Priorities von lunalinn (Side-Story (Hands of blood)) ================================================================================ Kapitel 4: Cursing ------------------ Am nächsten Morgen war Übelkeit das Erste, das er fühlte…und da er verhältnismäßig wenig getrunken hatte, schob er es auf die Fruchtsäfte. Es hatte einen Grund, dass er lieber Whisky trank, der bekam ihm besser. Andererseits spürte er den schneller und deutlicher, wenn er sich mal etwas mehr genehmigte. Außerdem hatte es sich eingebürgert, dass sie des Öfteren mit einem Glas besagten Getränks auf Hashiramas Couch saßen und damit den Abend einleiteten. Der Gedanke daran sorgte nur dafür, dass sich sein Magen noch mehr verkrampfte. Madara schlug die Augen auf, blinzelte einmal, während er an die weiße Wand schaute. Hinter ihm regte sich jemand, lehnte sich noch etwas mehr an seinen Rücken und er spürte warmen Atem an seiner nackten Haut. Das leise Gemurmel war nichts Neues für ihn und eigentlich hatte er sich immer darüber lustig gemacht. An diesem Morgen konnte er es nicht amüsant finden, dafür lag seine Laune viel zu tief im Keller. „Mh…bist du wach?“, hörte er ihn gegen seinen Rücken nuscheln. Lediglich ein Brummen kam von ihm zurück, doch dem Anderen schien das zu reichen. Das Bett war weder so breit, noch so komfortabel, wie es in Madaras Wohnung der Fall war. Eigentlich war es sogar ein bisschen eng, gerade wenn man zu zweit darin lag – doch der Andere hatte gemeint, dass er ihn nicht auf der Couch pennen lassen konnte. „Nii-san?“ Madara hörte die Bettdecke rascheln, als sich der Jüngere aufsetzte und sich vermutlich dabei streckte. „Willst du Frühstück?“ Madara schnaubte leise, rieb sich einmal über die Augen, ehe er sich auf den Rücken drehte und einen Blick zu seinem Bruder warf. Die Ähnlichkeit zwischen ihnen war nicht zu leugnen, vor allem da sie beide mit ihrer widerspenstigen Mähne zu kämpfen hatten. Izunas Kopf sah aus, als hätte er in eine Steckdose gefasst und seine längeren Strähnen befanden sich nur noch zur Hälfte in dem Zopfband. Obwohl er mit seinen 37 Jahren längst erwachsen war, wirkte er durch die großen, dunklen Augen und seine weichen Züge immer noch wie ein Jüngling. „Hast du eine neue Freundin?“ Izuna grinste ihn verschmitzt an, sich wohl bewusst, dass sein Kühlschrank in Single-Zeiten meistens leer war. „Vielleicht?“ Izunas Beziehungen unterschieden sich von Madaras nicht nur in der Hinsicht, dass er ausschließlich aufs weibliche Geschlecht stand. Im Gegensatz zu ihm war er relativ anständig und hatte, abgesehen vom großen Bruder, nichts zu verbergen. Wobei Izuna eigentlich nie ein Geheimnis aus ihm machte, sondern ihn bei jedem neuen Versuch vorstellen wollte. „Kaffee würde schon reichen“, umging er das Thema und Izuna nickte, stieg aus dem Bett. „Ich gehe eben duschen, danach kannst du und ich mach uns in der Zeit was fertig. Einverstanden?“ „Hm…“ Madara schloss die Augen wieder, als sein Bruder das Zimmer verlassen hatte. Es war eine Weile her, dass er über Nacht hier geblieben war. Gestern war ihm danach gewesen und Izuna würde ihm nie die Tür vor der Nase zuschlagen. Etwas, das auf Gegenseitigkeit beruhte. Für seinen kleinen Bruder hätte Madara alles stehen und liegen gelassen, das war immer so gewesen. Sie hatten vermutlich noch mehr Halbbrüder als nur Fugaku, so wie er seinen Vater gekannt hatte, aber niemand war ihm derartig wichtig wie Izuna. Er würde nie vergessen, wie er den Wurm das erste Mal halten durfte. Tajima hatte schon damals kein besonderes Interesse an dem Jüngeren gezeigt, denn dieser war viel zu früh auf die Welt gekommen und dementsprechend winzig gewesen. Es war eine komplizierte Geburt gewesen, die ihre Mutter nicht überlebt hatte, doch das war nicht der Grund für die Gleichgültigkeit ihres Vaters gewesen. Izunas Immunsystem war gerade in den ersten Jahren so schwach gewesen, dass er ständig mit irgendwelche Krankheiten zu kämpfen gehabt hatte. Auch heute war er noch sehr anfällig und es beunruhigte Madara nicht weniger als damals. Er war viel zu zart für die Arbeit im Untergrund gewesen, doch insgeheim war Madara sogar froh darüber. Dadurch, dass Izuna nie im Fokus ihres Vaters gestanden hatte, hatte er sich sein eigenes Leben aufbauen können. Madara war es lieber gewesen, alles allein zu schultern, als seinen Bruder in der Schusslinie zu wissen. Auch wenn er die Berufswahl seines Bruders nicht wirklich nachvollziehen konnte, ließ er ihm freie Hand in seinen Entscheidungen. Madara wollte sich gerade auf den Rücken drehen, als ihm das seltsame Gefühl, beobachtet zu werden, auffiel. Im selben Moment spürte er ein Ziepen an seinen Haaren und hörte eine Art…Schmatzen? Er knurrte leise, warf dabei einen Blick nach hinten, wo ihm ein finsteres, gelbes Augenpaar begegnete. Madara hatte nie verstanden, warum sich Izuna von allen Katzen dieser Welt ausgerechnet diesen kleinen Mistkerl aus dem Tierheim angeschafft hatte. Genüsslich kaute der Kater auf seinen Haaren herum, zog daran, als würde er sie ihm ausrupfen wollen. Er wollte das Tier gerade anzischen, als von der anderen Seite ein zartes Maunzen ertönte. Die weiße Katze blinzelte ihn aus ihren blauen Augen an, ehe sie einen Satz aufs Bett machte und sich ohne Scheu schnurrend an seine Brust kuschelte. Seufzend kraulte Madara sie im Nacken, woraufhin das Schnurren noch lauter wurde. Wunderbar. Vielleicht sollte er von seinen Affären auf Katzen umsteigen – die konnten einen wenigstens nicht sitzen lassen. Wenn er allerdings bedachte, dass ihm das andere Exemplar gerade mit seinem Fischatem die Haare vollsabberte…nein danke. Aber natürlich hielt sich sein Bruder Haustiere…schließlich behandelte er die Viecher beruflich. Tierarzt…obwohl, irgendwie passte es ja doch zu ihm. Er warf wieder einen Blick über die Schulter, versuchte den schwarzen Kater wegzuschieben – woraufhin Kuro mit den Krallen nach ihm schlug. „Drecksvieh…“, entkam es ihm trocken. Der Kater knurrte leise zur Antwort, wovon sich Shiro allerdings nicht beeinflussen ließ. Die weiße Katze hatte sich bei ihm zusammengerollt und genoss die Streicheleinheiten. Was für ein Morgen... „Also, Nii-san…wann wirst du noch mal mit ihm reden?“ Es war nicht unbedingt das, worüber er sprechen wollte, doch sein Bruder würde ihm vermutlich keine Wahl lassen. Missmutig löste er sich vom Anblick der beiden unterschiedlichen Katzen, die soeben gierig ihr eigenes Frühstück vertilgten, und wandte sich Izuna zu. Dieser saß ihm gegenüber, sah nun, nachdem er geduscht hatte, wie das blühende Leben aus, wohingegen sich Madara trotz Dusche nicht besser als am Vortag fühlte. Vielleicht hätte er Izuna verschweigen sollen, dass Hashirama ihn abserviert hatte...wobei, er hätte sowieso gemerkt, dass was nicht stimmte. „Da gibt’s nichts mehr zu reden.“ Er griff direkt zum Kaffee, goss sich ein, wobei er die restlichen Lebensmittel ignorierte. Sein Bruder hob nur eine Braue, sagte aber nichts dazu, sondern bediente sich am Gemüse, während er die Reisschale in der Hand hielt. „Hast du mir nicht gestern erzählt, dass du überlegst, ihn anzurufen? Klang danach, als würdest du ihn ziemlich vermissen…“ „Passt schon“, blockte er die Fragen seines Bruders ab und goss sich etwas Milch dazu. Kein Zucker...er mochte den herben Geschmack, wollte diesen nicht verderben. Außerdem hatte er am letzten Abend genug Süßes gehabt…und wollte nicht unbedingt an diesen Typen denken, den er sitzen gelassen hatte. „Anscheinend ja nicht“, erwiderte Izuna gelassen. „Nicht bei dem Gesicht, das du machst…du siehst aus wie Kuro.“ Madara warf einen kurzen Seitenblick zu dem schwarzen Kater, der vor ihnen auf dem Boden saß und sie aus seinen gelben Lampen-Augen grimmig anstarrte. Das Vieh war ihm nicht geheuer. „Na danke…“ „Jetzt mal im Ernst, Madara“, nahm Izuna das Gespräch hartnäckig wieder auf. „Was ist denn dabei, hm? Ruf ihn an, sag, dass es dir leid tut, dass du so ein Blödmann warst, und-“ „Ich war kein Blödmann“, murrte Madara dazwischen, wurde aber ignoriert. „…und dass er dir fehlt und du noch mal mit ihm reden willst. Du musst ja nicht gleich auf den Knien vor ihm rumrutschen, aber vielleicht ein bisschen…“ „Ich mach gar nichts!“ „…ein bisschen guten Willen zeigen. Zeig ihm, dass er dir halt nicht egal ist.“ „Seit wann bist du eigentlich Beziehungsberater?“, brummte Madara, ohne auf die Worte einzugehen. Leider hatte er sie trotzdem sehr gut verstanden und es zerrte an seinen Nerven, dass er genau das am liebsten getan hätte. Hashirama anrufen und fragen, ob sie noch mal reden könnten. Doch wie würde er dann da stehen? „Seit mein großer Bruder seine Beziehung nicht auf die Reihe bekommt“, erwiderte Izuna und genehmigte sich einen Schluck Tee. Madara lag ein verletzender Spruch auf der Zunge – doch er spülte ihn rasch mit seinem Kaffee runter. Dass Izunas Beziehungen immer einige Zeit hielten, änderte nichts daran, dass sie am Ende jedes Mal in die Brüche gingen. „Ich kann nicht mit ihm reden“, versuchte er, das Gespräch zu beenden. Izuna sah ihn misstrauisch an, ehe er ein Seufzen von sich gab. „Oh man…was hast du getan?“, fragte er resigniert. „Einen Wutanfall bekommen und seine Einrichtung demoliert?“ „…“ „Ernsthaft?“ „Nur zwei Vasen.“ „Nii-san!“ Madara verlor langsam die Lust daran, sich rechtfertigen zu müssen. Schließlich war das nicht alles seine Schuld…Hashirama hätte ihm einfach etwas deutlichere Zeichen geben müssen. Konnte er riechen, dass der Kerl heimlich plante, mit ihm Schluss zu machen, weil er unzufrieden war? Und dann noch mit so einer verfluchten Nachricht per Handy – wie sollte er da bitte nicht ausrasten? „Da ist eigentlich mehr als eine Entschuldigung fä-“ Izuna konnte seinen Satz nicht zu Ende führen, da es in diesem Moment an der Tür schellte. Es war wohl das erste Mal in Madaras Leben, dass er froh über Besuch am Morgen war. Immerhin konnte sein Bruder ihn aus diesem Grund nicht weiter nerven. Als würde er sich nicht schon genug mit diesem Thema rumschlagen. Madara hob eine Braue, als etwas Weißes, Flauschiges auf seinen Schoß sprang und sich dort breit machte. Shiro sah kurz zu ihm hoch, stieß ein leises Maunzen aus und kugelte sich bei ihm zusammen. Zögernd begann er, die weiße Katze zu kraulen – die ließ ihm mit ihrem wehleidigen Blick ja auch kaum eine andere Wahl. Aus dem Flur schallte derweil die laute Stimme einer Frau zu ihnen herüber…anscheinend würde er Izunas neue Flamme schneller kennenlernen, als ihm lieb war. Das hohe Kichern ging ihm jetzt schon auf die Nerven…das würde sicher großartig werden. „Hey! Du musst Izunas Bruder Madara sein! Er hat mir schon so viel von dir erzählt!“ Madara machte sich nicht die Mühe, sich zu erheben, sondern sah starr von der Hand, die ihm auffordernd vor die Nase gehalten wurde, zu der dazugehörigen Person auf. Sein erster Gedanke war, dass sie ziemlich jung aussah – andererseits schätzten die meisten Leute seinen Bruder auf Ende zwanzig. Hübsch war sie zweifellos mit ihrem dunklen Teint und den großen, braunen Augen, die ihm Licht fast schon orange leuchteten. Die grünen Haare fand er dagegen nicht so ansprechend, ebenso wie die Spange, die ihren Pony beiseite hielt. Von der Figur her wirkte sie zierlich, ohne nennenswerte Kurven – und dank dem bauchfreien Top und den eng anliegenden, kurzen Hosen konnte man viel davon erkennen. „Ich bin Fuu! Es freut mich so wahnsinnig, dich endlich kennenzulernen!“ Hielt die auch mal die Klappe? Madara warf ihr einen seiner berüchtigten Todesblicke zu, ehe er ihre zierliche Hand ergriff und diese fester als nötig drückte. Anstatt zu jammern, weitete Fuu überrascht die Augen. „Das ist mal ein Handschlag! Die meisten Männer denken immer, dass sie vorsichtig anpacken müssen, weil ich ein Mädchen bin – völliger Quatsch!“ Sie wedelte mit der freien Hand, schüttelte den Kopf und während Madara sie weiterhin tot zu starren versuchte, unterdrückte Izuna mit Mühe sein Lachen. „Fuu macht in ihrer Freizeit Kampfsport“, teilte er ihm gut gelaunt mit. „Wir gehen einmal die Woche zusammen ins Dojo.“ „Ganz toll…“, brummte Madara und seine Stimme troff vor Sarkasmus. Fuu klatschte einmal in die Hände und strahlte dabei wie ein bescheuertes Honigkuchenpferd. Shiro hob müde den Kopf, blinzelte einmal in die Runde, ehe sie sich wieder einkuschelte. Vermutlich ging ihr diese Fuu ebenso auf den Sack wie ihm. „Nicht wahr? Izuna hat mir erzählt, dass du auch Kampfsport betreibst. Er meint, du bist echt gut…vielleicht magst du ja mal mitkommen?“ Bekam diese Fuu wirklich nicht mit, dass er sie nieder zu starren versuchte? Zu seinem Glück schob Izuna seine Freundin mit einem Grinsen Richtung Stuhl, was sie auch ohne Widerworte mit sich machen ließ. „Madara trainiert lieber allein“, informierte er sie, blieb dabei hinter ihr stehen und streichelte ihre Schultern. „So? Ach, kein Problem!“, erwiderte sie und lächelte ihn an. „Mir macht es mit einem richtigen Trainingspartner mehr Spaß, aber ich bin eh gern unter Menschen.“ „Interessant…“ Er ignorierte Izunas mahnenden Blick; was ließ der die Verrückte auch rein? Immerhin wusste er doch, dass Madara solche aufdringlichen Weiber nicht ausstehen konnte. Verstellen würde er sich bestimmt nicht. „Ich mach dir einen Tee, ja?“, wandte sich Izuna an seine Freundin, die daraufhin dankbar lächelnd zu ihm aufsah. „Du bist ein Schatz!“ Izuna schmunzelte, drückte ihr einen kurzen Kuss auf die Stirn und ging dann Richtung Küche – nicht, ohne Madara noch einen warnenden Blick über die Schulter zuzuwerfen. Der wollte doch, dass das hier schief ging oder? Sonst würde er diese Situation nicht dermaßen provozieren. „Shiro fühlt sich ja richtig wohl bei dir“, hörte er sie sagen. „Katzen sind so niedlich! Ich hätte gern selbst Tiere, aber ich bin immer unterwegs, deshalb lasse ich das lieber. Hast du Tiere, Madara-san?“ Um ein Gespräch kam er wohl nicht herum, aber wenn sie ihn schon so zu textete, würde er ihr wenigstens ein bisschen auf den Zahn fühlen. „Nein“, gab er knapp zurück. „Was machst du noch gleich beruflich…?“ „Ich bin Reporterin“, antwortete sie wie aus der Pistole geschossen. „Deswegen bin ich nicht immer zuhause oder eben spät und-“ „Und für meinen Bruder nimmst du dir natürlich Zeit“, unterbrach er sie kühl. „Oder ist er nur der Lückenbüßer, wenn du Langeweile hast?“ Damit hatte sie anscheinend nicht gerechnet, denn für ein paar Sekunden kam kein Wort mehr aus ihrem hübschen Mund. Verdutzt schaute sie ihn an, suchte wohl nach einer zufriedenstellenden Erwiderung. „Ich hatte bisher nie das Gefühl, dass ich ihn vernachlässige“, murmelte sie und neigte den Kopf. „Wenn es so wäre, könnte er es mir sagen. Wir sind eigentlich recht offen zueinander…und reden viel. Mein Job ist mir wichtig…aber er ist es auch.“ „Aha…und wie lange seid ihr bitte zusammen?“ „Ich glaube, nächste Woche sind es vier Monate“, überlegte sie und Madara fiel kurz aus allen Wolken. Das war ja doch schon eine ganze Weile, hatte er nicht erwartet. Vor allem weil das Mädchen so anstrengend war – sein Bruder war eher der ruhige Typ, der Hektik nicht ausstehen konnte. Was fand er also an dieser Fuu, dass er sie schon vier Monate aushielt? „Wir haben uns in seiner Praxis kennengelernt“, erzählte sie ihm, ohne dass er nachgefragt hatte. „Eine Freundin von mir hat eine verletzte Katze gefunden. Ich wollte sie eigentlich nur begleiten…und na ja, Izuna war so liebevoll…wie er sich um das Tier gekümmert hat…“ Sie lächelte dabei so sanft, dass es Madara den Magen umdrehte; fehlten ja nur noch die Herzchen-Augen. Konnte man innerhalb von vier Monaten dermaßen verknallt sein? Wenn er so darüber nachdachte, wusste er nicht mal mehr, wann es bei ihm angefangen hatte, mehr zu werden. Mehr als eine Affäre…obwohl er anscheinend nie aufgehört hatte, es so zu händeln. Ein Jahr hatte es sicherlich gedauert, vielleicht sogar noch länger. Irgendwann war es einfach normal gewesen, sich öfter zu schreiben…sich jeden verfügbaren Abend zu sehen. Madara war stets ein Freigeist gewesen und Beziehungen hatten ihn meist zu sehr gefesselt, als dass er sich hätte wohl fühlen können. Wie hatte es also passieren können, dass er diesen einen Mann so nahe an sich herangelassen hatte? Das war nie geplant gewesen…und trotzdem war es passiert. Schleichend…und unaufhaltsam. Weil er es gar nicht hatte aufhalten wollen. Dieses Mal nicht. „Er ist ein ganz besonderer Mensch, nicht wahr?“ Madara blickte sie für einen Moment regelrecht entgeistert an, hatte vollkommen den Faden verloren. Das unangenehme Gefühl in seiner Magengrube verstärkte sich noch, als ihm klar wurde, dass Fuu natürlich nicht von Hashirama sprach. Auf seinem Schoß maunzte Shiro leise und stupste seine Hand auffordernd mit der Nase an. „Ja…das ist er“, gab er zögernd zurück und hätte sich dafür am liebsten geohrfeigt. Andererseits konnte er da ja nur zustimmen, immerhin ging es hier um seinen kleinen Bruder. Fuu schaute ihn so glücklich an, dass er spürte, wie sich seine Eingeweide erneut zusammenzogen. Wann kam Izuna mit ihrem blöden Tee zurück? So lange konnte das doch wohl nicht dauern! Als hätte sein Bruder ihn gehört, tauchte er wieder aus der Küche auf, wobei Kuro wie ein König vor ihm her stolzierte. Der schwarze Kater schien mit jedem Menschen dieser Welt auf Kriegsfuß zu stehen – selbst Izuna durfte ihn nur in seltenen Fällen am Kopf kraulen. Alle anderen Stellen seines Körpers waren tabu! Kuro warf erst ihm und dann Fuu lange Blicke voller Verachtung zu, ehe er Richtung Fensterbank schritt und sich auf eben jener platzierte. Wenigstens war er so weit genug weg von ihnen…Madara würde das Vieh nie mögen. „Na, über was unterhaltet ihr euch?“ Izuna blickte neugierig zwischen ihnen her, während er Fuu ihren Tee hinstellte, wofür diese ihm einen Kuss auf die Wange drückte. „Danke, Schatz!“, zwitscherte sie los. „Ich habe Madara-san eben erzählt, wie wir uns kennengelernt haben!“ „Ja…zuckersüß…“, spottete er und sein Bruder schmunzelte. „Wie ich sehe, versteht ihr euch schon richtig gut“, kommentierte er seine Bemerkung und setzte sich neben seine Freundin. „Madara kommt manchmal ein bisschen fies rüber, aber das Meiste meint er gar nicht so…richtig, Nii-san?“ Das würde ein Nachspiel haben, so viel war sicher, doch vorerst begnügte sich Madara mit einem eisigen Blick, der mit einem noch breiteten Lächeln abgeschmettert wurde. Bevor er jedoch antworten konnte, quatschte Fuu dazwischen. „Ich finde ihn gar nicht fies!“ Okay, das überraschte anscheinend nicht nur ihn, denn auch Izuna sah sie perplex an. „Ich hätte auch gern einen Bruder, der sich um mich sorgt und aufpasst, ob mein Freund gut genug für mich ist.“ Hatte die nicht mitbekommen, dass er versucht hatte, sie einzuschüchtern und zu vergraulen? Ja, natürlich wegen Izuna, aber es wunderte ihn doch, dass diese naive Tussi das auch noch kapierte. Er wusste nicht, ob er sich darüber ärgern sollte oder ob ihr das ein paar Pluspunkte einbrachte. „Wenn du das so sehen willst…“ Fuu nickte eifrig, während sie die Teetasse zwischen ihren Fingern drehte und dabei in die Runde strahlte. Auch wenn Madara nicht verstand, was Izuna an ihr fand, entging ihm nicht, wie sein Bruder sie ansah. So voller Zuneigung…wie er ihren Unterarm streichelte und sie direkt eine Hand löste, um ihre Finger miteinander zu verschränken. Madara zuckte zusammen, als Shiro plötzlich mit einem Gurren von seinem Schoß sprang und zur Fensterbank tapste. Mit seiner Artgenossin schien Kuro kein Problem zu haben, denn trotzdem er weiterhin finster vor sich hin starrte, ließ er zu, dass Shiro sich an seine Seite kuschelte. „Oh…sind die beiden nicht süß?“ „Er erinnert mich immer mehr an dich, Nii-san…“ Als würde er mit so einem Gesichtsausdruck herumlaufen; zumindest konnte er nur hoffen, dass dem nicht so war. „Hast du eigentlich auch eine Frau, Madara-san? Oder eine Freundin?“ Er warf Izuna einen Blick zu, doch dieser lehnte sich lediglich in seinem Stuhl zurück und schaute ihn abwartend an. Seine Homosexualität war kein Geheimnis, auch wenn er zu Lebzeiten seines Vaters noch vorsichtig damit umgegangen war. Die meisten Menschen in seinem Umfeld respektierten (oder fürchteten) ihn mittlerweile zu sehr, als dass sie ihn deswegen angingen. Madara hatte dementsprechend kein Problem damit, sich zu outen…doch er wusste, welche Frage darauf folgen würde. Das Thema ließ ihn einfach nicht los, egal, was er sich wünschte…oder erhoffte. Anstatt einfacher wurde es nur schwerer, sich damit abzufinden. Wollte er sich überhaupt damit abfinden? Vor allem nach dem gestrigen Abend lag die Antwort so klar vor ihm, dass er sich wie ein Idiot vorkam. „Frisch getrennt“, erwiderte er schließlich und verfluchte sich, dass es mehr resigniert als scharf klang. Fuus mitleidiger Ausdruck widerte ihn jedenfalls dermaßen an, dass er es am liebsten zurückgenommen hätte. „Das tut mir leid“, teilte sie ihm überflüssigerweise mit. „Hat…sie Schluss gemacht?“ Gute Frage und anhand von Izunas Mimik konnte er erahnen, dass dieser die Geschichte ein wenig anders sah. Hashirama hatte mit ihm Schluss gemacht, das war Fakt…oder? Wenn er sich an die Worte des anderen zurückerinnerte, kam ihm jedoch immer öfter die Erkenntnis, dass er selbst dazu beigetragen hatte. Hashirama hatte ihm Bedingungen gestellt, ihn mit seiner Nachricht gedemütigt und…ja, verdammt, er hatte ihn verletzt. Nicht nur in seinem Stolz. Er war so zornig gewesen, dass er kein bisschen auf ihn eingegangen war…aber wenn er ehrlich zu sich selbst war, hatte er das sowieso nicht vorgehabt. Er war ein Egoist und normalerweise konnte er dazu stehen, ohne sich schuldig zu fühlen. „Entschuldige…das geht mich gar nichts an“, lenkte Fuu ein, schien sein Schweigen richtig zu deuten. Madara ballte unterm Tisch eine Faust, seine dunklen Augen wurden schmal, doch er nahm sich zusammen. „Ich sollte gehen“, meinte er und erhob sich. „Oh! Nein…du…ich wollte nicht…du musst nicht gehen, nicht wegen mir!“ Fuu glaubte also wirklich, dass sie der Auslöser für seinen Aufbruch war? Als ob er nicht in der Lage wäre, ihr eine entsprechende Antwort zu geben. Der Grund dafür, dass er gehen wollte, war der, dass er genug von alldem hatte. „Ich gehe, weil ich nicht ewig hier rumsitzen kann“, gab er zurück und es war ihm egal, dass er unhöflich war. Izuna seufzte nur, drückte kurz Fuus Hand, ehe er ebenfalls aufstand. „Ich bringe dich zur Tür“, bot er an und Madara nickte, wandte sich noch einmal der jungen Frau zu. „Meine Ex-Freundin ist im Übrigen ein Kerl – auch wenn dich das tatsächlich nichts angeht. Auf Wiedersehen…befürchte ich.“ Und damit ließ er sie sitzen, spürte ihren fassungslosen Blick in seinem Rücken. Sollte sie ordentlich daran zu knabbern haben, die Genugtuung hatte er sich einfach gönnen müssen. „Du bist unmöglich…sie wollte nur nett sein.“ Madara sah nicht auf, während er sich seine Schuhe anzog. „Ich war auch nett.“ Auch wenn er auf seine Schuhe fixiert war, konnte er sich vorstellen, wie Izuna soeben die Brauen zusammenzog. „Für deine Verhältnisse warst du vielleicht annehmbar…“ „Besser als fies“, brummte er trocken und sah seinen Bruder nun doch an. „Was findest du an einer Frau, die laut ist, nur über sich selbst redet, ihren Job über dich stellt und kaum Zeit hat? Ich dachte, du würdest etwas Solides wollen?“ Nun war es an Izuna, die Augen zu verengen – eine Warnung, dass er langsam zu weit ging. Als würde ihn das abhalten, jedoch war sein Bruder auch nicht auf den Mund gefallen. „Du kennst Fuu kaum. Sie ist lebensfroh, ehrlich…und wir haben Spaß zusammen. Vielleicht hält es nicht für immer, vielleicht ja doch…das kann niemand wissen.“ Madara erhob sich schnaubend, doch Izuna ignorierte es. „Ich fühle mich wohl, wenn wir zusammen sind. Wir verstehen uns und sie redet nicht nur über sich selbst, sondern interessiert sich für mich…und dass sie ihren Job ernstnimmt, ist für mich auch kein Problem. Außerdem bist du der Letzte, der darüber urteilen sollte…oder nicht?“ Die Worte waren ungewohnt harsch, doch sie verfehlten ihre Wirkung nicht. Madara nahm wahr, wie wieder dieses schreckliche Gefühl an ihm sägte…und er wusste, dass es nicht verschwinden würde. „Du weißt, dass ich dich sehr lieb habe, Nii-san…aber du musst endlich damit aufhören, die Fehler bei anderen zu suchen.“ „Ich habe nicht-“ Madara hielt in seinem Widerspruch inne, als sein Bruder die Hände auf seine Schultern legte und ihn ernst ansah. „Doch…das machst du immer wieder. Deinen Stolz über alles stellen und die Leute von dir wegtreiben.“ Madara begnügte sich damit, seinen Bruder finster anzustarren – allerdings war dieser schon lange immun dagegen und nahm daher kein Blatt vor den Mund. „Du weißt genau, was ich meine. Du bereust es doch jetzt schon, also spring dieses eine Mal über deinen Schatten und rede mit ihm!“ Die Worte trafen den Kern der Sache und es erschütterte ihn mehr, als er sich eingestehen wollte. Es war einfacher, es dabei zu belassen…jedenfalls hatte er das gedacht. Nach dem vorigen Abend zweifelte er noch mehr als vorher. „Izuna, ich kann nicht-“ „Was hindert dich denn?“, wurde er direkt unterbrochen. „Hast du Angst, dass es zu spät ist?“ „Natürlich nicht!“, zischte er, wollte sich diese Blöße nicht geben. Izuna runzelte die Stirn. „Dann steht dir doch nichts im Wege oder?“ Er war sich ziemlich sicher, dass der Jüngere genau wusste, was ihn hinderte. Allerdings wären sie dann wieder bei seinem Stolz…er schloss kurz die Augen, sammelte sich. Eigentlich wollte er längst weg sein, aber er konnte Izuna auch nicht wortlos stehen lassen. „Nichts außer der Tatsache, dass es zu spät ist.“ „Das kannst du aber nicht wissen.“ „Izuna…“ Er stockte, als sein Bruder ihn plötzlich fest an sich zog, die Arme um ihn legte und ihn drückte. Es war nicht so, dass Izuna das nicht öfter tat, doch in diesem Moment fühlte es sich irgendwie…tröstend an. Dabei wollte er gar keinen Trost…er sollte keinen brauchen. Dennoch ließ er den Kopf gegen seine Schulter sinken, blickte vor sich hin. „Du wirst bestimmt das Richtige tun, Nii-san…das weiß ich.“ Er wünschte sich nur, er könnte sich auch so sicher sein. Stattdessen hatte er ein ganz übles Gefühl…und er wusste, dass ihm eine Abfuhr den Rest geben würde. War es da nicht besser, er ließ es einfach sein? Auch wenn er es dann niemals wissen würde… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)