Im Schatten des Universums von UAZ-469 (Machtergreifung) ================================================================================ Kapitel 11: ------------ Sommerschlussverkauf. Genau dieser Gedanke drängte sich dem geneigten Zuschauer beim Anblick der sich prügelnden Meute und des umherfliegenden Plastiks auf. Oder als wäre es früh am Morgen und das neueste Multifunktionshandy stünde in den Regalen bereit. Mit dem einzigen Unterschied, dass es keine Sonderangebote oder Handys zum Abgreifen gab. Inmitten der weiß-schwarzen Masse aus Sturmtruppen befand sich nur eine einzige Person, die nicht auf Krawall aus war und doch regelmäßig von äußerst präzisen Fäusten getroffen wurde. Wenn man sie denn überhaupt ausmachen konnte, denn sie sah so aus, wie jeder andere der Gruppe. Santanas Plan sah es eigentlich vor, die einzelnen Konfliktherde zu schlichten, soweit es ihm möglich war, damit er eine schlagkräftige Streitmacht zur Verteidigung aufstellen konnte. Das hatte er zumindest Masaru gesagt. Und hätte er das nicht zuvor getan, hätte der alte Mann gedacht, Santana besäße eine ausgeprägte masochistische Ader. Mutig stürzte sich der Soldat in jeden Streit, wurde niedergeprügelt, wehrte sich nicht und ging anschließend zum Nächsten. Falls er überhaupt versuchte, die Kontrahenten zu beruhigen, ging es völlig in der Schlägerei unter. Wäre die Lage nicht so ernst gewesen, hätte Masaru gelacht. Spätestens als jemand Gebrauch von der Waffe machte, kämpfte er sich aus der Menge und kehrte zum Rentner zurück, eine verbeulte Rüstung als „Ergebnis“ seiner Bemühungen. „Und?“, fragte Masaru spöttisch, „Irgendetwas erreicht?“ „Sehen Sie doch“, erwiderte Santana angesäuert, „Die Dellen haben sogar die perfekte Form für Eier. Möchten Sie es vielleicht auch mal probieren oder können Sie nur dumme Sprüche klopfen?“ Sein Gegenüber schmunzelte und entgegnete: „Beim besten Willen, aber das sollen Soldaten des Imperiums sein? Sehen mir eher aus wie Fußballhooligans mit geklauten Uniformen.“ Die Sturmtruppe schüttelte den Kopf und sah zu Boden. „Sind es ja auch, aber sie stammen aus dem äußeren Rand. Dort ist die Herrschaft des Imperators nicht so gefestigt wie im galaktischen Kern. Korruption und schlechte Versorgung sind dort leider ein großes Problem. Das Ergebnis sehen Sie hier.“ Einige Augenblicke lang sahen beide dem Chaos zu – die Intensität der Kämpfe nahm nicht im Geringsten ab, im Gegenteil. Würde dem niemand ein Ende setzen, gäbe es bald die ersten Toten. „Wie gedenken Sie, den Handgreiflichkeiten Einhalt zu gebieten?“, fragte Masaru. „Sie brauchen einen starken Anführer, das ist alles. Auf sich allein gestellt, sind sie zu nichts zu gebrauchen und würden den Tag am liebsten mit Alkohol und Schlägereien verbringen. Gelingt es jedoch jemanden, den Haufen zusammenzuschweißen, sind sie nicht minder effektiv als ihre Kollegen aus dem Kern. Tatsächlich gab es vereinzelte Kommandanten, die mit ihnen überraschende Erfolge erzielen konnten, was andere nie für möglich gehalten hätten. Aber wie gesagt, es braucht eine Autoritätsperson, die weiß, wie sie mit den Männern umgehen muss. Wenn nicht bald ein Wunder geschieht ...“ Kurz drehte sich Masaru um, um zu sehen, was Wolf und Jan in der Zwischenzeit machten. Beide waren während des Treibens ungewöhnlich ruhig – ZU ruhig für das, was er von ihnen gewöhnt war. Mit freundlichem Gesicht sagte Jan etwas zu dem am Boden sitzenden Söldner, was Masaru durch die gegenwärtige Geräuschkulisse nicht hören konnte. Doch die hängenden Mundwinkel, der zuckende Kopf und die feuchten Augen Wolfs genügten ihm. So kannte er ihn gar nicht … Und dann geschah das Unfassbare: Jan bleckte die Zähne und schlug Wolf ins Gesicht. „Alter Mann“, wollte Santana Masaru wieder ansprechen, jedoch war der Rentner zu sehr von der Begebenheit vor seinen Augen fasziniert, um zu antworten. Deswegen riss er an seinem Arm; er durfte keine Zeit verlieren. Es war zu wichtig. „Masaru, Sie scheinen etwas über den Panzer zu wissen! Sagen Sie mir alles, was uns im Kampf gegen ihm helfen könnte!“ Masaru allerdings seufzte und sagte: „Ich kann Ihnen so viel erzählen wie Sie wollen, mit ungeordneten Truppen und unzureichender Ausrüstung können wir ihn nicht schlagen. Ich nehme an, das erwähnte Massaker am Landeplatz spricht Bände.“ Santana ließ diese Antwort nicht gelten und wurde immer wütender: „Also wollen Sie sich kampflos abschlachten lassen?! Im Gegensatz zu Ihrem faulen Arsch versuche ich notgedrungen eine Verteidigung zu organisieren!“ Danach packte er ihn am Kragen, doch Masaru blickte ihm nur gefasst in die Augen. „Und ich sage Ihnen, wenn Sie weiterhin nur lamentieren und nutzlos herumstehen wollen, nutze ich Sie als Sands... ahk!“ Damit hatte er eine Grenze Masarus überschritten. Ohne Vorwarnung schlug der Mann die Arme weg und stieß seine Flache Hand in Santanas Halsbereich. Zwar sank dieser auf die Knie und rang nach Luft, aber es dauerte nur wenige Momente und schon warf er sich wieder auf ihn. Es entstand ein Gerangel, welches den restlichen Prügeleien nicht unähnlich war. Somit waren alle in der Höhle endgültig in Aufruhr. Wenn sogar die letzten beiden verbliebenen kühlen Köpfe gegeneinander kämpften statt eine Lösung auszuarbeiten, wer konnte die Katastrophe noch abwenden? Wäre Wolf nicht mit sich selber beschäftigt gewesen, hätte er nach Moritz gerufen. Doch Jener fristete ein unwürdiges Dasein als Trophäe. Und Jan … Nun, er war sicherlich nicht umsonst in der Strafkompanie. War alles verloren? Was würde Ustanak sagen, wenn er sie sehen könnte? Masaru wehrte mühelos jede Attacke Santanas ab, ohne selber in die Offensive zu gehen. Der Soldat musste wahrlich verzweifelt und wütend sein, um ihn derart anzugreifen. Von Ermüdungserscheinungen keine Spur. Er wusste es eigentlich besser, aber er war nicht gewillt, sich zusammenschlagen zu lassen und gegen den Feind wurde jeder einzelne Mann gebraucht. Und solange der Soldat nicht zur Besinnung kam, hatte es für ihn keinen Zweck, nachzugeben. Plötzlich hallte ein garstiger Schrei durch die Höhle. Sofort beendeten Masaru und Santana ihren Kampf und sahen zur Seite, wo Wolf auf einem Soldaten ohne Helm hockte, ihn mit einer Pistole bedrohte und die Augen zerquetschte. Der Söldner hatte sich erstaunlich schnell aus dem Sumpf des Selbstmitleids gezogen und ging aufs Neue dazu über, eine Dummheit zu begehen. Doch seit wann hatte Wolf ein rotes Fell? War es überhaupt Wolf? Schnell den Kopf zur anderen Seite gewendet, sahen sie den Jäger ruhig am Boden liegen, alle Viere von sich gestreckt. Wo war Jan? Erst jetzt dämmerte ihnen, wer da die Sturmtruppe malträtierte. Er, der ansonsten immer über seine Behandlung klagte, wie sehr ihn doch alle hassen würden und dass er noch keinen Bausparvertrag abgeschlossen hatte. „JAN!“, brüllte Santana, „Bist du noch von Sinnen?!“ Sie rannten auf ihn zu, jedoch feuerte er einmal mit der Pistole an die Decke und beide blieben vor Schreck stehen. Dann rief er, ohne sie anzusehen und um die Schreie zu übertönen: „Ihr haltet euch jetzt gefälligst da raus! Wenn sich alle lieber gegenseitig bekämpfen anstatt geschlossen dem Gegner gegenüberzutreten, dann liegt es wohl an mir, dafür zu sorgen, dass wir alle wieder die Sonne erblicken können!“ Direkt danach steckte er seine Hand in den Mund seines Opfers, rüttelte an etwas und zog die Hand schließlich wieder heraus, begleitet von Blutspritzern und einem noch lauterem Schrei des Sturmtrupplers. Dessen Leiden beendete Jan, indem er ihm die Pistole in die Mundhöhle rammte und abdrückte. Masaru wusste sofort, was Jan in der Hand hatte und wendete angewidert den Blick ab, nur Santana blieb standhaft und schaute zu. Trotz der unnötigen Grausamkeit, mit der Jan vorgegangen war, zeigte seine Tat Wirkung: Ausnahmslos alle Sturmtruppen hielten inne und sahen zu, was passierte. Hätten sie ihre Helme nicht aufgehabt, stünden ihnen wahrscheinlich Entsetzen und Ekel ins Gesicht geschrieben. Das fleischige Ding, von dem noch Speichel und Blut tropften, ließ Jan schließlich mit einem kräftigen Händedruck in kleine Brocken zerplatzen. Von jemandem, der sich bislang eher als Jammerlappen und Schwächling präsentierte, hätte Santana dies nicht mal in seinen kühnsten Träumen erwartet. Ehrlich gesagt, wagte er es nicht, sich auszumalen, zu was Jan noch fähig war. Wie – ausgewechselt. „Guckt mich nicht so an!“, warf der Fuchs der stillen Menge entgegen, „Es ist allein euer Verdienst, dass ich so handeln musste! Ihr wisst genau, was auf dem Spiel steht und was tut ihr? Streiten!“ Jan deutete als nächstes zu Santana. „Santana hat es auf dem friedlichen Weg versucht und ist gescheitert! Wenn Gespräche also nicht fruchten, weil ihr es vorzieht, euch wie pubertierende Teenies zu prügeln, sind offensichtlich drastischere Maßnahmen notwendig, um euch zum Zuhören zu bewegen!“ Nun richtete er ihr Augenmerk, diesmal mit der blutigen Pfote, zurück auf die Leiche. „Und wie bringt man Teenies am besten zum Zuhören?“ Die Soldaten starrten einander kurz an. Dann trat einer von ihnen hervor, legte sein Blastergewehr an, zielte auf Jan und sagte: „Ja, du hast einen von uns umgelegt. Aber das wird nichts daran ändern, dass wir in dieser beschissenen Höhle festsitzen, unser Captain von diesem Teppich getötet wurde und wir dem Feind in jeder Hinsicht unterlegen sind. Warum also noch kämpfen, wenn wir sowieso sinnlos sterben werden?“ Jetzt wurde Jan energischer und erhöhte die Lautstärke deutlich. „Was genau hatte Stalos, was andere Befehlshaber nicht haben, damit ihr funktioniert? Nudelhölzer? Seht den Toten dort am Eingang der Höhle an! Ist das seine Art, wie er sich Gehorsam verschafft? Ein paranoides Wrack, gepaart mit Inkompetenz! Ist das euer Ideal?!“ Die Sturmtruppe antwortete nicht. Sie schien zu überlegen, was sie dazu erwidern konnte und brachte nach einer Weile schließlich folgende Begründung heraus: „Er hatte eine starke Führung, eine klare Linie. Kein Wischiwaschi, wie ihn oftmals unerfahrene Offiziere praktizieren. Jemand, der dich immer dazu anspornt, Höchstleistungen zu erbringen und den Imperator mit Stolz zu erfüllen.“ „Ah ja. Und was genau bringt euch nun dazu, euch gegenseitig die Köpfe einzuschlagen? Ich sag' ja, wie pubertäre Teenies! Nein, schlimmer! Wie Kinder, die ohne Mutti nicht mal mehr eine Dose öffnen können!“ Darauf fand der Soldat keine sinnvolle Antwort mehr. Stattdessen nahm er an den Beleidigungen Anstoß und brüllte: „Ach ja?! Für wen hältst du dich eigentlich?! Wenn nicht Stalos, wer dann?! Du?!“ Auf einmal traf ihn etwas am Kopf und er fiel mit einem „Au!“ um. „Ich!“ Alle Blicke hefteten sich schlagartig auf denjenigen, der mit strenger Miene an Masaru und Santana vorbeischritt. Soeben hatte er doch im Dreck gelegen und geweint? Lediglich Jan zeigte ein selbstsicheres Grinsen und machte den Weg frei. „Schnauze, Plastikjunge! Jan hat recht, wir haben keine Zeit für interne Machtkämpfe, wenn wir den nächsten Tag noch erleben wollen!“ Im Anschluss daran wendete er sich an Jan selber und flüsterte: „Alleine schreien hätte es auch getan.“ Darauf erwiderte dieser schlicht: „Sie wissen, dass man nur unter Qualen so brüllen kann, damit man ganz sicher erhört wird.“ Wolf war von seinen Worten ebenso beeindruckt, wie beunruhigt. So etwas sagte nur jemand, der bereits Erfahrungen damit hatte, andere zu quälen. Doch um nicht allzu viel Zeit zu vergeuden, stimmte er ihm zu und drehte sich zu der seltsam stillen Menge um. Zunächst musterte er alle ruhig, als würde er nur darauf warten, von einem von ihnen attackiert zu werden. Dann räusperte sich Wolf und erhob seine Stimme: „Ihr wisst alle, dass ich es war, der euren Captain Stalos ermordet hat und ich verstehe, dass ihr mich dafür hasst.“ Einen Moment lang wartete er auf eine negative Reaktion, und als diese ausblieb, fuhr er erleichtert fort: „Doch geht mal in euch und fragt euch: Was hatte er bisher auf dieser Welt geleistet? Jan hat es bereits gesagt und ich sage es erneut: Nichts!“ Ein Raunen ging durch die versammelten Truppen und Jan fing an zu schwitzen, aber Wolf blieb standhaft. Weiter sagte er: „Ich weiß nicht, was er vorher erreicht hatte und ob er insgeheim sogar ein höchst kompetenter Kommandant war. Aber die Vergangenheit bedeutet nichts, wenn er im Jetzt Schwäche zeigt und gefährliche Fehler begeht. Es ist egal, ob er früher in einem furiosen Eroberungsfeldzug Planet um Planet erobert und seinem Imperator Ruhm und Ehre erwiesen hatte. Spätestens eure demütigende Niederlage am Landungsplatz überschattet jegliche Erfolge von damals. Sie sind jetzt völlig bedeutungslos.“ Einer der Männer hob eine Hand zum Widerspruch, jedoch ließ Wolf ihn nicht zu Wort kommen. „Während man den Rückzug noch verstehen konnte – er befand sich schließlich in unbekanntem Terrain gegen einen übermächtigen Gegner ...“ Die Sturmtruppe nahm die Hand langsam wieder herunter. „... verspielte er sich jegliche Glaubwürdigkeit hier in dieser Höhle. Nicht nur ließ er Fremde die Drecksarbeit machen und gefährdete euch damit, er tötete euren Kameraden im Streit und versuchte die mittlerweile altbekannte „Toter Mann“-Taktik, in der vergeblichen Hoffnung, den Feind in die Irre führen zu können. Ihr habt ja selber gemerkt, wie einfach es war, sich vom Gegenteil zu überzeugen.“ Einige Soldaten redeten danach leise miteinander. Hatte Wolf es geschafft, Zweifel an Stalos zu säen? „Beim Imperator.“ Santana hatte sich unauffällig mit verschränkten Armen zu ihm gesellt und flüsterte: „Ich fasse es nicht, aber ich glaube, Sie könnten es tatsächlich schaffen, die Chaotentruppe zu vereinen. Aber noch sind sie nicht ganz überzeugt, machen Sie also noch weiter Druck und wir sollten in Windeseile eine formidable Streitmacht haben.“ Diesen Rat beherzigte Wolf nur zu gern: „In seiner dadurch genährten Paranoia hörte er Masaru, der an der Entwicklung des Panzers beteiligt war und somit lebensnotwendige Hinweise liefern kann, nicht einmal zu, sondern ging prompt dazu über, uns hinzurichten. Glaubt ihr, ein wahrer Kommandant würde so schnell die Nerven verlieren und den Wahnsinn überhand nehmen lassen? Fühlt ihr euch wohl dabei, Befehle von jemandem auszuführen, der nicht mehr bei klarem Verstand ist?“ Zum Abschluss, um jegliche Widerstände endgültig zu brechen, rief er in einem vorwurfsvollen Ton: „Würdet ihr so jemandem, wie Stalos, bereitwillig in den Tod folgen?!“ Nochmals sahen sich die Männer einander an und schließlich, nach wenigen Sekunden, die entsetzlich lang waren und über Alles oder Nichts entschieden, schüttelten sie nach und nach die Köpfe. Santana schmunzelte. Somit war der schwierigste Teil, nämlich die Einheiten von ihrem ehemaligen Vorgesetzten abzubringen, bewältigt. Jetzt folgte der nächste, nicht unbedingt leichtere Part: Einen neuen Anführer bestimmen, den ausnahmslos alle akzeptierten - Und der wollte er nicht sein. „Darum benötigen wir einen kühlen Kopf, der unsere Verteidigung gegen die Piraten organisiert und sie in die Flucht schlägt. Vorzugsweise einen altgedienten Veteranen. Wer von euch meldet sich freiwillig?“ Stille. Das ging schon mal in die Hose, zwar nicht verwunderlich, doch nichtsdestotrotz enttäuschend. Darum suchte er die Lösung bei seinen eigenen Kollegen, zuallererst bei Masaru. Der allerdings hielt die Hände schützend vor sich und sagte: „Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen, doch fürchte ich, nicht als Befehlshaber dienen zu können. Ich bin zwar in militärischen Grundlagen ausgebildet, doch verfüge ich über keinerlei Führungsqualitäten. Das letzte Mal, als ich ein Team aus Wissenschaftlern leitete, endete in einem fürchterlichen Desaster.“ Gut, Masaru war eventuell zu hoch gegriffen. Zum Glück war noch Santana da, das würde bestimmt klappen. Als dieser ihm sogar zunickte, war Wolf voller Euphorie und wollte schon ihren neuen Anführer verkünden ... bis Santana seine Hand auf dessen Schulter legte. „Nein, O'Donnell.“, sprach er ruhig. Mit aufgerissenen Augen starrte Wolf den Mann an. „Was soll das heißen, „Nein“?“ „Ich werde das Kommando nicht übernehmen.“ Der Söldner spürte auf einmal eine Last, die rasend schnell an Gewicht zunahm und ihn beinahe zu erdrücken drohte. So kam es, er mochte es kaum glauben, dass er in den Zustand geriet, den er zuweilen am meisten fürchtete: Panik. „W-Was? WAS?! I-Ich werde die Truppen nicht anführen, niemals nicht!“ Santana entgegnete nur eines; ein einziges Wort und doch mit einer gewaltigen Wirkung: „Warum?“ Wolf wusste die Antwort darauf seit langer Zeit. Genauso wusste er, dass er sich die Kugel geben könnte, wenn die anderen erfuhren, was Sache war. In einem kläglichen Versuch, der Frage auszuweichen, stammelte er: „I-Ich … bin nicht bereit dazu. Ich hatte selber mal ein Söldner-Team unter meinen Fittichen gehabt, bestehend aus vier Leuten, inklusive mir. Aber das waren nur drei, ganz im Gegensatz zu den dutzenden Soldaten hier, die ich zudem nicht mal kenne.“ Zu seinem Schrecken schwiegen sie und ließen ihre Blicke auf ihm ruhen. Niemand mit klarem Verstand würde Wolf die Antwort abkaufen, so viel war sicher. „O'Donnell“, begann Santana aufs Neue zu sprechen, „Niemand ist perfekt, jeder macht Fehler. Es ist der natürliche Lauf des Lebens, dass Personen sterben. Die einen früher, die anderen später. Absolut jeder Kommandant hat Verluste zu beklagen, Sie sind dabei nicht die Ausnahme.“ Sofort fühlte sich der Jäger zurück an den Tag versetzt, an dem er sein gesamtes Team verloren hatte. Und wieder fragte er sich, wieso ihn ihre Tode damals nicht zu kümmern schienen. Warum betraf es ihn plötzlich so sehr? „Und darum müssen Sie lernen, dass Sie nicht jeden Untergebenen gesund und munter nach Hause bringen können und es nicht zwangsläufig Ihre Schuld ist, wenn sie umkommen.“ „Aber … aber ...“, versuchte Wolf noch ein Gegenargument stotternd anzubringen, „Mein Team ... ist tot.“ „Jetzt seien Sie gefälligst ein Mann!“ Der Söldner wandte sich um und sah Jan mit demselben Gesicht, mit dem er ihm einen Faustschlag verpasst hatte. „In meinem Soldatenleben habe ich schon viele Kameraden sterben sehen. Manche waren nicht mehr als flüchtige Bekanntschaften, andere dagegen richtige Freunde. Klar habe ich anfangs getrauert, doch es kommt vor. Deswegen dürfen Sie es nicht so sehr an sich heranlassen, sonst enden Sie als psychisches Wrack.“ Nun regte sich in Wolf gar nichts mehr. Er stand einfach nur da, starrte ins Leere und ließ die Worte auf sich einprasseln. Gedanken, Ängste und Wünsche schwirrten in seinem Hirn herum; unstetig, stürmisch, planlos, weigerten sich, sich zu einem klaren Gebilde zu fügen. „O'Donnell, die Männer warten. Sie brauchen jemanden, der auf sie achtet und im Kampf leitet. Ihre Qualitäten als Führungsperson eines kleinen, aber feinen Söldner-Teams und Ihre Sorge um ihr Wohlergehen machen Sie geradezu prädestiniert zu einem Posten als Befehlshaber. Und so ganz unter uns habe ich in dem Bereich keinerlei Erfahrung vorzuweisen.“ „Außerdem“, warf Jan ermutigend ein, „Ist das der erste Schritt zum Obermotz. Erinnern Sie sich noch, wie ich Ihnen von meinem größten Traum erzählte, in dem Sie Venoms Truppen anführen? Das ist Ihre Chance! Nutzen Sie sie, ich bin zuversichtlich, Sie schaffen es.“ Gemäß „Aller guten Dinge sind drei.“, gab zusätzlich Masaru seine Meinung ab, der zuvor lediglich die Ereignisse betrachtet hatte. „Wir haben unsere Differenzen und ich hätte nie gedacht, dass ich das sagen würde. Doch bin ich nun ebenfalls der Meinung, dass Sie genau der Richtige für den Job sind. Nur versuchen Sie bitte nicht, sich totzustellen. In Ordnung?“ Überfordert von der Gesamtsituation, ohne Ausweg, ohne Alternativen, platzte es schließlich aus ihm heraus: „OKAY!!! Ich mach's! Aber nur dieses eine Mal, dann sucht euch jemand anderes, kapiert?!“ Lächelnd traten seine Kameraden zurück, sodass Wolf allein vor den Truppen stand, die ihn voller Erwartung anblickten. „Wie ihr gesehen und gehört habt, bin ich der Einzige, der euch anleiten kann. Und ich werde es auch nur für die Dauer des Verteidigungsfalls tun, nicht länger. Dennoch bitte ich euch darum, an mir nicht denselben Maßstab anzulegen, wie an euren verstorbenen Captain. Weder habe ich eine langjährige Karriere in der Armee hinter mir, noch habe ich jemals Trupps eurer Größe kommandiert. Dennoch sei euch gesagt, dass ich sicherstellen werde, dass niemand unter meiner Aufsicht den Löffel abgeben wird, so wahr ich hier stehe. Ich bin hart, aber ich bin fair und werde jeden einzelnen von euch gerecht behandeln.“ Wolf zuckte kurz zusammen; könnten seine toten Teammitglieder noch sprechen, würden sie an dem Punkt bestimmt laut protestieren und verbreiten, was für ein Lügner er doch wäre und sie alle in den sicheren Tod schicken würde. Das durfte jedoch nicht nach außen dringen und er sprach weiter, ohne sich die Unsicherheit anmerken zu lassen: „Glaubt aber keinesfalls, dass ihr deswegen alles tun und lassen könnt, was ihr wollt: Nur weil ich unerfahren bin, werde ich weder Blödeleien noch Disziplinlosigkeit dulden. Ich werde sicherstellen, dass jeder seinen Beitrag zum Sieg leistet. Denn wer Feigheit vor dem Feind zeigt ...“ Er nahm Jan die Pistole ab, zielte an die Decke und feuerte. „... dient den anderen als DeckUMPF!“ Ein Stein fiel ihm auf den Kopf, warf ihn zu Boden und brachte einige Soldaten zum Lachen. Mit einem verärgerten Blick nach oben entdeckte Wolf an der Einschussstelle ein Loch mittlerer Größe. Ungeachtet dessen sagte er: „Am Ende muss ich euch alle fragen: Erklärt ihr mir eure Loyalität, bis die Notlage überstanden ist? Seid ihr bereit, den Kampf zum Feind zu tragen, wenn ich den Befehl dazu gebe? Und schließlich: Seid ihr willens, im Angesicht des Todes weiterzukämpfen und gar zu sterben, wenn es die Situation erfordert?“ Wieder sahen sich die Männer schweigend an, bis sie in nahezu perfekter Synchronisation in die Hocke gingen und ihre Köpfe senkten – und zugleich antworteten: „Jawohl, Sir. Geben Sie uns den Befehl und wir werden die Hölle über unsere Feinde hereinbrechen lassen.“ Hinter seinem Rücken fingen seine Kollegen an, festlich zu applaudieren und Jan, um die Stimmung zu unterstreichen, pfiff mehrmals und jubelte. Obwohl Wolf von da an die gesamte Macht des Imperiums zur Verfügung stand, auf diesem Planeten zumindest, fühlte er sich nicht wohler bei der Sache. Immer noch bedrängten ihn seine Ängste und Sorgen und er fragte sich: Was, wenn es schief läuft? Trotzdem bedankte er sich für ihre Loyalität und kündigte an, auf der Stelle mit den Vorbereitungen zu beginnen. Nur um umgehend zu bemerken: Er hatte keinen Plan, wie er diese schlecht zu verteidigende Höhle zu einer Festung ausbauen sollte. Auf die Schnelle die umliegende Ausrüstung beäugt, kam er zum niederschmetternden Schluss, dass sie definitiv nicht genügen würde. Ein Geistesblitz wäre nun das, was er am dringendsten brauchte … „Habt ihr euch nun doch zu einer Einheit zusammengeschlossen, exzellente Arbeit.“ Von dieser fremden Stimme aufgeschreckt, wirbelte jedermann herum. Während die Sturmtruppen, außer Santana, von einem Spion unter ihnen ausgingen, standen dem Rest die Haare zu Berge. Denn sie hatten erkannt, um wen es sich dabei handelte. „Und ausgerechnet du, O'Donnell, bist der neue Kommandeur. Ich muss sagen, ich bin überaus beeindruckt.“ Nachdem sich die anfängliche Panik einigermaßen gelegt hatte, konnten sie die Quelle lokalisieren: Ein Soldat in ihrer Mitte. Genauer gesagt dessen Komlink. „Ich dachte, es würde Funkstille herrschen!“, rief Santana entsetzt, „Haben die Piraten also jedes einzelne Wort mitgehört?!“ „Zu Ihrem Unglück … ja“, antwortete der ungebetene Gast, „Insgeheim jedoch bin ich sogar froh darüber, denn immerhin kann ich davon ausgehen, eine Herausforderung zu bekommen. Unter Stalos wart ihr nicht mehr als kopflose Hühner.“ „USTANAK!!!“, brüllte Wolf drauflos, „Ich reiße dir deine gottverdammten Verkabelungen einzeln raus, übergieße dein stinkendes Metall mit Benzin und zünde es an, auf dass du qualvoll verendest!“ „Na dann viel Glück dabei“, erwiderte Ustanak emotionslos, „Außerdem frage ich mich, was du dir davon versprichst, da ich ohnehin keinen Schmerz spüren kann. Falls du überhaupt dazu noch kommen wirst, wenn ich mit dir und deinen Soldaten fertig bin.“ „Nur zu, Dreckschleuder!“, provozierte Wolf die KI, „Wir werden dir einen Empfang bereiten, wie es sich für eine Schrottkiste gebührt!“ „Keine Sorge, O'Donnell. Bin schon unterwegs, wie angekündigt.“ Angekündigt? Da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Also war dieser Traum oder was es auch immer war, kein bloßes Hirngespinst! Obgleich die Fahrt mit dem Ural ausgeschlossen werden konnte, besaßen wenigstens die Gespräche einen wahren Kern. Also musste Ustanak während der Fahrt mit ihm geredet haben, aber wie? Und vor allem: Warum? Die Mithörer konnten sich auf die angebliche Ankündigung keinen Reim machen, sodass Wolf beschloss, es ihnen zu erklären, sobald der Kampf vorüber war. Dass der Panzer alles mitgehört hatte, empfand er im Nachhinein sogar als praktisch. Erstens hatte er ohnehin nichts Relevantes gehört und zweitens war die Furcht vor einem Überraschungsangriff weg. Sofern er ihn nicht angelogen hatte, sollte Ustanak alleine kommen. „Zeig, was du kannst, O'Donnell“, sagte die KI und der Jäger glaubte, einen Ansporn herauszuhören, „Enttäusche mich nicht.“ Anschließend erteilte Wolf die Anweisung, das Komlink abzuschalten. „Ihr habt Ustanak gehört“, richtete er seine Worte streng an die Sturmtruppen, „Zeigen wir den Piraten, dass wir mehr sind als eine hilflose Chaotentruppe.“ Dann befahl er Jan, ihm den Raketenwerfer zu geben, den dieser besaß, als er sich in der Nische versteckt gehalten hatte. Als Wolf die Waffe nach einer Weile des Suchens an sich genommen und geschultert hatte, sagte er, mit einem gewinnenden Grinsen: „Holen wir uns die Blechdose! Für unsere Gefallenen und Moritz!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)