Im Schatten des Universums von UAZ-469 (Machtergreifung) ================================================================================ Kapitel 12: ------------ Wie mochte sich der gemeine Zivilist einen General, oder falls es nicht so hochgestochen sein sollte, Kommandanten vorstellen? Ganz bestimmt als einen Herren – Damen waren eher selten in den oberen Ebenen vertreten– in einer hochdekorierten Uniform, üblicherweise vom Alter gezeichnet und mit einer Zigarette im Mund. Hier schien es nur zwei Extreme zu geben: Den legendären Veteran kurz vor der Pensionierung: mit reichhaltigen Erfahrungen und der Gutmütigkeit eines Vaters, der die ihm unterstellten Truppen als seine Schützlinge ansieht und einen von ihnen zu seinem Nachfolger küren möchte; und der häufig jüngere und unerfahrene Ruhmsüchtige, dessen Genie sich regelmäßig mit seinem Wahnsinn abwechselte, der dem ursächlichen Kriegsgrund keinerlei Beachtung zuwies und Experte darin war, Kriegs- und Menschenmaterial in sinnlosen Konflikten zu verheizen. Zudem begann man sich zu wundern, dass er zahlreiche Kämpfe voll katastrophaler Ergebnisse durchstand, ohne auf der Stelle seines Amtes enthoben zu werden und vor allem, wie er bei all dem cholerischen Geschrei niemals heiser wurde. Nun stelle man sich dieselbe Frage noch einmal und stelle sich gleichzeitig das Bild eines bestimmten Kopfgeldjägers vor: Eine einäugige Person erst kürzlich der Volljährigkeit entstiegen, in Alltagskleidung gezwängt und von zwei Kugeln schwer verletzt, um dann auf blutigem Wege widerwillig zur Position des Anführers zu gelangen. Mangelnde Kenntnisse in der Heeresführung rundeten schließlich das Erscheinungsbild ab. Sah so der typische Kommandant aus? Würde man ihm überhaupt die vielfältigen Aufgaben und Lasten einer solchen Position anvertrauen? Oder anders gefragt: Was hatte er, im Gegensatz zu vielen anderen Individuen, was ihn für diesen Posten qualifizierte? Gewiss würde die Mehrheit der Reaktionen auf ihn „Er, ein Kommandant?“ lauten. Würde man diese dem Kopfgeldjäger vorlegen, hätte er ihnen zugestimmt. Im Grunde genommen besaß er keine geeignete Qualifikation, geschweige denn die nötige Motivation. Einzig der Selbsterhaltungstrieb und die Ablehnung seiner Kameraden, die freigewordene Stelle einzunehmen, zwangen ihn zu diesem Schritt, geplagt von der Sorge, ob er dem Titel gerecht werden würde. Wird er seine Truppen mit der gebotenen Nervenstärke führen oder in sie heillosem Chaos zerstreuen? Wird er bereit sein, sein eigenes Leben für das Wohl der anderen aufzugeben oder jede sich eröffnende Möglichkeit nutzen, die eigene Haut zu retten? Wird er sich den Respekt seiner Leute verdienen oder ähnlich dahinscheiden wie der von ihm persönlich ermordete Captain? Wo würde das alles enden? Und trotz all dieser Fragen stellte sich der ehemalige Star Wolf-Anführer und frischgebackene Kommandant eines unkoordinierten Haufens tapfer der schier unmenschlichen Herausforderung … „Santana!“, begann Wolf seinen ersten Befehl mit autoritär erhobener Stimme. „Ja, Sir!“, antwortete die Sturmtruppe, wie es sich für einen loyalen Soldaten gebührte. „Bestandsaufnahme! Ich muss wissen, was wir dem Schrotthaufen entgegenwerfen können!“ „Sofort, Sir!“ Von Wolf unbeachtet machte sich der Mann an den ihm erteilten Auftrag und die nächste Order folgte auf dem Fuße. „Masaru!“ „Damit dass klar ist, O'Donnell“, erwiderte der alte Herr, dem der Kasernenton überhaupt nicht bekam, „So brauchen Sie mit mir gar nicht zu verf...“ „Verdammte Scheiße Masaru!“, rief der junge Kommandant dazwischen und ließ tief in sein Nervenkostüm blicken, „Für diesen Unsinn haben wir jetzt keine Zeit! Entweder tun Sie was ich Ihnen sage oder ich stelle Sie draußen vor den Höhleneingang und teste so Ustanaks Reichweite!“ Einen Moment lang bebte Masaru und blickte Wolf mit zerfurchtem Gesicht an, sodass dieser fürchtete, den alten Mann erschießen zu müssen, falls er sich gegen die Gruppe wendete. Und hätte er ihn umgebracht, wäre ihm der wertvollste Verbündete abhandengekommen und ein Sieg über den Panzer in weite Ferne gerückt. Zum Glück fing sich der Rentner rasch wieder und entgegnete: „Ja ... Sir?“ Das hatte sich Wolf anders vorgestellt, war er es doch in seiner Zeit als Teamleiter gewohnt, keine Feindseligkeiten seitens seiner ihm untergebenen Kameraden zu hören – von eher neckischen Kommentaren und an ihn herangebrachten Vorschlägen, falls er Schnapsideen nachgehen wollte, abgesehen. Hier aber hätte er sich wesentlich mehr Kooperationsbereitschaft gewünscht, doch für den Anfang war das für einen Sturkopf wie Masaru ein guter Fortschritt. Bedachte man, dass Wolf technisch gesehen General Rhino unterstand, was der Söldner nur im Suff zugeben würde, konnte er Masaru keinen Vorwurf machen. In der Hinsicht war der Kopfgeldjäger weiterhin der größte Alptraum jedes Vorgesetzten. „Berichten Sie mir alles über Ustanak, was uns einen Vorteil verschaffen könnte! Stärken, Schwächen, alles!“ „Also er ...“ „Und was ist mit mir?“ Wolf spürte augenblicklich, wie die reine Essenz der Wut durch seine Adern und Venen strömte und er aktiv dem Instinkt widerstehen musste, die Pistole auszupacken und einer Nervensäge ein neues Guckloch zu verpassen. Praktisch seinen Kopf zwingend, zur Seite zu sehen, musste er wieder den grinsenden Jan mit seinen großen, glitzernden Augen ertragen. Das hatte ihm gerade noch gefehlt! Was sollte er mit der geballten Inkompetenz auf zwei Beinen tun? Eine Aufgabe, die ihn beschäftigte, ohne allzuviel kaputtmachen zu können … Ah! „Hier“, sagte er und reichte ihm den Raketenwerfer. Sofort leuchteten Jans Augen auf und er machte einen Luftsprung. Die Begeisterung wurde allerdings umgehend gedämpft, nachdem Wolf anschließend erklärte, Jan solle die Waffe lediglich halten, weil ihm die bandagierte Hand vom zu tragenden Gewicht schmerzte. So hatte er den Kerl gekonnt Schachmatt gesetzt. Hoffte er. „Sorry für die Störung, also was ist nun mit Ustanak?“, lenkte Wolf das Thema zurück, woraufhin Masaru erneut zum Sprechen ausholte. „Zuerst: Er verfügt aus Speicherplatzgründen nur über eine einzige Kamera. Zerstören wir sie, ist er effektiv blind.“ Das klang so einfach, da musste ein Haken dran sein. Besonders das erwähnte Speicherplatzproblem interessierte ihn, machte es doch Hoffnung auf eingeschränkte Kampffertigkeiten der KI. Dazu startete er mit elementaren Fragen zur Kamera, etwa wo sich diese befinden und ob ein gut platzierter Schuss genügen würde. „Ich wusste nicht ob Sie's wussten, aber haben Sie vielleicht den großen Infrarotscheinwerfer rechts neben der Kanone bemerkt?“ Damals hatte Wolf nicht genau auf Details geachtet, doch wenn er sich beim Erinnern anstrengte, glaubte er, einen viereckigen Kasten mit einer herausragenden, runden Glasscheibe gesehen zu haben. Hätte er den Panzer womöglich bereits beim misslungenen Angriff auf das Lager mit einem Scharfschützengewehr gezielt lahmlegen können? Vielleicht, aber Stalos musste ja dazwischenfunken. „Ich meine ja“, gab Wolf nach kurzem Nachdenken zurück, „Wäre es nicht möglich, das Ding mit einem guten Schuss zu zerstören?“ Das darauffolgende Auflachen Masarus verhieß für Wolf nichts Gutes. Konnte es noch schlimmer werden? „Ha ha, guter Schuss ist gut. Dazu brauchen Sie aber ziemlich viele gute Schüsse, denn das Glas ist kugelsicher und selbst wenn Sie die Scheibe durchbrechen, müssen Sie noch den Sensor treffen. Bis dahin hat er schon längst den Großteil der Truppen getötet und uns in dieser gottverdammten Höhle begraben.“ Also konnte Wolf schon mal keinen konzentrierten Infanterieangriff durchführen, ohne erhebliche Verluste zu erleiden. Just als er anfing, andere Möglichkeiten hinzuzuziehen, fügte Masaru hinzu: „Letzteres ist übrigens nicht metaphorisch gemeint, sondern mein purer Ernst. Sollte er auch nur einen Hinterhalt wittern, wird er die Höhle zum Einsturz bringen. Ich hatte Ihnen doch davon erzählt, dass er seinen Namen von einem Krieg in Kroatien hat, in dem er eingesetzt wurde, richtig?“ Die Erinnerung an seinen ersten Tag spukte zwar in Wolfs Kopf herum, die Geschichtsstunden hatte er aber mittlerweile verdrängt. Darum sagte er einfach ja. „Damals wurde er beauftragt, ein verschneites Bergdorf anzugreifen, das von Rebellen besetzt war. Keine große Sache, da es keinerlei strategischen Wert besaß und notfalls ganz simpel mit wenigen Raketenbatterien eingeäschert werden konnte. Aber Ustanak rollte zum ersten Mal ins Feld und wir wollten trotz der vielversprechenden Testergebnisse im Labor keinen waghalsigen Ersteinsatz riskieren, darum sollte es für den Anfang etwas Kleineres sein. Ihm standen Artillerieunterstützung und Rückendeckung durch einen Zug T-80-Panzer, sowie einer Gruppe Infanterie zur Verfügung und Kollateralschäden waren erlaubt, da die Bevölkerung zuvor evakuiert wurde. Zu unserer Überraschung allerdings lehnte er sämtliche Hilfen ab. Soll heißen, er griff faktisch im Alleingang an.“ Sein Zuhörer wünschte sich insgeheim, Masaru möge den Teil weglassen und einfach zum Punkt kommen. Doch solange er nicht dazu überging, seine Familiengeschichte zu erzählen, ließ er ihn in der Erwartung walten, etwas Nützliches zu erfahren, was im Kampf helfen würde. „Nun wissen Sie vielleicht, dass ein Panzer im urbanen Kampfgebiet leichte Beute für gewiefte Soldaten ist.“ Wolf nickte und der alte Mann fuhr fort: „Raten Sie mal, was er gemacht hatte, statt mitten ins Dorf zu stürmen.“ „Keine Ahnung, den Weihnachtsmann gemeuchelt?“, riet der Kommandant ins Blaue, mehr aus Unlust und mit dem Hintergedanken der knappen Zeit als wirkliches Interesse. „Nein“, erwiderte Masaru, ging mit seinem Gesicht ein wenig näher an das von Wolf heran und sprach leise: „Er hat das Dorf begraben. Unter Schneemassen.“ „Eine Lawine?“, schlussfolgerte der Söldner. „Ja. Er feuerte einen einzigen Schuss auf den nahegelegenen Berghang ab und löste eine Lawine aus, die schnell das Dorf erreichte und kein Haus unbedeckt ließ. Und wissen Sie was?“ Er legte eine kurze Pause ein, die immer noch lang genug war, um Wolf damit auf den Senkel zu gehen. „Es gab keine Überlebenden. Wie schnell glauben Sie, hat sich das im Militär und auch unter den Feinden rumgesprochen?“ Dem Kopfgeldjäger reichten diese Ratespielchen. Sie kosteten wertvolle Zeit und einem sinnigen Zweck, außer eben die Zeit zu vertreiben, dienten diese nicht. Das machte er dem Rentner ohne zu zögern klar, indem er sagte: „Schon vergessen, dass uns Ustanak im Nacken hängt? Was wir brauchen sind nützliche Fakten anstatt Geschichtsunterricht. Wenn Sie also nichts zu sagen haben, was unsere Chancen verbessern kann, wäre ich Ihnen sehr verbunden, wenn Sie nicht länger unsere Zeit verschwenden würden, okay?“ Ein tiefes Grummeln kam ihm entgegen, doch diese Einschüchterungsversuche, oder was auch immer Masaru damit bezwecken wollte, tangierten Wolf nicht mehr. Vielmehr herrschte er den Mann an, den Unsinn sein zu lassen und endlich zum Punkt zu kommen. „Schon gut, meine Güte“, brachte Masaru merklich angesäuert hervor und erläuterte weiter: „Wenn wir also eine Chance haben wollen, müssen wir Ustanak dazu bringen, die Höhle zu betreten, ihn dann immobilisieren und sein Auge ausschalten. Erst dann können wir ihn sicher zerstören.“ Das war erstaunlich viel Arbeit für einen einzigen Panzer, der im Vergleich zu einem Landmaster wie ein Relikt längst vergangener Zeiten wirkte und Rhinos Truppen nur insofern gefährlich sein könnte, indem es sie durch akuten Sauerstoffmangel tötete, weil sie sich totlachen würden. Tot war zwar tot, aber effizient war etwas anderes. „Hm, wie wär's mit dem Raketenwerfer?“, fragte Wolf mit einem rückwärts gerichteten Wink, „Könnte er denn nicht den Panzer in seine Einzelteile zerlegen?“ Masaru schüttelte entschieden den Kopf. „Ausgeschlossen. Fahrzeuge unseres Landes sind zugegeben nicht die technisch ausgeklügeltsten Produktionen, aber wenn es um Robustheit geht, sind sie bislang unerreicht. Bedeutet also, dass Sie schon richtig schweres Geschütz auffahren müssen, um einen russischen Panzer dazu zu überreden, endgültig ins Nirwana überzutreten. Eine Rakete dürfte aber für die Zerstörung des Motors reichen, wobei ich mir selbst da nicht sicher bin.“ „Klar, dann steht Ustanak zunächst im Kreuzfeuer“, spann Wolf den Gedanken weiter, „Aber dann schießt er uns über den Haufen. Wenn wir doch bloß zwei Raketen hätten ..!“ Er blickte die Waffe an, die von Jan als Stütze beim Nasenbohren missbraucht wurde und beschloss, sie von einem Sturmtruppler inspizieren zu lassen, bevor er daran rumfummelte und versehentlich einen Sprengkopf abfeuerte. Wolf sah zu den Soldaten rüber. Sie standen fein säuberlich in Reihen, stramm und still, die Gewehre offen getragen. Santana, der am Ende der Höhle bei den Kisten beschäftigt war, hatte also seine Hausaufgaben gemacht und wusste genau, wie man mit ihnen umgehen musste. Das dürfte die Befehlsvergabe enorm erleichtern. Plötzlich jedoch stellten sich ihm dabei sämtliche Nackenhaare auf … Sie starrten zurück. Alle. Ohne Ausnahme. So ruhig wie sie da standen, glichen sie leblosen Statuen – und Statuen, die ihn anstarrten, machten ihn nervös. War es, weil er sie beobachtete? Doch sogar dann, als er seine Aufmerksamkeit auf Santana richtete, ließen sie nicht von ihm ab. Was mochten sie wohl gerade denken? „Sie trauen Ihnen noch nicht ganz“, versuchte Masaru die Situation zu erklären, „Aber das ist den Umständen entsprechend normal. Versuchen Sie, sich Ihre Unsicherheit nicht anmerken zu lassen und konzentrieren Sie sich einfach auf den bevorstehenden Kampf. Wenn die Leute merken, dass Sie wissen was Sie tun, werden sie in der Regel gelassener.“ Das sagte sich so leicht. Vor allem war es nicht er, auf dem die Erwartungen aller lasteten und der auf Schritt und Tritt überwacht wurde. Aber wahrscheinlich war seine vorgeschlagene Vorgehensweise im Moment die Beste. „Sie da!“ Wolf zeigte auf den am nächsten gelegenen Soldaten und winkte ihn zu sich heran. Der zögerte fürs Erste, blickte seine Kameraden an und nachdem sie nicht reagierten, ging er in gedrungener Haltung auf Wolf zu. War es etwa so schlimm, von dem Kopfgeldjäger befehligt zu werden? Bei dieser Motivationslosigkeit sah er allmählich schwarz. „Schauen Sie für uns nach, wie viele Raketen in der Waffe drin sind.“ Der Soldat schaute mehrmals abwechselnd vom Raketenwerfer zu Wolf, ehe er kleinlaut fragte: „Äh, ist das alles?“ Sein Vorgesetzter schlug sich mit der flachen Hand auf die Stirn. War diese „Frage“ ernstgemeint? Hielten sie ihn für geistig beschränkt oder schlicht unfähig? „Tun Sie einfach was ich sage, ist das denn so schwer zu verstehen?“, erwiderte Wolf mit gequälter Stimme, bald am Ende seiner Kräfte. Wenn sie die Schlacht überleben und er im Anschluss das Kommando abgeben würde, wäre er mehr als nur froh darüber. Konnten sich doch Masaru oder Santana mit dem Kindergarten abgeben! „Ähm, klar, sofort!“ Ohne zu murren trat Jan den Raketenwerfer an die Sturmtruppe ab und diese machte sich daran, sie zu öffnen. Sollten tatsächlich zwei Raketen drin sein, sah Wolf persönlich keine Schwierigkeiten darin, Ustanak zu bezwingen. Außer natürlich, der Panzer würde als letzten Racheakt die Selbstzerstörung einleiten und alle mit ins Grab nehmen. „Okay, Chef!“, meldete der Infanterist gehorsam, diesmal etwas motivierter als vorhin, „Nur eine einzige Rakete! Da passen eigentlich zwei rein, aber eine hatten wir beim Kampf am Landungsplatz abgeschossen. Hoffentlich hilft Ihnen das.“ Bei Wolfs Glück musste es ja so sein. Also entweder Motor oder Kamera, beides gleichzeitig wäre zu riskant gewesen. Das störte den Söldner aber nicht sonderlich, fände sich doch in der vorhandenen Ausrüstung garantiert etwas, was er in Verbindung mit seinem Einfallsreichtum anderweitig nutzen könnte. Deshalb ließ er den Werfer fürs Erste beiseite stellen und heckte einen Plan B aus, während er auf Santanas Ergebnisse wartete. „Diese Kampfroboter“, fing er ein Gespräch mit der Sturmtruppe an, „Die Dinger sehen schwer bewaffnet aus, meinen Sie, wir könnten Ustanak damit den Garaus machen?“ „Wäre machbar, ja. Vorausgesetzt, sie schießen und treffen zuerst, dieser Drecksack hat zwei von ihnen besiegt, davon einen mit einem Schuss auf den Kopf gesprengt.“ „Und der andere?“, wollte Wolf wissen. „Hat die Piloten erschossen, bevor sie reagieren konnten. Mehr weiß ich leider nicht. Kann sein, dass sie den intakten AT-ST gekapert haben.“ Diese schnellen Reaktionszeiten der KI stellten den Kopfgeldjäger vor noch größeren Problemen als zuvor. Die Lösung lautete klar ein Ablenkungsmanöver zu initiieren, aber wie? Die Höhle war im Grunde genommen eine Einbahnstraße in eine Sackgasse, da blieb nicht viel Platz für einen erfolgreichen Flankenangriff. Doch was wäre, wenn Ustanak die Kampfläufer nicht sehen kommen würde? „Masaru, können wir denn nicht die Kamera ausknipsen und dann die Roboter den Rest erledigen lassen?“ Wieder schüttelte der Mann den Kopf, was in Wolf das Verlangen steigerte, ihn für die laufend schlechten Nachrichten zu erwürgen. „Theoretisch möglich, allerdings sind seine akustischen Sensoren so gut, dass er weiß, womit er es zu tun bekommt und wohin er schießen muss. Wahrscheinlich wird er sogar ab und an verfehlen, aber es ist zweifelhaft, dass die Piloten unter Dauerbeschuss lange durchhalten. Und mal angenommen, die Maschinen schaffen es, ihn mit Lasern einzudecken: Es ist nicht gesichert, dass sie Ustanak zuverlässig ausschalten können. Wir reden hier schließlich von einer künstlichen Intelligenz, der Panzer würde auch dann weiterkämpfen, wenn er nur noch durch Spucke zusammengehalten werden würde.“ Jetzt hatte Wolf endgültig keine Lust mehr. Alles, was er ausarbeitete, wurde von diesem senilen alten Knilch abgeschmettert, sodass es schien, dass Ustanak mit den gegebenen Mitteln unschlagbar sei. Was sollte er denn sonst noch tun? Zu einer kosmischen Gottheit beten und bitten, er möge das Fahrzeug mit einem Blitz beim Ölwechsel treffen? Ob das eine Idee war, bei der Masaru mal nicht nein sagte? „Okay, Klugscheißer. Wenn sowieso alles, was ich sage, dumm, Müll und überhaupt ist, dann warum schlagen SIE nicht mal was vor? Rumgammeln und nö sagen kann Jan auch, dafür brauche ich Sie nicht.“ Damit hatte er wohl einen wunden Punkt erwischt. Die Gesichtsfarbe seines Gegenübers lief rot an und die ohnehin schon schmalen Augen wurden noch enger und hätte der Kommandant nicht die ganzen Soldaten in der Nähe gehabt, wäre vermutlich ein handfester Streit ausgebrochen. So zogen sie es lieber vor, sich gegenseitig mit ihren tödlichsten Blicken zu verletzen. „Ich gebe Ihnen gleich „Klugscheißer“, Primitivling!“ Wiedermal ein Job für friedfertige Naturen, sich dem anzunehmen? „Wir zerstören die KI, nicht den Panzer selbst.“ Die unkonventionelle und plötzliche Intervention zeigte sofort Wirkung: Beide Streithähne brachen das Gefecht ab und wandten sich hochgezogener Augenbrauen dem Sprecher zu. Es handelte sich um … Jan. „Na sowas, wir haben hier ein verdammtes Genie!“, kommentierte Wolf Jans Einfall, „Und wie bitteschön, sollen wir das bewerkstelligen, ohne dass er uns vorher durchsiebt?“ Der Fuchs hob die Hände, schloss die Augen und schüttelte lächelnd den Kopf, wobei er sagte: „Wolf, Wolf, Wolf … Ich dachte, Sie wären schlau genug für die offensichtlichste Lösung.“ Dieser Versuch, ihn für dumm zu verkaufen, brachte den Söldner so sehr in Rage, dass er knurrend und zähnefletschend auf ihn zuging und vom Soldaten, sowie Masaru davon abgehalten werden musste, ihm ernsthafte Wunden zuzufügen. Davon unbeeindruckt erklärte Jan: „Na, ganz einfach: Jemand feuert eine Rakete auf den Turm und schaltet die Kamera aus. Damit sollte der Panzer für kurze Zeit die Orientierung verlieren, was uns ein kleines Zeitfenster für unseren nächsten Schritt beschert. Darin wirft jemand anderes mit gutem Timing eine Granate Richtung Luke und sprengt diese auf. Danach sprintet ein Dritter mit einer weiteren Granate zum Panzer, steigt drauf und wirft den Sprengkörper ins Innere. Wenn das alles schließlich erledigt ist, kehrt der Dritte dem Ding den Rücken zu, geht von der Explosion weg und zündet sich eine imaginäre Zigarette an, während er so tut, als ob ihn die herumfliegenden Trümmer nicht jucken würden. Man darf dabei auf keinen Fall in die Explosion sehen, da die Sache sonst nur halb so cool aussieht.“ Wortlos starrten ihn die drei Männer mit großen Augen, sofern sie sichtbar waren, an. Nach einer Weile tauschten sie einander Blicke aus, bis Masaru das Wort ergriff: „Aber ich hoffe doch, man entfernt sich vorher vom Panzer, bevor man den Teil mit dem Coolness-Faktor durchführt, oder?“ „Selbstverständlich, was denn sonst? Wir sind ja hier nicht in einem Spiel, in dem man mehrere Leben hat, 'ne?“ Nun fand auch Wolf seine Stimme wieder, der zum Plan meinte: „Das klingt so bescheuert, dass es schon wieder klappen könnte. Ich sage, wir machen's so.“ Der Infanterist nickte, nur Masaru sah mit verschränkten Armen zu Boden – wehe, er lehnte den äußerst logisch klingenden Plan ab! „Das hört sich zugegeben sehr nachvollziehbar und simpel genug an, dass wir Ustanak im Handumdrehen schlagen können. A...“ „Sagen Sie „Aber“ und ich röste Sie!“, unterbrach ihn Wolf lautstark, das Auge gefährlich zuckend und die Hand nah an seiner Blasterpistole. Der Rentner hob schnell beruhigend die Hände und sprach: „Ruhig Blut, lassen Sie mich bitte ausreden: Der Plan ist gut, keine Frage. Wenn jeder seinen Part schnell und zuverlässig erledigt, sollten wir Ustanak überrumpeln können, ehe er weiß, was Sache ist. Eine Sache hat Jan aber nicht bedacht.“ Bevor ihm Wolf erneut reinreden konnte, streckte Masaru seine Arme mit offenen Händen empor und ließ diese Geste für Sekunden einwirken. Danach erläuterte er: „Wir sind in einer Höhle, richtig? In einer Höhle mit nur einem Ausgang und einem leichten Verlauf nach rechts in eine Wand, ohne Deckung, ohne alles. Alle Einheiten im Wald zu verstecken würde zu lange dauern und in der Dunkelheit sind wir anfällig für Überraschungsangriffe. Ganz zu schweigen davon, dass sich Ustanak seine hohe Feuerreichweite durch Infrarot zunutze machen wird. Wenn er nicht den Wald vorher in Brand setzt, wohlgemerkt. Wenn wir uns in dieser Höhle bloß irgendwie vor ihm verbergen könnten, würde Jans Plan locker aufgehen.“ Enttäuscht stampfte Wolf mit einem Fuß auf den Boden. „Scheiße! Gibt es denn nichts, was wir tun können?!“ Den Oberkörper nach vorne gebeugt, den Kopf gesenkt und die Hände hinterm Rücken entfernte er sich von der Gruppe und grübelte nach einem Ausweg. So wie es Masaru dargestellt hatte, schienen die Bäume draußen der einzige Weg zu sein, Jans Hinterhalt vorzubereiten. Am schlimmsten war jedoch, dass es nicht ohne Verluste erfolgen konnte. Ein Sieg über den Panzer brachte nicht viel, sollten dem Söldner am Ende nur eine Handvoll Leute übrigbleiben. Das Banditenlager musste ja schließlich ebenfalls im Handstreich eingenommen werden und er hatte noch nie von jemandem gehört, dem soetwas mit wenigen Männern gelungen wäre. Eventuell lag es daran, dass er sich nicht für historische Dokumentationen interessierte und eine Abneigung gegen Schach hatte. Spätestens jetzt bereute er es, in der Schule beim Geschichtslehrer immer geschlafen zu haben, wenn er wieder seine Lieblingsthemen über Jahrhunderte alte Kriege in den Lehrplan aufnahm. Waren darin nicht sogar Biografien berühmter Kriegsherren enthalten? Plötzlich stolperte er über etwas, konnte den Sturz aber noch rechtzeitig durch eine Rolle abfangen. Ein verärgerter Blick nach hinten offenbarte ihm zertrümmerte Felsen auf dem Boden, die von der Decke gekommen sein mussten. Also schaute Wolf nach oben – und entdeckte ein Loch mittlerer Größe. „Moment Mal … hatte ich das nicht aus Versehen reingeschossen?“ Sein Gedächtnis trog ihn nicht: Als er eine Rede vor versammelten Truppen hielt, feuerte er einmal auf die Decke, um zu demonstrieren, was mit Feiglingen geschehen würde. Aber ein so großes Loch bei einer Blasterpistole? Das brachte ihn auf eine Idee … „Masaru!“, rief er nach ihm und deutete auf die Stelle, „Erklären Sie das!“ Völlig perplex von diesem strengen Ton dachte der Herr offenbar, er solle sich für diesen „Schönheitsfehler“ der Höhle rechtfertigen. Als nach unvollständig gestammelten Worten immer noch kein gerader Satz aus seinem Mund kam, präzisierte Wolf sein Anliegen. „Wie kommt's, dass ein so großes Loch bei einem Blasterschuss entsteht?“ „Aaaaaaaah!“, ging dem Mann ein Lichtlein auf, „Nun, das Gestein ist durch den nahen See und den unterirdischen Fluss ausgehöhlt. Aber waru...“ „Verfickt noch eins, ja!“ Auf einmal streckte er die Fäuste schüttelnd in die Luft, strahlte und begann im Anschluss bizarr zu tanzen. Masaru trat zu seiner Sicherheit ein ganzes Stück weit zurück und sah dem Treiben mit besorgter Miene zu, während er den Kopf zu Jan und dem Soldaten drehte, die nur mit den Schultern zuckten. Die Sturmtruppe ging sogar so weit, den Zeigefinger neben seinem Kopf kreisen zu lassen. So tanzte Wolf seinen Weg zu Jan hin, platzierte sich neben ihm und legte eine Hand auf dessen Schulter. Dabei redete er unterschwellig singend auf ihn ein: „Wir beide sind verschissene Genies, oh yeah! Alles dank dir!“ Dann ging er in einem seitwärtigen Moonwalk von den Dreien in Richtung der restlichen Sturmtruppen. Masaru wartete zunächst bis Wolf außer Hörweite war und fragte Jan: „Stürzt sein Hirn immer so ab, wenn er glaubt, einen genialen Einfall zu haben?“ „Nö, nur wenn er ein Vermögen an Kopfgeld eingestrichen hat und besoffen ist.“ Kurz darauf schob sich von rechts, außerhalb der Personenmengen, ein einzelner Sturmsoldat in ihr Sichtfeld, der durch lautes Keuchen und hängenden Schultern samt Armen auffiel. Santana war endlich mit seinem Auftrag fertig geworden und bereit, sie dem Anführer zu übermitteln, sobald er sich ein wenig erholt hätte. Warten musste er glücklicherweise nicht, denn Wolf kam, fortwährend am Tanzen und von den anderen Imperialen amüsiert beobachtet, auf ihn zu. „Sir, ich ...“, rang sich Santana angestrengt ab, nur um vom Kommandanten unterbrochen zu werden, der fröhlich entgegnete: „Vergessen Sie die Inventur, ich habe eine viel bessere Idee! Machen Sie Ihren Blaster bereit, wir haben Abbauarbeiten zu erledigen!“ Sein Untergebener guckte ihn sprachlos an, bis er mit heiserer Stimme leise „Was?“ fragte. „Keine Widerrede, an die Arbeit! Zack zack!“ Mit diesen Worten begab sich Wolf vor die anderen Einheiten, Santana verdutzt stehenlassend. Langsam drehte er sich nach hinten zu den ganzen Kisten unterschiedlicher Größe, die er allesamt im Schweiße seines Angesichts durchsucht und deren Inhalte fachmännisch gezählt und gewogen hatte, unermüdlich durch die drohende Gefahr. Bebend und immer lauter schnaubend ob der Erkenntnis über die Sinnlosigkeit seiner Mühen, warf er das Gewehr auf den Boden und trat dagegen. „Bantha-Kacke!“ Dreimal klatschend bat Wolf die Umstehenden um Ruhe und Konzentration, da er das nur einmal erklären werde und für den Rest die Zeit fehlte. Zudem fragte er, ob die modern aussehenden Helme über Nachtsichtgeräte verfügten, weil Licht nun absolut tabu wäre. Als die Imperialen bejahten, befahl er die Abschaltung der Scheinwerfer und ging sogleich zu seinem Plan über, nachdem es dunkel wurde. „Dank Jan und Masaru“, fing er an zu erklären und machte einen freundlichen Schwenk zu seinen beiden Kameraden, die ihn jedoch aufgrund der Finsternis nicht richtig sehen konnten, aber trotzdem sein Lächeln erwiderten, „Haben wir nun einen Weg gefunden, den Panzer und somit die tödlichste Waffe der sogenannten Piratenarmee zu erledigen. Da die Höhle unmittelbar neben einem See und über einem unterirdischen Fluss liegt, ist das Gestein porös genug, um durch Blasterbeschuss zerstört zu werden.“ Eine Sturmtruppe testete dies daraufhin aus, indem sie an die Decke schoss und postwendend von größeren Brocken umgeworfen wurde. Der Söldner allerdings befahl beim auftretenden Gelächter sofortiges Silentium und fuhr fort: „Wie ihr seht, können wir damit die Höhle einfach erweitern, ohne auf schweres Gerät zurückgreifen zu müssen. Unsere Taktik sieht vor, dass mithilfe der Blaster mehrere miteinander verbundene Stollen gegraben werden, vorzugsweise zwei Mann breit und jeweils 20 Meter lang. So wird unsere Mobilität lediglich geringfügig eingeschränkt, während wir uns hinter den Felswänden ungesehen aufhalten können.“ Einige wollten auf der Stelle loslegen und legten ihre Waffen zum Feuern an, aber der Söldner stoppte sie mit erhobener Hand und einem langgezogenen „Moment!“ „Ich bin noch nicht fertig. So, natürlich werden wir den Angriff nicht aussitzen, sondern die Stollen für einen Hinterhalt nutzen. Was wir brauchen, sind jeweils ein kompetenter Raketenschütze und ein Grenadier. Mit dem Raketenwerfer werden wir dem Panzer sein Augenlicht nehmen und mit einer Granate die Turmluke aufsprengen. Und zum Schluss wird jemand mit einer anderen Granate ins Innere des Fahrzeugs eindringen und sie dort zünden.“ Eine Sturmtruppe hob die Hand. „Ja?“ „Was ist, wenn wir auf Infanterieunterstützung stoßen?“ Wolf schmunzelte und antwortete überzeugt: „Und? Ihr seid dutzende hochtrainierte Elite-Soldaten, dieses Bauernpack macht sich doch aus Angst vor euch in die Hose.“ Kopfnickend akzeptierte der Soldat die Aussage und der Kommandant redete weiter: „Bestimmen wir nun die einzelnen Rollen für den Angriff. Ist hier jemand geübt mit Granaten?“ „Hier.“ Wolf sah zu seiner Rechten Santana, lässig eine Granate hochwerfend. Allein das war Beweis genug für den Söldner, den Richtigen getroffen zu haben. Denn welcher Normaldenkende würde damit rumspielen wie mit einem simplen Ball? „Einverstanden, Sie übernehmen den Part des Lukensprengers. Nun zum Raketenschützen, wer erkl...“ „Ich, ich, ich!“, rief Jan aufgeregt rein und leicht hopsend, wie ein ungeduldiges Kind. „...ärt sich bereit für den Job?“, ließ sich Wolf nichts anmerken und wartete ab, wer wirklich dafür in Frage käme. Jan war für ihn selbstverständlich die absolut letzte Wahl und er würde ihm gegenüber einen dressierten Affen tausendmal lieber vorziehen. Diesmal gab es keinen Spielraum für Fehler und der Kerl zog das Unglück magisch an. Was er benötigte, war ein versierter Schütze mit reichlich Erfahrung. Und zu seinem Unglück meldete sich niemand. „Keiner?“, fragte er in die Runde, zunehmend entsetzter über die Vorstellung, die Rolle ausgerechnet an Jan zu vergeben, bis Santana einschritt. „Sir, niemand von uns ist geschult im Umgang mit Panzerabwehrwaffen. Die zuständigen Spezialisten, unsere Schocktruppen, sind tragischerweise alle beim Massaker ums Leben gekommen. Der Raketenwerfer da ist das Einzige, was wir von ihnen retten konnten. Wir können es versuchen, aber erwarten Sie keine perfekten Leistungen, vor allem nicht beim Präzisionsschießen auf kleine Ziele, was gerade nötig ist. Dennoch möchte ich Ihnen anraten, jemand anderen zu finden, wenn möglich.“ Selber fiel Wolf raus, da er keinerlei Kenntnisse im Umgang mit ihnen besaß und seine verletzte Schusshand längeres Tragen, sowie eine effektive Haltung durch den dicken Verband verhinderten. Mit Sorgenfalten wandte er sich schließlich an Masaru, der bei Blickkontakt die Wand anguckte. Irgendetwas hatte es doch zu bedeuten? „Damit bleibe wohl nur ich übrig, hehe!“, sagte Jan und grinste ihn an. Im Kopfgeldjäger machte sich Stück für Stück Panik breit. „Wirklich niemand? Keiner, der es mal versuchen will?“, erhoffte er sich verzweifelt eine positive Reaktion, doch als die ausblieb, beschloss er in einem rettenden Akt, den Punkt zu überspringen und die Besprechung fortzusetzen. Vielleicht ergäbe sich im Laufe des Briefings eine Alternative? „Gut, verschieben wir das auf später!“ Traurig ließ Jan seinen Kopf hängen und steckte die Pfoten in die Jackentaschen. „Och Menno, nie darf ich die lustigen Sachen machen …“ „Den Panzer …“ Zahlreiche Arme schossen in die Höhe. „… werde ich ausschalten.“ So schnell wie die Meldungen kamen, verschwanden sie auch wieder inmitten durcheinander gerufenen Buh-Rufen. „Ich verstehe ja, dass Ustanak eure Kameraden auf dem Gewissen hat und ihr euch dafür an ihm rächen wollt. Aber ich muss ja auch etwas tun und deswegen schlage ich vor, dass ihr dafür die Hölle auf das Banditenlager niederregnen lassen dürft, in Ordnung?“ Der Aufruhr verstummte darauf, doch vereinzeltes Murren war dennoch zu hören. Damit musste wohl jeder Kommandeur in seiner Karriere klarkommen. Um die Missionsbesprechung würdig zu beenden und die Moral der Truppen zu stärken, entschied er sich am Schluss für ein Versprechen, das ihm zwar auf sonderbarer Weise fremd war, jedoch für jeden Soldaten wie Musik in den Ohren klang: „Bevor jeder an seine Arbeit geht, möchte ich betonen, dass niemand unter meiner Aufsicht sein Leben lassen wird. Niemand von euch ist entbehrlich, jeder von euch ist essenziell für das Überleben der Gruppe. Und so, wie ich gewillt bin, eure Sicherheit zu gewährleisten, erwarte ich auch im Umkehrschluss, dass ihr das Kriegsbeil untereinander für diesen Kampf begrabt und Unterstützung leistet, wo auch immer es möglich ist. Sollte nur einer von uns, sogar ich, auf Eigenbrötlerei zurückfallen, drohen wir alle zu scheitern. Wollt ihr das?“ Kollektives Köpfeschütteln, bei dieser rhetorischen Frage kein Wunder. Nichtsdestotrotz fühlte sich Wolf für einen Moment wie ein charismatischer Anführer, dessen Truppen ihm bis in die Hölle folgen würden. „Natürlich wollt ihr das nicht! Und darum lasst uns nun den Piraten zeigen, aus welchem Holz wir geschnitzt sind! Heute Nacht … ertränken wir die Piraten in ihrem eigenem Blut!“ Ein Jubelorchester mit erhobenen Waffen stürmte seine Ohren, Schmerzen für Gehör und Haupt im Schlepptau. Aber das Gefühl, ein erhabener Anführer zu sein, geliebt von seinen Untergebenen … Herrlich. Während die Imperialen an die Arbeit gingen und die Stollen Gestalt annahmen, fiel ihm auf, dass weder nach einem Plan B gefragt wurde, noch das Problem mit dem Raketenwerfer gelöst war. Ersteres interpretierte er für sein Ego als Vertrauensbeweis, das Andere jedoch musste dringend angegangen werden. Just als er überlegte, wer dafür noch geeignet wäre, erblickte er Jan, wie er mit verschränkten Armen an einer Wand lehnte, still den Boden anstarrend und die Mimik frei von jeglichen Emotionen. Ihn so zu sehen, drückte ihm seltsam schwer auf den Magen. Ob Wolfs Verhalten für ihn starker Tobak war? „Ach was, der versteht die Wichtigkeit dieser Aufgabe schon“, rechtfertigte er seine Entscheidung, „Er wird eingesehen haben, dass …“ Etwas rappelte plötzlich in den staubigen Ecken seines Gehirns, drängte sich hervor, einem Virus gleich. Er wusste nicht was es war, doch je intensiver er versuchte, es zu verdrängen, desto stärker kam es heraus. Ein Gedanke, so abwegig, Wolf wunderte sich, ob er es selber dachte oder ihm von außen eingegeben wurde. Es schien, als hätte jemand einen Gedanken eingepflanzt, der nur auf den richtigen Moment wartete, zu sprießen und Früchte zu tragen. Oder ein Parasit, wie er es beschreiben würde. „Ich glaube, ich sollte Jan eine Chance geben.“ Was hatte er da gerade gedacht? Unmöglich! Die Holzbirne würde sie doch alle in Gefahr bringen! Was würde Moritz ..? „Nein. Was würde Ustanak sagen?“ Wie fremdgesteuert bewegte er sich auf Jan zu, den ein Stück weiter abgelegten Raketenwerfer ignorierend. „Hey, du.“ Jan regte sich nicht. Kein Zucken, kein Seufzen, nichts. „Ich habe mir gedacht, dass …“ Flüchtig musterten ihn die grünen Pupillen des Fuchses, bevor sie sich erneut dem Boden widmeten. „… du doch den Job des Raketenschützen übernehmen solltest.“ „Nee, ist schon okay so, was kann ich schon?“, erwiderte Jan nun schwach, die Augen weiterhin vom Söldner abgewendet. Die deutliche Ablehnung musste ihm übel zugesetzt haben. „Nein, wirklich, du bist der Einzige, der es kann. Schau mich mal an!“ Noch einmal musterte Jan ihn, dieses Mal dauerhaft. „Ich kann das Ding nicht anständig tragen und geschossen habe ich mit sowas auch noch nie. Die Soldaten da haben auch keinen Peil und Masaru, keine Ahnung warum er nicht will! Verstehst du? Du bist unsere einzige Hoffnung, ohne dich schaffen wir es nicht! Und selbst wenn du einen Fehler machst, das machen die anderen auch! Santana kann eine Granate meilenweit daneben pfeffern, dann ist es eben er, der uns beinahe um die Ecke bringt, obwohl du alles richtig gemacht hast.“ Hochgezogene Mundwinkel zeichneten sich auf Jans Lippen ab, sodass Wolf zum letzten Teil ansetzte: „Außerdem hast du uns schließlich die Lösung für Ustanaks Niederlage geliefert, während Masaru und ich damit beschäftigt waren, uns gegenseitig zu zerfleischen. Meinst du, das ist keine große Sache? Natürlich ist es das, sonst würden wir immer noch herumirren und uns hanebüchene Ideen einfallen lassen. Masaru!“ Der alte Mann musste nicht zusätzlich fragen, sondern kam direkt mit dem Werfer zu ihnen und händigte ihn nach dessen Aufforderung an Wolf aus. „Hiermit gebührt dir die Ehre, den ersten Schlag zu landen. Ich weiß, du schaffst es.“ Jan guckte die Waffe nur an und der Kopfgeldjäger fügte streng hinzu: „Das ist ein Befehl.“ „Ha ha, na schön, Sir“, antwortete Jan ihm heiter und nahm den Raketenwerfer entgegen, begleitet von Wolfs Schulterklopfen, „Ich werde Sie nicht enttäuschen.“ Obwohl dem Anführer im Nachhinein schlecht wurde, hatte er das Gefühl, das Richtige getan zu haben. Nicht nur das; merkwürdig sorglos, nahezu glücklich ging er, unter Masarus heftigen Protesten, an das nächste greifbare Komlink und schaltete den Funk an. Wen er da anzurufen versuchte, verschaffte dem Rentner umgehend eine blasse Haut und zu Berge stehende Haare: „Ustanak, bist du da?“ Wolf hörte auf Hochtouren laufende Motoren im Hintergrund, also blieb ihnen noch Zeit. Wie weit es von der Höhle bis ins Lager sein mochte? „Ja, ich höre dich“, ertönte die schaudererregende metallische Stimme der KI, „Mich kannst du leider nicht mehr von einem Angriff abhalten, aber wenn du mit mir noch etwas vor deinem Tod bereden oder beichten möchtest, habe ich immer ein offenes Ohr. Ich kann dir garantieren, dass ich nichts weitersagen werde.“ Vom freundlichen Empfang zuerst irritiert, dann beruhigt, sagte der Söldner: „Es ist nichts wirklich Wichtiges, aber erlaube mir, dir dennoch eines zu sagen, was mir aus mir unbekannten Gründen auf der Seele brennt.“ „Gerne, O'Donnell. Was hast du auf dem Herzen?“ Er holte tief Luft und sprach ein einziges Wort: „Danke.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)