Im Schatten des Universums von UAZ-469 (Machtergreifung) ================================================================================ Kapitel 5: ----------- Igor und Sergej standen auf und sahen Wolf an. Seine Sinne hatten ihn noch nie enttäuscht und wenn sie ihm Ärger im Verzug meldeten, glaubte er ihnen. Genau das passierte in diesen Moment wieder. „Ich hasse es, es tun zu müssen", sagte Piotr traurig, „Aber wir haben keine andere Wahl.“ Nach diesen Worten stürzten sich die anderen Männer auf Wolf und packten ihn an den Armen. Was sie aber nicht wussten: Er war nicht nur im Luftkampf, sondern auch am Boden sehr bewandert. Zugleich fand er es schade, dass er so mit Verbündeten umgehen musste. Sobald er aufrecht stand, ging es auch schon los. Zuerst vollführte er einen rückwärtigen Salto und löste sich so aus den Griffen. Das daraus folgende Durcheinander nutzte er, um zuallererst Igor wegzuschubsen. Dann nahm er sich Sergej vor, indem er an seinem linken Arm zum Hebel ansetzte. Lange ist es her, dass er einem Angreifer derartige Schmerzen zufügte und er fühlte sich sehr gut dabei. Insofern klangen Sergejs Schreie wie Musik in seinen Ohren. „Einen Schritt weiter“, drohte er, mit dem hilflosen Mann auf Abstand gehend, „Und ich bereite ihm solche Höllenqualen, dass ihm der Tod wie das beste Wellnesscenter aller Zeiten vorkommen wird!“ Igor sah ratlos zu Piotr herüber, der jedoch paralysiert war. Ihnen war klar, dass ihre Karten mehr als schlecht waren. Und doch zeigte Igors gespannte Haltung; er war bereit, gebrochene Knochen zu riskieren, wenn der alte Knacker sein Einverständnis gab. Warum bloß? „Bitte, O'Donnell ...“ Wolf drückte einmal fest zu und ein grausiger Schrei hallte durch das Zimmer, woraufhin seine Kontrahenten zusammenzuckten. „Ich glaube, da hat jemand gerade die Hose voll, he he ...“ Piotr zitterte. Gelegentlich blickte er aus dem Fenster, als würde er auf Hilfe warten – die nicht kam. Nachdem Sergej sogar versuchte, mit dem anderen Arm seinen Peiniger anzugreifen, fügte ihm der Kopfgeldjäger noch eine ganze Packung Schmerz zu. „Ich flehe Sie an, das müssen Sie verstehen!“ Noch ein Schrei und er probierte einen anderen Weg zur Deeskalation: „Okay, okay, Sie haben gewonnen. Ich werde Ihnen alles erklären, wenn Sie zuerst Sergej loslassen. Abgemacht?“ Doch Wolf ließ sich nicht lumpen ... Er zog durch. Ein lauter Bruch und der Mann brüllte sich die Seele aus dem Leib. Im Anschluss daran stieß ihn der Kämpfer von sich weg und überließ ihn lachend seinem Leid. Dieser Anblick allerdings versetzte Igor derart in Rage, sodass er blindlings auf ihn zustürmte. Der aber blieb ganz ruhig, rollte sich auf den Rücken, trat ihn in den Bauch und bescherte ihm einen kurzen Flug an die Wand. Dann war Ruhe. Genau genommen erst dann, als der Kopfgeldjäger Sergej mit einem Tritt gegen seinen Schädel kaltstellte. Entsetzt fasste sich Piotr an den Kopf, riss die Augen auf und rief: „Was haben Sie getan?! Ich habe Ihnen doch eine friedliche Lö...“ „Friedliche Lösung, ja ja“, schnitt ihm Wolf das Wort ab und ergänzte: „Glauben Sie echt, ich falle darauf rein? Am Ende wollen Sie mich sowieso umbringen, so wie diese verschissenen Kerle auch. Und da verstehe ich absolut keinen Spaß.“ Nun schritt er langsam auf ihn zu, die Handknochen knackend und sagte in einem bedrohlich entspannten Ton: „Nennen Sie mir also einen Grund ...“ Der alte Mann ging rückwärts, wendete ab und an den Kopf nach hinten und rückte seine Brille zurecht. „... warum ich Sie ...“ Jetzt stieß Piotr auf eine Wand. Seine Finger suchten einen Halt im Beton und die Atmung beschleunigte sich deutlich. „NICHT TÖTEN SOLL!!!“ Wolfs Pfote schnellte heran, griff den Hals und drehte dem Wesen die Luft ab. Die eher klägliche Abwehr führte nur zu einem früheren Erstickungstod. „Ich ... ich ...“ Plötzlich wurde er von hinten attackiert. Igor war wieder aufgewacht, packte ihn von hinten und zog ihn weg. Auch dafür hatte Wolf die passende Technik parat: mit einem Schlag auf die Fingergelenke löste er sich und brach ihm anschließend einige Knochen, wodurch sich Igor schreiend bückte. Diese Wehrlosigkeit nutzte Wolf für seinen finalen Angriff – der Bogen war nun endgültig überspannt. Sein Knie in die Nase des Aggressors geschmettert, fiel dieser blutend und mit weißen Augen auf dem Rücken. Nichts regte sich mehr. Piotr war in der Zwischenzeit damit beschäftigt, ausreichend Sauerstoff einzuatmen. So konnte er nur hilflos zusehen, wie vor seinen Augen ein Kamerad umgebracht und von dem Außenseiter belächelt wurde. Resignierend stammelte er: „Oh Gott! Ich ... ergebe mich. Macht, was Ihr wollt. Aber bitte ... keine Gewalt und kein Töten mehr. Wir ... haben schon genug Tote.“ Davon wollte Wolf jedoch nichts wissen. Sogleich hielt er ihn aufs Neue im Würgegriff und sprach wütend: „Wissen Sie, wie egal mir das ist?! SIE wollen mich erledigen und fordern dann, nachdem ich mich verteidigt habe, ICH solle bitte aufhören?! Haben Sie überhaupt eine Vorstellung davon, wie sehr ich Ihnen jetzt Ihr Rückgrat rausreißen und daraus eine Halskette basteln möchte?! Wenn Sie nicht wollen, dass noch Sergej stirbt, sagen Sie mir besser sofort, was hier los ist!“ Der Senior schaute kurz durch das Fenster. „I-Ich ... glaube, das ... krrrk! Wird nicht ... mehr ... nnnngh! Nötig sein ..!“ Jetzt wagte auch der Jäger einen Blick nach draußen – und ließ Piotr los. „Oh ... scheiße.“ Vor dem Fenster stand ein Panzer. Kleiner, hässlicher und rustikaler als ein Landmaster. Der Rumpf war flach, die Front in der Mitte abgeschrägt und die Panzerketten standen hervor. Im Gegensatz zum Landmaster verfügte das Fahrzeug über einen drehbaren und runden Turm mit einem langen Rohr. Neben der seitlich liegenden Kommandantenkuppel war es mit einem schweren Maschinengewehr ausgerüstet. Im Großen und Ganzen ein Kampfpanzer durch und durch, aber es war das Erscheinungsbild an sich, was die Aufmerksamkeit auf sich zog. Das Fahrzeug sah aus, als hätte es sein Dasein eine Weile auf einem Schrottplatz gefristet, wäre dann notdürftig repariert und wieder in Dienst gestellt worden. Das zweifarbige Waldtarnmuster, das der Panzer stolz wie ein altgedienter, patriotischer Soldat trug, wurde an einigen Stellen von den Folgen fehlender Pflege und harter Kämpfe durchbrochen: Vereinzelte Stellen rostigen Stahls muteten wie Leberflecken an, von Geschossen geschlagene Löcher waren ohne nachträgliche Lackierung zugeschweißt worden und die Dellen, die sich überall auf der Panzerung zeigten, bewiesen eindrucksvoll, wie viele Gefechte er ohne eine anschließende, umfassende Wartung bestritten hatte. Am auffälligsten waren jedoch die Speere, die an der Unterseite der Wanne und am Heck, zwischen zwei Treibstofffässern angebracht waren. An allen Spitzen steckten aufgespießte, tierische Schädel, teilweise mit Soldatenhelmen von Venom bedeckt. „Das ist also aus den Spähern geworden!“, erkannte er. Natürlich wollte er nun flüchten, aber wohin? Und womit? Die Wagen vor der Tür konnte er nicht bedienen und selbst wenn, wie sollte er es rechtzeitig wegschaffen? Eine Panzergranate hinterher und er verging in einem Feuerball. Das Kanonenrohr auf seine Stirn fixiert, ertönte die unheimlichste Roboterstimme, die er je gehört hatte: „[Du da! Komm sofort heraus! Und denk erst gar nicht an eine Flucht!]“ Wie immer hatte er keinen blassen Schimmer, was das Ding von ihm wollte. Saß jemand überhaupt drin? Das Sprachproblem schien von dem Panzer bemerkt worden zu sein, der daraufhin eine andere wählte. „Ich sagte, komm raus! Und haust du ab, bist du tot! Du auch, Piotr!“ So verließen beide das Haus, wie Schweine, die zu ihrem Schlächter geführt wurden. „Das ist alles Ihre Schuld, O'Donnell ..!“, flüsterte der Mann hasserfüllt Wolf zu. „Halt's Maul ..!“, entgegnete er schlicht. Kurz darauf standen sie vor dem Panzer und es drehte den Turm abwechselnd hin und her. So nah davor kam dem Kopfgeldjäger das Fahrzeug viel größer vor, als es eigentlich war. Oder es lag an seiner eigenen Größe. Just fiel ihm auf, wie sie von mehreren Personen aus den Fenstern der anderen Häuser beobachtet wurden. „Also gut, dann fangen wir mal an“, begann es mit ihnen zu reden, „Piotr, ich denke, du kannst dir denken, weshalb ich hier bin, oder?“ Er nickte und seine Beine wurden weich. Durch das Wörtchen „ich“ erlangte Wolf die Gewissheit, dass der Panzer von einer KI gesteuert wurde. Sie schien zudem wesentlich intelligenter als die Fehlkonstruktion bei Sektor Y zu sein. „Dann weißt du sicherlich auch, was nun passiert, oder?“ Dann zielte es auf Wolf und er sah in unendliche Leere. Als wäre die Granate entweder weit entfernt oder direkt vor seiner Nase. Kein schönes Gefühl. „Mir wurde berichtet, dass zwei unserer Männer erschossen wurden. Und das verlangt nach Rache.“ „Aber warum guckst du dann mich an?“ „Zur Einschüchterung.“ „Okay, das macht Sinn ... Und wie soll diese Rache aussehen?“ Eine situationsbedingt banale Frage, aber er dachte sich, Fragen kostet nichts und vielleicht fände er so einen Weg, heil aus der Sache herauszukommen. Das Gefährt antwortete: „Ganz einfach. Wie du mir, so ich dir. Also jage ich dir UND Piotr eine Kugel durch den Kopf und ...“ Und was war mit Igor? Zählte er nicht? Das wollte Wolf nun klarstellen und unterbrach es. „Hey hey hey! Ich habe vorhin noch einen Schläger von diesem Penner neben mir umgelegt, als sie mich dir opfern wollten!“ Letzteres war seine persönliche Interpretation des Gebarens, was seine „Retter“ an den Tag legten. Und wie die Reaktion Piotrs zeigte, war sie sogar richtig. „Äh ... ja, so ungefähr ...“ Das Rohr wanderte zum Mann. „Aha? So einer bist du also ... Möchtest uns ein Alien im Austausch gegen zwei Leben geben?“ Folgend geriet Piotr in äußerste Erklärungsnot. Dieses Verhalten war wohl selbst dem Panzer nicht ganz geheuer. „A-Aber ihr sucht doch die Aliens und wollt sie alle auslöschen! Und daher habe ich mir gedacht ...“ Als Wolf das hörte, musste er sehr an sich halten, ihm nicht sofort an die Gurgel zu gehen. So etwas Hinterhältiges hätte er sich nicht einmal im Traum einfallen lassen. „Hör mal gut zu, alter Mann“, erwiderte das Gefährt, „Ja, meine Befehlshaber sind alienfeindlich, aber das, was du hier beabsichtigst zu tun, würde sogar sie anwidern. Den Außerirdischen müsste ich sowieso erschießen, und weil er bereits alleine einen von dir getötet hat, wären wir EIGENTLICH quitt.“ Bei dieser Betonung fing Wolf an zu grinsen und Piotr schwitzte. Als nächstes drehte der Turm zurück zum Starwolf-Anführer und es fuhr fort: „Von daher gewähre ich dir die Entscheidung, wen ich töten soll. Entweder du oder er, es liegt ganz bei dir.“ Langsam wendete er sich an den Herrn, eine selbstgefällige Miene aufgesetzt und die Fingerkuppen aneinander gehalten. Jetzt hatte Piotr ein ernstes Problem. „Oh nein! O'Donnell, bitte nicht! Es tut mir Leid, wirklich! Ich wollte es nicht, ich habe im Sinne der Gemeinschaft gehandelt! Ich flehe Sie an, ich bin zu alt zum sterben!“ Dumm nur, dass für Wolf die Begriffe „Verständnis“ und „Mitleid“ zu diesem Zeitpunkt nicht existierten. Von daher prallten die Worte wirkungslos an ihm ab. Wer nach seinem Leben trachtete, durfte keine Gnade erwarten. Ganz egal, ob es „wohltätigen Zwecken“ diente. Er nahm eine lässige Pose ein, deutete mit den Zeigefingern auf ihn und rief ein einziges Wort: „Peace!“ Schließlich bohrte sich eine Kugel durch Piotrs Gehirn und er sackte leblos zusammen. Von überall her hörte Wolf gedämpfte Schreie. Ein paar Sekunden das auslaufende Blut mit Genugtuung betrachtet, sah er das Fahrzeug an und fragte, nachdem er sich zuerst dankend verbeugte: „Wie geht es jetzt weiter? Wie ich gehört habe, seid ihr Kerle hinter mir her. Wer seid ihr Leute überhaupt?“ „Wie gesagt, normalerweise müsstest du jetzt sterben, weil du ein Alien bist. Aber ich habe noch einprogrammierte Werte für Gerechtigkeit, die dieser Mann und meine Herren nicht haben. Denn sie würden dich trotzdem töten. Von daher kommst du diesmal noch lebend davon und ich werde dich als flüchtig melden. Aber sieh dich vor – Wenn sich unsere Wege das nächste Mal kreuzen, wird DEIN Blut fließen. Wenn du jetzt bitte beiseite treten würdest ...“ Unter Wolfs Protest, er solle gefälligst hier bleiben und seine restlichen Fragen beantworten, setzte es zurück und fuhr rumpelnd an ihm vorbei aus dem Ort raus, die Abgase mitten in sein Gesicht geblasen. Er war allein. „Toll, und was soll ich jetzt in einer Stadt machen, die mich garantiert lynchen will?“ Die ersten Türen öffneten sich. Zögerlich traten verängstigte und verunsicherte Personen aus ihren Häusern und observierten die betreffende Stelle genau. Die Kinder wurden umgehend wieder hineingeschickt. „Was ist, ich beiße nicht! Solange mich keiner umnieten will!“ Zu seiner Linken verließ auch Sergej mit bandagiertem Arm das Gebäude, blieb allerdings erschrocken an der Schwelle stehen. Danach ging er sofort zurück und schloss die Tür. Dennoch konnte man hören, wie er sich übergab. Warum Wolf nicht die Chance nutzte und einen Rückzieher machte? Er verstand es selber nicht. War es, weil ansonsten hunderte Dorfbewohner mit Mistgabeln und Fackeln hinter ihn her rannten? Oder vielleicht, weil er nicht wusste, wohin er mit seiner Suche nach den verschollenen Kameraden beginnen sollte? Diese Leute würden es ihm jetzt bestimmt sagen. Ehe er sich versah, wurde er von einer Masse umringt, die Augen auf den toten Piotr und ihn geheftet. Das folgende, chaotische Gebrabbel interessierte ihn nicht mehr und er hoffte, es würde bald vorüber sein. „[Heilige Mutter Gottes, was ist hier passiert?]“ „[Arbeitet der Außerirdische mit den Banditen zusammen?]“ „[Der Flickenteppich hat unseren Bürgermeister getötet! Ich habe es genau gesehen!]“ „[Vielleicht sollte ich weniger Wodka trinken ...]“ „[Verbrennen wir das Alien dafür, was er Piotr angetan hat!]“ Einige Mistgabeln ragten in die Höhe. Aus der Menge drängte sich ein hagerer Ruheständler mit Schlitzaugen, Spitzbart und Bauernkleidung hervor. Wolf brauchte ihn nur kurz anzusehen, schon fühlte er sich von einem durchdringenden Blick getroffen und er bekam es mit der Angst zu tun. Wie konnte er sich von einem gebrechlichen Senioren so sehr einschüchtern lassen? Als einziger der Menge traute er sich zur Leiche und untersuchte sie. Auf einmal starrte er den Kopfgeldjäger an. Wie Wolf das hasste. „Kommen Sie, bevor Sie von der Menge zerrissen werden.“ Da der Kopfgeldjäger zurzeit keinen besseren Plan hatte, kam er der Aufforderung nach und folgte ihm. Für das Alter war sein Führer überraschend agil und kräftig, so drückte er die Wesen problemlos beiseite und schuf auf diese Art einen Weg. Wolfs geringe Körpergröße eignete sich zudem vorzüglich dafür, unterzutauchen. Der Masse entkommend, lief der Mann schneller. Sogar so schnell, dass sein Schützling nicht hinterherkam, ohne seine Kondition überbeanspruchen zu müssen. Der Lauf durch den Wald nagte immer noch an den Muskeln und er sehnte sich nach einer erfrischenden Dusche. „W-Warten Sie ... ich kann nicht mehr ...“ Erneut hielt er an, stützte sich an den Oberschenkeln und keuchte. Der Senior schüttelte den Kopf und sagte: „Wir haben keine Zeit für eine Rast. Wenn Sie nicht jeden Moment ein Opfer der Selbstjustiz werden wollen, sollten Sie sich beeilen.“ Aus der Menge schallten bereits mehrere Flüche und Gruppen machten Jagd auf ihn. „Sie haben leicht reden, wenn Sie wüssten, was ich durchgemacht habe ...“ Letztendlich nahm er seine übrigen Kräfte zusammen und schleppte sich zu einem kleinen Holzhäuschen zwischen zwei Steinbauten. Die Eingangstür von dem Herrn aufgeschlossen, betrat Wolf die Behausung, während der Rentner die Wutbürger davon abhielt, seine Unterkunft in Schutt und Asche zu legen. Das Interieur unterschied sich maßgeblich von dem, was er vorhin gesehen hatte. Hier war alles in einem einzigen Raum untergebracht. Vorne lag die Feuerstelle, davor zwei Schaukelstühle und ein Bärenfell. An den Seiten ein spartanisches Bett, ein Regal mit fremdsprachigen Büchern, eine Toilette und eine Kollektion von Krummschwertern. Außerdem entdeckte er zu seiner hellen Freude eine Dusche. Was ihm sofort auffiel, war ein Plakat voller Schriftzeichen, die für ihn keinen Sinn ergaben und ein Bild. Es zeigte den KI-gesteuerten Panzer nebst vier Personen in Offiziersuniformen, davon trug einer eine Sonnenbrille. Nochmals alarmierten ihn seine Sinne, die ihm mitteilten, der Mann musste etwas mit dem Fahrzeug zu tun haben und daher höchste Vorsicht geboten wäre. Möglicherweise steckte er mit den Feinden unter einer Decke. „Ich hoffe, der alte Piotr hat Sie nicht allzu mies behandelt.“ Wolf wirbelte herum – der Senior sah ihm lächelnd in die Augen, die Hände hinter den Rücken verschränkt. Dieser Blick ... beängstigend. Darum bemüht, die Angst nicht hervortreten zu lassen, entgegnete man: „Erstmal danke, dass Sie mich da rausgezogen haben. Ich hoffe nur, Sie werden nicht auch noch auf Idee kommen, mich irgendwie opfern zu wollen ... sonst haben Sie ab sofort ein KLEINES Problem ...“ Harter Tobak, was da aus seinem Mund kam. Aber er hatte es satt, von einer Todesfalle in die nächste zu rutschen. Er würde von nun an jeden aus dem Weg räumen, der ihn angreifen wollte. Sein Gegenüber machte hierbei keine Ausnahme. „Nein nein!“, erwiderte er, „Bei mir seid Ihr in Sicherheit. Hier wird Ihnen keiner das Haar krümmen, das verspreche ich. Ehrlich gesagt vertrete ich die Ansicht, dass Sie eine richtige Entscheidung getroffen haben, so verhasst sie auch ist.“ Von diesem „Geständnis“ war Wolf wirklich verblüfft. Hieß er den Tod Piotrs tatsächlich gut? „Aber erlauben Sie mir zuerst, mich vorzustellen.“ Er faltete die Hände zusammen, hielt sie vor seiner Brust und beugte den Oberkörper nach vorne. „Masaru-Ito heißt Sie im Namen der Kolonisten in Nowaja Moskwa willkommen. In Ihrer Sprache wäre das entsprechend Neu Moskau. Verzeihen Sie bitte unsere weniger netten Nachbarn aus den Wäldern." Von dieser unüblichen Begrüßung beeindruckt, machte Wolf es ihm nach und stellte sich ebenso vor. „Freut mich, einen Außerirdischen kennenzulernen", redete Masaru, „Nur wenige von uns sind bisher einem Vertreter Ihrer Rasse begegnet. Lange Zeit dachten die Menschen, die einzig intelligenten Lebewesen des Universums zu sein.“ Sie nannten sich also Menschen? Gut zu wissen, fand der Kopfgeldjäger. Aber so spannend er die Konversation auch fand, zunächst stand etwas Wichtigeres an. „Die Freude ist ganz meinerseits. Aber hätten Sie was dagegen, wenn ich Ihre Dusche benutzen dürfte?“ Der alte Herr nickte. „Nur zu. Ich denke, ich muss Ihnen nicht zeigen, wo sie ist und wie man sie bedient, oder? Ha ha!“ Nach einer weiteren Verbeugung gab sich Wolf den Verlockungen des frischen Wassers hin, die Kleidung neben der Kabine abgelegt. Eine Erholung bot zwar nur eine ordentliche Mütze Schlaf, aber die Dusche reichte fürs Erste. „Ich versuche derweil die tosende Menge zu beruhigen“, rief Masaru an der Haustür, „Ich habe Ihnen frische Klamotten bereitgestellt. Bis gleich, mein Freund!“ Zehn Minuten lang genoss er die entspannende Wirkung, seifte sich mehrmals ein, wusch Haare, Fell, die leere Augenhöhle und sang ein Lied aus seiner Kindheit. Jedoch auf grausame Weise abgeändert. Eltern sollten es nicht zu hören bekommen ... Die nächste Überraschung wartete außerhalb der Kabine in Form der neuen Kleidung. Neben den obligatorischen Unter- und Jeanshosen bestand sie hauptsächlich aus militärischen Anziehsachen. Für den Oberkörper erhielt er eine Soldatenjacke in Wüstentarnfarben, ein grünes Shirt samt Unterhemd und als Kopfbedeckung eine Bauernmütze. Schwarze Schuhe rundeten das Erscheinungsbild eines Veteranen außer Dienst schließlich ab. An das Loch in den Hosen für den Schweif hatte Masaru auch gedacht. „Hm, ich glaube, hier bin ich wirklich sicher ...“, meinte er zufrieden und zog sich um. Die verbrauchten Kleidungsstücke ließ er einfach liegen und vor sich hin müffeln. Kaum fertig, kehrte der Senior zurück. „Also O'Donnell, mir ist es vorerst gelungen, die Menschen zu beruhigen und davon zu überzeugen, dass Sie Asyl benötigen. Wahrscheinlich gibt es aber nach wie vor Bürger, die Piotr rächen wollen. Ich empfehle Ihnen, sich nicht ohne Begleitung nach draußen zu wagen.“ „Keine Sorge, ich bleibe für heute hier. Aber eine Frage hätte ich, und zwar zu diesem Bild da.“ Er zeigte auf die Fotografie mit dem Panzer und Masaru antwortete lediglich mit einer Handbewegung, die Wolf zum Näher kommen bat. Danach redete er: „Ist er nicht schön?“ Von dieser Aussage verwirrt, fragte der Kopfgeldjäger, wen er damit meinte. Die Antwort machte es für ihn aber nur noch skurriler. „Ustanak, natürlich. Ein technischer Meilenstein in der Geschichte der Menschheit.“ Der Nebel lichtete sich ein wenig, sodass Wolf seinen ersten Gedanken äußerte: „Also war dieser Panzer vorhin, der Piotr erschossen hat, Ustanak? Aber woher wissen Sie das?“ Masaru blickte ihn lächelnd an. „Ist es nicht offensichtlich? Ich war maßgeblich an seiner Entwicklung beteiligt, als ich noch in der russischen Armee diente. Piotr war übrigens mein Vorgesetzter. Das Bild entstand vor zwölf Jahren, vielleicht erkennen Sie mich noch darauf in meinen besten Zeiten.“ Daraufhin sah Wolf die Gesichter genauer an – In der Tat war darauf ein geringfügig kleinerer Mann mit Schlitzaugen und Spitzbart abgebildet. „Der Name kommt übrigens aus dem Kroatischen und bedeutet „Aufstand“. Der Projektleiter war ein Kroate und der erste Einsatz bestand darin, einen Aufstand niederzuschlagen. Aber all das ist jetzt leider Schall und Rauch, und mitanzusehen, wie Ustanak seine Landsleute auf Befehl des Piratenanführers massakriert, tut mir im Herzen weh.“ Diese Geschichtenerzählungen bereiteten Wolf mangels Hintergrundwissens ziemliche Kopfschmerzen und darum sagte er: „Okay okay, coole Sache. Können Sie nun endlich Klartext reden, was hier los ist?“ Masaru schlug sich mit der flachen Hand auf die Stirn. „Verzeihung, ich vergaß ja, Sie sind ja kein Mensch. Nehmen Sie bitte Platz, ich möchte Ihnen die Kurzform der Ereignisse schildern. Natürlich so verständlich wie möglich.“ Das ließ sich Wolf nicht zweimal sagen. Freudig niedergelassen, die Beine übereinandergeschlagen und die Hände hinter den Kopf gelegt, lauschte er den Worten des alten Mannes. „Im 15. Jahrhundert, im feudalen Japan ...“ „Entschuldigung, aber ...“, mischte man sich ungeniert ein, „Ich möchte wissen, was HIER abgeht, in der GEGENWART und nicht, was Jahrhunderte zurückliegt und mir somit am Allerwertesten vorbeigeht, um es mal freundlich auszudrücken. Sie verstehen?“ Masaru wurde ganz rot und fühlte sich vermutlich ertappt. Neigte er etwa dazu, die Geschichte seiner Familie aufzusagen? „Oh, tut mir wirklich leid, O'Donnell. Es ist nur ... noch nie konnte ich jemanden meine Familiengeschichte offenlegen. Ich verstehe es auch nicht, wieso ich nicht einfach auf den Punkt kommen kann und daher ...“ Seinen Arm an der Stuhllehne abgestützt und seinen Kinn auf die Handfläche gelegt, war er von dem belanglosen Gelaber zutiefst genervt. Der Geduldsfaden gerissen, forderte er ihn ungehalten dazu auf, doch endlich zum Wichtigen zu kommen. Obwohl der Mann von dem Tonfall sichtlich beleidigt war, was Wolf aber nicht sonderlich juckte, fing er von neuem an: „Es fing vor zehn Jahren, 1996 nach menschlicher Zeitrechnung, an. Damals, noch bevor wir hier waren, diente ich als Einwanderer in der Armee des Asyllandes und forschte an neuer Waffentechnik. Jahrelang arbeitete ich mit Piotr an einer künstlichen Intelligenz für Kampfmaschinen und bekamen einen ausrangierten T-72-Panzer zur Verfügung gestellt. Unsere Arbeit trug Früchte und nach einem Notfalleinsatz, in dem sich der Panzer bewährte, tauften wir die KI Ustanak. Aber um die Forschungsergebnisse nicht in die Hände von Terroristen und Spionen fallen zu lassen, beschlossen wir, das Labor zu verlegen. Bla, bla, bla, bla, blubb ...“ Wolf hatte ganz vergessen, wie müde und kaputt er von den heutigen Anstrengungen war und sich nichts mehr wünschte, als eine weiche, kuschelige Matratze und ein Kissen. Wenn ihn dann jemand noch mit Informationen zumüllte, die zwar wichtig, aber eben zu zahlreich waren, gab seine Denkzentrale rasch auf und übersetzte die eingehenden Worte mit „bla“ und „blubb“. In so einem Fall konnte nur noch der Schlaf helfen – oder zehn Tassen Latte. „Äh, Marvin?“, fragte er und hob den Zeigefinger wie ein artiger Schüler. „Ja, O'Donnell?“ Er schien den falschen Namen nicht registriert zu haben. „Ich hoffe, Sie haben Verständnis dafür, wenn ich Ihnen jetzt sage, dass ich dringend ein Bett brauche und erstmal ordentlich durchpennen will. Vielleicht träume ich ja von Ihnen und verarb...“ „Sind Sie zufällig homosexuell?“ Diese urplötzliche Frage brachte Wolf ins Stocken. Die kannte er doch von irgendwoher ... „Nein! Wo denken Sie hin?!“, antwortete er wie aus der Pistole geschossen und Masaru atmete erleichtert auf. „Gut. Denn ich finde Homosexualität ein Unding und in Gottes Augen eine schwere Sünde. Hätten Sie sich als Schwuler bekannt, hätte ich Sie Sechskant aus dem Haus geworfen.“ Während sich der Kopfgeldjäger seinen Teil dazu dachte, richtete sich der Mann vom Stuhl auf und sagte: „Natürlich können Sie das Bett benutzen. Aber ziehen Sie sich bitte vorher die Schuhe aus. Außerdem entsorgen Sie bitte Ihre muffige Kleidung, Sie sind ja schließlich schon erwachsen. Ein paar Häuserblocks weiter ist ein Waschsalon, da werde ich Sie nachher hinbringen. Jetzt ruhen Sie sich aus, ich mache derweil meinen meditativen Spaziergang im Wald.“ An der Haustür verabschiedet, verließ er das Gebäude und schloss die Tür ab. „Intoleranter Sack. Was ist so schlimm daran, jemanden des eigenen Geschlechts zu lieben?“ „Das habe ich gehört!“ Aber egal. Mit der Erlaubnis von Masaru wendete er sich dem Bett zu – und stutzte. Darunter lag ein großer, schwarzer Gegenstand, in Form eines Gewehrs. Neugierig wie er war, besonders ohne die Anwesenheit anderer, ging er in die Hocke und zog es heraus. Ganz klar, eine Automatikwaffe. Auf den ersten Blick dasselbe wie das, womit ihn einer der unangenehmen Zeitgenossen in den Panzerwagen zwingen wollte. Jedoch war sie erstens komplett schwarz lackiert, ebenso die hölzernen Bestandteile. Zweitens war das komplette Gewehr, einschließlich dem Stangenmagazin, größer dimensioniert, nur der Lauf war zu all dem zusätzlich länger. Ausnahmen bildeten hierbei die Schulterstütze, der Abzug und der Frontgriff. Im Endeffekt resultierten die Modifikationen in einem erhöhten Gewicht, dennoch war es angenehm zu handeln. Außerdem war rechts am Gehäuse ein Tragegurt angebracht. Woher das Objekt stammte, beantwortete eine Gravur links oberhalb des Griffs: Ein, wahrscheinlich menschlicher, Totenschädel mit gekreuzten Säbeln. Was hatte Masaru mit diesen Leuten am Hut? Kooperierte er insgeheim mit ihnen und war die Sicherheit der Behausung nur eine eingefädelte Täuschung? Würde man ihn früher oder später ausliefern? Zu seinem Schutz versteckte er die Waffe unter dem Kissen. Er kannte niemanden, der schnell genug war, einem Kugelhagel auszuweichen. Die Schuhe ausgezogen und das Bett beschlagnahmt, schlief er friedlich ein ... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)