Im Meer der Erinnerungen von YukimuraRuki ================================================================================ Kapitel 11: Nagisa Kuranosuke ----------------------------- Ihr habt Recht. Ich bin kein Mensch. Ich war auch nie ein Mensch und das Schlimmste ist, ich werde nie ein Mensch sein, denn ich bestehe aus Datenschrott. Ich dachte ich bekäme mein Bewusstsein nie wieder zurück. Doch dann, begann ich wieder zu existieren. Wiedergeboren wurde ich jedoch nie. Es war weder hell noch dunkel. Kälte oder Wärme kannte dieser Ort nicht, wenn denn ein Platz überhaupt existierte. Himmelsrichtungen oder irgendeine Form von Raum der jeglichen Anhaltspunkt von einem Dasein aufwies, gab es nicht. Sein Bewusstsein dachte einfach, dass es da war, also existierte es. Einen Gedanken zu erfassen fiel ihm schwer, denn er meinte sich nur an Vergangenes, das in weiter Ferne lag erinnern zu können. Ein Kampf herrschte in seinem Gedächtnis, aber er fragte sich allerdings ob er wirklich stadtgefunden; oder ob es sich dabei nur um die Ausgeburt seiner Phantasie handelte. Eine Erinnerung an einen Traum könnte es sein. Oder gab es weder Erinnerung noch Traum in diesen Gefilden? Dann wiederum stand immer noch die Frage im Raum ob so etwas wie Zeit oder Ort einen Sinn ergab. Es gab Fragen in seinem Kopf. In seinem Herzen, wenn er denn eines hatte. Warum konnte er noch denken, wenn er doch gar nicht existierte. Immerhin kam ihm die Idee dass er einmal ein Aussehen besessen hatte und irgendeinen Ursprung musste dieser Gedanke haben. Vielleicht musste er sich anstrengen um sich einen Reim auf alles zu machen. Nichts bekam man in der Welt geschenkt, dies kam ihm ebenfalls bekannt vor. Solange er solche Gedanken hatte, die ihm sagten, dass man sich etwas erarbeitet oder für etwas kämpfte, musste auch das irgendwo bereits erlebt worden sein. Vielleicht erzählte man es ihm auch vor langer Zeit. Obwohl er kein Zeitgefühl hatte. Wie lange er schon hier dachte und darüber sinnierte ob er nun existierte oder nicht oder woher seine Vorstellungen kamen; all das blieb ihm verschlossen. Außerdem... warum wählte er dieses Pronomen? Er. Zufällig kam es ihm in den Sinn. Wenn er länger darüber nachdachte, dann meinte er sich an Gestalten erinnern zu können, die sich selbst als männlich bezeichneten. Oder zumindest solche Wörter in den Mund nahmen. In Wahrheit entsprach er nicht der Norm. Das was die Menschheit als Norm ausgewählt hatte, jedenfalls. Vielleicht passte ein weibliches Pronomen viel besser zu ihm – vielleicht aber auch nicht. Feste Gedanken über seine Gestalt hatte er gar nicht. Womöglich aber doch. Seine Form, Größe, Zusammensetzung und Gestalt unterschied sich gravierend von allen anderen, die er glaubte gesehen zu haben. Verwirrend, das alles. Diese Gedanken trieben ihn fast in den Wahnsinn, aber hier wo er war konnte er nur denken. Langsam verstand er, dass er sich selbst darüber klar werden musste wer er war. Was er war. Oder viel mehr, weil er über kein sicheres Wissen verfügte, musste er sich erst einmal denken wie er sein wollte. Diese Erkenntnis erbrachte ihm ein Bild. Das erste Bild, welches er in diesem Etwas erkennen konnte. Da waren Ziffern. Nullen und Einsen. Sie waren fortwährend aneinander gereiht. Manchmal veränderte sich eine Null zu einer Eins, manchmal auf umgekehrt oder vor und zurück. Es gab nichts weiter als diese Ziffern in einem Etwas ohne Licht und Schatten. Es musste Licht und Dunkelheit kennen, denn er wusste diese Worte. Warum sollte er Begriffe kennen, die er sich nicht vorstellen konnte? Ansonsten hätte er sie bestimmt nie gelernt! Also stellte er es sich vor. Die Zahlen ergaben ihm plötzlich einen unerklärlichen Sinn und wirkten ihm vertraut. So entschied er sich das Etwas zu erhellen und da es für sein Verständnis einfacher war, die Räumlichkeiten abzugrenzen, entschied er sich dazu einen Schrein zu erschaffen. Aus seinen eigenen Gedanken. Einen roten Schrein dessen Tor man irgendwo auf der Welt dazu benutzte die irdische Welt und die göttliche Welt voneinander zu trennen. Eine Welt die aus Geistern bestand. Schließlich sah er an sich hinunter. In der Tat, er musste wohl ein er sein. Zumindest hatten die Gestalten, die solche Körper immer diese Pronomen benutzt. Im ersten Moment kam es ihm einfach natürlich vor einen ähnlichen Körper zu wählen. Seine Haare waren lang für einen er. Sie fielen ihm bis über die Schultern und hatten zweierlei Farben. Oben ganz schwarz und je länger sie zur Haarspitze gelangten, erschienen sie immer blonder und blonder. So etwas kam ihm äußerst seltsam vor, denn er meinte sich nicht daran erinnern zu können. Also musste es wohl wirklich nur zu ihm gehören. Nun verstand er auch, dass die Hülle, die er sich soeben aus den Ziffern Null und Eins gemacht hatte ansah, als sähe er sich nun selbst im Spiegel. Die Augen goldgelb, wie seine eigenen. „Bin ich das?“, fragte er sich laut. Nur seine Worte klangen wieder, im Schrein herrschte ansonsten vollkommene Stille. Es musste so Still sein, denn sonst wäre er nicht in der Lage seine eigenen Worte zu hören. Hieß es nicht sogar, dass nur an ruhigen Orten die Wahrheit der Sprache zum Ausdruck kam? Ebenso wie es nur möglich war das Licht zu sehen, wenn Finsternis sie umgab. Die Erkenntnis des eigenen Seins erschloss sich ihm, als er sich im Licht stehen sah. Ihm wurde seine Gestalt bewusst, als sie seinen Geist ansog wie Motten vom Licht. „Das bin ich. Aber wo bin ich?“, fragte er sich, „Wer bin ich?“ Fragen in seinem Kopf, die ihm niemand beantworten wollte. Oder konnte, denn er schien der einzige zu sein, der existierte. Das Licht schwand vor seinen Augen. Schwärze herrschte dort wo er sich befand und sie verschlang seine Form wieder und riss sie mit sich. Es handelte sich um eine seltsame Macht, die ihn mitzog. Eine Macht die ihm übergeordnet, der er sich nicht widersetzen konnte. Ein Rauschen drang in sein Ohr. Die Stimme des Windes hieß ihn im Leben willkommen. Begleitet von dem Gesang der Wellen, spielte der Wind mit seinen zweifarbigen Haaren. Er hatte das Gefühl, dass der Wind belustigt Kicherte, als er seine Wangen streichelte und endlich erkannte er, dass die Stimme offensichtlich zu einer sie gehörte. Falls nicht eine sie, dann immerhin jemand der dieser Kategorie mehr entsprach als er. Sein Körper fühlte sich kalt an und hinzu kam eine grausame Nässe. Er mochte das Gefühl nicht nass zu sein, soviel wurde ihm in diesem Moment klar. „Törichtes Kind“, hauchte der weibliche Wind ihm zu. Langsam öffnete er die Augen. Unter sich sah er feuchten Sand liegen, der immer wieder von Wellen weggespült und wieder angetrieben wurde. In seinen Gedanken ging es in einer Runde. Wer hatte da nur gesprochen? War er denn nicht allein auf dieser Welt? Eine einsame Seele? „Du hast dir nicht unbedingt die beste Hülle geschaffen“, triezte der Wind weiter. Der Junge, so klassifizierte er sich zumindest, fühlte sich schwach, schwer und unbeweglich. Vielleicht musste er diesen Körper bewegen um in Gang zu kommen. Angestrengt kam er auf alle Viere, aber fühlte sofort, wie ihm eine feine Hand, den Kopf vornüber in den Sand stupste. Ein Knurren erfüllte den Strand und der Wind lachte heiter, während der Junge sich den Sand von den blassen Wangen rieb. „Hey! Was soll das!“, brach es nun endlich aus ihm heraus. Zu seiner Überraschung hörte sich die eigene Stimme fremd an. Eine helle Jungenstimme tanzte aus seiner Kehle hervor. Verdutztheit stand ihm ins Gesicht geschrieben, denn die gelben Augen wurden rund und klein. „Hab ich es dir nicht gesagt, Kleiner? Deine Wahl ist ziemlich einfältig. So ein schwaches Wesen wie einen Menschen zu wählen“, meinte das andere, große Wesen, welches mit dem Wind herbeikam. Gleich darauf leuchtete es auf und schrumpfte, doch der Junge sah dies nicht mit eigenen Augen, lediglich die Anwesenheit der Frau fühlte sich irgendwie anders an. Er konnte es fühlen, dieser jemand hieß wohl Stimme des Windes. Aber jetzt da es sich veränderte, verlor es diesen Titel und wurde zu etwas anderem. Traumgeber, das war es wohl. Sie kicherte heiter. „Mach nicht so ein Gesicht. Ich kann nichts für deine dumme Wahl“, sprach das kleine Wesen, das aussah wie ein winziges, jugendliches Mädchen mit Flügeln auf dem Rücken, „Gestatten, ich bin Tinkermon. Hast du jetzt eigentlich einen Namen?“ „A-…Aschekrieger“, entgegnete der Junge, so als wäre ihm der Name soeben wie Schuppen von den Augen gefallen. Die Fee lachte auf: „Nein, nicht deinen digitalen Titel. Ich meine, einen den du gebrauchen kannst.“ Der Junge dachte nach. Woher sollte er denn wissen wie er hieß. Er konnte schlecht erraten wie man ihn nannte. Immerhin war dieses Tinkermon die erste lebende Seele – falls sie denn lebte – die er kennenlernte. Er sah sich um. Hier war ein Strand und an diesem Strand schummerte es bereits bläulich. Vielleicht erwartete er, dass ein Name vom Himmel fiel. Schließlich zuckte er mit den Schultern: „Nagisa.“ Das Feenmädchen prustete und musste sich beherrschen nicht lauthals loszulachen. „Der ist dir wohl grad eingefallen, huh? Na ja, gut. Dann wollen wir mal nachdenken, wenn du keinen Namen hast, dann gebe ich dir einen…“, meinte sie und dachte angestrengt nach. Nun bemerkte Tinkermon, dass es nicht ganz so einfach war, einem Menschen einen Namen zu geben. Sie betrachtete ihn genau. Er sah nur aus wie ein gewöhnlicher Mensch, aber in ihm schlummerte ein Krieger. Weil er nicht als Mensch geboren wurde, verfügte er auch über keine Geschlechtsorgane. Seine Identität erschien dennoch der eines Jungen zu entsprechen. „Wenn ich es recht bedenke, Nagisa funktioniert als Familienname“, gab Tinkermon schließlich zu, „Kuranosuke sollst du heißen. Bei den Menschen gab es einen großen Krieger, den man Ooishi Kuranosuke nannte. Diesen sollst du fortan tragen.“ „Ich? Ein großer Krieger unter den Menschen?“, fragte Kuranosuke neugierig und seine Augen schärften sich zusehends. „Du ein Krieger? Auf jeden Fall. Ein Mensch dagegen? Vollkommen ausgeschlossen“, antwortete das Digimon, „Deshalb habe ich doch gesagt, das ist die schlechteste Wahl die du treffen konntest. Warum bist du nicht einfach zum Digimon geworden. Ich meine, zu einem richtigen?“ „Digimon?“, wiederholte Kuranosuke verwirrt. „Ja, ein Digimon. Kannst du dich etwa nicht mehr daran erinnern?“, wollte die andere wissen. Kuranosuke konnte nicht anders als mit dem Kopf zu schütteln. Das blonde Mädchen zuckte mit den Schultern. Die Erinnerungen kämen schon noch früh genug zu ihm zurück. Immerhin befanden sie sich hier, im Gedächtnis der Welt. Kuranosuke hingegen ging ein Licht auf. Wenn er schon einmal existierte, dann wunderte es ihn nicht mehr, dass ihm all diese Ideen innewohnten. „War ich ein Digimon?“ „Na ja“, Tinkermon verzog das Gesicht, „So was ähnliches.“ „Haben Digimon eine Seele?“ „Natürlich… blöde Frage…“, entgegnete Tinkermon, „Aber bei dir, kann man das vielleicht nur erwarten.“ „Wieso?“ „Na weil… weil du halt anders bist als alle anderen Digimon. Aber ich denke schon, dass du eine Seele besitzt“, antwortete sie, „Da du jetzt hier bist in diesem menschlich aussehenden Körper, nehme ich an, dass die Versiegelung des Tors zur realen Welt dahin ist…“ „Die Versiegelung?“, wiederholte Kuranosuke endgültig verwirrt. Dieses Wesen, dieses Digimon namens Tinkermon kannte ihn wahrscheinlich sehr gut. Kuranosuke vermutete auch, dass Tinkermon über ein großes Wissen über diese Welt verfügte. Auf einmal fand er dieses wenige zentimetergroße Wesen sehr interessant und wurde neugierig. „Ich mache dir einen Vorschlag, Nagisa Kuranosuke. Ich helfe dir in diesem Körper klarzukommen und du hilfst mir dabei herauszufinden, wer dieser Welt wieder schaden möchte. Und… sobald wir das Werkzeug in die Hände bekommen haben, das dir dazu verhilft wieder zum wahren Aschekrieger zu werden, hätte ich auch gern, dass du für mich kämpfst. Oder… mit mir kämpfst, wenn du so willst.“, erklärte die Fee. „Kämpfen? Mit dir? Aber… kann ich das denn?“, wollte Kuranosuke überrascht wissen. „Können? Mein Lieber, weißt du denn gar nichts? Das liegt in deiner Natur. Aber damit du das in diesem Körper auch bewerkstelligen kannst, müssen wir etwas suchen“, erklärte sie, „Eine Rüstung oder so etwas. Eine Rüstung wie meine, ich kann nämlich digitieren, weißt du?“ „Digitieren?“ „Ach ich bemerke schon…“, Tinkermon schüttelte den Kopf, es wartete viel mehr Arbeit auf es als erwartet, „Bevor wir uns auf die Suche nach einer geeigneten Rüstung machen, sollte ich dich wohl mit in meinen Unterschlupf nehmen. Du musst noch viel lernen wie mir scheint. Du musst dich aber nicht sorgen, deine Erinnerungen befinden sich alle irgendwo hier. Im Meer der Erinnerungen.“ Obwohl Kuranosuke sich noch wackelig auf seinen Beinen hielt und seine Bewegungen etwas tapsig und tollpatschig ausfielen, folgte er dem kleinen, glitzernden Wesen. Der Ort an dem sie sich befanden, nannte man also das Meer der Erinnerungen. Kuranosuke fragte sich, ob ihm deshalb so vieles vertraut vorkam und sein Kopf voller Ideen steckte, obwohl er diese Gedanken gar nicht kennen konnte. Kuranosuke achtete kaum auf seine Umgebung. Zweifelsohne befanden sie sich am Meer, sie waren an einem Strand und über ihnen erschien der Himmel anders als Kuranosuke glaubte ihn aus einer anderen Zeit zu kennen. Irgendwie defus, wie eine dunkelblaue Masse die sich unruhig hin und her bewegte. Hier und da drang Licht durch diese wirre Oberfläche hinein aber klare Sonnenstrahlen gab es hier nicht. Tinkermon wurde zu seinem Licht, das ihm den Weg wies. Dieser Weg führte sie in eine dunkle Grotte. Unbehagen kannte Kuranosuke in diesem Augenblick nicht, selbst in dieser Gestalt bekam er das Gefühl größer zu sein als sein momentaner Körper. Ein merkwürdiger Instinkt breitete sich in seinem Kopf aus, der ihm den Rücken stärkte – er wurde wachsamer, konzentrierte sich auf kleine Geräusche und eben diese Intuition. Diese war ihm wohl aus einem anderen Leben mit in dieses gefolgt und sorgte dafür, ihn innerlich darauf vorzubereiten gegen jedes Hindernis zu kämpfen, welches sich ihm womöglich in den Weg stellte. Kuranosuke blieb abrupt stehen, auch das kleine Digimon stoppte und warf dem Jungen einen fragenden Blick zu: „Was ist?“ „Warum glaube ich, dass ich kämpfen muss? Wogegen muss ich kämpfen?“, wollte er wissen. „Na weil das Kämpfen in deiner Natur liegt. Ich schätze, dass du gegen Digimon kämpfen musst, sobald sie bemerken, dass du dazu in der Lage bist“, entgegnete Tinkermon, „Nun lass dich nicht zweimal bitten und komm.“ Kuranosuke nickte stumm. Dieser Ort machte ihm einen wundersamen Eindruck, jedoch konnte er ihn nicht genießen, denn Tinkermon hatte es eilig. Die feuchten Steinwände glichen Onyxgestein und es war kaum ein Geräusch vernehmbar. Lediglich das rhythmische Klingeln einiger einzelner Wassertropfen, welche von irgendwo herabfielen und in kleine Pfützen hinabregneten. Kuranosuke sah die Quelle der kargen Geräuschkulisse nicht, denn nur Tainkermons goldener Schein leuchtete ihm den Weg. Durch dieses Leuchten erkannte Kuranosuke bald, dass die Grotte in einen engeren Gang führte und nun ein Tunnel wurde. Das Bedürfnis nach dem Ziel zu fragen hatte der Mensch schon, allerdings wusste er nicht ob es dem Digimon gefiele wenn er es täte. So vergingen viele Minuten des Schweigens, denn der Junge war viel zu überwältigt von allem, was ihm in seinem kurzen Leben widerfahren war. Wie viele Schritte er gelaufen war, konnte er nicht einmal mehr schätzen, seine Füße taten noch nicht weh, aber es musste dennoch eine gewaltige Entfernung gewesen sein. „Tinkermon“, sprach er schließlich aus um die Aufmerksamkeit des kleinen Wesens auf sich zu ziehen, „Wo gehen wir eigentlich hin?“ „Das weiß ich nicht. Irgendwo hin“, erklärte sie. „Irgendwo?“, wiederholte der Junge leicht entsetzt, worauf das Digimon kurz nickte und gleich darauf sagte: „Irgendein Ort an dem wir Antworten auf unsere Fragen finden.“ „Und es gibt einen solchen Ort?“, wollte Kuranosuke wissen. Tinkermon zuckte mit den Schultern. Bis sie eine geeignete Reaktion fand verstrichen weitere Minuten: „Ich hoffe für uns, dass wir einen solchen Ort im Meer der Erinnerungen finden. Wir sind zwar noch nicht tief im Gedächtnis der Digiwelt gelangt, aber das Ende dieses Tunnels sollte bestimmt bald in Sichtweite gelangen.“ „Und dann?“ „Dann finden wir vielleicht deine Erinnerungen.“ Kuranosuke verzog es die Gesichtszüge. Welche Erinnerungen meinte diese Fee eigentlich? In seinem Leben war bisher nicht viel geschehen, so dass es wohl nicht viel gäbe an das er sich zu erinnern vermochte. Es sei denn Tinkermon war der Meinung, dass er die vergangenen Erlebnisse eines anderen Lebens wiedererlangen könnte. In diesem Fall wäre das eine andere Geschichte. „Außerdem…“, fuhr Tinkermon schließlich fort, „Hoffe ich einige Antworten zu bekommen. Irgendetwas geht in dieser Welt vor sich und ich muss wissen was es ist.“ „Du sprichst gern in Rätseln, oder?“, stellte Kuranosuke einigermaßen gelangweilt fest. Das kleine Digimon wandte sich um wobei seine Miene verriet, dass es verwirrt war. Kuranosuke ließ ein abfälliges Geräusch verlauten: „Ich kapier nicht wieso wir unbedingt gegen etwas kämpfen müssen, im Moment gibt es doch keinen Ärger, oder?“ „Im Moment vielleicht nicht, aber schon bald werden wir anderen Zeiten entgegen sehen. Weißt du, ich wäre nicht hier, gäbe es nicht irgendein Problem in der Digiwelt. Du, mein lieber Kuranosuke existiertest ebenfalls nicht mehr als Quasi-Digimon wenn hier alles in Ordnung wäre. Also hör jetzt auf törichte Fragen zu stellen und komm mit. Ich weiß was ich suche, aber habe eben keine Ahnung wo.“ Mit diesen Worten flog das feenähnliche Digimon weiter und baute sich damit einen Vorsprung auf. Kuranosuke blieb so klug wie zuvor, doch folgte er dem kleinen Licht wie gehabt in die immer enger werdenden Gänge. Ein Mensch verfügte nicht über dieselben Energiereserven wie ein Digimon. Zu diesem Schluss musste der Junge bald kommen, denn nach stundenlangem Marschieren durch eine erdrückende Dunkelheit spürte er wie seine Füße lahmer und seine Beine bleiern wurden. Auch solch eine lichtlose Gegend wirkte nicht optimal für einen Menschen und so tat ihm das Licht des kleinen Tinkermon beinahe in den Augen weh. Kuranosuke wollte sich keine Blößen geben, denn sein Begleiter hatte ihn schon von Anfang an wegen seiner vermeintlichen Wahl ein Mensch zu sein kritisiert. Dennoch kam die Grenze seiner Kräfte immer deutlicher in seinen Kopf hervor und somit blieb er stehen und setzte sich auf den kühlen, feuchten Feldboden. „Was denn, Kuranosuke-chan, bist du schon entkräftet?“, fragte Tinkermon mit einem Grinsen, „Ich habe dir doch gleich ge-…“ „Dass meine Wahl richtig bescheuert war, ich weiß. Sagtest du bereits… mehrfach.“ „Töricht, das sagte ich“, berichtigte Tinkermon immer noch keck lächelnd und setzte sich auf dem Kopf des Jungen nieder, „Weißt du, ich denke Menschenkörper sind nicht die aller kräftigsten. Komm, kannst du noch ein bisschen weiter? Da vorne ist Licht. Ich schätye es sind noch fünfhundert Meter vielleicht.“ „Was werden wir dort finden?“, wollte Kuranosuke wissen um etwas Zeit zu schinden. „Ich bin mir nicht sicher was genau es sein wird. Erinnerungen mit Sicherheit, aber ich weiß nicht ob es die deinen oder die Erinnerungen der Digiwelt sein werden.“ Kuranosuke ließ einen nachdenklichen Laut hören bevor er erneut das Wort ergriff: „Wie kann eigentlich eine Welt Erinnerungen haben? Können denn nicht nur lebendige Wesen sich an etwas erinnern?“ Tinkermon bedachte Kuranosuke mit einem etwas verärgerten Blick: „Natürlich hat auch diese Welt ein Gedächtnis. Jeder Kampf eines jeden Digimon. Von der Geburtsstunde des Lucemon und den Erhabenen bis hin zu den sieben großen Dämonenlords ist alles im Gesamtnetzwerk gespeichert. Ich weiß wer du wirklich bist, Nagisa Kuranosuke und ich bin schockiert was der innige Wunsch nach einer Seele aus dir gemacht hat. Du weißt nämlich nicht mehr wer du bist und so etwas ist gefährlich.“ „Aber ich weiß wer ich bin!“, protestierte Kuranosuke sofort. „Wer bist du?“ „Mein Name ist Aschekrieger“, entgegnete er und brachte Tinkermon dadurch zum Lachen: „Gewiss. Ein Aschekrieger bist du. Nur liegen in deinem digitalen Titel auch ein Sinn und eine Aufgabe. Was bringt dir also dein Titel, wenn du deine Bestimmung nicht kennst? Wenn du wüsstest wer du bist und was du erlebt hast, so begreifest du auch dass diese Welt ebenso wie alle anderen Welten dieses Universums über ein Gedächtnis verfügen.“ „Wenn du so klug bist, Tinkermon, warum erzählst nicht du mir was mit mir geschehen ist?“, wollte er trotzig wissen. „Du musst es selbst sehen und dich daran erinnern. Erzählte ich es dir, dann ist es nur eine Geschichte. Eine tragische Heldengeschichte, die zwar nett anzuhören ist und einen kleinen Jungen wie dich sicher so einige Nächte wachhielte – aber eben nicht mehr. Für dich wären es nur leere Worte“, erklärte Tinkermon und forderte ihn mit einer erneuten Kopfbewegung auf mit ihr zu gehen, „Ist wirklich nicht mehr weit und dann können wir uns beide ausruhen. Ich bin auch nicht mehr die Jüngste und außerdem viel kleiner als du. Also komm schon, umso schneller können wir uns ausruhen.“ Kuranosuke rollte leicht mit den Augen. Er konnte schlecht wissen, dass Tinkermon schon mehrere Zentausendjahre hinter sich gebracht hatte – jedenfalls in der digitalen Welt. So erhob er sich und folgte dem kleinen Licht ohne weiteres Murren oder Beschwerden. Tatsächlich dauerte es kaum mehr als ein paar Minuten bevor der Weg die beiden Reisenden in eine weitere Einbuchtung, ähnlich einer Grotte führte. Das Licht war ungewöhnlich bläulich an diesem Ort in dessen Mitte eine Art Altar stand. Kuranosuke sah sich fasziniert um. Ein solches Azurblau erblickten seine Augen zum allerersten Mal. Das helle Blau ging vom Kristall des Altars aus, eine Tatsache die den Jungen insgeheim zum Schwärmen brachte. Tinkermon flog auf den Altar zu, setzte sich nieder und sah nach unten so als hätte er ein Loch. Kuranosuke blieb im Höhleneingang stehen um zu beobachten was sein Begleiter womöglich herausfand. Tinkermons kleines Antlitz klarte auf und es klatschte in die Hände: „Sehr gut! Meine Intuition täuscht mich eben doch nicht.“ „Was hast du gefunden?“, wollte er wissen. „Na wovon rede ich denn schon seit langem ganze Buchserien? Erinnerungen natürlich!“, entgegnete das Digimon heiter und tanzte auf dem Altar herum. Kuranosuke rollte mit den Augen während er sich in Bewegung setzte. Natürlich konnte er sich bereits denken um was es sich handelte, doch was für Erinnerungen wäre für ihn in diesem Moment relevant gewesen. „Es sind deine. Du kannst sie dir ansehen wenn du möchtest“, fuhr Tinkermon fort. Es trat ein wenig zur Seite als der Junge an den Altar getreten war und nun fiel es auch ihm auf, dass in diesem glitzernden, blauleuchtenden Gebilde ein Becken voll klarem Wasser platziert war. Der erstaunte Blick des Jungen traf Tinkermons aufgeweckte Augen. „Du fängst schon an wie ein Mensch zu denken. Kuranosuke, das hier ist die Digiwelt. Hier verläuft nichts nach einer Logik, die dem Menschen als wirklich logisch erscheint. Sieh hinab in den Altar und du wirst sehen. Du wirst sicher Dinge sehen, die dir nicht gefallen werden denn in deinem kurzen Leben sind nicht unbedingt die Begebenheiten besonders glücklich gewesen. Also… sieh zu, wir haben nicht bis ans Ende dieser Welt Zeit“, erklärte das Digimon und ließ den Jungen nun in Ruhe sehen was der Altar ihm zeigen wollte. In Kuranosukes Magengegend breitete sich ein mulmiges Gefühl aus. Eine innere Stimme, welche womöglich von Tinkermon selbst heraufbeschworen worden war, sagte ihm dass er sich beeilen sollte und der Wahrheit ins Auge blicken musste. Auf der anderen Seite klang diese innere Stimme bedrohlich und Kuranosuke erkannte auch den Grund für diesen Eindruck. Es musste dieses Etwas sein, dass in ihm rebellieren und kämpfen wollte. Jedoch nun da er ein Mensch war, musste er doch schließlich versuchen es im Zaum zu halten. Bevor Tinkermon ihn allerdings erneut drängen konnte, wandte er seinen Blick in das Becken hinunter dessen Oberfläche ebenso defus hin- und her wankte wie der Himmel, den er am Strand erblickt hatte. Als seine Augen das kristallklare Wasser erblickten, trübte es sich binnen eines Bruchteils einer Sekunde ein. Die milchige Farbe erschien wie ein Traum, der dem Jungen sogleich einen weiteren Traum zeigte. Kuranosuke traute seinen Augen kaum. Als auch der weiße Nebel sich lichtete, gab dieser die Sicht auf eine Welt frei, die ihm sehr bekannt vorkam und die er doch noch nie betreten hatte. Es sei denn, dieses Meer der Erinnerungen gehörte zu jener Welt. Die Lage schien ernst zu sein, denn dort standen Wesen, die ihm ähnlich sahen. Die Gestalt ihrer Körper und auch die Höhe waren ihm ähnlich und so musste Kuranosuke einsehen, dass er wohl tatsächlich schon einmal von ihnen gehört haben musste, denn sonst existierte die Idee von ihnen nicht in seinem Gedächtnis. Es gab also doch Leute wie ihn, Menschen, so wie Tinkermon Kreaturen nannte und um sie herum befanden sich Wesen wie Tinkermon in den buntesten Farben und erdenklichsten Erscheinungsformen. Es waren genau sechs von diesen Menschen dort und Kuranosuke bekam das Gefühl sie alle irgendwoher zu kennen. Ein Kind der Hoffnung gab es und eine Jägerin des Lichtes. Das Band der mutigen Freundschaft hatte sich mit dem der freundlichen Dunkelheit verbunden und bei ihnen stand auch die aufrichtige Saat der Liebe. Der Kleinste unter den Menschen war der verlässliche Kelch der Weisheit. Kuranosuke konnte ihre Worte nicht genau verstehen, aber ihre Gesichter verrieten ihm, dass sie sich in einem Kampf befanden. In einem Kampf mit zwei Menschen, die keine wirklichen waren. Zwei Menschen die sich nur als solche Wesen tarnten und sich auch in dieser wundersamen Digiwelt mit einem Truck fortbewegten. Außerdem befand sich noch jemand auf dem Plan… Der Aschekrieger. Kuranosuke traute seinen Augen kaum. Er befand sich auch bei ihnen. Bei den Digirittern und auch bei denen, die der Ursprung seiner Existenz waren. Diese beiden Wesen, die weder so waren wie Tinkermon noch so waren wie die Digiritter hatten auch ihn gemacht. Den Aschekrieger in der Gestalt eines gewaltigen, schwarzen Digimon. Sie nannten ihn BlackWarGreymon, denn anders als alle anderen Digimon bestand er nicht aus den reinen Daten dieser Welt, sondern aus einhundert schwarzen Türmen. BlackWarGreymon war wütend, sehr wütend sogar und eben dieselbe Wut flammte auch in Kuranosukes eigenem Herzen wieder auf. Sie hatten sich bekämpft. Die Digiritter und er waren Feinde. Ebenso wie die Quelle seines Lebens seinen Feinden gleichkamen, denn anders als diese falschen Digimon es wollten, glaubte BlackWarGreymon – er – nicht daran, dass es seine Bestimmung war ihren Befehlen zu folgen. Kuranosuke erinnerte sich. Er suchte nach einem Grund für sein Dasein. Eine Bestimmung, die sein Herz erfüllte und die große Frage ob auch ein Wesen wie er, jemand der weder Digimon noch Mensch war über eine Seele verfügte. Die Bestimmung des Aschekriegers… Er zerstörte die heiligen Steine des Qinglongmon um diese Welt zu vernichten. Das sollte er tun und das würde er wohl bis an sein Lebensende weiter verfolgen, nur warum war Kuranosuke dann ein Mensch geworden, wenn er die Digiwelt vernichten sollte. Was für einen Sinn hatte es ihm die wehrloseste Hülle aller Zeiten zu geben? „Mein Lebenssinn ist es, diese Welt zu vernichten Tinkermon“, murmelte Kuranosuke schließlich, der aus Enttäuschung das Interesse daran verlor weiter in diesen Traum hineinzusehen. Tinkermon, welches noch immer an seiner Seite stand, ließ sich nun auf seinem Kopf nieder und beugte sich nach vorn um in Kuranosukes Gesicht zu sehen: „Bist du dir sicher? Ich bezweifle, dass die Digiwelt dich wieder aufleben lässt damit sie sich selbst in Gefahr bringt.“ „Was ist, wenn diese Leute mich wiederbelebt haben, dann doch wahrscheinlich um diese Welt zu vernichten, oder?“, stritt Kuranosuke ab und ließ sich auf den Boden nieder. Welch langweiliges Schicksal ihn da ereilt hatte. Zerstörung sollte er verbreiten, nichts weiter. „Glaube ich nicht.“ „Ach ja? Wieso bist du dir so sicher?“, harkte Kuranosuke nach. „Ganz einfach, wenn die Macht der Dunkelheit auf deine Hilfe angewiesen wäre, dann hätte ich dich wohl kaum gefunden. Ich stehe nicht mit der Macht der Dunkelheit in Verbindung und das bedeutet, dass dein Schicksal nicht sein sollte diese Welt zu vernichten. Glaub mir, Kuranosuke-chan, ich bin hier um dich auf den richtigen Weg zu bringen. Also sei jetzt ein braver Junge und schau wieder in deine Erinnerungen hinein. Immerhin haben wir nicht ewig Zeit.“ Die Worte des Digimon überzeugte Kuranosuke nur bedingt. Vielleicht lagen seine Zweifel an seiner momentanen Gestalt. Wenn er sich richtig erinnerte, dann waren Menschen voller zweideutiger Gefühle, die sich ständig miteinander stritten. Der Junge spürte es genau, einerseits wollte er Tinkermon glauben und vertrauen. Auf der anderen Seite hatte sich bereits das Misstrauen in die eigene Form und die eigenen Absichten tief in sein Herz eingenistet. Kuranosuke war kein Mensch und er war auch nie ein Digimon gewesen. War er überhaupt in der Lage jemanden zu vertrauen? Kuranosuke stieß einen tiefen Seufzer aus. Was hatte er schon zu verlieren? Damit fasste er sich en Herz und blickte erneut hinunter in das Becken, welches mit seinen eigenen Erinnerungen angereichert war. Als nächstes erkannte er ein Digimon, dass zu einer anderen Version seines Selbst zu werden vermochte. Agumon war vielleicht so etwas wie ein Freund gewesen auch wenn sie miteinander gekämpft hatten. BlackWarGreymon hatte es für seine Bestimmung gehalten zu kämpfen und die heiligen Steine zu zerstören. Die Zerstörung dieser Steine fiel selbstverständlich in den Plan seiner Erschaffer und dennoch machte dieses kleine Agumon ihm klar, dass es nicht der einzige Sinn seines Daseins war. Kuranosuke sah in den folgenden Minuten vieles das schön war und vieles das voll Grausamkeit erschien. Doch letztendlich musste Kuranosuke erkennen, dass Tinkermon Recht behalten hatte. Er sah sich selbst, wie er den Wesen half, die er selbst bekämpft und als Feinde eingestuft hatte. Kuranosuke sah in die Gesichter jedes einzelnen Digiritter und dessen Partners. Sie wollten für den Erhalt dieser Welt kämpfen und tatsächlich fühlte er tief in seiner Seele, dass es richtig war ihnen zu helfen und sie zu unterstützen. Er opferte sich. Er verband sein eigenes Leben, seine Lebensenergie mit dem Tor zur Digiwelt. BlackWarGreymons schwarze Rüstung und die Gestalt in der er erschienen war, verging in die unzählbaren Pixel seiner Existenz. Auch wenn er sich selbst nicht mehr zu sehen vermochte. Kuranosuke spürte doch ein vertrautes Empfinden. Ein Gefühl mit den vielen Kriegern dieser Welt in Verbindung zu stehen. Der Junge, damals noch ein Digimon und nun ein Siegel. Er vereinte sich mit den Großen und auch mit den Digirittern und deren Partnerdigimon. Kuranosuke erkannte nun, dass Tinkermon Recht behalten hatte. Er sollte diese Welt icht vernichten. Nein, er war an den Strand gespült worden, weil er wissen wollte wieso er nicht mehr zu diesem System gehörte. Warum er ausgerechnet die Erinnerung an einen Menschenkörper bei sich behalten hatte, wusste er selbst nicht, doch diese Idee verhalf ihm zu einer neuen Chance. Atemlos wandte sich der langhaarige Junge vom Becken ab und betrachtete seine Hände. Zweifelsohne mit diesen Händen sollte er sich nützlich machen, aber wie? Wieso gehörte er nicht mehr zu diesem Ganzen? Er war doch all die Jahre so glücklich gewesen endlich von Nutzen zu sein. „Das ist genau das, was ich hinausfinden möchte, Nagisa Kuranosuke“, erklärte Tinkermon, so als habe sie seine exakten Gedanken lesen können. „Wer hat mich aus meiner Aufgabe herausgerissen, Tinkermon? Und wieso bin ich nicht gleich als BlackWarGreymon wiedergeboren worden?“, freagte Kuranosuke verwirrt, „Wie soll ich denn mit dir kämpfen wenn ich ein Mensch bin?“ Tinkermon kicherte: „Deine Erscheinung hast du dir selbst ausgesucht. Was das andere angeht, so glaube ich dass du nicht als ein Digimon wiedergeboren werden konntest, weil du nie über ein anderes Level verfügt hast als das Megalevel. Als welches Digimon hättest du wiedergeboren werden sollen frage ich mich?“, antwortete Tinkermon. Kuranosuke zuckte mit den Schultern als Antwort. Selbstverständlich kannte er keine Antwort auf diese Frage. Es machte auch keinen Sinn nach einer Antwort zu suchen. Welche Frage allerdings einer Aufklärung bedurfte wusste Kuranosuke ganz genau. „Tinkermon, wir müssen herausfinden warum das Siegel geschmolzen ist, richtig? Gibt es einen Weg es herauszufinden?“, wollte der Junge aufgeregt wissen, „Und vor allem, wie kann ich dich unterstützen, jetzt da ich kein Digimon mehr bin!?“ Tinkermon bedachte ihn mit einem eindringlichen Blick. Nagisa Kuranosukes goldgelbe Augen leuchteten vor Entschlossenheit. In ihm brannte zweifelsohne ein heißes Feuer, welches seine Seele ergriff. Er mochte wie ein Mensch aussehen und sich nur noch menschlichen Kräften bedienen, aber letztendlich brannte die Seele eines Digimon in ihm. Die kleine Fee brachte ihm ein überlegenes Lächeln entgegen: „Fürwahr gibt es einen Weg dich wieder kämpfen zu lassen, Nagisa Kuranosuke, die Frage ist in wie weit wir Zeit haben diese Methode auch bewerkstelligen zu können. Unsere Priorität ist nun eine andere, lass uns zuerst herausfinden was mit dem Tor zur Digiwelt passiert ist.“ Kuranosuke nickte. Vermutlich behielt Tinkermon Recht und sie mussten zunächst herausfinden warum sie sich hier in einer fleischlichen Hülle befanden. Dem Jungen machte es kaum etwas aus nicht zu wissen in welcher Position Tinkermon eigentlich stand, insgeheim spürte er, dass es einen tieferen Sinn haben musste, dass er auf dieses Digimon getroffen war. „Du kannst wieder laufen, nicht wahr?“, wollte es wissen, „Wir können uns viele lange Pausen nicht leisten.“ Die beiden Wanderer im Meer der Erinnerung traten aus der kleinen Grotte wieder hervor und wandten sich eines anderen Weges zu. Die Dunkelheit in diesen Gängen ließ keinesfalls nach und trotzdem bekam Kuranosuke immer mehr das Gefühl sich besser in diesen Gefilden zurechtzufinden und besser sehen zu können. Vielleicht bildete er sich auch nur ein dass sein Sehen sich verbesserte, denn die Erkenntnis in Wahrheit so etwas wie ein Digimon zu sein gab ihm unglaublich viel Mut. Die geschlungenen Windungen des Gedächtnisses folgend gab vergaß Kuranosuke auch schnell die Schwächen seines Körpers. Natürlich wurde er nach Stunden wieder müde, doch er wollte nicht eher ruhen bis er hausgefunden hatte, was vor sich ging. Diesem Verlangen folgte auch Tinkermon und während sie unendliche Felstunnel entlang gingen, breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus: „Die Digiwelt besteht nicht nur allein aus Daten. Sie besteht auch aus den Träumen und Wünschen der Menschen und der Bewohner der Digiwelt.“ Die Augen des Anderen weiteten sich und schrumpften vor Überraschung, doch gleich darauf leuchteten sie vor Freude auf und er nickte zuversichtlich. Es war nichts zu sehen bis auf die dunkle Wand die sie immer wieder niederrissen. Sie sprachen nicht viel und vor ihnen tat sich auch kein neuer Raum auf. Wie viel Zeit genau verstrich spielte für niemanden eine Rolle, doch nach einer gefühlten Ewigkeit geschah endlich etwas. Ein ohrenbetäubender Knall verbunden mit einer gewaltigen Erschütterung die einem schweren Erdbeben gleich kam. „Kuranosuke-chan, ist alles in Ordnung!?“, Tinkermon sah sich um und warf den Jungen sofort zur Seiten. In dem Moment als sie sich umgesehen hatte, erblickte sie zwei gewaltige Lichtkugeln auf sie beide zufliegen. Die Hitze war bereits von weitem zu spüren und die Luft flimmerte in der Ferne. „Wow verdammter Mist…!“, murmelte das kleine Digimon, denn sie sah ein, dass sie unter keinen Umständen diese Wucht aushalten konnte, egal wie sehr sie sich bemühte, „Dann gibt es nur eines zu tun. Spirit Evolution!“ Kuranosuke sah auf, aber er konnte nicht erkennen was es mit Tinkermons Worten auf sich hatte. Sehen konnte er ebenso wenig, aber eines war ihm binnen kurzer Zeit bewusst. Ein Digimon hatte niemals nur eine Form der Erscheinung. So verhielt es sich auch mit Tinkermon, welches die beiden Energiepakete mit einer Leichtigkeit abgewandt hatte. „Tinkermon?“ „Nein, ich bin auf das Ultralevel zu Shuutsumon digitiert“, sprach das geflügelte Monster, „Ich kann meine finale Stufe momentan nicht erreichen, aber wir haben wohl Glück gehabt. Der Angriff kam von einem Digimon, das wohl auf dem gleichen Level ist wie ich… oder zumindest genauso stark ist.“, entgegnete das Wesen, wobei es sich bereit hielt dem fremden Wesen gegenüber zu treten. Tatsächlich kam es in Sichtweite. Ein schreckliches Monster welches die Form eines Skeletts hatte. „SkullSatamon!?“, murmelte Shuutsumon, doch erhielt es keine Antwort. Es wirkte so als könne dieses Digimon sie weder sehen noch richtig reden. Shuutsumon gab Kuranosuke ein Zeichen ihm leise und unauffällig zu folgen. Das Digimon, welches Kuranosukes Begleiter als SkullSatamon identifizierte, zog an ihnen vorbei und verschwand gleich darauf wieder in einer versteckten Grotte. Ohne dass Kuranosuke danach fragte was sie nun tun sollten, wies ihm das Digimon zum Folgen auf: „Merkwürdig. Seine Attacke war physisch aber uns hat es nicht gesehen. Ich schätze dahinten finden wir noch mehr Erinnerungen, aber ich kann nicht dafür garantieren, dass wir nicht noch kämpfen müssen. Oder… zumindest ich. Für dich wäre es besser im Falle eines Kampfes dich zurückzuhalten.“ „Was du nicht sagst…“, murmelte Kuranosuke leise als Antwort, worauf er dem Ultraleveldigimon folgte. Als es um die Ecke bog, um in die nächste Kammer zu gelangen, mussten beide feststellen, dass SkullSatamon verschwunden war. Kuranosuke schüttelte sich merklich da es ihm kalt über den Rücken gelaufen war. „Solche Dinge geschehen normalerweise nur in Gruselgeschichten, stimmt’s?“, bemerkte das riesige Digimon nun und zwinkerte dem Jungen zu. Dieser ließ ein abfälliges Geräusch hören: „Ich kenne keine Gruselgeschichten. Ich lebe schließlich erst seit ein paar Stunden, schon vergessen?“ Shuutsumon schmunezlte: „Natürlich. Der große Aschekrieger kennt keine Furcht.“ Die beiden bewegten sich auf den Altar zu, der eine exakte Kopie des Heiligtums in der anderen Kammer war. Lediglich das Wasser in diesem Becken verwehrte die Sicht auf den Grund. Es hatte eine sandige Farbe und ließ vermuten, dass die Erinnerung vielleicht sehr alt oder ziemlich schmutzig war. Shuutsumon, welche nun doppelt so großgewachsen war wie Kuranosuke, beugte sich über das Becken. Der Junge tat es dem Digimon gleich, wobei beide das Gefühl bekamen in den Altar hineingesogen zu werden. Sie spürten eine Wand aus Hitze auf sich zukommen. Keine Sommerhitze, die man im Freien genießen konnte, aber auch keine Feuersbrüste konnte man mit diesen erbarmungslosen Temperaturen vergleichen. Sie kroch dem Digimon und dem Jungen gleichermaßen unter die Haut bis ins Herz hinein und dort erkannten sie was es wirklich war: Hass. Der Hass eines Digimon loderte wie eine Flamme in der Digiwelt und dennoch befand es sich nicht in dieser Welt. Es war woanders und wo auch immer es sich befand, es rebellierte gegen die Barrieren und Grenzen die es momentan im Zaum hielten. Kuranosuke versuchte zwischen dem Brüllen des Infernos Worte zu verstehen, doch dies gelang ihm nicht. Ein Blick zu Shuutsumon verriet ihm, dass auch das Digimon große Probleme damit hatte zu verstehen was los war. Die beiden Wanderer konnten sich kaum noch frei bewegen, so als ob der Sog des Altars ihnen auch die Möglichkeit nehmen wollte vor den grausamen Ereignissen zu fliehen. Mit jeder Minute nahmen der Hass und die Raserei desjenigen weiter zu, der an diesem Ort verbannt war. Dunkle Worte drangen an die Ohren der beiden Spione. Worte, die niemals hörbar ausgesprochen waren und doch im Herzen verstanden werden konnten. Kuranosuke schauderte es noch mehr als zuvor. Zweifellos handelte es sich bei dem Gefangenen um ein Digimon und dieses gehörte nicht zu denen mit denen man sich ungestraft anlegte. „Shuutsumon… kann es sein dass…“, fragte Kuranosuke atemlos. Er kannte den Ort nicht, an dem man das Digimon verschlossen hielt. Es wohnte nur eine Ahnung in ihm. Das menschliche Vogeldigimon nickte zunächst schweigend um die stummen Worte besser analysieren zu können. Das Geschrei des hasserfüllten Digimon, brachte nun auch Shuutsumon dazu nervös zu lachen: „So sieht es aus, Kuranosuke-chan, aber mit Wut allein kann man sich nicht von den Ketten des schwarzen Turmes befreien. Ansonsten wäre Dagomon schon längst geflohen.“ „Dagomon!?“, die tobende Stimme brüllte die Spione direkt an, „Dagomon habe ich gefressen und nun! Nun! Bin ich stärker, viel stärker!“ Shuutsumon und Kuranosuke tauschten vielsagende Blicke miteinander aus. Es war kaum zu glauben, dass sie direkt mit einer Erinnerung kommunizieren konnten. „Wer bist du?“, fragte das Digimon. „Ich bin einer der großen Sieben. Zwar noch eingeschlossen in Dagomons Meer, dem Meer der Dunkelheit, aber ich bin nicht allein. Vergessen haben sie, dass es in diesen Welten nicht nur um physische Gesetze geht.“ „Demon!“, brachte das gefiederte Digimon hervor, „Einer der großen Dämonenlords hat sich wegsperren lassen? Ich frage mich von wem es sich so hat demütigen lassen.“ Shuutsumon wusste, dass es provozierte. Es handelte sich um eine Erinnerung, also war es Demon im Augenblick nicht möglich anzugreifen. Schon gar nicht, sollte es sich noch immer in Dagomons Meer befinden. „Nimm den Mund nicht zu voll, ich bin nicht allein. Mein Hass brennt bis zur Firewall und wieder zurück“, krächzte Demons gehässige Stimme, „Die Fegefeuer der Firewall flammten auf und brennen nun unaufhörlich weiter. Sie haben jemanden geweckt, der es mir ermöglicht zurückzukehren um die Welt mit Schatten und Dunkelheit zu überziehen. Selbst ihr könnt den Lauf des Schicksals nicht verändern.“ Mit den Worten Demons traten Bilder in die Köpfe der beiden Beobachter. Sie sahen die Firewall hinter dessen Grenzen es längst vergangene Kreaturen gab, die sich nicht befreien konnten. Doch sprühten die Gluten über und lenkten die Sicht auf ein weiteres Meer hinunter. Kuranosuke starrte auf den Fleck an dem der Feuerball herniederging und mit wütendem Zischen versiegte. „Was ist das? Dieses beklemmende Gefühl…“, murmelte Kuranosuke, dessen Körper von Angst und Schrecken erfüllt war. „Das ist der Netzozean. Kein besonders einladender Ort, wenn du mich fragst und wenn Demon sich dorthin wendet, dann verspricht das mit Sicherheit keine Sommerferien“, entgegnete Shuutsumon wachsam, aber es machte keinen verängstigten Eindruck. Trotzdem klang die Stimme des Digimon ernst. Aus dem Ozean heraus dröhnte eine träge Stimme, so als habe man sie aus einem langen Winterschlaf geweckt. „Ganz schön in der Klemme steckst du“, in der Stimme lag ein spöttischer Unterton, „Amüsant wie sehr du dich dort hinten abstrampelst und die Grenze nicht durchbrechen kannst.“ Die Antwort blieb aus, der brennende Hass gewann an Deutlichkeit. Erneut lachte die träge Stimme, worauf das Wasser des Netzozeans zu brodeln begann: „Gemeinsam reißen wir die Grenzen ein, Demon, wenn du mir nur aus meinem Gefängnis hilfst. Nimm das Meer mit und nimm den Turm mit, denn nur mit deren Hilfe werden die Digiwelt und die reale Welt schon bald zu einer einzigen Welt der Dunkelheit verschmelzen.“ Das Brodeln wurde stärker und die Wellen fingen an zu schäumen da der Netzozean zu kochen begann. Die Energie sammelte und konzentrierte sich zusehends, worauf Shuutsumon einen der Flügel um Kuranosuke legte und ihn an sich drückte. „In Deckung!“, rief sie, denn die Hitze wirkte so bedrohlich als sei sie physischer Natur. Tatsächlich verhielt es sich bei dieser Erinnerung ebenso wie bei dem Energieballen des SkullSatamon. Um ein Haar verfehlte der brodelnde Energiestrahl das Digimon und den Menschen, worauf es mit der Geschwindigkeit des Schalls schnurstracks in den Himmel schnellte und ein Loch in den Horizont ätzte. Kuranosuke hielt sich die Arme vor den Kopf um sich vor dem kochenden Wasser zu schützen. „Kuranosuke, schau! Sieh es dir gut an, die Mächte denen wir uns stellen müssen“, sprach Shuutsumon leise und rüttelte ihn auf. Der Junge öffnete seine Augen eher ängstlich, beinahe verunsichert, denn er spürte wie Kraft aus seinem Herzen entwich. Er hielt sich an dem Digimon fest und starte auf das Loch, welches immer größer wurde und die Sicht auf ein schwarzes Meer freigab. „Ich nehme an, dass du es gespürt hast. Dies war der Augenblick an dem die Versiegelung der Digiwelt geschmolzen ist und du als Restdaten gesammelt wurdest“, rief Shuutsumon gegen die Druckwelle an, die sie erfasste und wegzuschleudern drohte. „Shuutsumon, was heißt das jetzt? Was sollen wir tun?“, wollte Kuranosuke aufgebracht wissen. „Wir müssen in die reale Welt, Kuranosuke-chan. Wir müssen in die reale Welt, auch wenn du noch nicht kämpfen kannst. Wir müssen einen Weg finden um den Digirittern beizustehen“, erklärte Shuutsumon, „Wir werden kaum auffallen und so erscheinen als seist du wie die anderen ein Digiritter und ich als Tinkermon dein Digimonpartner.“ „Aber ich kann nicht kämpfen… so als Mensch…“, bemerkte Kuranosuke während er von seinem Begleiter zurückgezogen wurde. Ein bekümmertes Lächeln zeichnete sich auf dem Gesicht des Digimons ab: „Wir haben keine Wahl. Die Zeit ist im Augenblick unser größter Feind. Immerhin wissen wir, dass sie es auf die Digiritter abgesehen haben.“ „Nachdem wir in die Grotte zurückgelangten wanderten die Erinnerungen freier im Meer der Erinnerung umher. Auf der Suche nach meiner Rüstung trafen wir auf die Bestie namens Kimeramon und jemanden, der so ähnlich war wie ich. Sie jagten uns und wir mussten fliehen. In einer weiteren Grotte fanden wir ein Tor zur Digiwelt, das durch eine Art Puzzle geöffnet werden kann. Kimeramon konnte es durch seinen Meister nutzen und verschwinden, gleich darauf nahm ich es in mir auf um die Macht zu erlangen selbst mit den Phasen zu spielen. Das Problem war letztendlich, dass Kimeramon bereits in die reale Welt geflohen war“, berichtete Kuranosuke während ihm die entsetzten und gleichermaßen faszinierten Blicke der umstehenden Digiritter entgegenstarrten, „Tinkermon besitzt außerdem die Fähigkeit die Erinnerungen anderer Menschen zu verändern, nur gelang uns das bei Motomiya Daisuke, Yagami Hikari und Ichijouji Ken nicht.“ Taichi war der erste, der sich wieder fasste und dazu in der Lage war etwas zu sagen: „Heißt das etwa… Nagisa Kuranosuke, d-du bist… BlackWarGreymon!? Das BlackWarGreymon von damals?“ Kuranosuke nickte stumm. Eine Verwirrung ging durch die Gruppe, doch eines war ihnen allen klar geworden: sie hatten es mit einem übermächtigen Feind zu tun. Nein, es war nicht ein Feind, es stellten sich ihnen mehrere entgegen. Fortsetzung folgt Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)