetsuno wandte den Blick ab. "Ich hab mich entschieden. Ich kann jetzt nicht wieder umdrehen. Sag ihnen, dass es mir leid tut... für einen Abschied bin ich einfach nicht stark genug." Er lächelte schief. Ashi standen die Tränen in den Augen. "Hör schon auf!", rief sie verzweifelt, "Du warst immer stärker als ich, ich konnte dich nur ein einziges Mal besiegen..." "Das könntest du immer noch", unterbrach sie Tetsuno und sah ihr in die Augen, "aber diesmal werde ich es nicht so weit kommen lassen. Ich muss gehen, solange ich noch kann. Leb wohl, Ashi-chan... halt die Ohren steif und viel Glück." Ashi kam nicht einmal mehr dazu, ihn verständnislos anzusehen - in Sekundenschnelle spürte sie die Hitze von Feuer und dicker Rauch hüllte sie ein. Hustend wedelte sie mit den Händen und versuchte sich Luft zu verschaffen. Mit zusammen gekniffenen Augen bahnte sie sich einen Weg aus der Rauchwolke. Als sie endlich wieder klar sehen konnte und der Qualm sich gelegt hatte, war Tetsuno verschwunden. Ashi stand alleine vor dem Tempel und starrte fassungslos in die Nacht hinein. Tränen rannen über ihr Gesicht und sie holte keuchend Luft. "DU MONSTER!", brüllte sie Tetsuno hinterher, "DU... DU MIESES ARSCHLOCH! GEFÜHLLOSER MISTKERL!! ICH HASSE DICH!!!" Schluchzend brach sie vor der Tempelpforte zusammen. Part 25: Zu viert bergauf "Starkes Stück." Bacardis Zigarette wippte in der Hand des Gewittermagiers auf und ab. Seine Miene war finster. "Hätt ich nicht von ihm erwartet." "Dieser Feigling", knurrte DBO verhalten, "was glaubt der eigentlich, wer er ist..." "Beruhigt euch wieder", meinte Ivy ungeduldig, "versucht doch mal ihn zu verstehen. Er hat es nun mal nicht leicht..." "Das gibt ihm noch lange nicht das Recht dazu, sich ohne ein Wort einfach so zu verziehen!", fauchte DBO. Ashi schwieg und starrte in den Morgennebel, der vor dem Tempel lag. Sie hatte ihren Freunden eben erzählt, was in der gestrigen Nacht passiert war. Sie hatte es hinausgeschoben, um die anderen nicht gleich beim Frühstück damit zu überfallen, hatte etwas davon gelabert, Tetsuno habe verschlafen, sich verspätet... nun war es heraus und wie hätte es anders sein sollen, keiner von Ashis Freunden war sonderlich begeistert. Jetzt standen sie zu fünft vor dem Himitsu-Tempel und waren fertig zur Abreise. Von Kizuta hatten sie sich bereits verabschiedet, die Hohepriesterin hatte ihnen alles Gute gewünscht und versprochen, für sie zu beten. Mikomi war gerade auf dem Weg zu ihnen, um ebenfalls Abschied zu nehmen. Nun trat sie aus der Tempelpforte und alle wandten ihr den Blick zu. Mikomi lächelte matt. "Dann ist es jetzt wohl soweit. Grässlich, dass wir so früh schon wieder Lebewohl sagen müssen... ich hatte gar keine Zeit, euch alle richtig kennen zu lernen." Sie sah DBO, Ivy, Bacardi und Ryume entschuldigend an. "Hoffentlich sehen wir uns mal wieder, ich würde mich sehr freuen..." Sie überreichte jedem in der kleinen Gruppe einen Rucksack, in dem sich Verpflegung für die bevorstehende Reise befand. Kizuta hatte sich großzügig gezeigt, sie wollte, dass es den Asahoshi an nichts mangelte. "Alles vorbereitet", stellte Ashi fest, nachdem sie sich ihren alten Rucksack wieder umgeschnallt hatte und blickte ihre Schwester betrübt an, "dann müssen wir jetzt wohl..." Mikomi nickte seufzend und nahm Ashi in den Arm. "Pass auf dich auf, kleine Schwester", murmelte sie und schluckte schwer, "ich verlass mich auf dich. Hol Nami da raus und komm zu mir zurück... jetzt, wo ich dich endlich wieder habe, will ich dich gar nicht mehr gehen lassen..." Eine Träne kullerte über die Wange der Priesterin. Ashi schniefte ebenfalls. "Du kannst auf mich zählen, Miko. Ich komm zurück. Mit Nami. Versprochen..." Nur widerwillig ließ Mikomi ihre Schwester los und verabschiedete sich auch von den anderen. Als sie fertig war, trat sie einen Schritt zurück und lächelte noch einmal in die Runde. "Ihr seid hier alle jederzeit willkommen. Die Pforte des Himitsu-Tempels wird immer für euch offen stehen... es wäre schön, wenn wir uns wiedersehen würden." Sie wischte sich ein paar Tränen aus dem Gesicht. "Viel Glück, meine Freunde. Lasst euch nicht unterkriegen. Ich glaube an euch. Erzählt Songai mal ein paar Takte und verpasst ihm von mir nen persönlichen..." Sie hielt inne, trat aus dem Tempel auf die Straße hinaus und brachte ihren Satz zu Ende: "Arschtritt." Dann räusperte sie sich und stellte sich wieder auf die Schwelle. Ashi grinste sie an. "Wird erledigt. Bis bald, Miko... wir sehen uns." Mikomi winkte ihnen noch hinterher, als die kleine Gruppe sich endlich einen Ruck gab und sich auf den Weg nach Süden machte, wo der Nemui Kyojin riesenhaft hinter den Häusern in die Höhe ragte. Ivy ging noch ein Stück mit den anderen, bis die Straße nach Osten abzweigte. Die letzte gemeinsame Strecke war für alle viel zu kurz, sie erreichten die Gabelung noch vor der Dämmerung. Sie waren extra langsam gelaufen, aber irgendwann kamen sie dann doch an. Ziemlich hilflos blieb Ivy an der Gabelung stehen, blickte nach Osten und drehte sich dann zu ihren Freunden um. "Wir sind da", stellte sie unnötigerweise fest und sah bedrückt zu Boden, "jetzt gibt's kein Zurück mehr, Leute... Hier trennen sich unsere Wege." Sie seufzte tief und lächelte die anderen an. "Ihr kriegt das hin, das weiß ich. Ihr seid die stärksten Asahoshi Kama-Tos, wer soll ne Truppe wie euch schon aufhalten?" Sie lachte auf, doch schon bei diesen Worten stand ihr das Wasser in den Augen. Die anderen schluckten. Ivy riss sich zusammen, trat auf Bacardi zu und umarmte ihn. "Pass auf Ashi-chan auf, hörst du?", flüsterte sie dem Gewittermagier ins Ohr, "Lass nicht zu, dass ihr was passiert... bitte. Und sei vorsichtig." Bacardi nickte und strich Ivy durch ihr langes Haar. "Logisch. Halt die Löffel steif, Ive... wir sehen uns wieder, okay?" Die Naturmagierin nickte und schniefte. Bacardi grinste. "Dann nehm ich dich ne Runde auf meiner Maschine mit." Ivy lachte und wischte sich ein paar Tränen aus dem Gesicht. "Alles klar, Bacardi..." Sie löste sich von dem Gewittermagier und ging zu Ryume über. Die Drachen-Asahoshi kam nicht drum herum, auch sie wurde von Ivy in den Arm genommen und ließ es - oh Wunder - stillschweigend über sich ergehen. "Mach's gut, Ryume... und achte auf dich. Ich weiß, dass du furchtbar stark bist, aber bitte geh keine Risiken ein." Ryume schloss die Augen und drückte Ivy kurz an sich. "Wird gemacht... aber hör auf zu heulen, verdammt..." Sie schluckte krampfhaft. DBO war an der Reihe und wurde ebenfalls umarmt. "Bye, DBO", krächzte Ivy, die fast an ihren Tränen erstickte, "ich... ich werde dich ganz schön vermissen..." Der Wassermagier seufzte tief und hielt sie fest. "Du wirst mir auch fehlen, Poison", murmelte er traurig. Als Ivy bei Ashi angekommen war, konnte sich die Naturmagierin nicht mehr halten. Sie schluchzte los und fiel Ashi um den Hals. Die Wind-Asahoshi versuchte erst noch, sie zu trösten, fing schließlich aber auch an zu weinen. Ivy brachte ein paar unverständliche Sätze zwischen den Zähnen hervor, die sich nach einem Abschied und dem Versprechen anhörten, dass sie, nachdem sie ihre Eltern besucht hatte, zum Tempel zurückkommen und dort auf Ashi warten würde. Unmengen von Tränen, Versprechen und tröstender Worte flossen, dann machte sich Ivy von ihrer Freundin los, richtete ein paar letzte, kaum verständliche Worte an die kleine Gruppe und lief winkend und schniefend die Straße nach Osten entlang davon. Der Regen fiel unaufhörlich vom dunklen Himmel und tauchte die hereinbrechende Nacht in flackernde Dunkelheit. Ashi saß unter dem Vordach eines verlassenen Hauses und starrte gedankenverloren durch den grauen Schleier zum verhangenen Mond auf. Ihr war kalt. Jetzt hatten sie niemanden mehr dabei, der einfach mal auf die Schnelle ein Feuer heraufbeschwören konnte - ein gravierender Nachteil, der sich jetzt schon bemerkbar machte. Die anderen drei hatten sich im Haus verschanzt, wo es noch einigermaßen warm war. Obwohl doch eigentlich bald Sommer war, wurden die Nächte zusehends kälter. Ashi konnte sich nicht erklären warum. Es war ihr auch egal. Sie hatte andere Sorgen und musste sich auf ihr Ziel konzentrieren. Die Umstände zählten nicht. Es gab nur eines, was sie wollte - so schnell wie möglich mit Nami zu Mikomi zurückkehren und die Tyrannei Songais beenden, damit die Asahoshi wieder in Frieden in Kama-To leben konnten. An etwas anderes durfte sie nicht denken. Ashi zuckte zusammen, als sie jemand an der Schulter berührte. Aber es war nur DBO, der ihr eine Decke umgehängt hatte und sich jetzt neben sie setzte. Ashi lächelte leicht. "Danke." DBO warf ihr einen besorgten Blick zu. "Du bist ziemlich down, schon den ganzen Abend über. Kann ich dir irgendwie helfen?" Ashi schüttelte den Kopf. "Nein, ist schon okay. Ich denke nur viel nach... wahrscheinlich zuviel. Ich krieg schon langsam Kopfschmerzen..." "Er hat dich verletzt." DBO starrte finster in den Regen. Verwirrt suchte Ashi seinen Blick. "Was meinst du?" Der Wassermagier sah sie nicht an. "Kasai ist ein Idiot. Wäre er noch hier und nicht so feige davongelaufen, hätte ich ihn jetzt einen Kopf kürzer gemacht..." "Wenn er nicht weggelaufen wäre, hättest du keinen Grund dazu", entgegnete Ashi. DBO schien überrascht. "Eigentlich hatte ich jetzt erwartet, dass du ihn in Schutz nimmst." Ashi schüttelte ungerührt den Kopf. "Warum sollte ich. Gibt keinen Grund dazu. Er ist weg, also denke ich auch nicht mehr weiter über ihn nach..." DBO lachte leise. "Ja klar, sicher doch. Nicht mal eine Sekunde hast du heute an ihn gedacht, richtig?" Ashi biss sich verbittert auf die Unterlippe. Sie hatte DBO vorenthalten, dass sie sich gestern Nacht in die Schlaf geweint hatte. Sie wollte es sich selbst nicht eingestehen, aber Tetsunos Verhalten hatte sie schrecklich verletzt. "Und jetzt hat uns Poison auch noch verlassen... hoffen wir mal, dass wir wenigstens zu viert bleiben." DBO lenkte ein paar Regentropfen um und ließ sie vor sich in der Luft schweben. Die beiden schwiegen eine Weile. Dann meinte DBO: "Es ist... seltsam, oder? Irgendwie viel zu ruhig... ganz ungewohnt... es ist..." "... anders", bestätigte Ashi, "und einfach nicht mehr dasselbe." Sie blickte zu DBO auf. "Aber das ist egal", meinte sie fest, "ich muss damit zurechtkommen. Für mich zählt nur noch eines - das zu schaffen, was ich mir vorgenommen habe. Und das hat nun mal nichts mit Ivy-chan oder Tetsuno zu tun." Der Wassermagier warf ihr einen zweifelnden Blick zu. "Komm bloß nicht auf die Idee, dich schon wieder zu verschließen, Ashi. Deine Einstellung ist okay, aber es ist auch okay, wenn du an die anderen denkst. Es ist selbstverständlich. Wir alle vermissen die beiden." "Die beiden?" Ashi lachte leise auf und grinste DBO an. "Soll das heißen, du vermisst Tetsuno auch? Den großen, bösen, gefährlichen Kasai...?" DBO konnte nicht lachen. "Ich weiß nicht so recht... es ist nicht so, dass ich ihn wirklich vermisse, aber... es fehlt einfach irgendwas, wenn er nicht da ist." Insgeheim stimmte ihm Ashi zu. Wieder herrschte eine Weile lang Stille, dann wollte die Wind-Asahoshi leise wissen: "Warum behauptest du immer wieder, er sei gefährlich, DBO? Ich versteh das nicht... ich hab lange darüber nachgedacht, aber ich komm einfach nicht drauf." Der Angesprochene starrte wieder in den Regen. "Willst du das wirklich wissen?" Ashi nickte. "Ich hab dir doch von dem Kerl erzählt, dem ich diese Narbe über meinem Zeichen verdanke. Dass ich immer noch Respekt vor ihm habe, auch wenn man das nicht wirklich merkt." Ashi kam ein grässlicher Gedanke. "Wir waren schon seit unserer Kindheit wie Nordpol und Südpol. In allem was wir taten, stießen wir uns ab. Ständig gerieten wir aneinander. Als wir beide Vierzehn waren, hatten wir zum ersten Mal einen richtigen Hass aufeinander. Damals ging es um ein Mädchen. Ich weiß heute nicht mehr genau, was eigentlich mit uns los war... wir waren beide total in sie verschossen und sind aus irgendeinem Grund mächtig in Clinch geraten. Schlägereien waren nichts Seltenes in unserer Clique, aber das war die erste richtig heftige, bei der auch Zauberkarten benutzt wurden. Wir waren so wütend aufeinander, dass wir keine Rücksicht mehr nahmen. Der Kampf endete damit, dass er mir mit seinem Schwert fast den Schädel aufgeschlitzt hätte, wenn ich nicht noch im letzten Moment in Deckung gegangen wäre. Mein Hass auf ihn blieb bestehen, auch wenn ich sein Können respektierte. Er hatte mich geschlagen und das musste ich akzeptieren. Zwei Jahre lang gingen wir uns aus dem Weg... dann haute er ab. Als ich ihn wieder traf, dachte ich, er hätte sich kein Stück verändert... aber ich lag falsch." DBO schluckte schwer. "Verdammt falsch... die letzten Monate hatten ihn furchtbar gezeichnet. Zuerst ist es mir nicht aufgefallen, aber... er ist jetzt viel sensibler als früher. Deswegen kann ich ihn jetzt nicht mehr hassen." Ashi bedeckte ihr Gesicht mit den Händen. "Wie schrecklich", murmelte sie entgeistert. "Eine Weile lang dachte ich, jetzt wär er echt in Ordnung - aber da hab ich mich wohl getäuscht. Das weiß ich seit heute morgen", meinte DBO finster. Die Windmagierin schüttelte fassungslos den Kopf. Jetzt wusste sie überhaupt nicht mehr, was sie denken sollte. Wohin sie auch blickte - alles war vernebelt. Nichts mehr zu erkennen. Der Pfad vor ihr lag tief im Dunkeln. Zwei Tage gingen ins Land, ohne dass sich die Situation in der Gruppe sonderlich veränderte. Alle Vier waren niedergeschlagen und kamen nicht mehr richtig in die Gänge. Aufgesetzte Fröhlichkeit und künstliche Neckereien vermittelten ein falsches Bild. In Wirklichkeit wusste jeder, dass sie alle gleich fühlten. Sie vermissten Ivy und Tetsuno. Ohne sie fehlte einfach etwas. Es war, wie Bacardi am dritten Tag verkündete, irgendwie so, als ob sie alle ein richtig fettes, leckeres Sandwich gewesen wären - ohne Ketchup und Salat schmeckte es einfach nicht mehr. Trotzdem schlugen sie sich in einigermaßen schnellem Tempo weiter zum Nemui Kyojin durch. In einer halben Woche würden sie es geschafft haben, vermutete DBO. Sie erreichten schnell ein aufgegebenes Industrieviertel, in dem Dutzende von alten Fabriken und Lagerhallen herumstanden, die schon lange nicht mehr genutzt wurden. Es war, als hätten sie eine Geisterstadt betreten. Beklemmende Stille, überall nackte Metallklötze von Gebäuden und keine Menschenseele in Sicht. Am dritten Tag nach ihrer Abreise vom Tempel wählten sie eine alte, verlassene Fabrik als Lagerplatz. Keine besonders angenehme Atmosphäre, aber es war besser als draußen zu übernachten, wo gerade ein fürchterlicher Sturm tobte. Die vier Asahoshi hatten sich neben eine alte Maschine gesetzt und in ein paar Decken eingewickelt. DBO war seit einigen Minuten in der Fabrik auf Streife, er suchte nach Brennmaterial. Ashi, Bacardi und Ryume saßen an die kalte Maschine gelehnt auf dem Stahlboden und starrten gedankenverloren durch die Gegend. Der Sturm rüttelte an den alten Wänden und pfiff durch einige zerschlagene Fensterscheiben weit über ihnen. Ashi blickte sich um. "Was hier wohl mal hergestellt worden ist?", fragte sie sich laut. Bacardi zuckte mit den Schultern. "Keine Ahnung. Irgendwas aus Stahl vermutlich." Sein Blick schweifte über die rostigen Maschinen. "Der Kasten hat jedenfalls was Unheimliches. Kein Wunder, dass er aufgegeben wurde... ich hätte hier nicht gern gearbeitet." Unheimlich. Ashi fuhr ein Schauer über den Rücken. Bacardi hatte schon Recht, besonders wohl fühlte sie sich hier nicht gerade... Für einen Moment lang wurde sie abgelenkt und warf den Kopf zur Seite - da war doch ein Geräusch gewesen! Ashis Herz pochte einen Takt schneller und sie fixierte ein paar alte Turbinen in der Nähe. Hatte sie da eben einen Schatten gesehen, der dort nicht hingehörte? "Hey." Ashi ließ einen spitzen Schrei los, wirbelte herum - und sah in das überraschte Gesicht von DBO, der mit einem Haufen Brennholz im Arm vor ihr, Bacardi und Ryume stand. "Was denn?", wollte er verständnislos wissen, "Geht's dir nicht gut, Ashi?" Die Windmagierin ächzte. "DBO, spinnst du?? Du kannst mich doch nicht so erschrecken... mir wär fast das Herz stehen geblieben." DBO musterte sie kritisch. "Seit wann bist du so schreckhaft?" Ashi atmete tief durch, als er das Brennholz auf den Boden vor sich legte. "Ist schon gut. Sorry. Ich hab nur... ach, vergiss es. Nicht so wichtig." Schnell lenkte sie vom Thema ab und deutete auf das Holz. "Wo hast du das gefunden?" "Im Heizraum", antwortete der Wassermagier, "frag mich jetzt nicht, aus welchem Jahrhundert diese Fabrik überhaupt stammt. Ich kann's dir echt nicht sagen. Einerseits ist hier alles verchromt, andererseits heizen die noch nicht mal mit Öl..." Er klopfte sich die Hände an seiner Hose ab und deutete auf die Eingangstür, durch die sie gekommen waren. "Ich hau noch mal schnell ab und seh zu, dass ich draußen ein paar Steine finde, wo wir das Zeug drauflegen können. Wenn ich das auf dem blanken Stahlboden anzünden würde, wär's uns ziemlich schnell verdammt heiß unterm Hintern. Also, bis gleich." Er marschierte davon. Ashi sah ihm nervös hinterher, bis er die Tür hinter sich geschlossen hatte, dann starrte sie das Brennholz an. Ryume warf ihr einen Blick zu, der stark an Röntgenstrahlen erinnerte. "Du hast doch irgendwas, Ashi. Was ist los? Liegt's an der Fabrik?" Die Angesprochene glaubte, ein leises Quietschen von rechts zu hören und sah sich hilflos um. "Da hinten... bei den Turbinen... ich glaub, da ist irgendwas", presste sie zwischen den Zähnen hervor. Im nächsten Moment meinte sie, ein leises Tappen wie von Füßen zu vernehmen. Bacardi folgte ihrem Blick überrascht, Ryume legte mit finsterer Miene den Kopf schief. "Jetzt, wo du's sagst... ich wunder mich auch schon die ganze Zeit über, was da hinten ist." "Ich hab mir eingebildet, einen Schatten gesehen zu haben... und da waren Geräusche", flüsterte Ashi unruhig. Ryume schüttelte den Kopf. "Das war keine Einbildung. Ich hab es auch gesehen und gehört. Ich bin dafür, dass wir das checken." Sie stand auf. Bacardi und Ashi erhoben sich ebenfalls und folgten der Drachenmagierin, die jetzt auf die Turbinen zuhielt. Dort angekommen schritt sie hinter die Maschinen und ließ ihre eisigen Augen die Gegend absuchen. Auch Ashi und Bacardi streiften umher, auf der Suche nach dem Schatten oder der Geräuschquelle. Doch sie konnten nichts finden, so sehr sie sich auch anstrengten. "Das gibt's doch nicht", keuchte Ashi hysterisch, als sie zum dritten Mal eine der Turbinen umrundet hatte, "haben wir schon die gleichen Hirngespinste oder was??" "Entweder es ist ein Phantom", meinte Bacardi und verschränkte mit düsterer Miene die Arme, "oder irgend jemand treibt hier ein ziemlich fieses Spielchen mit uns." Dann hörten sie plötzlich DBO ihre Namen rufen. "Ashi?? Bacardi, Ryume?? Ey, Leute, wo habt ihr euch denn hin verzogen? Ich hab die Warterei langsam satt, es wird gruselig ohne euch... außerdem krieg ich dieses dämliche Feuerzeug nicht mehr an." Die drei Asahoshi wechselten kurz ein paar Blicke. "Gehen wir zurück", meinte Ryume, "wenn wir noch mal was hören oder sehen sollten, reicht's mir. Dann filz ich diese Fabrik so lange, bis ich den Witzbold gefunden hab." Grimmig stapfte sie hinter den Turbinen hervor - und hielt mitten im Schritt und auch im Atemzug inne. Ashi und Bacardi traten neben sie. "Was ist denn, was schaust du so entgeistert?", erkundigte sich Bacardi. Ryume starrte wie betäubt auf den stählernen Fußboden. Die beiden anderen folgten ihrem Blick - und entdeckten eine Pfütze. Eine seltsam schimmernde Flüssigkeit war über den Boden verteilt, sie schien plötzlich überall zu sein... und sie war definitiv noch nicht da gewesen, bevor sie zu den Turbinen gegangen waren. "Ach, da seid ihr gewesen... ich hab mir schon Sorgen gemacht. Hey, na endlich, es funktioniert wieder!" Ashi, Bacardi und Ryume rissen die Köpfe in Richtung der Maschine, wo DBO auf sie wartete, gerade sein Feuerzeug angeschnippt hatte und es jetzt an das Brennholz hielt. "D, NICHT!!!", brüllte Bacardi aus Leibeskräften, "MACH DAS FEUER AUS, SOFORT!!!" Das Holz fing Feuer und DBO sah verwirrt zu ihnen hinüber. "Was?" "OH SCHEISSE!!! HAU AB, SCHNELL!!", krächzte Bacardi und riss Ashi und Ryume mit sich nach links. DBO verstand erst, was er wollte, als plötzlich ein Funken des Feuer auf den Boden übersprang - und im nächsten Moment eine Kettenreaktion auslöste. Er hatte es nicht bemerkt, aber die seltsame Flüssigkeit, die zweifellos Benzin war, befand sich auch auf dem Boden direkt neben der Maschine, wo DBO gerade sein Feuerchen entzündet hatte. Binnen Sekunden stand alles um den Wassermagier herum in Flammen. Er schrie entsetzt auf und stolperte davon. DBO war völlig überrumpelt. Damit hatte er nicht gerechnet. Hastig hielt er nach den anderen Ausschau und entdeckte sie schließlich, wie sie alle drei so schnell wie möglich zwischen den Flammen hindurch auf die Ausgangstür zurannten. DBO überlegte nicht lange und spurtete hinterher. Er hatte sie bald eingeholt und lief nun neben ihnen. "Verdammte Scheiße", keuchte er und kämpfte sich durch die Flammen, "Was zum Geier soll das hier???" "Keine Ahnung", gab Ryume nervös zurück, "irgend jemand muss das Benzin hier verteilt haben, während wir hinter den Turbinen nach eben diesem Jemand gesucht haben..." "Yorukage", knurrte DBO finster und schrie im nächsten Moment auf, weil sich plötzlich eine riesenhafte Flammenwand vor ihnen aufbaute und ihnen den Weg zur Tür abschnitt. "Oh Schande!", heulte Bacardi auf, "Hier kommen wir nicht mehr durch, Leute!" Ryume packte ihn und die anderen beiden am Kragen und zog sie energisch zur rechten Seite weg. "Wir müssen hier raus", brummte sie und unterdrückte ein Husten, "es dauert nicht mehr lange, bis uns die ganzen Maschinen hier um die Ohren fliegen..." "Aber wie denn??", rief Ashi verzweifelt, "Ich hab hier nirgends eine zweite Tür gesehen... ihr etwa?" Keine Antwort. Ashi war schon kurz vor einer Panikattacke, als DBO sich vor den Kopf schlug. "Die Fenster!", fiel ihm atemlos ein und er deutete an der Fabrikwand nach oben, wo sich gut zehn Meter über ihnen eine Reihe teilweise eingeschlagener Fenster befand, "Vielleicht kommen wir so raus!" "Spinnst du?", ächzte Bacardi und begann zu husten, "Wie willst du denn da hochkommen?" DBO wies ihn auf das Gerüst hin, das sich über die ganze linke Wand erstreckte. "Damit. Was glaubst du denn, wie das die Fensterputzer bei denen gemacht haben?" Mit diesen Worten war er auch schon weg und raste auf eine rostige alte Metallleiter zu, die an der Wand stand und auf das wackelige Gerüst führte. Die anderen Drei schienen keine bessere Idee zu haben und folgten ihm stolpernd. DBO stand gerade auf der ersten Stufe der Leiter, als er plötzlich innehielt und sich wieder zur Halle drehte. Die anderen hielten überrascht neben ihm an und starrten ihn entgeistert an. "Was ist denn, leg'n Zahn zu!!", herrschte ihn Bacardi an. "Moment mal", murmelte der Wassermagier und griff in seine Hosentasche, "ich will nur schnell was ausprobieren..." Er förderte eine Zauberkarte zutage und zog sie über sein Zeichen. "Storm Tide!!" Eine riesige Flutwelle tauchte aus dem Nichts vor ihm auf, schwoll auf eine Größe von vier Metern an und schwappte auf den brennenden Fabrikboden. Ashis Herz machte einen Hüpfer, als die Flammen gelöscht schienen - doch da verschwand DBOs Welle auf einmal und das Feuer schoss wieder empor. Die Windmagierin ließ einen Laut der Ungläubigkeit ertönen und starrte DBO verständnislos an. "Scheiße", knurrte er und steckte seine Karte wieder weg, "das ist kein gewöhnliches Feuer... da hatten ein paar Elementzauberer die Finger im Spiel. Wir müssen hier raus, gegen diese Flammen hab ich keine Chance. Außerdem sind es zu viele. Kommt." Er packte Ashi an der Hand und zog sie mit sich die Leiter hinauf. Die vier Asahoshi rannten um ihr Leben. Die metallenen Netzstufen klapperten unter ihren Füßen und schienen überhaupt kein Ende nehmen zu wollen. Immer weiter kämpften sie sich hinauf, eine Treppe nach der anderen brachten sie hinter sich, sie schafften es auf halbe Höhe - dann blieben Ryume und Bacardi, die vorne gelaufen waren, urplötzlich und mit einem überraschten Schrei stehen, stolperten, taumelten, suchten das Gleichgewicht wieder und schafften es im letzten Moment, sich am Geländer festzuhalten. Vor ihnen hörte die Treppe einfach so auf und endete im Nichts. Sie war wohl schon seit einiger Zeit durchgebrochen, aber in der Hast, mit der sie ihren Fluchtweg gewählt hatten, war das keinem aufgefallen. Die nächsten Stufen waren gut zwei Meter entfernt und ein ganzes Stück weiter oben. Unter dem Loch zwischen den Stufen loderten bereits hohe Flammen. Part 26: Der große Knall Bacardi raufte sich die Haare. "Verdammt!! So was kann ja wieder mal nur mir passieren!!" "Cool bleiben", knurrte Ryume neben ihm, "uns betrifft das genauso. Außerdem sind zwei Meter doch nicht die Welt. Komm schon, das kriegst du hin! Wozu hast du denn bitte deine Muskeln und bist der Größte hier?" Bacardi starrte einen Moment lang respektvoll in die glühende Tiefe, dann schluckte er schwer und nickte. "Okay. Wir packen das. Macht mal Platz, ich brauch ein wenig Anlauf..." Die anderen wichen mit ihm ein paar Schritte zurück und Bacardi atmete tief durch. Dann sprintete er los und setzte über das Loch hinweg. Die Metalltreppe ächzte, als Bacardi auf ihr zum Halt kam und sich erleichtert am Geländer festklammerte. Ryume verlor keine Zeit und sprang als Nächste ab. Sie landete katzengleich vor Bacardi, drehte sich um und nickte Ashi und DBO zu. "Na los, macht schon, wir haben nicht ewig Zeit!" Die beiden Asahoshi sahen sich nervös an. "Ich kann das nicht", murmelte Ashi und blickte nach unten in die Flammenhölle. Alles begann sich vor ihren Augen zu drehen. Es war so heiß... sie konnte das Feuer fast schon spüren, wie es ihre Haut versengte und sie langsam auffraß. "Lass den Quatsch, denk positiv!", widersprach DBO und wedelte mit seiner Hand vor ihrem Gesicht herum, "Und schau vor allem nicht nach unten, du Dummkopf. Jetzt komm schon, wir springen gleichzeitig, okay?" Ashi wischte sich den Schweiß von der klatschnassen Stirn und nickte benebelt. DBO stellte sich neben sie und sie nahmen gemeinsam Anlauf. "Los!!", rief der Wassermagier und raste auf die Kante zu. Ashi startete im selben Moment und zusammen flogen sie über den Abgrund. Sicher landeten die beiden auf der nächsten intakten Stufe. Sie wollten gerade einen gleichzeitigen Seufzer der Erleichterung loslassen, als die Stufe unter ihnen plötzlich knackste. Sie knackste sogar verflucht laut. Und noch bevor einer der Vier ein dummes Gesicht machen konnte, krachte sie unter Ashi und DBO weg und fiel ins Feuer. Die beiden Asahoshi verloren den Boden unter den Füßen und fielen schreiend nach unten. DBO hatte gerade noch die Nerven, sich an der nächsten Stufe festzuklammern - nicht so Ashi. Der Wassermagier keuchte und hielt sich verzweifelt an der Metallstufe fest, während er nach unten blickte. Er bereitete sich auf das Schlimmste vor, doch dann stellte er erleichtert fest, dass Ashi nicht im Feuer lag. Sie war auf einen tieferen, sehr schmalen Teil des Gerüstes gefallen, der knapp über den züngelnden Flammen hing und nicht mehr besonders stabil aussah. Aber immerhin hatte er Ashis Fall noch abfangen können. DBO ächzte. "Dem Himmel sei Dank..." Im nächsten Moment wurde er von Ryume und Bacardi auf die Beine gezogen und die drei Asahoshi sahen nach unten. Ashi hatte sich bereits wieder aufgerichtet und nach einem weiteren Fluchtweg umgesehen. "Alles klar!", brüllte sie zu ihren Freunden hinauf und deutete nach rechts, wo das kleinere Gerüst weiter verlief, "Da hinten gibt's ne Treppe, durch die ich wieder auf eure Ebene komm! Ist noch ein ganz schönes Stück, aber das krieg ich hin! Lauft schon mal weiter!" Die Drei blickten in die Richtung, in die Ashi zeigte und nickten. "Okay", gab Bacardi zurück, "aber sei vorsichtig, Twister!" Dann rannten sie weiter. DBO, Bacardi und Ryume hechteten die demolierte Treppe empor, Ashi spurtete den schmalen Metallsteg unter ihnen entlang. Ihre Augen waren auf die Treppe fixiert, die in ungefähr zweihundert Meter Entfernung vor ihr lag und sie wieder zu den anderen hoch führen würde. Auf halber Strecke hörte sie plötzlich DBO über sich ihren Namen schreien. Verwirrt blieb sie stehen und blickte nach oben. "Was denn?" Die anderen standen vor einer Wendeltreppe, die steil nach oben ging. "Die führt in einem Stück bis hoch zu den Fenstern!", brüllte DBO ihr zu und deutete auf die Stufen, "Komm hierher, wenn du wieder oben bist, wir gehen schon mal vor und sehen nach, ob wir hier irgendwie rauskommen. Wer weiß, vielleicht wächst ja vor einem der Fenster ein Baum oder so was." Ashi nickte. "Alles klar. Bis dann." DBO folgte Bacardi und Ryume die Wendeltreppe hinauf, Ashi raste weiter. Es schien ihr wie eine Ewigkeit, bis sie die Treppe zur nächsten Ebene endlich erreicht hatte. Sie keuchte, schwitzte und war mit ihrer Kondition am Ende. Sicher, Tetsunos Training hatte sie in einigen Bereichen richtig gestählt und ihr mehr Kraft verliehen - aber Durchhaltevermögen war noch nie Ashis Stärke gewesen. Jetzt kämpfte sie sich die metallenen Stufen hinauf und war endlich auf Höhe der Wendeltreppe. Endspurt also. Ashi holte noch mal alles aus sich heraus und rannte los. Weit kam sie allerdings nicht, denn wieder erregte etwas anderes ihre Aufmerksamkeit: Ein Klirren, das ganz eindeutig von den Fenstern stammte. Sie hielt und starrte nach oben. Die anderen hatten gerade eine der Glasscheiben zertrümmert und sahen jetzt zu ihr hinunter. Sie waren zu weit entfernt, als dass Ashi sie verstanden hätte, aber DBO machte ihr durch Zeichensprache klar, dass hinter diesem Fenster eine Fluchtmöglichkeit sei und sie sich gefälligst etwas beeilen solle. Ashi signalisierte ihm, dass sie es kapiert hatte, und lief weiter. Als sie die Treppe erreicht hatte, rumpelte es im hinteren Teil des Gebäudes bedrohlich. Ashi wusste, was das bedeutete. Wenn sie sich nicht verdammt beeilten, würde ihnen sehr bald die ganze Fabrik um die Ohren fliegen. Darauf war Ashi absolut nicht scharf und so setzte sie ihre letzten Reserven ein. Von jetzt an blickte sie nicht mehr zu den anderen nach oben, ließ sich durch nichts mehr ablenken, auch nicht durch das erneute Klirren von Glas, das ertönte, als sie endlich auf Höhe der Fenster angekommen war, oder durch das seltsam monotone Geräusch, das gleich darauf hinter ihre erklang - Ashi sah jetzt nur noch auf ihren Weg. Während sie in der Ferne schon das Anfeuerungsgeschrei ihrer Freunde hörte - oder war es Angstgeschrei? - , merkte sie plötzlich, wie es unter ihren Füßen abermals knackte. Für einen Moment wollte Ashis Herz stehen bleiben und mit ihm auch ihre Beine. Dann aber riss sie sich zusammen und rannte blindlings weiter. Das durfte nicht passieren, nein, nicht schon wieder... diesmal würde sie einen Fall nicht überleben, sie war viel zu hoch droben... DBO, Bacardi und Ryume brüllten sich die Seele aus dem Leib, Ashi rannte und rannte mit vor Angst geschlossenen Augen, der Metallboden unter ihr knackste und knackste - dann gab er nach und stürzte unter den Füßen der Windmagierin in die Tiefe. Ashi hatte nicht einmal mehr Zeit, mit sich abzuschließen, zu schreien oder die Augen zu öffnen, da fühlte es sich plötzlich an, als wäre sie auf ein Trampolin gefallen. Der Wind kam nicht von unten, er kam von oben... es kam Ashi vor, als würde sie gerade in sehr seltsamer Haltung wieder nach oben geschleudert werden - und, Moment mal, warum fühlte es sich so an, als ob...?? Sie schlug ungläubig die Augen auf und fand sich in den Armen eines Jungen wieder, der sie gerade kurz vor ihrem Fall aufgefangen und mit ihr an eine sichere Stelle des Gerüsts gesprungen war. Ashis Kinnlade entgleiste. Sie wollte etwas sagen, bekam jedoch nur ein gequältes Husten heraus und ihr Blick verschwamm, weil die Hitze ihr die Tränen in die Augen getrieben hatte. Tetsuno machte sich gar nicht erst die Mühe, mit ihr zu reden, sondern riss den Kopf zur Seite, wo etliche Meter entfernt DBO, Bacardi und Ryume mit offenen Mündern vor dem eingeschlagenen Fenster standen und ihn anstarrten. "STEHT DA NICHT SO BLÖD RUM, RAUS HIER UND DANN LAUFT, WAS IHR KÖNNT!!!", brüllte er sie an, ließ Ashi mit einer Hand los und zog sein Schwert vom Rücken, mit dem er das nächstbeste Fenster einhieb. Die anderen Drei waren so überrascht, dass sie einfach gehorchten und sich aus ihrem Fenster schwangen, wo sie ziemlich unsanft in einem alten Laubbaum landeten. Hastig befreiten sie sich aus den spitzen Ästen und kletterten von dem Baum herunter. DBO hatte nicht übel Lust, ins Gras zu fallen und den Boden zu küssen, wurde aber von seinem Vorhaben abgebracht, da Ryume ihn am Kragen packte und mit sich von der Fabrik wegzog. Die drei Asahoshi liefen, so schnell sie ihre Füße noch trugen, so weit wie möglich weg von dem brennenden Gebäude. Keine Minute zu spät gingen sie hinter einem anderen Haus in Deckung und starrten entgeistert und keuchend auf die Fabrik zurück, die in diesem Moment ein lautes Stöhnen erklingen ließ, ächzte, knackte - und dann in einem gewaltigen Feuerball explodierte. Der Druck war so gewaltig, dass er sogar bis zu ihnen reichte und ihnen die Haare flattern ließ. Eine riesenhafte Rauchwolke breitete sich langsam aus, während Teile des Gebäudes in einem Umkreis von mehreren hundert Metern vom Himmel segelten und einen grässlichen Lärm veranstalteten, wenn sie auf dem Boden aufschlugen. "Wow", bemerkte Bacardi atemlos, "wenn ich jemals wieder ein Beispiel für das Wort KNAPP suchen sollte..." DBO packte ihn an der Schulter. "Darüber kannst du später nachdenken. Los, wir müssen jetzt erst mal Ashi und Kasai finden... wer weiß, wo die hingeflüchtet sind." "Ähm, wenn die Frage nicht zu dämlich ist", warf Ryume ein und klopfte sich den Staub aus den Klamotten, "hat EINER von euch VIELLEICHT nen Schimmer, wo der überhaupt so schnell herkam??" "Frag ihn das am besten selbst, das wüssten wir wohl alle zu gern", brummte DBO und marschierte in die Richtung los, in der er Tetsuno zum letzten Mal in der Fabrik gesehen hatte, "allerdings muss ich sagen, dass seine Präsenz dieses Mal echt erleichternd war, so selten das auch vorkommt..." Die Fabrik flog in die Luft und Ashi und Tetsuno gingen hastig hinter einer Lagerhalle in Deckung und beobachteten das Spektakel aus angemessener Entfernung. Als sie gemerkt hatten, dass die Explosion zu weit weg war, als dass sie etwas davon abbekommen könnten, atmeten beide im selben Moment erleichtert auf und rutschten, nach Atem ringend, an der Hauswand entlang zu Boden. "Schande", ächzte Ashi und wischte sich ihr nassgeschwitztes Blondhaar aus der Stirn, "das hätte verdammt ins Auge gehen können..." Dann wandte sie sich Tetsuno zu, holte tief Luft und bombardierte ihn mit Fragen: "Wo bist du so plötzlich hergekommen?? Wir dachten, nachdem du so einfach abgehauen bist, würdest du jetzt sonstwo rumlatschen und ahnungslose Leute löchern, ob sie nicht einen Fremdenführer gebrauchen könnten - aber nein, du tauchst einfach so aus dem Nichts in dieser verfluchten Fabrik auf und rettest mir zum - das wievielte Mal war es jetzt? - ach egal, jedenfalls rettest du mir mal wieder das Leben und ich bin noch nicht mal dazu gekommen, mich zu bedanken. Sollte ich vielleicht jetzt nachholen, ich..." Tetsuno stoppte ihren Wortschwall, indem er ihr einen genervten Blick zuwarf, ihr Gesicht an das seine zog - und sie küsste. Ashi war dermaßen perplex, dass sie erst ein paar Sekunden brauchte, um überhaupt zu kapieren, was er da gerade tat. Dann riss sie die Augen auf und Tetsuno ließ von ihr ab. Beide schwiegen sich an, Ashi fassungslos, Tetsuno zweifelnd. Ashi brachte keinen Ton heraus, Tetsuno jedoch atmete tief durch. "Darf... ich weitermachen?", fragte er schließlich unsicher. Die Windmagierin brauchte wieder einen Moment, um die Lage vollständig zu begreifen, dann hob sie die linke Augenbraue, unterdrückte ein Grinsen und schüttelte den Kopf. "Nein. Jetzt... bin ich dran." DBO, Bacardi und Ryume hetzten durch die verwinkelten Gassen des Industrieviertels. Sie waren schon minutenlang unterwegs, ohne etwas von den anderen beiden gesehen oder gehört zu haben. "Himmel noch mal", ächzte DBO nach einer Weile, "so weit können sie doch auch nicht gelaufen sein, Ashi war doch schon k.o., bevor sie da überhaupt rausgesprungen sind!" "Ganz ruhig bleiben, D, wir finden sie schon", beruhigte ihn Bacardi und patschte ihm aufmunternd auf die Schulter, sodass der Wassermagier drei Schritte nach vorne stolperte. Ryume stimmte Bacardi zu. "Wir müssen sie finden. Ich glaube, wir haben alle noch ein Hühnchen mit Tetsuno zu rupfen... der soll bloß warten, bis ich ihn in die Finger kriege." Bacardi grinste. "Hast Tet-chan wohl immer noch nicht verziehen, dass er abgehauen ist, ohne dir ein Abschiedsküsschen zu geben, was?" Ehe er sich's versah, hatte er auch schon Ryumes Faust im Gesicht und heulte wie ein Schlosshund auf. "Ey Mann, das hätt's ja jetzt wohl auch nicht gebraucht; war doch nur'n Witz!!" "Du bist widerlich", brummte Ryume und massierte sich das Handgelenk. Dann warf sie einen suchenden Blick durch die Gegend und begann plötzlich ebenfalls zu grinsen. "Außerdem war das eben sehr unpassend." Sie deutete an die Wand einer Lagerhalle, die gute hundert Meter von ihnen entfernt in der Nähe der zerstörten Fabrik stand. Bacardi, der sich beleidigt die Wange rieb, und DBO folgten ihrem Fingerzeig - und trauten ihren Augen nicht. Die Kinnlade des Gewittermagiers verlagerte sich um einige Etagen nach unten, DBO schwieg völlig verblüfft, während die Drei dort an der Halle tatsächlich ihre zwei vermissten Schäfchen entdeckten. Die beiden schienen allerdings ziemlich beschäftigt, da sie ihre Freunde überhaupt nicht wahrnahmen. Der Feuermagier saß an die Wand gelehnt auf dem Boden. Ashi fand sich auf seinem Schoß wieder, hatte die Arme um ihn geschlungen und beide waren in einem ziemlich langen Kuss versunken. Sie hielten erst inne, als plötzlich direkt neben ihnen ein lautes Räuspern erklang. "Tschuldigung", meinte DBO mit gehobenen Augenbrauen. "Ihr legt euch aber ganz schön ins Zeug, ihr Hübschen", stellte Bacardi grinsend fest. "Wir wollen ja nicht stören, aber...", bemerkte Ryume und trommelte ungeduldig auf dem Boden herum. Ashi kam dann doch ziemlich schnell wieder von Tetsuno herunter und wurde in Sekundenschnelle röter als ein Feuerhydrant. Tetsunos Gesichtsfarbe ähnelte stark der seines Kampfanzuges und er erhob sich ebenfalls. "Ähm... hallo", grinste er verlegen, "lange nicht mehr gesehen..." Ivy fehlt, schoss es Ashi durch den Kopf, Ivy würde diese dumme Situation jetzt in den Griff kriegen... dummerweise war Ivy aber nicht da und so musste Ashi ihren Part übernehmen. Sie räusperte sich also und blickte, immer noch hochrot im Gesicht, in die Runde. "Also... sollten wir nicht so langsam abhauen? Hier scheint ja nicht wirklich jemand zu leben, aber irgend jemand in der Nähe hat den Knall bestimmt gehört und die Feuerwehr informiert..." Schweigen. "Sicher", meinte DBO schließlich nickend, "bloß weg hier; lauft, was ihr könnt." Er konnte ein Grinsen jetzt ebenfalls nicht mehr unterdrücken und die kleine Gruppe setzte sich wieder in Bewegung, Richtung Süden. "Suchen wir uns einen anderen Lagerplatz für heute Nacht", schlug Bacardi vor, während sie durch das Industrieviertel schlenderten, "irgendwas, das nicht so leicht in die Luft fliegt... und wo wir's schön ruhig haben, damit uns unser long lost pyro hero mal berichten kann, was er hier eigentlich zu suchen hat." Eine halbe Stunde später, als es schon vollkommen dunkel war, hatten die fünf Asahoshi den Hinterhof eines großen Lagerhauses gewählt und saßen dort, wie herrlich, endlich mal wieder um ein Feuer herum, für das man nicht erst groß Brennholz suchen und sich mit kaputten Feuerzeugen herumschlagen musste. Ashi, DBO, Bacardi und Ryume mussten wieder einmal feststellen, wie sehr ihnen ihr "lebender Campingkocher" in dieser Beziehung doch gefehlt hatte. Auch Tetsuno bemerkte schnell, wie schön es doch war, abends nicht mehr allein am Feuer zu sitzen, sondern sich mit guten Freunden zu unterhalten... auch wenn die Unterhaltung heute Abend nicht unbedingt nach seinem Geschmack war. Er hatte das Feuer nämlich kaum angeschürt, als Bacardi ihn mit seinen Blicken fast durchbohrte. "So, Tet-chan, da wir ja jetzt alle hier versammelt sind und für heut Feierabend haben - beantworte uns doch mal bitte folgende Fragen: WO warst du die ganze Zeit über, WAS hast du gemacht, WIE konntest du auf einmal und in letzter Sekunde in dieser verfluchten Fabrik auftauchen und WOHER, zum Geier, dieser plötzliche Sinneswandel??" Das schien die anderen wohl auch ziemlich zu interessieren, da sich alle Tetsuno zuwandten und gespannt auf Antworten warteten. Der Feuermagier rutschte unruhig auf seinem Platz hin und her. "Okay...", sagte er und warf einen unsicheren Blick in die Runde, "ich komm wohl nicht drum rum, es euch zu erzählen." Er atmete tief durch und begann zu erklären. "Als ich vom Tempel abgehauen bin, bin ich zuerst der Straße nach Südosten gefolgt. Das war knapp an eurer Route vorbei. Ich wollte mal sehen, was im Terrorgebiet so abgeht und ob ich da vielleicht nützlich sein könnte, aber so weit bin ich gar nicht erst gekommen. Schon am ersten Morgen nach meiner Abreise bin ich von zwei ziemlich vertrauten Stimmen in der Nähe geweckt worden. Ich wusste erst mal gar nicht, wo ich mich überhaupt befand, dann wurde ich so langsam wach und hab gecheckt, dass da hinter der Mauer meines Nachtlagers jemand redete. Die beiden Stimmen kamen mir grässlich bekannt vor und ich hab gelauscht. Daiya und Ryo." Er hatte die letzten drei Worte kaum ausgesprochen, da erhob sich auch schon ein allgemeines Stirnrunzeln und genervtes Stöhnen. Tetsuno zuckte mit den Schultern. "Hörte sich verdammt nach Ärger an, was die Zwei besprochen haben. Die Rede war ganz klar von euch, sie haben Ivy und mich extra ausgeschlossen, woraus ich gefolgert hab, dass einer von den beiden wohl euren Abschied am Tempel gesehen hat. Daiya meinte jedenfalls irgendwas davon, wie lustig es doch wäre, euch mal wieder ein bisschen Feuer unterm Hintern zu machen, jetzt, wo ihr doch so allein und einsam im großen Industrieviertel seid. Das hat mir schon gereicht. Ich hatte mir ja eigentlich vorgenommen allein weiterzumachen, aber... dann konnte ich euch doch nicht einfach in euer Verderben rennen lassen." Er biss sich auf die Unterlippe und starrte zu Boden. Als Ashi ihm ein warmes Lächeln schenkte, fühlte er sich ermutigt und machte weiter. "Ich hab mich ihnen also an die Fersen geheftet. Zwei Tage lang hab ich ihren Schatten gespielt, am Morgen vom dritten Tag aber waren sie dann plötzlich verschwunden. Ich hatte ihre Spur verloren. Also hetzte ich den ganzen Tag über durch dieses verfluchte Industrieviertel; ich hatte echt keine Ahnung, dass es so groß werden konnte, wenn man jemanden sucht... viel Erfolg hatte ich aber nicht und als ich in der Abenddämmerung immer noch kein Zeichen von den Yorukage oder von euch finden konnte, bekam ich so langsam Panik. Ein wenig später allerdings sah ich etwas. Ein heller Schein, ganz in der Nähe... irgendwas sagte mir, dass ich mir das mal anschauen sollte, und dieses Etwas hatte recht. Die Quelle dieses Lichtes war die brennende Fabrik. Ich war kaum dort angekommen, als ich auch schon zwei Schatten davon rennen sah. Am liebsten wäre ich ihnen hinterhergelaufen und hätte ihnen ne gehörige Abreibung verpasst, aber dann konnte ich es nicht. Durch die Eingangstür kam ich nicht mehr in die Fabrik rein, also bin ich aufs Dach geklettert, um durch die Fenster zu steigen. Als ich direkt über den Fenstern war, hörte ich euch da drinnen die Seele aus dem Leib brüllen und hab die nächstbeste Scheibe eingedroschen." Er hob den Kopf. "Den Rest der Geschichte kennt ihr." Ryume pfiff anerkennend. Bacardi grinste Tetsuno an und meinte: "Cool, Bruder, echt cool. Schätze, wir haben dir Einiges zu verdanken... das macht deine feige Flucht vom Tempel wieder wett, würde ich sagen." Tetsuno senkte den Blick. "Sorry deswegen", murmelte er bedrückt, "das war echt nicht okay..." Bacardi hob gutmütig die Schultern und fischte eine Zigarette aus seiner Tasche. "Schon klar. Ich sagte doch, das ist vergeben und vergessen, du... HEY!!!" Zähnefletschend riss er den Kopf zu Ryume herum, die ihm soeben die Kippe aus der Hand geangelt und sie sich selbst angesteckt hatte. "Hör endlich auf damit, nimm gefälligst deine eigenen!!", fauchte er sie an. Ryume warf ihm einen gleichgültigen Blick zu. "Hab keine mehr. Sind mir im Tempel ausgegangen. Und in dieser gottverlassenen Gegend findest du noch eher einen Einwohner als einen Automaten..." "Das gibt dir noch lange nicht das Recht dazu..." Der Platz um die Feuerstelle herum leerte sich in Rekordzeit, da Bacardi und Ryume wohl noch länger über dieses Thema diskutieren und sich dabei gegenseitig anbrüllen wollten. Ziemlich schnell verdrückte sich die anderen Drei und ließen den Gewitter- und die Drachen-Asahoshi zankend am Feuer zurück. Tetsuno hatte sich auf eine der Außenmauern des Hofes gesetzt. Er betrachtete schweigend den Mond, blieb aber nicht lange allein. Sehr bald schwang sich noch jemand anderes auf die Mauer und begrüßte ihn mit einem leisen "Hey". "Hey", gab Tetsuno zurück und lächelte Ashi an. Stille. "Ähm...", setzte Ashi ungeschickt an, "ich... ich wollte nur sagen, dass..." Tetsuno hob die rechte Augenbraue. "Äh... danke." Ashi grinste verlegen. "Ich konnte mich immer noch nicht dafür bedanken, dass du mir das Leben gerettet hast." Schultern zuckend grinste Tetsuno zurück. "War doch klar. Wo ich schon mal da war... außerdem ist das bei uns beiden doch schon Standard." Die Windmagierin lachte leise. "Okay... also bin ich dann wohl als Nächste wieder dran." "Sieht so aus." "Ja..." "Hm..." Wieder Stille. Dann... "War das vorhin... ernst gemeint?" Ashi biss sich auf die Lippe. Tetsuno sah sie an. "Was jetzt?" "Der... Kuss." Sie wurde rot. "Jepp." Ashis Herz begann zu pochen. "Wow", seufzte sie und versuchte verzweifelt, überall hinzusehen, nur nicht in Tetsunos Augen, "das... kam ziemlich unerwartet, weißt du..." "Weiß ich. Kann ich mir zumindest vorstellen." Schweigen. Verdammt... was soll ich denn jetzt sagen...?? Und wie jetzt weiter...?? Dann holten beide gleichzeitig Luft und öffneten den Mund, um etwas zu sagen. Im selben Moment starrten sie sich allerdings an und prusteten los. Die Situation war aber zu verzwickt, als dass sie lange lachen konnten. Beide beruhigten sich schnell wieder und abermals kehrte Stille ein. Ashi fixierte ihre Schuhe und meinte leise: "Ich... ich hab dich ganz schön vermisst, als du... als du weg warst..." Tetsuno nickte langsam. "Ja. Ich dich auch..." "Hättest... hättest du das auch getan, wenn du nicht weg gewesen wärst...?" Der Feuermagier zuckte mit den Schultern. "Weiß nicht... wahrscheinlich hätte ich mich nicht getraut." Er grinste verlegen. "Und was erzählen wir jetzt den anderen? Ich meine, noch sind sie nicht drauf zu sprechen gekommen, aber... so wie ich Bacardi kenne..." "Ich werde ihnen wohl die Wahrheit sagen müssen." "Welche... Wahrheit?" Er fing Ashis Blick auf, bevor sie wieder wegsehen konnte, und sagte es ihr ins Gesicht. "Dass ich mich in dich verliebt habe, Ashi-chan." Ashi starrte ihn wie vom Donner gerührt an. Langsam schüttelte sie den Kopf. "Das... das war jetzt nicht dein Ernst, oder...?" "Mein voller Ernst", erwiderte er und er meinte es so. Die Windmagierin lachte leise, ohne zu wissen, was sie jetzt schon wieder sagen sollte. "Das glaub ich nicht... ich glaub's nicht..." Tetsuno lächelte. "Ich hab's ja anfangs auch nicht geglaubt. Was meinst du denn, warum ich ohne Abschied davongelaufen bin? Ich hatte einfach Angst. Ich wollte weg von dir, bevor ich es nicht mehr konnte... kläglicher Versuch, fehlgeschlagen." Er grinste verlegen. "Ich hab's keine drei Tage ohne dich ausgehalten." Ashi seufzte tief. "Okay... dann muss ich mich wohl damit abfinden, dass ich jetzt auch endlich weiß, was die ganze Zeit in mir vorgegangen ist. Ich hatte keine Ahnung. Es hat nur so furchtbar weh getan, als du fort warst... ich wusste nicht mehr, was ich tun sollte. Konnte mich nicht mehr auf mein Ziel konzentrieren." Sie warf ihm einen hilflosen Blick zu. "Schätze, ich liebe dich auch, Tetsuno..." Der Feuermagier atmete tief durch und hielt sich den Kopf. Er wusste nicht, was er getan hätte, wenn sie jetzt etwas anderes gesagt hätte. Im nächsten Moment hingen seine Lippen auch schon wieder an ihren. Part 27: Erwachet Es war schon spät, sehr spät, als DBO immer noch auf der anderen Seite des Lagerhauses an die Wand gelehnt saß, während von der anderen Seite des Hauses, wo das Lagerfeuer war, kein Laut mehr drang. Vermutlich hatten Bacardi und Ryume sich jetzt endlich geeinigt, wem die Zigarette zustand, und sich schlafen gelegt. Ashi und Tetsuno schliefen wohl auch schon. Nur er, DBO, war noch wach. Gedankenverloren ließ er ein paar Tropfen klaren Wassers vor sich erscheinen. Sie fügten sich zusammen und schwebten glitzernd und durchsichtig über seiner Hand in der Luft und reflektierten das Sternenlicht. Der Wassermagier dachte nach. Sehr lange. Dann kam er zu dem Schluss, dass er sich über Tetsunos Rückkehr freute. Er hatte es nicht mehr länger mit ansehen können, wie Ashi ständig deprimiert war und kaum noch wusste, was sie tat. Es war schrecklich gewesen, sie leiden zu sehen. DBO war sich nicht sicher, aber er hatte den leisen Verdacht, dass sowohl Bacardi als auch Ryume ebenfalls bemerkt hatten, was da im Busch war. Ryume hatte die beiden wohl von Anfang an durchschaut, sie durchschaute schließlich jeden, auch wenn sie nicht darüber sprach. Die Drachenmagierin war eben eine von der schweigsamen Sorte. Bacardi, na gut, der tat zwar immer ziemlich dämlich, aber in Wirklichkeit hatte er genau so viel Verständnis für die anderen wie DBO selbst. Außerdem hatte er an Ashi einen Narren gefressen, das war ja nicht zu übersehen. Und der Windmagierin ging es doch genauso. DBO seufzte tief. Seine Skates klirrten, als er sich wieder aufrecht setzte. Es war wohl okay, wenn er jetzt ein wenig still war, überlegte er. Ein Teil von ihm hatte wohl nie aufgehört zu hoffen, dass Ashi es sich vielleicht irgendwann anders überlegen würde. Ärgerlich schüttelte DBO den Kopf. So ein Unsinn, er hatte es doch immer gewusst! Ashi war von Anfang an ein offenes Buch für ihn gewesen, ob er es nun wollte oder nicht. Jetzt, da er in seiner Vorahnung bestätigt worden war, blieb eigentlich nur noch eins übrig, was er tun musste: Herausfinden, ob Tetsuno Ashi wirklich glücklich machen konnte. Er hatte schon lange darüber nachgedacht und seine Meinung hatte sich immer wieder geändert, nicht zuletzt als der Feuermagier einfach so aus dem Tempel abgehauen war, ohne Lebewohl zu sagen. Als er dann wie aus dem Nichts wieder in der Fabrik aufgetaucht war, brach DBOs Konzept abermals zusammen. So langsam wusste er überhaupt nicht mehr, was er von ihm denken sollte, obwohl er schon seit einiger Zeit zu wissen glaubte, warum Tetsuno es nicht gewagt hatte, Abschied von ihnen zu nehmen. DBO fuhr sich durch sein braunes Haar und starrte in den Nachthimmel hinauf. Irgendwann würden sich ihre Wege trennen, daran gab es gar keinen Zweifel. Und bis dahin würde er wissen, ob er Ashi mit seinem alten Erzrivalen ziehen lassen konnte. "Hey, du bist ja auch noch wach." DBO schreckte aus seinen Gedanken hoch, als urplötzlich Ashis Stimme neben ihm erklang. Er verlor die Kontrolle über die Wassertropfen, die vor ihm in der Luft schwebten und im nächsten Moment waren sie auch schon auf sein T-Shirt geklatscht. "Woah!! Scheiße", fluchte er und sprang auf, um das Wasser aus seinen Klamotten zu quetschen. Ashi kicherte belustigt. "Spätestens jetzt bist du wach, mein ich." DBO ächzte und ließ sich wieder an die Hauswand fallen. "Himmel, erschreck mich doch nicht so", knurrte er, als Ashi sich grinsend neben ihn setzte. "Sorry", kam die Entschuldigung, "konnte ja nicht wissen, dass du so abwesend warst. Über was hast du denn so angestrengt nachgedacht?" "Geht dich nichts an", brummte DBO mürrisch. Ashi zuckte mit den Schultern. "War mir klar. Aber Fragen kostet ja nichts." Aus einem Reflex heraus wollte DBO wieder ein paar Wassertropfen in die Luft zaubern, überlegte es sich dann aber anders; wenn Ashi dabei war, konnte man nie wissen... Statt dessen seufzte er auf und lächelte Ashi zufrieden an. "Freut mich, dass es dir wieder besser geht. Du hast wieder viel mehr Farbe im Gesicht. Konnte man kaum noch mit ansehen, wie blass du in den letzten paar Tagen warst..." Ashi senkte den Blick. "Tut mir leid, wenn ich dir Sorgen gemacht hab." DBO schüttelte den Kopf. "Ist schon okay. Jetzt ist es ja wieder in Ordnung. Jetzt... ist er zurück." Er atmete tief durch. Ashi warf ihm einen unsicheren Blick zu. "Bist du... bist du böse auf mich?" "Unsinn", erwiderte DBO und sah Ashi beleidigt an, "wieso sollte ich denn?" "Äh... na ja, ich dachte... wegen Tetsuno...?", stammelte Ashi. DBO lachte leise. "Ach was. Das war mir schon immer klar, Ashi. Ich wusste es die ganze Zeit über. War ja kaum zu übersehen..." Die Windmagierin hob die Augenbrauen. "Du wirst mir langsam unheimlich, DBO. Kann man hier nicht mal irgendwas denken, ohne dass du darüber Bescheid weißt?" DBO grinste entschuldigend und zuckte mit den Schultern. Dann schüttelte er den Kopf. "Ist ja auch egal. Ich bin jedenfalls froh, dass es mit dir wieder aufwärts geht. Es tut dir nur gut, wenn er in deiner Nähe ist." Ashi seufzte und wollte etwas sagen - doch dazu kam sie nicht mehr. Sie hielt mitten in der Bewegung inne, als sie plötzlich etwas spürte. Es war ein unheimliches Gefühl... irgend etwas schien sich von innen ihren Körper hinaufzuwinden... es fing in den Zehenspitzen an, dann stieg es höher, höher, bis in ihren Hals hinauf, es brannte, es wirbelte und war doch weder kalt noch warm. "Ashi?" DBO warf ihr einen verwirrten Blick zu. "Was hast du denn?" Ein Blitz zuckte durch Ashis Kopf und mit einem Schmerzensschrei schloss sie die Augen. Da war etwas in ihr drin, etwas bewegte sich, sie konnte es fühlen... etwas wollte heraus, es stieg höher, immer höher, ließ sie nicht mehr klar denken, in ihrem Kopf hämmerte es unaufhörlich... "Ashi!!" DBO bekam Panik und wedelte mit seiner Hand vor ihrem Gesicht herum. "Verdammt, was ist denn mit dir los??" Im nächsten Moment zog er seine Hand zurück und starrte Ashi entgeistert an. Der Kopf der Windmagierin, der eben noch zitternd auf ihrer Brust gelegen hatte, hob sich jetzt plötzlich ganz langsam an. Als DBO in ihre Augen blickte, sah er jedoch nicht das, was er erwartet hatte. Das war nicht der Blick, den er von Ashi kannte. Ihre wolfsgraue Iris war jetzt von einem dicken, schwarzen Rand umschlossen, der das Weiß des Augapfels fast völlig verdeckt. Ihre Pupille wurde winzig klein, obwohl es kaum Lichteinfall gab. Ein kalter Schauer jagte DBOs Rücken hinunter und er keuchte erschrocken auf - was, zum Teufel, geschah bloß mit Ashi?? Im nächsten Moment war es vorbei. Ashis Blick wurde wieder normal, sie stöhnte kaum hörbar, verdrehte die Augen und sackte zur Seite weg. DBO fing sie auf und schüttelte sie. "Ashi!!", rief er verzweifelt, "Mann, was ist denn nur mit dir...??" Ashi gab ein leises Ächzen von sich und hob langsam wieder den Kopf. "DBO...?", murmelte sie und hielt sich den Schädel. "Verdammt, was... was war denn eben los?" DBO seufzte erleichtert auf. "Scheiße, Ashi, jag mir nie wieder so nen Schrecken ein..." "Was ist passiert?", wollte Ashi wissen, als ihre Lebensgeister langsam wieder zurückkehrten, "ich hab den totalen Filmriss..." DBO schüttelte perplex den Kopf. "Ich weiß es nicht, Ashi. Du warst auf einmal total weg und dann... dann wurden deine Augen plötzlich so seltsam, das war echt unheimlich... du hast mich angestarrt, als wärst du nicht von diesem Planeten. Und im nächsten Augenblick war alles wieder normal." Ashi blickte ihn verständnislos an. "Aber... was sollte das Ganze denn bloß?" "Ich hab keine Ahnung", gab DBO geschafft zurück, "echt keine Ahnung... vielleicht sollten wir uns so langsam schlafen legen. Ist schon verdammt spät..." Ashi schickte ihm einen weiteren, verwirrten Blick, bekam aber keine Antwort. Also schloss sie sich dem Wassermagier an und die beiden gingen zur Feuerstelle zurück, wo die anderen Drei bereits selig (und in Bacardis Fall laut schnarchend) im Reich der Träume lagen. "Aaaargh, ich RAST noch mal aus!! Kann sich dieses bescheuerte Wetter nicht mal entscheiden, was es will?? Hin, her, hin, her, das hält doch ein normaler Asahoshi im Kopf nicht aus!" Grimmig kickte Bacardi einen Stein beiseite und versuchte genervt, dem starken Ostwind zu trotzen, der ihnen seit dem frühen Morgen unbarmherzig ins Gesicht blies. "Wenn's wenigstens warmer Wind wäre, dann hätt' ich ja nichts dagegen", klagte er und warf einen verzweifelten Blick zum wolkenverhangenen Himmel hinauf. "Hör endlich auf zu jammern", brummte Ryume neben ihm, "ist doch bloß n bisschen Luft, Mann." "Wär mir ja auch wurst, solange die uns nicht direkt ins Gesicht schlagen würde!", verteidigte sich der Gewittermagier. "Außerdem hab ich Hunger", fügte er hinzu. Tetsuno nickte. "Ich bin auch dafür, dass wir Mittagspause machen. Wir latschen schon den ganzen Morgen über und der Wind hat offenbar nicht vor, demnächst mal abzuflauen. Vielleicht finden wir ja was einigermaßen Windstilles hier..." Die Asahoshi waren immer noch im Industrieviertel unterwegs; natürlich gab es hier auch weiterhin nichts als alte, verlassene Gebäude, in denen es fast überall zog wie Hechtsuppe. Trotzdem schafften sie es irgendwie, einen alten Geräteschuppen zu finden, der leer geräumt und doch tatsächlich einigermaßen winddicht war. Glücklich schloss Bacardi die Tür hinter sich, nachdem sich alle damit einverstanden erklärt hatten, hier Pause zu machen. "Okay", er rieb sich die Hände und nahm neben seinen Freunden Platz, "WAS gibt's heut zu Essen...?" Eifrig fing er an, in seinem Rucksack zu kramen, und förderte schließlich mit einem "AHAAA..! Suppe!" eine Konservendose daraus hervor. In Sekundenschnelle hatte er außerdem einen Teller und einen Löffel aus dem Rucksack gefischt und die Dose mit seinem Taschenmesser aufgesäbelt. Er kippte den Inhalt in den Teller und hielt diesen Tetsuno hin. "Darf ich bitten, oh Fürst der Flammen?" Tetsuno zuckte gleichgültig die Schultern und ließ mit einem Fingerschnippen eine Flamme unter Bacardis Teller erscheinen, welche die Suppe so lange aufwärmte, bis Bacardi mit einem Fluchen den Teller abstellen musste, weil er zu heiß geworden war. Nachdem er ein "Danke" zwischen den Zähnen hervorgequetscht hatte und begann, mit seiner Hand in der Gegend herum zu fuchteln, folgten die anderen seinem Beispiel und entschieden sich ebenfalls für Suppe. DBO erbarmte sich Bacardis und kippte ein wenig kühlendes Wasser über die Hand des Gewittermagiers. Die Vorräte vom Tempel waren noch lange nicht zu Ende, sie würden ihnen leicht bis ans Ziel ihrer Reise reichen. So löffelten sie also alle glücklich ihr Mittagessen, während draußen der Sturmwind weiter tobte. "Ich frag mich ja", sagte Bacardi zwischen zwei Löffeln Suppe, "wozu wir eigentlich Ashi dabei haben. Ich meine, Tet-chan macht sich hier als kabellose Mikrowelle nützlich, DBO löscht, wenn's mal wo brennt... Unser Twister könnte doch eigentlich diesem Sturm da draußen mal n wenig Einhalt gebieten, oder nicht?" Ashi verschluckte sich an ihrer Suppe und hustete erbärmlich. "Spinnst du?", krächzte sie, "So was kannst du vielleicht von ner Priesterin erwarten, aber doch nicht von jemandem wie mir...!" "Aaach, ich bin überzeugt, das würdest du hinkriegen", erwiderte Bacardi breit grinsend. Ashi hob die linke Augenbraue, Ryume machte den Gewittermagier darauf aufmerksam, dass er Suppengrün zwischen den Zähnen hatte und dieses Thema war vorerst abgeschlossen. Das Mittagessen wurde mit belangloseren Unterhaltungen fortgesetzt und war recht heiter - bis Ashi dann plötzlich wieder anfing zu husten und ihren Löffel fallen ließ. "Hey", Bacardi sah sie erstaunt an, "was'n los, Twister, schmeckt's dir nicht?" Ashi antwortete nicht. Dazu war sie momentan nicht in der Lage. Mit einem Mal drehte sich alles vor ihren Augen, ihr wurde schwindlig... dann regte sich wieder etwas in ihr und schnürte ihr langsam aber sicher die Luft ab. Ashi keuchte und griff sich verzweifelt an den Hals, während sich weiterhin alles vor ihr drehte; sie schien den Boden unter sich zu verlieren, schwarze Kreise tanzten überall... sie hörte das Klirren von Metall, als ihre Freunde ebenfalls die Löffel fallen ließen und ihren Namen riefen, Tetsuno rüttelte sie heftig an der Schulter, aber sie nahm es kaum noch wahr... dann wurde alles schwarz. "... und ich sag dir doch, die Suppe war garantiert schon vor Monaten abgelaufen!" "Quatsch, da steht, die sei noch zwei Jahre lang haltbar." "Vielleicht hatte der Deckel ja ein Loch!" "Hör schon auf, das glaubst du ja selber nicht." Ashi blinzelte. Wo war sie? Über sich sah sie eine kalte Stahldecke, die langsam wieder scharfe Formen annahmen. Die Windmagierin gab einen leisen Seufzer von sich. "Ashi", hörte sie Ryumes vertraute Stimme. Das hübsche Gesicht der Drachenmagierin, eisig wie eh und je, jetzt aber mit einem Hauch Besorgnis um die Nase, tauchte über ihr auf. "Du bist wieder wach!" Tetsunos Gesicht erschien ebenfalls. Ashi rieb sich die Schläfen und richtete sich auf. "Was war denn los?", erkundigte sie sich und schüttelte sich, um wieder einen klaren Kopf zu kriegen. "Was soll schon los gewesen sein", brummte DBO neben ihr, der sich eben noch mit Bacardi über das Haltbarkeitsdatum der Konservensuppe gestritten hatte, "du warst wieder weg, das gleiche Spiel wie letztes Mal. Erst hast du angefangen zu schwanken und zu zittern, dann wurden deine Augen wieder so gruselig und anschließend bist du umgekippt." "Was heißt da wie letztes Mal?", wollte Tetsuno überrascht wissen. "Gestern Abend", erklärte der Wassermagier energisch, "da war es genauso. Ihr habt alle schon geschlafen, deswegen habt ihr es nicht mitgekriegt." Bacardi legte den Kopf schief. Seine Theorie kam ins Schwanken. "Sie kann doch nicht zweimal was Verdorbenes gegessen haben..." "Das halte ich auch für unwahrscheinlich", warf Ryume ein, "es ist irgend etwas anderes... ich kann euch nicht sagen, was, aber dein Blick war selbst mir unheimlich, Ashi." Sie sah die Windmagierin besorgt an. "Heute war es schlimmer als gestern Abend", murmelte DBO düster, "heute hat der Blick viel länger gehalten und du hast sogar den Mund aufgemacht, um irgendwas zu sagen... da kam nur ein kaltes Zischen raus, wie wenn man ne Flasche Sprudel aufmacht. Voll seltsam." Ashi schüttelte verwirrt den Kopf. "Also... die Leute haben sich schon immer vor meinem Blick gefürchtet, aber das war ja wohl was anderes. Früher kam so was nur ganz kurz, wenn überhaupt... besonders wenn es dunkel war." "Du hattest schon früher diesen Psychoblick drauf?", vergewisserte sich Bacardi neugierig. Ashi zuckte mit den Schultern. "Damals hab ich nichts drauf gegeben. Die Leute haben mir oft gesagt, dass ich was Unheimliches in meinem Blick hätte... aber ich glaube nicht, dass es dasselbe war wie jetzt." "Vielleicht war es doch dasselbe", meinte Ryume langsam, "und es hat sich jetzt eben gesteigert." "Aber was IST es denn nun genau?" Ashi raufte sich verzweifelt die Haare. "Da muss doch was dahinterstecken, wenn ich ständig Schwindelanfälle und dann diesen Zombieblick kriege und im nächsten Moment weg bin! So was ist doch kein Zufall!" Die Drachenmagierin verdrehte die Augen. "Wenn wir wüssten, WAS es ist, könnten wir dir wohl auch sagen, warum es plötzlich so stark geworden ist. Momentan haben wir alle keine Ahnung, Ashi. Sieh es ein. Das Einzige, was wir tun können, ist abwarten. Vielleicht geht uns dann ein Licht auf." Sie warf Ashi einen ernsten Blick zu. Nachdem sie ihr Mittagessen einigermaßen ruhig und ohne weitere Zwischenfälle beendet hatten, wagten sich die Asahoshi wieder hinaus in den Sturm. Der Wind hatte kein bisschen nachgelassen, wie Bacardi genervt feststellen musste. "Nur zu, immer auf die Kleinen", maulte er, "wer immer da oben auch so schlecht drauf ist, der Vormittag hätte doch reichen müssen, damit er oder sie sich austoben kann!" Missmutig stapfte er die Straße entlang. "Jetzt hör endlich auf, dich wie ein Kleinkind aufzuführen", brummte Ryume neben ihm, "wir haben wichtigere Sorgen." Ashi jedoch lächelte den Gewittermagier an. "Warte ne Sekunde; ich denk, das krieg ich hin." Bacardi blickte sie perplex an, als sie mitten auf der Straße stehen blieb und die Augen schloss. Auch die anderen hielten verwirrt an und wandten sich ihr zu. Ashi holte tief Luft, konzentrierte sich - und im nächsten Moment spürten die anderen Asahoshi, wie der Wind um sie herum abflaute. Zwar hörten sie ihn immer noch fauchend durch das Viertel rauschen, doch um die kleine Gruppe herum schien sich ein windstiller Schild aufgebaut zu haben, der sich auf gut fünf mal fünf Meter ausbreitete und sie vor dem Sturmwind schützte. Tetsunos Magen drehte sich herum. "Ääh... Ashi-chan...?" Ashi schlug die Augen auf und sah ihn an. "Ja?" "Wie... wie genau hast du das eben gemacht?" Bacardi schüttelte langsam und ungläubig den Kopf. "Vorhin hast du noch behauptet, dass ich das vielleicht von ner Priesterin verlangen könnte... aber von dir..." Ashi brauchte selbst einen Moment, um zu begreifen, was sie gerade getan hatte. Als der Schild sich nicht mit ihrer Konzentration auflöste und weiterhin bestehen blieb, fühlte sich auch Ashi unwohl. Ryume röntgte sie fast mit ihrem kalten Drachenblick. "Einen Schutzschild aus seinem eigenen Element aufzubauen ist nichts weiter Schwieriges", sagte sie langsam, ohne die Augen von Ashi zu nehmen, die verunsichert einen Schritt nach hinten machte, "trotzt man dabei jedoch gleichzeitig seinem Element, umfasst der Schild nicht nur einen selbst, sondern auch noch andere Personen, und bleibt der Schild längere Zeit stabil, ist das sogar höchst ungewöhnlich..." "Ich... ich weiß nicht, wie ich das gemacht hab", antwortete Ashi hilflos, "Ich wusste auf einmal einfach, wie es geht... als ob ich das schon immer gekonnt hätte." Sie schluckte. Als die Blicke der anderen sie weiterhin fast durchbohrten, hob Ashi eine zitternde Hand und deutete die Straße entlang. "Kommt, wir sollten weitergehen, solange das Teil noch hält, Jungs. Ihr wollt doch nicht, dass ich umsonst gezaubert habe, oder?" Mit einem schiefen Lächeln marschierte sie im Windschatten weiter, ohne sich noch einmal umzudrehen. Die anderen warfen sich besorgte Blicke zu und schlossen sich ihr an. Als es zu dämmern begann, hatte der Sturmwind sich endlich verzogen. Mit ihm war auch der Schild verschwunden, den Ashi auf wundersame Weise hatte erscheinen lassen, und die Asahoshi hatten tatsächlich mal ein angenehmeres Nachtlager als alte Fabriken gefunden... "Es geschehen also doch noch Zeichen und Wunder", meinte DBO gut gelaunt und stapfte durch das wuchernde Gras eines winzigen Parks, "selbst im Metallpott Kama-Tos gibt's ein paar Quadratmeter Grünfläche." Erfreut über die Abwechslung richteten sich die Fünf gleich unter ein paar alten Birken ein, die das seichte Ufer eines kleinen Teichs säumten. Sie aßen noch vor Sonnenuntergang zu Abend und machten danach allesamt einen ziemlich geschafften Eindruck. Das ständige Ankämpfen gegen den Sturm in den Morgenstunden hatte sie ganz schön mitgenommen. So war es nicht verwunderlich, dass DBO und Bacardi schon bald neben dem Feuer zur Seite wegsackten und einschliefen. Tetsuno konnte sich auch nicht mehr lange wachhalten und murmelte wenig später ebenfalls ein "Gute Nacht", bevor er sich ins Gras legte. Die Sonne verschwand langsam hinter dem Horizont, während Ashi und Ryume noch am Feuer saßen und sich eine ganze Weile lang anschwiegen. Dann wanderte der Blick der Drachenmagierin zu Ashis Händen, in denen sie mit ein paar Efeublättern spielte, die sie von einem umrankten Baum geklaut hatte. Ryume beobachtete sie etwas, dann sagte sie leise: "Du vermisst Ivy ganz schön, was?" Ashi nickte kaum merklich. "Es... es ist so komisch, wenn sie nicht da ist. Mit ihr konnte ich über alles reden... sie hat mich immer verstanden. Wenn ich Hilfe brauchte, konnte ich zu ihr kommen. Wenn ich selbst nicht mehr wusste, was eigentlich mit mir los war, hat sie mir geholfen. Ivy-chan wusste immer was in mir vorging, weil sie genau wie ich tickt." Ryume blickte in die Flammen. "Ich kann verstehen, dass sie dir gerade jetzt fehlt. Momentan wüssten wir alle gern was mit dir los ist, nicht nur du selbst." Die Efeublätter segelten zu Boden. Ashi richtete sich auf und atmete tief durch. Sie ließ ihren Blick über den Park schweifen, fühlte den kühlen Abendwind auf ihrer Haut und erklärte: "Ich geh noch ne Runde spazieren. Nur mal um den Teich herum... ich kann jetzt noch nicht schlafen." Ryume rührte sich. "Was dagegen, wenn ich mitkomme?" Nein, Ashi hatte nichts dagegen. Sie wunderte sich zwar, dass Ryume freiwillig mit ihr spazieren ging, wagte es aber nicht, sie darauf anzusprechen. So beäugte sie sie also nur ein wenig schief und bummelte mit Ryume zwischen den Bäumen am Ufer herum, während sie die klare, mächtige Aura der Drachenmagierin genoss... Moment mal, schoss es Ashi durch den Kopf und sie legte die Stirn in Falten, seit wann konnte sie denn eigentlich Ryumes Aura spüren? "Ich dachte eigentlich, dass es mit dir wieder besser werden würde", holte Ryume Ashi in die Realität zurück, "jetzt, wo Tetsuno wieder da ist..." Ashi warf ihr einen ausdruckslosen Blick zu. Ryume zuckte mit den Schultern. "Für ein paar Stunden warst du wieder okay. Und dann passiert es plötzlich. Das ist doch... seltsam, findest du nicht?" Sie kickte einen Stein beiseite und mied Ashis Augen. "Ob es vielleicht mit Tetsuno zusammenhängen könnte?" "Wie... wie meinst du das?", hakte Ashi verwirrt nach. "Na ja... bevor er abgehauen ist, habt ihr noch Abstand voneinander gehalten und alles war normal. Jetzt, wo er zurück ist, kannst du das mit dem Abstand ja wohl vergessen und auf einmal tickst du aus. Du musst zugeben, dass die Sache was Merkwürdiges hat." Ashi legte den Kopf schief. "Ich versteh nicht ganz, worauf du hinauswillst." Ryume lachte hohl. "Das weiß ich selber auch nicht, Ashi; das darfst du mir glauben. Ich hab nur... laut gedacht. Versuch gar nicht erst, meine Gedanken zu verstehen, da blick ich meistens selbst nicht durch..." Ashi wandte den Blick ab und starrte in den Himmel. Was meinte Ryume nur damit? Glaubte sie vielleicht, dass der Ausbruch dieser Anfälle etwas damit zu tun hatte, dass sie jetzt Tetsunos Gefühle für sie kannte - oder umgekehrt? ... Nein, das war doch absurd. Es musste eine logische Erklärung für diese Geschehnisse geben. Allerdings... Waren diese Anfälle überhaupt noch im Mindesten logisch? Ashi bekam keine Gelegenheit mehr, weiter über dieses Thema nachzudenken, da ihr Magen plötzlich einen Hüpfer machte und sie den Boden unter den Füßen verlor. Mit einem spitzen Schrei rasselte Ashi durch ein Loch im Boden gute zwei Meter tief unter die Erde, wo sie mit einem dumpfen Schlag wieder auf dem Erdboden aufkam. "Ashi!!!" Ryume hastete zu der Stelle, wo die Wind-Asahoshi eben noch gestanden hatte und kniete sich an das Loch in der Erde. "Alles okay?", rief sie atemlos. Ein mürrisches Grummeln antwortete ihr. "Warum krieg eigentlich immer ich diese scheiß Boden-unter-den-Füßen-wegzieh-Nummern ab??" Ryume ächzte erleichtert. "Mann, erschreck mich doch nicht so..." Sie blickte zu Ashi hinunter, die sich gerade aufrichtete und sich den Dreck aus den Klamotten klopfte. Die Windmagierin reichte mit ihrem Kopf beinahe bis an den Rand des Loches und warf einen überraschten Blick nach vorne. "Hey", bemerkte sie verwundert, "Ryume, hier geht's weiter... da führt ein kleiner Gang ein Stück tiefer unter die Erde." Sie zeigte geradeaus. "Wollen wir nicht mal..." Kaum hörbar landete Ryume auch schon neben ihr im Loch und marschierte mit einem "Klar" in die Höhle hinein. Ashi zuckte grinsend die Schulter und folgte ihr. Der Gang führte nicht besonders weit, nur ein paar Meter tiefer unter die Erde. Die Neigung war groß und die beiden Asahoshi mussten aufpassen, um auf den steilen Erdbrocken nicht auszurutschen und den Rest des Weges auf dem Allerwertesten zurückzulegen. Als sie schließlich das Ende des Gangs erreicht hatten, standen sie in einem kleinen Raum. Kaum etwas von dem noch vorhandenen Sonnenlicht schaffte es bis in die Höhle und so entstand ein dämmriges Zwielicht, das nun die Wände und den Boden beleuchtete, die mit uralten Steinplatten ausgelegt waren. Die einzigen Farben, die Ashi und Ryume neben dem durch die Dunkelheit verursachten Schwarz erkennen konnten, waren das trübe Goldgelb und Moosgrün der Fliesen. Der Boden war bereits sehr rissig, viele Platten waren auseinandergebrochen und gaben stückweise den braunen Erdboden frei. Trotzdem die Fliesen schon Jahrhunderte alt sein mussten, konnte man immer noch ansatzweise die schönen Verzierungen erkennen, die hineingekerbt worden waren. Doch der Raum war nicht vollständig leer. Hinten in der Mitte stand ein kleiner Altar, der ebenfalls von den verzierten Fliesen umschlossen war. Sonst war nichts zu sehen. Auch hören konnte man hier nichts, die unterirdischen Wände hielten alle Geräusche von der Oberfläche zurück. Die Atmosphäre ließ Ashi frösteln. Es war, als ständen Ryume und sie in einem Grab. Doch das war es nicht... Part 28: Wieder vereint "Ein alter Schrein", stellte Ryume leise fest und schritt zum Altar vor, "er muss hier schon seit Ewigkeiten stehen..." Ashi wagte kaum zu atmen, ein Schauer nach dem anderen lief ihr den Rücken hinunter. Dieser Ort war so klein und alt und doch schaffte er es, sie in Ehrfurcht zu versetzen. "Ich frage mich, was ein Schrein wie dieser hier zu suchen hat", überlegte Ryume und strich vorsichtig über den Steinaltar, "vermutlich gab es auch hier Magier unter den Arbeitern, als die Fabriken noch genutzt wurden." Ashi trat neben sie und ließ ihren Blick staunend über die alten Wände schweifen. "Welches Element wird hier verehrt, Ryume?" "Das müsstest du doch gemerkt haben." Die Drachenmagierin lächelte sie an. "Du bist ja schon im Türrahmen fast festgefroren... es ist ein Schrein des Windes." Ashi atmete tief durch. "Wow", flüsterte sie. Dann schenkte sie den Verzierungen an den Wänden mehr Aufmerksamkeit. Kurz unter der Decke war eine Reihe von fremden Schriftzeichen eingeritzt, die Ashi noch nie in ihrem Leben gesehen hatte. "Was sind das für Zeichen?", erkundigte sie sich neugierig. Ryume folgte ihrem Blick. "Das ist Kamanisch", stellte sie mit Kennermiene fest, "die Sprache der alten Kartenmagier." Ashi staunte nicht schlecht. "Woher weißt du das?" "Wozu bin ich auf die Zauberschule gegangen." Ryume steckte die Hände in die Hosentaschen und versuchte ein paar der Zeichen zu entziffern. "Heiliger Wind, mit dem alles beginnt. Göttin des Sturmes, Arashi. Dein Name sei gelobt, wir preisen deine Macht, dieser Schrein sei nur dir gewidmet." Sie drehte sich zur angrenzenden Wand und las weiter: "Wenn einst die Zwietracht uns spaltet, der Zauber der Zeit uns trennt und wir zu Feinden werden, leite uns weiter durch diese Welt. Auch du kanntest Ärger, auch du kanntest Hass, doch wusstest du, sie waren falsch." Ryume wandte sich der dritten Wand zu. "Du liebst das Wasser, verachtest das Feuer, Natur und Gewitter sind dein Freund, zum Drachen siehst du respektvoll empor; du willst sie alle wiedertreffen, wir warten auf diesen verheißungsvollen Tag." Während Ashi noch versuchte, die Bedeutung dieser Worte zu verstehen, pfiff Ryume hörbar. "Dieser Schrein ist älter, als wir dachten, Ashi. Hier kamen weder Asahoshi noch Yorukage hin. Er verehrte weder Weiße noch Schwarze Magie. Er verehrte die Universelle Energie." "Die Universelle Energie?", wiederholte Ashi ungläubig, "Ist das... die Form der Magie, die existiert hat, bevor sich die Yorukage und die Asahoshi abgespalten haben?" "Bingo." Ryume nickte. Ashi schüttelte fasziniert den Kopf. "Kaum zu glauben, dass er all die Jahre lang unentdeckt geblieben ist..." "Ich weiß nicht, wann genau dieses Viertel aufgegeben wurde, aber so lang kann das noch gar nicht her sein", murmelte Ryume, "schon krass, dass die Normalos da jahrelang drüber spaziert sind, ohne ihn zu bemerken." Ashi blickte in die hinterste Ecke des Raumes und schritt darauf zu. Durch ein winziges Loch in der schrägen Decke schafften es ein paar der letzten Sonnenstrahlen auf ein kleines Stück des Bodens zu scheinen. Staub wirbelte durch den einzelnen Lichtstrahl, als Ashi daneben in die Knie ging. Das Licht fiel auf einen Riss zwischen zwei Fliesen, durch den etwas Erde hervorgequollen war. Dort blühte ein einziges, kleines Gänseblümchen. Ryumes kalter Blick streifte durch den Raum. "Diese Welt ist doch kaputt", brummte sie und starrte zu Boden, "und wir sind es, die sie zerbrochen haben. Sie wurde uns vollkommen gesund zum Geschenk gemacht, damit wir uns an ihr freuen können. Sehen wir uns doch an, was daraus geworden ist. Das Gleichgewicht ist durcheinander, jeder denkt nur an sich selbst, keiner zollt der Natur mehr Respekt und alle fühlen sich den anderen überlegen. Wir geben vor zu helfen und machen dabei nur noch mehr kaputt. Wir kümmern uns scheinbar um die anderen und denken dabei schon wieder nach, wie viel besser wir doch sind. Kalte Herzen überall, gefesselte Seelen. Wärmende Flammen und erlösende Klingen sind selten geworden. Diejenigen, die übrig sind, werden von den anderen ignoriert, statt dass man ihnen für ihre Hilfsbereitschaft dankt. Das Volk ist tot und merkt es noch nicht mal." Verbittert schloss sie ihre Hände um den kalten Altar. "Lebendige Leichen. Zynismus des Schicksals." Eine Träne kullerte Ashis Wange hinunter und fiel auf das Gänseblümchen. Der glitzernde Tropfen teilte sich und benetzte die weißen Blütenblätter. Ashi strich zärtlich über die kleine Pflanze. Ryume beobachtete die Windmagierin einen Moment lang, dann seufzte sie tief. "Wie auch immer, ich darf mich jedenfalls glücklich schätzen, fünf der wenigen übriggebliebenen Flammen und Klingen getroffen zu haben... manchmal will ich es mir nicht eingestehen, aber... das hat mein Leben wieder lebenswert gemacht. Ich hab es doch noch eingesehen... Hoffnung gibt es immer." Ashi starrte Ryume an. Täuschte sie sich, oder war da tatsächlich der Hauch eines Lächelns auf den Lippen der Drachenmagierin zu finden? Stolpernd rappelte Ashi sich auf und fiel Ryume um den Hals. "Du bist die schärfste Klinge überhaupt", schniefte sie, während Ryume nicht wusste, was sie in dieser Situation machen sollte, "Von mir aus, dann hast du eben recht, vielleicht ist diese Welt wirklich kaputt - aber das ist doch das Schöne an etwas Zerbrochenem, man kann es wieder reparieren..." Sie ließ die Asahoshi los und lächelte sie an. "Schließen wir uns eben zusammen, wärmen wir ein paar Herzen, zerschneiden wir Fesseln!" Ashi wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und schüttelte den Kopf. "Noch ist die Menschheit nicht verloren, Ryume. Noch nicht ganz..." "Cool!" DBO machte große Augen, als die kleine Gruppe am Vormittag darauf weiter die Straße nach Süden entlang schritt, "So ein richtiger, antiker Schrein der Universellen Magie?" Ashi, die sich bei Tetsuno und DBO untergehakt hatte, nickte mit leuchtenden Augen. "Ja, du kannst dir kaum vorstellen, was für ein Gefühl das war... ich bin mir so klein vorgekommen, als ob ich in die Ritzen zwischen den Fliesen passen würde..." DBO beäugte sie neidisch. "Warum habt ihr uns nicht geholt?", beschwerte er sich, "Das hätte ich auch gern gesehen." Ashi grinste. "Ihr saht so süß aus, wie ihr da im Gras gelegen und geschlafen habt, da wollten wir euch nicht wecken..." "Untersteh dich, schon wieder frech zu werden, Ashi-chan", Tetsuno kniff ihr mit einem noch breiteren Grinsen in die Wange, "sonst zeigen wir dir mal, wie süß wir doch sein können..." "Auaaa!! Mann, du Grobian, das war doch nur'n Witz", maulte Ashi und warf ihm einen schmollenden Blick zu. "Warum musst du eigentlich immer gleich handgreiflich werden, Kasai?", wollte DBO genervt wissen. Ryume sah Bacardi belustigt an. "Die ist immer noch voll hin und weg", raunte sie ihrem Gewitterkumpel zu. Bacardi nickte feixend. "Jepp. Obwohl ich ihr Recht geben muss, ihr hättet uns wirklich mitnehmen können." "War zu spannend, als dass wir an euch denken konnten", blockte Ryume. Bacardi verschränkte die Hände hinterm Kopf. Er betrachtete den Himmel, von dem heute unbarmherzig die Sonne schien, und verkündete schließlich: "Irgendwie scheinen die Leute ein Problem damit zu haben, mich zu verstehen. Ich hab doch diesen Typen da oben erst gestern klar gemacht, dass mir ihr Procedere absolut nicht in den Kram passt. Gestern Sturmwind ohne Gnade, heute als Zugabe sengende Hitze... ist das zu fassen?" "Fang nicht schon wieder an", stöhnte Ryume, "du bist der Einzige hier, der sich pausenlos über das Wetter beschwert, ist dir das eigentlich mal aufgefallen?" "Bin eben nicht so anpassungsfähig wie ihr", gab Bacardi beleidigt zurück, "außerdem fänd ich ja das Wetter heute gar nicht mal so übel, wenn ich nicht ständig hier durch die Pampa latschen müsste... ich könnte so viel Schöneres machen... meine Eagle 328 aus der Garage holen... mit 140 den Highway unsicher machen... mir den Fahrtwind um die Nase fauchen lassen..." Er seufzte melancholisch. Die Drachen-Asahoshi verdrehte die Augen, aber das nahm Bacardi gar nicht wahr. Er versank immer tiefer in Gedanken, bis... "Äh... Ryu-kun?" Mit gehobenem rechten Mundwinkel sah er sie zweifelnd an. "Träum ich schon, oder... hörst du das auch??" Ryume blieb abrupt stehen und spitzte die Ohren. Ashi, Tetsuno und DBO hielten ebenfalls an und warfen den beiden verwunderte Blicke zu. "Nein, du träumst nicht, Bacardi", stellte Ryume kopfschüttelnd fest und drehte sich langsam nach Norden um, "das ist echt ein Motorrad." Vier andere Köpfe flogen herum und die Asahoshi starrten entgeistert die Straße entlang. Sonst war es hier doch totenstill und menschenleer, warum sollte hier auf einmal ein Motorrad auftauchen? Bacardi hielt die Hand an sein linkes Ohr und lauschte, als ein leises Röhren lauter wurde. "Ein Tora-XC-Motor, sechs Zylinder." Ryume warf ihm einen Seitenblick zu, der eindeutig "Freak" sagen wollte, wandte sich dann aber wieder der Straße zu. Und tatsächlich kam dort wenige Sekunden später ein knallrotes Motorrad in Sichtweite. Der Fahrer trat mächtig aufs Gaspedal, als er die fünf Asahoshi erblickte. Beunruhigt machte die kleine Gruppe ein paar Schritte zurück - bis Ryume Entwarnung gab. "Cool bleiben", meinte sie mit einem zufriedenen Grinsen, "ich glaub nicht, dass ihr euch vor ihr fürchten müsst..." "Vor ihr?", wiederholte Bacardi perplex. Der Motorradfahrer bremste hart ab, die Maschine begann zu schlittern und rutschte genau auf die Fünf zu. Kaum einen Meter vor ihnen kam das Motorrad zum Stillstand, der Fahrer stieg ab, entledigte sich seines Helms - und den anderen sackten die Kinnladen nach unten. "Puh", der Fahrer wischte sich den Schweiß von der Stirn, "so weit hab ich die Tachonadel noch nie nach oben getrieben..." "IVY-CHAN!!!" Ashi sprang ihr entgegen und fiel ihr so stürmisch um den Hals, dass Ivy nach hinten stolperte und auf den Boden krachte. "Autsch", ächzte sie und schenkte Ashi ein schiefes Grinsen, "es war schon immer gefährlich, dich zu überraschen..." Der Windmagierin standen schon wieder die Tränen in den Augen und sie lachte überglücklich, als sie vom Boden aufstand. "Oh Ivy-chan, es ist so schön, dass du wieder da bist... wir haben dich so furchtbar vermisst!" Auch die anderen schienen jetzt langsam zu verstehen, was eigentlich los war. DBO eilte Ivy zu Hilfe und zog sie mit einem breiten Grinsen und einem "Hi Poison" wieder auf die Beine. Ivy lachte und umarmte ihn. "Das hat mir in den letzten Tagen echt gefehlt, DBO..." Alle anderen wurden der Reihe nach fest umarmt und gedrückt, dann lächelte Ivy in die Runde. "Hey, habt ihr schon Mittag gemacht? Nein? Scheint ja nicht gerade viel los zu sein hier, bleiben wir doch gleich auf der Straße..." Und so packten sich die fünf - nein, halt, jetzt endlich wieder SECHS Asahoshi mitten auf den Asphalt neben das Motorrad und holten Essen und Trinken hervor. "Heut brauchen wir nicht mal ein Feuer, so heiß wie es ist", stellte Bacardi fest und biss herzhaft in ein Stück Brot, "da würden schisch schogar Schbiegeleier von schelbscht braten, wenn wir schie einfach auf die Schdrasche knallen würden." Tetsuno rutschte ein Stück von ihm weg, um nicht mit Krümeln besprüht zu werden. "Aber jetzt erzähl endlich, Ivy-chan!", forderte Ashi ungeduldig, "Wo kommst du her?" "Direkt von meinen Eltern zurück", erklärte Ivy und schnippte eine Dose mit Orangensaft auf, "ich war einen Tag lang unterwegs, bis ich zu Hause angekommen bin. Es war so schön, meine Familie endlich wiederzusehen... ich war total glücklich. Aber schon nach zwei Tagen musste ich feststellen, dass mir eindeutig was fehlte." Sie grinste unbeholfen. "Ich hab's ohne euch nicht mehr ausgehalten... das hab ich dann auch meinen Eltern so schonend wie möglich beigebracht. Sie haben mich verstanden... sind eben doch die tollsten Eltern auf der ganzen Welt!" Ivy strahlte und erzählte weiter: "Sie haben mich also ziehen lassen und ich hab mich ebenfalls auf den Weg zum Nemui Kyojin gemacht, in der Hoffnung, euch noch vorher wiederzufinden. Mir wurde aber schon nach einem Tag klar, dass ich euch so nie einholen würde. Ihr hattet viel zu viel Vorsprung. Dann allerdings kam dieser glückliche Zufall... ich bin von einem Feuer-Yorukage angegriffen worden, der mich mit seinem Motorrad beinahe plattgewalzt hätte." Sie zwinkerte Tetsuno zu und meinte dann: "Zum Schluss war es aber dann doch ich, die ihn plattgemacht hat. Er hat den Schwanz eingezogen und ist abgehauen - ohne sein Motorrad. Da schien ihm sein Leben wichtiger gewesen zu sein... ich war natürlich happy, zumal ich ihn sowieso nie umgelegt hätte, das hätt' ich nicht übers Herz gebracht." Lachend strich sie sich eine Haarsträhne aus der Stirn. "Ich hab die Gelegenheit also beim Schopf ergriffen und mir die Maschine gekrallt. So war ich dann viel schneller und konnte euch gleich am Tag darauf, also heute, wieder aufgabeln." "Genial", kommentierte DBO mit einem Grinsen, "warst schon immer ein schlaues Mädchen, Poison..." "Ich kann auch giftig werden, pass bloß auf", konterte Ivy und zuckte mit den Augenbrauen. Tetsuno lachte und klopfte DBO (ein wenig zu fest) auf die Schulter, sodass der Wassermagier sich an seinem Brot verschluckte und wie blöd zu husten begann. "Irgendwann finden wir dich morgens noch mal tot an deinem Schlafplatz, Mizu; mit Pflanzenranken, die aus den Ohren wachsen, und grünen Lippen... die Rache der Kräuterhexe." Ein allgemeines Prusten schloss diese Unterhaltung ab. "Zu schade, dass wir das hübsche Teil hier zurücklassen müssen", fügte Bacardi noch mit einem wehmütigen Blick auf das rote Motorrad hinzu, erntete dafür aber nur vier genervte und einen zustimmenden Seitenblick - letzterer rührte von Ivy her. Die Dämmerung kam schnell. Schneller als in den letzten Tagen, denn jetzt, wo sie endlich wieder vollzählig waren, gab es so viel zu bereden, dass die Zeit wie im Nu verflog. Schon bald fanden sich die sechs Asahoshi am Lagerfeuer auf einer aufgegebenen Baustelle wieder. Die Flammen prasselten fröhlich, Bacardi und Ryume waren in eine hitzige Diskussion über Motorräder vertieft und die anderen lauschten den Klängen von Ivys Gitarre, die ihnen in letzter Zeit wirklich gefehlt hatte. Tetsuno musste Ivy noch erklären, seit wann und warum er wieder in der Gruppe war, bevor die Naturmagierin sich zufrieden gab. Ashi und Tetsuno seilten sich im Laufe des Abends ein wenig ab und kletterten auf ein Gerüst, als ob sie dem klaren Sternenhimmel heute Nacht ein wenig näher sein wollten. Arm in Arm saßen sie auf einem Pfeiler und blickten verträumt in die Ferne. "Es ist so schön, Ivy-chan wieder da zu haben", meinte Ashi nach einer Weile. Tetsuno nickte langsam. Dann lachte er leise. "Du magst es echt nicht, wenn man dich alleine lässt, was?" Ashi schüttelte entschieden den Kopf. "Nein. Das hast du doch gemerkt. Warum hätte ich dir sonst so was Unfreundliches hinterher geschrien, als du aus dem Tempel abgehauen bist?" "Da ist mir gleich bewusst geworden, dass ich was Schwerwiegendes angestellt hatte, wenn du mal solche Ausdrücke benutzt..." Er kicherte. "Wusste gar nicht, dass die in deinem Wortschatz überhaupt vorkommen." Ashi versetzte ihm einen beleidigten Rippenstoß und Tetsuno hielt Ausschau nach der Mücke, die ihn da eben gepiekst haben musste. "Du... du gehst jetzt nicht mehr fort, oder?", wollte Ashi leise wissen und sah ihm in die Augen, "Du bleibst hier. Bei mir." Etwas Flehentliches lag in ihrem Blick. Tetsuno wurde ernst und schüttelte den Kopf. "Das war das erste und das letzte Mal, dass ich das versucht habe, Ashi-chan. Ich kann gar nicht mehr weg. Das würde mir das Herz brechen." Er zog sie zu sich und nahm sie in den Arm. Ashi jedoch wich zurück und beäugte ihn misstrauisch. "Versprochen?" Tetsuno nickte. "Versprochen. Hoch und heilig." Ashi lächelte erleichtert. "Danke..." Nun wehrte sie sich nicht mehr, als er seine Arme um sie schlang und sie küsste. Eine ganze Weile lang saßen die beiden so da, als ob sie vorhätten, ihr ganzes Leben lang nichts anderes mehr zu tun - dann wurde die Harmonie unterbrochen. Ashi zuckte abrupt zurück und starrte Tetsuno an. "Was denn?" Der Feuermagier warf ihr einen unsicheren Blick zu. "Hab ich dir weh getan?" Ashi schüttelte stumm den Kopf. "Nein", flüsterte sie angstvoll, "bitte, bitte nicht schon wieder..." Es war zurück. Dieses widerliche Gefühl, das Ashi so fürchtete. Etwas regte sich in ihr. Etwas wollte heraus, heraus um jeden Preis; es wand sich ihren Körper empor, trieb ihr den Schweiß ins Gesicht, ließ sie nach Atem ringen und färbte ihr Gesicht rot vor innerer Hitze, schnürte ihr die Luft ab... "ASHI-CHAN!!" Panik stieg in Tetsuno hoch; er hasste diese Situation, wusste nicht, was er tun konnte, um ihr zu helfen. Doch da war es für Hilfe auch schon zu spät. Mit einem Mal sog Ashi rasselnd die Luft ein und ihre Augen veränderten sich wieder. Eiskalt und grau starrten sie Tetsuno an. Der Feuermagier stolperte zurück und erhob sich langsam, unfähig, seinen verängstigen Blick von Ashi zu nehmen - oder von dem, das Ashi nun geworden war. Dann spürte er es. Die laue Sommernacht war beendet, plötzlich zog eine kalte Brise auf, die ihm die Nackenhaare zu Berge stehen ließ. Es war wie ein eisiger Windhauch, der nur ihn und Ashi umfasste. Und plötzlich öffnete Ashi den Mund. Nicht ihre Stimme drang daraus hervor, nein, es war ein grauenvolles, tonloses Flüstern, das nur für ihn bestimmt war... "Ich... werde... erwachen...", zischte die Stimme bedrohlich und Tetsuno machte noch zwei Schritte zurück, "sieh... dich... vor... ... PYRO...!" Die Brise ebbte ab, die Stimme erstarb mit einem lautlosen Keuchen und Ashi sackte zur Seite weg. "Ashi-chan! Oh... Scheiße!!", fluchte Tetsuno und kniete sich Haare raufend vor sie. Energisch packte er sie bei den Schultern und schüttelte sie durch. "Komm schon, mach die Augen auf! Reiß dich zusammen!" Er ließ nicht locker und nach einer Weile hatte er endlich Erfolg. Mit einem langgezogenen Stöhnen kam Ashi wieder zu sich und blinzelte ihn an, während sie sich den Kopf hielt. Tetsuno ächzte erleichtert. "Verdammt, das solltest du dir echt abgewöhnen... macht Spaß, mich zu Tode zu erschrecken, oder?" "Bin ich...", brachte Ashi mühsam hervor und richtete sich auf, "bin ich... schon wieder...?" "Erfasst", ihr Gegenüber nickte grimmig, "und diesmal war's echt gruselig. Dieses... dieses Ding, das ständig von dir Besitz ergreift, hat zu mir gesprochen. Hat mich als Pyro bezeichnet und gesagt, ich solle mich vorsehen... ich hab echt Schiss gekriegt." "Pyro?", wiederholte Ashi verwirrt, "Pyro... das hab ich irgendwo schon mal gehört..." Tetsuno schnippte mit den Fingern. "Bacardi hat uns das mal erzählt, du weißt schon, diese Legende der sechs Gottheiten..." "Genau!" Ashi nickte. "Und Pyro... so wurde der Feuergott genannt, oder?" "Äh... ja", bestätigte Tetsuno, "aber warum hat es dann mich..." Er hielt inne. Ein furchtbarer Gedanke formte sich hinter seiner Schädeldecke. Er wagte nicht, ihn zu Ende zu denken. Dummerweise hatte Ashi das aber schon getan. "Vielleicht", hauchte sie fassungslos, "vielleicht steckt seine Seele in dir, Tetsuno... und in mir eine andere... die ihn töten will..." Ashi und Tetsuno hatten es nicht mehr übers Herz gebracht die anderen zu wecken. Als sie wieder ans Lagerfeuer zurückgekehrt waren, fanden sie Bacardi laut schnarchend im Gras liegend vor, Ryume war quer über seine Knie gelegt und schlief ebenfalls. DBO hatte sich an einen Stapel Bretter geflegelt und Ivys Kopf lag auf seiner Schulter, beide definitiv auch nicht mehr wirklich wach. So löschten Ashi und Tetsuno nachsichtig das Feuer und beschlossen ihren Freunden morgen von dem jüngsten Ereignis zu berichten - sofern sie dann noch den Mut dazu hatten. "Oooh Mann", Bacardi ließ am nächsten Morgen ein lautstarkes Gähnen ertönen, nachdem sie allesamt gefrühstückt und sich wieder auf den Weg gemacht hatten, "irgendwie bin ich heut absolut nicht ausgeschlafen... ich seh bestimmt voll verknittert aus." Er rieb sich den Schlaf aus den Augen und warf Ashi und Tetsuno einen kurzen Blick zu. "Na ja, wenigstens bin ich nicht der Einzige. Was habt ihr zwei gestern Abend noch so lang gemacht, dass ihr jetzt so prächtig ausseht?" Er grinste bis über beide Ohren. Ashi und Tetsuno konnten wirklich nicht lachen, DBO und Ryume enthielten sich und Ivys Kopf flog verständnislos von Ashi zu Tetsuno und wieder zurück. "Häh?", ließ die Naturmagierin verlauten, "Hab ich was verpasst?" Bacardi hob die Augenbrauen, schob sich zwischen Ashi und Tetsuno, patschte ihnen seine beiden mächtigen Arme um die Schultern und erklärte Ivy feierlich: "Ach, weißt du, Ive... unsere beiden Turteltäubchen hier sind endlich vernünftig geworden und haben die Fronten zwischen sich geklärt, während du weg warst." Tetsuno schob Bacardis Pranke genervt von seiner Schulter, während Ivys Kinnlade entgleiste. Fassungslos starrte sie Ashi an. "Wie wo was wer wann???", krächzte sie, "Und warum krieg ich das erst jetzt zu hören?" "Sorry", meinte Ashi und biss sich auf die Unterlippe, "hatte bisher noch keine Gelegenheit, dir das zu erzählen..." Ivy überlegte einen Moment, ob gestern abend am Feuer nicht genug Zeit gewesen wäre, dann aber siegte ihre Gutmütigkeit und sie schüttelte strahlend den Kopf. "Ist auch egal. Hat mich eben nur etwas geschockt... Oh wie schön, ich freu mich so für euch beide!" Begeistert flog sie den beiden um die Hälse und drückte ihnen fast die Luft ab. "Hey, hey, schon gut", würgte Tetsuno hervor und schüttelte sie ab, "meine Güte, seid ihr heut alle herzlich..." Ivy grinste entschuldigend und hakte sich bei Ashi ein, nachdem sie ihr mit funkelnden Augen in die Wange gekniffen und einen schmollenden Seitenblick kassiert hatte. "Ääähm... Bacardi...?", setzte Tetsuno nach einiger Zeit unbeholfen an und versuchte mit aller Macht, nicht zu dem Gewittermagier aufzusehen. "Jau?" Bacardi wandte sich ihm zu. "Du, äh... hast uns doch mal die Story mit den Gottheiten der sechs Elemente erzählt... sag, hatte Pyro irgendwelche besonderen Feinde?" Bacardi, offenbar überrascht, wie Tetsuno plötzlich auf dieses Thema kam, antwortete: "Doch, und gar nicht mal wenige. Taki, der Wassergott, war sein Erzrivale. Die beiden konnten sich auf den Tod nicht ausstehen. Dracona, die Drachengöttin, hielt ihn für zu arrogant und selbst Arashi, die Göttin des Windes, die sonst mit jedem gut klarkam, hatte definitiv was gegen ihn. Die ist sogar so weit gegangen, dass sie ihm Morddrohungen gemacht hat, als Pyro was mit ihrer besten Freundin Cerasa, der Naturgöttin, anfangen wollte. Ziemlich krass, auch wenn sich das jetzt wohl echt doof anhört... in der heiligen Schrift klingt's besser, da ist die Sprache halt etwas... gehobener, wenn ihr versteht." Er grinste wieder. "Aber sprich, wie kommst du da drauf, Tet-chan?" Tetsuno seufzte und wechselte einen Blick mit Ashi. Die zuckte hilflos mit den Schultern. Jetzt mussten sie wohl mit ihrem Verdacht rausrücken... Das dauerte länger, als sie angenommen hatten, da Ivy mal wieder keine Ahnung hatte, wovon die beiden sprachen, als die Rede auf Ashis Anfälle kam und auch das erst mal erklärt werden musste. Danach herrschten Verwirrung, Bestürzung und Nachdenklichkeit. Bacardi, der sich eine Zigarette angesteckt hatte und diese schon die ganze Zeit über so weit wie möglich von Ryume weghielt, erkundigte sich: "Und du bist ganz sicher, dass sie dich gemeint hat, Tet-chan? Ich mein, wenn in dir auch einer dieser Opis schlummern würde, dann hättest du doch die gleichen Symptome wie unser Twister, oder?" Tetsuno zuckte mit den Schultern. "Muss nicht unbedingt sein. Ashi-chan hatte Arashis Seele ja auch schon ihr ganzes Leben lang in sich und hat bis vor kurzem nichts davon mitgekriegt. Arashi wusste, wen sie vor sich hatte, immerhin ist sie eine Göttin. Außerdem hat sie mich direkt angestarrt... das war echt gruselig." Er schüttelte sich. Ashi sagte nichts. Sie konnte sich nicht daran erinnern. Sie wollte es auch gar nicht. Der Gedanke, dass eine Jahrtausende alte Göttin in ihr lebte und die Macht hatte, vollkommen die Kontrolle über Ashi zu übernehmen, behagte ihr überhaupt nicht. Und falls Tetsuno tatsächlich Arashis Todfeind Pyro sein sollte und die Sturmgöttin noch einmal Überhand bekam... Ashi wollte sich gar nicht erst ausmalen, was sie alles anstellen könnte. "Hey, Erde an Twister", Bacardi fuchtelte mit seiner Hand vor ihrem Gesicht herum, "reiß dich mal zusammen, immerhin diskutieren wir hier gerade über dich und deinen göttlichen Romeo. Momentan überlegen wir, ob wir euch in Zukunft wohl mit Allmächtige und Allmächtiger anreden müssen, interessiert dich das gar nicht?" Ashi konnte nicht lachen. Bedrückt starrte sie zu Boden. Tetsuno legte den Arm um sie. "Jetzt komm schon", er nickte ihr aufmunternd zu, "Trübsal blasen bringt doch auch nichts, Ashi-chan. Solange wir nicht wissen, was wir gegen Arashis Erwachen tun können, müssen wir unseren Kopf zum Arbeiten benutzen und ihn nicht hängen lassen." Ashi schüttelte den Kopf und warf Tetsuno einen verzweifelten Blick zu. "Tetsuno, hast du mal drüber nachgedacht, was ich dir vielleicht antun könnte?" Er nickte resolut. "Hab ich. Über das, was ARASHI mir antun könnte, nicht du. Und gerade deswegen sollten wir ja cool bleiben und nachdenken. Wir müssen diese Strahleoma irgendwie am Erwachen hindern..." Part 29: Kriegsrat Mit dem Abend kam der Nemui Kyojin fast in greifbare Nähe. Die Asahoshi legten bis zur Dämmerung noch einen Zahn zu und schlugen ihre Zelte dann, vermutlich zum letzten Mal, direkt am Fuße des Berges auf. Die Stadtverwaltung thronte mit ihren hohen Marmormauern jetzt wie der Kopf eines Riesen über ihnen und schien wie eine uneinnehmbare Festung. Doch sie musste einfach überwunden werden. Das wussten sie alle und genau deswegen schürten sie sich schon sehr früh ein Feuerchen und setzten sich drum herum, um Kriegsrat zu halten. "Okay, Leute", meinte Ashi und blickte mit gehobenen Brauen in die Runde, "das hier ist es." "Das Große", fügte Ivy hinzu. "The big one", kommentierte Bacardi. "Die Endstation", kam es von DBO. "Die letzte Schlacht", ließ Tetsuno verlauten. "Die Apokalypse", brummte Ryume genervt und erntete fünf beleidigte Blicke, "macht nicht so ne große Sache draus, wir wollen doch nur ein paar Kiddies aus dem Kasten holen und Songai die Fresse polieren, wo liegt eigentlich euer Problem?" "Spielverderber", Bacardi ignorierte sie und wandte sich den anderen zu, "wir müssen also irgendwie in die Stadtverwaltung reinkommen." "Und wie?", wollte Ivy wissen. "Nicht verzagen, Bacardi fragen. Ich darf ohne Stolz behaupten, dass ich in meiner Schulzeit ne ziemliche Leuchte auf dem Gebiet Politik war. Hab mal mit meiner Politikklasse nen kleinen Abstecher da rauf gemacht, damit wir uns mal ansehen konnten, wie das alles so läuft da oben." Er blickte Achtung heischend um sich. "Soll heißen, ich kenn mich in dem Ding aus. Ist zwar schon'n Weilchen her, seit ich das Teil besichtigt hab, aber ich hab den Aufbau noch klar vor Augen." Er schnappte sich einen herumliegenden Stock und ritzte damit drei große Rechtecke in den Erdboden. "Also, das", er tippte mit dem Stock auf das mittlere Rechteck, "ist sozusagen die Lobby. Riesige Eingangshalle, ein Haufen Protz und Prunk. In den äußeren Bereichen sind die Büros der ganzen Politiker, zwei ziemlich große Trakte. Für uns uninteressant. Interessanter wird es im ersten Stock", er deutete auf das obere Rechteck, "da haben nämlich die ganz hohen Tiere ihre Büros. Unter anderem auch unser Busenfreund Songai. Außerdem werden da noch ein paar von Kama-Tos kulturellen Schätzen aufbewahrt, ihr wisst schon, das Zeug, wegen dem dieser Irre neulich sämtliche Alarmsysteme lahmgelegt hat." Er schüttelte mitleidig den Kopf, dann fuhr er fort und ging zum untersten Rechteck über. "Und das hier ist der unterirdische Stock. Besucher haben hier normalerweise keinen Zutritt, deswegen kenn ich mich da nicht ganz so gut aus... ich weiß nur, dass da unten die Angestellten hausen. In dem Stock liegt wohl auch die Küche und das ganze sanitäre Zeugs. Für Touris nichts weiter Interessantes, für uns aber schon." Er piekte Ashi mit seinem Stock in den Arm und erklärte feierlich: "Ich verwette zwei meiner Ohrringe drauf, dass du dein Schwesterherz da unten finden wirst." Ashi nickte und rieb sich den Arm. "Okay. Cool, dann haben wir ja wenigstens ungefähr ne Ahnung, was uns erwartet." Sie atmete tief durch und starrte auf Bacardis Skizze. Gleichzeitig mit DBO verkündete sie: "Aber wir brauchen einen Plan." "Dazu müssen wir erst mal klarstellen, was wir überhaupt erreichen wollen", warf Ryume ein. "Ist doch klar", Tetsuno zuckte mit den Schultern, "Nami und ihre Freunde da rausholen und Songai ne Abreibung verpassen." Ivys Blick flog flink über den Lageplan. "Ich denke, ich hab eine Idee", meinte sie schließlich und die anderen wandten sich ihr zu. Heftig gestikulierend und ziemlich angespannt erklärte Ivy ihnen ihren Einfall. "Klingt... riskant", Bacardi kaute nervös an seiner Zigarette. "Da kann ganz schön was schief gehen", bemerkte Ryume. "Habt ihr ne bessere Idee?" Ivy hob die Augenbrauen. Schweigen. "Dann bin ich dafür, dass wir Ivy-chans Vorschlag annehmen", meinte Ashi. "Okay." Bacardi schlug mit der Faust gegen seine linke Handfläche. "Aber nur, wenn ich zu Songai rauf darf." Seine Augen glitzerten kampflustig. Die anderen zuckte mit den Schultern. "Ich komm mit", beschloss Ryume. "Gut, dann schieben DBO und ich Wache", verkündete Ivy. Der Wassermagier nickte. "Von mir aus." Ashi und Tetsuno wechselten einen kurzen Blick, dann nickten auch sie. "Alles klar", Tetsuno stieß hörbar die Luft aus, "dann steht der Plan also. Hauen wir uns gleich aufs Ohr, wir werden morgen verdammt dankbar drum sein..." Doch nicht allen fiel es leicht, an diesem Abend einzuschlafen. Es war immerhin vielleicht der letzte Abend, an dem sie beisammen waren. Nach der Aktion am nächsten Tag würden sich ihre Wege wieder trennen... und diesmal vermutlich für längere Zeit. Genau diese Gedanken drifteten durch Ashis Kopf, während sie still an einen Baum gelehnt am Fuße des Nemui Kyojins saß und in den Nachthimmel starrte. Sie wollte nicht schon wieder von den anderen verlassen werden. Sie hasste es, Abschied nehmen zu müssen... auch wenn sie vielleicht jemanden, der ihr sehr wichtig war, wieder zurückbekommen würde. Ashi dachte nach. Sie hatte Nami kaum noch in Erinnerung, weil sie ihre Schwester nur als kleines Baby gesehen hatte. Das Einzige, was sie sich noch klar ins Gedächtnis zurückrufen konnte, waren Namis Augen. Wolfsgrau mit einem dunklen Ring um die Iris. Die Augen waren es, die Mikomi, Nami und sie als Schwestern erkenntlich machten. Ashi seufzte. Sei wusste noch nicht mal, welche Haarfarbe Nami hatte... ob sie sie überhaupt wiedererkennen würde? Blödsinn, schoss es ihr durch den Kopf, sie würde wissen, dass sie ihrer Schwester gegenüber stand, wenn sie Nami vor sich sah. Es brachte nichts, sich jetzt noch unnötig aufzuregen. "Yo, Twister, auch noch wach?" Bacardi ließ sich neben ihr ins Gras fallen. Ashi sah überrascht zu ihm auf. "Hey, kannst du auch nicht schlafen?" Bacardi steckte sich eine Zigarette an und zuckte mit den Schultern. "Nicht wirklich. Bin zu aufgekratzt." "Ja", Ashi nickte langsam, "ich auch..." Eine Weile lang fanden sie kein Gesprächsthema. Es war so selten, dass die beiden sich alleine unterhalten konnten. Doch dann bemerkte Ashi Bacardis starren Blick, als wäre der Gewittermagier nicht mehr so ganz anwesend. "An was denkst du gerade?", erkundigte sie sich. Bacardi lächelte leicht. "Ich hab mir noch mal alles in Erinnerung gerufen, was ich auf meiner Reise mit euch erlebt hab." Ashi lachte auf. "Ja, ich kann dich immer noch sehen, wie du auf deinem Motorrad aus dem Unterholz im Park herausgebrochen bist und uns den größten Schreck unseres Lebens eingejagt hast..." Bacardi röhrte mit. "Das war'n Spaß, ich hab mich im ersten Moment auch gefragt, was ihr für schreckhafte Hühner seid..." Ashi schmollte. "Wir hatten so was eben nicht erwartet. Auch wenn's uns nicht unwillkommen war." Sie grinste wieder. "Im Wald ist es dann schon interessanter geworden", meinte Bacardi und wippte in seinen Motorradstiefeln auf und ab. "Da hatte ich nämlich auch Schiss. Nicht nur ihr." Ashi nickte. "Man hat's dir angesehen. Komischer Anblick, das passt so überhaupt nicht zu dir." Bacardi blies ein paar Rauchkringel in die Luft und blickte nachdenklich in die Neumondnacht. "Was ich mich schon immer gefragt habe, Twister... warum zum Geier wollten dich diese Flohpulveropas damals eigentlich nicht passieren lassen? Ich meine... ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass du von uns allen das Herz mit den schwärzesten Gedanken hattest. Das kläng für mich, als ob jemand behaupten würde, Ryu-kun sei die Femininste hier unter uns..." Ashi seufzte tief. "Ach Bacardi... ich glaube, du unterschätzt mich. Weißt du, ich hatte tatsächlich mal Rachegefühle. Als die Yorukage damals mein Dorf niedergebrannt und mir all meine Freunde und meine Familie genommen haben, hätte ich sie am liebsten alle umgebracht." Bacardi fiel die Zigarette aus der Hand und er starrte Ashi ungläubig an. "Was...??" Die Windmagierin nickte betrübt. "Ja. Der Rachedurst ist es gewesen, der mir den Mut und die Kraft gegeben hat, nach Kama-To aufzubrechen und dort nach Miko und Nami zu suchen. Hätte ich ein vollkommen reines Herz besessen, wäre ich wohl in Selbstmitleid versunken und hätte aufgegeben. Meinem Leben auch ein Ende gesetzt." Sie blickte gedankenverloren auf ihr silbernes Armband. Bacardi schwieg. Die Kippe war vergessen und qualmte neben ihm im Gras aus. "Ich hasse mich selbst dafür, aber ich konnte mich damals einfach nicht gegen dieses Gefühl wehren, Bacardi. Aber das war wirklich der Grund, warum mich die Geister in den Wald verbannt haben... obwohl ich diese Emotionen schon lange bereut hatte. Als ich Tetsuno getroffen hatte, hab ich mich oft selbst gefragt, wie ich jemals so falsch denken konnte. Ich war mir selbst unheimlich. Vermutlich habe ich deswegen nur so langsam Fortschritte im Kartenzauber gemacht. Ich hatte einfach Angst vor mir... dass... dass ich wieder in solche Gedanken verfallen könnte. Du musst es nicht verstehen. Denk von mir, was du willst, Bacardi." Der Gewittermagier schüttelte langsam den Kopf. "Nein. Ich weiß schon, was du meinst, Twister. Du darfst mir glauben, meine Angst vor dieser Herzensprüfung war damals auch nicht unbegründet. Und die Spukopis haben ja auch in Erwägung gezogen, mich zu verbannen, wenn du dich erinnern kannst..." Ashi nickte nachdenklich. "Ja, stimmt. Ich hab mich immer gefragt, warum. Diese Geisteroma hat doch gemeint, du hättest mal dunkle Gedanken gehabt, sie aber schon längst und ausreichend bereut. Was meinte sie denn damit?" Bacardi zuckte mit den Schultern. "Na ja... da du mir jetzt erzählt hast, was in dir so vorgegangen ist, muss ich wohl auch mit der Sprache rausrücken." Er zog die Träger seines schwarzen Kampfanzuges zu beiden Seiten weg und krempelte ihn nach unten, sodass sein Oberkörper freilag. "Sieh dir das mal an." Er deutete auf seine Brust. Ashi sog erschrocken die Luft ein und hielt sich die Hand vor den Mund, während ihre Augen groß wie Untertassen wurden. "Oh mein Gott... Bacardi, was... was hast du denn nur..." Der Gewittermagier senkte schuldbewusst den Blick. Einige hässliche Narben zogen sich über seinen Oberkörper und die darauf befindlichen Muskeln. Sie formten gemeinsam den Schriftzug Sinner. "Schätze, spätestens jetzt bin ich dir ne Erklärung schuldig", meinte er. Ashi starrte sprachlos auf die Schnitte. "Es war im ersten Jahr, nachdem ich die Schule beendet hatte", fing Bacardi an zu erzählen, "ich war damals siebzehn. Irgendwann hab ich mir auf nem Stadtfest ein Mädel angelacht. Wir verstanden uns sofort prächtig und kamen ins Gespräch. Sie hatte genau wie ich ein Faible für Motorräder... kannst dir wohl schon denken, dass da mehr draus geworden ist. Wir waren ein halbes Jahr lang zusammen. Ich war so glücklich wie noch nie in meinem Leben. Konnte gar nicht in Worte fassen, was ich für sie empfand... und doch... hab ich sie betrogen." Er biss sich auf die Lippe, während Ashi immer noch nicht fähig war, ein Wort zu sagen oder den Blick von den Schnittwunden zu nehmen. Bacardi schüttelte den Kopf und fuhr sich durch seine neongrünen Strähnen. "Ich war an dem Abend grässlich drauf. Bin mit ein paar Kumpels durch die Gegend gezogen und hab mich so richtig zugesoffen. So breit wie damals bin ich wohl vorher noch nie gewesen... na ja, es hat zumindest ausgereicht, dass ich mich am nächsten Morgen bei einer anderen im Bett wiederfand. Hab sie wohl in der letzten Bar kennen gelernt, frag mich nicht, ich weiß es heute nicht mehr..." Sein Blick war starr ins kühle Gras gerichtet. "Anfangs wollte ich es ihr einfach sagen. Wollte ihr gestehen, dass ich sie verraten hatte... dass ich sie immer noch liebte und mich im Moment am liebsten selber umbringen würde. Ich hab drüber nachgedacht, ehrlich. Aber dann hab ich mir gesagt, dass es zu einfach wäre. Ich kam mir schrecklich vor. Echt furchtbar... ich wusste, dass ich keinen größeren Fehler hätte begehen können. Und ich wollte nicht weglaufen. Ich zwang mich, weiterzuleben... immer mit der Vorstellung meiner Sünde im Hinterkopf. Aber das war nicht genug. Ich musste mich irgendwie bestrafen. Ich verließ meine erste und einzige große Liebe und zog mich zurück. Dann hab ich begonnen, mich selbst zu quälen. Ich wollte büßen, wollte bereuen... und hab mich selbst mit dem Messer traktiert. Anfangs nur einmal. Ich dachte, das wäre genug... aber das war es nicht. Ich fühlte mich immer noch schuldig. Und so tat ich es wieder. Immer und immer wieder... bis es nicht mehr verheilt ist." Ashis Blick war leer. Bacardi senkte den Kopf. "Ich hab sie nie wiedergesehen", flüsterte er. Eine einzelne Träne kullerte seine Wange hinunter. "Sag es. Ich bin ein Bastard." Ashi sah ihn verzweifelt an und schüttelte den Kopf, während auch sie zu weinen begann. "Das hättest du nie tun dürfen, Bacardi!", sagte sie stockend, "du - du hast es doch bereut, das ist doch offensichtlich... warum hast du nur... wie konntest du nur... oh Bacardi!!" Die Tränen gewannen Überhand und Ashi vergrub ihr Gesicht in den Händen. Der Gewittermagier erstarrte und blickte sie entsetzt an. "Hör auf, Twister, lass das sein! Deswegen darfst du doch nicht weinen; ich bin derjenige, der sich selbst bemitleiden muss!" "Halt doch die Klappe", heulte Ashi und klappte zusammen, sodass Bacardi sie wohl oder übel auffangen musste. Zwischen ungläubigen Schluchzern quetschte sie hervor: "Du... warst so dumm... das hättest du nie tun dürfen... und... trotzdem... bist du... so viel stärker als ich... diesen Druck hätte... ich nie ausgehalten... ich wäre gestorben... wie mutig von dir..." Sie holte zitternd Luft und sah Bacardi durch einen Schleier aus Tränen direkt in seine dunklen Augen. "Versprich mir, nie wieder so etwas Dummes zu tun, bitte!!" Verzweiflung spiegelte sich in ihrem Blick. Bacardi starrte sie eine Weile lang sprachlos an, dann begann er langsam zu nicken. "Ist... ist gut, Twister. Ich glaube, du hast Recht... vielleicht bin ich damals wirklich zu weit gegangen." Er lachte heiser und wischte sich eine weitere Träne aus dem Gesicht. "Was war ich doch für ein Feigling..." "Du warst kein Feigling", Ashi machte sich von ihm los und sah ihn ernst an, "du warst nur ein großer Dummkopf, Bacardi. Und jetzt versprich mir, dass du nie mehr einer sein wirst!" Bacardi hielt sich den Kopf und nickte kraftlos. "Versprochen, Twister..." Ashis Miene entspannte sich langsam wieder und sie legte Bacardi erleichtert den Arm um die Schulter. "Oh Mann", seufzte sie auf, "ich hätte echt nie geglaubt, dass ich heute Abend schon wieder Taschentücher brauchen würde..." "Allesch klar, Männer. Die letschte Schtärkung tschu euch nehmen, dann schtarten wir durch!", kommandierte Ashi am nächsten Morgen zwischen zwei Bissen ihres Marmeladenbrots. Sekunden später waren die anderen ebenfalls am Futtern. Sie brauchten Motivation, wenn sie ihr Ding heute durchziehen wollten - da war ein gutes Frühstück einfach das Beste. Im Handumdrehen war die Mahlzeit beendet und die sechs Asahoshi standen fest in den Startlöchern. Die Rucksäcke geschultert, den Blick fest auf den Gipfel des Nemui Kyojin gerichtet und ein seltsam hüpfendes Gefühl in der Magengegend, machten sie sich auf den Weg zur Stadtverwaltung hinauf. Der Anstieg war nicht schwer, da die Steigung flach war und der Berg sich eher in die Länge als in die Höhe zog. Trotzdem konnte man ihn von überall in Kama-To aus sehen. Die kleine Gruppe begegnete keiner Menschenseele; die Stadt schien noch zu schlafen. Es war ja auch erst kurz nach Sonnenaufgang. Nur ein einzelner Bote, der es ziemlich eilig zu haben schien, lief ihnen auf halber Strecke über den Weg und hätte beinahe Ivy umgerannt, als er hinter einem Baumstamm hervorraste. Der kleine Junge, wohl kaum dreizehn Jahre alt, kam mit einem "Woooooooah!!" im letzten Moment zum Stillstand und ruderte vor Ivy, die erschrocken einen Satz nach hinten gemacht hatte, ums Gleichgewicht. "Sachte, sachte!", ließ Bacardi verlauten und beäugte den Laufburschen grinsend, "Wohin so eilig am frühen Morgen, Kleiner?" "Tschuldigung", keuchte der Junge und wischte sich sein wirres braunes Haar aus der schweißnassen Stirn, "bin megaspät dran, hab euch überhaupt nich gesehen..." "So kommt's mir auch vor", meinte Ivy lächelnd, die sich inzwischen wieder von ihrem Schock erholt hatte, "was überbringst du denn da?" Neugierig deutete sie auf den schon ziemlich zerknitterten Brief in seiner Hand, der mit einem roten Siegel verschlossen war. Der Junge hob die Augenbrauen. "Top Secret. Bring die letzten Neuigkeiten aus der Stadtverwaltung zur Presseagentur, geht kein' was an." Ashi legte den Kopf schief. "Muss ja was ganz Heißes sein, wenn du dafür schon so früh aus dem Bett geholt wirst." Der Junge zuckte gleichgültig mit den Schultern. "Man gewöhnt sich dran... obwohl man ja eigentlich glauben sollte, wenn schon Kinderarbeit, dann wenigstens im Bereich des Menschlichen." Er zog eine Grimasse. "Diese hirnrissigen Yorukage... überall hätten sie mich hinschicken könn', aber doch nich..." Er biss sich auf die Zunge und starrte die kleine Gruppe entsetzt an. "Scheiße... jetz is mir was rausgerutscht..." DBO war hellhörig geworden. "Moment mal", er röntgte den leichenblassen Jungen mit seinem Blick, "soll das heißen, du arbeitest nicht freiwillig in der Stadtverwaltung?" "Die Yorukage haben dich dazu gezwungen?", schaltete sich nun auch Ivy wieder ein, "Heißt das, du kommst direkt aus dem Terrorgebiet...?" Der Junge warf ihnen misstrauische Blicke zu. "Seid ihr... seid ihr..." "Asahoshi." Tetsuno nickte. "Cool bleiben, Kleiner, kannst uns ruhig alles erzählen; wir verpfeifen dich nicht." Erleichterung stellte sich auf dem verdreckten Gesicht des Jungen ein. "Puh, okay, dann is ja gut... also, um Klartext mit euch zu reden: Jau, die Yorukage ham mich auf dem Schulweg erwischt un ins Terrorgebiet verschleppt. Einfach so. Da war ich dann ne Woche mit n paar andern Kids zusamm' un dann ham sie uns zur Stadtverwaltung hoch geschickt. Da dürfen wir uns jetz den Arsch abarbeiten, nur damit der Lohn dann an diese Gauner zurückgeschickt wird un wir niente von der ganzen Plackerei ham." Grimmig quetschte er den Brief in seiner Hand zusammen. "Ääh... sag mal, Kleiner", setzte Ashi vorsichtig an, "wenn du mit noch anderen Kids da rauf gebracht worden bist... kennst du dann vielleicht ein kleines Mädchen, das Nami heißt?" "Nami? Logisch doch", der Junge grinste, "die Coolste von allen Mädels da oben. Macht ihren Vorgesetzten höllisch Ärger, die lässt sich nix gefallen..." Er lachte heiser. "Hat kein' Bock, sich diese ganze Tortur noch länger gefallen zu lassen. Redet andauernd davon, dass sie irgendwann die Fliege machen will. Hatte bisher aber noch keine Gelegenheit dazu... auch wenn ich ihr zutrauen würd', dass sie damit durchkommt, ehrlich." Ashis Herz hatte einen Hüpfer gemacht. Nervös auf ihrer Unterlippe kauend, fragte sie den Kleinen weiter aus. "Und... und wie sieht Nami aus? Kannst du sie beschreiben?" "Öh", der Junge kratzte sich am Kopf, "na ja, sie is ungefähr so groß wie ich... ungewöhnlich groß für ihr Alter, hat blonde Haare - das Grauen aller Haarbürsten, die stehen immer nach allen Seiten hin ab - also, die Haare mein ich, nich die Bürsten, klar - un außerdem hat sie graue Augen un... geht's dir gut?" Er hatte seine Schilderung unterbrochen, als Ashi einen freudigen Aufschrei im letzten Moment hinunterwürgte und Ivy an der Schulter packte. Ashi nickte begeistert. "Ja doch, alles in Ordnung... du, verrätst du mir, wo Nami arbeitet?" "In der Küche", antwortete der Kleine und hob die linke Augenbraue, "sag mal, warum willste das eigentlich alles wissen?" "Lass dich überraschen", Ashi grinste ihn an, "wenn ich dir nen Tipp geben darf, Kleiner, dann überbring schnell dein Briefchen und lass dir auf dem Rückweg schön viel Zeit. Wenn du Glück hast und unser Vorhaben Erfolg hat, dann war das der letzte Brief, denn du den Berg runter bringen musst." Sie zwinkerte ihm verschwörerisch zu. Der Junge warf einen zweifelnden Blick in die Runde. "Hört sich ja voll nach ner Rettungsmission an... habt ihr überhaupt ne Ahnung, auf was ihr euch da einlasst?" "Haben wir, worauf du dich verlassen kannst", antwortete Bacardi grimmig, "Songai war lange genug an der Macht; die gesamte Stadt schreit nach ihrer alten Freiheit. Wird Zeit, dass endlich jemand was unternimmt." Der Blick des Jungen blieb an Ryume haften und seine Augen wurden größer, als er das Drachenmuster auf ihren Klamotten und ihr Amulett bemerkte. "Ey... boah... jetz sag bloß... du bist ne Drachen-Asahoshi???" Er begann ungläubig zu strahlen. Ryume hob die rechte Braue. "Ja", lautete die äußerst präzise Antwort. "Mann, krass!!" Der Kleine überschlug sich fast vor Begeisterung und seine Augen leuchteten, "Ich hab soooo viel von euch Drachenzauberern gehört, ihr müsst ja Mords was aufm Kasten ham..." Er bemerkte Ryumes Wasn-das-für-einer-Blick und schüttelte den Kopf, um wieder auf den Boden der Tatsachen zu kommen. "Fett", zog er sein Fazit, "ich wett, ihr kriegt das hin. Viel Glück, Leute... wir zählen auf euch! Wenn ihr das durchzieht, uns alle befreit un Songai volle Kanne von seinem Thrönchen kloppt, dann seid ihr die Helden der Nation!" Er strahlte und versuchte seinen Brief wieder einigermaßen zu glätten, der inzwischen mehr einem Stück zusammengeknüllten Papiers glich, das auf den Abfall gehörte. "Okay, ich muss weiter", schloss er die Unterhaltung ab und winkte ihnen über die Schulter zu, als er im Laufschritt weiter marschierte, "Bye!!", brüllte er, "riegt das hin. Viel Glück, Leute... wir zählen auf euch! Wenn ihr das durchzieht, uns alle befreit un Songai volle Kanne von seinem Thrönchen kloppt, dann seid ihr die Helden der Nation!" Er strahlte und versuchte seinen Brief wieder einigermaßen zu glätten, der inzwischen mehr einem Stück zusammengeknüllten Papiers glich, das auf den Abfall gehörte. "Okay, ich muss weiter", schloss er die Unterhaltung ab und winkte ihnen über die Schulter zu, als er im Laufschritt weiter marschierte, "Bye!!", brüllte er, "riegt das hin. Viel Glück, Leute... wir zählen auf euch! Wenn ihr das durchzieht, uns alle befreit un Songai volle Kanne von seinem Thrönchen kloppt, dann seid iächter aus, während Ryume die Augen verdrehte, die Hände in ihren Hosentaschen vergrub und weiter den Berg hinauf stiefelte. "Ey, warte auf uns!", krächzte Ashi inmitten ihres Lachanfalls hinter ihr her. "Was hast du denn gegen ihn??", wieherte Bacardi, "er hat immerhin erkannt, dass du kein Kerl bist..." Tetsuno wischte sich die Lachtränen vom Gesicht, klopfte Bacardi auf die Schulter und zog ihn mit sich hinter Ryume her, die langsam einen beträchtlichen Vorsprung erreichte. Die anderen drei folgten, während sie sich die Bäuche halten mussten. Part 30: Die Stadtverwaltung "Aaaah... ich weiß nicht... glaubt ihr wirklich, die nehmen uns das ab...?" Unruhig spielte Ivy mit einer ihrer braunen Strähnen herum. "Hey, hey, cool bleiben", meinte DBO und schickte ihr einen aufmunternden Blick zu, "Lampenfieber ist das Letzte, was wir jetzt gebrauchen können, sonst wird das nie was." "Wir sind da", verkündete Ashi und die beiden sahen wieder nach vorne. Sie hatten das große zweistöckige Gebäude der Stadtverwaltung erreicht. Irgendwie sah es von Nahem so aus, als wären es mehr als zwei Etagen, da jeder Stock eine Höhe von fast fünf Metern hatte. Grauer Marmor und altmodische Steinsäulen ließen das Ganze ziemlich altertümlich wirken und der Bau machte einen sehr abweisenden Eindruck. Die Asahoshi jedoch ließen sich nicht beirren und marschierten auf das Eingangsportal zu. Es stand offen, wie das Tor am Himitsu-Tempel - nur dass diese Maßnahme hier nicht ergriffen worden war, damit das Gebäude einladend und freundlich wirkte, sondern damit die Menschenmassen, die hier wie Ameisen ein und aus wuselten, nicht jedesmal die Tür auf und zu machen mussten. Es war wirklich erstaunlich, wie viel hier schon los war, obwohl der Tag doch gerade erst angebrochen war. "Du Schande", ächzte Tetsuno, als sie sich gegen den Menschenstrom durch die Eingangstür quetschten, "hier möchte ich echt nicht arbeiten; stellt euch das mal vor, jeden Morgen das Gedrängel..." Die kleine Gruppe stolperte in die Lobby und wurde vom geschäftigem Geschnatter der Beamten und Journalisten empfangen, die sich hier aufhielten. Eine Klimaanlage sorgte für angenehme Luft in dem überfüllten Raum und machte das Ganze etwas erträglicher. Bacardi, der größte der sechs Freunde, ragte auch allen hier Anwesenden über die Köpfe und streckte sich, um sich zu orientieren. Dann wies er zur Seite. "Da drüben", ließ er verlauten, "da ist die Rezeption. Wenn wir nen Termin bei Songai wollen, müssen wir uns erst anmelden." Also schaufelten sie sich im Gänsemarsch zur Rezeption durch und der Gewittermagier trat an die Theke. "Hallo?", rief er einer Bediensteten zu, die offenbar für die Empfänge zuständig war, allerdings gerade lauthals mit einem ihrer Kollegen diskutierte und Bacardi überhaupt nicht wahrnahm. "HALLO?!?", wiederholte Bacardi noch ein paar Stufen lauter. DBO schubste ihn beiseite und haute mit der Faust auf die kleine, metallene Klingel, die an der Theke angebracht war. Mit einem durchdringenden "Dinnnnng" holte das Gerät die Empfangsdame in die Realität zurück und sie wirbelte bei diesem vertrauten Geräusch zu ihnen herum. "Guten Tag, was kann ich für sie tun?", erkundigte sie sich mechanisch. DBO warf Bacardi einen triumphierenden Blick zu. Bacardi ignorierte ihn und begrüßte die Angestellte. "Morgen. Wir hätten gern einen Gesprächstermin mit Herrn Songai." "Ding." DBO fand Spaß an der Klingel und haute noch mal drauf. "Ah ja...?", näselte die Empfangsdame und warf einen abschätzenden Blick auf die bunte Truppe der Asahoshi und deren Aufzug. "Nun gut, ich kann ihnen einen Termin geben, aber sie werden sich ziemlich gedulden müssen. Herr Songai hat im Moment sehr viel zu tun und ich muss sie bitten, sich auf eine lange Wartezeit einzustellen..." "Kein Problem", Bacardi zuckte mit den Schultern, "wir haben Zeit." "Dinnng." Irgendwie fand der Wassermagier das Teil lustig. "Gut." Die Bedienstete warf DBO einen vernichtenden Blick zu, tippte etwas in einen Computer ein und händigte Bacardi einen Zettel aus. "Zeigen sie das vor, wenn sie an der Reihe sind." "Dinnnnnnng." "Warten sie bitte so lange im ersten Stock im Empfangsraum des Bürgermeisters, die Treppe hoch und dann die dritte Tür rechts." "Dingdingdingdingding." "Schönen Tag noch." Desinteressiert und mit einem letzten, tödlichen Seitenblick auf DBO drehte sie sich auf dem Absatz um und wandte sich wieder ihrem Kollegen zu, der ungeduldig mit dem Fuß auf dem Boden herumgetrommelt hatte. Bacardi pflügte sich, allen voran, bis zur Treppe durch und die Asahoshi stiegen hinauf. Sie folgten der Wegbeschreibung und standen kurz darauf vor einer massiven Eichentür. Dahinter lag ein totenstiller Raum, der mit einigen Sitzplätzen und Zierpflanzen eingerichtet war. Drei weitere Gäste saßen in den Besuchersesseln. Ein junges Mädchen von vielleicht achtzehn Jahren, das angespannt in einem Magazin blätterte und Kaugummi kaute, ein Herr in den späten Sechzigern, der gerade einen würgenden Hustenanfall hatte und sich auf seinen Gehstock stützte und ein früher Vierziger, der mit Trenchcoat und Hut ausgerüstet war und teilnahmslos durch seine Zeitung blätterte. Bacardi steuerte sofort den Platz neben dem jungen Mädchen an und ließ sich in den Sessel fallen. Ryume folgte ihm mit einem Augenverdrehen und die anderen teilten sich die Sitzplätze ihnen gegenüber. Lange Zeit saßen sie einfach so da und benahmen sich, als ob sie, genau wie die anderen Anwesenden, auf ihren Termin bei Songai warteten; dann ging plötzlich die Tür zum Nebenzimmer auf und eine Dame kam heraus. "Wer von ihnen hat den ersten Termin? Herr Songai ist jetzt bereit, Besucher zu empfangen." Der Mann im Trenchcoat schwang sich aus seinem Sessel, faltete seine Zeitung zusammen und hielt der Dame einen Zettel unter die Nase. Diese schickte ihn daraufhin in das Nebenzimmer und schloss die Tür wieder hinter sich. Wieder eine Weile Stille. Dann wurde es Bacardi zu dumm und er wandte sich seiner Nachbarin zu. "Darf man fragen, was sie so an dieses Magazin fesselt?" Das Mädchen sah überrascht auf. "Wie? Oh, äh... dieser Artikel über Motorräder fasziniert mich so... sechs Seiten lang, der Wahnsinn... warum fragen sie?" "Motorräder?", wiederholte Bacardi begeistert und rutschte in seinem Stuhl herum, "Sie interessieren sich für Motorräder?" "Ja", das Mädchen strahlte, "ich mach dieses Jahr meinen Führerschein..." "Cool, dann haben wir ja dasselbe Hobby! Ich hab meinen Führerschein schon seit einem Jahr, bin aber auch vorher schon ohne Lizenz gefahren, das war mir egal... ich hab eine Eagle 328 in meinem Schuppen stehen, die..." Ashi und Ivy standen fast gleichzeitig von ihren Sitzplätzen auf und verkündeten, dass sie mal schnell für kleine Mädchen müssten. Sie waren kaum aus der Tür, als Tetsuno auch schon brummte, dass er mal nachsehen würde, ob es hier nicht einen Getränkeautomaten gäbe, und DBO sich ihm anschloss. Tetsuno schloss die Tür hinter sich und ächzte. "Mannomann, der Kerl treibt mich noch mal in den Wahnsinn..." "Wenigstens hat er sie abgelenkt", meinte Ashi gleichgültig, "kommt schon, wir sollten hier nicht zu lange rumstehen." Eilig schoben sie sich wieder zurück zur Treppe durch und drängelten sich hinunter. Eine zweite Treppe führte direkt darunter einen Stock tiefer. Sie war nicht halb so ausladend und breit wie die in den ersten Stock und ein rotes Schild mit der Aufschrift "Nur für Bedienstete" prangte über dem Türbogen. Die vier Asahoshi sahen sich unauffällig nach eventuellen Beobachtern um, wechselten kurze Blicke, dann nickten sie sich zu. "Alles klar, seid vorsichtig!" Ivy wedelte Ashi und Tetsuno mit der Hand durch die Tür und lächelte ihnen noch einmal ermutigend zu. "Wir passen auf und informieren euch, wenn was schieflaufen sollte!" "Viel Glück!", raunte DBO ihnen noch zu, bevor Ashi und Tetsuno die Stufen hinunter in die Kelleretage stiegen. Der unterste Stock war nicht so hoch gebaut wie beiden oberen, aber weitaus komplizierter. Unzählige Gänge zweigten in alle Richtungen ab und ließen den Keller wie ein Labyrinth erscheinen. Überall huschten Angestellte herum, keiner von ihnen nahm Notiz von Ashi oder Tetsuno. "Okay", Ashi holte tief Luft, "dann müssen wir jetzt die Küche finden. Wie stellen wir das an?" Tetsuno zuckte mit den Schultern. "Durchfragen. Komm schon." Er nahm sie bei der Hand und die beiden schlichen in den rechten Trakt davon. Der erste Bedienstete, der ihnen über den Weg lief, war ein rothaariges Mädchen, das wohl kaum älter als Ashi und Tetsuno war. Sie trug ein Tablett in ihren Händen, auf dem ein Frühstück angerichtet war und befand sich gerade auf dem Weg zur Treppe. Noch hatte sie Ashi und Tetsuno nicht bemerkt. Tetsuno nagte kurz auf seiner Unterlippe, als er sie sah, dann grinste er plötzlich und warf Ashi einen bedeutungsvollen Seitenblick zu. "Lass mich mal machen", flüsterte er ihr ins Ohr, ließ ihre Hand los und steuerte auf die Angestellte zu. "Entschuldigung", er hielt sie an und das Mädchen sah überrascht zu Tetsuno auf, der mehr als einen Kopf größer als sie war. "Äh... ja?", meinte sie unsicher und musterte ihn, "Kann ich irgendwie helfen?" Tetsuno zuckte mit den Schultern, die Hände in den Hosentaschen. "Wär cool. Ich bin auf der Suche nach der Küche, aber hier unten verläuft man sich ja nach jeder zweiten Gabelung..." Er grinste entschuldigend. Der Blick des Mädchens war starr auf Tetsunos Oberarmmuskeln gerichtet. "Du, ähm... scheinst hier nicht zu arbeiten, richtig?" "Durchschaut." Tetsuno seufzte theatralisch. "Ich hab eigentlich nen Termin bei Songai, aber da wart ich jetzt schon seit ner halben Stunde drauf. Und so langsam knurrt mir der Magen, verstehst du...? Dummerweise scheint ihr hier aber keine Automaten zu haben, wo man sich was für die Beißerchen besorgen kann. Deswegen hab ich gedacht, ich schau mal, ob ich nicht hier unten was kriegen könnte..." "Äh... verstehe..." Das Tablett hing durch die Unaufmerksamkeit der Mädchens immer schiefer in ihren Händen; ihr Blick war gerade an Tetsunos blauen Augen hängen geblieben. "Eigentlich darf ich aber keine Auskünfte an Fremde geben, weißt du..." Tetsuno nahm die Hände aus den Hosentaschen und ließ sie zu beiden Seiten des Kopfes des Mädchens an die Wand schnellen. Sein Gesicht war jetzt keine drei Zentimeter mehr von ihrem entfernt. "Hat dir schon mal jemand gesagt, was für wunderschöne grüne Augen du hast?", flüsterte Tetsuno unwiderstehlich, "Kein Sommerwald könnte damit konkurrieren, sie leuchten wie die aufgehende Sonne..." Das Mädchen giggelte und das Tablett verrutschte noch mehr - es hätte wohl eine Katastrophe gegeben, wenn Tetsuno es nicht im letzten Moment aufgefangen hätte. "Oh, entschuldige bitte", rief das Mädchen und nahm das Tablett entgegen, feuerrot im Gesicht, "ich muss dringend ins Erdgeschoss, Herrn Suzuki sein Frühstück bringen." Sie wandte sich zum Gehen, grinste aber noch mal über ihre Schulter zurück und deutete den Gang hinunter. "Wenn du in die Küche willst, dann geh den Flur ganz bis zum Ende runter! Die letzte Tür links! Du kannst sie gar nicht verfehlen, immer der Nase nach!" Und weg war sie. Ashi trat mit verschränkten Armen auf Tetsuno zu und hob die linke Braue. "Was war'n das eben für ne Nummer, Tetsuno?" Der Feuermagier feixte. "Jetzt komm schon, immerhin wissen wir Bescheid..." Ashi antwortete mit tödlichem Schweigen. "Gib wenigstens zu, dass ich echt gut schauspielern kann!", verlangte Tetsuno. "Kannst du nicht", antwortete Ashi eisig, "das Mädel war nur ziemlich beschränkt, das ist alles. Sich von jemandem wie dir aufs Glatteis führen zu lassen... einfach nur dämlich." Beleidigt drehte sie den Kopf zur Seite weg. Tetsuno lachte leise und gab ihr einen Kuss auf die Wange. "Sei mir nicht böse, Ashi-chan. Es war einfach zu lustig..." "Haa haa, ich lach mich gleich tot." "Hey, riechst du das?" Tetsuno war froh um den Themawechsel und schnupperte. "Hmm... lass mich raten... heut Mittag gibt's Hühnchen mit Nudeln und Himbeerpudding. Das Mädel hatte Recht, einfach nur der Nase nach..." Ashi warf ihm einen zweifelnden Blick zu, ließ sich aber mit den Gang hinunterziehen. Etwas später betraten sie tatsächlich die Küche, aus der sich ein wohlriechender Duft den ganzen Flur hinunterschlängelte. Der Raum war ziemlich groß; überall standen Töpfe auf Herdplatten herum, wurden Kochlöffel geschwenkt und Soßen abgeschmeckt. Die Küchenchefin, eine dicke kleine Frau mit bösen dunklen Knopfaugen scheuchte ihre kleinen Angestellten von einem Herd zum nächsten. "Jetzt macht schon, Tempo, Tempo!! Hängt euch gefälligst rein! Ich muss schnell ein Wörtchen mit meinem Vorgesetzten reden, bin gleich wieder da - und wehe, einer von euch vergreift sich an den Nudeln!" Noch einmal ließ sie ihre Augen über die versammelte Mannschaft von vielleicht dreizehn Kindern wandern, die alle einen Kopf kleiner wurden, dann rauschte sie durch einen Tür aus der Küche. Tetsuno pfiff durch die Zähne und wedelte mit seiner Hand. "Ganz schöner Küchendrache. Hätt' mich nicht gewundert, wenn sie angefangen hätte, Feuer zu speien." "Das ist deine Aufgabe, Tetsuno. Außerdem ist dir der Hunger jetzt wohl vergangen, was?" Ashi grinste ihn an und marschierte auf einen Jungen zu, der gerade einen Riesenbottich mit Salat mischte. "Hey, Kleiner", sprach sie ihn an, "war das eben eure Chefin?" Der Junge nickte schmerzlich. "Ja. Ist heute furchtbar schlecht gelaunt; Nami hat eine Ladung Fleisch verkokeln lassen..." Er deutete mit dem Daumen über seine Schulter und grinste. "War glatte Absicht, wenn du mich fragst." Ashis Blick flog eine Herdplatte weiter, wo ein kleines Mädchen gerade gelangweilt einen Ofen ausputzte und dabei auf dem Boden saß. Die Augen der Windmagierin wurden größer und größer. Das Mädchen hatte schulterlanges, blondes Haar, das wirr nach allen Seiten abstand. Ihre Kleidung bestand aus einem alten, verdreckten Hemd, das viel zu groß für sie war und ihr als Kleid diente. Außerdem trug sie ein Paar ebenfalls zu groß geratene, graue Socken, die ihr bis an die Kniescheiben gingen. Ashi erkannte ihr Gesicht, ohne es richtig angesehen zu haben. "Nami...!!" Sie stürzte auf das kleine Mädchen zu, ging neben ihr in die Knie und fiel ihr um den Hals. Die Kleine ließ ein erschrockenes Quietschen ertönen und warf ihren Putzlappen beiseite. "Hey, was soll denn das?" Ashi ließ sie los und strahlte sie an. "Mann, Nami... endlich hab ich dich gefunden...!" Das Mädchen beäugte sie misstrauisch. "Woher... kennst du meinen Namen?" "Ich finde, man sollte wenigstens den Namen seiner eigenen Schwester noch kennen. Meinst du nicht auch?" Nami starrte sie verblüfft an. "Schwester?? Nee, du verarschst mich doch jetzt, oder...?" Ashi grinste fröhlich. "Können diese Augen lügen?" Nami betrachtete das Gesicht der Windmagierin - und schüttelte ungläubig den Kopf. Ashis Augen waren von demselben Grau wie ihre eigenen; sie hatten den gleichen schwarzen Rand... "Du bist... Ashi...?", hauchte sie fassungslos, "Meine große Schwester Ashi...?" Die Angesprochene nickte vergnügt. "Immerhin hat Mama dir von mir erzählt. Cool." Plötzlich begann auch Nami zu strahlen. "Ich glaub das noch gar nicht", flüsterte sie und umarmte Ashi, "was machst du denn hier...?" "Blöde Frage. Ich hol dich zurück zu Miko und mir." Sie fasste ihre Schwester an den Schultern und sah ihr in die Augen. "Tu mir den Gefallen und sag all deinen Kumpels hier, dass sie sich bereithalten sollen. Meine Freunde und ich haben einen Plan, wie wir euch hier rausholen können. Aber ihr müsst sofort auf uns hören, wenn es soweit ist." Nami nickte aufgeregt. "Okay. Ist gut... ich geb's durch... und wir kommen hier wirklich raus??" "Wenn alles klappt, dann ja." Ashi warf Tetsuno einen nervösen Blick zu, der sie schon die ganze Zeit lächelnd beobachtet hatte. Sie wandte sich wieder Nami zu. "Auf mein Zeichen lauft ihr Tetsuno und mir hinterher und tut alles, was wir sagen." Kampflustig grinsend nickte Nami abermals. "Alles klar. Los geht's." Sie sprintete auf den nächstbesten ihrer Kumpels zu und teilte ihm leise Ashis Plan mit. Die Nachricht sprach sich wie ein Lauffeuer in der Küche herum und die Kleinen hatten Mühe, nicht vor Aufregung das Essen anbrennen zu lassen. Ihre Nervosität steigerte sich noch, als die Küchenchefin zurückkehrte und sie weiter zu "etwas mehr Tempo" anspornte. Nach einer Weile entdeckte sie Ashi und Tetsuno, die teilnahmslos in einer Ecke standen und die ganze Küche überschauten. Energisch marschierte sie auf die beiden Asahoshi zu, baute sich vor ihnen auf (sie reichte nicht mal bis an Ashis Schultern) und stemmte die Hände in die schwabbeligen Hüften. "Und wer seid ihr, wenn ich fragen darf?", bellte sie. "Öhm", Tetsuno warf Ashi einen unruhigen Seitenblick zu; die Windmagierin zuckte kaum merklich mit den Schultern, "äh, wir, ähm..." "Was tut ihr in meiner Küche? Seid ihr hergeschickt worden oder was wollt ihr?", pflaumte sie die Köchin weiter an. "Also", meinte Ashi, auf deren Stirn sich Schweißperlen gebildet hatten, "eigentlich wollten wir nur..." Ashis Satz ging in einer ohrenbetäubenden Druckwelle unter, die urplötzlich das ganze Gebäude erfasst hatte und die Wände erzittern ließ. Es hörte sich an wie ein übermenschliches Brüllen, das direkt aus dem ersten Stock zu kommen schien... Ein paar der Kinder schrien verängstigt auf; die Küchenchefin schlug die Hände über dem Kopf zusammen und starrte an die Decke. "Himmel noch mal!! Was ist denn da oben los??" Ohne ein weiteres Wort stürmte sie aus der Hintertür davon. Ashi und Tetsuno wechselten einen kurzen Blick, dann rief Tetsuno durch die ganze Küche: "Alle Mann zu uns, wir hauen ab, solange der Schock anhält!!" Ivy drängte sich neben DBO an das Treppengeländer, als die Menschenmassen in der Lobby der Stadtverwaltung panisch in Richtung Ausgang strömten und dabei einen Höllenlärm veranstalteten. Die beiden Asahoshi mussten aufpassen, um nicht zerquetscht zu werden. Die Massenhysterie, die bei der Druckwelle entstanden war, war zwar ihre Chance, deswegen aber nicht unbedingt angenehm. DBO hielt sich die Ohren zu und sah Ivy genervt an. "Die könnten sich da unten so langsam mal beeilen!", schrie er ihr durch den Lärm ins Ohr. Ivy schüttelte nervös den Kopf. "Lass ihnen mehr Zeit, DBO, die beiden schaffen das schon!", schrie sie zurück. Im nächsten Moment flog die Tür zur Kellertreppe auf und Ashi und Tetsuno standen neben ihnen, ein gutes Dutzend Kinder im Schlepptau. "Ashi-chan! Tetsuno! Da seid ihr ja!" Ivys Augen leuchteten auf und sie warf einen Blick auf die Kinder. "Sind das alle?", erkundigte sie sich. Ashi nickte. "Ja. Wir sind bereit, von mir aus können wir die Fliege machen." "Okay", Ivy wandte sich an die Kinder, "Nehmt euch alle an den Händen und bildet eine Kette, sonst werdet ihr auseinander gerissen! Die wollen momentan alle aus dem Gebäude raus, da schmuggeln wir uns einfach mit durch! Los, mir nach!" Sie griff nach der Hand des nächstbesten Mädchens und schob sich mit dem Menschenstrom in Richtung Ausgang. Ashi, Tetsuno und DBO trieben die Kinder hinter ihr her. "Was war das eigentlich für ne Druckwelle?", wollte DBO wissen. Tetsuno zuckte mit den Schultern und grinste. "Hörte sich so an, als ob Ryu der Kragen geplatzt wäre. Dieses Brüllen war unverkennbar... ASHI-CHAN!!!" Er riss entsetzt den Kopf herum, als Ashi plötzlich neben ihm zusammenklappte und zu Boden ging. "STOP!!", brüllte DBO, der die Situation schnell erfasst hatte. Ivy blieb mit den Kindern stehen und blickte zurück. Tetsuno kniete neben Ashi und hob vorsichtig ihren Kopf an. "Was hast du denn?", fragte er besorgt. Die Antwort kam schneller als erwartet. Ashis Augen veränderten sich wieder und eine eiskalte, zischende Stimme fauchte ihm zu: "Lass mich los...! Die Zeit ist gekommen... Pyro...!!" Tetsunos Miene verfinsterte sich. "Halt die Klappe, Arashi!", knurrte er. Ashis Augen wurden wieder normal, ihr Gesicht nahm einen verzweifelten Ausdruck an und im nächsten Moment sackte ihr Kopf zur Seite weg. DBO ließ sich neben Tetsuno auf die Knie fallen und wandte sich dem Feuermagier zu. "Bring mit Ivy die Kids raus, Kasai. Ich bleib hier und sehe zu, dass Ashi wieder zu sich kommt. Wir sehen uns dann draußen." "Spinnst du??", erwiderte Tetsuno, "Ich kann sie doch jetzt nicht im Stich lassen, sie..." "Es ist zu gefährlich für dich, Kasai!", unterbrach ihn DBO ernst. Tetsuno starrte ihn an. Die Zeit ist gekommen... Pyro... Er nickte. "Okay. Bleib du bei ihr, Mizu. Ich geh und helf Ivy." Er sprang auf, machte Ivy ein Zeichen und scheuchte die Kinder hinter ihr her. DBO sah ihm kurz hinterher, dann rüttelte er Ashi an den Schultern. "Komm schon, Ashi", murmelte er verbissen, "reiß dich zusammen, bitte...!" Nach einer Weile kam Ashi wieder zu sich und richtete ihren verschleierten Blick auf den Wassermagier. "DBO?", hauchte sie verwirrt. Der Angesprochene nickte erleichtert. "Komm schon, hoch mit dir... wir müssen hier raus, bevor - " RUMMS. Wieder bebte das Gebäude und die Wände zitterten noch heftiger als beim letzten Mal. Der Himmel draußen hatte sich in Sekundenschnelle verdunkelt und war dann von einem gewaltigen, grellen Blitz erleuchtet worden, der anscheinend in den ersten Stock eingeschlagen hatte und mit Sicherheit von Bacardi erzeugt worden war. Ashis Blick war starr an die Decke gerichtet. "Was... was passiert da...?" DBO biss sich auf die Unterlippe. "Verdammt... Bacardi und Ryume haben Schwierigkeiten...!" "Wir müssen ihnen helfen!" Ashi sprang auf, schwankte, hielt sich den Kopf und stützte sich auf DBOs Schulter. Der Wassermagier sah sie beunruhigt an. "Schaffst du das?", erkundigte er sich besorgt. Ashi schüttelte heftig den Kopf, um das Schwindelgefühl abzuwerfen und nickte dann. "Ja. Gehen wir - äh - wo sind die anderen?" Suchend blickte sie sich um. "Die bringen die Kids raus", erklärte DBO ihr und nahm sie bei der Hand, "sie kommen uns bestimmt zur Hilfe, wenn sie merken, dass wir nicht mehr rauskommen." Ashi nickte. "Okay. Dann los." Die beiden schoben sich zurück zu Treppe und eilten in den ersten Stock hinauf. Keuchend legten sie die Strecke bis zum Wartezimmer zurück und DBO trat die Tür ein. Sofort standen Ashi und DBO die Münder offen. Was sie hier sahen, gefiel ihnen überhaupt nicht. Der Raum hatte kein Dach mehr, ebensowenig wie das angrenzende Zimmer. Das, was von den Wänden übrig geblieben war, hatte einen kohlrabenschwarzen Farbton angenommen. Asche regnete von oben her. Die Tür zum Zimmer des Bürgermeisters war immer noch fest verschlossen, das Wartezimmer war wie leer gefegt - bis auf zwei Personen, die gelangweilt und mit verschränkten Armen vor der Tür standen und Ashi und DBO jetzt mit gierigen Blicken willkommen hießen. "Hey", schnurrte Daiya und spielte mit einer ihrer roten Haarlocken, "Wiedersehen macht Freude, nicht wahr...? Sagt bloß, ihr wollt hier durch zu euren beiden Freunden?" Ryo beäugte sie höhnisch. "Da müsst ihr aber erst an uns vorbeikommen." DBO fletschte die Zähne. "Kannst du gerne haben, du aufgeblasenes Arschloch von einem Drachenmagier! Dir zeig ich, wo der Hammer hängt!!" Mit einem wütenden Schrei stürzte er sich auf Ryo. Bevor Ashi irgendwie eingreifen konnte, stand plötzlich Daiya wie aus dem Boden gewachsen direkt vor ihr. "Hallo Ashi", meinte sie mit einem gefährlichen Lächeln, "na, hast du Lust auf ein bisschen Kräftemessen...?" Ihre Hand lag lauernd an ihrem Gürtel. Ashi starrte ihr einen Moment lang hasserfüllt ins Gesicht, dann zuckte sie mit den Schultern. "Glaub nicht, dass ich dich diesmal verschone, Daiya..." Part 31: Ein gnadenloser Kampf Als Daiya nach ihrer ersten Karte griff, fletschte Ashi die Zähne. Sie hasste es, gegen die Feuer-Yorukage und ihren Bruder zu kämpfen. Die beiden waren so furchtbar stark... Ashi fragte sich ernsthaft, ob sie wohl nach ihrem Vater kamen. Wenn das so war, dann hatten Bacardi und Ryume jetzt wohl ziemliche Schwierigkeiten... Sie schloss die Hand um Heavy Gale und zog die Augenbrauen zusammen. Nur noch ein Grund mehr, diese Sache möglichst schnell zu beenden. Daiyas Karte flog über ihr Zeichen. "Blood-Red Angel Kiss!!" Ihre Feuerpeitsche erschien und schnellte auf Ashi zu. Diese wich den ersten paar Angriffen geschickt aus und ging dann hinter einem Schreibtisch in Deckung. "Heavy Gale!!" Daiya kreischte überrascht und schlug wie wild mit ihrer Peitsche um sich, um die zahllosen Windböen abzuwehren. Währenddessen schoss Ashi aus ihrem Versteck hervor und hielt genau auf die Yorukage zu. Die hatte sich gerade von Ashis Attacke erholt, als sie sich auch schon im Schwitzkasten wiederfand und verzweifelt Ashis Arm an ihrem Hals umklammerte. "Du... du bist... verdammt schnell geworden", krächzte sie, nach Atem ringend. Ashi lächelte bitter. "Göttlich, nicht wahr?" Sie wirbelte Daiya herum und ließ sie waagerecht auf den Boden knallen. Ihre Feuerpeitsche löste sich in Nichts auf. Ashi ließ ihr ein paar Sekunden Zeit, damit sie sich wieder aufrappeln konnte, dann aber war die Schonfrist auch schon vorbei. "Whirlwind Blast!" Daiya baute verbissen eine Flammenwand vor sich auf, als der kleine Tornado auf sie zu kam. Wind und Feuer prallten aufeinander und hielten sich eine Weile lang die Waage; dann gewann Daiya Überhand. Sie legte noch mehr Power in ihre Flammen, die den Sturmwind langsam zu Ashi zurückdrängten. Die Windmagierin hielt tapfer dagegen, unterlag aber schließlich und bekam sowohl ihre eigene als auch Daiyas Attacke ab. Mit einem Keuchen stürzte Ashi zu Boden und für einen Moment wollte es schwarz vor ihren Augen werden. Durch einen Schleier dunkler Schatten sah sie Daiya triumphierend auf sie zu stolzieren... DBO hatte seit Beginn des Kampfes mit Ryo nur ein einziges Problem: Ryos Devil Dragon. Der ach so lächerliche kleine, schwarze Drache aus Ryos geringfügigem Arsenal an Karten trieb DBO fast zur Weißglut. Was er auch versuchte, dieses kleine Drachenbiest schien sich absolut nicht dran zu stören. "H-Bomb!!" Er feuerte seine Bombe ab, der Drache löste sich in Luft auf und erschien ein paar Meter weiter rechts wieder im Raum, während die Bombe explodierte. "Starlit Drop!!" Der riesenhafte Wassertropfen prallte an der Drachenenergie einfach ab. DBO knurrte entnervt, während Ryo im Hintergrund stand und ihm eisig ins Gesicht lachte. Als sein Devil Dragon wieder zum Angriff überging, wechselte der Wassermagier seine Strategie. Blitzschnell zückte er Blue Mist und tauchte das Schlachtfeld in dunstigen Nebel. Während Ryos Gelächter erschrocken verstummte, sprintete DBO an dem Drachen vorbei und ging zum Frontalangriff auf den Yorukage über. Dummerweise war Ryo erfahrener im Nahkampf und hörte DBO kommen. Er fing seinen ersten Schlag in Richtung Magengrube ab und drehte DBO das Handgelenk herum. Der Wassermagier jaulte auf und holte mit der zweiten Faust aus, die allerdings ebenfalls abgefangen wurde. Während sich der Nebel und auch Ryos Drache in Luft auflösten, rangen die beiden Jungen zähnefletschend miteinander. Keiner von ihnen konnte sich einen Vorteil verschaffen, bis... Ja, bis auf einmal ein eindringliches Fauchen durch den Raum hallte und eine gewaltige Druckwelle alle Anwesenden zu Boden schmetterte. DBO stöhnte auf und sah sich nach Ashi um. "Oh nein", flüsterte er, mit den Nerven am Ende, "nicht schon wieder, bitte..." Doch er erhielt keine Gnade. Arashi hatte mal wieder übernommen und stand jetzt in Ashis Körper als Einzige noch aufrecht. Ihre eisigen Augen richteten sich auf Daiya und im nächsten Moment schossen einige winzige, aber verflucht schnelle Windböen auf die am Boden liegende Feuermagierin zu und schnitten ihr tief ins Fleisch. Daiya hatte kaum noch Kraft genug um zu schreien, als Arashi sich auch schon in Richtung Tür wandte und zu Songai durch wollte. "Halt!!" Ryo hatte sich aufgerappelt und stellte sich ihr grimmig in den Weg. "Du bist noch nicht fertig mit mir, Wind-Asahoshi!" Arashis Augen verengten sich. "Ich bin keine Asahoshi", zischte sie kalt, "ich bin eine Göttin." Mit diesen Worten ließ sie einen Sturmwind aufkommen, der Ryo hart in die Seite traf und ihn aus dem Weg fegte. Arashi langte nach dem Türgriff. "Ashi", ächzte DBO und stemmte sich hoch, "bitte, komm zu dir... lass sie dich nicht kontrollieren!" Arashi wandte sich zu ihm und schickte eine weitere Bö ab. DBO wurde beiseite geschmettert, als plötzlich die Tür aufflog und Tetsuno und Ivy im Rahmen standen. Die beiden starrten verdattert auf das Szenario. "Ashi-chan??", rief Ivy hysterisch, "Was, was ist denn..." Tetsuno packte Ivy bei der Schulter und schob sich an ihr vorbei. "Das ist nicht mehr Ashi-chan", knurrte er im Vorübergehen und hielt direkt auf die Göttin zu. "Lass den Scheiß, Kasai!!", japste DBO und rappelte sich auf, "Sie wird dich umbringen...!" Tetsuno jedoch ließ sich nicht aufhalten und baute sich vor Arashi auf. Er sah fest in ihre unheimlichen Augen und befahl grimmig: "Raus aus ihrem Körper, Arashi. Oder ich leg dich um." Arashi lächelte siegessicher. "Das würdest du nicht wagen", hauchte sie, "Du könntest sie umbringen..." "ASHI-CHAN, KÄMPF GEGEN SIE AN, VERDAMMT!!!", brüllte Tetsuno, ohne den Blick von den grauen Augen zu nehmen, "Wir brauchen dich hier; Arashi ist es doch egal, was mit dir passiert! Sobald sie Pyro umgenietet hat, braucht sie deinen Körper nicht mehr - sie wird keine Scheu haben, dich sterben zu lassen!!" Arashi starrte ihn für einen Moment lang ausdruckslos an. Dann ließ sie plötzlich ein wütendes Fauchen ertönen und löste sich erneut auf. Ashi knickte zur Seite weg und Tetsuno fing sie gerade noch rechtzeitig auf. DBO und Ivy kamen angerannt. Der Wassermagier wischte sich den Schweiß von der Stirn. "Diese bescheuerte Möchtegern-Sturmgöttin, muss die eigentlich immer gerade zur unpassendsten Zeit auftauchen?" "Immerhin scheint sie euch Einiges an Arbeit erspart zu haben", bemerkte Ivy mit einem Seitenblick auf Daiya und Ryo, die sich immer noch nicht rührten. DBO lachte hohl. "Ja, sicher doch. Und weil's so viel Spaß macht, hat sie mich auch noch gleich demoliert. Klasse Hilfe." "Egal, wir müssen Bacardi und Ryu helfen", meinte Tetsuno und strich Ashi, die gerade ächzend wieder zu sich kam, vorsichtig über die Wange. "Geht's wieder?", erkundigte er sich besorgt. Ashi nickte und hielt sich den Kopf. "Ja... oh mein Gott, was hab ich schon wieder angestellt...?" Ihr Blick fiel auf Daiya und Ryo. Tetsuno winkte ab. "Kümmer dich nicht drum, die kommen wieder zu sich. Können wir los?" Ashi schüttelte das Schwindelgefühl ab und nickte verwirrt. "Ja, beeilen wir uns." Sie machte sich von Tetsuno los, der zielstrebig auf die hohe Eichentür zumarschierte und sie auftrat. Krachend knallten die Flügel an die Innenwände und die vier Asahoshi traten ein. Das Erste, was Ashi dachte, war, dass Songais Büro bestimmt schon mal intakter ausgesehen hatte. Die Decke fehlte, wie schon im Vorzimmer, komplett. Das, was noch von den Wänden übrig war, hatte einen rabenschwarz verkohlten Farbton angenommen und der Balkon, den man vom Büro aus erreichen konnte, hatte Einiges von seinem Marmorgeländer einbüßen müssen. Die Einrichtung war fast vollständig im Eimer und das Einzige, was wirklich noch stand, war Songai. Der mittelgroße Politiker in seinen späten Vierzigern mit schwarzgrauem Haar und unheimlichen, dunklen Augen stand lässig an die Überreste seines Schreibtisches gelehnt vor den vier Asahoshi und hieß sie mit einem hinterlistigen Grinsen willkommen. Zu seinen Seiten hielten sich Bacardi und Ryume mühsam auf den Beinen; beide waren schwer verletzt und keuchten ununterbrochen. "Guten Morgen", flötete Songai und ließ seinen Blick über Ashi, Tetsuno, DBO und Ivy wandern, "welch Ehre, euch empfangen zu dürfen. Ich habe mich schon sehr nett mit euren zwei Freunden hier unterhalten; beides sehr ehrenwerte Kämpfer, ich bin beeindruckt..." Tetsuno fletschte die Zähne. "Halten sie die Klappe, sonst stopf ich sie ihnen!" "Oh", Songai hob die Augenbrauen, "eine weitere Konversation, diesmal auf Feuerbasis? Ich habe nichts dagegen, junger Magier..." "Tetsuno", stöhnte Ryume und warf ihm einen verzweifelten Blick zu, "Fall nicht auf den Typen rein, der ist viel stärker als er aussieht - wir konnten ihm nicht das Wasser reichen." "So stark kann der gar nicht sein", knurrte DBO und seine Fingerknöchel knacksten, "er ist auch nur ein brutaler, machtgeiler Yorukage, weiter nichts." "Nein", rief Bacardi ernst und hielt sich seinen verletzten Oberarm, "Er ist weit mehr, D... er ist stärker als wir alle zusammen." Vier verständnislose Blicke trafen den Gewittermagier. "Songai ist ein Schwächling", meinte Bacardi trocken, "solange er gerade kein Gott ist." Die Köpfe von Ashi und ihren Freunden flogen zu Songai herum, der sie breit angrinste. "W-was??", brachte Ivy mühevoll heraus, "Songai ist - ist einer von den sechs Gottheiten??" "Erraten", antwortete der Politiker nun selbst, "der Stärkste überhaupt." Seine Augen loderten plötzlich rot auf und seine Stimme wurde zu einem abgrundtiefen, monotonen Knurren. "Ich bin der Feuergott. Mein Name ist Pyro." Jetzt gaben sämtliche Kinnladen endgültig nach. Ashis Blick raste wie wild zwischen Songai und Tetsuno hin und her; der Feuer-Asahoshi selbst konnte den Politiker nur ungläubig anstarren und Ivy und DBO schüttelten fassungslos die Köpfe. Pyro machte langsam einen Schritt auf Ashi und erklärte mit Grabesstimme: "Ich habe lange darauf gewartet, dich zu finden, Arashi... ich konnte deine heiseren Schreie nach Rache durch ganz Kama-To hören, all die Zeit über. Jetzt stehen wir uns endlich gegenüber... und ich fühle deinen Blutdurst..." "Keinen Schritt weiter!" Tetsuno stellte sich vor Ashi und funkelte den Feuergott wütend an. Pyro lachte abfällig. "Aus dem Weg, Sterblicher. Ich könnte dich mit einem Fingerschnippen töten, ist dir das eigentlich bewusst?" "Werden sie bloß nicht überheblich", schaltete sich DBO ein und verschränkte die Arme, "bisher hat es noch jeder bereut, sich mit uns angelegt zu haben. Sogar ihre beiden Sprösslinge." Er deutete über seine Schulter und lächelte kalt. "Außerdem, wenn sie so wahnsinnig mächtig sind, warum sind Bacardi und Ryume dann immer noch am Leben?" "Weil sie mich nicht interessieren", schoss Pyro zurück, "Ich will Arashi, das ist alles!" Ashi trat vor Tetsuno und die anderen und erklärte fest: "Wenn sie mich herausfordern wollen, fordern sie uns alle heraus. Sind sie sicher, dass sie sich da nicht ein wenig übernehmen?" "Arashi verbündet sich nicht", erwiderte Pyro grimmig, "Sie kämpft immer alleine." Ashi zuckte mit den Schultern und sah direkt in Pyros flammende Augen. "Tut mir ja schrecklich leid, aber das mit Arashi können sie sich abschminken. Ich werde ihr nicht schon wieder die Kontrolle überlassen. Diesmal wehre ich mich. Sie kriegen sie nicht." Abermals erschien ein Lächeln auf Pyros Lippen. "Schön", meinte er unheilvoll, "dann wollen wir doch mal sehen, wie lange du das durchhältst... wehr dich, solange du noch kannst, Wind-Asahoshi. Arashi wird erwachen, bevor ich dich ins Jenseits befördern kann." Ashi wechselte kurze Blicke mit ihren Freunden. Sie alle nickten und starrten dann Pyro an. Ashi atmete tief durch. Sie konnten es schaffen. Sie mussten es schaffen. Mit Hilfe ihrer Freunde würde sie Pyro besiegen und Arashi den Sinn ihres Daseins nehmen. Wenn Pyro nicht mehr existierte, dann hatte auch Arashi keinen Grund mehr, weiter in ihrem Körper zu leben. Dann wäre der ganze Spuk endgültig vorbei. Ashi und ihre Freunde zückten ihre ersten Karte und sahen Pyro direkt in die Augen. Sie waren bereit, ihn zu besiegen. "Burning Heat!!" Tetsuno ließ nicht lange auf sich warten und schoss sofort einen gewaltigen Feuerball auf Pyro ab. Lässig ließ der Feuergott die Attacke auf sich zu kommen und einfach an sich abprallen. Während Tetsuno die Zähne fletschte, griff Ivy ein. "Primeval Tendrils!" Ein halbes Dutzend Urranken schnellte auf Pyro zu und prallte ebenfalls an ihm ab. Ivy fluchte und stampfte mit dem Fuß auf. "Vergiss es", knurrte Ryume neben ihr, "bei dem Typen musst du schon schwerere Geschütze auffahren." Sie warf Bacardi einen schnellen Seitenblick zu und zückte dann eine Karte. "Dragonsoul Release!!" Der Himmel verdunkelte sich und Ryumes Augäpfel rollten nach hinten. Von einem mystischen Glühen umgeben brüllte sie sich die Seele aus dem Leib - ihre Drachenseele. Fast zeitgleich benutzte auch Bacardi seine nächste Karte. "Thor Strike!!" Donner grollte am schwarzen Himmel und fuhr in einer gewaltigen Ladung auf die erhobene Faust des Gewittermagiers herab. Die Spannung knisterte und hüllte Bacardi ein. Die beiden Asahoshi stürmten gleichzeitig auf Pyro los und attackierten ihn mit blitzschnellen Faustschlägen und Fußtritten. Jetzt musste er sich immerhin schon mal wehren, denn das konnte selbst der Feuergott nicht so einfach wegstecken. Das war aber auch schon der einzige Erfolg. Nach einer Weile schien es ihm zu öde zu werden und er pustete Ryume und Bacardi mit Hilfe einer Flammenwelle von sich weg. Die zwei weißen Magier landeten mit einem dumpfen Ächzen am Boden. DBO und Ivy schrien verärgert auf und starteten einen gemeinsamen Angriff. "Indigo Rain Shower!!" "Breath Of Nature!" Pyro hielt sich genervt die Hand vor die Augen, als Ivys Blütenpollen in seinen Augen zu jucken begannen. Gleichzeitig entlud sich DBOs ätzender Regenguss vom Himmel. Die Regentropfen zischten, als sie auf die Haut des Feuergottes trafen und hinterließen kleine Brandwunden. Mit einem Kampfschrei baute Pyro ein Feuerschild um sich herum auf. "JETZT REICHT'S MIR ABER!!!", brüllte er und funkelte die Asahoshi an, "WARTET NUR, BIS ICH MIT EUCH FERTIG BIN!!" Eine gewaltige, heiße Druckwelle breitete sich im ganzen Raum aus und schmetterte Ashi und ihre Freunde zu Boden. Noch ehe sie sich wieder aufrichten konnten, ging Pyro auf den nächstbesten Gegner los - in diesem Fall DBO. Wütend stürzte er sich auf den Wassermagier und verprügelte ihn gnadenlos. DBO konnte sich kaum wehren. Der Zorn eines Gottes war nichts, das man auf die leichte Schulter nehmen konnte. Aber sie hatten es ja so gewollt... "Heavy Gale!!" Einige von Ashis Windböen trafen Pyro ziemlich hart, was den Feuergott aber nicht störte, da er sofort einen Schutzwall um sich herum aufbaute und weiter auf DBO eindrosch. Ryume zückte ihre nächste Karte. Es war die stärkste, die sie besaß. Treble Dragon Device. Bacardi sah ihren Zug und riss die Augen auf. "Ryu-kun, spinnst du??? Du kannst diese Karte nicht einsetzen; dich haut's doch aus den Latschen, verdammt!!" Die Drachenmagierin schüttelte den Kopf. "Lass mich. Wir müssen diesen Kampf gewinnen, Bacardi... und außerdem muss ich DBO helfen, der hat sonst keine Chance, Mann!!" Ohne weiter zu zögern schickte sie die Karte über ihr Zeichen. Im nächsten Moment und unter Bacardis entsetztem Blick stolperte sie ein paar Schritte zurück, als die Macht der Karte sich in ihr ausbreitete. Ryume schloss vor Schmerz die Augen, als drei silberne Blitze durch ihren Körper zuckten und sich dann mit einem Mal ihren Weg nach draußen bahnten. Unter ohrenbetäubendem Brüllen wanden sich drei riesige Drachenleiber aus purer Energie aus ihr heraus und ließen den Himmel wieder dunkel werden. Selbst Pyro konnte das nicht einfach übersehen. Er ließ überrascht von DBO ab und starrte die drei Drachen an, die jetzt in vollem Tempo auf ihn zugeschossen kamen. Stolpernd und mit einem verärgerten Schrei richtete sich der Feuergott auf und verstärkte sein Schutzschild. Die Silberdrachen prallten krachend darauf und kämpften brüllend gegen die Feuerwand an. Pyro biss die Zähne zusammen, als eine der Drachenklauen seinen Schutzschild zu durchbrechen drohte. Er lehnte sich mit aller Kraft dagegen, doch dann gewannen die Drachen Überhand und sein Schild löste sich in Nichts auf. Die Drachenenergie schmetterte den Feuergott ein paar Meter weit durch die Luft und verpuffte dann, während Pyro ächzend auf dem Boden landete. Ryume verdrehte die Augen und kippte nach hinten um. "Ryu-kun!!" Sofort war Bacardi an ihrer Seite und schüttelte sie. "Komm schon, mach die Augen auf!! Verflucht, warum hast du das gemacht...??" Ivy fand sich keuchend neben dem Gewittermagier ein und beugte sich über Ryume. Erleichtert blickte sie zu Bacardi auf. "Keine Sorge, sie ist nur ohnmächtig. Das wird schon wieder... bleib du bei ihr, ich kämpf für euch weiter." Ashi und Tetsuno starrten Pyro an, als er sich langsam wieder aufrappelte. Etwas war anders an ihm... seine Augen. Sie waren nicht mehr flammend rot, sondern hatten wieder ihre ursprüngliche, dunkle Farben angenommen. "Jetzt ist er nicht mehr Pyro", stellte Tetsuno mit grimmiger Befriedigung fest, "nur noch Songai. Er hat keine Chance mehr gegen uns. Ryus Attacke hat ihn voll fertig gemacht." "Wir sollten trotzdem vorsichtig sein", meinte Ashi misstrauisch. Songais wilder Blick flog über das Schlachtfeld. Er entdeckte Ryume, die immer noch bewusstlos am Boden lag und wollte auf sie losgehen. Da hatte er die Rechnung allerdings ohne Tetsuno gemacht. Der Feuer-Asahoshi setzte sein Schwert in Brand und fing mit einem gellenden Kampfschrei an, auf den Politiker einzudreschen. Ashi heilte währenddessen mit Cure Breeze DBOs Wunden, für die ja nicht nur Pyro, sondern auch Arashi zuständig gewesen war. Der Wassermagier stöhnte erleichtert auf. "Mann, danke, Ashi... mir geht's gleich viel besser." Die Windmagierin lächelte. "Das freut mich. Komm, wir müssen Tetsuno helfen. Pyro haben wir vertrieben, jetzt bleibt nur noch Son..." Krach. Tetsuno segelte ein Stück weit durch die Luft und schlug dann mit einem Schmerzensschrei vor Ashis Füßen auf dem harten Boden auf. Sein Schwert war ihm aus der Hand geflogen. Ashi und DBO blickten verwirrt zu Songai hinüber. Der sah schon wieder anders aus. Er war von einige Schwertwunden gezeichnet, die offenbar ziemlich tief gingen und ihn ein wenig geschwächt hatten - allerdings wirklich nur ein wenig. Denn seine Augen machten ihnen klar, dass der Feuergott inzwischen wieder Besitz über den Körper Songais ergriffen hatte. Somit hatte er seine Stärke zurück und Tetsuno keine Chance mehr gegen ihn. "Scheiße, das gibt's doch nicht!!", fluchte DBO, während Ashi Tetsuno auf die Beine half, "kennt der denn gar keinen Schmerz?? Man könnte meinen, er mag das..." "Tut er nicht", ächzte Tetsuno und wischte sich Blut von der Wange, bevor er sein Schwert wieder vom Boden aufhob, "solange er nur Songai ist, ist er wohl verletzlich. Ich hab ihm ganz schön zusetzen können, bevor Pyro wieder Überhand gewonnen hat. Wir müssen ihn irgendwie dazu kriegen, Songai zu bleiben; nur so können wir gewinnen..." "Aber wie denn??", fragte Ashi verzweifelt, als Pyro langsam auf sie zusteuerte. "Denk nach", forderte Tetsuno und blickte sie ernst an, "wir kriegst du Arashi sonst aus dir raus? Was musst du tun?" Ashi versuchte krampfhaft, sich zu konzentrieren, was ihr aber nicht gelang. Also stürmten DBO und Ivy auf Pyro los, um ihn abzulenken. Ashi dachte nach. Es war nie besonders leicht gewesen, die Göttin wieder aus ihrem Kopf zu vertreiben... aber wie hatte sie es nur immer wieder geschafft? "Ich... musste an das erinnert werden, was mir wichtig ist. Meine Ziele. Die Menschen, die ich liebe und beschützen will. Dann verliert Arashi die Kontrolle." Tetsunos Miene hellte sich auf. "Starke Emotionen. Perfekt. Da lässt sich doch was machen..." Sein Blick wanderte zu der Tür, die ins Vorzimmer führte, wo immer noch Daiya und Ryo liegen mussten. Ashi wandte ebenfalls den Kopf. Sie sah Tetsuno zweifelnd an. "Du willst ihn mit seinen Kindern konfrontieren?" "Warum denn nicht?", verteidigte sich Tetsuno, "Einen Versuch ist es doch wert! Wir haben doch gar keine andere Wahl, Ashi-chan." Ashi nagte eine Weile lang auf ihrer Unterlippe, dann nickte sie. "Okay. Du hast Recht. Versuchen wir es." "Ice Fall!!" Eine Gruppe scharfer Eissplitter donnerte durch die Luft auf Pyro zu. Der Feuergott schlug sie genervt beiseite und marschierte dann auf DBO zu. Er war kurz vor ihm, als sich plötzlich von der Seite her Ivy auf ihn stürzte und ihn zu Boden warf. Energisch drückte sie ihn zu Boden und setzte ihre stärkste Karte ein. "Matrix Dagger!!!" Der Fußboden neben ihr brach auf und Erde quoll heraus. Einige Pflanzenranken bahnten sich ihren Weg nach draußen und formten einen Kokon, der kurz darauf platzte und einen langen Dolch freigab. Ivy packte die Waffe und rammte sie nach unten. Pyro rollte im letzten Moment zur Seite und schubste Ivy von sich herunter. "Storm Tide!!" Eine meterhohe Flutwelle schwappte über Pyro zusammen und warf ihn abermals zu Boden. Der Feuergott brüllte und sprang vom Boden auf, seine Augen glühten vor hitziger Wut, sein Atem ging rasch und er zitterte. Pyro war wütend. Verdammt wütend. Er stapfte kochend vor Zorn auf die am Boden liegende Ivy zu, holte mit der Faust aus - und hielt inne. Zwischen ihn und sein Opfer war Tetsuno getreten. Er hielt mühsam eine andere Gestalt auf den Beinen, die dem Feuergott jetzt schmerzlich in die Augen blickte. "Hi Daddy", hauchte Daiya kraftlos und Tetsuno hatte schon Angst, sie würde ihm gleich aus den Armen kippen. Pyro starrte sie an. Zögerte er etwa? "Daddy", nuschelte die Feuer-Yorukage und sah ihn flehentlich an, "bitte... hör auf. Du zerstörst hier alles... Ryo und ich wären vorhin beinahe draufgegangen... lass sie gehen und komm mit nach Hause, hörst du?" Sie schniefte, als ihr die Tränen in die Augen stiegen. "Mum würde sich sicher freuen, wenn du sie mal wieder besuchen würdest..." Stille war eingetreten. Bacardi saß sprachlos neben der immer noch bewusstlosen Ryume, Ashi und DBO sahen der Szene mit gemischten Gefühlen zu, Ivy blickte verwirrt zu den drei Feuerzauberern auf. Pyros Faust sank langsam nach unten. Er nahm den Blick nicht mehr von Daiya, seine Augen wurden wieder dunkel und er nickte langsam. "Ja. Du hast Recht, Daiya..." Er lächelte leicht. "Ich besuche sie." Seine Hand öffnete sich in Sekundenschnelle und ein Feuerball bohrte sich seinen Weg direkt in Daiyas Brust. "Später. Wenn ich mit Arashi fertig bin." Wie in Zeitlupe sank der Kopf der Feuer-Yorukage zur Seite weg. Pyro lächelte kalt, als seine Augen wieder aufflammten. Tetsuno warf einen entsetzten Blick an Daiya herunter. Totales Schweigen regierte das Schlachtfeld. Dann erklang ein markerschütternder Schrei von der Eingangstür her. Eine riesige Gestalt hatte sich dort aufgebaut und starrte den Feuergott zornentbrannt an. Pyro warf ihm einen desinteressierten Blick zu. Ryo. "Du... du hast sie umgebracht!!", brüllte der Drachen-Yorukage fassungslos und seine Augen begannen zu flackern, als er seine Schwester tot in Tetsunos Armen hängen sah, "DU VERDAMMTER BASTARD, SIE WAR DOCH DEINE EIGENE TOCHTER!!!" Mit Tränen in den Augen zog er eine Karte über sein schwarzes X. "Dark Nightmare Dragon!!!" Schlagartig verdunkelte sich der Himmel wieder und ein gewaltiger, schwarzer Drache erhob sich aus dem Nichts. Seine blutroten Augen fixierten Pyro und er wartete auf den Befehl zum Angreifen. Tetsuno, der inzwischen nur noch ungläubig keuchen konnte, schleppte Daiya aus dem Weg. Ivy hielt es nun wohl ebenfalls für weise, sich schnellstens zu verziehen und krabbelte aus der Schusslinie. Ashi und DBO hatten noch gar nicht richtig begriffen, was soeben geschehen war. Sie standen mit offenen Mündern daneben und rührten sich nicht mehr. Ryo hatte die Zähne gefletscht und kämpfte verzweifelt gegen die Tränen an. Seine rechte Hand, in der er die Karte hielt, zitterte. Da regte sich plötzlich etwas neben ihm. Ryume hatte das Bewusstsein wieder erlangt und rappelte sich auf. Bacardi erhob sich ebenfalls. Die Drachen-Asahoshi warf Ryo einen ausdruckslosen Blick zu. Dann zog sie eine Karte und setzte sie ein. "Moonlit Diety Dragon!" Der Himmel hellte sich etwas auf, als eine der schwarzen Wolken den Vollmond freigab. Im Licht des strahlenden Trabanten formte sich ein glitzernder, weißer Drachenkörper mit eisblauen Augen. Er war das Gegenstück zu Ryos Drachen. Beide, aus schwarzer und weißer Magie erschaffen, schwebten jetzt mit heftigen Flügelschlägen am Himmel und warteten auf die Instruktionen ihrer Gebieter. Ryo erwiderte Ryumes Blick nur kurz, dann presste er die Lippen aufeinander und ließ seinen Drachen auf Pyro los. Ryume tat es ihm nach. Die beiden Drachen schossen auf den Feuergott zu. Part 32: Finales Duell Pyro fluchte lauthals und baute einen Schutzwall um sich herum auf. Doch gegen die beiden vereinten heiligen Elemente hatte selbst der Feuergott keine Chance. Die Drachen durchbrachen die Feuerwand und griffen ihn an. Während Ryos Drache seine Klauen in Pyros Schultern rammte und dieser vor Schmerz aufschrie, schleuderte Ryumes Drache den Gott mit einer Druckwelle zu Boden. Dann kämpften die beiden solange Seite an Seite, bis ihre Energie verbraucht war und sie in ihre Karten zurückkehren mussten. Pyro brauchte einen Moment, als es schwarz vor seinen Augen werden wollte. Verdammt, es war doch nur Drachenenergie, was sollte die einem Gott schon anhaben können?? "Storm Tide!!!" DBO hatte endlich begriffen, was der Feuergott da gerade abgezogen hatte und spürte die Wut in sich hochkochen. Seine Flutwelle schwoll an, wurde drei Meter hoch, vier Meter hoch, fünf Meter hoch, erreichte sechs Meter - und donnerte den völlig verblüfften Pyro im Handumdrehen gegen die Reste der gläsernen Balkontür. Das, was von den Scheiben noch übrig war, zerbarst in einem kreischenden Klirren und der Feuergott segelte nach draußen, wo er gegen das steinerne Geländer knallte und vor Schmerz aufjaulte. Er bekam keine Pause zugestanden, da Bacardi schon in den Startlöchern stand und gerade die Karte, die an der Kette um seinen Hals baumelte, abriss und grimmig über sein Zeichen zog. "Infernal Thunderstorm!!!" Wieder zog sich der Himmel zu. Ein Sturmwind bahnte sich heran und die schwarzen Wolken krachten aneinander. Donner, der direkt aus der Hölle zu kommen schien, unterdrückte jeden anderen Laut und ein eiskalter Platzregen entlud sich über der Stadtverwaltung. Bevor Pyro noch wusste, wie ihm geschah, war auch schon ein zischender Blitz auf ihn herabgefahren und hatte ihn zu Boden geworfen. Das Gewitter verzog sich genau so schnell wieder, wie es gekommen war. Die erschöpften Asahoshi und Ryo sahen den Feuergott mit verschleierten Blicken an. Er rührte sich nicht. Ashi blinzelte verwirrt. "Haben... haben wir ihn etwa..." "Nein." Ryume schüttelte finster den Kopf. "Haben wir nicht, Ashi." Mit einem wütenden Knurren rappelte sich Pyro wieder auf und wischte sich das Blut aus dem Gesicht. Dann sah er seine Gegner einen nach dem anderen an. Einen Moment lang blieb seine Miene ausdruckslos. Dann begann er zu lachen. Es war ein kaltes Lachen, das nur von ihm stammen konnte. Pyro musste sich den Bauch halten, er bog und wand sich, kämpfte mit den Lachtränen und deutete mit dem Finger auf seine Gegenüber. "Habt ihr... habt ihr etwa wirklich geglaubt, ihr könntet mich, PYRO, den allmächtigen Gott der Flammen, einfach so besiegen?" Er wurde von einem erneuten Lachanfall geschüttelt. "Das... das ist das Lächerlichste, was mir je untergekommen ist." Er grinste, als die Aura um seinen Körper herum plötzlich aufloderte und sich all seine Wunden wie durch Zauberhand schlossen. Ein Schwall neuer Energie durchströmte den Körper Songais und Pyro begann selbstgefällig zu lächeln. "Na, seid ihr bereit für den nächsten Tanz?" Ivy fielen fast die Augen aus dem Kopf. "A-aber was, was... wie hat er...???" DBOs Kinnlade hatte sich selbstständig gemacht und Bacardi, Ryume, Ashi und Ryo schüttelten fassungslos die Köpfe. Tetsuno jedoch ballte die Fäuste. "Jetzt reicht's", knurrte er und starrte Pyro todernst an, "Du hast deinen Spaß gehabt, Pyro, zieh endlich ab!" Der Feuergott schürzte die Lippen. "Hast du da nicht etwas vergessen, kleiner Feuer-Asahoshi? Weißt du nicht mehr, weswegen ich eigentlich hier bin...?" Er sah hinüber zu Ashi und etwas Gieriges stellte sich in seinem Blick ein. Tetsuno hatte genug. Er griff in seine Hosentasche und lächelte kalt. "Du wolltest es nicht anders. Hast du es noch nicht begriffen, Pyro? Wenn du Ashi-chan willst... du kriegst sie nur über meine Leiche." Er zog eine Karte über seinen rechten Oberarm. Ashi erstarrte. "Heritage of Kasai!!!" "NEIN!!" Ashi sprang auf, um Tetsuno zurückzuhalten, aber es war schon zu spät. Es geschah wieder. Der Himmel färbte sich blutrot. Tetsunos Augen verloren ihren Glanz und seine Miene verfinsterte sich soweit es nur irgendwie ging. Dann setzte er wieder ein, der unerbittliche Regen aus hellen, lodernden Flammen, die alles versengten, was ihnen im Weg stand. Ashi schrie vor Angst, als DBO sie am Arm packte und sie zu sich und den anderen zog. "Lass mich!!", rief sie, als ihr die Asche und der Qualm Tränen in die Augen trieben, "Ich muss ihn aufhalten, er darf das nicht wieder tun...!!" "Nein!", brüllte DBO sie an, "Verdammt, Ashi, Kasai ist unsere einzige Chance!! Er allein ist stark genug, es mit diesem Gott aufzunehmen; du kennst die Macht seiner Karte!" Verzweifelt sah Ashi zu Tetsuno hinüber, der gnadenlos neben dem sich windenden und schreienden Feuergott stand und sich nicht rührte. "Aber das... das ist nicht richtig", krächzte sie hilflos, "er wird es nicht schaffen, DBO!" Der Wassermagier folgte ihrem Blick verwirrt. Was redete sie denn da, natürlich würde er es schaffen! Das war doch offensichtlich; Pyro war jetzt schon nicht mehr als ein wimmerndes Bündel, der Feuergott hatte keine Energie mehr... Ryume trat neben ihn und sah DBO ernst an. "Ashi hat recht, DBO. Tetsuno hält das nicht mehr lange durch. Wenn er so weiter macht und alles der Rachekarte überlässt... dann wird er sich selbst damit umbringen." DBO starrte zu Tetsuno hinüber. Das erste, was ihm auffiel, war, dass der Feuer-Asahoshi keine Kontrolle mehr zu haben schien. Auf seiner Haut zeichneten sich dunkle Brandwunden ab. Trotz allem stand er dort wie ein Fels in der Brandung. Auf eine andere Art und Weise schien die Rachekarte selbst so eine Art Gottheit zu sein, die sich die Kontrolle über ihren Besitzer verschaffen konnte. Diese Kontrolle reichte so weit, dass sie ihn damit sogar ins Jenseits befördern konnte. "AUFHÖREN!!!" Eine gigantische Druckwelle breitete sich über das Schlachtfeld aus und schmetterte alle Anwesenden zu Boden. Der Flammenhagel setzte augenblicklich aus, der Himmel verlor sein todbringendes Blutrot und Tetsuno klappte zusammen. Ashi schloss die Augen und öffnete sie wieder. Sie waren grau. Die Augäpfel kaum noch zu sehen. Die Pupillen winzig. Eine Sturmbrise zerzauste ihr Haar. Arashi hatte Überhand gewonnen. DBO, Bacardi, Ryume und Ivy stöhnten zeitgleich auf. "Pyro...", hisste die Sturmgöttin und schritt auf den Feuergott zu, "Endlich... endlich ist es soweit... wir treffen uns wieder..." Ein dunkles Leuchten stellte sich in Pyros blutunterlaufenen Augen ein und er richtete sich langsam wieder auf. Der Flammenregen hatte ihn gezeichnet, doch er schien seine Kräfte schon wieder regeneriert zu haben. Der Blick, mit dem er Arashi nun musterte, sagte jedenfalls alles. "Es wird mir ein Vergnügen sein", antwortete er grimmig lächelnd, "Mal sehen, wer von uns beiden zuerst in die nächste Reinkarnation schlittert." Eine gewaltige Feuerwand und eine ebenso beeindruckende Sturmwand bauten sich vor den beiden Gottheiten auf und krachten aufeinander. In beiden Attacken steckte so viel Energie, dass man nichts mehr anderes wahrnehmen konnte. Nur das Fauchen des Windes und das Brodeln der Flammen regierten den Kampfplatz. Und es nahm kein Ende. Stunden, wie Stunden kam es den Asahoshi vor, so lange hielten sich die beiden Angriffe die Waage. DBO, Bacardi, Ryume, Ivy und Ryo hatten sich so langsam wieder von Arashis Wutausbruch erholt und starrten, unfähig ein Wort zusagen, ungläubig auf das Sen sich vor den beiden Gottheiten auf und krachten aufeinander. In beiden Attacken steckte so viel Energie, dass man nichts mehr anderes wahrnehmen konnte. Nur das Fauchen des Windes und das Brodeln der Flammen regierten den Kampfplatz. Und es nahm kein Ende. Stunden, wie Stunden kam es den Asahoshi vor, so lange hielten sich die beiden Angriffe die Waage. DBO, Bacardi, Ryume, Ivy und Ryo hatten sich so langsam wieder von Arashis Wutausbruch erholt und starrten, unfähig ein Wort zusagen, ungläubig auf das Sen sich vor den beiden Gottheiten auf und krachten aufeinander. In beiden Attacken steckte so viel Energie, dass man nichts mehr anderes wahrnehmen konnte. Nur das Fauchen des Windes und das Brodeln der Flammen regierten den Kampfplatz. Und es nahm kein Ende. Stunden, wie Stunden kam es den Asahoshi vor, so lange hielten sich die beiden Angriffe die Waage. DBO, Bacardi, Ryume, Ivy und Ryo hatten sich so langsam wieder von Arashis Wutausbrn, den du besetzt hast - " "ASHI!!!" Die Sturmgöttin hielt inne. Starrte verwirrt durch einen Spalt im Balkongeländer. Dort unten, auf dem Rasen vor der Stadtverwaltung, eine Etage tiefer, stand ein gutes Dutzend kleiner Kinder, die alle ängstlich zu ihr und Pyro hinauf blickten. Ganz nach vorne hatte sich ein wohl ungefähr achtjähriges Mädchen mit wirren, nach allen Seiten abstehendem Blondhaar und grauen Augen gedrängt, das Arashi direkt in die Augen blickte. "Ashi!", hörte die Göttin die schwache Kinderstimme rufen, "bitte... bitte lass ihn leben...!!" Arashi keuchte. Für einen Moment schien es, als wollte sie ihren Dolch nicht gegen Pyro, sondern gegen das kleine Mädchen wenden, doch dann löste sich die Waffe plötzlich in Luft auf. Doch nicht nur das, auch Arashis Augen begannen zu flackern, Iris und Pupillen erreichten wieder normale Ausmaße, die Sturmgöttin kreischte verzweifelt auf und musste nachgeben. Ashi erlangte das Bewusstsein wieder. Mit einem leisen Ächzen richtete sie sich auf und starrte auf Songai herunter, der aus müden, dunklen Augen zurückblickte. Langsam begann Ashi zu nicken. "Gut", sagte sie ruhig, "sieht so aus, als ob die beiden am Ende wären. Ich werde sie dorthin zurückschicken, wo sie hergekommen sind." Ashi griff in ihre Hosentasche und holte eine Karte daraus hervor. "Holy Hawk Flight!" Ein Wind frischte auf. Er war sanft und doch gleichzeitig stürmisch. Lebenspendender Wind. Er zog seine Bahnen spielerisch um die Stadtverwaltung, strich zärtlich um den Mauerstein und stieg dann zum Himmel empor. Dort formten sich die Böen zu einer riesenhaften Gestalt um. Es war die Gestalt eines Falken, der nun mit seinen Sturmschwingen über den Dächern Kama-Tos in der Luft flatterte. Elegant vollführte der Wolkenvogel eine Drehung, flog in Spiralen immer höher hinauf und setzte dann urplötzlich zu einem atemberaubenden Sturzflug an. Direkt auf Ashi und Songai zu. Die Windmassen donnerten auf die Asahoshi und den Yorukage nieder, warfen die beiden zu Boden und waren dann auf einmal einfach nicht mehr da. Mit einem letzten, kraftlosen Zischen wich Arashi endgültig aus Ashis Körper. Verschwand im Nichts. Und in dem Moment, als Arashi aufhörte, zu existieren, tat dies auch Pyro. Ein heiseres Flammenzüngeln war zu hören, dann bahnte sich eine enorme Hitzewelle den Weg aus Songais Körper und entschwand. Die Schlacht war vorbei. Die beiden Gottheiten geschlagen. Der Motor der Eagle 328 heulte kurz auf und die Maschine begann zu schnurren wie ein junges Kätzchen. Ihr Besitzer drückte gut gelaunt seine Zigarette aus. Seine mächtige Pranke im Lederhandschuh tätschelte zärtlich die Motorhaube und legte sich dann um den rechten Lenkergriff. Noch einmal ein Aufheulen, dann schoss das Motorrad mit unglaublicher Beschleunigung auf der Hauptstraße davon. Bacardi genoss den Fahrtwind in vollen Zügen. Das hatte er schon lange mal wieder nötig gehabt. Den ganzen Tag über im Büro zu sitzen und kluge Ratschläge zu geben war ja ganz nett; man kam sich dabei unheimlich weise vor und das baute natürlich auf - aber deswegen sein Motorrad und den Highway vernachlässigen zu müssen, tat dem Gewittermagier trotzdem in der Seele weh. Aber jetzt hatte er ja erst mal Urlaub. Bacardi begann zu grinsen, beschleunigte noch weiter und überholte im Slalom vier blank lackierte Nobelschlitten, die ein empörtes Hupkonzert anstimmten, als er an ihnen vorbeisauste. Oh, wie hatte er dieses Gefühl doch vermisst... Seine Fahrt dauerte den ganzen Vormittag über. Erst gegen Zwölf erreichte Bacardi endlich sein Ziel: Den Himitsu-Tempel. Er blieb direkt davor stehen und zog den Zündschlüssel. Während er fröhlich damit herumklimperte, marschierte er auf das wie üblich weit offen stehende Eingangstor zu und stieg die Stufen hinauf. Bacardi war kaum über die Schwelle getreten, als er auch schon ein Quietschen aus dem hinteren Bereich der Eingangshalle hörte und ein kleiner Wirbelwind auf ihn zugestürmt kam. Mit einem "Bacardiiiiiii!!!" flog ihm ein kleines, blondes, wuscheliges Etwas im weißen Kleid um den Hals - na ja, eher um den Bauch, weiter reichte es nicht hinauf - und begann glücklich zu kichern. "Woah, ey Mann, lass mich stehen, Süße!", beschwerte sich Bacardi lachend und schob Nami von sich, um sie betrachten zu können. "Krieg ich Paranoia oder bist du schon wieder gewachsen?", ließ er todernst verlauten, woraufhin Nami einen weiteren Kicheranfall bekam. "Hey, das ist nicht lustig, ich bekomm langsam Angst, dass du mir bald auf den Kopf spucken kannst - krieg schon Alpträume wegen dir", witzelte der Gewittermagier. Nami grinste und strahlte ihn an. "Wie schön, dass du vorbeigekommen bist, Bacardi!", sagte sie. "Komm doch rein; Miko wird sich freuen, dich zu sehen!" Sie packte ihn bei der Hand - oder besser gesagt am kleinen Finger - und schleppte ihn mit sich die Treppen in den ersten Stock hinauf. Wenig später saß Bacardi zusammen mit Nami, Mikomi und Kizuta höchstpersönlich bei einer Kanne Tee im Garten des Tempels und genoss die Strahlen der Frühsommersonne. "Dir scheint es ja wirklich prächtig zu gehen", stellte Kizuta nach einer längeren Unterhaltung mit dem Gewitter-Asahoshi fest, "und Onsen macht sich echt toll unter deiner Hand..." Bacardi nickte grinsend. "Ja, der gute O-chan... hätte früher nie gedacht, dass mal ein Politiker aus ihm werden würde, als wir noch zusammen in die Schule gegangen sind. Und erst recht nicht hatte ich erwartet, dass er's bis zum Bürgermeister bringen würde." Mikomi lachte. "Und er hätte wohl nie geglaubt, dass du ihm später mal Ratschläge erteilen würdest, wie man Kama-To richtig regiert. Magst du den Job?" Wieder nickte er. "Jau, man kommt sich ziemlich geistreich vor. Verdammt gut fürs Ego. Aber ich sag's euch, ist kein Zuckerschlecken, der ganze Papierkram..." Er verdrehte genervt die Augen. "Die hätten schon längst jemanden wie Onsen und dich ans Steuerrad lassen sollen", bemerkte Kizuta, "mit Onsen als ersten Asahoshi-Bürgermeister und dir als Berater blüht Kama-To richtig auf. Sämtliche Beziehungen zwischen den Normalos und uns Kartenzauberern haben sich verbessert; sogar die Yorukage sind weniger feindselig gegenüber den Asahoshi, seit Songai weg vom Fenster ist und im Kittchen hockt." Die Hohepriesterin rührte zufrieden in ihrer Teetasse. Bacardi seufzte. "Was'n Glück, dass der uns vorerst mal keine Schwierigkeiten mehr machen wird. Ohne den Feueropi in sich drin ist Songai ne Flasche. Und zwanzig Jahre hinter schwedischen Gardinen werden ihn wohl wieder halbwegs zu Verstand bringen, damit er wenigstens seine Rente noch genießen kann." Er rappelte sich auf und grinste Nami, Mikomi und Kizuta an. "Also, ihr Hübschen, ich muss dann mal weiter. Mal sehen, wie sich dein Schwesterherz und ihr Lover so als Trainer machen, Nami." Er wuschelte Ashis kleiner Schwester durchs Haar und verabschiedete sich vom Tempel. Wieder vor dem Eingangsportal warf er seinem Motorrad einen liebevollen Blick zu, schwenkte dann aber in die andere Richtung und steuerte auf eine langes Haus mit Flachdach zu, das fast direkt an den Tempel angrenzte. Bacardi schritt pfeifend und mit den Händen in den Hosentaschen den Kiesweg bis zur Eingangstür entlang und drückte dann auf den Klingelknopf. Ein heller Glockenton tönte durch das Haus und nur wenige Sekunden später wurde die Tür auch schon aufgerissen. Bacardi blickte eine Etage tiefer und sah in Ashis strahlendes Gesicht. "Bacardi!!" Glücklich umarmte ihn die Wind-Asahoshi. Der Gewittermagier lachte auf. "Hey, Twister! Schon das zweite Mal heute, dass ich so stürmisch begrüßt werde... scheint bei euch wohl in der Familie zu liegen, was?" Ashi zog eine Schnute. "Ach, du warst schon im Tempel? Wie gemein, erst danach bei mir reinzuschauen. Aber jetzt komm endlich rein, du kannst doch hier nicht ewig stehenbleiben!" Ungeduldig zog sie ihn ins Haus. Bacardi folgte ihr durch ein paar hübsch eingerichtete Räume und pfiff anerkennend. "Wow. Hier wohnst du jetzt also... nett hast du's dir gemacht." "Danke. Freut mich, wenn's dir gefällt." Bacardi deutete grinsend auf die knallrote Sofagarnitur. "Aber lass mich raten: DIE FARBE hast nicht du ausgesucht..." Ashi schnitt eine Grimasse. "Natürlich nicht, du Blödmann. Ich wollte sie weiß haben. Aber Tetsuno musste ja unbedingt seinen Kopf durchsetzen..." Bacardi lachte auf. "Der gute alte Tet-chan... wo steckt er denn nun eigentlich?" Ashi deutete mit dem Daumen über ihre Schulter. "Hinten in der Trainingshalle. Er hat gerade ne Unterrichtsstunde am Laufen. Die Anfänger." "Cool. Zuschauer erlaubt?" "Solange du's bist, klar. Komm." Ashi führte ihn weiter durch das Haus. "Apropos Laufen", fiel Bacardi ein, "wie läuft das Geschäft eigentlich so?" "Könnte nicht besser laufen", erwiderte Ashi glücklich, "ich hätte nie geglaubt, dass man hier als einfache Trainer so viel Geld machen kann. Aber die Kids lieben es. Tetsunos Schwertkampfunterricht ist genauso beliebt wie mein Kartenzauberunterricht. Du wirst's nicht glauben, wir haben sogar ein paar kleine Yorukage in der Gruppe... die fühlen sich hier pudelwohl und ihre Eltern sind auch echt okay. Und gestern haben doch tatsächlich ein paar Normalo-Kiddies an der Tür geklopft und gefragt, ob sie auch von Tetsuno den Schwertkampf lernen könnten." Bacardi konnte Ashis Augen leuchten sehen. Lächelnd stellte er fest, dass es Ashi wohl ebenfalls nicht besser gehen könnte. Seit sie ihre beiden Schwestern jeden Tag besuchen konnte und mit Tetsuno zusammen das Trainingscenter schmiss, war sie wie eine Kirschblüte aufgegangen. Sie war glücklich und das stimmte auch Bacardi fröhlich. Die beiden erreichten die Trainingshalle und sahen dabei zu, wie Tetsuno ein paar Dreikäsehochs Unterricht im Schwertkampf erteilte. Die Kleinen machten sich ziemlich gut, was, wie Ashi stolz erklärte, an ihrem Talent und natürlich ihrem Lehrer lag. Als die Stunde vorüber war und die Kinder erschöpft, aber in bester Laune nach Hause gingen, gesellte sich Tetsuno zu ihnen. "Hey, Bacardi", ließ er verlauten und wischte sich den Schweiß von der Stirn, "Cool, dass du mal reinschaust. Wie geht's dir so?" "Prächtig, Tet-chan, danke der Nachfrage", erwiderte Bacardi grinsend, "hängst dich ja mächtig rein in den Job, Kurzer." Tetsuno zuckte ebenfalls grinsend die Schultern. "Ich kann mir eben nichts Schöneres vorstellen. Und ich unterrichte ja nicht nur diese Gartenzwerge, sondern auch ein paar Jungs und Mädels mit etwas mehr Erfahrung, was Schwerter angeht. Ich hab'n paar in der Gruppe, die echt verdammt gut sind... da muss sogar ich manchmal richtig aufpassen. Aus Reflex will ich dann meistens mein Schwert anzünden; ist gar nicht so einfach, das zu lassen..." Sein Grinsen wurde schief. Bacardi patschte ihm gutmütig auf die Schulter. "Aaaach, du machst das schon, Tet-chan. Hey, aber sagt mal an, ihr beiden... habt ihr ne Ahnung, wo der Rest der Truppe steckt? Hab schon ewig nichts mehr von ihnen gehört." Ashi lächelte. "Ach, weißt du, DBO und Ivy wohnen praktisch fast gegenüber. Die sind in die WG von so nem Haufen Chaoten eingezogen, die zusammen ne Band haben..." "Eine Band??", wiederholte Bacardi verständnislos, "Äh, Moment mal, hab ich da was verpasst...?" "Das dachte ich zuerst auch", meinte Ashi lachend, "DBO hatte uns die ganze Zeit über vorenthalten, dass er traumhaft Bass spielen kann. Als Ivy das aus ihm rausgekitzelt hat, hatte er keine Chance mehr - sie hat ihn mit zum Vorspielen genommen und die zwei sind prompt genommen worden. Der Sound ist echt klasse, wenn Ivy auf ihrer Gitarre und DBO am Bass zusammen mit diesem Drummer und dem zweiten Gitarristen spielen... und ihr Sänger, Mann, der hat echt ne hammermäßige Stimme..." Ashi seufzte schwärmerisch und erntete einen scharfen Seitenblick von Tetsuno. Die Windmagierin fing an zu kichern und knuffelte seine Wange. "Hey, nicht gleich wieder eifersüchtig werden!" "Aua!! Mann, du freches Gör, soll ich dich übers Knie legen oder was??", maulte Tetsuno und schüttelte Ashis Hand ab. "Aaaaach, das traust du dich doch gar nicht", gab Ashi überzeugt zurück. Der Feuermagier funkelte sie an. "Sag mal, geht's noch?? Wo bleibt der Respekt vor Leuten, die sechs Zentimeter größer sind als du?" "Im Wohnzimmer vergessen", erklärte Ashi und küsste ihn liebevoll, "ist doch kein Wunder, deine feuerrote Couch irritiert mich jedes Mal wieder, wenn ich... hey!!" Sie fletschte die Zähne, als Tetsuno ihr die Füße wegzog und sie auf seine Arme nahm. Er grinste sie an und meinte: "Mag sein, dass ich dich nicht übers Knie leg, aber das hier trau ich mich dann doch noch, Ashi-chan." Ashi murmelte etwas Unverständliches und hopste wieder auf den Erdboden zurück. Bacardi feixte bis zu den Ohren und stellte fest: "Also alles im Lot bei euch, das freut mich." Er dachte einen Moment nach, dann erkundigte er sich stirnrunzelnd: "Sagt mal, hat einer von euch ne Ahnung, wo sich Ryu-kun zur Zeit rumtreibt? Ich hab seit Daiyas Beerdigung nichts mehr von ihr gesehen oder gehört..." Tetsuno lachte. "Nö, wir auch nicht wirklich. Aber wir wissen, dass sie seitdem mit Ryo um die Häuser zieht. Angeblich, weil sie Mitleid mit ihm hat und nen ordentlichen Trainingspartner braucht. Hat behauptet, wir wären keine Gegner für sie. Sie bräuchte was mit mehr Drachenseele." Ashis Lächeln verkleinerte sich ein Stück weit. "Ryo hat sich echt gebessert, seit sein Vater hinter Gittern sitzt. Er gibt uns keine Schuld am Tod seiner Schwester, das hat er uns inzwischen ausgeredet... ich finde das wahnsinnig tapfer von ihm." Sie schluckte. Tetsuno zuckte betrübt die Schultern. "Woher hätten wir wissen sollen, dass Songai und Pyro die ganze Zeit über zusammengearbeitet haben. Dieses Arschloch von Politiker... ich hätte mich schon längst erstochen, wenn ich jemanden wie ihn zum Vater hätte." Ashi schüttelte traurig den Kopf. "Wir können nichts mehr daran ändern, Tetsuno. Daiya war im Grunde auch nur ein einfaches Mädchen. Wenn sie irgend etwas geliebt hat, dann war das ihre Familie - und das ist ihr zum Verhängnis geworden. Sie hat sich in ihrem Vater getäuscht." "Wenigstens steht Ryo treu zu ihr", seufzte Tetsuno und fuhr sich durch sein Blondhaar, "eigentlich ist es schade um sie..." Bacardi grinste. "Stimmt, sie war eindeutig scharf auf dich, Tet-chan." Der Feuermagier antwortete mit einem beleidigten Seitenblick und vergrub die Hände in den Hosentaschen. "Wie auch immer", meinte Ashi und lächelte wieder leicht, "Ryume kümmert sich jetzt um Ryo. Ich bin sicher, mit ihr kommt er wieder auf die richtige Bahn... Ryume lässt sich schließlich von keinem was sagen." Sie grinste. Bacardi hob die linke Braue. "Wer hätte das gedacht... hat sie ihren kleinen, braunhaarigen Laufburschen doch sitzen gelassen. Schade eigentlich. Die beiden hätten so hübsch zueinander gepasst..." Ashi kicherte und blickte abwechselnd Tetsuno und Bacardi an. Ein Seufzer des Glücks entfuhr ihr. Für Ashi war die Welt jetzt in Ordnung. Und sie war sich sicher, dass sie es auch bleiben würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)