Im Schatten des Universums von UAZ-469 (Machtergreifung) ================================================================================ Kapitel 19: ------------ „Santana, Geschütz auf Ziel ausrichten!“, beorderte Ustanak den Imperialen klar und deutlich, „Schauen wir doch mal, wie diesem Witz von ,Helden´ ein Geschoss mitten durch sein Herz gefällt!“ „Natürlich, einen Moment!“ Santana presste sein behelmtes Haupt umgehend an die die Optik des Infrarotsichtgeräts und drehte die Kanone mithilfe der elektrischen Kontrollen zum gegnerischen Panzer, während Wolf fragte: „Und was mache ich? Wie ein Vollidiot vor dem Kübel rumstehen?“ „Jetzt nicht, Santana muss ungestört zielen können“, antwortete die KI, was dem Söldner jedoch nicht ganz behagte, da er keine Zuversicht im Gedanken fand, Ustanaks Panzerung würde einem direkten Treffer aus derart kurzer Entfernung problemlos standhalten. Was ihn hingegen verwunderte, war die scheinbare Inaktivität Bogatyrs: Er stand schlicht da wie bestellt und nicht abgeholt, zeigte keinerlei Regung und das verstörende „Auge“ sah ins Leere. Dabei hatte er doch das Alteisen samt Konsorten direkt vor sich! Er hätte nur das Geschütz ein Stück zur Seite schwenken und anschließend den Knopf betätigen müssen, um ein Treibgeschoss durch das verrostete Metall zu feuern und sollte er ausgerechnet die Herren im Turm treffen, bliebe ihm fortan jegliche nennenswerte Gegenwehr erspart. Wartete er eventuell auf Befehle? Doch warum auch immer Bogatyr keine Aggressionen zeigte, die Truppe durfte sich diese Gelegenheit auf einen Erstschlag nicht entgehen lassen. Wenn Masaru es lieber vorzog, paralysiert dazusitzen, als hätte er einen Geist gesehen, musste eben Ustanak die Führung übernehmen – eine Rolle, die der Star Wolf-Anführer diesmal sehr gerne an jemand Kompetenteres übergab, da er genug davon hatte, als Kommandant fungieren, sowie für etwaige Verluste geradestehen zu müssen. Derweil dirigierte das Kampffahrzeug den Richtschützen zu einem bestimmten Punkt auf der unteren Seite des feindlichen Geschützes und entgegnete auf die klassische „Warum“-Frage: „Wenn es sich bei Bogatyr um dasselbe Modell handelt, wird es wahrscheinlich denselben Standort für den Computer haben. Und selbst wenn nicht, können wir den Motor bei einer Penetration zerstören und die KI effektiv schachmatt setzen.“ Als Wolf sich schließlich beschwerte, zu lange auf dem Präsentierteller zu sitzen und Santana Feuerbereitschaft signalisierte, gab Ustanak den Befehl zum Angriff. Nach einem simplen Knopfdruck und einem zufriedenstellenden Hämmern schickte der Sturmtruppler die Panzergranate auf ihre schnelle und kurze Reise und hüllte das unmittelbare Gebiet vor dem Rohr in Rauch und Feuer ein. „Haben wir ihn erledigt?“, wollte Santana erwartungsvoll erfahren und fächerte den Qualm im Innenraum weg, der nach jedem Abfeuern entstand, erhielt allerdings keine Antwort. Noch während sich der Nebel draußen verzog, sah er zur Seite und als Masaru sich immer noch nicht rührte, verpasste er ihm eine schallende Ohrfeige, die ihn endlich aus seiner Paralyse riss. Verwirrt schüttelte der Senior daraufhin seinen Kopf und starrte seinen Sitznachbarn verständnislos an. „Na, wieder zurück in der Welt der Lebenden?“, fragte der Soldat genervt und fügte hinzu: „Wie war das nochmal mit der Geheimwaffe, die uns den Sieg bringen sollte, wenn wir es nicht aus eigener Kraft schaffen?“ Masarus Augen blickten darauffolgend zu Boden und stammelte: „I-Ich, ich …Das … ist sie.“ Santana blieb steif sitzen, schaute den Rentner unablässig an und erwiderte mit bemüht ruhiger Stimme: „Also ist der Worst Case eingetreten? Nämlich, dass die Piraten Ihr Ass in Ärmel gegen uns gewendet haben?“ Nachdem hierzu nichts mehr mehr als ein trauriger Blick erfolgte, wendete Santana seinen Kopf nach vorne und bat Wolf: „Captain, darf ich ihn exekutieren? Bitte!“ Bevor der Kopfgeldjäger einen Satz dazu sagen konnte, war Bogatyr wieder sichtbar und Ustanak prüfte unverzüglich die Einschlagstelle der Attacke auf deren Wirkung. Doch was er da entdeckte, entsprach nicht unbedingt seinen Erwartungen … „Ein … Kratzer? Ist das alles? Ist das denn kein T-72U, genau wie meine Wenigkeit? Den hätte ich normalerweise wie Schweizer Käse durchbohren müssen.“ Tatsächlich war der einzige Effekt des Schusses eine große Kerbe mit abgeplatztem Lack knapp unterhalb des Turmrings über dem Sichtschlitz des Fahrers und auf dem Gras vor Bogatyr lag die verbogene, pfeilförmige Granate. Santana indes stöhnte und schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. „Na toll, alles wegen diesem Saftsack von Masaru, der erst dann mit der Wahrheit herausrückt, wenn es bereits zu spät ist. Ohne ihn wären wir wesentlich besser dran.“ Ohne auf das bereits Gesagte einzugehen, rief der alte Mann plötzlich erschrocken: „Wolf, worauf warten Sie noch?! Rückwärtsgang rein und in Deckung, sofort!“ „Und wohin, bitteschön?!“, fragte Wolf genauso laut zurück und erst da waren Aktivitäten bei Bogatyr zu verzeichnen: der schwarze Punkt im leuchtenden Infrarotscheinwerfer bewegte sich in ihre Richtung, musterte sie einen Atemzug lang … und das Fahrzeug richtete danach das Geschütz auf Ustanaks Turm aus. Augenblicklich machte sich Panik in der Besatzung breit. „RUNTER!“, brüllte die KI und konnte nur noch hilflos dabei zusehen, wie sich vor ihnen das Tor zur Hölle mit einer Feuerwand öffnete. So schnell wie es geschah, hörte es auch wieder auf. In einem erstaunlich kurzen, und doch intensiven Moment durchschlug das Piratengeschoss die Front, rauschte zwischen Santana und Masaru vorbei und hinterließ ein Loch an der Rückseite, zusammen mit den fiesen Geräuschen sich verformenden Metalls. Wo es seine Schneise der Zerstörung beendete, vermochte niemand zu sagen. Bis die Insassen jedoch den Mut fanden, die Augen zu öffnen, die Hände von den Köpfen zu nehmen und sich aufzurichten, brauchte es eine Durchsage Ustanaks. „Schwerer Treffer!“, gab er durch, „Ladeautomat zerstört, Kanone aber noch voll funktionstüchtig!“ Masaru begutachtete sofort die Schäden, sah die noch glühenden Ränder der gestanzten Löcher und die übel zugerichtete Munitionszufuhr. Beim Loch am Heck aber wollten zwei Details nicht so recht passen: Warum waren dort auf einmal rote Flecken? Und was waren das für verkohlte Stücke Plastik, die da mit dem Stahl um die Einschlagstelle verschmolzen? „Argh, verflixt und zugenäht“, meinte der Soldat verärgert, „Die Munition wird man aber doch manuell nachladen können, oder?“ „Natürlich“, antwortete Ustanak, „Aber das ist so aufwändig, dass sich unsere Feuergeschwindigkeit auf ein bis zwei Schuss pro Minute reduziert und nur Masaru kann dies bewerkstelligen. Angesichts Bogatyrs Widerstandsfähigkeit ist das aber vermutlich nichts, was ein ernsthaftes Problem für uns wäre.“ So wandte sich der Imperiale an den Kommandanten und lachte: „Na also, jetzt können Sie Ihre Hände auch mal dreckig machen, Alterchen! Glotzt nicht so blöd, machen Sie sich gefälligst nützlich!“ Mit beiden Händen vor dem Mund wechselte Masarus Augenmerk vom hinteren Loch zu Santanas rechtem Arm und zurück. Einige rötliche Tropfen fielen zu Boden, wo sich bereits kleinere Lachen gebildet hatten und noch mehr Stücke von Plastik lagen. Wartet, diese rosafarbenen Fetzen … „Ustanaks Bruder kommt!“, informierte sie mittendrin Wolf und verschaffte dem Senior die nötige Ablenkung, damit dieser geistesgegenwärtig die Anweisung erteilte, sich zu ducken, stillzuhalten und Ruhe zu bewahren. Hierbei allerdings stieg ihm der Gestank von Blut und verbrannten Fleisches in die Nase, weshalb er nicht mehr an sich halten konnte und würgte. Santana bemerkte dieses Verhalten zwar, schüttelte aber lediglich den Kopf. Bis er ebenfalls die Flecken und die Plastiküberreste erblickte und neugierig mit seiner rechten Hand anfassen wollte. Nachdem er letztlich festgestellt hatte, dass er aus irgendwelchen Gründen den Arm nicht rühren konnte, schaute er rechts an sich herunter … Das, was danach seinen Leib im Sturm eroberte, würde er nie wieder vergessen können. Schon beim ersten Anzeichen des wieder einsetzenden Schmerzempfindens reagierte Masaru instinktiv, fasste Santanas Helm und nahm ihn ab, worunter ein bärtiger, dunkelhäutiger Mann mit einem künstlichen Auge, begleitet von einem beißenden Schweißgeruch, hervorkam und drückte eine Hand gegen seinen Mund, der sich just auftat. Zur Sicherheit, besonders weil das folgende Schreien gehörigen Widerstand leistete, packte er zusätzlich das Haupt des Imperialen von hinten und schob es nach vorne. Hoffentlich hörte Bogatyr das nicht, einen weiteren Treffer würden sie nicht mehr so glimpflich einstecken können. Normalerweise hätte Masaru den Stumpf zum Ausbrennen in das heiße Metall gehalten, aber um die heftigen, reflexartigen Reaktionen Santanas unter Kontrolle zu bekommen, benötigte er beide Hände, was wiederum den Panzer infolge des Brüllens erneut auf den Plan rufen würde. Gab es denn niemanden, der ihn von Ustanak weglocken könnte? Sie biss die Zähne zusammen und schlug langsam die Augenlider auf, nur um sie infolge des einfallenden Lichtes sofort zu schließen. Ohne sie zu öffnen, stand das Mädchen auf, hielt sich die wunde Stelle an der Augenbraue und stützte sich an der Holzwand ab. „Miyu!“, rief sie wie vom Blitz getroffen, beanspruchte dann ihre noch schmerzenden Sehnerven und suchte hektisch den Raum ab. Zwar war sie allein und der Bildschirm des Notebooks abgeschaltet, doch entdeckte sie rote Spuren, die aus dem Raum führten. Seltsamerweise hatte man ihnen die Waffen dagelassen, sodass Fay alsbald ihr dunkles Sturmgewehr an sich nahm und mit angelegter Waffe die Tür zum Wohnbereich aufschob. Kaum war diese vollständig zur Seite geschwungen, stieß sie einen erleichterten Atemzug aus, als sie ihre Freundin entdeckte. Ihre Klamotten waren, ebenso wie das Bett, auf dem sie saß, von Blut durchtränkt. Außerdem hatte sie ihr Gewehr und einen offenen Erste-Hilfe-Kasten neben sich auf der Matratze. „Argh, das tut saumäßig weh …“, sagte sie mit zerknirschtem Gesicht, ohne zunächst Fays Anwesenheit zu registrieren und hantierte mit einer Kneifzange an ihrem Bauch. Den zittrigen Bewegungen und leisen Schmerzenslauten zufolge, wollte die Entfernung der Kugel allerdings nicht so recht klappen. Dann erst bemerkte sie Fay und sprach lächelnd: „Ach, da bist du ja wieder! Tut mir leid für die Sauerei, aber …“ Weiter kam sie nicht, da sich die fähige Mechanikerin gleich lachend auf sie warf und sie überschwänglich umarmte. Erst nachdem Miyu sie mit schmerzverzerrter Stimme auf die noch unbehandelte Schusswunde aufmerksam machte, ließ ihre Kameradin entschuldigend von ihr ab. „Au weia, das sieht richtig schlimm aus“, meinte sie zur noch blutenden Verletzung, doch die Luchsdame winkte nur ab und kicherte: „Ach was, so schnell kloppt mich eine Kugel nicht weg. Aber ich fürchte, ich traue mich nicht so ganz, das Teil rauszuziehen, weil das einfach nur übelst reinhaut.“ Jetzt grinste sie verlegen und fragte: „Ähm, könntest du das vielleicht machen? Da bin ich doch zu sehr ein Waschlappen und bis die Kugel raus ist, schwimmen wir vermutlich alle in meiner Soße.“ Ohne zu überlegen zog Fay die medizinischen Handschuhe an, schnappte die Zange und ging in die Hocke, sodass Miyu ihr Unterhemd samt grünem Shirt hochziehen und sich darauf konzentrieren konnte, die bevorstehenden Qualen auszuhalten. Die Soldatenjacke in Wüstentarnfarben hatte sie bereits zuvor ausgezogen und auf den Boden geworfen. „Darf ich anmerken, dass mir Schussverletzungen von Blasterwaffen zur Versorgung wesentlich lieber sind?“, kommentierte Fay angeekelt, während sie vorsichtig die Zange an die Patrone heranführte, was von Miyu mit einem Schmunzeln beantwortet wurde. „Heh, mir brauchst du das nicht zu sagen. So etwas kenne ich von unseren Knarren überhaupt nicht.“ „Gut, dann halte dich fest, das wird kein Spaziergang …“ Sachte berührte das Werkzeug die Haut, drückte das Loch ein wenig auf, wodurch mehr Blut floss und prompt verzog das Opfer tränend ihr Gesicht. Als nächstes schob Fay die Schneiden so tief wie möglich hinein, ohne die Verletzung unnötig aufzureißen, beachtete dabei nicht ihre Freundin die bereits lauter wurde und fasste die Patrone. Um aber ein Abrutschen wegen des unvorteilhaft geformten Zangenkopfes zu vermeiden, konnte das Hundemädchen das Geschoss leider nicht mit einem Ruck ziehen und wandte nur spärlich Kraft an. Spätestens da war die Leidensfähigkeit der gestandenen Infanteristin erreicht und sie schrie. Trotzdem ließ sich Fay davon nicht abhalten, arbeitete unter dem Lärm und angesichts weiter ausströmenden Blutes mit stählernen Nerven weiter und beförderte die Patrone langsam, aber sicher aus Miyus Körper. Zum Schluss war die Kugel schon so weit draußen, dass die Ersthelferin vorne neu ansetzte und mit einem Ruck entfernte. Einen Moment lang betrachtete sie das verschmierte Geschoss, von dem sich ein Tropfen löste und auf die ebenso schmutzige Decke fiel. Die Soldatin derweil atmete rasch, wischte sich den Schweiß von der Stirn und Fay sprach beruhigend auf sie ein: „Keine Angst, das Schlimmste hast du hinter dir. Soweit noch alles in Ordnung?“ Miyu nickte und antwortete ermattet: „Ein bisschen schwummrig, aber … Danke.“ Erfreut wollte man dann zum nächsten Schritt der Behandlung kommen, als es draußen plötzlich gewaltig rumste, das Interieur der Hütte ins Wanken und die Mechanikerin aus dem Gleichgewicht gebracht wurden. Sogar der Erste-Hilfe-Kasten fiel vom Bett und verteilte seinen Inhalt auf dem Boden. „Die kämpfen immer noch?“, wunderte sich Miyu und schaute zur Haustür, „Die Piratenarmee müsste schon längst kapituliert haben, so wie die auf den Sack gekriegt hat.“ Fay indes verschwendete keine Zeit, hechtete zu einer Packung Kompressen und riss sie auf. „Hier, nimm und auf die Wunde drücken!“, sagte sie hastig und hielt ihrer Freundin das Verbandsmaterial hin. So die Blutgerinnung gestoppt und einen verfrühten Tod durch Verbluten abgewendet, reichte sie ihr dann die Mullbinden zur Fixierung der Kompresse auf der Wunde und fragte besorgt: „Kannst du dich selbst verbinden oder brauchst du Hilfe?“ Ihre Patientin verneinte und arbeitete daran, die Behandlung abzuschließen, weswegen Fay die Zeit nutzte, um das Sturmgewehr auszurüsten und nachzusehen, was draußen vor dem Haus vor sich ging. „Moment, ist das bei den ganzen Imperialen da draußen denn nicht riskant?“, äußerte Miyu skeptisch während sie gewissenhaft ihre Wunde versorgte und das Hundemädchen entgegnete: „Nun, wenn du eine bessere Idee hast, als hier drin auf den sicheren Tod zu warten, immer her damit.“ „Fein, aber nicht ohne mich!“ Fix den Verband mittels Schere abgeschnitten und ihre Schusswaffe auf der Matratze beim Aufspringen mitgenommen, griff Miyu die blutdurchtränkte Jacke im Vorbeigehen, zog sie an und schritt gemeinsam mit Fay zum Ausgang. Nachdem darauf jedoch ein weiterer Knall erfolgte, der die Einrichtung erneut erbeben ließ, zögerten sie – Wurde da nicht gerade ein Gefecht direkt vor den Pforten ausgetragen, weswegen sie durch ihr Vorhaben Gefahr liefen, vom Kreuzfeuer erfasst zu werden? Letztlich siegte dann aber doch die Neugier und Fay zog die Tür einen Spalt breit auf … Sie kreischte. „Himmel, Arsch und Zwirn!“, erschreckte sich Miyu und fing noch rechtzeitig das hochgeworfene Sturmgewehr auf, „Bring mich doch nicht jetzt schon durch einen Herzinfarkt ins Grab, was ist los?!“ Danach wurde sie von Fay an der Jacke gepackt, aus großen Augen mit geschrumpften Pupillen angestarrt und in verängstigter Tonlage angesprochen: „Die Scheune ist auf und leer! Weißt du, was das bedeutet?!“ Ohne ihrer Freundin Zeit zur Antwort zu geben, schüttelte sie sie und fuhr lauter fort: „Das ist unser Ende!“ „Reg dich ab, Mädel“, schob Miyu genervt die hyperventilierende Mechanikerin von sich weg und sagte: „Das muss Bogatyr sein oder wie Artjom das Dingsbums da drin auch immer genannt hat.“ „Boga-Was?“ Ihre Kameradin nicht beachtend, drängte sich Miyu an ihr vorbei und steckte den Kopf durch die Öffnung ins Freie. In der Tat lagen die Stücke des zerborstenen Balkens rund um den Ort verteilt, wo eigentlich die Scheunentore hätten sein sollen und eben diese fristeten neben dem Gebäude ein trauriges Dasein auf dem Erdboden. Von dem berüchtigten Biest hingegen fehlte jede Spur. Oder war es die Maschine, die, sich schwer erkennbar aus der Dunkelheit schälend, bis auf Tuchfühlung an Ustanak heranfuhr und dessen Turmfront zu untersuchen schien? Und warum hatte das Vehikel eine Schirmmütze? „Ach, das ist das Teil, von dem man sagt, dass die Atombombe ein angenehmerer Weg zu sterben wäre?“, meinte sie wenig beeindruckt, „Also da hatte ich mir die angebliche Terrorwaffe ETWAS anders vorgestellt …“ Von Miyus Kommentar ein wenig beruhigt, traute sich nun auch Fay und erhaschte einen Blick auf Ustanaks Zwilling. Wenn es „nur“ ein einfacher Kampfpanzer war ..? „Wir werden Ustanak helfen.“ Der plötzliche Anflug von Mut überraschte Miyu, die ihre, vor wenigen Sekunden doch noch ängstliche, Freundin verwundert ansah. Die Tapferkeit ließ sie stolz und entschlossen wirken. „Was?“ „Ich sagte, wir helfen ihm.“ „Bist du verrückt?! Gegen Bogatyr allein machen wir es nicht lange! Vor allem nicht im offenen Gelände!“ „Wir werden auch nicht gegen ihn kämpfen. Nur Ustanak und die Imperialen haben gegenwärtig die nötige Feuerkraft, ihn zu bezwingen.“ So schlussfolgerte Miyu: „Also lenken wir ihn ab?“ Fay nickte. „Und so ganz nebenbei hat der Kerl recht: Wir sollten uns wirklich in Grund und Boden dafür schämen, Artjom unterstützt zu haben. Pfeifen wir auf die Piratenarmee, wir tun, was richtig ist! Für unsere gefallenen Flügelmänner und Kornej!“ „So ganz bin ich vom Plan zwar nicht überzeugt“, äußerte die Soldatin ihre Bedenken und stieß Fay mit dem Ellenbogen grinsend in die Seite, „Aber du weißt, dass du immer auf mich zählen kannst. Zeigen wir dem Blechkübel, was eine Harke ist und zerschlagen die Banditen ein für allemal!“ „Das ist die richtige Einstellung, Miyu!“ Mit größter Sorge betrachtete Masaru das ausströmende Blut aus Santanas Armstumpf, wie es unaufhörlich in den Fußraum tropfte. Er betete, sie mochten ihm noch die nötige medizinische Versorgung zukommen lassen können, ehe ihm ein grausiges Ende widerfuhr und der nächste Verlust zu beklagen war. Es war nichtsdestoweniger verblüffend, wie unglaublich ausdauernd und durchdringend der Imperiale schreien konnte, aber selbst falls der Schmerz abklang, würde er mit dem Ausbrennen definitiv auf ein Neues aufflammen und ihren Untergang besiegeln. Zu allem Übel erschien Bogatyr äußerst hartnäckig, so lange wie er versuchte, Leben im Panzer zu finden, das er mit Bomben und Granaten auslöschen konnte. Ob eventuell der Lärm der Grund dafür war, trotz Dämpfung? Zu wissen, dass auch nur eine Sekunde Sichtbarkeit ausreichte, um den Zorn der KI zu entfachen, trieb ihm den Schweiß ins Gesicht, schnürte seine Kehle zu und zog seinen Magen zusammen. Sich vor einem Wesen zu verstecken, das nicht wochenlang in derselben Position ausharren konnte, ohne essen, trinken, oder schlafen zu müssen, und notfalls mit konventionellen Mitteln zu töten war, wäre ihm deutlich lieber gewesen. Auf einmal jedoch hörte er den Schuss einer großkalibrigen Feuerwaffe und den daraus resultierenden, natürlichen Abpraller. Gewiss hätten sie den Treffer, geschützt innerhalb der Verbundpanzerung, nicht gespürt, doch da ihm die Logik eines derartigen Angriffs auf Ustanak verwehrt blieb, kam für ihn nur noch eines in Frage … und seine Hoffnung kehrte zurück. Ein aufheulender Dieselmotor bestätigte sogleich seine Vermutung und ihm fiel ein Stein vom Herzen, dennoch wartete er einige Sekunden, bevor er es wagte, aus der Deckung zu kommen und Santana einer weiteren Ladung puren Leids auszusetzen. Gleichzeitig aber erfüllte sich auch seine dunkelste Vorahnung: Bogatyr feuerte noch eine Panzergranate ab, wahrscheinlich in die Richtung des Angreifers, um anschließend zu beschleunigen und auf dessen Aufenthaltsort zuzuhalten. „Die Luft ist rein!“, machte Ustanak auf Bogatyrs Abwesenheit aufmerksam und Wolf freute sich als Erster: „Hervorragend, dann können wir ja unsere Taktik bespr…“ Er wurde jäh vom schauderhaften Gebrüll des Soldaten unterbrochen, sodass er sich die Ohren zuhielt und verunsichert eine Erklärung forderte. „Bogatyr hat …“, begann Masaru angestrengt zu erläutern, während er Santanas Armstumpf an das glühende Metall drückte und gegen dessen Schutzreflexe ankämpfen musste, „… Santana den Arm abgerissen ..!“ Als keine Reaktion zu vernehmen war, redete er weiter: „Wenn wir ihn nicht verlieren wollen, muss er verarztet werden, und zwar sofort!“ „Toll, was jetzt, wir kommen hier nicht weg!“, sagte Wolf genervt und der Alte erwiderte: „In Artjoms Haus finden wir die nötigen Mittel, aber wenn ich richtig liege, wird die Hütte gerade …“ Just ausgesprochen, erklangen die unverwechselbaren Todesschreie eines Holzbaus, das unter einen Bulldozer geriet. „… zu Kleinholz verarbeitet“, vollendete Ustanak den Satz für ihn und äußerte im Anschluss daran seine Sorge um die vermutlich noch im Haus befindlichen Untergebenen. „Keine Sorge, Bogatyrs künstliche Intelligenz ist noch im frühen Alphastadium“, versuchte Masaru die anderen zu beruhigen, „Momentan ist er nichts mehr als ein Monster ohne Sinn und Verstand, das alles vernichtet, was sich bewegt. Wenn sie Ruhe bewahren und sich nicht sehen lassen, sollte die KI schnell das Interesse verlieren.“ Statt hierzu einen Kommentar abzugeben, stand Wolf auf, entriegelte seine Luke und lugte hinaus, um Bogatyrs Treiben zu observieren. In der Tat hatte das Fahrzeug kurzen Prozess mit dem Gebäude gemacht und es vollkommen zerstört, lediglich eine Tür mitsamt des dazugehörigen kleinen Zimmers, sowie Wandresten standen noch. Langsam drehte der Turm hin und her, offenbar um Überlebende zu finden und Fluchten zu unterbinden. Würde sich sein Heck nicht vorzüglich für ballistische Chirurgie eignen? „Okay Leute, von vorne hat es nicht funktioniert, doch können wir es ihm wenigstens hinterrücks besorgen?“ „Aber wir müssen die KI selber treffen“, widersprach Ustanak, „Ohne funktionierenden Motor legen wir ihn zwar lahm, aber die Restenergie der Batterie wird noch soweit ausreichen, dass Bogatyr zurückschlagen kann, bevor …“ Dann hielt er inne. „Hmpf, müssen wir halt warten, bis sich das Ding auf eine für uns vorteilhafte Position begeben hat“, führte Wolf den Plan ungeachtet dessen weiter, „Ustanak, du kannst doch Kontakt zu den Imperialen aufnehmen. Meinst du, du könntest sie dazu bringen, sie von uns wegzulocken?“ Doch Ustanak schwieg und der Söldner, vom erdachten Überhörer erbost, raunte: „Hey, willst du noch die Sonne sehen oder nicht?“ „Was? Äh, natürlich, tut mir leid“, entschuldigte sich die KI als wäre sie aufgeschreckt worden und tat sodann, wie ihr geheißen: „Sturmtruppen, bitte melden, over!“ Mehrere Sekunden vergingen, in denen er keine Antwort erhielt, bis sich nach einer Weile ein Soldat meldete: „Blanka hier, Ustanak, sind Sie das?! Gepriesen sei die Macht! Wir hatten gesehen wie der Gegner Sie durchlöchert hat und schon das Schlimmste befürchtet, over!“ „Wie ist die Lage, over?“ „Haben einige Verwundete, können aber von uns behaupten, die Piraten ausgeschaltet zu haben, Sir. Die, die in den Gefechten nicht ums Leben gekommen sind, haben sich entweder ergeben oder die Seiten gewechselt. Vor allem das Kanonenfutter zog es vor, aus dem Lager zu fliehen statt gegen uns zu kämpfen.“ Nun senkte sich Blankas Stimme und er setzte schwermütig neu an: „Aber die Zivilisten …“ „Schon gut, dafür haben wir später noch Zeit. Hört zu, wir können den Feindpanzer frontal nicht beschädigen. Darum ist es vonnöten, dass wir einen Schuss auf sein Heck abgeben, over.“ Blanka verstand auf der Stelle, was von ihm verlangt wurde und entgegnete gewissenhaft: „Kein Problem, wir schaffen ihn euch vom Hals, sodass ihr in Ruhe feuern könnt. Wir evakuieren noch schnell die Überlebenden, dann legen wir los, over.“ „Danke, wir verlassen uns auf euch. Over and out.“ Unterdessen war es Masaru gelungen, Santanas Verletzung so weit zu verkrusten, dass der Blutauslauf effektiv gehemmt wurde. Außer Gefahr war er jedoch noch lange nicht – leblos wie ein schlaffer Sack hing er in den Armen des Rentners, sodass niemand mehr sagen konnte, ob sich sein Geist noch verzweifelt ans Leben klammerte oder bereits aufgegeben hatte. Darum war es umso wichtiger, ihn schnellstmöglich im Trümmerhaufen unterzubringen. „Uns läuft die Zeit davon!“, wies Masaru ernst darauf hin und Wolf erwiderte ärgerlich: „Ja, und was glauben Sie, dass ich mache? Bogatyr mit Steinen bewerfen?“ Kurze Zeit danach allerdings schien der Gegner von der Bruchbude genug zu haben, sandte eine schwarze Rauchwolke empor und bewegte sich träge rückwärts über die von den Ketten zermalmten Reste. Umgehend tauchte O'Donnell zurück ins Innere, setzte sich an seinen Platz und hielt sich für ihren Plan bereit. „Achtung, er hat sich in Bewegung gesetzt! Masaru, denken Sie, Sie können Santana ins Haus tragen?“ Dieser sah den Imperialen an, dachte einen Augenblick nach und erwiderte: „Bin zwar nicht mehr der Jüngste, aber das sollte ich schaffen.“ Von dem Moment an verhielten sie sich ruhig, da Bogatyr von Neuem auf der Pirsch war und, wohl von der brennenden Infrastruktur und rufenden Personen aus dem vorderen Teil des Lagers angezogen, an ihnen vorbeirollte. „Gut, einfach so deaktivieren geht nicht, wie also stellen wir es am besten an, ohne uns dabei aus eigener Doofheit selbst zu pulverisieren?“, suchte Fay nach einer klugen Herangehensweise und Miyu antwortete, indem sie grinsend ihre Waffe anlegte und auf den dunklen Kampfpanzer zielte, wovon ihre Kameradin jedoch alles andere als begeistert war. „Ähm, ich halte das wirklich für keine gute I...“ Zu spät: Schon verließ die Kugel den Lauf, flitzte zu Bogatyr und traf ihn an der Seite, selbstverständlich ohne mehr als eine Delle zu hinterlassen. Ehe das Hundemädchen die Schützin schelten konnte, zeigte sich auch schon die Wirkung dieses tollkühnen Vorhabens: Ustanaks Bruder drehte den Turm zu ihnen, weswegen Miyu Fays Hand nahm und sie hinter die Wand zerrte, wo sie in Deckung gingen und warteten. Allein der daraufhin triumphierende Blick der Soldatin provozierte ihre Partnerin so sehr, dass sie sich zu einer bohrenden Frage verpflichtet fühlte: „Hast du auch bedacht, was wir machen, wenn Bogatyr nachgucken will, woher der Schuss kam und dabei die Hütte niederreißt?“ Immer noch selbstsicher wirbelte Miyu herum, machte den Mund auf, holte tief Luft, und … „Natürlich! Wir werden … äh … öhm …“ Ratsuchend schaute sie zur Seite, um danach voller Elan loszulegen: „42!“ Seufzend schüttelte Fay den Kopf. „War ja klar.“ Plötzlich gab es einen dumpfen Knall und etwas Großes zerschmetterte mühelos die Eingangstür, durchquerte ungebremst das Innere des Hauses, um schließlich die Hausrückwand zu durchschlagen. Das Duo indes war davon so überrascht worden, dass es nur verdutzt gucken konnte. „Bogatyr schießt direkt mit der Kanone zurück?“, fasste Miyu das eben Geschehene ungläubig zusammen und Fay sparte sich jegliche Äußerung, bis der riesige Motor die Drehzahl beträchtlich erhöhte – und das Rattern der Ketten immer näher kam. „Oh … oh …“ Ihr Gesicht erbleichte. „Was heißt hier ,Oh oh´? Ich mag den Ton überhaupt nicht …“ Wortlos sprang die Mechanikerin auf, riss die Infanteristin mit sich, hastete in den Raum mit dem Notebook und schlug die Tür zu. Dann schnell durch das Schlüsselloch geguckt, walzte bereits Bogatyr den Hauseingang nieder und begrub alles, das es wagte, ihm im Wege zu stehen, erbarmungslos unter sich. Dieses Schicksal würde auch die beiden Damen ereilen, falls sie sich nicht schleunigst in Sicherheit begaben. Aber wohin? Ein Fenster, durch das man hätte noch fliehen können, existierte zwar, hätte jedoch zu viel Zeit gekostet und unter dem Tisch würden sie augenblicklich gefunden werden. Noch während Fay panisch nach einem Versteck Ausschau hielt, ergriff Miyu die Initiative und zog sie hinter die Wand neben der Tür, wo sie sich schließlich hinsetzten und zitternd auf das Beste hofften. Kaum brach Bogatyrs Lauf knapp über ihren Köpfen hindurch, klammerte sich das Hundemädchen zu Miyus Überraschung an sie, weigerte sich, den Griff auch nur zu lockern und verbarg das Gesicht an ihrer Brust, wo sie den schnellen Herzschlag hören konnte, als wäre es ihr eigener gewesen. Die Ältere dagegen kniff die Augen zusammen und versuchte hektisch atmend, die Übelkeit in der Magengegend in Schach zu halten. So von einem Fahrzeug überrollt zu werden … Was hatten sie bloß in ihrem Leben falsch gemacht, um mit einem derart erbärmlichen Ende bestraft zu werden? Aber – warum dauerte es so lange? Wieso spürten sie nicht den Schmerz zermalmter Knochen, die Eiseskälte des Laufwerks? Weshalb hörten sie den blubbernden Panzermotor, allerdings nicht, wie das Zimmer zerlegt wurde? Aus welchem Grund wehrten sich ihre Körper dagegen, die Seelen aufzugeben? Die Kämpferin sammelte ihren Mut und zog die Lider einen Schlitz weit hoch. Sie konnte es sich zwar nicht erklären, wollte es womöglich gar nicht, doch irgendwie saßen sie unberührt auf dem von Holzresten übersäten Dielenboden. Des Weiteren schien Fay im Gegensatz zu ihr noch in der Illusion des eigenen Verderbens gefangen zu sein, obwohl Miyu lügen müsste, hätte sie deren kindliches Verhalten, sie wie ein Stofftier in der Einsamkeit festzuhalten, nicht niedlich gefunden. Manche legten wohl nie ihr Kind im Herzen ab, obgleich sie eine Karriere bei einem Wissenschaftler mit Herrschaftsambitionen gemacht hatten. Ihr Haupt dagegen zu erheben kam für sie nicht in Frage, dafür warf Bogatyrs Geschütz infolge des grünen Nebels am Himmel einen länglichen Schatten, anhand dem sie mitverfolgen konnte, wie er den Raum nach ihnen absuchte. Gerade noch gelang es Miyu, dem Drang, sich den Angstschweiß mit einem Hauch von Erleichterung von der Stirn zu wischen, zu widerstehen, zumal deren unfassbares Glück sicherlich eine Kehrtwende unternehmen konnte, sollten die Sensoren des Panzers Bewegungen oder Geräusche erfassen. Was nicht unbedingt die leichteste Aufgabe war, wenn ein verängstigtes Mädchen an einem klebte und so stets das Gewicht verlagerte. Blieb nur zu hoffen, Bogatyr mochte bald den Rückzug antreten. Irgendwann schlussendlich – Miyu hatte nicht die Sekunden gezählt, aber die Zeit war unendlich langsam verstrichen, was für die Beharrlichkeit der KI sprach – beschleunigte das Vehikel dem Schatten nach ein weiteres Mal, diesmal jedoch in die entgegengesetzte Richtung. Erst als sich dieser zusammen mit den Motorgeräuschen entfernt hatte, atmete sie tief ein und aus, und flüsterte dann Fay zu: „Schwesterchen, wir haben's geschafft.“ Ohne sich von ihr zu lösen, fragte sie vorsichtig, offenbar im Unglauben darüber, noch am Leben zu sein: „Ist … es vorbei?“ Dabei schaute sie in Miyus freundliches Gesicht, die aufmunternd nickte und antwortete: „Zumindest für's Erste. Wer weiß, wann er wiederkommt.“ „Ausgezeichnet, dann dürfen wir keine Zeit verlieren.“ So schnell wie Fay vom schutzbedürftigen Kind wieder zur taffen jungen Frau wechselte, konnte die Soldatin nicht schauen, da stand ihre Freundin bereits und forderte sie zur Eile auf. Irritiert schob es Miyu am Ende auf die Hormone, rappelte sich auf und gemeinsam kletterten sie über den Trümmerhaufen. In der Zwischenzeit hatte Bogatyr Kurs auf den vorderen Teil des Lagers genommen, was freie Sicht auf Ustanak und erstmalig einen einigermaßen gefahrlosen Laufweg ermöglichte. „Komm, schauen wir nach, ob wir der Besatzung helfen können“, schlug Fay vor, aber Miyu widersprach mit Verweis auf das zerstörte Haus, dass es nicht der beste Ort für eine ambulante Versorgung sei. „Hauptsache, wir schaffen die Verwundeten aus der Schusslinie. Los jetzt, bevor es sich Bogatyr anders überlegt!“ Geduckt und den Blick beständig auf das Feindfahrzeug geheftet, stahlen sie sich von der Ruine davon und näherten sich Ustanak. Trotz der Dunkelheit waren sie in der Lage, den Treffer an seinem Turm auszumachen und die Sorge um den Zustand der Insassen trieb sie zu größter Eile an. Spätestens dann, als von einer zweistöckigen Wohnbaracke aus das Feuer auf Bogatyr eröffnet wurde, seien es Blaster oder handelsübliche Projektilwaffen, und er dieser Belästigung mit einem Treibkäfiggeschoss begegnete, das zunächst außer einem behelfsmäßigen Fenster nicht viel ausrichten konnte. Das dürfte sich aber gleich ändern, sobald er seine Masse in einen furchterregenden Rammbock verwandelte … Den verbündeten Panzer erreicht, hievten sich Fay und Miyu an den Seiten auf die Wanne, sahen nochmals zum Feind rüber, wie er den Burja passierte und ohne abzubremsen das Gebäude ansteuerte, und stiegen auf den Turm. Dort klopften sie zuerst auf die beiden Luken und hoben sie an, nachdem niemand reagierte. „Hallo? Alles in Ordnung?“, fragte Fay in den finsteren Innenraum hinein. Ein Mann gesetzten Alters blickte zu ihnen hoch, eine anscheinend bewusstlose Sturmtruppe in seinen Armen, lächelte erfreut und antwortete: „Euch schickt der Himmel! Bogatyr hat diesen Mann lebensgefährlich verletzt und er hat viel Blut verloren. Bitte helft mir, ihn in Artjoms Hütte zu schaffen!“ „Verlasst euch auf uns, er ist im Nu wieder raus!“, sagte Miyu mit heroischer Stimme, nur um im Anschluss daran zweifelnd hinzuweisen: „Aber das Ding wurde dem Erdboden gleichgemacht und die Trümmer bieten kaum Schutz.“ Doch der Senior winkte ab und erläuterte, dass es lediglich um die Versorgung gehe, ehe es zu spät sei. Nach diesen Worten schließlich unterstützte das Duo den Herren dabei, den Verletzten aus und folglich runter von Ustanak zu befördern, sodass das Opfer bald darauf von drei Personen getragen wurde. Plötzliches Geschrei und mächtiges Getöse allerdings lenkten ihre Aufmerksamkeit zum Rest des Lagers und somit zur Wohnbaracke – just wurden sie entsetzt Zeugen davon, wie Bogatyr den Holzbau mit Volldampf rammte und wie ein Kartenhaus einstürzen ließ. Wer die Attacke überlebt zu haben schien, wurde prompt vom koaxialen Maschinengewehr niedergemäht. „Heiliges Kanonenrohr, macht er denn keinen Unterschied zwischen Freund und Feind?“, fragte die Soldatin bestürzt und der Rentner antwortete: „Leider nein, bis auf die nötigsten Programmroutinen und der auf bestimmte Ziele angepassten Feuerleitanlage ist nichts enthalten. Bogatyr verwendet eine frühe Alpha-Version von Ustanaks KI, so weit ich mich erinnern kann.“ Bei der angepassten Feuerleitanlage wurden die Partnerinnen hellhörig, hielten sich aber zurück. Vorerst war die Rettung des Imperialen vorrangig. In der Ruine räumten sie flüchtig die Überbleibsel des technisch unsauberen Abrisses vom Bett und legten das Opfer langsam und vorsichtig auf der Matratze ab. Sogleich wies sie der ältere Herr an, ihm Kompressen und Verbände zu bringen. Es war ein Wunder, dass er überhaupt dazu fähig war, bei dem geringen Lichteinfall zu arbeiten, aber wenn sich die Damen das, was vom Arm des Imperialen übriggeblieben war, genauer anschauten, war es vielleicht besser so. Die Wundstellen ausgerechnet noch mit den Bakterien in Erbrochenem zu infizieren, hätte zu einem Desaster geführt. „Also gut … Masaru-Ito“, begann Fay mit einer Feststellung, was den Mann während des Anlegens nicht aus dem Konzept brachte, „Erklären Sie uns doch bitte, was genau Sie mit der angepassten Feuerleitanlage meinten.“ Miyu stimmte mit einem „Mhm“ zu und so erläuterte er nach einem auffällig langen Blick zum Panzer: „Zieldaten für Ustanak, einschließlich der Position seiner Recheneinheit.“ Die Mädchen benötigten keinen Moment, um die Bedeutung dessen nachvollziehen zu können, wobei die Mechanikerin als Erste ihre Schlussfolgerung beunruhigt kundtat: „Heißt das etwa, dass Bogatyr, Ustanak ..?“ Masaru werkelte still am Armstumpf und ließ die Beiden mit dem Gedanken allein. „Es geht mir aber primär um Wolf O'Donnell“, vertrieben seine unverhofften Worte die bedeutungsschwere Stille, „Seine Schale des skrupellosen Kopfgeldjägers ist bereits so sehr angeknackst, dass ich ihn nicht erleben möchte, wenn sie wirklich bricht.“ „Ja …“ Daraufhin senkten die ehemaligen Piratinnen betreten ihre Köpfe … bis Fay auf einmal ohne Vorwarnung mit strahlendem Gesicht und glitzernden Augen rief, sodass Miyu vor Schreck fast die Wand hochlief: „WOLF O'DONNELL IST HIER?!“ „Bereit, O'Donnell?“ Er setzte ein selbstbewusstes Grinsen auf. „Immer! Schicken wir Bogatyr auf den Schrott, wo er hingehört!“ Fest packte Wolf die Hebel, bewegte einen nach vorn, den anderen nach hinten und änderte die Richtung um 180 Grad. Dort, wo Bogatyr noch damit beschäftigt war, unter den Trümmern nach noch lebenden Angreifern zu suchen und diese folglich zu erschießen. „Verflucht seien Sie, Artjom!“, beklagte Ustanak zornig die verlorenen Leben, „Eine Tötungsmaschine gänzlich ohne Ethik und Mitgefühl von der Leine zu lassen, die vor nichts Halt macht! O'Donnell, ab in den Turm mit dir!“ „Verstanden!“ Mit diesen Worten schaltete der Söldner in den Leerlauf, öffnete seine Luke, sprang förmlich raus und schlüpfte durch die Rechte ins Innere auf den Platz des Kommandanten. Umgehend vermisste er die Beinfreiheit des Cockpits, wenn er auch etwas weniger Raum verbrauchte als Masaru. Immerhin war die Sitzfläche bereits vorgewärmt. „Du bist in Stellung, exzellent“, lobte Ustanak, „Leider wirst du manuell laden müssen, aber ich werde dich anleiten.“ Wolf beugte sich vorsorglich zum Loch des Magazins, woraus die Automatik die Munition bezog und die KI fing an zu erklären: „Siehst du das Karussell dort unten, wo die zweiteilige Munition gelagert ist? Ich fürchte, das wird hart, aber du wirst die zurzeit in den Kartuschen befindliche Treibladung, sowie das Geschoss entnehmen und in den Lauf einführen müssen.“ „Hmpf, nichts leichter als das“, meinte Wolf, spuckte in die Hände, rieb sie und langte in den Wannenboden. Unglücklicherweise musste er dabei feststellen, dass die Munition um einiges schwerer war als angenommen. Das Gewicht, gepaart mit der mangelnden Armfreiheit und der ohnehin hohen Temperatur im Fahrzeug sorgte dafür, dass seine Schweißdrüsen in Windeseile ackerten und sich erste Tropfen von den Haarspitzen lösten. „Beeilung! Bogatyr darf das Lager um keinen Preis verlassen! Sollte er jemals die Siedlung finden, dann gnade uns Gott!“ Wolf verkniff sich, seinen Frust an Ustanak auszulassen und barg die Treibladung, die er danach auf dem Sitz des Richtschützen ablegte. Als er seine Pfote nach dem Geschoss ausstreckte, sprach die KI, allerdings merkwürdig ruhig: „Ähm, es gibt da etwas, das ich dir sagen muss. Masaru hätte es nicht gewollt, aber ich dachte, dass es dir zusteht, es zu erfahren.“ „Können wir es nicht auf nachher verschieben, also … wenn Bogatyr erledigt ist?“, erwiderte Wolf schnaufend und stemmte das pfeilförmige Geschoss aus dem Lager. „Nun, die Sache ist die … Ich fürchte, es wird kein Nachher geben.“ Sofort stellte O'Donnell die Arbeit ein und sperrte die Lauscher auf. Gewiss hatte er sich da eben verhört, oder? „Zumindest für mich nicht.“ „Ach was“, spielte der Söldner lächelnd das Missbehagen des Panzers herunter und platzierte die Granate neben sich, „Du bist so hart im Nehmen, nach allem, womit wir dich beworfen hatten, nicht zu vergessen der Höhleneinsturz und Bogatyrs Treffer, bin ich mir zu einhundert Prozent sicher, dass selbst Andross keine Chance gegen dich hätte.“ Dann lachte Ustanak. „Ich weiß nicht, aber deine grenzenlose Naivität, sowie konstante Leugnung der Tatsachen, um deine Welt vor dem Zusammenbruch zu bewahren, sind auf eine so verdrehte Art und Weise süß, dass ich mir nicht anders helfen kann, als zu lachen. Los, zuerst das Geschoss und dann die Treibladung.“ Unsicher darüber, was Wolf von den Aussagen halten sollte, beschloss er schlicht, sie zu ignorieren und führte seine Aufgabe fort. „Sehr gute Arbeit“, lobte Ustanak ein zweites Mal und sandte ihn anschließend auf den Schützenplatz zur Geschützbedienung. Bevor er jedoch weitere Befehle gab, warnte er ihn: „Ach ja, eines noch: Sobald ich den Treffer bestätigt habe, musst du das Fahrzeug unverzüglich verlassen. Bogatyr wird nun sicherlich zentral zielen und dabei den Motor treffen. Du willst ganz bestimmt nicht hier drin sitzen, wenn sich der Innenraum in eine Miniaturausgabe der Hölle verwandelt.“ „Hm, dafür, dass du glaubst, gleich den Löffel abzugeben, bist du erstaunlich entspannt“, sagte der Kopfgeldjäger und fasste die Turmkontrollen. „Ich bin eine einfache Maschine, eine künstliche Intelligenz. Für mich gibt es kein Leben nach dem Tod, meine Existenz endet schlicht mit einen Schlag. Alles …“ Ein leises Rauschen mischte sich unter und Wolf runzelte die Stirn. „… werde ich verlieren: Wissen, Gedanken, Emotionen, die Erinnerungen an meine Taten, Abenteuer, Feinde, Freunde …“ Ustanak schwieg ein paar Sekunden, ehe er seinen Monolog mit einem dezent lauteren Rauschen abschloss: „… und dich.“ O'Donnell indes hörte nicht mehr zu, sondern richtete die Kanone auf Bogatyrs Heck aus, mit entsprechenden Korrekturen um ein bewegliches Ziel nicht zu verfehlen. Sein Verstand wusste, dass Ustanak puren Nonsens von sich gab, denn wer nach so vielen Jahren des Kämpfens immer noch so lebendig war wie in seinen jungen Jahren, den konnte nichts mehr umwerfen. Und dennoch – spürte er in der Herzgegend einen Stich, der ihm die Atmung erschwerte. Warum tat es bloß so weh, wenn es ihm doch gut ging? „Aber wenn ich so darüber sinniere, ist es das Beste, was mir passieren kann. Zu wissen, dass gleich meine Alpträume für immer enden werden, ich nicht mehr die Lasten der unschuldig Getöteten tragen muss, selbst wenn ich dafür die schönsten Erinnerungen aufgeben muss … Kannst du dir vorstellen, wie … angenehm es sich anfühlt?“ Das Gefasel nicht beachtend, wartete O'Donnell auf den richtigen Zeitpunkt zum Feuern und forderte Ustanak auf, ihm das Kommando zu geben. Wenn dieser blöde Stich nur nicht so sehr auf die Tränendrüse drücken würde, so machte es genaues Zielen unmöglich! Endlich, wenig später, war es so weit. „Feuer.“ Das Kanonenrohr wurde nach hinten gedrückt, warf den metallenen Hülsenboden aus und Wolf hustete aufgrund der temporären Qualmentwicklung im Kampfraum. Dann stellte er sich aus eigenem Interesse auf den Sitz und streckte den Kopf heraus. „HA! Volltreffer, Bitch!“ Trotz der Weite zum Gegner und der Finsternis konnte er klar erkennen, wie erste Flammen aus dem entstandenen Einschussloch züngelten und Bogatyr zum Stillstand kam. Jedoch ebenfalls, wie dieser seine Waffe drehte, wenn auch langsamer als sonst. Wo der Motor nicht mehr lief, musste nun die verbliebene Energie der Akkumulatoren die Systeme aufrechterhalten. „Perfekt, O'Donnell! Besser hätte es nicht vonstatten gehen können!“, beglückwünschte Ustanak den Star Wolf-Anführer, woraufhin er ihn aber streng aufforderte: „Jetzt geh, der Gegenangriff lässt sich nicht mehr lange auf sich warten.“ „Alles klar, wir sehen uns gleich und dann feiern wir eine Runde“, sprach Wolf ermutigt, kletterte aus dem Turm und sprang von der Wanne herunter. Schließlich stellte er sich auf halber Strecke zur Hütte hin und drehte sich zum Panzer um, behielt aber Bogatyr dabei im Auge. Schließlich wollte er der Erste sein, der Ustanak zum gelungenen und überlebten Gefecht gratulieren wollte. Jene Momente hingegen nutzte die KI noch für einige Worte: „Ich … ich habe dir noch so viel zu sagen, aber leider reicht dafür die Zeit nicht.“ Der Feind war kurz davor, eine halbe Umdrehung abzuschließen, sodass die verbündete Maschine hörbar nervöser wurde: „Ähm, wir hatten natürlich unsere Differenzen und so … ach verdammt, ich bin so schlecht in Abschiedsreden …“ Jetzt kam die Mündung der gegnerischen Kanone zum Vorschein. „Ich wollte nur sagen, denk an meine Worte in der Höhle, danke für alles, und, äh, wegen der Sache mit Jan und Moritz …“ Bogatyrs Auge fixierte ihn, das Rot des Infrarotscheinwerfers bereits flackernd und der Finger des Teufels zeigte jeden Moment auf ihn. „Bitte vergib mir.“ Und so entlud der Feind seine Rache feuerspeiend in einem Projektil. Wolf musste sein Gesicht wegen des enormen Funkenflugs verdecken und er zuckte sogar durch den Krach des Einschlags zusammen, doch als er die Nachwirkungen betrachtete, erspähte er hämisch grinsend, wie Bogatyrs Licht endgültig erlosch und das Vehikel den Betrieb einstellte. „Tja, schätze, das Lager gehört uns“, äußerte der Panzerfahrer zufrieden mit einer Hand an der Hüfte, während er sich mit der Anderen eine Träne wegwischte, die er sich nicht erklären konnte, „War doch nicht ganz so hart, oder?“ Dann besah er Ustanak. Wie er korrekt vorhergesagt hatte, traf die Attacke seinen Motor, da zuerst schwarzer Rauch aus der Abdeckung stieg und bald darauf ein Brand entfacht wurde, der die unmittelbare Umgebung erhellte. Wie sich die KI in nächster Zeit fortbewegen wollte, war ihm ein Rätsel. Produktionsanlagen für Ersatzteile hatte Wolf nirgendwo gesehen und ob nach der im Grunde kompletten Vernichtung des Lagers irgendwo noch etwas Brauchbares herumflog, blieb fraglich. „Komm, ein bisschen Freude darfst du schon zeigen, nur keine Zurückhaltung!“ Keine Antwort. „Verarsch' mich nicht, Junge“, sagte er daraufhin verärgert, „Klar muss ein guter Actionfilm immer ein dramatisches Ende haben, aber wir werden für unsere künstlerische Performance nicht bezahlt.“ Stille. Das Treten von Schuhen auf Gras ertönte hinter seinem Rücken, doch er starrte das Wrack unentwegt an. Selbst als die beiden Freundinnen keuchend zu seinen Seiten stoppten und in die äußeren Ränder seines Sichtfelds eindrangen, regte er sich nicht. „O'Donnell!“, sprach ihn Miyu aufgeregt an und Fay erkundigte sich besorgt: „Seid Ihr wohlauf?“ Auch dann blieb Wolfs Reaktion aus. Stattdessen bemühte er sich, das selbstbewusste Lächeln zu bewahren, musste sich aber alsbald geschlagen geben, weil die Mundwinkel zu zittern begannen und erlahmten. Zunächst verstanden sie nicht was mit ihm los war, aber nachdem sie einen kurzen Blick auf Ustanaks brennende Überreste geworfen hatten … „Oh …“, gab Miyu betreten von sich und schaute betroffen zu Boden, „Es …“ „… tut uns leid …“ Fay schloss den Satz leise mitfühlend ab und senkte mit geschlossenen Lidern ihr Haupt. Wolf aber sank auf die Knie, sah den Krieger gemeinsam mit den Kameradinnen an – und spürte die wohltuende Wärme ihrer Hände auf seinen Schultern. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)