Straßenecken-Tête-à-Tête von Puppenspieler ================================================================================ Kapitel 3: (Un)erwartete Entscheidungen --------------------------------------- Kei war schon seit der Grundschule nicht mehr sofort nach dem Unterricht nach Hause gegangen. Es war fremd, doch er weigerte sich, über irgendeine Alternative nachzudenken; weder wollte er zurück in den Volleyballclub, noch offiziell austreten und sich einen anderen Club suchen. (Er wüsste nicht einmal, was für einen. Es war sein Leben lang Volleyball gewesen.) Wie auch am Vortag trottete Yamaguchi neben ihm her, den Kopf gesenkt, schweigend. Er schien immer noch unglaublich geknickt zu sein über den Zusammenstoß mit Sawamura. Kei war immer noch wütend. Er konnte sich nicht so recht entscheiden, auf wen er am Meisten wütend sein wollte, aber er war wütend. Auf Kageyamas billiges Theater, auf Sugawaras Mutterallüren, auf Sawamuras absolut unkonstruktive Art der Problembewältigung, auf Yamaguchis unnötiges schlechtes Gewissen, das er viel zu offen spazieren trug. „…hey. Tsukki.“ Yamaguchis Stimme war leise, und als Kei den Kopf zu ihm drehte, sah er immer noch auf den Boden vor ihren Füßen. Nur kurz zuckten Yamaguchis Augen in seine Richtung, dann wandte er den Blick wieder ab. Der Anblick ließ Kei unwillig die Mundwinkel verziehen. Allein Yamaguchis duckmäuserisches Verhalten signalisierte schon unangenehm deutlich, dass da etwas auf ihn zukommen würde, auf das er dankend verzichten konnte. Noch eine Predigt? Eine halbgare Entschuldigung? Ein Gejammer darüber, dass er zurück in den Club wollte?   Eine Mischung aus allem, so wie Kei Yamaguchi kannte.   Zuerst einmal kam aber gar nichts, und die nächsten Meter wurden schweigend zurückgelegt. Kei machte sich nicht die Mühe, nachzuhaken. Wenn Yamaguchi reden wollte, sollte er reden, das tat er sonst schließlich auch ohne Extraaufforderung. Ganz davon abgesehen, dass Kei ohnehin lieber ohne unnötige Konversationen durch den Tag kam. Er würde nie verstehen, was diverse Herrschaften in seinem Umfeld daran fanden, den ganzen Tag mit unnötigem Geschwätz zu verbringen.   „Ich finde, der Captain hat Recht. Ein bisschen zumindest“, eröffnete Yamaguchi schließlich. Er blieb stehen, zog die Schultern hoch und den Kopf ein. Seine Hände waren zu Fäusten geballt. Irgendwo hörte Kei den Motor eines fahrenden Autos; in dem Geräusch ging sein leises Schnauben beinahe unter. Er war versucht, einfach weiterzugehen, doch er ließ es bleiben. Jahrelanges Zusammenhängen hatte ihm dann doch genug Toleranz Yamaguchi gegenüber eingebracht, dass er ihm zuhörte, wenn er wirklich etwas Wichtiges zu sagen hatte. „Nein.“ – „Tsukki!“ Keis Blick kehrte zu Yamaguchi zurück, scharf, missgelaunt. Es erstaunte ihn beinahe, dass Yamaguchi ihn inzwischen ansah, so fest, wie sein Blick eben werden konnte. Er schien selbst erstaunt über seinen Mut zu sein, denn in dem Moment, in dem ihre Blicke sich trafen, zuckte er verblüfft zurück, bevor er entschlossen die Schultern straffte. „Wir sind zu weit gegangen, Tsukki. Die Wette war keine gute Idee.“ Kei hob völlig unbeeindruckt die Augenbrauen und legte den Kopf leicht zur Seite. Und? Es war deine Idee, Yamaguchi. Yamaguchi zuckte unsicher die Schultern, ehe er sie weiter hochzog und den Blick doch wieder zu Boden wandte. Er schien mit sich zu hadern. Vermutlich fehlten ihm zu aller Unsicherheit auch noch die passenden Worte für das, was er eigentlich sagen wollte. Die Stille zog sich in die Länge, und Kei spielte wieder mit dem Gedanken, das Gespräch zu beenden, noch bevor es richtig angefangen hatte. Mit einem stummen Seufzen schob er die Hände in die Hosentaschen, verlagerte das Gewicht auf das andere Bein, und wartete. Sah zu, wie Yamaguchi weiter mit sich haderte, und versuchte nicht einmal, ihm zu helfen, denn eigentlich wollte Kei nicht hören, was da auch immer kommen mochte. Es kam trotzdem, nach einer gefühlten halben Ewigkeit, als Yamaguchi den Blick entschlossen wieder hob und das Kinn vorreckte. Seine ganze Körpersprache drückte Verkrampftheit und Angst aus, aber in seinen Augen lag eine Ernsthaftigkeit und Entschlossenheit, die Kei gegen seinen Willen beeindruckte. „Ich will den Club wegen so etwas nicht verlieren, Tsukki!“   Kei schnaubte, dieses Mal ging das Geräusch nicht in irgendeinem Lärm der Umgebung unter. Der Volleyballclub bedeutete ihm nichts. Mit Sicherheit wusste Yamaguchi das. Kei machte mit, weil er gut darin war, und weil es irgendwie zur Angewohnheit und vertraut geworden war, weil er einen Schulclub brauchte – nicht, weil es ihm wichtig war. Er konnte gut und gerne verzichten, sich ständig mit diesen Leuten herumzuschlagen, die einfach nur laut und anstrengend und nervtötend waren, allen voran Hinata und Kageyama. Yamaguchi sollte es wissen. Yamaguchi sollte seine Antwort kennen. Ein Blick in Yamaguchis Gesicht zeigte – Yamaguchi wusste es, kannte seine Antwort. Trotzdem hatte er sich für diesen Schritt entschlossen. Keis Kiefer spannten sich unangenehm an, als er die Zähne zusammenbiss, die Hände in seinen Hosentaschen zu Fäusten geballt und der Blick in seinen Augen vermutlich noch weit unfreundlicher, als er es eigentlich gewollt hatte. Yamaguchi wich vorsichtig einen Schritt zurück. „Gut.“ Yamaguchi blinzelte, unsicher, entschuldigend, und da war Erkenntnis in seinem Blick, die ganz klar davon sprach, dass er wusste, was hier passierte. Kei wusste, er könnte sich jeden weiteren Kommentar sparen. Yamaguchi wusste. Und es machte Kei rasend vor Wut, deshalb wollte er sich jeden weiteren Kommentar nicht sparen. Und so lächelte er, das freundlichste, falscheste Lächeln, das er zustande bekam, löste seine eigene angespannte Haltung, um Gelassenheit zu heucheln.   „Viel Spaß in deinem Volleyballclub, Yamaguchi.“   „Tsukki–!“ Yamaguchi wollte noch irgendetwas sagen, hatte die Hand nach ihm ausgestreckt, aber kam nie nah genug, um ihn festzuhalten. Er kannte seine Grenzen. Kei hörte sich nicht an, was da noch kommen wollte. Vermutlich wusste er ohnehin schon gut genug, was Yamaguchi sagen wollte. Er kannte ihn. Kannte die Entschuldigungen und die Erklärungen, die auf Yamaguchis Zunge lagen gut genug, dass er sie sich selbst vorsagen könnte, wenn er es denn gewollt hätte – wollte er aber nicht. Er drehte sich um und ließ Yamaguchi einfach an der Straßenecke stehen, verloren und unglücklich, und irgendwo unter der oberflächlichen Genugtuung darüber, dass Yamaguchi dreinsah wie ein getretenes Hündchen, fühlte er sich insgeheim viel mehr danach, gegen die nächste Wand zu schlagen.     Der Volleyballclub bedeutete ihm nichts. Die besorgten Blicke, die Yamaguchi ihm über die nächsten beiden Tage zuwarf, wurden ignoriert. Die Tatsache, dass er nach der Schule alleine den Heimweg antrat (Yamaguchi war offensichtlich genug beim Captain zu Kreuze gekrochen), nahm er sogar weitgehend positiv auf – er hatte Ruhe und niemanden, der ihm unnötigerweise das Ohr abkaute. Die Musik auf seinen Ohren übertönte die fremde Stille gut genug, dass er sich nicht an ihr störte. Kei hatte nicht das Gefühl, dass ihm etwas fehlte ohne das nachmittägliche Training. Es war immer noch ungewohnt, natürlich, und seine Mutter begrüßte ihn mit verwirrten Blicken, wenn er so früh nach Hause kam, doch jede Frage in die Richtung wurde konsequent abgeschmettert, jede Sorge abgeblockt. Wahrscheinlich würde sie es irgendwann einfach nur noch als dumme Phase abtun und schulterzuckend hinnehmen. Mit dem Rest des Teams hatte er gar nichts zu tun. Einmal sah er Hinata auf dem Schulflur und der kleine Zwerg schien sofort etwas zu sagen zu haben – Kei wandte sich ab, bevor Hinata einen Ton herausbrachte, und als hinter ihm ein lautes „Tsukishima-Kun!“ ertönte, war er schon um die nächste Ecke verschwunden. Den Rest hörte er im nachmittäglichen Tumult gar nicht mehr. Als er Sugawara morgens begegnete, bekam er einen unerwartet freundlich-besorgten Blick zugeworfen, der Kei nur noch wütender machte. Wo auch immer das nun herkam – vermutlich war Sugawara besänftigt, weil wenigstens Yamaguchi wieder angekrochen war? –, er konnte dankend darauf verzichten. Alles in allem hatte Kei wirklich nicht den Eindruck, er würde etwas Wichtiges verpassen. Er wusste, dass die Vorrunde unmittelbar vor der Tür stand, aber er wusste auch, dass sie ohnehin unvermeidlich verlieren würden. Es war also nicht, als ließe er sich etwas Besonderes entgehen.     „Tsukki, du musst zum Spiel kommen“, forderte Yamaguchi, bevor er am Vortag der Vorrunden nach dem Unterricht zum Training aufbrach. Er forderte. Es war keine Bitte und keine Frage, und er schaffte es irgendwie sogar, nicht zusammenzuzucken, als Kei ihn mit einem vernichtenden Blick musterte. Kei verzog missgelaunt das Gesicht, während er seine Schultasche schulterte. Der Klassenraum war längst weitgehend leer, die meisten Schüler auf dem Weg zu ihren nachmittäglichen Clubaktivitäten oder auf dem Heimweg. Wenn Yamaguchi so weiter machte, kam er zu spät zu seinem heiligen Training. (Es war Kei egal.) „Warum sollte ich?“ Yamaguchis Augen leuchteten fast erleichtert auf – als hätte er die Frage erwartet und sich lange darauf vorbereitet, sie zu beantworten. Hinter seinem Rücken zog er ohne jedes Zögern Keis Clubjacke hervor, die er scheinbar achtlos in der Umkleide hatte liegen lassen, als er nach dem Zusammenstoß mit Sawamura abmarschiert war. Yamaguchi lächelte, und obwohl es schief war, war es unerwartet charismatisch für den scheuen, sommersprossigen Jungen.   „Weil du immer noch zum Team gehörst, Tsukki.“   Kei hasste es, dass er kein Gegenargument dafür hatte.   Schweigend griff er nach der Jacke, warf sie über die Schulter und stapfte aus dem Klassenraum. Er blieb Yamaguchi jede Antwort schuldig. Es war nicht, als hätte er Yamaguchi viel zu sagen. Trotzdem hörte er ein Lachen in der Stimme des Anderen, als er ihm hinterherrief:   „Bis morgen, Tsukki!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)