No Princess von Yinjian ================================================================================ Kapitel 36: Nächtliche Offenbarungen ------------------------------------ Die zwei Männer erhoben sich und verließen mit Akira den Raum. Stille trat ein. Die Teller mit Essensresten, benutzte Servietten, herumliegendes Besteck und noch halb gefüllte Gläser dekorierten den Tisch. Anna begann, die Sachen zusammen zu räumen. Das Klackern des Geschirrs und Bestecks erfüllte den stillen Raum wieder mit Leben. Es waren Zeiten wie diese, in denen sich das Mädchen wünschte, Adam sei da. Er hätte sie bestärkt, beruhigt und ihr eine Schulter zum Weinen geliehen. Der Tod ihres Bruders war kein Schock gewesen, stattdessen fraß er sich langsam in ihr Herz. Er bohrte sich seinen Weg durch ihren Körper wie Krebs. Auch wenn sie es am Anfang vielleicht verkraftet hatte, zehrte es langsam an ihrer mentalen Stärke. Natürlich hatte sie Unterstützung von allen Anwesenden in diesem Haus, dennoch war es nicht das selbe, wie Adam. Iori ähnelte ihrem Bruder zwar stark, dennoch war er nicht ansatzweise so gut wie Adam. Es gab keinen Ersatz für ihn. Annas Finger umklammerten das kalte Porzellan. Es war glatt, ebenmäßig und hatte kleine Verzierungen an den Rändern. Egal, wie sehr Iori ihrem Bruder glich, er war es nicht. Doch war es nicht so, als würde sie Adam nicht ab und an noch spüren. Das Mädchen setzte die Teller auf dem Tisch ab, musterte eine der Weißweinflaschen und nahm sie an sich. Als sie das Esszimmer verließ war bereits die Abendbeleuchtung im Haus angeschaltet worden. Das Licht war gedimmt und nur jede dritte Lampe beschien den langen Flur. Der Rest des Hauses war dunkel. Beim Vorbeigehen hörte Anna noch, wie Mirai und Ren im Wohnzimmer sprachen. Sie redeten über Toki. Anna ging die Treppen hinauf und musterte die Zimmertüren im Vorbeigehen. Jede war geschlossen. Sie lief an ihrem Zimmer vorbei, den Flur weiter hinunter. Eine große Standuhr zeigte halb zwölf an. Ihr rhythmisches Ticken versetzte das ganze Haus in eine verschlafene Stimmung. An der Zimmertür angekommen, die Anna gesucht hatte, klopfte das Mädchen kurz und öffnete sie schließlich. Der Raum war dunkel und still. Das Mädchen trat ein, schloss die Tür hinter sich und ging aufs Bett zu. Auf dem Nachttisch stand eine geleerte Flasche Wein. Mit einem Seufzen setzte sie sich und musterte die Silhouette, die da lag. „Ich weiß, dass du nicht schläfst.“, murmelte das Mädchen und kniff dem jungen Mann in die Wange. „Was willst du?“, gähnend setzte er sich auf und schaute Anna an. Er trug kein Shirt. Seine Arme zeigten Male von Feuer. Annas Hand fuhr über Akiras Unterarm, seine Brandnarben. „Ist das immer so, wenn du deine Kräfte benutzt?“, fragte sie leise. Der Rotschopf nickte. „Ich habe leider nicht so tolle Regenerationsfähigkeiten, wie du.“, grinste er und sah Anna dabei zu, wie sie seine Haut berührte. Es war ein beruhigendes Gefühl. „Also würde dich eine Kugel töten?“. Stille trat ein, als Anna diese Worte sprach. Sie meinte, sie hätte ein leichtes Nicken von Akira erkennen können. Schließlich seufzte sie und drückte ihm ihre Weinflasche in die Hand. Sie stand auf, griff nach Akiras Shirt, das auf einer Stuhllehne lag und warf es ihm zu. „Zieh' dir was an.“. „Wohin gehen wir?“, fragte Akira überrascht und griff nach dem Shirt, um es sich über den Kopf zu stülpen. „Du schläfst heute bei mir.“, erklärte das Mädchen und musterte den Kleiderschrank des Jungen. Es war das erste Mal, dass sie so etwas sah – außer bei Adam natürlich. Akira wusste nicht genau, wie er reagieren sollte. Argwöhnisch fragte er: „Wieso?“. Sofort verwarf er den kleinen Funken Hoffnung, dass Anna es aus Interesse an ihm wollte oder dass tatsächlich etwas zwischen den beiden passieren könnte. Nicht, dass Akira es nicht doch versuchen würde, aber dennoch: Der Ton in Annas Stimme verriet ihm, dass es keine Einladung zu einem nächtlichen Tête-à-Tête war. „Ich ...“, Anna zögerte und schloss die Schranktür. „Ich will dir etwas zeigen.“, murmelte sie schließlich nervös. Akiras Herz machte einen Hüpfer, als er hörte, wie unsicher sie klang. Wortlos stand er auf und ging auf das Mädchen zu. Was wollte sie ihm zeigen? War es etwas, dass sie ihm nicht hier zeigen konnte? Jegliche Hoffnung starb, als ihm bewusst wurde, dass die beiden auch hier hätten rummachen können. Doch da Anna nun wollte, dass er in ihr Zimmer kam, musste es etwas mit diesem Zimmer zu tun haben. „Ist es wegen der Blume?“, fragte Akira vorsichtshalber, doch Anna schüttelte den Kopf. Es war ein zögerliches, bedrücktes Kopfschütteln. Der Junge verzog das Gesicht. Wieso sagte sie es nicht einfach? Seufzend ging er aufs Bett zurück und griff nach der Weinflasche. „Ist das deine Art von Bestechung?“, wollte er nun wissen, musste aber grinsen. Anna nickte stumpf und beobachtete Akira dabei, wie er wieder auf sie zulief. „Na gut, dann zeig' mir halt dein kleines Geheimnis.“, grinste der junge Mann und öffnete die Tür. Wie auf Zehenspitzen machten die zwei sich zu Annas Zimmer auf, das einige Räume weiter lag. Das Mädchen hatte klar gemacht, dass kein anderer davon wissen sollte. Es war einige Tage, wenn nicht sogar wenige Wochen, her, dass Akira in Annas Zimmer gewesen war. Das Licht war ausgeschaltet und der angenehme Duft von Lavendel wurde von einer Note Vanille begleitet. Am Fenster stand – wie immer – die weiße, lebensraubende Blume, die nun die Größe eines Babys hatte. Etwas erschrocken über diese Entwicklung blieb der Rotschopf im Türrahmen stehen, doch Anna zog ihn herein und schloss die Tür hinter ihm ab. „Das...“, begann er, schluckte und fuhr fort: „Das wolltest du mir zeigen?“. Seine Hand deutete auf die Pflanze. „Was?“, fragte Anna überrascht, folgte dem Fingerzeig und schüttelte seufzend den Kopf. „Nein. Dreh' dich um, ich will mich umziehen.“. Sie ging zu ihrem Schrank und kramte nach einem von Adams alten T-Shirts. Sie zog ihre Sweatshirtjacke aus und war kurz davor, auch ihren zerrissenen Pullover los zu werden, als sie in ihrer Bewegung verharrte und Akira ansah. Dieser hatte sich immer noch nicht weggedreht. „Ey.“, schnauzte sie leise und sah ihn genervt an. „Wieso darf ich's nicht sehen?“, wollte der Rotschopf wissen. Annas Wangen glühten rosa auf. „Du bist ein Junge, deshalb.“, schnauzte sie und ließ den Pullover wieder hinunter gleiten. „Ein Junge, den du eingeladen hast, heute bei dir zu schlafen.“, grinste Akira neckisch und lehnte sich mit seiner Weinflasche an die Wand. Er schien sich nicht wegdrehen zu wollen. Das Mädchen schnaufte kurz genervt, zog den Pullover aus und zog Adams T-Shirt wieder an. Den BH würde sie anbehalten, so wie jedes Mal. Doch als Anna begann, ihre Jeans aufzuknöpfen, musste sie erneut kurz anhalten. Sollte sie nun wirklich auch noch ihren Po vor ihm entblößen? Mit einem Seitenblick auf Akira erkannte das Mädchen, dass dieser immer noch grinste. Er genoss die Show. Vielleicht hätte sie ihn nicht herholen sollen… Genervt zog sich das Mädchen die Hose aus und schmiss sie über die Stuhllehne ihres Schreibtisches. Dann ging sie aufs Bett zu, legte sich unter die Decke und wandte der Tür den Rücken zu. „Wie, das war's?“, fragte Akira überrascht und ging ebenfalls aufs Bett zu. „Leg' dich hin.“ Das Mädchen griff nach ihrem Wecker und überprüfte die Uhrzeit. Der Rotschopf ließ sich auf die andere Seite des Bettes nieder und trank einen Schluck Wein aus der Flasche. Sein Nacken lehnte am harten Kopfteil. Vielleicht wollte sie es ja doch, aber wusste nicht, wie sie ihn darauf ansprechen sollte? In diesem Moment fiel Akira wieder ein, was er vorhin gesagt hatte: Dei hatte die Kraft einer Königin. Als er diese Worte gesprochen hatte, hatte er sich überlegt, ob sie noch gegen Dei ankommen würden, wenn keiner von ihnen Annas Macht bekäme. Vielleicht sollte sie sich endlich entscheiden? Vielleicht dachte Anna über das selbe nach? Akira stellte die Weinflasche auf dem Nachttisch ab, zog die Decke über sich und legte seinen Bauch an Annas Rücken. Seine Hand wanderte wie immer über Annas Bauch. Der Stoff störte. Anna bewegte sich nicht. „Was machen wir jetzt?“, flüsterte er leise in ihr Ohr und sah aus den Augenwinkeln, wie sich die kleinen Härchen an Annas Nacken aufstellten. „Wir warten.“, erwiderte das Mädchen kleinlaut. Das Licht der Pflanze flackerte ein bisschen, doch ließ es genau erkennen, wie Annas Wangen immer noch in Rosa getaucht waren. Akira musste lächeln. „Worauf?“, fragte er leise und küsste eine Stelle ihres Nackens, der besonders viel Gänsehaut offenbarte. Anna antwortete nicht. Langsam fuhr Akiras Hand unter das Shirt des Mädchens und sein Finger umkreiste wieder ihren Bauchnabel. Das war das erste mal, dass Anna keine Hose im Bett anhatte. Ihr weicher Po lag an Akiras Schoß und er verurteilte sich selbst dafür, dass er gerade eine Jogginghose trug, die verhinderte, dass er tatsächlich ihre Haut an sich spürte. Er musterte Annas Gesicht, so gut er von hinten halt konnte, während sein Finger Kreise über ihre Haut zog. Sie starrte zum Fenster. Ab und zu wechselte sie ihren Blick auf die Uhr. Irgendetwas ging hier vor sich, doch Akira wusste nicht, was. Sie wollte auf jeden Fall nicht kuscheln. Sie schien auf etwas zu warten. Innerlich seufzend ließ Akira seine Hand ruhen, gähnte und schloss die Augen. Egal was es war, worauf sie wartete, es hatte anscheinend nicht viel mit ihm zu tun. Oder vielleicht doch? Immerhin hätte sie auch Shiro oder Liam fragen können. Bei dem Gedanken verkrampfte Akiras Herz kurz. Nein, es war schon gut, dass ER derjenige war, der hier liegen durfte. Anna wollte nur IHM etwas zeigen. Es hatte also sehr wohl was mit ihm zu tun… Wahrscheinlich. Die zarte Haut an seinen Fingern war warm. Ab und zu streichelte Akira über ihren Oberarm. Wie konnte die Haut eines Mädchens so weich sein? Ihre Hände hatte sie unter dem Kopfkissen verstaut, als wäre es ihre übliche Schlafposition. Mittlerweile waren Annas Augen geschlossen, ihre Atmung war ruhig und ebenmäßig und vermittelten Akira den Eindruck, als würde sie schlafen. War sie tatsächlich einfach eingeschlafen, obwohl sie ihn hierher bestellt hatte? Er beobachtete das Gesicht des Mädchens für einige Sekunden, doch konnte nicht erkennen, ob sie wirklich eingeschlafen war oder nur so tat. Erschöpft ließ er ebenfalls die Augen zu fallen und ließ seine Hand ruhen. Es war ein langer Tag gewesen und das Essen hatte ihn müde gemacht. Er konnte also genau so gut schlafen. Eine Bewegung riss den Jungen aus seinem Halbschlaf. Das Licht des Weckers blendete ihn. Es war 00:26 Uhr. Annas Augen waren aufgerissen, sie starrte erneut zu ihrem Schreibtisch, der vor dem Fenster stand. Ihre Hand hielt Akiras Handgelenk und zog ein bisschen daran, um ihn zu wecken. Akira folgte ihrem Blick zum Fenster. Da war nichts. Das Licht der Pflanze zitterte kurz, dann begann die Knospe wie eine Babyschaukel hin und her zu schwanken. Es war beunruhigend, wie groß das Ding geworden war. Akira entzog sich Annas Griff und legte seine Hand auf ihren Oberarm. Erneut hatte sie Gänsehaut, doch diesmal war es nicht wegen seiner Berührung. Ihr Blick war auf das Fenster gerichtet. Was war da? Erneut schaute der verschlafene Junge zum Fenster. Das Licht der Pflanze ließ die Schatten über dem Glas tanzen. Manchmal sah es so aus, als würden sie ineinander übergehen und sich umarmen. Dann wurde das Fenster allmählich dunkler. Vielleicht war der Mond immer noch verhangen, wer weiß? Die Schatten des Zimmers verschwommen mit der Nacht draußen. Er wurde größer, fester. Anna zuckte kurz und schloss die Augen. Wieso schloss sie nun die Augen? Erneut hob und senkte sich ihr Brustkorb wieder, als würde sie schlafen. Was ging hier vor sich? Verwirrt blickte Akira von Anna zurück zum Fenster. Plötzlich schlug sein Herz so stark gegen seine Brust, dass er fast husten musste. Doch sein Atem gefror in seinen Lungen. Langsam bildeten die Schatten am Fenster einen Umriss. Eine Person. Wie aus dem Nichts formte sich dort ein Mensch am Fenster. Sein Körper glitt durch den Schreibtisch hindurch, als sei er ein Geist. Er machte keine Geräusche. Der Schatten war dem Fenster zugewandt und schaute hinaus. Kein Winken heute. Langsam drehte er sich um. Akira schloss sofort die Augen. Was war dieses Ding? Durch den Spalt seiner Wimpern sah Akira dabei zu, wie der Schatten einen Finger hob und die Blüte anstupste. Diese fing unter seiner Berührung an zu tanzen. Dann legte er seinen Blick auf Anna. Er stand da am Schreibtisch und beobachtete sie. Jetzt fühlte Akira, wie Annas Herz aufgeregt an seinen Rücken pochte. Ihr Brustkorb war ruhig – als würde sie den Atem anhalten. Ihre Finger klammerten sich an seine Hand. Hatte sie Angst? Plötzlich, als wäre ein Fluch auf ihn los gelassen worden, fühlte sich Akira klamm. Jegliche Wärme entwich seinem Körper. Er öffnete die Augen. Zwei Augen waren auf ihn geheftet, musterten jedes einzelne Haar auf seiner Haut und tasteten ihn quasi ab. Eine Gänsehaut fuhr über seinen Rücken. Es war das erste Mal, dass er dieses Ding sah. Sah Anna es etwa jede Nacht? Sofort rasten Akira Gedanken durch den Kopf: Er konnte seine Kräfte hier nicht einsetzen. Würde er es tun, brachte er Anna in Gefahr. Würde er den Schatten ansprechen, würde er eventuell verschwinden. Es gab einen Grund, warum Anna es nicht schon getan hatte. Sie wusste von ihm, wusste aber nicht wie sie mit dem Schatten umgehen sollte. Jedes Mal tat sie so, als würde sie schlafen. War er ein Geist? War es Adams Geist? Was wollte er von Anna? „Du bist süß, wenn du so tust.“, flüsterte eine eiskalte Stimme und ließ Akira jegliche Gedanken vergessen, die er gerade hatte. Feine Linien auf dem Gesicht des Schattens formten ein Grinsen. Anna zuckte zusammen. „Wann redest du endlich?“, fuhr die Stimme fort und die Person wandte ihren Blick der Blume zu. Sprach er zu ihr oder zu Anna? Akira setzte sich schließlich auf. Er wusste, dass Anna nicht schläft. „Wer bist du?“, fragte der Rotschopf argwöhnisch. Der Schatten rührte sich nicht. Entgegen der Vermutung, er würde vielleicht verschwinden, tat er es nicht. „Du weißt, ich könnte dir helfen.“, flüsterte die Stimme unbeeindruckt. Es war erschreckend, wie man die Stimme niemandem zuordnen konnte, denn das Gesicht des Fremden schien sich nicht zu bewegen. „Warum klammerst du dich an ihn? Hast du Angst?“. Annas Finger bohrten sich in Akiras Unterarm. „Wenn du es sagst, kannst du mich sehen.“. Das feine Lächeln verbog sich in ein ungeheuerliches Grinsen. Es nahm fast das ganze, schwarze Gesicht des Schattens ein. Anna schluckte und setzte sich auf. Ihre Hände zitterten. Wenn sie es sagen würde, wäre Adam endgültig tot. „Das ist er schon, sei nicht so dumm.“, lachte der Schatten, als hätte Anna ihre Gedanken ausgesprochen. „Du bist nur zur Hälfte du, wenn du keinen hast.“. Ihre Lippen bebten. Ungläubig starrte Akira sie an. Wusste sie, was der Typ von ihr wollte? „Wie … Wie ist dein Name?“, ihre Stimme war so zart und zebrechlich, dass es fast weh tat. „Satoshi.“, antwortete die Stimme leise. Sie klang, als wäre sie verzerrt, als würde ein Signal gestört werden und man hätte nur Schnee im Fernsehen. Annas Hand griff hilfesuchend nach Akiras. Ihre Finger waren kalt. Sie wollte die Worte nicht aussprechen. Doch dafür hatte sie Akira hergebracht – um den Mut zu finden, sie zu sagen: „… Sei mein Shiki, Satoshi.“, schluckte sie erstickt. Das Grinsen des Schattens verschwand. Die Dunkelheit verschwand. Die Blume erzitterte kurz, fing dann aber ruhig an hin und her zu baumeln. Das Schwarz der Silhouette legte langsam die Farbe von Haut frei. Das Gesicht, das unter dem Schatten hervor kam, ähnelte dem von Adam. Graue, eiskalte Augen starrten das Mädchen an. Er hatte keine schwarzen Haare, so wie ihr Bruder, es war aschfahl. Akira kannte diese Farbe – es war die Farbe von verbranntem Holz, das schließlich zu Asche zerfiel. Er war groß, obwohl er an dem Schreibtisch lehnte. Er hatte die Erscheinung eines jungen Mannes in seinen 20ern. Sofort konnte der Rotschopf sagen, dass dieser Mann kein normaler Shiki war – er war ungewöhnlich stark. „Wer...“, erneut wollte Akira fragen, wer Satoshi war. Dessen Lächeln kam wieder zurück, dieses Mal aber zum Glück nicht so unheimlich, wie in seiner Schattenform. Anna ließ ihr Gesicht sinken. Ihre Haut war eiskalt und sie sah aus, als würde sie jede Sekunde in Tränen ausbrechen. „Du brauchst nicht zu weinen.“, lächelte der Fremde mitleidig und legte seine Hand auf ihren Kopf. Anna zuckte unter der Berührung zusammen. Akiras Arme legten sich um seine Königin und zogen sie von dem Fremden weg. „Ich hab' gefragt, wer du bist.“, fauchte er nun beschützend und es war das erste Mal, dass Satoshi Akira tatsächlich anschaute. „Ich bin ihr neuer Shiki.“, erklärte er gelassen. Anna griff nach den Armen, die um sie lagen, und vergrub ihr Gesicht in ihnen. „Sie weint, weil Adam fort ist.“. „Woher kennst du ihren Bruder?“, wollte Akira sofort wissen. „Woher?“, Satoshi schien überrascht von der Frage, musste jedoch kurz überlegen. „Anna kam jeden Sommer zu uns. Sie hat jede Nacht bei uns geschlafen. Jede Nacht haben wir sie gespürt und Adam beneidet, dass nur er bei ihr sein durfte. Aber was passierte? Adam wurde gefangen. Er war schwach, konnte sich nicht wehren.“, seine Stimme war erschreckend sanft. „Und irgendwann, als er im Sterben lag, kam er zu uns zurück. Es war erbärmlich.“. „Du hast die anderen absorbiert… Adam auch.“, schniefte Anna plötzlich und rieb sich die Augen. Das war der Grund gewesen, dass er sich wie Adam angefühlt hatte. Satoshi lächelte etwas breiter und nickte. Akira konnte nicht glauben, was er da hörte. „Aus all' den schlechten Gefühlen, die du trägst, aus all den Schwächen von Adam und aus all den schrecklich erbärmlichen Wesen, die deine Macht hervor gebracht hat, wurde ich geboren.“, erklärte er ruhig. Anna erstarrte unter diesen Worten. „Du hast mich gewarnt, als sie mich holen wollten...“, murmelte sie und Satoshi nickte erneut. „Du hast mich zu Charlotte geführt.“. Wiederum nickte Satoshi. „Wieso?“, fragte Anna keuchend. Satoshis Hand fuhr unter Annas Kinn und hob es an. „Damit du aufhörst, schwach zu sein.“, flüsterte er ihr zu und ließ sie los. „Du zeigst Schwäche. Überall, wo du hin gehst. Du gehst alleine mit einem Fremden in einen Wald und wirst umzingelt von seiner Armee. Du versteckst dich aus Angst davor, dass Menschen über dich urteilen. Anstatt deine Freunde zu beschützen, versinkst du in Selbstmitleid. Anstatt sie zu retten, versteckst du dich in diesem Haus.“, seine Worte waren wie Messerstiche. Anna schluckte erneut. Es klang, als wäre es die Wahrheit. Und die Wahrheit tat weh. „Adam war noch schlimmer. Anstatt dich zu beschützen, ließ er dich alleine. Er dachte, wenn er dich nur im Auge behalten würde, würde das reichen. Und was passierte? Eine Hochstaplerin hat ihn gefangen und wollte ihn zu ihrem Shiki machen. Du hättest es sehen müssen, wie er sich jeden Tag wehrte, ihr Eigentum zu werden. Dafür hat er meinen Respekt. Aber er ist Schuld, dass Mama gestorben ist … Genau so wie der Mann, den du hier versteckst.“. Satoshis sanfte Stimme wurde wieder kalt. „Iori?“, fragte Akira überrascht. Das Grau in Satoshis Augen wurde eisern, als er nickte. „Wieso hast du ihn noch nicht getötet, Anna?“, wollte der Shiki wissen. „Wir haben ein Abkommen mit ihm und seinem Volk.“, erwiderte Anna erstickt. „Reicht das, um deiner Mutter Vergeltung zu bringen?“, wollte er wissen. Anna nickte. „Sho hat ...“, begann sie, doch nun beugte Satoshi sich erneut vor und schaute Anna in die Augen. „Ich habe gesagt, du sollst aufhören, schwach zu sein.“, fauchte er leise. Seine Hand griff fest nach Annas Kiefer, welche sie sofort weg schlug. Satoshi seufzte. „Ich verschwinde für heute Nacht. Ich komme morgen wieder und stelle mich den anderen vor.“. Sein Blick wanderte über die Blume, dann zu Akira. „Ich find's gut, dass du auf sie aufgepasst hast, während ich nicht da war. Danke.“, murmelte er leise. Sein Körper löste sich langsam auf – feiner, schwarzer Staub setzte sich von seinen Konturen ab und schien ihn in der Luft zu zerteilen. Es dauerte nicht mal drei Sekunden, bis die schwarzen Schwaden mit ihm verschwunden waren. Stille machte sich in dem Zimmer breit, die nur durch Annas klägliche Versuche unterbrochen wurden, ihre Tränen zu stoppen. Sie drehte sich vom Fenster weg und lehnte ihren Kopf an Akiras Brust an. Dieser wusste weder, was er tun, noch was er sagen sollte. „Er… Er ist wie Adam.“, schniefte Anna kurze Zeit darauf und rieb sich die letzten Tränen weg. Akira konnte dieses Urteil kaum nachvollziehen. „Anna… Erklär' mir, was los ist.“. Und so erklärte sie: In dem Raum, in dem Anna jeden Tag im Sommer geschlafen hatte, sammelte sich Miasma. Er war wie ein Magnet für schlechte Energie. Diese manifestierte sich als schwarze Materie in den Ecken und an den Wänden, was dem Raum die Dunkelheit brachte. Jedes Jahr würde Anna einen Teil ihrer Energie in diesem Raum lassen und damit den Fortbestand des Schattenvolkes sichern. Diese hatten sich von Charlottes Schicksal so bedroht gefühlt, dass es zur Bedingung wurde, einen Shiki in seine Dienste stellen zu können. Anna musste sich diesem Schicksal mehr oder weniger unbewusst beugen. Doch womit die Leute der Schatten nicht gerechnet hatten, war, dass diese Energie komplett Anna gehörte: Keine andere Königin hatte diese Nachfahren im Zimmer beeinflusst. Mit jedem Jahr steigerte sich die Macht von Anna und damit auch der Teil, den sie in diesem Zimmer gelassen hatte. Da Shikis normalerweise mit dem letzten bisschen Energie einer Königin entstehen, hatte niemand damit gerechnet, dass die jährliche Sammlung der Macht so schnellen „Nachwuchs“ hervorbringen würde. Früher als gedacht formten sich die ersten, körperlosen Wesen in diesem Zimmer „Das heißt, dass sie nur auf dich hören?“, fragte Akira verblüfft. Anna nickte. „Von dem, was ich von Satoshi lesen konnte… Ja.“, murmelte sie und starrte auf ihre Knie, die unter der Bettdecke versteckt waren. „Aber er hat sie alle … gefressen, nehme ich an. Adam auch. Deswegen fühlt er sich so an, wie mein Bruder. Er kennt alles von mir, all unsere Erinnerung, all die Geschichten, die wir zusammen erlebt haben. Er kennt meine … unsere ganze Vergangenheit.“. Akira schluckte. „Also ist er wirklich dein Bruder?“, er klang überrascht, doch Anna schüttelte den Kopf. „Er hat es mehr als deutlich gemacht. Adam ist tot.“. Man hörte den Schmerz aus ihrer Stimme. Seufzend schloss sie die Augen. „Wieso hast du ihn dann zu deinem Shiki gemacht?“. Der Rotschopf verstand die Welt nicht mehr. „Akira… Er weiß alles von mir. Er kennt meine Gefühle – er hat sie aufgesogen, wie ein trockener Schwamm. Er versteht mich. Er versteht Adam. Er versteht die Situation. Außerdem...“. Außerdem hatte Anna das Gefühl, dass Satoshi Recht hatte. Sie war nicht ganz sie selbst ohne Shiki. Irgendwie klammerte sie sich auch an die kleine Hoffnung, dass sie wieder mit Adam zusammen sein könnte. Der Junge neben ihr seufzte und drückte sie an sich. Ein kleiner, sanfter Kuss legte sich auf ihr Haar. Schlagartig spürte Anna, wie der Druck auf ihrem Herzen nach ließ. „Wenn er dir was tut, bring ich ihn um.“, murmelte er wütend und legte seinen Kopf an ihren. Anna musste lächeln. Es fiel ihr wieder ein: „Du hast dein Versprechen gehalten.“, flüsterte sie leise und ihre Finger glitten über Akiras Hand. „Noch nicht ganz.“, erwiderte er ruhig und griff nach den Fingern. Sie legten sich zwischen Annas Fingerlücken. Für einen Moment herrschte Stille. „Wann erzählst du mir, was du bist?“, fragte Anna schließlich. Sie löste die Berührung ihrer Körper und setzte sich wieder auf, um Akira in die Augen sehen zu können. Die goldenen Augen des Jungen erwiderten ihren Blick, doch wandten sie sich schnell wieder ab. „Bald.“, murmelte er leise. „Ich glaub', du hast mittlerweile eh eine Vermutung.“. Etwas schien ihn unzufrieden zu machen. Anna konnte es spüren. „Wovor hast du Angst?“, fragte sie ihn leise und zog sein Gesicht wieder zu ihr, damit er sie ansehen würde. Ihre Wimpern waren noch nass von ihren Tränen, sie glitzerten leicht. Ihre Wangen waren gerötet vom Reiben ihrer Hände. Ihre Haare waren leicht zerzaust und glitzerten golden im Licht der Blume. Akira konnte es nicht verhindern, in ihre Augen zu blicken. „Ich weiß nicht, ob es dir gefällt, weißt du.“, gab er bedrückt zu. Etwas schmerzhaftes lag in seiner Stimme. Annas Herz zog sich zusammen. Was konnte so schlimm sein, dass es sie tatsächlich beeinflussen würde? Hatte er Angst, sie würde ihn nicht mehr wählen wollen, wenn sie es tatsächlich wüsste? „Ich … Ich kann mich aber auch nicht für dich entscheiden, wenn ich es nicht weiß.“, erneut war ihre Stimme so klein und zerbrechlich, dass es fast weh tat. Sie schämte sich dafür, diese Worte sagen zu müssen. Akira musterte das Mädchen einige Sekunden lang. Seine Hände wanderten über ihre Schultern. Eine Hand streichelte über ihre Wange, fühlten die warme Haut. „Willst du dich denn für mich entscheiden?“, fragte er leise und sie konnte sein Lächeln heraus hören. Anna verstummte und ihr Blick fiel auf die Matratze. Sie war nur wenige Zentimeter von Akira entfernt und sie spürte es. Sie spürte, wie ihr Körper unter seiner Gegenwart erbebte. Sie konnte ihm keine klare Antwort darauf geben. „Weißt du es nicht?“, seine Stimme wurde noch leiser, rückte noch näher. Anna nickte. „Hmm...“, lächelte Akira nachdenklich. Seine Hände streichelten über ihre Schultern. „Fühlst du dich wohl bei mir?“. Anna nickte. „Wenn ich dir so nahe bin, hast du keine Angst?“. Anna schüttelte den Kopf. Ihr Herz schlug bis zum Hals. Ihre Atmung wurde flacher. Akiras Grinsen wurde breiter. „Wenn ich dich küsse, fühlt es sich schlecht an?“. Seine Worte prasselten auf ihre Lippen, so nahe war er ihr mittlerweile gekommen. Aus den Augenwinkeln konnte sie das Lächeln nun sehen, es war schwer, weiterhin auf die Matratze zu sehen. Sie konnte nichts sagen, nicht einmal mehr den Kopf schütteln. Es fühlte sich nicht schlecht an, wenn er das tat, ganz im Gegenteil: Es war, als würde sie schweben. Jedes einzelne Mal, wenn er sie küsste, erfüllte sie ein Gefühl der Schwerelosigkeit. Seine Lippen legten sich auf Annas Mund, berührten sie und gaben ihr eine kleine Gänsehaut. Es war ein kurzer Kuss, kurz und liebevoll. „Denkst du dir manchmal, dass du mich auch küssen willst?“, grinste der kleine Teufel nun und Anna lief puterrot an. Genervt lehnte sie sich zurück und versuchte, ihre Worte wieder zu finden. „Sei nicht albern...“, fauchte sie leise, während sie ihn von sich weg drückte. Er lachte kurz und leise, ließ sie jedoch nicht los. „Ich bin nicht albern, das war eine ernst zu nehmende Frage. Du schämst dich bloß wieder.“, grinste der Rotschopf. „Komm, sag' es.“, fügte er fordernd hinzu. Anna verzog die Mundwinkel und drehte ihr Gesicht von seinem weg, das immer noch gefährlich nahe war. „Nein.“, schnauzte sie leise und schmollend. „Ich sehe es sofort, wenn du lügst.“, kicherte Akira und entfernte sich von ihr. Anna drehte sich ihm wieder zu. „Du bist scheiße.“, murmelte sie beschämt. „Bin ich nicht.“. Er ließ Anna los und legte sich zurück ins Bett. Immer noch lächelnd schloss er die Augen. Diese Antwort reichte für den Moment. Er wusste, dass sie ziemlich schüchtern in der Hinsicht war, deshalb konnte man das wohl als kleinen Erfolg abstempeln. Anna saß immer noch da und musterte Akira, wie er gedankenversunken vor sich hin lächelte. „Was ist los?“, fragte er schließlich, als er die bohrenden Blicke des Mädchens auf sich spürte. Sie antwortete nicht. Das Gewicht auf der Matratze verlagerte sich, als Anna sich bewegte. Sie kniete. Ihre Hände suchten Halt auf der Matratze. Eine wanderte über seinen Körper hinweg. Akira öffnete die Augen wieder, als er ein sanftes Gewicht auf seinem Schoß fühlte. Annas Augen schienen noch blauer zu leuchten unter dem Rot ihres Gesichtes. Sie beugte sich vor. Es kam Akira vor, als würde alles in Zeitlupe geschehen. Trotzdem ging es viel zu schnell. Goldene Haarsträhnen kitzelten sein Gesicht. Die Hände, die sich neben ihm abstützen, ließen die Matratze leicht zittern. Ihr Gesicht war ihm so schnell so nah, dass er ihren Atem bereits schmecken konnte. Ihre Lippen waren weich und warm, doch zitterten sie genau so sehr, wie ihre Hände, als sie ihn küsste. Es dauerte keine Sekunde, da entfernte sie sich schon wieder von ihm. Ohne groß darüber nach zu denken hielt er Annas Hinterkopf fest und drückte sie erneut zu sich. Er setzte sich auf und führte seine Lippen zurück zu ihren. Kein Gedanke, keine Skepsis, keine Sorgen hatten gerade Platz in seinem Kopf. Ihre Beine glitten an seinen vorbei, während er sie an sich drückte. Ihre Hände legten sich in seinen Nacken, genau so, wie es seine bei ihrem taten. Akira spürte ihr Zögern aus ihren Lippen, während er mit seiner Zungenspitze darüber fuhr. Er wusste nicht mehr, wie oft er sie küsste. Jeder einzelne löste ein Erdbeben in seiner Brust aus. Es war nicht nur das Gefühl ihrer Haut, es war tiefgründiger. Sie hatte es von sich aus getan. Es war ihr Wille gewesen. Sie hatte ihn geküsst, das erste Mal, dass es nicht andersherum geschehen ist. Als sie endlich ihre Lippen öffnete, um seiner Zunge Einlass zu gewähren, war es schwierig, sich noch weiter zurück zu halten. Ihre Oberschenkel begannen zu zittern. Sofort wanderte seine Hand über ihren linken Oberschenkel. Er war unglaublich zart. Ohne es direkt zu kontrollieren umfasste er ihren Po und drückte ihn fest unter seinem Griff. Anna machte ein Geräusch, dass er nicht so recht deuten könnte. War es Scham? War es Lust? Seufzend löste er den Kuss und versenkte seine Lippen in ihrem Nacken. Sie hörte nicht auf zu zittern, so nervös wie sie war. Sie seufzte leise. Erneut spürte Akira, wie sein Herz sich vor Aufregung zusammen zog. Ihre Stimme war so leise – dennoch schlug sie ein, wie ein Raketenwerfer. Als er ihre Lippen an seinem Hals spürte, bekam er am ganzen Körper eine Gänsehaut. Die gute Art von Gänsehaut. Sie küsste ihn tatsächlich an so einer Stelle. Seine Brust bebte, drohte, zu explodieren. Für eine Sekunde hielt Akira den Atem an, dann hörte er, wie sie seinen Namen flüsterte. Es war wie ein Weckruf. Er ließ den Nacken, in den er gerade gebissen hatte, los und löste sich von Anna. Beschämt und komplett errötet blickte sie auf seine Brust. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Der Rücken seines Fingers berührte die glühende Haut ihrer Wange und zeichnete ihre Konturen nach. Vielleicht war er zu weit gegangen. Ihre Hände ruhten auf seiner Brust, stocksteif, als könnte sie sich nicht bewegen. „Ähm...“, ihre Stimme schien zu brechen, während sie zur Seite schaute. Sie versuchte, ihre Worte zu finden. Seufzend lehnte sich Akira vor und küsste die warme Wange. „Was denn?“, fragte er leise und schloss die Augen, um sich darauf vorzubereiten, abgewiesen zu werden. Doch Anna schwieg. Sie schaute zum Fenster. Eine Bewegung an seiner Brust ließ Akira wieder die Augen öffnen. Ihre Hand deutete auf seinen Schoß. „Ich … Ähm.“, stotterte sie mit einer zitternden Stimme. Ihre zweite Hand huschte in ihr Gesicht und verbarg ihre Augen. „Ich kann das nicht.“, quiekte sie erstickt. Sie versank quasi in Scham. Es war unglaublich süß. Akira schmunzelte. Anscheinend hatte er sich etwas zu sehr aufgeregt. „Tut mir Leid.“. Ihre Scham steckte ihn an. Seufzend legte er seine Arme um die kleine Person auf seinem Schoß und ruhte seinen Kopf auf ihrer Schulter aus. „Es ist schwer, sich zurück zu halten.“ Eine Hand legte sich auf seinen Rücken und tätschelte ihn beruhigend, als wäre er ein kleines Kind. Anscheinend wusste Anna nicht genau, wie man 'damit' umgehen sollte. Seine Arme zogen sich zusammen und drückten sie wieder etwas fester an sich. Der süße Duft von Vanille und Himbeere drang an seine Nase und er atmete ihn ein wie die frische Luft am Morgen. Nun türmten sich wieder Fragen in ihm auf. Was dachte sie von ihm? War sie jemals so weit mit jemanden gegangen, wie jetzt? Hatte sie jemals jemanden geküsst, weil sie es wollte? Hatte sie es überhaupt gewollt? Die tätschelnde Hand auf seinem Rücken begann, beruhigend auf und ab zu streicheln. Ihre Finger glitten über sein Rückgrat, während sie weiterhin den Blick auf das Fenster gerichtet hatte. Irgendwann legte auch sie ihren Kopf auf seiner Schulter ab. Es war fast erschreckend, wie warm sie war. Wie weich sie war. Wie klein und zerbrechlich sie eigentlich war. Stets sorgte sie sich um die Menschen um sich herum. Die Angst, jeden und alles zu verlieren, der ihr auch nur ein bisschen bedeutete, kroch immer noch in den Ecken ihres Herzens herum, selbst jetzt. Wann hatte sie jemals Zeit, über sich selbst nach zu denken und sich ihrer Gefühle bewusst zu werden, wenn sie immer an Eve und den aufkommenden Krieg dachte? Wenn sie sich darüber sorgte, wo Mika und Kai waren und ob die beiden überhaupt noch lebten? Wenn Rose im Sterben lag? Wenn ein neuer Shiki ihr sagte, wie schwach sie eigentlich wäre? Wenn die Jungs ihr verdeutlichten, dass ihre Verbündeten nicht den Hauch einer Chance gegenüber Eves Armee hatten? Akiras Hände umfassten den schmalen Rücken, während er sich vorsichtig zurück lehnte und sie an sich zog. Seine Hand streichelte über ihren Hinterkopf. Anna streckte die Beine lang und legte ihren Kopf auf seine Brust, während sie an seiner Seite lag. Sie hatte keine Zeit, um über Akira nach zu denken. Sie hatte keine Zeit darüber zu grübeln, was Liebe nun eigentlich war, und was nicht. Das wurde ihm gerade schmerzhaft bewusst. Vielleicht war es ganz gut gewesen, dass er sie vorhin so ausgefragt hatte. Vielleicht brauchte sie diesen kleinen Denkanstoß. Aber gerade er sollte diese Situation nicht ausnutzen. Gerade er sollte wissen, dass wenn Anna sich jetzt in ihn verliebte, er sie betrügen würde. Sie kannte ihn nicht gut genug. Sie wusste nicht, was er war und was er tat, um zu überleben. Das bebende Herz in ihrer Brust beruhigte sich langsam. Ihre Atmung wurde leiser und ausgeglichener. Immer noch fuhren Akiras Finger durch das weiche Haar, während er an die Decke starrte. Vielleicht war er ihr zu schnell zu nahe gekommen. Vielleicht sollte er Abstand nehmen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)