Fensterbank-Rendezvous von Writing_League ================================================================================ Fensterbank-Rendezvous ---------------------- „Ernsthaft?“ Eine schlanke Augenbraue zog sich elegant in die Höhe, der Blick aus hellen Augen hinter spiegelnden Brillengläsern changierte zwischen gefährlichem Amüsement und einer Spur Unglaube. Yamaguchi strahlte, sein Grinsen viel zu gehässig, um noch als unschuldig durchzugehen, obwohl es aussah, als versuche er zumindest, harmlos zu wirken. Kei sah vor allem das gefährliche Blitzen seiner Augen. „Traust du dich nicht, Tsukki~?“ Kei schnaubte nur, schlug in Yamaguchis schon längst abwartend ausgestreckte Hand ein. „Die Wette gilt.“       ***       Es war nicht, dass Kei es bereute, Yamaguchis Wette angenommen zu haben. Es war vielmehr so, dass er schon am nächsten Morgen, als er die Schule betrat, feststellte, dass er überhaupt keine Lust hatte. Er mochte Kageyama nicht. Allein die Vorstellung, auch nur so zu tun, als wäre er nett zu ihm, war ihm so zuwider, dass er fast schon das Bedürfnis verspürte, einfach mal das Training ausfallen zu lassen, um Kageyama und seinem erhabenen Genie aus dem Weg zu gehen. Natürlich schwänzte Kei nicht. Das war ihm Kageyama dann auch nicht wert. Letztlich kam er sogar früher zum Nachmittagstraining, als er es üblicherweise tat. Das stete Aufprallen eines Volleyballs auf Hallenboden- oder Wand begrüßte ihn schon von weitem, ehe er die Halle betreten hatte, aber es klang weit leiser, als er es gewohnt war. Die Halle war noch viel leerer, als sie es üblicherweise war, wenn er ankam. Tatsächlich war sogar nur Kageyama zugegen, der ihm kaum einen Blick zuwarf, als er eintrat. „Hallo“, grüßte Kei tonlos. Yamaguchi neben ihm grinste. Kei warf ihm einen vernichtenden Blick zu, und statt des spitzen Kommentars, den der Kerl wohl hatte von sich geben wollen, bekam er nur das typische „Sorry, Tsukki!“ zu hören. Kei schnaubte. „Halt die Klappe, Yamaguchi.“   Es war eine Qual. Die nächste Woche verlief immer nach dem gleichen Muster: Kei kam überpünktlich zum Training. Kei grüßte Kageyama, obwohl er sich die Mühe bisher nie gemacht hatte. Einmal ließ er sich dazu herab, seine königliche Hoheit nach ihrem königlichen Wohlbefinden zu fragen, doch nachdem Kageyamas Antwort aus nicht mehr als einem grimmigen Blick und einem unverständlichen Knurren bestand, sparte Kei sich jeden weiteren Versuch von ausgesuchter Höflichkeit. (Vielleicht aber auch war die Frage „Wie ich sehe, erfreut Seine Majestät sich bester Gesundheit heute?“ nicht ganz die richtige Herangehensweise gewesen. Hm.) Abends, bevor er sich mit Yamaguchi vom Rest des Teams trennte, achtete er sorgsam darauf, dass er Kageyamas Blick suchte, wenn er sich verabschiedete, und nachdem ihm die ersten zwei Tage noch fast der abendliche Snack wieder hochgekommen war, schaffte er schließlich sogar einen unauffälligen Anflug eines Lächelns. Der, so wie Kei Kageyamas unverändert nichtssagenden Blick interpretierte, ganz eindeutig über Kageyamas Volleyball-vernarrten Schädel hinwegging.   „Weißt du, Tsukki“, kommentierte Yamaguchi zum Wochenende hin amüsiert, als sie Karasunos Volleyballteam in der Dunkelheit hinter sich ließen, „Ich glaube nicht, dass Kageyama deine subtilen Flirtversuche versteht.“ Keis Augenbraue zuckte irritiert. „Es ist nicht meine Schuld, wenn sein Genie die Paarungsrituale von Normalsterblichen nicht versteht.“ Yamaguchis Blick schien sagen zu wollen, dass auch Kei sie nicht verstand, doch er war weise genug, den Mund zu halten und nur den Kopf zu schütteln. „Dann musst du dich eben auf sein Niveau… herablassen? Oder willst du verlieren?“ Nein, Kei wollte nicht verlieren. Kei verlor nicht gerne, wenn es nicht unvermeidbar war.   Zwei Tage später hörte Kei zufällig, wie Sugawara in einem Gespräch mit dem Captain kommentierte, wie „Froh ich bin, dass Tsukishima-Kun endlich anfängt, ein bisschen warm mit Kageyama-Kun zu werden“. Das Gespräch fand, so, wie Kei Sugawara einschätzte, nicht unabsichtlich in Kageyamas Hörweite statt. Seine Majestät reagierte mit einer ganz unköniglichen Gesichtsentgleisung und ließ den Volleyball, den er gerade eigentlich hatte aufschlagen wollen, achtlos zu Boden fallen. Kei musste sich von der Szene abwenden, um sein gehässiges Grinsen zu verstecken. Als er sich am Abend von der Gruppe verabschiedete, funkelte Kageyama ihn feindselig an statt des üblich nichtssagenden Blickes. Kei verbuchte es als Erfolg.   Ab da wurde es einfacher. Kageyama nahm ihn wahr. So wenig Kei dieser Umstand gefiel, es spielte ihm in die Hände. Es war leichter, Kageyama anzuflirten – oder wie auch immer man das nennen mochte –, wenn der arrogante Kerl überhaupt einen Blick für Kei übrig hatte. Und er musste zugeben, es war sogar fast unterhaltend. Die Art, wie Kageyama mehr brummte als sprach, wenn Kei ihn beiläufig grüßte. Die Art, wie Kageyama ihn missgelaunt anstarrte, als wäre er gerade der Unterwelt entstiegen, wenn er beim Abschied demonstrativ freundlich lächelte. Nachdem Keis Abscheu für diese ganze Aktion langsam abzuflauen begann, beschloss er, es wurde Zeit, seiner Königlichkeit ein bisschen offensichtlicher den Hof zu machen.   Herauszufinden, was Kageyama sich tagtäglich am Getränkeautomaten holte, war nicht schwierig. Ein spöttischer Kommentar dazu, wie viel Zeit er vor dem Ding verbrachte, und Tanaka lachte laut auf. „Ich weiß, ne? Kaum zu glauben, wie lang man brauchen kann, um sich zwischen Milch und Joghurt-Drinks zu entscheiden!“ Kageyama abzufangen, als er vor seiner täglichen Entscheidung stand, war genauso wenig schwierig. So vertieft, wie er in die Getränkeauswahl war, schien er Kei überhaupt nicht zu bemerken, selbst als der direkt hinter ihm stand. Mit einem spöttischen Grinsen im Gesicht streckte er die Hand aus, langte an Kageyama vorbei und wählte einen der Joghurt-Drinks aus. „Mach es nicht so spannend. Die Zeit, die du hier meditierst, kannst du nützlicher verbringen.“ Kageyama fuhr zusammen, endlich bemerkend, dass da jemand hinter ihm stand, und wirbelte herum, sein Blick feindselig wie immer. Und, wie Kei nicht ohne Genugtuung feststellte, mit einer Spur Unsicherheit hinter dem aggressiven Funkeln. „Was denn? Ist doch so“, fuhr er beiläufig fort, während er neben Kageyama trat, sich hinabbeugte, um das Trinkpäckchen aus dem Automaten zu fischen. Mit einem viel zu freundlichen Blick packte er sich Kageyamas Hand und setzte die kleine Kartonverpackung hinein. „Und sei es nur, dass du deinen Aufschlag trainierst stattdessen.“   Als Kei in der nächsten Mittagspause den Getränkeautomaten aufsuchte, war Kageyama allen Ernstes schon weg – und trainierte tatsächlich seinen Aufschlag.       ***       Golden-Week-Trainingscamp.   Die Aussicht, eine ganze Woche mit diesen lauten, nervtötenden Idioten zu verbringen, war für Kei alles andere als attraktiv. Die Aussicht, eine ganze Woche mit Kageyama zu verbringen, allerdings, war sogar sehr attraktiv. (Nicht wirklich. Aber es machte das Gewinnen der Wette um einiges einfacher, und die Aussicht darauf, diese Farce bald beenden zu können, die war tatsächlich attraktiv.)   Es brauchte keinen Tag, bis er alles revidierte. Den halben Tag umgeben zu sein von Hinatas und Kageyamas Kriegsgeschrei war nicht nur anstrengend, sondern auch übelkeiterregend belästigend. Sei es der Wettlauf zur Toilette, der Streit darum, wer zuerst unter die Dusche durfte, oder das Geschrei darum, wer nun schneller seinen Nachschlag beim Essen bekam. Zusätzlich dazu waren die Essgewohnheiten der beiden auch noch absolut widerlich. In einem Raum zu schlafen machte nichts besser. Mindestens die Hälfte der Belegschaft schnarchte. Tanaka und Nishinoya flogen fünf Minuten nach Ausruf der Bettruhe raus, weil sie sich eine lautstarke Kissenschlacht lieferten. Hinata redete im Schlaf, ein unverständliches, kontinuierliches Gebrabbel, das alles sein konnte angefangen von einem Heiratsantrag bis hin zu einer Dämonenbeschwörungsformel in perfektem Latein. Kurzum: Kei konnte nicht schlafen. Der raschelnde Futon gar nicht so weit entfernt von seinem, auf dem Kageyama hätte schlafen sollen, verriet ihm, er war nicht der Einzige. Mit einem frustrierten Seufzen ließ Kei sich zurück auf sein Kissen sinken, einen Arm über den Augen, um zumindest das Mondlicht, das von draußen hereinfiel, völlig auszublenden. Er zählte, einfach nur, um seinen Kopf mit etwas anderem als Mordplänen beschäftigt zu halten. Bei siebenundachtzig waren Nishinoya und Tanaka wieder da, leise tuschelnd. Bei einhundertdreizehn wurde das allgemeine Schnarchkonzert lauter, was Kei zu der Erkenntnis brachte, dass mindestens einer der beiden Unruhestifter eingeschlafen war. Bei zweihundertsechsundsechzig stand Kageyama auf. Kei zählte bis dreihundert, ehe er sich ebenfalls erhob, die Brille zurück auf die Nase schob und sich auf leisen Sohlen aus dem Raum stahl.   Kageyama stand auf dem Flur, ein Fenster weit geöffnet, die Arme auf der Fensterbank abgelegt und starrte hinaus in die Nacht. Kei schlich sich leise genug zu ihm, dass er unbemerkt blieb. Vermutlich hätte Kageyama ihn aber auch nicht bemerkt, wenn er extra laut aufgestampft wäre, mit Sicherheit hing dessen Kopf wieder in den Volleyball-Wolken. „Kannst du auch nicht schlafen?“ Die Frage war beiläufig, genauso beiläufig wie Keis Körpersprache, als er sich desinteressiert neben dem Fensterbrett an die Wand lehnte. Trotzdem fuhr Kageyama zusammen und wirbelte herum, der Blick aus blauen Augen glühte selbst in der Dunkelheit sichtbar aggressiv. „Was willst du?“ Kei hob die Augenbrauen. Es war eine perfekte Vorlage – die Frage war nur, wollte er sie nutzen? Warum nicht? Mit einem Grinsen, das längst aufgegeben hatte, freundlich zu wirken, und sich eher darauf verlegte, besitzergreifend gefährlich zu sein, griff er nach Kageyamas Hand und beugte sich weit genug hinab, um einen spürbaren Luftkuss auf den Handrücken hauchen zu können. „Dich.“ Stille. Kageyamas Augen waren weit aufgerissen vor Entsetzen. Es war zu dunkel, als dass Kei sehen könnte, wie es um seine Gesichtsfarbe stand, aber allein sein Gesichtsausdruck war schon amüsierend genug – und suggerierte recht deutlich, dass auch seine Gesichtsfarbe amüsierend wäre. Es dauerte mehrere Sekunden der Schockstarre, bis Kageyama wie von der Tarantel gestochen seine Hand zurückzog und einen großen Schritt nach hinten sprang. „S-SPINNST DU!??!!?“   „RUHE DA DRAUSSEN ODER IHR WERDET MORGEN DIE KLOS PUTZEN!“   Kei hatte ohnehin nichts mehr zu sagen, und was genau seine königliche Hoheit sich gerade dachte, wollte er gar nicht erst wissen.       ***       Wäre es nicht Kageyama gewesen, es hätte niedlich sein können. Die Blicke, die bisher einfach prinzipiell ablehnend und unfreundlich gewesen waren, waren nun noch aggressiver geworden – aber hinter dem Funkeln steckte Unsicherheit. Außerdem stellte Kei beim Training fest, dass wann immer Kageyama sich unbeobachtet fühlte, die Blicke, die in Keis Nacken kribbelten, gar nicht mehr so aggressiv, und dafür viel, viel verlegener wurden. Es machte den Tag eindeutig viel erträglicher.   Kei hätte einen Volkssport daraus machen können, Kageyama aus dem Takt zu bringen. Es war aber auch zu einfach. Ein beiläufiges „Nice toss“ ließ Kageyama so verdattert zurück, dass der nächste Ball, der zu ihm flog, unbeachtet zu Boden klatschte, und als Kei ihm mit der gleichen Nonchalance in einer Trainingspause seine Wasserflasche hinüberreichte, starrte Kageyama das arme Ding gefühlt minutenlang an, als überlege er, ob es eine tickende Zeitbombe oder ein versteckter Verlobungsring war. (Zumindest wusste Kei seinen Blick, der zwischen Misstrauen und schamhafter Unsicherheit changierte, wirklich nicht anders zu deuten.) Schließlich schnaubte er, grabschte grob nach der Flasche und brummte etwas, das entfernte Ähnlichkeit mit einem Danke hatte.  Es hätte auch Ich bring dich um heißen können allerdings. „Unser König wirkt heute ein wenig durch den Wind~“, kommentierte er grinsend bei der nächsten Gelegenheit, bei der Kageyamas sonst so perfekte Form nicht ganz so perfekt war. Sehr zu Keis Überraschung hörte er Sugawara in der Nähe kichern – „Ich frage mich ja, wer schuld ist…“, gab er mit einem viel zu eindeutig wissenden Grinsen zurück. Kei tskte, als er möglichst würdevoll den Blick von dem Drittklässler abwandte, der schon von einem neugierigen Nishinoya belagert wurde. „Ooaaah, Suga-San! Was hab ich verpasst?!“ Nichts hatte er verpasst. Kei war froh, dass die Aufmerksamkeitsspanne des Liberos selten höher war als die Lebensdauer eines Nikuman in einem Raum voller hungriger Sportler. Noch bevor Sugawara ihm hätte antworten können, war er weitergeeilt, einem verirrten Volleyball hinterher, den er unbedingt noch annehmen musste. „Nee, Kageyama! Tsukishima hat recht, du benimmst dich seltsam!“ Wie schön, dass auf Hinata immer Verlass war, wenn es darum ging, Unheil zu stiften. Langsam fing Kei wirklich an, Spaß zu haben. „Halt die Klappe, Hinata, du Idiot!“   Bis zum Nachmittag hatte Kageyama sich leider wieder so weit unter Kontrolle, dass Blicke und spontanes Lächeln ihn nicht mehr aus der Fassung brachten, aber es war nicht, als würde Kei sich davon entmutigen lassen – er hatte noch einen ganzen Abend vor sich, nicht wahr? Dank seines wunderbaren Teams und dessen nächtlichem Lärmkonzert tat er wieder einmal erst gar kein Auge zu. Genau wie Kageyama. Als er bemerkte, dass auch der Andere noch wach war und sich nur unruhig über seinen Futon wälzte, blieb Kei demonstrativ reglos liegen. Es dauerte nicht lange, bis Kageyama sich erneut hinaus schlich. Kei wartete ungefähr fünf Minuten, bis er folgte. Wie schon gestern stand Kageyama am offenen Fenster, und wie schon gestern reagierte er nicht, als Kei näher trat. Amüsiert lehnte er sich gegen die Wand, betrachtete den Setter, dessen starrer Blick so angestrengt hinaus in die Dunkelheit gerichtet war, dass er wirklich nichts anderes zu sehen schien als was auch immer seine blauen Augen da fixierten. Halb interessiert, halb nur, um Kageyama zu foppen, beugte Kei sich vor und sah aus dem Fenster. Die Bewegung machte Kageyama nun doch auf ihn aufmerksam. „Was willst du?“ Kei blinzelte, lächelte milde. Er wandte den Blick vom Fenster ab und Kageyama zu, scheinbar völlig unbekümmert von der Tatsache, dass sie einander ziemlich nahe standen. „Hatten wir das gestern nicht schon?“, fragte er sanft, streckte eine Hand aus, einen Finger unter Kageyamas Kinn bringend. Kageyama zuckte, als wolle er zurückweichen, dann knurrte er und reckte das Kinn stolz vor. Seine Augen glühten stur. Die ganze, versucht würdevolle Attitüde war absolut zum Kotzen für Kei. „Che. Du bist nicht witzig, Tsukishima.“ Diesmal war es an Kei, zurückzuweichen, sein Gesicht mit einem Schlag kontrolliert eisig. „Oh, Entschuldigung. Ich wollte seiner Majestät natürlich nicht mit meinen unwürdigen Pöbelgefühlen zu nahe treten.“ Er sah, wie Kageyamas Augen sich weiteten, er sah tausende Gedanken in ihnen herumwirbeln, ohne dass er einen einzigen davon hätte verstehen können. Was auch immer gerade in Kageyama vor sich ging, er hatte scheinbar einen Nerv getroffen. Gut so. Leide. Kei trat betont einen Schritt zurück, verneigte sich dann in einer spöttischen Verbeugung, das Lächeln zurück auf dem Gesicht, doch der Blick weiter kalt wie Eis. Kageyama gab einen Laut von sich, der vor Frustration knisterte, dann wirbelte er herum und verschwand aus Keis Sichtfeld. Zwei Nächte in Folge, die er den König zum Aufbrausen gebracht hatte. Langsam richtete Kei sich wieder auf, lehnte sich seitlich gegen die Fensterbank und sah hinaus in den Nachthimmel. Er könnte sich dran gewöhnen, es öfter zu tun.       ***       Den nächsten Tag ging Kageyama ihm komplett aus dem Weg. Es amüsierte Kei. Wann immer sie trotzdem gezwungen waren, miteinander zu interagieren, schien Kageyama noch an ihrer nächtlichen Begegnung zu nagen. Bis zur Nachtruhe hatten sie kaum ein Wort miteinander gewechselt. Kei hatte es auch nicht versucht. Seine verletzten Gefühle boten ihm einen wunderbaren Grund, doch noch einmal zur Abwechslung nicht demonstrativ nett zu sein. Und ehrlich, es war ein Segen. So lustig es war, Kageyama zu piesacken, es war anstrengend, und jetzt, wo er einmal nicht mehr die Notwendigkeit hatte, zu lächeln und nett zu sein, merkte Kei erst, wie sehr es ihn eigentlich irritierte. Er genoss den Tag. Trotzdem wurde er das nagende Gefühl in der Magengegend nicht los, das mit der Vorstellung einherging, früher oder später doch zu seinem Schmierentheater zurückzukehren, denn die Wette verlieren wollte er nach wie vor nicht. Nicht gegen Yamaguchi vor allem.   Letztlich kam der Punkt, an dem er zu seinem Schmierentheater zurückkehren musste, viel zu früh. Als er schließlich im dunklen Gruppenschlafzimmer lag, machte er keinen Hehl daraus, dass er wach war. Ein Räuspern hier, eine unnötige Bewegung und ein Deckenrascheln dort – Kageyama sollte merken, dass er wach war. Kei wollte wissen, wie er reagierte. Würde er trotzdem hinausgehen? Sich schlafend stellen, um Konfrontation zu vermeiden? Er verließ den Raum. Kei nahm es als Einladung. Die Tatsache, dass Kageyama ihn draußen auf dem Flur bereits erwartete, bestätigte ihn in seiner Annahme nur. Er stand vor seinem Fenster, die Arme vor der Brust verschränkt in einer Haltung, die eindeutig defensiv war. Sein Gesicht wurde vom Mondlicht von draußen angestrahlt, wodurch der verlegen-aggressive Ausdruck gut zu erkennen war. Das farblose Licht gab keinen wirklichen Aufschluss über Kageyamas Gesichtsfarbe, aber Kei war sich sicher, dass er rot war. Sehr sicher. „Hah? Was wünscht Euer Hoheit?“ Sofort wurde Kageyamas Blick kälter, seine Augen verengten sich. „Hör auf damit“, blaffte er angriffslustig, löste seine Verteidigungshaltung. Die geballten Fäuste lagen ruhig an seinen Seiten. Kei zuckte unbekümmert mit den Schultern, schob die Hände in die Taschen seiner Schlafshorts, sein eigener Blick blieb, fürs erste, kalt. „Okay. Was willst du?“ Schweigen. Kageyama presste die Lippen zusammen, holte tief und lautstark Luft. Er reckte das Kinn vor, dann stapfte er entschlossen, aber verkrampft auf Kei zu. Kei hatte Mühe, das amüsierte Zucken seiner Mundwinkel zu verbergen. Was wurde das denn für ein Theater?   „Ich mag dich nicht“, eröffnete Kageyama ihm mit diesem peinlich-verlegenen Tonfall, den er üblicherweise für jede Situation, die rudimentäres emotionales Engagement erforderte, reserviert hielt – sprich, für alles, was nicht Kei war. Oh? „Das merke ich…“ Kageyama sah aus, als wollte er seine Behauptung noch einmal wiederholen, doch schlussendlich blieben die Worte ungesagt. Er trat näher, packte Kei am Kragen. Statt ihn dabei zu sich zu ziehen, wie man es normalerweise wohl erwarten würde, drückte Kageyama ihn im gleichen Maße von sich, wie er ihn festhielt. Auf Abstand halten, aber nicht weglaufen lassen, huh? „Ich bin kein König.“ Kei blinzelte unbeeindruckt. Er hob die Augenbrauen, zog die Mundwinkel verstimmt nach unten. Eine Hand an Kageyamas Handgelenk zwang den fremden Arm, einzuknicken, so dass Kei den Abstand zwischen ihnen verringern konnte. „Und?“ Ist es nicht gleichgültig, aus welchen Gründen du meine nicht existenten Gefühle verschmähst? Kageyama knurrte. Die Hand um Keis Kragen packte fester zu, zog den Stoff damit enger zusammen. Mit einem kräftigen Ruck befreite Kageyama sich von Keis Griff – und zog ihn damit auf Augenhöhe zu sich hinunter, ihre Gesichter kaum noch voneinander entfernt. „Ich mag dich nicht“, wiederholte er grollend, doch jetzt war sie wieder noch deutlicher da, die Verlegenheit, und sein Gesicht verzog sich zu etwas, das beinahe schon eine Schnute war. „Aber das kann sich ändern.“   Was dann passierte, ließ Kei allen Ernstes sprachlos zurück.   Ein Kuss war das Letzte, das er erwartet hatte.       ***       „Woaaaaaah, Tsukki! Ich fass es nicht, du hast ja echt gewonnen!“ Kei lachte, ein Lachen, das viel zu freundlich klang für das, was gerade passierte. Yamaguchi, irgendwo zwischen überrascht und erheitert in der offenen Tür zur Sporthalle, Kageyama stand immer noch neben ihm, wie angewurzelt, die Lippen feucht glänzend von dem gerade noch geteilten Kuss. Seine Augen waren so weit aufgerissen, dass sie Hinatas Glubschaugen Konkurrenz machen konnten, sein Gesicht eine interessante Mischung aus hochrot und leichenblass. Er öffnete den Mund. Schloss ihn wieder. Ein paar Sekunden beobachtete Kei das Spiel vor sich, dann durchbrach er die Stille mit einem neuerlichen Lachen und lehnte sich zu Kageyama hinunter, bis seine Lippen ein fremdes Ohr fast berührten. „Oh, Tobio. Sag nicht, du hast wirklich geglaubt, dass ich irgendetwas für dich empfinde.“ Worte wie ein Peitschenhieb, Kageyamas Gesicht nach zu urteilen. Mit hektischen Bewegungen brachte er Distanz zwischen sie, die Fassungslosigkeit auf seinem Gesicht schmolz langsam zu glühender Wut dahin, je mehr die Erkenntnis sacken konnte. Seine Augen waren feucht. Kei war sich sicher, da würde ein Schlag kommen, doch es kam keiner. Stattdessen wirbelte Kageyama ruckartig herum und stürmte davon, schob sich so grob an Yamaguchi vorbei, dass der aus dem Weg stolperte, und kurz darauf hatte er das winzige Rechteck Außenwelt, das die Turnhallentür freigab, verlassen. Yamaguchi sah ihm nach, und für einen Moment flackerte Schuldbewusstsein in seinem Blick, dass Kei übel davon wurde. Dann zuckte er mit den Schultern, Schuldbewusstsein abgeschwächt zu Kleinlautsein. „Ich geh mich aufwärmen.“ Der Gedanke, dass er Kageyama und alles dazugehörige Schmierentheater endlich los war, ließ Kei voller Erleichterung seufzen, ehe er sich selbst von der Tür abwandte.   Er kam genau bis zur Herrentoilette, ehe ihm langsam dämmerte, dass das, was sich gerade in seinem Magen breitmachte und in ihm das Bedürfnis weckte, sein Mittagessen noch einmal wiederzusehen, sicher keine Erleichterung war. Wütend starrte er sein Spiegelbild an, doch irgendwo auf dem Weg zwischen Spiegel und seinem eigenen Blick verwandelte sich Wut  in Verzweiflung und Kei schnaubte, wandte sich abrupt ab. Seine Faust kollidierte mit der nächsten Wand, doch der beißende Schmerz tat nichts, um seine Gedanken zu klären. „…che.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)