Die kleine Meerjungfrau von LunaInTheDark (einmal anders) ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- Bereits 400 Kilometer von der einst wunderschönen Küste Neuseelands sind mit schwarzem Öl bedeckt. In der vergangenen Nacht ereignete sich wohl eines der schwersten Öltankerunglücke in unserer Geschichte. Die „Black Boom 371“ lief gegen 3.00 Uhr morgens auf Riff und ging kurze Zeit später unter. Glücklicherweise konnte sich der Großteil der Besatzung mithilfe der Rettungsboote retten, doch für einige wird jede Hilfe zu spät kommen. Es werden drei Leute vermisst. Seit dem Untergang strömen Tonnen von Öl ins offene Meer und treiben an der Oberfläche. Selbst ein Strandabschnitt eines sehr beliebten Touristenstrandes ist betroffen, überall wird die schwarze Brühe angeschwemmt. Da die „Black Boom 371“ eines der größten Öltankerschiffe der Welt war, befürchten Umweltschützer, dass dies eine der schlimmsten Ölkatastrophen aller Zeiten wird und das nicht nur für die Flora und Fauna des Pazifiks. Niemand kann sagen, was weiterhin mit dem Schiff passieren wird, doch eines ist man sich sicher: die „Black Boom 371“ stellt eine tickende ökologische Zeitbombe dar. Lasst das Märchen beginnen… Kapitel 1: .:01:. Meredia ------------------------- Ich war aufgeregt, aber auch nervös. Noch nie zuvor hatte ich mich meinen Schwestern und meinem Vater widersetzt. Aber sie ließen mir keine Wahl, indem sie sagten, ich dürfte nicht an die Oberfläche schwimmen. Ich vermutete, dass meine Schwestern dahinter steckten. Weil ich nicht so schön war wie sie, hatten sie meinem Vater überredet, mir den Oberflächenbesuch zu verbieten. Jede von ihnen war mit der Vollendung ihres 20. Lebensjahres an der Oberfläche gewesen, um die Menschen zu sehen, nur mir wurde das verwehrt. Doch sie wussten, wie sehr mich die Menschen faszinierten, vor allem meine Schwestern. Manchmal konnte ich sie nicht verstehen, warum sie so grausam waren, nur weil jemand nicht aussieht wie die nächste Miss Ocean. Manchmal wunderte es mich wirklich, warum manchen gutes Aussehen so wichtig war. Ich hatte bald die Oberfläche erreicht, in meiner Euphorie bemerkte ich den schwarzen Film, der oben auf dem Wasser schwamm, erst nicht. Mein erster Gedanke war, dass oben die Sonne nicht schien. Als ich jedoch näher kam und überall Trümmer- und Schrottteile sah, fragte ich mich, was hier geschehen sein mag. Doch ich verschwendete keinen langen Gedanken daran und schwamm einfach weiter, denn ich wollte endlich an die Oberfläche. Ich merkte nicht einmal, wie ich mir die Seite an einem spitzen Trümmerteil aufschlitzte und sofort Blut aus meinem Körper trat. Ich kam dem Schwarzen immer näher, doch ehe ich anhalten und ernsthaft darüber nachdenken konnte, gelangte etwas davon in meine Wunde. Ich spürte einen stechenden Schmerz, als die fremde Substanz in mich eindrang. Ich schaffte es noch die Oberfläche zu durchdringen, doch ich konnte von meiner Umwelt nichts wahrnehmen. Alles verschwamm zu einem unwirklichen Film. Ich hatte Angst, da hier oben nichts so aussah, wie ich es mir vorgestellt oder wie meine Schwestern es beschrieben hatten und der Schmerz sich rasend schnell ausbreitete. Ich zitterte am ganzen Körper, während ich immer wieder von heftigen Schmerzwellen überrollt wurde. Was ist nur los?, fragte ich mich. Ich erspähte etwas, das auf der Wasseroberfläche trieb. Da ich nicht länger in der mir unbekannten Substanz bleiben wollte, aber bereits zu schwach zum Wegschwimmen war, stemmte ich mich mit meinen Armen auf das schwimmende Teil. Kaum lag ich darauf, wurden die Schmerzen noch schlimmer. Ich krümmte mich, bekam kaum noch Luft und befürchtete bereits, sterben zu müssen. Als ich mir meine Wunde ansehen wollte, bemerkte ich, wie sich meine Schwanzflosse veränderte. Aus der matten blaugrünen Meerjungfrauenflosse wurde eine braune mit grünen Schlieren und schwarzen Flecken durchzogene Haifischflosse, meine Haut wurde blass, wirkte fast durchscheinend. Meine braunen, glanzlosen Haare wurden zu vollen, roten Locken, die mir in leichten Wellen die Schultern hinunterfielen. Ehe ich mir Ge-danken über diese plötzliche Veränderung machen konnte, wurde mir schwarz vor Augen und ich wurde bewusstlos. Ich realisierte nicht einmal mehr, wie meine Schwanzflosse sich ein weiteres Mal verwandelte, und zwar in Menschenbeine. Kapitel 2: .:02:. Meredia ------------------------- Ich erwachte, aber ich war nicht mehr im Wasser. Ich sah mich um und konnte weder den Himmel noch das Meer entdecken. Wo bin ich?, war das erste, was mir durch den Kopf schoss. Plötzlich brach alles über mich herein, ich war im Meer, als ich mich auf einmal an etwas Scharfem geschnitten hatte und kurz darauf solche Schmerzen verspürt hatte, dass ich zu schwach zum Schwimmen war. Ich erinnerte mich daran, wie sich meine Schwanzflosse verändert hatte. Bei diesem Gedanken setzte ich mich auf und stellte fest, dass aus meiner Flosse Beine geworden waren. „Was…“, flüsterte ich, als ich verwundert meine Beine ansah und sie berührte. Ich konnte es nicht glauben, meine wunderschöne Schwanzflosse war weg und nun hatte ich diese komischen Stelzen, die zu nichts zu gebrauchen waren. Ich wollte lauthals schreien, als ich ein Geräusch hörte. Es hörte sich so an, als ob einer die Treppe hinunter kommt, genau auf die Tür zu, die mein Zimmer von der Außenwelt abtrennte. Ich schaute gespannt darauf, während sie sich öffnete und ein Menschenmann den Raum betrat. „Ah, du bist wach.“, sagte er. Er kam zu mir und setzte sich mit auf das Bett. „Ich habe dich im Wasser treibend gefunden. Gehörst du zur Besatzung des Öltankers?“, wollte er wissen. Ich schaute ihn verwundert an. Was für ein Öltanker? Er sah wohl mein verwirrtes Gesicht und erklärte mir, was passiert war. Es hatte ein Unglück gegeben, bei dem ein Öltanker untergegangen war und nun würden Tonnen von Öl ins Meer fließen. Deshalb die ganzen Trümmerteile und die schwarze Substanz. Das war Öl! Aber wie konnte es derart meine Schwanzflosse verändern?, dachte ich. Ich sah aus dem Fenster, wobei mein Blick auf mein Spiegelbild fiel. Das kann unmöglich ich sein!, überlegte ich. Meine Hand ging automatisch zu meinem Gesicht, während ich sie an meiner Wange spürte, tauchte auch im Fenster eine Hand auf. War das wirklich ich? Seit wann hatte ich rote Haare und so ein schönes Gesicht? Ich war verwirrt und konnte mir nicht erklären, was passiert war. Noch vor kurzem war ich das hässliche Entlein der Familie gewesen und nun war ich eine strahlende Schönheit. Mein Blick glitt meinen Körper hinunter und ich merkte zum ersten Mal, dass ich nackt war, bis ich die Wunde sah. Sie war groß und tief, man konnte sogar noch etwas Öl sehen, dass die Wunde bedeckte. Was war nur mit mir passiert?, dachte ich. Diese Frage ließ mich nicht mehr los. Als ich wieder aufsah, bemerkte ich, dass der Menschenmann immer noch neben mir saß. „Wer bist du?“, fragte ich ihn. „Ich bin Brutus, Meeresbiologe.“, sagte er voller Stolz. Ich neigte leicht den Kopf zur Seite, während ich ihn musterte. Plötzlich überkam mich eine Lust nach Blut und Menschenfleisch. Ich stellte mir vor, wie es wäre, wenn er vor mir liegen würde, die Haut nur noch in losen Fetzen an ihm herunterhängend. Das Fleisch von seinen Knochen mit brutalster Gewalt gerissen. Und ich vornübergebeugt, wie ich versuche auch das letzte bisschen Menschenfleisch, in Blut getränkt, aus ihm herauszuholen. Ich konnte nicht aufhören daran zu denken, ich ertappte mich sogar dabei, als ich mir mit der Zunge über die Lippen leckte in freudiger Erwartung auf das Mahl. Ehe Brutus wusste, wie ihm geschah, stürzte ich mich auf ihn und begann seinen Körper aufzuschlitzen. Er schrie vor lauter Schmerz, Verzweiflung und Angst. Ich genoss seine Schreie, sie ließen mich immer mehr in einen rauschähnlichen Zustand fallen. Es bereitete mir Freude ihn zu töten. Ihm die Bauchdecke aufzuschlitzen und sämtliche Eingeweide rauszureißen. Ich konnte mich nicht bremsen und war demzufolge auch leicht enttäuscht, als ich kurze Zeit später alles aus ihm herausgeholt hatte. Es war kein schöner Anblick mehr. Nur vage erinnerte sein Erscheinungsbild an einen Menschen. Die Knochen waren zertrümmert, einzelne Fleischreste hingen noch daran und die Haut sah aus, als ob sie durch Säure verätzt worden wäre. Schwankend stand ich auf und betrachtete mein Werk. Ich leckte mir genüsslich den letzten Rest seines Blutes von den Lippen. Ich war immer noch in meinem Rausch gefangen, doch ich merkte, dass mein Körper auf einmal ungeahnte Kräfte entwickelte. Ich spürte sie förmlich durch mich fließen. Von da an wusste ich, was ich zum Überleben brauchte: frisches Menschenfleisch. Als ich die kleine Treppe hinaufging, stieg mir sofort der Geruch von salziger Seeluft in die Nase. Ich atmete sie tief ein und auf eine bizarre Art und Weise fühlte ich mich richtig gut. Ich schloss für einen Moment die Augen und sog tief die Seeluft in meine Lungen. Ich warf noch einmal einen Blick auf Brutus, oder zumindest auf das, was noch von ihm übrig war. Es tat mir fast leid, er schien ein anständiger Mann gewesen zu sein, doch ich hatte solchen Hunger gehabt und war getrieben von der Gier. Ich stieg auf die Reling des Bootes und ließ mich dann ins Meer fallen. Sobald mein Körper das Wasser berührte, verschwanden meine Beine und meine Schwanzflosse kehrte zurück. Erst jetzt bemerkte ich, wie sehr sie sich verändert hatte. Sie ist auch wesentlich stärker geworden, was mich automatisch schneller schwimmen ließ. Ein verschlagenes Grinsen machte sich auf meinem Gesicht breit. Ich fühlte mich so gut wie nie zuvor und ich strotzte nur so vor neuem Selbstbewusstsein. Mal sehen, was meine ach so wunderbare Familie dazu sagen wird…, dachte ich und schwamm auch schon davon. Kapitel 3: .:03:. Noah ---------------------- Mitten in der Nacht saß ich auf meinen Balkon und sah auf London hinab. Der Mond schien hell und tauchte meine Heimatstadt in ein unwirkliches Licht. Doch mich kümmerte dies nicht, da ich viel zu aufgewühlt war. Seit Monaten plagte mich eine Frage. Soll ich den Job in Neuseeland annehmen und alles hinter mir lassen oder weiterhin als Professor in London arbeiten? Ich wusste auch nicht, warum mich das so sehr beschäftigte, doch ich konnte nicht abschalten. Unruhig tippte ich mit meinen Fingern auf dem Geländer herum und wertete wieder einmal die beiden Möglichkeiten aus. Ich sollte langsam schlafen gehen. Es bringt doch eh nichts dauernd darüber nachzudenken., dachte ich seufzend und ging in meine kleine Wohnung hinein. Entschlossen ging ich ins Schlafzimmer und legte mich in mein Futonbett, um wenigstens etwas Schlaf zu bekommen. Doch nur wenige Minuten später, öffnete ich wieder meine Augen und starrte an die Decke. Ich werde heute wohl nicht mehr schlafen können...warum fällt mir die Entscheidung auch so schwer? Entweder ich nehme den Job an und ziehe ans Ende der Welt oder ich bleib hier und unterrichte weiter Meeresbiologie… Das laute Klingeln meines Handys schreckte mich aus meinen Gedanken. Mein Lieblingslied, „Ghosttown“ von Adam Lambert, kam, also musste es eine Nachricht von Brutus sein. „Was will er denn jetzt?“, grummelte ich leicht genervt und griff nach meinem Handy. Warum ich so reagiere? Er nervt mich schon seit Monaten diesen Job anzunehmen, da wir dann im gleichen Land wären und uns öfter sehen könnten. Mit lauter Gedanken, wie er mich wieder dazu bringen wollte, nach Neuseeland zu reisen, entsperrte ich mein Handy und öffnete die E-Mail. Doch es kamen keine neuen Einwände, warum ich unbedingt nach Neuseeland ziehen müsste, sondern einfach nur ein Bild und ein kurzer Text: „Hey Noah... Nein, ich nerve dich heute mal nicht, ich glaub du wirst eh noch schlafen. Sei es dir gegönnt. Habe heute die Trümmer eines Öltankers vor Neuseelands Küste untersucht und habe ein Mädchen gefunden. Natürlich habe ich sie sofort auf mein Boot geholt. Sie war nackt und hatte eine Wunde an der Hüfte, linke Seite, in der auch Öl eingetreten ist. Habe dir ein Foto geschickt. Du kennst dich ja damit etwas besser aus. Kannst du mir sagen wie ich ihr helfen kann? Bitte um rasche Antwort. Dein Kumpel Brutus“ Stirnrunzelnd sah ich mir das Bild an und fragte mich, warum ich ihm da helfen sollte. Er war selber Meeresbiologe, wir hatten zusammen studiert, warum fragte er mich da um Rat? Doch desto mehr ich das Bild von der Wunde musterte, desto mehr Fragen tauchten in meinen Kopf zu diesem Ereignis auf. Wo kam das Mädchen her? Gehörte sie zu den Leuten auf dem Öltanker? Und warum war sie nackt? Ich muss Brutus unbedingt anrufen. Gesagt, getan. Ich setzte mich auf mein Bett auf, lehnte mich an die Wand an und wählte seine Nummer. Nach längerem Warten, dass er endlich ran ging, schaltete sich die Mailbox an. „Ey Brutus, du musst auch ran gehen, wenn du mit mir reden willst...Ruf zurück, ja? Noah.“, sprach ich aufs Band und beendete die Konferenz. Toll, jetzt kann ich erst recht nicht mehr schlafen...danke Brutus..., seufzend stand ich auf und startete etwas verfrüht meinen Tag. Den ganzen Tag wartete ich auf eine Nachricht von Brutus, doch es kam nichts an. Doch bei ihm macht man sich nicht so schnell Sorgen, da er immer mal wieder das Handy vergisst zu laden oder es irgendwo liegen lässt, um es dann nicht mehr zu finden. Ich ging meinen gewohnten Pflichten nach, arbeitete in der Universität für Meeresbiologie, traf mich mit meinen alten Freunden und vergaß Brutus fast wieder. Doch immer, wenn ich alleine zuhause war, fiel es mir wieder ein und ich studierte das Bild. So ging es mehrere Tage. Immer wieder versuchte ich meinen besten Freund zu erreichen, doch es ging immer die Mailbox dran. Mittlerweile waren es schon 20 Nachrichten in fünf Tagen. Das war dann doch nicht Brutus Art und ich fing an, mir langsam Sorgen zu machen. Ich hoffe ihm ist nichts passiert. Ich muss doch jemanden erreichen können. Ich sah auf die Uhr. Es war 02:14 Uhr, also könnte ich seine Chefin erwischen. Ich wählte ihre Nummer und wartete ungeduldig ab. Endlich ging jemand ran und sagte: „Meeresbiologie-Zentrum in Wellington. Frau Johnson, guten Tag, wie kann ich Ihnen helfen?“ Ich räusperte mich und breitete ihr mein Anliegen vor: „Hallo Frau Johnson, hier ist Noah Walker. Ich wollte bloß wissen, ob Brutus in ihrer Nähe ist. Er geht wieder mal nicht ans Handy und es ist sehr wichtig.“ „Oh, hey Noah. Nein, Brutus ist schon seit Tagen nicht mehr im Büro gewesen. Das letzte was ich von ihm weiß ist, dass er mit seinem Boot aufs Meer gefahren ist, um zu sehen wie schlimm die Ölkatastrophe ist...“, hörte ich Frau Johnson überlegen. „Oh mein Gott, denkst du ihm ist etwas passiert?“ Kurz dachte ich nach, was ich ihr sagen sollte, doch ich entschied mich, sie nicht zu beunruhigen. „Nein, das glaube ich nicht, Frau Johnson. Aber ich werde in den nächsten Tagen mal vorbei kommen, um mir eine Wohnung zu suchen. Da kann ich ihn ja suchen, wenn er bis dahin nicht aufgetaucht ist.“ „Heißt das etwa du nimmst das Jobangebot an? Oh, das freut mich aber, ich habe so sehr darauf gehofft. Melde dich bitte wenn du da bist, Noah. Ich muss leider auflegen, ich habe noch einen wichtigen Termin. Bis die Tage.“, äußerte sie sich, bevor sie die Verbindung unterbrach. Nach diesem Gespräch, musste ich erst einmal eine rauchen. Ich war so aufgewühlt und machte mir große Sorgen um Brutus. Auf dem Balkon, mit einer Zigarette in der Hand, sah ich auf meine Heimatstadt und dachte an meine Studienzeit. Es waren schöne Erinnerungen und ich beruhigte mich etwas. Brutus ist schon nichts passiert. Er hat einen gesunden Menschenverstand und bringt sich niemals in Gefahr. Ich reagiere bloß wieder über, es gibt bestimmt eine plausible Erklärung dafür. Nach meinem letzten Zug, drückte ich die Zigarette aus und ging wieder hinein. Ich suchte im Internet nach einem Flug nach Neuseeland, um so schnell es ging abreisen zu können, da ich unbedingt mit Brutus über diesen Vorfall reden musste. Dieses Bild ließ mich nicht mehr los. Mein Bauchgefühl sagte mir, dass etwas Großes dahinter steckte und mein Bauchgefühl täuschte sich eigentlich nie. Mit etwas Mühe fand ich einen Flug für morgen früh und buchte sofort. Nun ging es ans packen. Schnell fand ich meinen Reisekoffer und durchwühlte meinen Schrank nach passenden Sachen. Nach einer kurzen Zeit lag alles was ich mitnehmen wollte, verstreut auf meinem Bett und nur noch mein Tauchanzug fehlte. Als ich ihn gefunden hatte, packte ich alles in den Koffer und machte ihn zu. So nur noch Laptop, Ladekabel und meinen Zeichenblock mit den Stiften. Die kann ich auch ins Handgepäck mit rein tun. Was kann ich noch gebrauchen?, überlegte ich und sah mich in meiner Wohnung um. Nein, ich hatte alles eingepackt. Kurz ging ich noch einmal an meinen Laptop und schrieb an die Universität, dass ich kurzfristig verreisen musste. Nachdem ich das erledigt hatte, fuhr ich ihn herunter und packte ihn in mein Handgepäck ein. Am nächsten Morgen rief ich mir ein Taxi, das mich auf den Flughafen fahren sollte. Das Taxi würde in zehn Minuten vor meinem Wohnblock stehen, also zog ich mir noch eine Jacke und meine Schuhe an, nahm mein Gepäck und ging aus meiner Wohnung. Nur noch abschließen und dann ging es vom fünften Stock nach unten. Wenige Minuten später kam auch schon das Taxi und ein dicklicher alter Mann stieg aus. Er begrüßte mich freundlich und half mir mit meinem Gepäck. Nachdem dies erledigt war, stiegen wir beide in das Taxi und ich sagte ihm wo ich hin wollte. Dadurch dass es erst vier Uhr morgens war, kamen wir gut durch den Verkehr und waren auch in einer viertel Stunde da. Ich bezahlte den guten Mann, stieg aus und nahm mein Gepäck. Noch einmal atmete ich die Luft von London, die ich sosehr liebte, ein, bevor ich in das Gebäude ging. Nach unzähligen Kontrollen und Warterei durfte ich endlich in das Flugzeug und auf meinen Platz. Mein Flug würde 24 Stunden dauern, mit einem Aufenthalt in Peking. Der ganze Flug war ziemlich langweilig, deshalb verschlief ich die größte Zeit. Nachdem ich diesen aufreibenden Flug überlebt hatte, war ich endlich in Auckland. Doch meine Reise war noch nicht zu Ende. Ich musste noch einmal sieben Stunden, wenn alles gut läuft, nach Wellington fahren. Das wird ein Spaß. Schon jetzt machte mich der Jetlag zu schaffen, es waren schließlich zwölf Stunden Zeitverschiebung. Doch ich durfte mich jetzt nicht ausruhen, also hieß es jetzt ein Mietwagen zu finden und nach Wellington zu fahren. Einige Zeit später fand ich eine günstige Mietwagen-Firma in der Nähe und lieh mir einen VW aus. Nach einer achtstündigen Fahrt und unzähligen Staus, sah ich endlich das Ortseingangsschild von Wellington. Nur noch ein Hotelzimmer finden und dann erstmal schlafen, ich bin total fertig. Scheiß Jetlag., dachte ich mürrisch und fuhr zu einem Hotel. Dort fragte ich nach einem Zimmer und war sehr erleichtert, als der Rezeptionist mir eins anbot. Schnell nahm ich das Angebot an und bekam den Zimmerschlüssel. Nach langem Suchen fand ich auch endlich das Zimmer 313 und ging hinein. Es war ein echt schönes Zimmer, doch mich interessierte dies nicht, ich strebte erst einmal die Dusche an. Es war echt erlösend unter dem Wasserstrahl zu stehen und meine verkrampften Muskeln entspannten sich allmählich. Nach der langen Dusche ließ ich mich einfach nur auf das Bett fallen und schlief sofort ein. Am nächsten Morgen, sagen wir lieber Nachmittag dazu, da es schon 14 Uhr war, stand ich frisch und erholt auf und packte erst mal mein Gepäck aus. Nachdem ich mir etwas Gescheites angezogen und mich frisch gemacht hatte, ging ich aus dem Hotelzimmer und suchte mir ein Café. Nicht weit entfernt von meinem Hotel fand ich schon ein Café und setzte mich draußen hin. Nachdem die Kellnerin meine Bestellung angenommen hatte, rief ich noch einmal Frau Johnson an. Nach kurzen Freizeichen ging sie auch schon ran und meinte hocherfreut: „Hallo Noah...bist du schon in Wellington?“ Schmunzelnd bejahte ich ihre Frage und fragte sie, ob sie heute Zeit hätte sich mit mir zu treffen. Nach einer kurzen Pause und einem lauten Blätterrascheln im Hintergrund, antwortete sie: „Ich hab heute keine wichtigen Termine mehr. Wollen wir uns in einer Stunde in meinem Büro treffen?“ Ich sah kurz auf die Uhr und nickte. „Ja das könnte ich schaffen... Dann, bis dahin Frau Johnson...“, meinte ich gut gelaunt und beendete die Verbindung. Kurz darauf kamen auch schon mein Cappuccino und mein Muffin. Ich bezahlte das beides schnell und aß den Muffin auf, bevor ich mich, mit meinem Cappuccino in der Hand, auf den Weg machte. Das Meeresbiologie-Zentrum war Gott sei Dank nicht so weit weg, also konnte ich es zu Fuß erreichen. Ich kam bei dem Zentrum an und ging sofort zielstrebig zu Frau Johnsons Büro. Dort klopfte ich dreimal an und ging nach einem „Herein.“ in dieses Büro. Frau Johnson stand grinsend auf, kam auf mich zu und gab mir die Hand. „Es ist so schön, dich endlich mal richtig kennen zu lernen, Brutus hat mir so viel über dich erzählt, natürlich nur Gutes.“, scherzte sie und zwinkerte mir zu. Frau Johnson war eine wunderbare Frau. Sie war freundlich, schlau und hatte immer ein Scherz auf den Lippen. Im Großen und Ganzen konnte man sie nur gern haben. Nach dieser herzlichen Begrüßung setzten wir uns auf zwei sehr bequeme Sessel und fingen eine Unterhaltung an. Am Anfang ging es nur um banale Themen, zum Beispiel wie mein Flug war und ob ich schon ein Hotelzimmer hatte. Nachdem wir diese Sachen geklärt hatten, kam Frau Johnson mit einer Überraschung: „Ich wollte dir die Wohnungssuche ersparen und habe eine Freundin gefragt, sie ist Maklerin, und sie hat mir sofort ein Angebot gemacht. Es ist ein wunderschönes Objekt an einer Klippe mit einem genialen Ausblick zum Meer. Es ist auch schon komplett eingerichtet, also brauchst du dich deswegen auch nicht kümmern. Ich habe hier ein paar Bilder von diesem Haus, wenn du es dir einmal ansehen magst. Natürlich werde ich für die Miete aufkommen, da du ja für mich arbeitest. “ Als ich dieses Angebot hörte, wurden meine Augen vor Erstaunen groß und ich nickte eifrig. „Das würde ich gern. Danke Frau Johnson, ich hoffe ich habe keine Unannehmlichkeiten bereitet“ Sie schüttelte bloß den Kopf und reichte mir die Bilder. Diese sah ich mir genau an und verliebte mich sofort in dieses kleine Domizil. „Dieses Haus ist einfach nur perfekt. Ich würde es gerne nehmen.“ Kaum das ich diesen Satz beendet hatte, griff sie schon nach mehreren Papieren und reichte sie mir. Unter diesen Papieren waren der Arbeits- sowie der Mietvertrag. Kurz nahm ich mir die Zeit um mir alles durchzulesen, bevor ich beide Verträge unterschrieb. Jetzt war es beschlossene Sache, ich würde von nun an in Neuseeland leben und arbeiten. Nachdem wir alles Formales beredet hatten, kamen wir auf Brutus zurück. „Hat er sich bisher schon gemeldet, Frau Johnson?“, fragte ich hoffnungsvoll. Doch mein Gegenüber schüttelte nur den Kopf und seufzte. „Leider nicht, Noah. Auch sein Boot ist spurlos verschwunden. Ich habe die Polizei darauf angesetzt...“ Bevor Frau Johnson mir weiter berichten konnte, klopfte es an der Tür und ihre Sekretärin steckte ihren Kopf durch den Türspalt. Sie kündigte uns an, dass ein Polizist gerne mit uns sprechen würde. Frau Johnson nickte und spannte ihren Körper an. Wir beide wussten, dass dieses Gespräch entweder total schlechte Neuigkeiten für uns hätte oder nur eine kleine Enttäuschung. Der Polizist, ein sehr alter und beleibter Mann, trat in Frau Johnsons Büro und begrüßte uns. „Guten Tag Frau Johnson, Herr Walker. Wir haben Ihr Boot gefunden. Es schipperte noch in der Öllache herum, auf dem ersten Blick war es verlassen. Doch als wir es untersucht hatten, fanden wir Leichenteile. Ich würde Sie beide bitten, mit mir aufs Revier zu kommen um die Leiche zu identifizieren.“, meinte dieser emotionslos und auch echt skrupellos. Als das Wort Leiche fiel, zuckten Frau Johnson und ich zusammen, dieser Polizist hatte kein bisschen Einfühlungsvermögen gezeigt. „In Ordnung, Chief.“, meinte Frau Johnson und stand auf. Ich folgte ihrem Beispiel und so fuhren wir ins Revier. Im Polizeiauto ließ ich das Gesagte noch einmal Revue passieren und stutzte leicht. „Ehm...Chief? Warum genau haben sie Leichenteile gesagt?“, fragte ich auf das Schlimmste gefasst. Er verzog leicht das Gesicht und antwortete mir: „Weil es das auch ist. Es sind nur noch Knochen und ein paar Fleischreste vorhanden, deshalb ist es uns auch noch nicht gelungen diesen Leichnam zu identifizieren. Ich hoffe Sie beide haben keinen sensiblen Magen.“ Nach diesem Kommentar, traute sich keiner mehr etwas zu sagen. Frau Johnson, die neben mir auf der Rückbank saß, war ganz bleich geworden und spielte nervös mit ihrem Ärmelkragen. Auf dem Revier angekommen, stiegen wir alle drei aus und der Polizist geleitete uns in den Obduktionsraum. Doch kurz bevor wir hinein gehen konnten, klammerte sich Frau Johnson an meinen Arm und sah mich flehend an: „Du musst das allein machen, Noah. Ich kann das nicht. Entschuldige.“ Ich nickte und versuchte sie zu beruhigen: „Es ist alles in Ordnung, Frau Johnson. Setzten Sie sich in der Weile in den Warteraum und genehmigen Sie sich einen Kaffee. Ich werde dann wieder zu Ihnen kommen, wenn ich bewiesen habe, dass dies nicht Brutus ist.“ Sie nickte schwach, aber dennoch erleichtert und ging davon. Der Chief hielt mir die Tür auf und nach einem tiefen Atemzug, ging ich in den Raum. Schon von weitem sah ich die Leichenteile. So makaber das auch klingt, aber wenn man dies so vor sich sieht, denkt man nicht, dass es jemals ein Mensch gewesen war. Man kann dies nicht realisieren. Ich ging näher heran und sah mir alles genau an. Zuerst sah ich die zertrümmerten Knochen und mir viel auf, dass sie so aussahen, wie wenn ein Tiger diese Knochen sauber abgenagt hätte, denn kein bisschen Gewebe war mehr zu erkennen. Ich schluckte und sah mich auf dem Obduktionstisch weiter um. Der Polizist, sowie die Mitarbeiter, hatten mir freundlicherweise ein bisschen Privatsphäre gelassen und so hatte ich Zeit mir alles in Ruhe anzusehen. Ihr denkt vielleicht, dass ich gestört sein müsste, da ich mir alles so genau wie möglich ansah, doch ich befand mich in einem Schockmoment und meine Gedanken haben noch nicht realisiert, was ich hier vor mir hatte. Nach weiteren zehn Minuten hatte ich mir alles, was von diesem Lebewesen übrig geblieben war, genau angesehen und sah den Pathologen an, der an der Tür stand. „Haben Sie noch etwas gefunden, was zur Leiche gehören konnte?“, fragte ich emotionslos. Dieser nickte bewundernswert und zeigte auf einen kleinen Beistelltisch auf dem zerfetzte Kleidung lag. Zu diesem Tisch ging ich nun und sah mir dies genau an. Ich schnappte erschrocken nach Luft und fing an wie ein Mantra aufzusagen: „Nein, das kann nicht sein... Nein, das kann nicht sein...“ Denn auf dem Beistelltisch lag eine Kette mit einem schwarz schimmernden Stein. Auf diesem Stein war ein japanisches Symbol eingeritzt und genau dieser Stein holte mich zurück in die Realität. Genau dieses kleine Beweisstück, wäre es für andere noch so unbedeutend, zeigte mir das diese Fleischfetzen und Knochen, die Überreste meines besten Freundes waren, der brutal ermordet worden war. Meine Augen wurden glasig und ich sah zurück zum Leichentisch. Jetzt erst realisierte ich, was das alles war, was auf diesem Tisch lag. Dies war alles was noch von meinem Freund zurückgeblieben war. Ich griff mir mit beiden Händen an den Kopf. Ich wollte schreien, ich wollte meine Fassungslosigkeit und meine Wut auf diesen Mörder, auf dieses Monster hinauslassen. Doch das einzige was mein Mund verließ, war ein lautes und langgezogenes: „NEIN!!!“. Kapitel 4: .:05:. Meredia ------------------------- Alles war wie immer, nichts hatte sich verändert außer mir. Ich saß lange auf einem Felsen und starrte auf mein Zuhause, oder zumindest auf das Haus, von dem ich dachte es wäre mein Zuhause. Aber erst jetzt wurde mir klar, dass ich mir all die Jahre etwas vorgemacht hatte. Das hier war nie mein Heim gewesen und wird es auch nie sein. Auch wenn sie es nie wirklich gesagt hatten, so war ich hier dennoch unerwünscht. Ich passte einfach nicht in das Gesamtbild der schönen, perfekten Familie. Ich war zu hässlich gewesen. Meine Familie hatte nie gemerkt, wie sehr ihre Worte und ihre Abneigung mich verletzt hatten. Würde meine Mutter noch leben, wäre sicher alles anders gekommen. Für sie waren wir alle etwas Besonderes, jede auf ihre eigene Art und Weise. Sie liebte uns bedingungslos und ging nicht nach unserem Aussehen, wie mein Vater. Doch dann starb sie, ganz plötzlich, zusammen mit unserem ungeborenen Geschwisterchen. Mein Vater hatte lange um sie getrauert, er hatte sie aufrichtig geliebt. Doch er klammerte sich mehr an meine Schwestern und ließ mich links liegen. Gerade in dieser Zeit hätte ich einen Vater gebraucht, der mir zur Seite stand, mich tröstete, mir über diesen Verlust hinweghalf. Doch er war nicht da, nie wenn ich ihn gebraucht hatte. Diese Tatsache machte mich wütend, sogar sehr wütend, dass ich mich am liebsten sofort rächen wollte. Doch ich musste mich gedulden. In einem Moment der Unvorsichtigkeit würde ich zuschlagen. Ich würde ihm das liebste rauben, das er auf der Welt besaß und gnadenlos umbringen - meine Schwester April. Ich schwamm auf das Schloss zu, indem ich meine Kindheit verbracht hatte. Am Eingangstor wurde ich von den Wachen aufgehalten. „Wer bist du?“, grölte einer. Natürlich erkannten sie mich nicht, jetzt da ich komplett anders aussah. „Ich bin es, Meredia.“, antwortete ich und sah die beiden an. Sie tauschten vielsagende Blicke und einer schwamm sofort los, während der andere mir weiterhin den Weg versperrte. Er schwamm vermutlich zu meinem Vater. Kurz darauf erschien der Wachmann zusammen mit meinem Vater am Tor. „Meredia, …“, begann mein Vater, „was ist mit dir passiert?“, fuhr er fort. „Das ist eine lange Geschichte, Vater. Aber vertrau mir, ich bin es, deine Tochter Meredia!“ Er beäugte mich ebenfalls misstrauisch, doch als er seinen Blick über meinen Körper schweifen ließ, hellte seine Miene sich auf. „Du bist auf einmal so schön!“, rief er aus. „Naja, bis auf deine Schwanzflosse…“ Ich schaute an mir herunter, zuckte nur mit den Schultern. „Ich mag sie.“, erwiderte ich. Mein Vater nickte und ich folgte ihm durch das Tor ins Schloss, wo meine Schwestern sich alle am großen Tisch im Thronsaal versammelt hatten. Sie alle schauten mich verwirrt an, sie konnten nicht begreifen, dass aus ihrer hässlichen kleinen Schwester eine strahlende Schönheit geworden war. Als mich an den Tisch gesetzt hatte, begannen alle mich mit Fragen zu löchern. Was genau passiert ist, warum ich nun so aussah und dergleichen. Und ich erzählte meine Geschichte, von meinem Reißaus, weil man mir den Oberflächenbesuch verweigert hatte, die Trümmerteile des versunkenen Schiffes, das Öl. Nur die Tatsache, dass ich einen Mann brutal ermordet hatte, ließ ich außen vor. Das musste ich ihnen nun nicht auf die Nase binden, wenn ich vorhatte meine Schwester April umzubringen. Die mich in diesem Moment auch ziemlich feindselig ansah. Bislang war sie bei jedem Abendessen der Star, alle scherten sich um sie und um ihr Leben. Nun war sie einmal nicht der Mittelpunkt des Geschehens und ich sah ihr an, wie sehr sie das wurmte. Ich warf ihr ein freundliches Lächeln zu, doch sie zog nur die Nase kraus und beachtete mich nicht weiter. Doch das sollte mir nur recht sein, schließlich war ich sie eh bald los. Nach dem Abendessen wollte ich mich mit meinen Schwestern in unser Zimmer verziehen, doch meine Schwester April hielt mich am Arm fest und zog mich von den anderen weg. „Ich weiß nicht, was für ein krankes Spiel du hier abziehst, Meredia. Aber eins sage ich dir: du wirst damit auf keinen Fall durchkommen!“, herrschte sie mich an. „Das werden wir schon noch sehen, liebste Schwester.“, antwortete ich. Ich lächelte sie an, riss mich von ihr los und schwamm dann auf mein Zimmer zu. April hatte mir schon immer misstraut. Egal was war, für sie war ich immer die Schuldige gewesen. Und dafür hasste ich sie am meisten. Denn mein Vater hatte April immer mehr geglaubt als mir, weswegen ich auch immer die Strafen bekommen hatte, die eigentlich ihr hätten gebühren müssen. Sie hatte sich immer aus der Affäre gezogen und ich war immer die Dumme, die für ihre Intrigen aufkommen musste. Auch deshalb hatte ich sie als mein nächstes Opfer auserkoren. Nicht nur um mich an meinem Vater, für all seine Missgunst und fehlende Liebe zu mir, zu rächen, sondern auch an April persönlich. Denn sie war es, die meine Kindheit am meisten zerstört hatte. Sobald sie wieder etwas an mir gefunden hatte, an dem sie nörgeln konnte, taten meine übrigen Schwestern es ihr gleich. In solchen Momenten hatte ich meine Mutter am meisten vermisst. Doch damit war nun Schluss. April würde nie wieder irgendjemanden terrorisieren können, wenn ich mit ihr fertig war. Ich wartete bis alle in ihren Betten waren und tief und fest schliefen. Leise schwamm ich zu April rüber und legte ihr ein Kissen auf den offenen Mund. Ich drückte fest zu und sie riss erschrocken ihre Augen auf. Sie sah mich an, in ihren Augen loderte purer Hass, doch ich ließ nicht locker. Schließlich hörte sie auf zu zappeln und das letzte Fünkchen Leben in ihrem Körper erlosch. Anders als bei meinem vorherigen Opfer ließ ich Aprils Körper unversehrt. Umso größer sollte so der Schock sein, wenn der Rest meiner Familie bemerkte, dass die Älteste tot war. Es dauerte am nächsten Morgen nicht lange, bis mein Vater auftauchte, um uns zu wecken. Als er an Aprils Bett kam und an ihrer Schulter rüttelte um sie zu wecken, bildeten sich bereits die ersten Falten auf seinem Gesicht. Normalerweise war April ziemlich schnell wach, doch heute war eben alles anders. Er rüttelte sie fester an der Schulter, doch sie bewegte sich nicht. Langsam wurde er ungeduldig und ich musste mich beherrschen, nicht laut loszulachen. Manchmal war er wirklich schwer von Begriff. Irgendwann kam er auf die Idee, nach ihrem Atem zu horchen, als er mehrmals vergeblich ihren Namen gerufen hatte. Als er merkte, dass sie nicht mehr atmete, brach für ihn eine Welt zusammen. Nun konnte ich mir ein Grinsen nicht mehr verkneifen. Mein Vater sah dies und seine Verzweiflung verwandelte sich sofort in unbändige Wut und tiefen Hass. Er funkelte mich an, schwamm auf mich zu und schrie mich an: „Du warst das?! Warum?!“ „Warum?“, fragte ich spöttisch. „Weil sie ein Miststück war, dass mir regelmäßig mein Leben versaut hatte. Und du warst zu blind es zu sehen. Es war nichts weiter als Rache! Rache an dir, weil du nie ein Vater für mich warst, gerade in der Zeit, wo ich ihn am meisten gebraucht hätte. Rache an ihr, dass sie mir jeden Tag vorhielt, dass sie etwas Besseres war als ich und von unserem Vater innig geliebt wurde. Rache an euch allen, weil ihr mich alle wie ein Stück Dreck behandelt habt, als ich noch hässlich war!“, schrie ich ihn an. Ich hatte mich in Rage geredet und mein Körper bebte vor Zorn. Die Hände zu Fäusten geballt sah ich meinen Vater kampflustig an. Doch er hatte nichts weiter als ein Kopfschütteln für mich übrig. „Du bist ein Monster. Deine Mutter wäre enttäuscht von dir.“, sagte er regelrecht friedlich, was mich erst richtig wütend machte. „Wenn Mutter noch hier wäre, würde April noch leben! Mutter hat uns alle geliebt, egal wie wir aussahen. Du hast uns nur darauf reduziert und April als deine Lieblingstochter festge-legt. Hast du eigentlich eine Ahnung, wie sehr mich das verletzt hat?! Wie sehr ich mir einen Vater gewünscht habe, der für mich da war, wenn ich ihn brauchte?! Doch diesen Wunsch hast du mir nie erfüllt! Ich war verletzt, wütend, traurig und vor allem einsam!“, warf ich ihm vor. Das musste jetzt alles raus. Ich hatte sonst nie die Gelegenheit dazu gehabt. Die Antwort meines Vaters war eine schallende Ohrfeige. Ich hielt mir meine brennende Wange und sah ihn ebenfalls hasserfüllt an. „Du bist verbannt! Kehre nie wieder nach Hause zurück oder auch nur ins Meer. Solltest du es jemals wieder tun, dann wird es deine letzte Tat sein, die du begangen hast.“, sagte mein Vater. Das war mir nur recht. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, schwamm ich sofort davon, vorbei an den schockierten Gesichtern meiner Schwestern. Es tat mir nicht leid, was ich getan hatte. Es hatte sich definitiv gelohnt, auch wenn mein Vater mich daraufhin verbannt hatte. Es traf ihn hart, was mein Ziel war. Doch ich konnte nicht mehr ins Meer zurückkehren, so blieb mir nichts anderes übrig, als an Land zu gehen. Ich sprang von dem Felsen zurück ins Meer und schwamm auf das Festland zu. Sobald ich nicht mehr von Wasser umgeben war, verschwand erneut meine Schwanzflosse und zurück blieben die Beine. Doch es gab noch ein Problem: Ich war weiterhin nackt, weswegen ich mir irgendwas einfallen lassen musste. Von den Erzählungen meiner älteren Schwestern, wusste ich, dass die Menschen stets bekleidet liefen. Um nicht aufzufallen, musste ich mir also Kleidung besorgen. Vom Strand aus entdeckte ich ein kleines Häuschen, dass etwas abseits von den anderen stand. Ich ging darauf zu, bedacht darauf, mich hinter Felsen oder Büschen aufzuhalten. Ich wollte kein Aufsehen erregen. Als ich das Haus erreicht hatte, spähte ich vorsichtig durch ein Fenster hinein. Ich sah ein älteres Pärchen an einem Tisch sitzen, die sich lachend unterhielten. Sofort stieg in mir wieder die Gier nach frischem Menschenfleisch auf und ich stellte mir vor, wie sie wohl schmecken würden. Sie waren beide alt, also würde ihr Blut nicht ganz so frisch und süß schmecken, wie das von Brutus. Fast tat es mir um beiden leid, dass sie gleich einen äußerst schlimmen Tod sterben würden, doch so schnell der Gedanke kam, umso schneller verflüchtigte er sich wieder. Ich hatte auch schon eine Idee, wie ich die beiden dazu bringen konnte, mich freiwillig in ihr Haus zu lassen. Ich sah mich um und entdeckte einen spitzen Stein. Ich nahm ihn, um mir Schnittwunden an Armen, Beinen, am Oberkörper und auch im Gesicht zuzufügen. Etwas Erde vervollständigte den Anblick von dem armen, zutiefst traumatisierten Mädchen. Zufrieden mit meinem Werk, ging ich auf die Haustür zu und klingelte wild. Ich bemühte mich, äußerst schockiert auszusehen, als die Frau mir die Tür öffnete. Sie hatte wohl nicht mit jemanden wie mit meinem Anblick gerechnet, denn sie öffnete den Mund, als ob sie schreien wollte und griff sich mit einer Hand ans Herz. „Bitte, helfen Sie mir. Ich … ich“, begann ich, doch dann brach ich vor den Füßen der Frau zusammen. Ich war sehr zufrieden mit meinem schauspielerischen Talent. „Kurt!“, rief die Frau. „Komm schnell!“ Ihr Mann eilte herbei und nach einem unverständigen Murmeln, spürte ich, wie ich hochgehoben und ins Haus getragen wurde. Man legte mich auf einem weichen Untergrund ab. Ich tat so, als ob ich aus meiner Ohnmacht erwachte. Die beiden sahen mich mitleidig an, fragten, wer ich denn sei, wo ich her komme und was mit mir passiert war. Ich begann zu erzählen: „Es tut mir leid, dass ich Ihnen so einen Schrecken eingejagt habe. Aber Sie waren das erste Haus, dass ich sah und ich hoffte einfach, hier Hilfe zu finden. Man hat mich verschleppt, schlimme Dinge mit mir angestellt und mich dann einfach achtlos ins Meer geworfen. Sie dachten, ich sei tot, doch ich hatte es geschafft an den Strand zu kommen. In der Angst, dass sie zurückkommen könnten und mich finden, bin ich losgerannt, so schnell mich meine Beine trugen und da fand ich Ihr Haus.“ Ich hatte beobachtet, wie sich auf ihren Gesichtern immer mehr das Mitleid sammelte. Ich ergriff die Hand der Frau und schaute sie an. „Ich bitte Sie, mir zu helfen. Ich möchte nicht noch einmal in die Fänge dieses Mannes geraten.“, flehte ich sie an. Sie nickte und antwortete: „Wir helfen Ihnen, meine Liebe. Als erstes zeige ich Ihnen das Badezimmer, wo sie sich waschen und Ihre Wunden verarzten können. Währenddessen suche ich nach Kleidung für Sie.“ „Oh, Sie sind wahrer Engel. Ich danke Ihnen von Herzen.“, erwiderte ich und erlaubte mir sogar ein kleines Lächeln über die Lippen gleiten zu lassen. Nachdem man mir das Bad gezeigt und mir Kleidung gebracht hatte, saß ich mit den Beiden am Tisch. Die Frau, die Helen hieß, goss mir etwas in eine Tasse. Es war eine braune Flüssigkeit, die ich nicht recht einzuordnen wusste. Auf jeden Fall war sie heiß, wie ich feststellen musste, als ich davon trinken wollte. Ich verschluckte mich auch etwas daran und musste erst einmal husten. „Erzählen Sie doch mal, äh …“, begann Kurt. Offenbar wollte er mich mit meinem Namen anreden, also half ich ihm auf die Sprünge. „Meredia“, sagte ich lächelnd. „Ah, Meredia. Was ist denn genau passiert?“, fuhr er fort. „Ich war abends spazieren, als mir plötzlich jemand entgegen kam und mich ansprach. Es war ein Mann, den ich vorher noch nie zuvor gesehen hatte. Er fragte mich, ob ich nicht Lust hätte, etwas mit ihm zu unternehmen. Ich verneinte und wollte gehen, doch er hielt mich am Arm fest und zerrte mich in eine dunkle Gasse. Ich weiß nur noch, dass ich geschrien und wild um mich getreten hatte, doch das half alles nichts. Irgendwann verlor ich die Kraft und das Bewusstsein. Als ich aufwachte, fand ich mich auf einem Boot wieder, nur das dieses Mal mehr Männer dabei waren. Sie alle machten sich an mir zu schaffen, quälten mich aufs äußerste und es interessierte sie nicht, was für Schmerzen sie mir zufügten. Irgendwann wehrte ich mich nicht mehr und hoffte nur noch, dass das alles bald vorbei sein würde. So glaubten sie bald, ich wäre tot und schmissen mich demzufolge achtlos ins Meer. Als ich mir sicher war, dass das Boot weg war, schwamm ich auf den Strand zu, den ich sah und den Rest kennen Sie ja schon.“, erzählte ich. Ich war selbst überrascht, wie leicht es mir gefallen war, mir diese Geschichte einfach so auszudenken. „Oh Gott, das klingt schrecklich.“, stieß Helen aus, was Kurt nur bekräftigte. Ich hatte trotzdem das Gefühl, dass Kurt mir nicht wirklich glaubte und dass er nur seiner Frau zuliebe, dieses Spiel mitspielte. Diese schien von meinem Schicksal aufrichtig ergriffen zu sein und beteuerte erneut, dass sie mir helfen wollte. „Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll, Helen. Sie sind so ein großartiger Mensch.“, sagte ich, während ich ihre Hand nahm und sie anlächelte. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Kurt mich misstrauisch beäugte. Du wirst als erstes daran glauben, du alter Knacker., dachte ich mir nur. Ich sah weiterhin Helen an, als ich sie fragte, wo ich denn hier gelandet wäre. „In Wellington in Neuseeland.“, antwortete Helen. Neuseeland also., dachte ich. Ich hing meinen Gedanken nach und hörte nur noch mit hal-bem Ohr hin, was Kurt und Helen sagten. Irgendwann war es später Nachmittag geworden. Helen ging in die Küche, um das Abendessen vorzubereiten. Ich sah meine Chance nun gekommen. Ich ging auf Kurt zu, der es sich nichtsahnend in seinem Sessel bequem gemacht hatte. Noch bevor er wusste, wie ihm geschah, brach ich ihm das Genick und er war sofort tot. Ich bevorzugte es eigentlich, wenn meine Opfer schrien, während ich sie bei lebendigem Leib tötete. Aber ich wollte noch nicht, dass Helen das Elend sah und so musste ich verhindern, dass Kurt sie durch sein Schreien angelockt hätte. Allerdings machte es jetzt nur noch halb so viel Spaß. Ich riss ihm die Kehle auf und saugte ihm wie ein Vampir das Blut aus dem Körper. Ich hinterließ so wenig Flecken wie möglich, da ich in diesem Haus eine Weile bleiben wollte. Dennoch konnte ich nicht umhin ihm, wie dem anderen Menschen, sämtliche Eingeweide aus dem Körper zu holen und das Fleisch von den Knochen zu reißen. Jetzt noch Helen., dachte ich, als ich Kurts Leichnam achtlos im Wohnzimmer liegen ließ. Sie stand in der Küche am Herd und summte zu einem Lied, das aus dem Radio kam, mit. Als ich eintrat, drehte sie sich zu mir um und ließ schockiert den Rührlöffel zu Boden fallen. „Meredia, was..“, begann sie, doch im nächsten Moment schien sie zu begreifen, denn sie rief ängstlich nach ihrem Mann. „Er wird leider nicht kommen.“, sagte ich und grinste sie verschlagen an. Die arme Helen zitterte am ganzen Körper und Tränen liefen ihr übers Gesicht, während sie mich anflehte, mir alles zu geben, was ich wollte, nur damit ich sie leben ließ. „Ach, kleine Helen. Das einzige, was du mir geben kannst, ist dein Leben.“, sagte ich sanft Ich streichelte ihr mit einer blutverschmierten Hand über die Wange. „Dein lieber Mann hing nicht so an seinem Leben, wie du.“, redete ich weiter. „Aber er hatte ja auch keine Chance zu flehen.“, fügte ich hinzu. Helen liefen mittlerweile die Tränen in Sturzbächen die Wangen hinunter und ich machte ihrem Leiden ein Ende. Anders als bei Kurt, ließ ich sie am Leben, damit ich ihre süßen Schmerzensschreie hören konnte, während ich sie aufschlitzte und sie auseinandernahm wie ein Metzger seine geschlachteten Tiere. Nachdem ihr Herz aufhörte zu schlagen, versiegten auch ihre Schreie. Ich stand auf und begutachtete mein Werk. „Was für eine Sauerei.“, murmelte ich, als ich den blutverschmierten Küchenboden sah. Ich entsorgte die beiden Leichen, indem ich sie im Waldstück, das an ihr Haus grenzte, vergrub. Im Haus beseitigte ich nun die Flecken und machte es mir anschließend auf dem großen Sofa bequem. Eigentlich sollte es mir leidtun, denn die beiden wollten mir wirklich helfen, zumindest Helen. Doch ich empfand nichts, außer ein Sättigungsgefühl. Die Gefühle, Schmerzen und auch die Leben der Menschen, die ich tötete, waren mir egal. Es ging mir einzig und allein um mich, um mein Überleben. Wann war ich so grausam geworden? Doch ehe ich länger darüber nachdenken konnte, wurde der Gedanke von irgendetwas in meinem Kopf verdrängt. Ich war wahrlich zu einem Monster geworden, doch ich fühlte mich unglaublich gut. Noch nie in meinem Leben fühlte ich mich lebendiger. Ich erhob mich vom Sofa und ging durch das Haus, das von nun mein Heim sein würde. Im Flur hingen Bilder von Helen und Kurt und von anderen Menschen, die offenbar ihre Kinder waren. Hm, wenn die mal hier aufkreuzen, muss ich mir etwas einfallen lassen. Ich ging weiter zur Treppe, die in den ersten Stock führte. Dort oben befanden sich lediglich ein kleines Bad und das Schlafzimmer. Sehr wohlhabend waren die beiden wohl nicht., dachte ich, während ich meinen Rundgang fortsetzte. Neben der Küche befand sich eine weitere Tür, die anders aussah als die anderen. Als ich sie öffnete, fand ich mich in einer Garage wieder. Ich pfiff anerkennend durch die Zähne, als ich darin einen rubinroten Porsche 911 Turbo S stehen sah. Von wegen nicht wohlhabend., dachte ich lächelnd. Dieses Auto war der Wahnsinn! Als meine Schwester Saphir ihren Oberflächenbesuch hatte, hatte sie sich weniger für die Menschen, sondern mehr für deren Gefährten interessiert: die Autos. Seitdem ließen diese Dinger meine Schwester nicht mehr los und sie brachte alles, was sie konnte, darüber in Erfahrung. Saphir war die Einzige, bei der ich das Gefühl hatte, dass sie mich aufrichtig mochte. Deswegen lauschte ich immer aufmerksam ihren Erzählungen, wenn es um ihre Vorliebe ging und so wusste ich, was für ein Auto nun vor mir stand. Doch ich im Moment interessierte es mich nicht weiter. Achselzuckend ging ich wieder ins Haus und suchte in der Küche im Kühlschrank nach etwas essbarem. Auch wenn ich satt war, interessierte es mich doch, wovon Menschen sich so ernährten. Ich fand eine aufgerissene Packung indem sich ein großer gelber Klumpen befand, der bereits ins Scheiben geschnitten worden war. Auf der Verpackung stand Gouda. Unschlüssig was das war, machte ich mir ein Stück ab und probierte es. Es schmeckte irgendwie nach nichts, fand ich. Ich legte es zurück in den Kühlschrank und schloss ihn. Ich trat ans Fenster und schaute hinaus in den Garten. Offenbar war dies ein Hobby der beiden gewesen, denn man konnte sehen, welche Mühe sie da rein gesteckt hatten. Es war wirklich ein zauberhafter kleiner Garten mit seinem kleinen Teich, seiner Sitzecke, in deren Mitte sich eine Feuerstelle befand und mit den vielen Rosenbüschen in verschiedenen Farben. Helen und Kurt würden das nun nie wieder sehen. Ich konnte nicht verhindern, dass erneut Mitleid für beiden in mir aufkeimte, doch es wurde je zerschlagen. Langsam fing ich an, mich zu wundern, was, meine sozusagen guten Gefühle, so schlagartig bekämpfte. Was genau war mit mir passiert? Ob ich jemals eine Antwort auf diese Frage bekam, wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Kapitel 5: .:05:. Noah ---------------------- Nachdem ich vom Chief von der Leiche weggezerrt und in einen anderen Raum gebracht wurde, setzte ich mich auf einen Stuhl und vergrub mein Gesicht in meinen Händen. Doch als ich meine Augen schloss, sah ich wieder die Leiche meines besten Freundes. Also öffnete ich sie und starrte den Chief an. Dieser sah mich mitleidig an und drückte mir sein Beileid aus. Ich nickte bloß, stand auf und entgegnete emotionslos: "Danke, darf ich jetzt gehen?" "Ich bräuchte nur noch eine Unterschrift, dass Sie die Leiche identifizieren konnten, dann dürfen Sie gehen.", meinte der Chief vorsichtig und zeigte auf ein Blatt Papier auf dem Schreibtisch. Schlurfend ging ich darauf zu und setzte eine Unterschrift darunter. Ohne jemanden noch eines Blickes zu würdigen, verließ ich das Polizeirevier und bestellte mir ein Taxi. Die Adresse meines neuen Zuhauses habe ich mir, Gott sei Dank, merken können. Jetzt musste ich nur noch meine wenigen Sachen aus dem Hotel holen, bevor ich endlich meine Ruhe hatte. Nach fünf Minuten kam auch endlich das Taxi und brachte mich in das Hotel. Ich sagte ihm, dass ich gleich wiederkommen würde und stieg aus. Schnell ging ich in das Zimmer und schmiss meine Sachen wieder in den Koffer. So schnell wie es nur ging, wollte ich meine Ruhe haben. Wollte in Ruhe trauern können. Ich schnappte mir meinen Koffer sowie den Rucksack und verließ dieses Zimmer. An der Rezeption angekommen, bezahlte ich für die eine Nacht und ging zurück zum Taxi. Der Taxifahrer war so freundlich und half mir mit dem Gepäck, bevor wir weiter zu meinem neuen Zuhause fuhren. Die ganze Fahrt über war ich still und ging meinen eigenen Gedanken nach. Was war nur passiert? Wer hatte Brutus das angetan? Es muss doch eine Erklärung geben. Doch welcher Mensch könnte so etwas mit einem Menschen anstellen? Es gibt doch heutzutage keine Kannibalen mehr...oder doch? Viel zu schnell, für meinen Geschmack, hielt das Taxi vor meinem neuen Zuhause. Ich bezahlte ihn, gab ihm sogar noch etwas Trinkgeld, holte meine Sachen und lief die Treppen hoch. Als ich endlich die Haustür hinter mir schloss, lehnte ich mich dagegen und rutschte diese hinunter. Nun saß ich hier, apathisch, auf dem Boden und konnte das Bild der Leichenteile nicht aus meinen Gedanken verbannen. "Reiß dich zusammen, Noah.", flüsterte ich und strich mir durch meine braunen Haare. Mit einem Ruck stand ich auf und versuchte alles, um auf andere Gedanken zu kommen. Ich ging ins Schlafzimmer, packte alle meine Sachen aus und schmiss den Koffer unters Bett. Anschließend stellte ich meinen Laptop und meine Arbeitsmaterialien auf den Schreibtisch. Diese kleine Aktion half mir nicht zu verzweifeln, doch meinen Kopf konnte ich nicht abschalten. Immer wieder kreisten alle möglichen Fragen durch meine Gedanken, die ich nicht beantworten konnte. Wer hatte ihn getötet? Warum? Und wie? Wer wäre so krank und würde einen Menschen regelrecht verspeisen? War Brutus gar nicht alleine auf diesem Boot gewesen? Warte...das Foto!, schoss es mir durch den Kopf. Schnell setzte ich mich an den Laptop und rief die letzte E-Mail von Brutus auf. Ich klickte auf die Datei und sah mir das Foto noch einmal genau an. Es war eine längliche, nicht sehr tiefe Wunde und Öl war darin. "Irgendwie muss es einen Zusammenhang geben... Zwischen dieser E-Mail, dem Bild und dem Mord. Doch welchen? Ich muss das heraus finden, dass bin ich meinem besten Freund schuldig.", murmelte ich vor mich hin und fasste den Entschluss, der vielleicht mein Leben verändern würde. Die nächsten Tage versuchte ich mein neues Leben zu ordnen. Ich traf mich noch einmal mit Frau Johnson, um über meine neue Arbeit zu reden. Sie wusste von dem Mord und wollte das ich mich erst einmal erholte, doch ich wollte, musste, arbeiten, um nicht verrückt zu werden. Nach langer Diskussion willigte sie ein und instruierte mich in meine neue Arbeit. Die Beseitigung des Öls auf dem Meer war die oberste Priorität ebenso wie der Schutz der Arten, die durch das Öl gefährdet waren. Ich nahm diesen Job widerstandslos an und fuhr mit einem Team aufs Meer hinaus um das Öl abzupumpen. Jeden Tag hatte ich denselben Ablauf und das tat meiner geschockten, trauernden Seele gut. Aufstehen, frühstücken, Taucherausrüstung anziehen und rauf aufs Meer. Ich und mein Team arbeiteten so lange, bis wir kein Licht mehr hatten und somit ging es rasch voran mit der Ölbeseitigung. Als leidenschaftlicher Biologe nahm ich mir mehrere Proben von dem Öl mit, um sie irgendwann zu analysieren. Auch halfen wir vielen Vögeln und anderen Tieren aus dem Öl heraus, wuschen sie und gaben sie den Verantwortlichen, wo sie verarztet und wieder aufgepäppelt wurden. Nach fünf Tagen fühlte ich mich besser. Langsam hatte ich verkraftet, dass Brutus tot war und hatte Anschluss gefunden. Mein Team bestand aus fünf Personen und mir. Der älteste von ihnen war Jeffrey, er war unser Streitschlichter und hatte immer einen kühlen Kopf. Dann waren da noch die beiden Zwillinge Denis und Daniel, die unterschiedlicher nicht sein könnten, unser kleiner Schützling James und Stacy. Stacy war die einzige Frau in unserem Team, doch damit hatte sie noch nie Probleme gehabt und sie wusste, wie sie sich durchsetzen konnte. Im Allgemeinen unterstützte das ganze Team mich tatkräftig, somit lebte ich mich schnell ein, konnte wenigstens für eine gewisse Zeit lang meine Trauer ausblenden und wurde zum Chef dieses Teams ernannt. Für mich war es eine große Ehre. Wer hätte gedacht das so einer wie ich, der immer theoretische Arbeit erledigt hatte, jetzt schon ein Chef eines fünfköpfigen Teams war? Auch war ich froh gerade dieses Team abbekommen zu haben. Sie waren alle so offen und nett, insbesondere Stacy, dennoch konnte ich nie richtig abschalten. Immer wieder dachte ich an Brutus. An unsere Collegezeit, die vielen Partys und Zockerabende. Nie werde ich vergessen wie wir jeden Vollmond an den Strand gingen, um im Mondlicht zu tauchen. Jetzt werde ich das nie wieder mit ihm zusammen machen können, da irgendein mieses sadistisches Schwein ihn umbringen und essen musste. Auch wenn mich die Arbeit gut ablenkte, saß ich jeden Abend an diesem Foto fest und untersuchte es auf alle Indizien. Ich suchte auch überall nach ähnlichen Fällen in dieser Umgebung, doch ich kam zu keinem Ergebnis. Ich hatte noch nichts rausgefunden und dies machte mich von Tag zu Tag immer wütender. Wieder einmal saß ich Haare raufend an meinem Laptop und versuchte einen Zusammenhang zu finden. Wer war diese Frau? Wo ist sie hin? War sie Schuld an Brutus Tod? Oder wurde sie von dem Kannibalen auch verspeist? Aber dann müsste doch irgendwo und irgendwann ihre Leiche auftauchen. Hat der Mörder sie etwa im Meer versengt? Aber warum hat er dann Brutus Leiche nicht auch verschwinden lassen? Immer mehr Fragen tauchten in meinem Kopf auf und jede einzelne wurde von mir aufgeschrieben, in der Hoffnung, sie irgendwann beantworten zu können. Wieder einmal voller Frust, dass ich kein bisschen weiterkam, schrie ich auf und schmiss meine Unterlagen von Tisch. Nervlich am Ende beobachtete ich, wie jedes einzelne Blatt einige Sekunden lang schwebte, um dann auf den Boden zu landen. "Ich muss hier raus...frische Luft...", murmelte ich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)