No Princess von Yinjian ================================================================================ Kapitel 3: Eye to Eye --------------------- Die Mittagspause neigte sich dem Ende zu. Langsam liefen alle Leute in ihre Klassen zurück. Das Wetter lud zum Draußensein ein, weshalb viele nur langsam und genervt zurück in die Klassen gingen. Doch der Schülerrat diskutierte weiter das Thema Anna. Oft wurde das Gespräch mit Schweigen unterbrochen. Es war ein nachdenkliches, fast sehnsüchtiges und gedankenverlorenes Gespräch - und Schweigen - gewesen. Nun wurde es aber durch ein bekanntes, zaghaftes Klopfen gestört. „Ähm...“ die Stimme der Sekretärin drang zögerlich durch den Türspalt. „Anna Kurosawa ist hier… Schon wieder.“ fügte sie verwirrt hinzu. Die Tür flog auf und mit einem erschrockenen, kurzen Schrei entfernte sich die Sekretärin wieder. Anna stand im Raum. „Was für 'ne Luft...“ seufzte sie genervt, schmiss die Tür ins Schloss und lief federnden Schrittes an Kai, Mirai und Ren vorbei zu den Fenstern. Sie zog einen der Vorhänge zurück und stellte die Fenster auf Kipp. Sonnenlicht und frische Aprilluft fluteten den Raum. Nach einem tiefen Atemzug drehte sie sich um und blickte einen nach den anderen an. Alle schienen verwundert zu sein, doch sie sah ganz genau, dass sich gerade viele Fragen aufbäumten, die sofort wieder fallen gelassen wurden. Anna zog sich den Stuhl am Kopf des Tisches vor, setzte sich hin und überschlug ihre sanften, langen Beine. Ihre Hände faltete sie unter dem Kinn zusammen. „Soo...“ sagte sie leise und ihre Stimme flog mit der frischen Luft durch den Raum. „Ihr seid also alle meine Verlobten?“ fragte sie kichernd. Ren ergriff als erstes das Wort. „Könnte man so sagen.“ antwortete er knapp und schloss die Augen. „Und ich darf mir einen aussuchen, ja?“ fügte sie hinzu und die Belustigung in ihrer Stimme stieg von Wort zu Wort an. Erneutes Schweigen. „Könnte man so sagen.“ wiederholte Ren. „Gut.“. Anna hob das Kinn von ihren Händen und lehnte sich zurück. Sie schien kurz nachzudenken. Dann stand sie auf und ging zum Fenster, das nun Lichtflecken auf den feinen Marmorboden warf. „Einer nach dem anderen kommt bitte hier her und stellt sich mir vor.“ Die Herren schienen nicht begeistert zu sein. Mirai seufzte erneut genervt. „Ernsthaft?“ knirschte er leise. „Ja, ernsthaft. Nicht so schüchtern.“ Der erste der vom Platz aufsprang war Toki. Langsam erhoben sich auch die anderen. Toki ging sofort auf Anna zu und blieb gut einen Meter vor ihr stehen. „Mein Name ist Toki. Bin 15 Jahre alt, komme nicht von hier und ...“ Doch bevor er weiter reden konnte wurde er durch einen plötzlichen Ruck unterbrochen. Anna hatte ihre Hand um seine Krawatte gelegt und zog ihn an sich ran. Sie waren sich so nah, dass er fast ihre Nasenspitze mit seiner berührte. Ihre klaren, hellblauen Augen starrten in seine. Die Haut um seine Wangen und Nase verfärbte sich komplett rot. „Und…?“ flüsterte Anna leise. Es waren nur wenige Zentimeter zu ihren Lippen. Er könnte sie küssen. Ihr Atem roch nach Pfefferminz. Kaute sie einen Kaugummi? Warum sahen ihre Lippen so weich aus? Sie glänzten ein bisschen. Es war kein Lipgloss. Vielleicht Labello? Kai hatte Recht. Annas Haare rochen nach Vanille. Abrupt ließ sie ihn los. Toki taumelte durch den plötzlichen Schwungwechsel nach hinten. „Nächster.“ Der Raum war komplett mit Schweigen gefüllt. Alle starrten sie fassungslos an. Akira ging an Toki vorbei und drückte ihn schmerzhaft nach hinten. Er stellte sich direkt vor Anna, diesmal berührten sich die Nasenspitzen sogar. Sein rotes Haar flatterte leicht im Windzug vom Fenster. „Mein Name ist Akira. Ich bin 16.“ Er musste sich herunter beugen, um Anna in die Augen sehen zu können. „Und ich hab kein Bock auf Spielchen.“ fügte er leicht grinsend hinzu, während er eine Hand auf Annas Schulter legte. Sie starrte ihn für zwei Sekunden an, entgegnete dann aber: „Tatsächlich.“ Es war keine Frage. Es war eine pure Festellung. Sie legte ihre Hand in seinen Nacken. Er spürte, dass sie weich und angenehm kühl war. Der Schweiß vom Sport war schon getrocknet. Dennoch wurde Akira warm und kalt zugleich. Es war ein unwohles Gefühl und gleichzeitig wurde er schwach. „Es sieht mir so aus, als würdest du mich jetzt schon küssen wollen.“ hauchte sie ihm zu. Ihre Worte prickelten wie Brause auf seinen Wangen. Er drückte sie von sich weg. So wie sein Vorgänger wurde auch Akira rot. Wieso hatte er es nicht einfach getan? Anna kicherte. „Nächster.“ Für einen kurzen Moment füllte Schatten den Raum. Anscheinend war die Sonne mit Wolken verhangen worden, denn das Licht im Raum fing an zu sterben. Ren war aufgestanden. Mit ruhigem Schritt ging er zu Anna. Er beugte sich nicht zu ihr hinunter, tatsächlich schien der große Mann es zu genießen, von oben auf sie herab zu blicken, jedoch zeigte er kein Lächeln. Er schwieg. „Ja?“ fragte sie leise und lehnte sich auf dem kleinen Sims zurück an die Fensterscheibe. Für drei Sekunden schwieg Ren weiterhin, seufzte dann und schloss die Augen. „Ren. 17 Jahre alt. Werde bald das Unternehmen meines Vaters übernehmen.“ Als Ren die Augen wieder öffnete, sah er eine überraschende Reaktion. Annas Lächeln war fort. Sie starrte ihn mit großen, blauen Augen an, die nun, im Schatten, nicht mehr so klar zu sein schienen, wie sonst. Und Ren mochte das. So sah sie gut aus. War sie schockiert? Aber wieso? Weil er bald reich sein würde? Weil er sich nicht zu ihr herunter beugen wollte? Hatte ihre Arroganz ihr das Hirn vernebelt? Wieso würde er, in seiner Position und mit seinem Lebenslauf, sich zu ihr hinab beugen? „Oh…?“ ihre Stimme war ein Flüstern. Nur wenig Lebendigkeit schwang mit ihr mit. Sie stand auf und fing an, auf den Sims zu klettern, während ihr Rock leicht flatterte. Kai versuchte einen Blick zu erhaschen, doch Rens große Gestalt versperrte ihm die Sicht. Flink wie ein Äffchen stand Anna auf dem Sims und legte ihre Hände auf Ren, zog ihn an sich ran und legte ihre Stirn an seine. Ihre Augen waren groß. Je länger er in sie hinein starrte, desto mehr merkte er, wie die Freundlichkeit aus ihrem Gesicht wich. Wollte sie ihn einschüchtern? Ihr Griff war nicht stark, er hätte sich mit Leichtigkeit von ihr losreißen können. Aber er wollte nicht klein bei geben. Andererseits wollte er auch nicht, dass sie ihn so behandelt. Ihre Stimme riss ihn aus Gedanken. Es war nur ein Flüstern, niemand hätte es hören können. Ihre Augen waren ihm so nah, dass er ihre Lippenbewegungen nicht einmal erkennen konnte. „Das Unternehmen deines Vaters also...“ hörte er. Die Worten bissen sich den Weg in seinen Hörgang. „Du bist ziemlich weit weg von deiner Familie.“ Sie ließ ihn los und Ren spürte, dass sie ihn unmerklich von sich wegdrückte. Ihr Po fand den Weg auf den Sims wieder. Ihr Blick ruhte immer noch in Rens smaragdfarbenen Augen, ehe sie an ihn vorbei schaute und Kai zu sich rief. „Nächster.“ Wie auf Kommando drängte sich Kai an Ren vorbei, der wort- und emotionslos zurück trat. Kai legte seine Hände um Annas Nacken. Annas Miene blieb steinhart, auch wenn sie nicht mehr lächelte. „Mein Name ist Kai, ich bin 17 Jahre alt. Ich weiß, wie man Frauen glücklich macht. Wenn du willst, verlassen wir diese langweilige Gesellschaft und ich zeig dir, in wie viele Himmel ich dich bringen kann.“ Er wollte nicht warten. Diese Lippen, die im fahlen Licht der wiederkehrenden Sonne perlten, sahen so lecker aus. Er wollte sie kosten. Er wollte sie beißen. Er wollte spüren, wie dieses weiche Fleisch unter seinen Zähnen nach gab. Doch was er spürte waren nicht Annas Lippen. Es waren ihre Fingerkuppen, die ihm sanft Einhalt geboten. „Du würdest es wirklich tun, oder?“ lachte sie leise, schien jedoch nicht verärgert zu sein. Was? Was tun? Ihr den Himmel zeigen oder sie küssen? Nein. Kein Mädchen würde so eine schmalzige Anmachen glauben. Jeder mit klarem Verstand und ein bisschen Rückgrat würde die Sache mit einem Lachen abtun. Dann küssen? War es so offensichtlich gewesen? „Nächster.“ Es war wie ein Weckruf. Er wollte sie nicht loslassen. Wieso waren ihre Hände an seinen Schultern? Wo kam dieser leichte Druck her, der ihm bedeutete, er solle gehen? Warum waren ihre Hände so weich und warm? Die Stellen, wo sie ihn berührte, wurden heiß. Seine Lippen hatten immer noch die Erinnerung an ihre Fingerkuppen. Doch die nächste Berührung, die folgte, schien jegliches Verlangen Kais zu töten. Liams Hand hatte sich um Kais Oberarm gewickelt und schickte ihn an, endlich von Anna abzulassen. „Wa-“ Kais Stimme zitterte. Was? Wieso? Nein! Er wollte sie nicht loslassen. Doch bevor er sich in seiner Lage zurecht finden konnte, stand er wieder bei Toki und Ren. Und was folgte, trieb jedem der Anwesenden die Farbe aus dem Gesicht, bis auf Anna. Liam, verschwiegen, stolz und unabhängig von jedermanns Meinung, legte ein Knie zu Boden. Dieser große, junge Mann war, so wie er da kniete, unterhalb Annas Kinn. Wortlos sah sie ihn, dessen Augen gen Boden gerichtet waren, an. Dann blickte er auf. Es schien eine Ewigkeit zu sein, doch in dieser einen Sekunde, wo sich ihre Blicke trafen, versanken die beiden in einer Welt, die keinen Zutritt für Außenstehende gebot. Liams waldgrüne Augen funkelten wie Baumkronen im Sonnenschein. Doch die Sekunde verging. „Liam.“ sagte er knapp, stand auf und trat zurück. Niemand konnte glauben, was gerade passiert war. Annas Lächeln kehrte in ihr Gesicht zurück. Sie schaute Liam einige weitere Sekunden lang an, dann stieß sie sich mit ihren Händen von ihrer ungewöhnlichen Sitzgelegenheit ab. „Super.“ sie klang fröhlich und lief an der Männertruppe vorbei zur Tür. „Wir sehen uns dann.“ Die Tür fiel ins Schloss. Zurück blieb Verwirrung. „Was zum...“ fing Akira an und ließ sich erschöpft zurück in seinen Stuhl fallen. Er brauchte Wasser. „Das war intensiv.“ Mirai klang gequält, auch er hatte sich wieder hingesetzt. Kai war komplett in Schweigen versunken. Toki tat es ihm gleich. „Liam...“ Ren war der erste, der nach einigen Minuten der Stille das Wort erhob. „Was…?“ Man konnte meinen, dass Liam und Ren sich näher stünden, als die anderen Mitglieder des Rates. Immerhin waren sie seit einem Jahr in der selben Klasse. Auch wenn Liam meistens schwieg, schienen die beiden am besten kompatibel zu sein, was 'Freundlichkeit' anging. Liam, dessen Blick bisher auf seine Knöchel geruht hatte, schaute Ren direkt in die Augen. „Augen.“ seine Stimme war leise. Es war ein Gefühl, als würde der Wind kurz durch die Baumkronen pusten, um die Vögel von einem Mittagsschlaf wecken zu wollen. Alle starrten ihn an. „Sie wollte unsere Augen sehen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)