Nicht dein Leben... von Grayson ================================================================================ 1. -- Sein Name ist Richard Grayson. Er ist 35 Jahre alt, glücklich verheiratet und Nachwuchs Nummer zwei ist unterwegs. Als Kind lebte er in einem Zirkus, war Artist und gehörte, wie seine Eltern, zu den berühmten Trapezkünstlern, den „Flying Graysons“, bis seine Eltern in der Manege ums Leben kamen. Der bei dem Unglück anwesende Milliardär Bruce Wayne, ebenfalls ein Waisenkind, nahm sich des Waisenjungen an und adoptierte ihn. Es dauerte nicht lange und Richard kam dem Geheimnis seines Adoptivvaters auf die Spur, denn dieser wachte als Batman über Gotham City. Nach langem harten Training wurde Richard zu Robin, dem jugendlichen Partner des Dunklen Ritters. Richard ging zur Schule, studierte danach Psychologie und Kriminologie und verliebte sich in die gutaussehende Bibliothekarin Barbara Gordon, die Adoptivtochter, des GCPD Commisioners James Gordon, die ebenfalls ein kleines Geheimnis schütze, denn Barbara, schon als Kind von Batman fasziniert, wollte nie etwas anderes als eine Superheldin, wie ihr Vorbild, sein und so trafen Robin und das selbsternannte Batgirl über den Dächern von Gotham City aufeinander und die Romanze nahm ihren Lauf. Irgendwann entwuchs Richard dem bunten Kostüm. Er wollte auf eigenen Beinen stehen und entschied sich Gotham City zu verlassen. In der Nachbarstadt Blüdhaven fand er sein neues Zuhause und trat in die Policeacademy ein, um fort an, als Policeofficer die Augen offenzuhalten. Des Nachts zog er als Nightwing seine Runden, an seiner Seite Batgirl, die Frau die er liebte und schon bald heiratete. In dieser Zeit deckte ein Junge namens Timothy Drake die Geheimidenitäten der Vigilanten auf und sprach bei Bruce Wayne vor, der als einsamer Batman düsterer und brutaler als jemals zuvor erschien. Mit viel Geduld und guten Argumenten gelang es Timothy, mit Hilfe von Richard, der neue Robin zu werden und nachdem auch seine Eltern starben, wurde er zum kleinen Bruder von Richard und zu einem weiteren Adoptivsohn Bruce Waynes. Viele Jahre kämpften sie gemeinsam gegen das organisierte Verbrechen an, zerschlugen Drogenkartelle, Mädchenhändlerringe und sorgten dafür das der Abschaum hinter eiserne Gardinen wanderte oder in die geschlossene Abteilung der Psychatrie kam. Nach und nach wurde es ruhiger und sicher in Gotham City und auch in Blüdhaven. Es wurde so still, das Bruce Wayne sich zur Ruhe setzen konnte und Batman aus der nächtlichen Ansicht der Stadt verschwand. Es war nicht mehr von Nöten jede verdammte Nacht auf Patrouille zu gehen und so sah man immer seltener, wie die Helden sich von einem Dach zum anderen schwangen. Richard gab seinen Job als Officer auf, unterbrach die Laufbahn zu einem Detective und beschloss als Lehrer Kinder aus benachteiligten Familien, in Akrobatik und Kunstturnen zu unterrichten Aber was wäre, wenn Richards Leben, nicht sein Leben wäre und er sich entscheiden müsste, ob er alles verlieren möchte, seine Familie, sein Heim, seine eigene Identiät, um den Lauf der Geschichte wieder in die richtigen Bahnen zu lenken oder kämpft er dagegen an und entscheidet sich für die, die er von ganzem Herzen liebt und für das, was er geschaffen hat? Diese Fragen muss sich Richard stellen und früher oder später muss er eine Entscheidung treffen, für oder gegen seine Frau und seine beiden Söhne. *** „Daddy, Daddy, Santa Claus war da...“ Verschlafen schlug Richard die Augen auf, tastete in dem Dämmerlicht des Schlafzimmers nach dem Schalter der Leselampe auf dem Nachttisch. Sofort fiel ein heller Kegel auf ihn. Lächelnd schaute er auf den schwarzen, wuscheligen Haarschopf hinab und schlang die Arme um seinen Sohn, der zur Hälfte auf seinem Oberkörper lag. „Ehrlich?“, erkundigte er sich lächelnd und strich dem Jungen sanft durchs Haar, strich ihm wirre Haarsträhnen aus der Stirn. „Ja und er hat ganz viele tolle Geschenke gebracht.“ Die blauen Augen, denen seines Vaters gar nicht so unähnlich, strahlten glücklich. „Hat er auch was für mich unter den Baum gelegt?“ Mit einem sehr zufriedenen Gefühl und totaler innere Ruhe, zog der schwarzhaarige Mann an der mit königsblauer Bettwäsche bezogenen Daunendecke, um seinen Sohn, der noch immer nur seinen bunten Schlafanzug trug, zuzudecken. „Steck die Füße unter die Decke!“, lachte er und zog den Jungen vollständig zu sich ins Bett. „Ich muss aber meine Geschenke auspacken“, erwiderte der Sechsjährige und versuchte sich aus der Umarmung seines Vaters zu lösen. „Wo ist deine Mom?“ Der unendlichen Neugierde seines Sohnes konnte Richard nichts entgegensetzen und so gab er den kleinen Wirbelwind wieder frei. „In der Küche. Ich glaube sie macht dir Rühreier.“ Lachend sprang Johnny auf, hüpfte einmal quer über das Bett und landete sicher auf dem weichen Bettvorleger. „Zieh dir ein paar warme Socken über, Johnny, ehe du dich auf die restlichen Geschenke stürzt.“ Der schwarzhaarige, durchtrainierte Mann setzte sich auf, fasste nach der Hand seines Sohnes und beschwerte sich mit einem gewissen Schalk in der warmen, tiefen Stimme: „Habt ihr tatsächlich ohne mich die Geschenke ausgepackt?“ „Klar“, nickte der Junge. „Jason kam ohne dich runter, nachdem ich ihn zu dir geschickt hatte und Mom sagte, ich solle dich schlafen lassen.“ „Na dann, ab mit dir.“ Lächelnd gab Dick die kalten Finger seines Sohnes wieder frei und ließ sich seufzend zurück in das warme Bett fallen. Noch etwas schlafen, dann heiß duschen und den Tag mit der Familie verbringen. Wie spät war es eigentlich. Sein Blick wanderte zu dem Radiowecker. Gerade mal 7:05 Uhr. Viel zu früh, um an einem Feiertag aufzustehen und nach nur fünf Stunden Schlaf. Gegen zwei Uhr hatte er seine nächtliche Patrouille eingestellt. In der Nacht vor dem ersten Weihnachtsfeiertag trieben sich anscheinend keine Diebe in der Stadt herum. Müde drehte er sich auf die Seite, nachdem er sich das Kopfkissen zurecht und die Decke um sich gezogen hatte. Wenigstens zehn Minuten, dachte Richard und schloss die Augen. Zum Schlafen kam er jedoch nicht. Feuchter Atem schlug ihm ins Gesicht, ehe eine warme, nasse Zunge über seine Kinn glitt und ihn vollständig erwachen ließ. „Jason, hör auf!“, bat der schwarzhaarige Mann und schob die freche Hundeschnauze von sich. „Lass mich noch etwas schlafen!“ Der Golden Retriver jedoch hielt sich nicht an die Bitte. Mit einem Satz war der Hund auf das Bett gesprungen und versuchte nun unter die warme Decke zu seinem Herrchen zu kriechen. „Ist ja schon gut, Jason. Ich stehe auf.“ Mit allen Fingern kraulte Richard den Familienhund. „Und nun raus aus den Federn!“ Noch immer nicht ganz wach, schwang er die Beine aus dem Bett. Bevor er sich jedoch erhob dehnte er die Schultern und seinen Nacken. Der letzte Kampf steckte ihm noch immer in den Knochen, aber es wurde von Tag zu Tag besser. Die blauen Flecken auf seinen Schultern schimmerten nur noch ein wenig gelblich. Morgen würde nichts mehr davon zu sehen sein. Nur mit Shorts bekleidet, verließ er das Schlafzimmer. Ausgiebig gähnend, fuhr er sich mit den Fingern durch das blauschwarze Haar, rieb sich mit den Handballen einmal kurz über die Augen und stieg die Stufen hinab. Jason, aufgeregt mit dem Schwanz wedelnd, aber aufmerksam den Blick auf Richard gerichtet, an seiner Seite. Am Ende der Treppe angekommen, blieb der Mann für einen Augenblick stehen. Sein Blick glitt in das große Wohnzimmer, mit der offenen Küche. Da befanden sich die beiden wichtigsten Menschen in seinem Leben. Johnny, sein Sohn, der ihm wie aus dem Gesicht geschnitten schien, saß vor dem riesigen Fernseher, noch immer in seinem Schlafanzug, und hielt einen Controller in den Händen. Nun aber wand er seine Aufmerksamkeit auf die rothaarige Frau, die in der Küche vor dem Herd stand. Leise schlich er sich auf nackten Sohlen näher. Hinter ihr angekommen, schlang er einen Arm um sie, legte die flache Hand auf den sichtlich gewölbten Bauch und schob mit den Fingern der anderen Hand, die Fülle der langen roten Haaren aus ihrem Nacken, ehe er sich zu ihr hinabbeugte und die Lippen sacht über die empfindliche Haut gleiten ließ. „Guten Morgen, ihr zwei“, murmelte er gegen die warme, nach Kokosnuss und Mango duftenden Haut und atmete den Geruch genießend ein. „Morgen“, antwortete ihm Barbara. Sie legte die Eier, die sie eben für ein deftiges Frühstück aus dem Kühlschrank geholt hatte, zur Seite und drehte sich in den starken Armen ihres Mannes. Eng schmiegte sie sich an ihn, ließ die Hände über seinen Rücken gleiten und fühlte die Narben auf der Haut, ehe sie ihm einen Kuss stahl. „Daddy!“ Aufgeregt drängelte sich ihr Sohn Johnny zwischen sie. „Weißt du, Santa hat alle Kekse, die ich mit Mom gebacken habe, aufgegessen und die Milch getrunken.“ Ein schelmisches Lächeln stahl sich auf Richards Gesicht. Die blauen Augen blitzen. „Dann waren sie bestimmt total lecker.“ Als er heute Morgen müde und frierend nach Hause gekommen war, hatte er sich mit großem Hunger und viel Appetit über die Kekse hergemacht und mit der Milch runtergespült. „Darf ich noch ein Geschenk aufmachen?“ Aufgeregt vor seinen Eltern auf- und abhüpfend, schaute Johnny zwischen seiner Mutter und seinem Vater hin und her. „Wenn du endlich Socken angezogen hast, dann darfst du noch eins öffnen“, lachte Richard, strich dabei seinem Sohn liebevoll durch das Haar und sah dem Jungen nach, als er, mit Jason im Schlepptau, nach oben in sein Zimmer verschwand. „Dein Sohn hat vorhin zielsicher sein Spiel aus dem Stapel Geschenken gezogen“, erklärte Barbara und lehnte sich wieder gegen ihren Mann. „Dann ist er die nächste Stunde mit Sicherheit beschäftigt.“ Das Gesicht in den langen, roten Haaren verbergend, murmelte er: „Kann das Frühstück noch warten, bis ich duschen war?“ „Lass dir Zeit.“ Langsam glitten ihre Finger auf Richards Rücken tiefer. „Darf ich mitkommen?“, wisperte sie gegen seine Lippen, die Hände dabei besitzergreifend auf seinen Hintern legend. Bevor er Barbara eine Antwort geben konnte, vernahmen sie die eiligen Schritte ihres Sohnes, der mit dicken Socken an den Füßen, die Treppe hinabstürmte, danach zielsicher zu der großen rotsilbern geschmückten Nordmanntanne, die im Wintergarten ihres Hauses stand, eilte und dort nach einem weiteren Geschenk griff. Hastig zerriss Johnny das weihnachtliche Geschenkpapier, ließ die Reste davon achtlos fallen und sprang auf. In den Händen hielt er eine der zur Zeit angesagten Superhelden-Action-Figuren, die mit den beweglichen Armen und Beinen und dem vielen Zubehör. Vor Freude kreischend, den Karton fest an seine Brust gedrückt, sprang er auf seine Eltern zu. „Santa hat mir einen Nightwing geschenkt“, strahlte er überglücklich und drückte seinem verdutzen Vater die Verpackung in die Hand. „Was hätte ich tun sollen?“, flüsterte Barbara. „Er hat sie sich so sehr gewünscht und in seiner Klasse besitzen die meisten Kinder schon eine Figur aus dieser Edition.“ „Aufmachen, Daddy!“ Die Stirn gerunzelt und die Augen zu schmalen Schlitzen verengt, schaute Richard den Karton in seinen Händen an. Durch die Folie auf der oberen Seite, fiel sein Blick auf die Plastikfigur. Wie er selbst, trug die Spielzeugfigur schwarze Stiefel, einen schwarzen Anzug, mit einem blauen, stilisierten Schwingensymbol auf der Brust, das sich über die Schultern bis zu den Armen ausbreitete und die schwarze Maske in Form eines Fledermausschattens. Das Symbol, welches Nightwing eindeutig als Mitglied der Bat-Familie, wie es in der Werbung des Spielzeughersteller hieß, auswies. „Vielleicht hat Santa Claus dir ja auch noch ein Batgirl, Red Robin und Batman gebracht.“ Aus einem der Schubfächer in der Küchenzeile, nahm Richard ein kleines, scharfes Messer und zerschnitt damit die Folie, die als Schutz um den eigentlichen Karton gezogen war. Leicht den Kopf schüttelnd, weil er immer noch nicht so recht glauben konnte, dass Barbara, Tim, Bruce und er nun weltweit bekannte Superhelden waren, zog er die 12 inch (ca. 30 cm) große Figur aus ihrer Hülle und reichte sie Johnny, der sie mit glänzenden Augen an sich drückte. Stolz, die Actionfigur mit beiden Händen festhaltend, eilte der Sechsjährige zurück zu dem beigen Sofa, lümmelte sich in eine Ecke und setzte den Plastik-Nightwing neben sich, eher er nach dem Kontroller griff, um sich voll und ganz seinem neuen Lego-Spiel zu widmen. „Darf ich dem echten Nightwing den Rücken schrubben?“ kicherte Barbara sichtlich amüsiert. „Kanns kaum glauben, mich gibts jetzt als Actionfigur“, stellte Richard fest, ohne auf die eindeutige Anspielung seiner Frau einzugehen. „Ich habe trotzdem lieber das Original im Bett.“ Barbaras grüne Augen glitzerten verheißungsvoll. „Aber ich gestehe, ich habe Johnny die Figur gekauft, damit ich sie mir ausleihen kann, wenn ich Nachts Sehnsucht nach dir habe.“ Ihre Finger verschränkten sich fest mit seinen. „Ich glaube von Tim bekommt er ein Batgirl.“ „Damit ich nicht so einsam bin, wenn du in einem Jahr wieder deine Runden drehst?“ Für einen Moment zog sich sein Magen schmerzhaft zusammen. Er ahnte, welchen Kampf er nach der Geburt ihres zweiten Kindes noch mit seiner Frau ausfechten musste. Er würde ihr, ihr Dasein als Batgirl nicht verbieten, aber er würde sie bitten, für ihre gemeinsamen Kinder das Kostüm an den Nagel zu hängen. Ob ihm dies gelang, stand in den Sternen. Schon nach Johnnys Geburt hatte er mit Engelszungen auf sie eingeredet, ohne großen Erfolg. Verschwörerisch zwinkerte Barbara ihrem Mann zu, legte einen Finger auf die vollen, roten Lippen, als Zeichen, das sie leise sein sollten und begab sich Richtung Treppe. Hand in Hand, wie ein frisch verliebtes Paar, erreichten sie ihr Schlafzimmer und das angrenzende Bad, mit der großen Dusche, die wie für zwei gemacht schien. 2 - Frisch geduscht und in bequemen Sachen fanden Richard und Barbara sich etwa eine Stunde später wieder im Wohnzimmer ein. Johnny schien ihre Abwesenheit nicht bemerkt zu haben, denn er saß noch immer auf den Sofa vertieft in sein neues Konsolenspiel, dabei lagen seine Füße auf Jason, der sich dies gefallen ließ. „Frühstück?“ Fragend die Augenbrauen hochziehend, betrat Richard dich Küche. „Ich kümmer mich um Speck und Rühreier.“ Gesagt, getan. Die nächsten Minuten wer der Schwarzhaarige beschäftigt, während Barbara den Tisch deckte. „Weißt du was es nachher zu essen gibt?“, erkundigte er sich, während er in einer Schüssel, die Eier mit einem Schneebesen verquirlte. „Ariana und du habt doch gestern Abend telefoniert, als ich das Haus verließ.“ „Keine Ahnung. Sie will uns alle überraschen.“ Neben Tellern und Besteck, verteilte sie Servietten und legte jedem einen kleinen Schokoladenweihnachtsmann auf den Teller. Für Johnny und ihren Mann, stellte sie noch zwei Schüsseln, Cornflakes und Mich auf den Tisch. Zu guter Letzt bekam jeder noch ein Glas Orangensaft hingestellt, ehe sie sich um den Toast kümmerte und die Scheiben in den Toaster steckte. „Versuch mal einen Speicherpunkt zu finden, Johnny!“, rief Richard, der eben hauchzart geschnittene Baconscheiben in eine weitere heiße Pfanne legte. „Hab das Kapitel gleich geschafft“, kam die Antwort vom Sofa. „Wann sollen wir da sein?“ Mit einem Holzlöffel, wendete Richard die unterdessen teilweise gestockte Eimasse. „Punkt um eins gibts Mittag.“ „Dann haben wir genug Zeit in aller Ruhe die Geschenke auszupacken.“ Neugierig warf Richard einen Blick zu den Geschenken unter dem Baum und suchte nach dem kleinen roten Päckchen, welches er heute Nacht für seine Frau dort platziert hatte. Ja, es lag noch da, direkt neben dem Baseballhandschuh für Johnny. „Kommst du frühstücken!“, rief Barbara Johnny, während Richard für alle Rührei und Bacon auf den Tellern verteilte. Kurz darauf saßen sie friedlich vereint an dem Tisch und aßen. In diesen Augenblicken kam Richard zur Ruhe. Er genoss es mit seiner Familie zusammen sein, ohne Stress, weil niemand das Haus verlassen musste. Bei den Graysons konnte es morgens ziemlich hektisch zugehen, da musste ein ordentliches Frühstück für alle auf den Tisch, für Johnny musste eine Lunchbox für die Schule gepackt werden, Jason bestand auf seine morgendliche Runde und dann musste sie schon los, Johnny ließ er bei der Vorschule raus, dann fuhr er selber weiter zur Gotham City University, an der er als Trainer und Mentor die Studenten im Kunstturnen unterrichtete. Und ab und zu brachte er seine Frau zur Arbeit, die als Abteilungsleiterin der Kinderbibliothek in der Gotham City Library arbeitete. Da blieb keine Zeit für ein ausgedehntes Frühstück. Plappernd erzählte Johnny mit vollem Mund, das er der beste Pitcher in seinem Team sei und dass er im Januar für das Klassenhaustier, ein kleines Rosettenmeerschweinchen, namens Pinky, verantwortlich ist. Nachdem Johnny aufgegessen und seine Milch ausgetrunken hatte, fragte er, ob er sich vom Tisch entfernen durfte. Irgendwas von ihrer Erziehung war also doch hängen geblieben. „Gibt's heute Nachmittag wieder deinen berühmt berüchtigten Eierpunsch?“ Fragend zog Richard eine Augenbraue nach oben und genoss den frischen, heißen, selbst aufgebrühten Kaffee. „Sicher und wie immer mit gutem Whiskey und viel Sahne“, lächelte Barbara und begann das dreckige Geschirr zusammenzustapeln. „Die Zutaten stehen schon bei Tim in der Küche und Bruce hat dafür einen sehr guten, sehr alten, schottischen Whisky aus seiner Sammlung rausgerückt und da ich ja nicht mal kosten darf, benötige ich den einen oder anderen Vorkoster. Magst du dich freiwillig zur Verfügung stellen.“ „Unglaublich gern und Tim kostet sicher auch“, lachte er und half seiner Frau den Tisch abzuräumen, während Johnny sich wieder vor den Fernseher verzog um weiterzuspielen. „Nur noch eine halbe Stunde, Johnny“, mahnte die werdende Mutter. „Dann kannst du wählen zwischen duschen oder baden.“ „Och, muss das sein?“, kam es nörgelnd als Antwort vom Sofa. „Ja, das muss sein.“ Lächelnd, da sie ihren Sohn kannte, sortierte sie das Geschirr in die Spülmaschine. Immer wieder der selbe Kampf, dachte sie, tagein, tagaus, wenn Johnny aber erst mal in der warmen Wanne saß, dann war er nicht mehr so schnell aus dem Wasser zu bekommen. „Hast du Jason schon sein Geschenk gegeben?“, wollte Richard wissen, der letzte Woche mit seinem Sohn in das nächste große Zoofachgeschäft fahren musste, um für Jason ein neues Spielzeug, einen quietschenden Plüschknochen, kaufen musste. „Nö.“ „Vorschlag!“ Nachdem Richard die Milchpackung in den großen Kühlschrank gestellt hatte, wand er sich Richtung Wohnzimmer, setzte sich zu Johnny und kraulte den Familienhund der dösend auf dem Sofa lag. „Wir öffnen jetzt alle Geschenke und danach gehst du in die Wanne.“ „Mag nicht baden.“ „Dann gibt es keine Geschenke.“ Mit diesem Satz bekam er endlich die Aufmerksamkeit seines Sohnes, der tatsächlich den Controller auf den niedrigen Glastisch vor der Couch legte. „Du darfst dir schon mal ein Päckchen raussuchen, wenn du versprichst dann baden zu gehen. Aber nicht das kleine rote.“ „Okay“, nickte Johnny, zog dabei spielerisch an Jasons Rute, was dieser mit einem Blinzeln quittierte. „Komm, es gibt Geschenke“, lockte das Kind seinen Spielkameraden, er sich scheinbar unwillig von der Couch erhob, dann aber folgte. Kurz darauf saßen sie alle vor dem Weihnachtsbaum. Zufrieden beobachteten die Eltern, wie ihr Sohn freudig strahlend ein Geschenk nach dem anderen auspackte. Zum Schluss lagen nur noch die kleine rote Schachtel und ein weißes A3-Blatt, dass einmal in der Mitte gefaltet war, unter dem Baum. „Für dich.“ Richard griff nach dem Händen seiner Frau und schaute ihr dabei in die wunderschönen grünen Augen. „Aber...“ „Kein aber, Schatz.“ „Wir wollten uns doch nichts schenken.“ „Ich weiß. Es ergab sich...“ Sacht zog er Barbaras Hände an seine Lippen und hauchte zarte Küsse auf die Handrücken, eher die Finger wieder freigab, damit sie ihr Geschenk aufmachen konnte. Bevor sie jedoch dazu kam, rief Johnny: „Santa hat meinen Wunschzettel vergessen!“ „Den hast du ihm doch schon im November gegeben“, erinnerte die werdende Mutter. „Das ist doch der für nächstes Jahr.“ Eilig griff Johnny nach dem Zeichenpapier. „Du weißt schon, was du dir nächstes Jahr Weihnachten wünschst?“ Amüsiert betrachtete Richard seinen Sohn, der ihn mit dieser Art von Taten und Überlegungen immer wieder überraschte. Wild mit dem Kopf nickend bestätige der Junge die Worte. „Na, dann zeig mal her!“ Für einen Augenblick zögerte der Junge, aber dann reichte er seinem Vater das Blatt, der es auseinander faltete und auf eine Zeichnung schaute. Die grauen Blöcke, mit den gelben Punkten, schienen Hochhäuser darzustellen, die sich rechts und links des Blattes abzeichneten. Dazwischen erkannte er eine Häuserschlucht. Am oberen Rand, ziemlich mittig, prangte das Batsignal, ein wenig schief, aber deutlich zu erkennen. Genau in der Mitte des Bildes befanden sich zwei Figuren, beide in grau-blauen Tönen gehalten. Die eine Figur, die mit den schwarzen Haaren und einer dunklen Maske vor den Augen, trug kein Cape, die andere, eindeutig eine weibliche Person, trug ein Cape und hatte lange rote Haare. Lange musste Richard nicht überlege, wen sein Sohn da zu Papier gebracht hatte. Johnny hatte seine eigenen Eltern gezeichnet, wenn er dies auch nicht wusste. Johnnys Nightwing und Johnnys Batgirl hielten sich an den Händen und um sie herum hatte er ein großes rotes Herz gemalt. Neugierig geworden schaute nun auch Barbara auf das Kunstwerk ihre Kindes. „Und was wünscht du dir von Santa?“ Heftig schlug das Herz in Richards Brust. Ahnte der sechsjährige etwa, das er Nightwing und Barbara Batgirl war? Waren sie nicht vorsichtig genug gewesen? „Das Nightwing und Batgirl heiraten.“ Mit dem Ernst, zu dem nur ein Kind fähig war, sprach Johnny seinen Wunsch aus. Wieder huschte ein belustigtes Lächeln über Barbaras Gesicht. „Und warum sollen sie heiraten?“ Neugierig lauschte Richard dem Gespräch, faltete dabei die Zeichnung wieder zusammen und gab sie seinem Sohn zurück. „Sie scheinen sich genauso lieb zu haben, wie ihr.“ Über den Kopf seines Sohnes hinweg, warf Richard seiner Frau, die sich nur mühsam ein Lachen verkneifen konnte, einen hilfesuchenden Blick zu. Für diese Art eines Gespräches, war sie eindeutig besser geeignet als er. „Johnny ich bin mir ziemlich sicher, das Nightwing und Batgirl sich mögen.“ „Ja, aber...“ Nachdenklich schloss der Junge die Augen und knabberte aufgeregt an seinem Daumennagel. „Ich muss immer an Dad und dich denken, wenn ich sie im Fernsehen sehe.“ Alarmiert zog Richard die Augenbrauen zusammen. Sein Sohn schien etwas zu ahnen. Ob er wusste, wie nah er der Wahrheit mit dieser Feststellung gekommen war? „Warum musst du an deine Mutter und mich denken?“, fragte er daher. „Batgirl hat rote Haare wie Mom und Nightwings Haare sehen aus wie deine.“ Aufgeweckt und nach Zustimmung heischend irrte der Blick des Jungen von seinem Vater, zu seiner Mutter und wieder zurück. „Schatz, ich bin mir sicher, dass die beiden Perücken tragen, so wie die Schauspieler in Märchenfilmen. Wer weiß, vielleicht ist Nightwing ist in Wirklichkeit blond und Batgirls Haare sind so dunkel wie deine“, erklärte Barbara. „Die beiden möchten bestimmt nicht erkannt werden. Sie verstecken ihre wahre Identität hinter ihren Masken und den Perücken, damit sie nicht erkannt werden, wenn sie im Supermarkt einkaufen gehen. Es ist ihr Geheimnis.“ „Aber...“ Nickend deutete Johnny an, dass er verstanden hatte. „Trotzdem, die beiden sollten sich lieb haben.“ Nun konnte sich Richard ein leises Lachen nicht mehr verkneifen. „Warum denn Batgirl und Nightwing und nicht Batgirl und Red Robin?“ „Na weil Red Robin rot trägt“, antwortete Johnny, mit einer Logik, zu der anscheinend nur Kinder in der Lage waren. Noch immer lachend wuschelte Richards kräftige Finger durch das Haar seines Sohnes, ehe er fragte: „Magst du in die Wanne fliegen?“ „Oh ja.“ Johnny sprang auf, eilte zu dem Sofa, kletterte darauf und wartete nun, auf der Schulter seines Vaters, wie ein Superheld in die obere Etage des Hauses zu fliegen. „Hoch mit dir!“ Mit sicherem Griff hob Richard den Jungen, den er über alles liebte, auf seine rechte Schulter und fixierte ihn an der Hüfte, nachdem Johnny sich lang ausstreckte. Beide Arme nach vorne geführt, kreischte Johnny vergnügt auf, während Richard mit schnellen Schritten die Treppe hinauf lief. Hinter sich vernahmen sie Jasons freudiges Bellen. Nachdem Johnny endlich in der Wanne saß, kehrte der schwarzhaarige Mann ins Wohnzimmer zurück. Die Badezimmertür hatte er offen gelassen, damit sie Johnny hören konnten, falls er nach ihnen rief. Außerdem war Jason als Babysitter zurückgeblieben. Mit wachem Blick saß der Golden Retriever vor der Wanne, da war sich Richard sicher. Nachdenklich, das kleine rote Geschenk in der Hand, verweilte Barbara wartend auf dem Sofa. „Glaubst du, Johnny ahnt etwas?“, erkundigte sie sich, ohne aufzuschauen. „Ich weiß es nicht.“ Leise seufzend ließ Richard sich auf das Sofa fallen und zog seine Frau an sich, schloss sie in die Arme. „Es ist die Fantasie eines Kindes. Wir alle besaßen unsere Helden in dem Alter. Nur das unsere Helden sich in Büchern, Comics oder Filmen tummelten und sich nicht mitten in der Nacht von einem Haus zum anderen schwangen und am nächsten Tag mit gestochen scharfen Aufnahmen in den Nachrichten zu sehen waren.“ „Sollten wir es ihm sagen?“ Barbara zog Richards Arme enger um sich und die Füße hoch auf die Couch, um es sich gemütlicher zu machen. „Lieber nicht. Wir sollten noch etwas warten. Er würde vielleicht nicht damit angeben, dass seine Eltern berühmte Superhelden sind, aber ich bin mir nicht sicher, ob er sich nicht im Eifer des Gefechts verplappert.“ Sacht strichen seine Finger über den runden Bauch der hübschen Rothaarigen. Er konnte es kaum noch abwarten, dass sein zweites Kind auf die Welt kam. Er liebte es jetzt schon so sehr, dass er, wann immer er konnte und sie beide alleine waren, mit dem oder der Kleinen sprach. „Ja, warten wir noch eine Weile.“ Neugierig, da sie, wie sie fand, lange genug warten musste, entfernte Barbara das rote glitzernde Papier. Eindeutig eine Schmuckschatulle. Komisch, huschte es ihr durch den Kopf. Richard hatte ihr noch nie Schmuck geschenkt. Bisher hatten sie immer gemeinsam Ohrringe ausgewählt oder eine Kette, wenn sie etwas teureren Schmuck für einen Benefizball oder einen Opernabend benötigten. Meistens lieh sie ihn sich sogar, bei den in Gotham angesiedelten Juwelierläden. Nur ein einziges Mal, hatte er ihr Schmuck geschenkt, damals vor beinah zwölf Jahren, als er ihr auf dem Dach des Wayne Towers, in den frühen Morgenstunden, genauer gesagt um 3:24 Uhr, einen Antrag machte. Mit einem wohlig kribbelnden Gefühl im Bauch erinnerte sie sich. Es war kalt gewesen in jener Nacht vom 28. zum 29. Dezember. Frischer Schnee war gefallen. Silbern glitzerte die Stadt. Kaum ein Geräusch war zu vernehmen gewesen. Der Schnee dämpfte beinah jeden Laut. Sie erinnerte sich nur noch an das leise Knirschen, als Nightwing im Frisch gefallenen Schnee zu ihr trat, ihr tief in die Augen schaute und nach ihren Händen griff. Gemeinsam waren sie auf Patrouille gewesen und hatte einen Organhändlerring zerschlagen, nachdem auffällig viele Einwohner Gothams auf unerklärliche Weise verschwanden. Es gab keinerlei Gemeinsamkeiten zwischen den Opfern, es betraf Kinder, Frauen und Männer, jeglichen Alters, sie waren verschiedenster Abstammungen, afrikanisch, asiatisch, europäisch und kamen aus den unterschiedlichsten Schichten. Ob arm, ob reich, ob groß, ob klein, ob blond, ob dunkelhaarig, es spielte anscheinend keine Rolle. Es gab nur einen Punkt, in dem sich die Opfer glichen, sie alle schienen kerngesund zu sein. Eine Woche lang recherchierten sie in alle nur erdenklichen Richtungen, bis Batman den entscheidenden Hinweis gab. Damals hatte Barbara mit allem gerechnet, nur nicht damit, dass Richard ihr einen Antrag machte. Lächelnd, in Gedanken versunken, öffnete sie die kleine Schachtel. Ihr Blick fiel auf zwei schlichte Platinringe. „Frohe Weihnachten“, murmelte Richard in ihr Haar, während sie auf das schlichte Band aus Weißgold an ihrem Ringfinger schaute. „Neue Ringe?“ Sie löste sich aus der sicheren Umarmung, um in die blauen Augen blicken zu können. „Ja.“ Richard zog sich seinen Trauring von dem Finger, reichte ihn seiner Frau und erklärte: „Schau ihn dir an - glanzlos, mit Kratzern und Dellen. Dein Ring sieht sicher genauso mitgenommen aus. Unsere nächtlichen Einsätze gehen nicht spurlos an ihnen vorbei. Siehst du diese Kerbe?“ Er deutete auf die entsprechende Stelle. „Dort traf mich ein Schwerthieb. Nur meine Handschuhe verhinderten Schlimmeres. Ohne die Metallfolie darin, hätte ich sicherlich mehrere Finger verloren..“ „Du sagtest vorhin: es ergab sich...“ Mit etwas Geduld und Mühe gelang es Barbara nach einer Weile, den eigenen Ring vom Finger zu bekommen. Durch ihre Schwangerschaft und die dadurch zugenommenen Kilos, saß das Weißgold ein wenig eng. „Tim ist schuld“, lachte Richard und nahm den neuen Ring, als Beweis seiner Liebe aus der Schachtel. „Er bat mich, ihm bei der Auswahl eines passenden Verlobungsringes zu helfen und da ich schon mal da war...“ „Er will Ariana einen Antrag machen?“ „Dies dürfte schon geschehen sein.“ Richard griff nach Barbaras Hand, um ihr den neuen Ring anzustecken. „Zehn Jahre verheiratet“, murmelte er dabei. „Und ich liebe dich noch genauso, wie damals.“ „Ich dich auch.“ Sie warf nur einen kurzen Blick auf den Platinring an ihrem Finger, bevor sie Richard stürmisch küsste. Minuten später saßen sie beide, mit einem neuem Ring am Finger, schwer atmend auf dem Sofa. „Tim ist sich hoffentlich bewusst darüber, dass er Ariana nun einweihen und ihr sagen muss, dass er Red Robin ist.“ Richard nickte, griff nach der Actionfigur, die noch immer auf der Couch lag und drehte sie nachdenklich zwischen den Fingern.. „Er wollte es ihr vor seinem Antrag beichten. Wenn Ariana nachher noch da ist, dann ist alles zu seiner Zufriedenheit verlaufen und wir feiern nicht nur Weihnachten, sondern auch noch eine Verlobung.“ „Welch ein Glück ich doch hatte, dass ich wusste, wer du bist“, erinnerte sie sich. „Ich mochte dich vom ersten Tag an, als du in der Bibliothek vor mir gestanden hast.“ „Wieso auch immer?“, grinste ihr Mann. „Ich kann mich nämlich nicht mehr an unser erstes Treffen erinnern.“ „Sicher nur, weil sich junge Männer in dem Alter nicht für kleine, graue Mäuse interessieren, die noch nicht mal volljährig sind.“ „So grau warst du gar nicht“, verteidigte Richard Barbara und sich und legte die Plastikfigur auf den Couchtisch, ehe er sich lang ausstreckte und seine Frau mit sich zog. Eng aneinander geschmiegt schwelgten sie gemeinsam in ihren Erinnerungen. „Zumindest meine Haare waren rot“, kicherte Johnnys Mutter. „Ich trug damals eine riesige Brille und ähnelte den strengen Bibliothekarinnen. Ich weiß noch, dass du beinah immer deine Bücher zu spät zurückbrachtest. Fast immer hast du angerufen, um die Medien zu verlängern, aber irgendwann kamst du plötzlich nur noch persönlich vorbei, um die Leihfrist hochzusetzen. Du standest unweit der Theke, begabst dich aber nie zu Miss Fitzwater, sondern wartetest geduldig, bis ich an den Tresen kam. Kannst du dir vorstellen, wie heftig mein Herz klopfte, wenn ich dich sah?“ „Ich mochte dich, zumindest mehr als Miss Fitzwater mit ihrem strengen Blick aus den Eisaugen. Sie wirkte wie ein Wachhund, kontrollierte akribisch jedes Buch, auf Eselsecken und Unterstreichungen, das ich abgab. Mit den grauen Haaren, dem Dutt und den Ärmelschonern, wirkte sie wie eine strenge Angestellte in einem Waisenhaus, in einem Gruselroman. Du dagegen, hast immer gelächelt, hast gescherzt und warst zu Smalltalk fähig, ganz im Gegensatz zu Miss Fitzwater, die immer nur sagte: Das macht 3,- Dollar“, lachte Richard und streichelte gedankenverloren den runden Bauch seiner Frau. „Dein Satz war: Na, wieder mal zu spät dran, Grayson?“ „Hab ich dir jemals gestanden, dass ich bei deinem Kunstturntraining fast immer anwesend war? Ich saß ganz oben auf der Tribüne, in einer dunklen Ecke, nachdem ich am Computer der Uni recherchierte, was für Kurse oder Aktivitäten du neben deinen Studienfächern noch belegt hattest.“ „Nein, gesagt hast du es mir bisher nicht, aber ich wusste es, weil ich dich immer entdeckte.“ „Und du hast geschwiegen?“ „Na ja, du warst nicht die Einzige, die uns beim Training beobachtete. Da befand sich eigentlich immer irgendwo eine Traube von kichernden Mädchen. Es gab nur einen Unterschied, die kichernden waren Studentinnen, du nicht. Wie alt warst du damals, sechzehn, siebzehn?“ „Mit sechzehn hab ich angefangen mir mein Taschengeld aufzubessern. An drei Nachmittagen in der Woche half ich in der Universitätsbibliothek.“ „Montags, Mittwochs und Freitags - die Nachmittage, an denen ich, ohne einen bösen Blick fürchten zu müssen, in die Bibliothek gehen konnte.“ „Hätte ich schon damals gewusst, dass du Robin bist. Ich glaube, ich hätte dich niemals angesprochen und mich irgendwo zwischen den Regalen versteckt. Aber so, warst du nur der Adoptivsohn des reichsten Mannes der Stadt, für mich unerreichbar. Also spielte es keine Rolle, ob ich mit dir sprach oder nicht, außerdem darf man in dem Alter noch Träume träumen.“ Sie schmiegte sich enger an ihn, bettete den Kopf auf seine Brust und lauschte dem gleichmäßigen Herzschlag. „Ich meldete mich beim Turnen an, nahm Karateunterricht, ging zum Judo und Fechten und tat alles, um so gut wie Batman und Robin zu werden. Ich wollte wie sie gegen das Unrecht in dieser Stadt vorgehen. Ich wollte Kindern und Frauen helfen und zu meinem achtzehnten Geburtstag erschien ich auf der Bildfläche.“ „Bruce war eine Wut...“ „Ja, kleine Mädchen haben mitten in der Nacht nichts auf den Straßen Gothams zu suchen, knurrte er mich an. Du dagegen hast mich neugierig gemustert.“ „Ich fand es gut. Außerdem sahst du in deinem Dress verdammt heiß und sexy aus“, schmeichelte Richard. „Tust du heute noch.“ „Komisch, wie das Leben so spielt. Barbara Gordon mit der großen Brille und in einer Bibliothek arbeitend, vollkommen uninteressant, aber als Batgirl in hauch engen Sachen, weckte ich dein Interesse. Aber damals wusste ich ja noch nicht, dass der Student Dick Grayson und der Sidekick von Batman ein und dieselbe Person sind.“ „Wir sahen uns damals ziemlich oft. In der Bibliothek traf ich auf eine, mit der Zeit gute Freundin und in der Nacht konnte ich es kaum erwarten, das heißeste Girl der Stadt zu sehen. So, wie dein Herz schlug, wenn du in der Bibliothek auf Dick Grayson wartetest, so heftig schlug mein Herz, wenn ich Batgirls Erscheinen entgegen fieberte.“ „Und dann verschwand Dick aus meinem Leben. Er erklärte nur, dass er ein Auslandssemester nahm und plötzlich war auch von Robin nichts mehr zu sehen. Ich glaube, ich ahnte es schon damals...“ „Ich verschwand ganze sechs Monate. Ich benötigte dringend Abstand von Bruce, der mir alles in meinem Leben vorschreiben wollte und einfach nicht sah, dass ich nicht mehr das Kind war, dass seine Eltern verlor. Ich ging nach Asien - Japan, Thailand, die Philippinen. Zwei Monate Intensivkurs in Kendo, danach ein Monat in einer Muay-Thai-Schule in der Nähe von Chiang Rai, wobei ich mich auf Krabi Krabong, genauer Plong konzentrierte und zu guter Letzt befand ich mich drei Monate in einem kleinen Dorf auf der Insel Palawan, um Unterricht in Arnis zu nehmen, wobei mir da Dalawang Olisi zusagte. Als ich zurückkehrte, suchte ich mir eine Wohnung in Blüdhaven, war ab sofort nur noch Richard, nicht mehr Dick und legte Robins Kostüm ab. Ich war erwachsen geworden. Fortan drehte ich in Blüdhaven meine Runden, in meiner neuen, mich nicht mehr einengenden eigenen Identität als Nightwing.“ „Mein Vater erzählte beim Abendessen von einem neuen Jäger in der Nacht“, erinnerte sich Barbara. „Ich fragte mich, ob Nightwing eventuell Robin ist und tauchte als Batgirl auf.“ „Worüber ich mich unglaublich freute, denn in den sechs Monaten hatte ich sie nicht vergessen können. Ich fühlte mich wieder wie ein Teenager, als ich dich auf dem Dach des Krankenhauses stehen sah. Und dann sagtest du...“ „Na, wieder mal zu spät dran, Robin“, vollendete sie. „Genau in diesem Moment wusste ich, wer sich hinter der Maske verbarg. Barbara Gordon, das Mädchen mit der Brille aus der Bibliothek.“ „Und ich wusste, dass du Dick bist. Denn mit dem Auftauchen von Nightwing in Blüdhaven, war auch Richard John Grayson-Wayne zurückgekehrt.“ „An diesem Abend habe ich mich haltlos in dich verliebt...“ „Und mir wurde mein Wunschtraum erfüllt, denn in Dick Grayson hatte ich mich schon zweieinhalb Jahre vorher verguckt.“ Gemeinsam, den wundervollen Erinnerungen nachhängend, bemerkten die beiden in inniger Umarmung daliegenden Eltern ihren Sohn nicht, der schon seit einer geraumen Weile, in seinen dicken Bademantel gehüllt, auf der untersten Stufe der Treppe saß und mit großen Augen und offenem Mund lauschte. 3. -- Nicht ahnend, dass ihr Sohn ihr Gespräch belauscht hatte, verließ Familie Grayson etwa zwei Stunden später ihr Heim, um pünktlich zum Mittagessen auf Wayne Manor einzutreffen. Leger angezogen, hatte Tim zu seiner Einladung ausgesprochen. Er wolle nur einen gemütlichen Tag in Familie verbringen und kein Bankett abhalten. Für diese Anweisung war Barbara ihm dankbar, denn unterdessen fand sie so gut wie kein passendes Kleidungsstück mehr in ihrem begehbaren Kleiderschrank mehr und so trug sie bequeme Jeans und einen roten Wollpullover, der locker über ihren Bauch fiel und nicht zu sehr auftrug. In einem schicken Kleid wollte sie sich im Moment nicht sehen. Nur noch sechs Wochen, huschte es ihr durch den Kopf. Ihr Frauenarzt hatte den 5. Februar als Geburtstermin errechnet, also kurz vor Bruce Geburtstag. Schon bald würden sie einen neuen kleinen Erdenbürger begrüßen dürfen. Von der Seite sah sie Richard an, der sie sicher, durch den frisch gefallenen Schnee chauffierte. „Johnny, du bist so still!“ sprach sie ihren Sohn an, der nicht wie sonst munter vor sich hinplapperte. Sicher angeschnallt saß der Sechsjährige in seinem Kindersitz im Fond des Wagens auf der Beifahrerseite. Neben ihm auf dem Rücksitz, gesichert mit einem Hundegeschirr, lag Jason und döste. Mit neun Jahren war der golden Retriever schon ein Methusalem unter seiner Rasse. Es schien überhaupt ein Wunder zu sein, das der Hund bei ihnen lebte. Als Richard, dass winzige Bündel von Hund, vor etwa neun Jahren mit nach Hause brachte, gingen sie eher davon aus, dass der winzige Welpe die erste Nacht nicht überleben würde. Es stellte sich heraus, dass der Kleine ein Kämpfer war. Ein befreundeter Tierarzt, der für Wayne Animal Sanctuary arbeitete, tat alles, um den Kleinen aufzupäppeln, der regelrecht nach Wärme und Liebe schrie und beinah sofort anfing zu winseln, wenn Richard sich nicht in seiner Nähe befand. „Johnny?“ Da sie keine Reaktion ihres Kindes erhielt, drehte Barbara sich auf ihrem Sitz, damit sie den Jungen anschauen konnte. „Träumer“, lachte sie, als sie erkannte, das ihr Sohn tief in die eigenen Gedanken versunken zum Fenster hinaus schaute. Kurz nach 12:00 Uhr öffnete sich das stählerne Tor für sie, das Wayne Manor vor fremden und nicht eingeladenen Gästen schützte. Dank der modernen Technik und einem Funkchip, schwangen die schweren Torflügel leise zur Seite. Sie folgen dem Kiesweg hinauf zu dem wuchtigen, immer ein wenig düster wirkenden, imposanten Anwesen. „Ich werde mich wohl nie daran gewöhnen“, murmelte sie. „Da ist mir unser helles, gemütliches Haus tausendmal lieber.“ „Ich mochte als Kind das Düstere. Ich hatte immer das Gefühl, dass das Gebäude sich meiner Stimmung anpasste.“ „Ich versteh wirklich nicht, wie Tim es hier aushält - die dunklen Räume, das fehlende Tageslicht, das alte Mobiliar. Über die Hälfte der Räume nicht beheizt, weil sie nie jemand betritt oder gar nutzt. Ich würde depressiv werden.“ Sanft legte Richard eine Hand auf den Oberschenkel seiner Frau. „Wann warst du das letzte mal hier? Im April zu Alfreds Geburtstag? Dann lass dich mal überraschen, was Tim in den acht Monaten aus dem alten, verstaubt wirkenden Kasten geschaffen hat. Du wirst kaum noch etwas wiedererkennen. Na ja, zumindest in seiner Hälfte des Anwesens.“ Ihr Ankunft war nicht unbemerkt geblieben, denn am Beginn des Westflügels öffnete sich das große Garagentor für sie. Neben einem alten schwarzen Bentley und Tims Audi parkte Richard ein. „Jason muss mal“, erklang es aus dem Fond. „Um 1:00 Uhr gibt's Mittag“, erinnerte Barbara ihren Sohn, der erst sich, dann Jason abschnallte und mit dem Hund in der großen parkähnlichen Anlage verschwand. „Irgendetwas bedrückt ihn“, murmelte sie, als Johnny zwischen den hohen Bäumen verschwand. „Seit du ihn in die Wanne gesteckt hast, schweigt er vor sich hin und scheint angestrengt über etwas nachzudenken.“ „Hab ich auch bemerkt“, bestätigte Richard, während er ihr Gepäck, da sie über Nacht bleiben wollten, aus dem Kofferraum des Ford Explorer holte. „Wer weiß, was ihm durch den Kopf geht. Er wird zu uns kommen, wenn es wichtig ist.“ Er zog Barbara kurz an sich, hauchte ihr einen Kuss auf die Lippen und lächelte zuversichtlich: „Bisher kam er immer zu uns, wenn er über etwas reden oder etwas wissen wollte.“ „Du hast ja recht, aber ich mach mir trotzdem meine Gedanken.“ „Du bist nicht nur eine Mutter, sondern auch noch schwanger. Ich glaube das gehört es dazu, dass du wie eine Glucke über deine Kinder wachst.“ „Glucke, hmm? Du vergleichst mich wahrhaftig mit einer Glucke?“ Spielerisch boxte sie ihrem Mann in die Seite, der sich lachend, die freie Hand auf die getroffene Stelle drückte und Schmerzen vortäuschte. „Komm, lass uns reingehen!“ Er griff nach Barbaras Hand und verschränkte ihre Finger, ehe sie dem hell erleuchteten Gang folgten, der sie ins Innere von Wayne Manor führte. An einer Stahltür war plötzlich Schluss. „Die ist neu“, murmelte Richard und sah auf das Chip gesteuerte Schloss. „Tim hat wohl vergessen, mir Bescheid zu geben, das mein Transponder neu programmiert werden müsste.“ „Und nun?“ „Rufen wir Alfred an oder aber...“ Die Tasche entglitt Richards Fingern. Mit einem dumpfen Laut landete ihr Gepäck auf dem Estrichbeton, aber dies bekamen sie schon nicht mehr mit, da Richard Barbara, sanft mit seinem Körper, gegen die Wand in ihrem Rücke drängte. Die Finger an ihren Nacken legend, senkte er die Lippen auf ihre und küsste sie zärtlich. „Ich wüsste, wie wir uns die Zeit vertreiben können“, wisperte er in den Kuss. „Wir sind doch keine sechzehn mehr“, antwortete Barbara heiser. „Wir haben ein Haus. Wir müssen nicht mehr in irgendwelchen dunklen Ecken knutschen. Falls du es noch nicht wusstest: wir dürfen das jetzt offiziell.“ „Ich finde es trotzdem aufregend.“ Bevor Richard seine Zärtlichkeiten jedoch vertiefen konnte, vernahmen sie ein Räuspern. Vor ihnen, in der nun geöffneten Tür, stand Alfred - der treue Butler von Bruce Wayne. „Hallo Alfred!“, grüßte der Richard und wirkte für einen Moment wie ein, von seinen Eltern, ertappter Teenager. „Mein Transponder funktioniert nicht“, erklärte er schulterzuckend und hob die Sporttasche auf die Schulter. „Barbara, darf ich das sagen? Du siehst umwerfend aus. Die Schwangerschaft steht dir.“ Der mittlerweile fünfundachtzig jährige Mann, schloss die werdende Mutter fest in seine Arme. Gemeinsam betraten sie kurz darauf einen Gang, dessen dicke bordeauxfarbene Auslegware ihre Schritte dämpfte. „Wo sind denn alle?“, wunderte sich Dick, als nicht mal Tim zur Begrüßung erschien. „Master Bruce hält sich in der Bibliothek auf und Tim und Ariana haben sich heute morgen noch nicht blicken lassen. Ich sah Tim nur ganz kurz, als er mich bat Spiegeleier zu braten und frischen Orangensaft zu pressen. Deswegen muss ich auch wieder los, da sich das Kochen nicht von alleine erledigt. Ich denke, es gibt heute kein versprochenes 3-Sterne-Menü von Ariana, sondern nur ein Alfred-hat-nachgekocht-Essen.“ Alfred, die gute Seele des Hauses wollte sich Richtung Küche wenden, als Barbara ihn aufhielt. „Warte kurz! Hat Ariana ja gesagt?“ „So weit ich informiert bin, ja.“ Noch immer gut zu Fuß eilte Alfred davon. Wer den Butler der Waynes nicht persönlich kannte, würde den agilen, älteren Herrn niemals für fünfundachtzig halten, sondern eher auf siebzig schätzen. „Und was nun? Zur Bibliothek? In die Küche und Alfred helfen oder bei Tim anklopfen?“ „Tim und Ariana sollten wir lieber nicht stören“, überlegte Barbara. „Ich werde Alfred helfen.“ „Ist gut. Ich geh Bruce hallo sagen.“ Gemeinsam betraten sie die große Empfangshalle, die sich weihnachtlich geschmückt, vor ihnen ausbreitete. Zwischen den beiden geschwungenen Treppen, die nach oben in die erste Etage führten, stand eine so riesige Tanne, das Richard sich fragte, wie sie diese in die Halle bekommen und aufgestellt hatten. An das Schmücken wollte er gar nicht denken, dies war sicher nur mit einem Hubwagen möglich gewesen. Er stellte die Tasche auf der untersten Treppe ab, stahl seiner Frau noch einen Kuss, dann begab er sich in den östlichen Flügel des Hauses, um Bruce in der alten Bibliothek aufzusuchen, während Barbara der versteckten Treppe in den Keller folgte, wo sich die alte, unterdessen modernisierte Küche befand. Noch vor einhundert Jahren war dies der Angestelltentrakt gewesen, mit Leben erfüllt und in der Küche befand sich damals nicht nur ein einziger Mann, sondern eine ganze Traube an Köchen, Beiköchen und Dienern. Heute war Alfred der einzige, der sich dort aufhielt. „Ariana wollte eigentlich für uns alle kochen“, erklärte Alfred. „Ich nehme aber an, dass sie viel mit Timothy zu bereden hat, weshalb sie mir ihre Rezepte mit der Bitte, entweder zu kochen, überreichte oder im 'San Sebastian' anzurufen und für uns alle ein Menü zu bestellen. Ich entschied mich zu kochen.“ „Für sechseinhalb Personen kochen. Da hast du dir ganz schön was vorgenommen.“ Aus einem der Schränke, nahm sich Barbara eine Schürze und band sie sich um. „Ich sehe dies als Herausforderung an.“ „Dann tue ich das auch. Was kann ich tun?“ „Ich bin soweit fertig, Barbara. Die Gans brutzelt seit heute Morgen im Ofen, das Rotkraut ist weich und die Klöße sind fertig geformt. Sie müssen nachher noch etwa zwanzig Minuten ziehen. Den Salat will Ariana selbst frisch anrichten. Bleibt nur noch das Dessert.“ Lächelnd reichte Alfred Barbara ein handgeschriebenes Rezept. „Lebkuchenparfait mit gewürzten Blutorangen“, las Barbara leise, überflog die Zutatenliste und die Zubereitungsanweisungen. „Ähm, Alfred, das Parfait muss über Nacht ins Tiefkühlfach. Ich wüsste nicht, wie ich das in einer Stunde bewerkstelligen sollte.“ Ohne ein Wort öffnete Alfred den Tiefkühlschrank. Barbaras Blick fiel auf eine große, abgedeckte Schüssel. „Dann bleibt für mich nur der Rest, zum Glück.“ Gemeinsam und sich dabei angeregt unterhaltend zauberten sie ein leckeres 3-Gänge-Menü. Sie deckten den Tisch im Esszimmer, welches nur zu bestimmten Anlässen benutzt wurde. Alfred entfachte die Holzscheite in dem großen Kamin, dämmte das Deckenlicht und entzündete die roten Kerzen, die auf großen silbernen Kandelabern standen. Plötzlich wirkte der Raum gemütlich und mit der weihnachtlichen Dekoration, bestehend aus Tannenzweigen, die mit roten Schleifen und silbernen Kugeln verziert waren und der feierlichen Musik, Bachs Weihnachtsoratorium, die leise im Hintergrund spielte, konnte Weihnachten gebührend gefeiert werden. „Ihr seid großartig.“ Im Türrahmen stand Ariana. Sie trug ein rotes Kleid und strahlte sie zufrieden an. Herzlich begrüßte sie Barbara. Es wirkte beinah, als hätten die beiden Frauen sich seit Monaten nicht gesehen und nicht miteinander telefoniert, dabei war es gerade mal drei Tage her, dass sie sich auf einen Nachmittagsplausch in einem der vielen Cafés trafen. „Ich kann euch gar nicht genug danken, vor allen Dingen dir Alfred.“ „Gern geschehen, Miss Dzerchenko.“ Alfred zwinkerte Tims High-School-Liebe zu. „Ich hoffe für sie, dass ihr Gespräch mit Timothy gut verlaufen ist.“ „Ist es, Alfred, ist es.“ „Dann bin ich beruhigt.“ „Hilfst du mir beim Salat?“ Fragend schaute die Dunkelhaarige Barbara an. „Ich muss unbedingt mit jemanden reden. Ich habe das Gefühl vor Glück und vor enthüllten Geheimnissen bald zu platzen.“ Bevor Barbara zustimmend nicken konnte, unterbrach sie ihr vibrierendes Smartphone. „Könnt ihr mich bitte reinlassen?!“ „Ich geh schon, Barbara.“ Auf leisen Sohlen verließ Alfred das Esszimmer, um Johnny und Jason einzulassen. „Nun zeig schon her!“ Barbara griff nach der Hand ihrer Freundin und betrachtete den schmalen goldenen Ring, mit dem kleinen Stein. Nicht zu aufdringlich, aber wunderschön. Ihr Mann schien Tim gut beraten zu haben. „Ich habe tatsächlich ja gesagt.“ Ariane schüttelte noch immer ungläubig den Kopf. „Tim hat mir heute morgen so unendlich viele Geheimnisse anvertraut. Ich wäre niemals auf den Gedanken gekommen, dass du Batgirl sein könntest, geschweige denn, dass Tim Red Robin ist. Er hat mir die Bathöhle gezeigt und mich gefragt, ob ich hier einziehen möchte und...“ „Hol einmal ganz tief Luft. Öffne dir einen Wein und trink ein Glas. Ich schau nur schnell nach Johnny. Danach stehe ich dir voll und ganz zur Verfügung und du erzählst mir, wie Tim dir den Antrag gemacht hat.“ 4. -- Nachdem Richard und Tim zwei verfrorene, nasse Spielkameraden, die anscheinend die gesamte Zeit über im Schnee tollten, trocken legten, Bruce sich nicht mehr hinter der gestrigen Ausgabe des „Gotham City Herald“ versteckte und die beiden Frauen einen leichten Feldsalat mit Mozzarella und Granatapfel gezaubert hatten, schafften sie es tatsächlich, gegen 13:00 Uhr, gemeinsam an dem festlich gedeckten Tisch zu erscheinen. Das Gesprächsthema des Nachmittags bildete Tims und Arianas Verlobung. Gemeinsam wurde geplant und überlegt. Es wurden Ratschläge und gute Tipps gegeben, bis Ariana darum bat, endlich über etwas anderes zu sprechen und so wand man sich der Politik, der Kultur und der Musik zu. Der Einzige, den dies alles nicht zu interessieren schien, war Johnny, der still aß und den Blick über die Anwesenden schweifen ließ, dabei tief in seine eigenen Überlegungen versunken. Ab und zu ließ der Junge heimlich etwas von dem Gänsefleisch unter den Tisch fallen, damit Jason nicht wie ein Hund darben musste. Johnny wusste ganz genau, dass Jason nicht am Tisch gefüttert werden sollte, aber er befand sich ja nicht zu Hause, sondern bei dem immer etwas mürrisch und ernst dreinschauenden Bruce Wayne, der so was wie sein Großvater sein sollte. Alfred mochte Johnny viel mehr, als den großen Mann, der der Adoptivvater seines Vaters war. Auch jetzt zwinkerte der Butler ihm zu. Alfred schien der einzige zu sein, der bemerkte, was sich unter dem Tisch abspielte. So sollte ein Großvater, Johnnys Meinung nach sein, gemütlich, liebevoll, interessiert an ihm und nicht wie Bruce Wayne, der ihn zwar wahrnahm, aber nie mit ihm scherzte, ihn mal drückte oder gar mit ihm spielte. Und so war Richards Sohn froh darüber, als sie sich nach dem ausgezeichneten, üppigen Essen in das große Wohnzimmer begaben. Im Kamin flackerte ein warmes orangenes Feuer. Und wie heute morgen zu Hause, lagen unter dem geschmückten Weihnachtsbaum, an dem sogar echte Kerzen befestigt waren, bunte Geschenke für ihn. „Johnny!“ Es war Tim der zu dem Jungen trat, als dieser unschlüssig vor dem Baum saß und sich anscheinend nicht getraute, eines der Geschenke zu öffnen. Noch immer in seine eigene Welt versunken kraulte Johnny seinen besten Freund und grub die Finger tief in das goldfarbene Fell. „Bist du gar nicht neugierig?“ „Doch“, murmelte der Sechsjährige, aber der Gedanke, dass seine Eltern seine Superhelden sein sollten, ließ ihn nicht zur Ruhe kommen und wenn er seinen Gedanken weiter folgte, dann musste Onkel Tim Red Robin sein und sein Großvater Batman? Unwillig schüttelte er den Kopf. So sehr er sich auch immer wünschte, seinen Helden einmal wirklich zu begegnen, so sehr wünschte er sich jetzt, dass sie ihm die Wahrheit sagen würden. Er war doch kein kleines Kind mehr. Sein Daddy sagte doch ständig Großer zu ihm, wieso also hielten sie es vor ihm geheim? Am liebsten wäre Johnny aufgesprungen, um ganz laut zu schreien: ich weiß wer ihr seid, aber er schwieg. „Na los, Kleiner, nun pack schon aus!“ Wie sein Vater wuschelte Onkel Tim ihm durchs Haar. Eigentlich mochte Johnny dies, aber heute nicht und so zuckte er zurück, strich sich das Haar wieder glatt und funkelte seinen Onkel an. „Okay“, murmelte er dann doch und zog das erste kleine Päckchen, mit Rentieren mit roter Nase als Motiv auf dem Papier, zu sich. „Das nicht, Johnny, das ist für deine Mom!“ hielt Ariana den Jungen zurück, der sich daraufhin erhob und das Präsent zu seiner Mutter brachte. „Also nicht wirklich für dich“, lachte Tims Verlobte. „Es hieß ja, Geschenke nur für Kinder.“ „Danke!“ Aus leicht zusammengekniffenen Augen schaute Barbara ihren Sohn, dessen seltsames Verhalten ihr nicht entgangen war, an. Sie machte es sich auf dem riesigen braunen Ledersofa gemütlich und entfernte das bunte Papier. Ein paar winzige Turnschuhe fielen ihr entgegen und als würde das Kind in ihrem Leib spüren, dass es ein Geschenk für es war, fing es kräftig an zu treten. Barbara griff nach Arianas Hand, legte diese auf ihren runden Bauch und lachte. „Es sagt danke.“ Lächelnd fühlte Ariana den Tritten nach. „Und ihr wollt wirklich nicht wissen, was es wird?“ „Nein“, antworteten die werdenden Eltern wie mit einem Mund. „Bei Johnny wussten wir es doch auch nicht“, erklärte Barbara. „Außerdem hat dies einen großen Vorteil. Niemand schenkt einem rosafarbene oder hellblaue Babysachen.“ Wie zum Beweis hielt sie die winzigen grünen Turnschuhe hoch. „Na los, Johnny, du bist dran“, erinnerte Tim seinen Neffen. Passend zu seinem Baseballhandschuh fand Johnny Basebälle unter dem Baum, drei Stück an der Zahl, einen Plüsch-Golden-Retriever, einer weltweit bekannten Plüschtiermanufaktur und ein neues Head-Set für seine X-Box, damit er sich auch weiterhin online mit Tim unterhalten konnten, wenn sie gemeinsam eines von Johnnys Legospielen zockten. Johnnys Head-Set knackte und brummte seit einer geraumen Weile und man konnte tatsächlich den Anflug eines Lächelns auf dem kindlichen Gesicht erkennen. Das letzte Paket enthielt die Batgirl-Action-Figur, die der Junge sich so sehr gewünscht hatte. Jeder der Anwesenden im Raum schien die Luft anzuhalten, als Johnny das Papier entfernte und danach auf sein Geschenk schaute. Der Junge sprang nicht wie heute morgen kreischend durch den Raum. Er nickte nur, murmelte ein: „Dankeschön“, und erkundigte sie bei seinem Onkel, ob er nach oben gehen durfte um zu spielen. „Was hat er denn?“, fragte Tim während er die Reste des Geschenkpapiers aufhob und die Geschenke auf einem Sideboard ablegte, nachdem Johnny den Raum verlassen hatte. Richard zuckte mit den Schultern. „Heute morgen schien seine Welt noch in Ordnung zu sein, aber seit er baden war, schweigt er vor sich hin. Vielleicht wäre er lieber zu Hause oder drüben bei Nicky spielen. Ich kann es nachvollziehen. Als einzige Kind unter lauter Erwachsenen, da kann es ganz schön langweilig werden.“ „Ich geh mal zu ihm.“ Tim folgte dem Grayson Sprössling und holte ihn auf der Treppe, die nach oben führte, ein. Er griff den Jungen an der Taille, drehte ihn zu sich und schloss ihn in die Arme. „Hast du Bock eine Runde zu zocken?“ „Keine Lust“, grummelte Johnny, schlang aber die Arme um seinen Onkel. „Ich weiß, alleine zu sein ist nicht schön.“ Sanft glitten Tims Finger durch das wirre Haar des Kindes. „Onkel Tim, kann ich dich etwas fragen? Aber du darfst nicht böse sein.“ Vor dem Jungen ging der dunkelhaarige Mann in die Knie. Aufmerksam schaute er Johnny in die blauen Augen. „Du darfst mich alles fragen, Kleiner und keine Sorge, ich werde bestimmt nicht böse sein.“ Oh weh, was hatte der Kleine nur wieder angestellt, dass er sich nicht an seine Eltern wandte. „Daddy, ist er...“ Verlegen biss Johnny sich auf die Unterlippe und zappelte von einem Fuß auf den anderen. „Was ist mit deinem Daddy?“ „Ist Daddy...“ Johnny schaffte es nicht, die Frage aller Fragen zu formulieren. Viel zu groß war die Angst, zu erfahren, dass sein Vater tatsächlich Nightwing war oder eben doch nicht. Das Kind war sich nicht wirklich sicher, über was seine Eltern heute morgen genau gesprochen hatten. „Ach nichts, Onkel Tim.“ Bevor Timothy seinen Neffen weiter befragen konnte, vernahmen sie das Läuten an der Tür. Mit eiligen Schritten durchquerte Alfred die Empfangshalle, trat an die Gegensprechanlage und blickte auf den Monitor, bevor er auf dem Bedienungs-Panel das Symbol mit dem Lautsprecher berührte. „Alfred, ich bin es, Roy.“ „Ich öffne ihnen das Tor, Mister Harper.“ Plötzlich kam Leben in Johnny. Die eben noch melancholisch wirkenden Augen des Jungen strahlten. „Lian“, rief er und löste dabei die kräftigen Hände seines Onkels von seiner Hüfte. Der Junge stürmte die Stufen hinab, eilte durch die Halle und drängelte sich an Alfred vorbei, ehe er mit etwas Mühe die große, schwere Tür öffnete, um hinaus auf die Freitreppe zu gelangen, die zu dem Anwesen hinaufführte. Als Johnny den dunklen Mietwagen entdeckte, der den Kiesweg hinaufgefahren kam, konnte ihn nichts mehr aufhalten. Sobald der Wagen zum Stillstand kam, riss er die hintere Türe auf und wartete nicht erst ab, bis Lian ausstieg. Er kletterte zu ihr in den Fond und schloss das schwarzhaarige Mädchen, mit den schmalen Mandelaugen in die Arme. „Junge Liebe“, lachte der Vater des Mädchens, bevor er ausstieg. „Was verschafft uns die Ehre ihres Besuchs, Mister Harper?“ erkundigte Alfred sich von der Treppe. „Richard meinte, ich sei jederzeit herzlich willkommen.“ Auf der anderen Seite des Wagens öffnete der rothaarige Mann die hintere Tür und schaute zu den Kindern auf den Rücksitz. „Los, raus mit euch! Drinnen ist es bestimmt gemütlicher.“ Hand in Hand und fröhlich lachend, liefen Johnny und Lian in das große Haus. Von dem Rücksitz nahm Roy eine dick gefütterte, schwarze Lederjacke und zog sie über. „Soll ich einparken, Alfred?“ „Ich kümmer mich darum, Mister Harper. Gehen sie ruhig rein. Sie finden Richard im Wohnzimmer des Westflügels. Johnny weiß wo.“ Alfred hielt dem alleinerziehenden Vater seine Hand hin, damit er den Wagenschlüssel entgegen nehmen konnte. „Alfred!“ Lachend warf Roy den Schlüssel über das Wagendach in Richtung des älteren Mannes, der den Schlüssel geschickt auffing. „Keyless, Alfred.“ Als Roy die Empfangshalle von Wayne Manor betrat, überkam ihn wie immer ein Gefühl von Ehrfurcht. Sein Blick glitt zu seiner Tochter, die eben etwas in Johnnys Ohr flüsterte, worauf dieser freudig lachte. Ja, die Kids verstanden und mochten sich. In der Halle stehend schaute der Gast aus Star City sich um, bevor er jedoch den Weg in den Westflügel einschlagen konnte, erschien Timothy Drake auf der Treppe, die nach oben führte. „Hey Tim!“, grüße er. „Kannst du mir verraten, wo ich lang muss?“ „Hallo Roy!“ Tim nickte dem rothaarigen Mann zu, ehe sie sich die Hand zur Begrüßung reichten. „Lian, erst Guten Tag sagen, dann kannst du mit Johnny verschwinden.“ „Seht mal, wen ich mitgebracht habe“, sprach Timothy, nachdem er die Tür aufgezogen und den Blick in den Gang freigab. „Überraschung...“ Schalkhaft blitzen die blauen Augen unter den roten Haarsträhnen, die Roy locker ins Gesicht fielen, auf. „Ich störe hoffentlich nicht.“ „Niemals“, lachte Richard, der sein Bierglas wegstellte, sich von dem Sofa erhob und auf seinen besten und ältesten Freund zuging. „Schön dich zu sehen.“ Kurz zog er den gleichgroßen Mann für eine Begrüßung unter Männern an sich, bevor die beiden Männer von vier kleinen Händen zur Seite gedrängt wurden und Johnny und Lian in das Wohnzimmer stürmten. „Mom, dürfen Lian und ich hochgehen?“ fragte Johnny, während Roys Tochter Ariana und Bruce Wayne begrüßte. „Dürft ihr.“ Da war er wieder, Barbaras kleiner Wirbelwind, mit einem strahlenden Lächeln auf den feingeschnittenen, weichen Zügen. „Wir kommen mit hoch.“ Ariana erhob sich von den Sessel, auf dem sie saß und wandte sich an Barbara: „Du hast doch die neuen Zimmer noch nicht gesehen, oder?“ 5. -- Freudig bellend begrüßte der Golden Retriever den Besucher, der nun die Aufmerksamkeit auf den Hund lenkte und diesen hinter den Ohren kraulte. „Hey, alter Junge!“ Nachdem der Familienhund sich genug Streicheleinheiten bei Roy abgeholt hatte, lief er mit der Rute wedelnd auf Richard zu, setzte sich vor ihn, schaute ihn aufmerksam, mit schief gelegtem Kopf an und zeigte so, dass er etwas von seinem Herrchen wünschte. „Musst du mal raus?“ Diese vier einfachen Worte sorgten dafür, dass Jason aufgeregt im Kreis sprang und herzhaft anfing zu bellen. „Sieht so aus.“ Obwohl er Jason hier auf dem Grundstück immer frei laufen lassen konnte, griff Richard gewohnheitsgemäß nach der Leine, was dazu führte, das Jason zur Tür rannte und sich abwartend, dass es endlich losging, davor niederließ. „Kommst du mit?“ erkundigte sich Johnnys Vater bei seinem besten Freund, der noch nicht mal dazugekommen war seine Jacke abzulegen. Nur Augenblicke später traten die Männer ins Freie. Tief atmeten sie die kalte, klare Winterluft ein, füllten ihre Lungen damit und blinzelten in die Sonnenstrahlen, die sich einen Weg hinter den dicken, schweren Schneewolken hervorkämpften. Weiß und glitzernd, wie in einem kitschigen Weihnachtsfilmfilm, lag das Grundstück vor ihnen. Weiße Weihnacht, nicht nur für Kinder ein Traum. Die Hände tief in den Taschen der Jacken vergraben, folgten sie schweigend einem der Wege, die sich durch das Anwesen schlängelten. Zumindest nahmen sie an, auf einem der Wege zu gehen, denn im Gegensatz zu der Auffahrt, hatte Bruce auf den Gehwegen keine Straßenheizung einbauen lassen. Sie orientierten sich einfach an den kleinen Lampen, die Abends die Wege beschienen. Vor ihnen tollte Jason im Schnee, ausgelassen und voller Freude über die weiße Pracht, in der er scharrte und seine Schnauze vergrub, bis Roy einen Schneeball formte und diesen warf. Sofort hechtete der Golden Retriever hinterher, suchte dann aber vergeblich nach dem Ball und so griff Richard in seine Jackentasche, um einen Tennisball hervorzuholen, damit Jason seinen Jagderfolg bekam. „Du bist meiner Einladung tatsächlich gefolgt“, freute der ehemalige Artist sich, während er seinem Hund den Tennisball abnahm und wieder warf. „Wir haben den ersten Flug genommen. Lian konnte sowieso nicht schlafen.“ Nun war es Roy der den Ball werfen musste. „Einmal, weil ich gestern unsere Taschen packte und ihr mitteilte, dass wir euch besuchen und zum anderen, weil Weihnachten ist. Sie ist irgendwann gegen 3:00 Uhr ins Wohnzimmer geschlichen, um heimlich ihre Geschenke auszupacken. Ich hab sie in dem Glauben gelassen, dass ich schlafe, dabei habe ich sie beobachtete...“ Ein warmes Lächeln huschte über Roys Gesicht, sichtlich stolz auf seine Tochter und total in sie vernarrt. „Dafür hat sie den gesamten Flug verschlafen. Ich bin so froh darüber, dass ich mich damals gegen Ollie stellte. Sonst wäre Lian jetzt nicht bei mir, sondern bei irgendeiner Pflegefamilie. Was ja nichts schlechtes sein muss, aber Kinder gehören zu ihren Eltern, wenn sie denn welche haben und diese für ihr Kind sorgen können.“ Aufmerksam zuhörend nickte Richard. Sie beide waren Waisenkinder und hatten ihre Eltern viel zu früh verloren. Während Richard von Bruce Wayne aufgenommen wurde, verbrachte Roy einige Zeit in der Obhut eines Navajo-Stammes. Als dieser dann dreizehn wurde, legte man ihm nahe, den Stamm zu verlassen und als sein Ziehvater Brave Bow, der Medizinmann des Stammes im Sterben lag, sah dieser sich nach einem geeigneten Vorbild und Mentor für Roy um und fand diesen in dem Superhelden Green Arrow. „Ich erinnere mich noch gut, als du damals mit einem gerade mal einem Monat alten Baby vor unsere Türe standest. Alles was du sagtest war: ich benötige eure Hilfe.“ „Und ihr seid für mich dagewesen. Ich hatte doch keine Ahnung von einem Baby, geschweige denn davon Vater zu sein.“ „Du bist ein guter Vater für Lian. Sie würde sicherlich keinen anderen haben wollen.“ Richard zog den Reißverschluß seiner Jacke nach oben und ließ Roy in seinen Erinnerungen schwelgen, der damals über Nacht und ohne es zu ahnen, Vater geworden war, nachdem er sich zehn Monate vorher, bei einem Aufenthalt in Südostasien, zu einem One Night Stand hinreißen ließ, der nicht ohne Folgen geblieben war. Jade Nguyen, die Mutter des Kindes, starb bei der Geburt, hatte Roy aber als Vater in der Geburtsurkunde angegeben und so war ihm Lian übergeben worden. „Vielleicht sollten wir mit unseren Kids einen Schneemann bauen“, überlegte Roy, während er wieder in den Schnee griff. „Der Schnee pappt gut.“ „Können wir gerne machen, wenn die beiden Lust dazu haben, aber vorher verrätst du mir, was dich wirklich hergeführt hat.“ Die beiden Männer kannten sich lange genug, um zu merken, wenn dem anderen etwas auf der Seele lag. Richard kannte den nachdenklichen Ausdruck in Roys Augen. „Lian soll ein schönes Weihnachtsfest erleben. Eines, an das sie sich noch in vielen Jahren erinnern kann. Es ist nicht schön, wenn ein kleines Kind zu Weihnachten ganz alleine mit seinem Vater ist. Ollie und ich gehen uns immer noch aus dem Weg. In absehbarer Zeit wird sich daran sicher nichts ändern.“ Roy zuckte mit den Schultern. „Wir kommen klar, irgendwie. Es ist nicht leicht alleine für ein Kind zu sorgen, nebenbei zu arbeiten und nachts unterwegs zu sein. Ich habe mehrmals darüber nachgedacht Arsenal in Rente zu schicken oder zumindest in den Urlaub, bis Lian größer ist.“ „Dann komm wieder her. Ich hab es damals sowieso nicht verstanden, wieso du mit Lian nach Star City gezogen bist. Die Kinder mögen sich. Irgendjemand ist immer da, um auf die beiden aufzupassen. Und ganz ehrlich, ich würde mich über Gesellschaft freuen. Tim und ich wechseln uns seit fünf Monaten ab und es wird wenigstens noch ein Jahr dauern bis Barbara sich uns wieder anschließt.“ „Und Oliver Queen, den von sich selbst ach so überzeugten Milliardär, Star City überlassen?“ „Warum nicht? Vielleicht merkt er so, dass er einen Sohn hat...“ „Nur noch auf dem Papier, Richard, nur noch auf dem Papier...“, unterbrach Roy seinen Freund. Mit aller Macht warf er einen Schneeball, zielte dabei hoch in die Krone einer der ehrfürchtigen Fichten, die seit dem Bau des Herrenhauses auf dem Grundstück standen und wuchsen. Schnee rieselte auf sie herab, hüllte sie in einen weißen Flockenzauber und um Roy zu zeigen, dass er nicht alleine auf dieser Welt stand, legte Richard ihm eine Hand auf die Schulter, ehe er sagte: „Gut, das wäre der eine Grund und was ist Nummer zwei?“ „Ich träume schlecht, schon seit Wochen.“ Langsam lief der rothaarige Mann weiter, hinterließ dabei tiefe Abdrücke im Schnee.“ „Manchmal sehe ich die Bilder sogar, wenn ich munter bin oder zumindest denke, dass ich wach bin. Vielleicht falle ich auch in einen Sekundenschlaf, weil ich vollkommen übermüdet bin.“ „Du träumst?“ „Wirres Zeug“, bestätigte Roy. „Lians Mutter zum Beispiel: in meinen Träumen ist sie nicht bei der Geburt gestorben, sondern sitzt im Gefängnis. Sie ist eine Auftragskillerin mit dem Namen Cheshire. Sie war nicht nur ein OneNightStand. In meinen Träumen liebte ich sie. Du tauchst auch immer wieder auf, aber du bist nicht mit Barbara verheiratet. Wir gehören einem Team an, du bist unser Anführer und hast..“ Heißer lachte er auf. „Du wirst es mir nicht glauben, eine Beziehung zu einer außerirdischen Prinzessin.“ Richard zog die Stirn kraus. Gerade so konnte er sich ein Grinsen verkneifen, denn das was Roy erzählte, schob er eindeutig auf Überarbeitung. Außerirdische? Dennoch unterbrach er seinen Freund nicht, als dieser weitersprach: „ Am schlimmsten sind die Träume, in denen ich mich mit Heroin vollpumpe. Ein Trip in einem Traum. Kannst du dir vorstellen, wie verwirrend das ist? Manchmal habe ich das Gefühl verrückt zu werden und da ist noch Ollies Sohn - Connor.“ Wie vor eine Wand gelaufen blieb Roy stehen, drehte sich in Richards Richtung und sah ihn fragend an. „Dick, du kennst mich so gut, wie niemand sonst. Werde ich verrückt?“ Den Kopf hin- und herwiegend dachte der Dunkelhaarige nach, ehe er vehement verneinte: „Nein, ich glaube nicht, dass du verrückt wirst. Für mich klingt es eher wie ein lauter Hilferuf deines Unterbewusstseins. Wie viel Stress warst du in den letzten Monaten ausgesetzt? Du benötigst eine Auszeit. Fahr mit Lian weg, irgendwohin, macht gemeinsam Urlaub oder flieg mit ihr ins Warme. Du musst zur Ruhe kommen, dich mal entspannen und mal nur für dich und deine Tochter da sein. Lass die Seele baumeln und verwöhnen und vor allen Dingen vergiss in der Zeit mal Star City und Ollie.“ „Zu Beginn habe ich auch daran gedacht. Du bist überarbeitet, genervt, überfordert, du hast keinen Bock mehr, dies alles ging mir durch den Kopf. Ich fand sogar für jeden verrückten Traum, in dem es um mich ging, eine plausible Erklärung und trotzdem ließ es mich nicht los. Was hat es mit dir in meinen Träumen auf sich? Wieso wurde Johnny nie geboren? Was ist mit Barbara? Wieso spielt sie in deinem Leben keine Rolle?“ Verwirrt fuhr der Mann sich durch das längere rote Haar. „Ich bin dein bester Freund. Ich habe ein Recht darauf in deinen Träumen zu erscheinen.“ Den belustigten Unterton in seiner Stimme konnte Richard nicht ganz verbergen. „Trotzdem, irgendetwas stimmt nicht. Da bin ich mir ziemlich sicher, und um herauszufinden, was sich in meinem Kopf abspielt, würde ich gerne ins Reservat fahren und euch fragen, ob ihr Lian für eine Weile bei euch aufnehmen könnt!“ „Johnny wird sich freuen“, stimmte Richard zu, der es für Richtig hielt, dass sein ältester Freund sich Hilfe suchen wollte und wer konnte ihm besser zur Seite stehen, als ein spiritueller Führer? „Wann willst du los?“ „Besser zu früh, als zu spät...“ 6. -- „Sie schlafen, endlich.“ Leise seufzend setzte Barbara sich zu Richard, nahm ihm dankbar das Glas Wasser ab, welches er ihr reichte. Zusammen mit Roy hatte sie den beiden Kindern noch eine Geschichte vorgelesen, bei dieser sogar Jason, der zwischen Lian und Johnny in dem Bett lag, eingeschlafen war. „Wollt ihr nochmal los?“ erkundigte sie sich leise, um die anderen nicht in ihrem Gespräch zu unterbrechen. „Nur eine kleine Runde drehen und nach dem Rechten schauen.“ Mit warmen Fingern strich er ihr einige widerspenstige Haarsträhnen aus der Stirn. „Du musst nicht warten. Ich habe ja zwei Aufpasser dabei. Außerdem bin ich mir sicher, dass es ruhig bleibt.“ „Es ist schön, dass Roy und Lian da sind“, gähnte die rothaarige Frau herzhaft. „Lian scheint Johnny aus seinen Grübeleien gerissen zuhaben.“ „Ich glaube, dass wir einen riesigen Schneemann für sie gebaut haben, trug auch dazu bei“, lachte der Mann an ihrer Seite leise. „Ich hoffe nur, dass Bruce noch nicht raus gesehen hat. Die grauen, unendlich vielen Bahnen, im weißen Schnee, in seinem Garten, gefallen ihm mit Sicherheit nicht.“ „Ich habe es genossen, euch dabei zuzusehen. Ein Bild für die Götter, wie drei erwachsene Männer, versuchten die riesigen Schneekugeln übereinanderzustapeln.“ „Selbstüberschätzung“, erklang es neben ihnen, da Roy einen Teil ihres Gespräches mitbekommen hatte. „Das Wichtigste für unsere Kids schien allerdings zu sein, dass der Schneemann zum Schluss Kohleaugen, woher Alfred die Kohlen auch immer gezaubert hat, eine Möhrennase und einen Topf als Hut bekam.“ „Kohlen findet man sicher noch eine ganze Menge in einem der alten Kellergewölbe“, unterbrach Richard seinen Freund. „Und zu unserer Verteidigung muss ich sagen, dass wir vorher und auch während dem Bauen eine Menge Eierpunsch getrunken haben.“ „Nichts als Ausreden“, lachte Barbara. „Aber geschmeckt hat es euch. Es ist nicht mal mehr ein Tropfen in dem Topf.“ „Was gut ist. Noch ein Glas mehr davon und ich würde oben neben meiner Tochter liegen und schlafen.“ „Apropos Schlafen, ich werde es wie Ariana halten und mich zurückziehen.“ „Du darfst ruhig hier einschlafen“, murmelte Richard ihr ins Ohr und zog sie an sich. „Ich werde ja noch in der Lage sein, meine Frau ins Bett zu tragen. Also, wenn du lieber in meinem Armen einschlafen möchtest.“ „Ein sehr verlockendes Angebot, aber ich werde es ausschlagen.“ Fest sah sie in die strahlend blauen Augen. Bevor sie sich jedoch, aus den Armen wand, die sie festhielten, wisperte sie, nur für Richard hörbar, gegen seine Lippen: „Lass dir nicht zu viel Zeit. Du könntest etwas verpassen.“ „Träum was Schönes!“ Nur ungern gab der dunkelhaarige Mann seine Frau frei. „Ich weiß, am besten von dir.“ Bevor die Bibliothekarin sich jedoch erhob und das Wohnzimmer verließ, stahl sie sich einen Kuss und sagte an die anderen Anwesenden gewandt: „Passt auf euch auf!“ „Tun wir, Rotschopf“, grinste Roy. „Und ich verspreche dir, dass ich deinen dir angetrauten Ehemann pünktlich gegen 3:00 Uhr vor eurer Zimmertüre abliefere. Stell dir den Wecker, falls du es überprüfen möchtest.“ Lachend erwiderte sie: „Wir sprechen uns morgen, Rotschopf.“ Roy war der einzige Mensch auf der Welt, dem sie das Wort Rotschopf nicht übel nehmen konnte, da dieser ja selbst zu der Gattung Rothaarig gehörte. Kaum das die Tür hinter Barbara ins Schloss gefallen war, fragte Tim: „Wann wollen wir los?“ „Jetzt gleich?“ Roy erhob sich und streckte sich. „Ist ewig her, dass ich mit einem Partner unterwegs war, geschweige denn gleich mit Zweien.“ „Bruce?“ Tims Blick glitt zu seinem Adoptivvater, der seit einer geraumen Weile sein Trainingsprogramm wieder augedehnt hatte. „Hast du Lust uns zu begleiten?“ „Nein. Ich werde hier Stellung halten.“ Kurz darauf sah man, wie fünf Männer auf leisen Sohlen durch das Haus schlichen, die Empfangshalle durchquerten und sich zur Bibliothek begaben. Hinter einem der schweren Bücherregale, vollgestopft mit Monografien und Inkunabeln aus dem späten Mittelalter, befand sich der Durchgang zu dem Allerheiligsten des Anwesens, der geheimen Höhle, die sich beinah unter dem gesamten Anwesen erstreckte und die Basis von Batman und den anderen bildete, vollgestopft mit der modernsten Technik und allerlei anderen Sachen, die sie für die Verbrechensbekämpfung benötigten. „Alfred, wo hast du denn meine Ersatzsachen?“ Neugierig schaute Roy sich um, auf der Suche nach neuen Errungenschaften, die bei seinem letzten Besucht noch nicht vorhanden waren. „Folgen sie mir, Mister Harper.“ „Bis gleich, Jungs.“ Lians Vater verschwand mit der guten Seele des Hauses in der Dunkelheit, die sich außerhalb des riesigen Bereiches, in dem die Computer standen, ausbreitete und betrat einen Raum, der anscheinend alleine für ihn eingerichtet worden war. „Ja leck mich doch am Arsch“, kommentierte Roy, worauf ihm Alfred einen zweifelnden Blick zuwarf. „Tschuldige, Alfred, aber das ist einfach nur der Wahnsinn.“ Sein Blick glitt über die beiden Puppen, die seine Ersatzkostüme, die er irgendwann mal bei Richard gelassen hatte, trugen. „Wie oft musst du Staub wischen?“ erkundigte er sich, während seine Finger liebevoll über einen der Bogen glitten, die durch eine Vitrine, die er geöffnet hatte, geschützt waren. Daneben fand er seine alte Armbrust und in einem Regal an der Wand, bewahrten sie eine Menge Trickpfeile für ihn auf. Einige schienen neu zu sein, nicht aus seinem Vorrat. Ein breites Grinsen erschien auf Roys Gesicht. Da musste jemand eine Menge Langeweile gehabt und viel Zeit investiert haben. Mit Hochachtung vor dem unbekannten Entwickler, griff Roy nach einem der Pfeile und drehte ihn zwischen den Fingern, ehe er seine endgültige Wahl traf und seinen Köcher bestückte. „Alfred?“ Fragend drehte Lians Vater sich um. „Kannst du mir...“ Mitten im Satz unterbrach er sich, als er bemerkte, dass er sich alleine in dem Raum befand. Mit den Schultern zuckend, nahm er ein rot-grünes Dress an sich, um sich umzuziehen. Als er nur einige Augenblicke zu Richard und Tim zurückkehrte, fand er sie umgezogen und einsatzbereit vor. „Wer?“ Roy hob den Köcher mit den Pfeilen an, damit ihn alle sehen konnten. „Wem muss ich danken?“ „Uns“, antwortete Bruce, der es nicht für nötig hielt, sich von dem Bildschirm abzuwenden. „Jeder hat seinen Teil dazu beigetragen.“ Damit schien das Thema für den wortkargen Mann abgehakt zu sein. „Dank euch.“ Mit einem Nicken in Richtung Alfred, Nightwing und Red Robin tat er seine Freude über die neuen Pfeile kund, ehe er Richtung Fuhrpark schlenderte. Nightwing folgte seinem besten Freund, trat zu seinem Motorrad und strich sehnsuchtsvoll mit der flachen Hand über den Tank. Nur zu gern hätte er sich auf das blauschwarz lackiertes Bike geschwungen, um damit in der Nacht zu verschwinden. Die winterlichen Straßenverhältnisse jedoch, zogen ihm einen Strich durch die Rechnung. „Gemeinsam oder getrennt?“ Unterdessen hatte sich auch Red Robin bei ihnen eingefunden. „Mit wem willst du mitfahren, Arsenal?“ wollte der junge Mann in dem rot-schwarzen Anzug wissen. „Durfte Ariana dich schon in Natur darin bewundern?“ wollte Nightwing wissen, während er Tim ansah und auf Arsenals Antwort wartete. Dabei konnte er sich ein, anzüglich zu nennendes, Grinsen nicht verkneifen. „Eigentlich wollte ich es mir als Überraschung für die Hochzeitsnacht aufsparen“, lachte der Angesprochene. „Ehrlich?“ Noch immer amüsiert zog Richard eine Augenbraue nach oben. „Und bis dahin auf die Annehmlichkeiten verzichten, die dir so ein Outfit einbringen kann? Aus eigener Erfahrung muss ich dir sagen, dass so manche heiße Nacht...“ „Ihr solltet los!“, unterbrach Bruce sie in ihrem Gespräch. „Spielverderber“, wisperte Nightwing so leise, wobei er sich ziemlich sicher war, dass ihn wirklich nur Red Robin und Arsenal verstanden. „Wir reden im Wagen weiter.“ Red Robin wartete nicht erst ab, ob Nightwing und Arsenal eventuell zusammen in einem der anderen Wagen fahren wollten, sondern ging zielstrebig auf seinen Redbird zu. „Einsteigen bitte! Der kleiner von euch sollte hinten Platz nehmen.“ „Ja ja, so behandelt man seinen älteren Bruder, der es nur gut mit einem meint.“ Nightwing zwinkerte Tim, der auf den Zentimeter genauso groß war wie er, zu und erklärte an Roy gewandt: „Und manchmal führen zwei Zentimeter zum Sieg.“ 7. -- Keine zehn Minuten später konnte man den roten Wagen auf einer Ausfallstraße Richtung Gotham City fahren sehen. Leer lagen die Straßen der Stadt vor ihnen. Nur hier und da sah man eine einzelne Person oder eine Gruppe Einwohner, die nach den Feierlichkeiten auf dem Weg nach Hause oder unterwegs zur nächsten Party waren. Ab und zu blitzen, in dem Licht der Scheinwerfer, gelb die Augen von streunenden Tieren auf. Es sah nicht danach aus, als hätten die drei Vigilanten in dieser Nacht viel zu tun und so konnten sie in aller Ruhe, Stellung auf einem der Dächer im Hafenviertel beziehen, denn dort wollten sie mit ihrer Runde beginnen. Nach dem sie leise und von kaum jemandem wahrgenommen, zehn Minuten auf dem Dach ausharrten, erklärte Arsenal leise, dass er sich bei den Docks einen Überblick verschaffen wollte und verschwand in der Dunkelheit. Einen Fuß auf die kleine Begrenzungsmauer gestellt, blickte Nightwing hinab in die Häuserschlucht unter ihnen, während Red Robin aufmerksam dem Polizeifunk lauschte. Sie schwiegen, bis der rot gekleidete Mann die Stille zerbrach: „Johnny wollte mich heute etwas fragen oder mir etwas mitteilen. Dann traute er sich aber nicht so recht.“ Ein: „Hmm“, war alles, was der erste Partner des Dunklen Ritters von sich gab, denn er beobachtete einen Obdachlosen, der in einem der Müllcontainer, die am Rande der Straße auf dem Gehweg standen, nach etwas Brauchbarem wühlte, dann schaltete er die Kommunikationsverbindung aus, denn dieses Gespräch sollte unter ihm und Tim bleiben. „Dein Sohn benahm sich auffällig still, irgendwie ganz weit weg in Gedanken, was für ihn vollkommen untypisch ist, da er eine ganz schöne Plaudertasche sein kann. Hat sich bei euch irgendwas ereignet, von dem ich wissen sollte?“ Als Antwort den Kopf schüttelnd, wandte der, in blauschwarz gekleidete, Mann seine Aufmerksamkeit auf seinen Partner. „Zumindest nichts, von dem ich wüsste.“ „Mal schauen, ob ich es noch zusammenbringe. Johnnys erste Worte waren: Daddy, ist er...“ Red Robins Blick glitt zu einem imaginären Punkt, irgendwo in der Ferne. „Danach sagte er: ist Daddy..., bevor er ein: ach nichts, Onkeln Tim, folgen ließ. Also, was ist los?“ „Ich kann es dir nicht sagen.“ Richard zuckte mit den Schultern. „Heute morgen schien seine Welt noch in Ordnung zu sein. Wir haben gefrühstückt, danach packte Johnny seine Geschenke aus und vollführte einen Freudentanz, als er mich...“ Lachend in Erinnerung an den Moment, fuhr er fort: „... als Actionfigur unter dem Baum fand.“ „Batgirl hat hin dagegen nicht wirklich hinter dem Ofen hervorgelockt. Dabei haben auch wir mit etwas mehr Freude gerechnet, so wie er uns in den letzten Monaten damit in den Ohren gelegen hat.“ „Vielleicht hat er es geahnt, oder es hing mit seinem Wunschzettel zusammen.“ Nightwing wendete seine Aufmerksamkeit wieder der Gasse zu. „Wunschzettel?“ „Sein Wunschzettel, für nächstes Jahr, lag unter dem Baum, damit Santa Claus ihn mitnehmen kann. Weißt du was Johnny gemalt hat?“ Nun war es an Red Robin den Kopf zu schütteln. „Nightwing und Batgirl. Sie hielten sich an den Händen und um die beiden hatte Johnny ein großes rotes Herz gemalt. Kannst du dir denken, was er sich wünscht?“ „Ahnen, Nightwing, ahnen.“ Ein amüsiertes Lächeln erhellte Tims Gesichtszüge. Grinsend erklärte der Vater des Jungen: „Er wünscht sich tatsächlich, das Nightwing und Batgirl heiraten.“ Nur ein verhaltenes Lachen, verließ Tims Kehle, damit es niemand in der unmittelbaren Umgebung vernehmen konnte. „Wenn euer Sohn wüsste, wie nah er damit der Wahrheit gekommen ist. Wie habt ihr reagiert?“ „Ich erst mal gar nicht. Ich war viel zu überrascht. Barbara war es, die ihm erklärte, dass die beiden sich ganz bestimmt mögen. Dann verglich Johnny unser Haarfarben mit denen seiner Lieblingshelden. Worauf Barbara etwas von Perücken, Geheimidentität und Privatsphäre sagte.“ „Oh man, da wäre ich nur zu gern dabei gewesen. Wie ging es weiter? Wie seid ihr aus der Situation gekommen? Johnny kann einem ganz schön Löcher in den Bauch fragen, wenn er etwas unbedingt wissen möchte.“ „Dann warte mal ab, bis Ariana und du Nachwuchs habt. Wer weiß, was eure Kinder eines Tages an peinlichen Fragen loslassen.“ Mit den Augen verfolgte Nightwing eine grauschwarz getigerte Katze, die eben auf einem der Nachbardächer erschien und sie still beobachtete. „Zumindest schaffte Johnny es, dass ich neugierig wurde. Ich wollte von ihm wissen, wieso Batgirl Nightwing heiraten sollte und nicht Red Robin.“ „Und, was hat er geantwortet?“ „Weil Red Robin rot trägt.“ Mit etwas Abstand betrachtet, schien die verwirrende Situation vom Morgen, nicht mehr an Komik zu überbieten sein. „Das scheint kein Grund für Johnnys stilles Verhalten zu sein. Was geschah danach?“ „Ich hab Johnny in die Wanne gesteckt“, erinnerte sich Richard. „Danach sind Barbara und ich auf dem Sofa eingeschlafen und als Johnny uns weckte, benahm er sich irgendwie anders, nachdenklich, in sich gekehrt, grüblerisch.“ „Also ist etwas geschehen, während er baden war.“ „Scheint so.“ Wieder zuckte Nightwing mit den Schultern. Er konnte sich einfach nicht erklären, was genau vorgefallen sein könnte. Er dachte zurück an den ruhigen Augenblick auf der Couch, der nur ihm und seiner Frau gehörte. Ein: „Oh“, entrutschte ihm, als er in Gedanken sein Gespräch mit Barbara Revue passieren ließ. „Ich glaube, ich weiß was er hat.“ „Was?“ Unruhig, bei dem Gedanken daran, strich Nightwing sich durchs Haar. „Ich sag es mal so, Babs und ich haben gemeinsam in Erinnerungen geschwelgt. Kann gut möglich sein, dass Johnny nicht die ganze Zeit über in der Wanne saß und einen Teil von unserem Gespräch mitbekommen hat. Vielleicht hat er nur eins und eins zusammengezählt...“ Red Robin kniff die Augen ein wenig zusammen. „Du meinst, er weiß, wer ihr seid?“ „Durchaus möglich.“ Die Hände zu Fäusten geballt, verfluchte Richard innerlich ihre nicht vorhandene Vorsicht, auf die sie sonst so viel Wert legten. „Es würde erklären, wieso Johnny sich den Tag über seltsam verhielt.“ „Mal angenommen, Johnny weiß es wirklich“, zerbrach Red Robin nach einer Weile die Stille, die eingekehrt war, da Nightwing tief in Gedanken versunken grübelte. „Meinst du nicht, er hätte euch sofort darauf angesprochen? So sehr wie er von seinen Helden schwärmt? Wenn er bei uns ist, dann müssen wir Abends die Gotham News schauen, damit er erfährt, was wir gerade tun und damit er uns sieht.“ „Nicht, wenn er die Erklärung seiner Mutter verinnerlicht hat. Dann wird er kein Wort darüber verlieren, weder uns, noch anderen gegenüber.“ Wütend auf sich selbst schlug Nightwing einmal mit der flachen Hand auf die Begrenzungsmauer. „Verdammt, wir hätten vorsichtiger sein müssen.“ „Damit dürfte eure Geheimidentität fürs erste geschützt sein“, beruhigte Tim seinen älteren Bruder. „Johnny ist ein cleverer Junge. Er weiß zwischen gut und böse zu unterscheiden und er weiß auch, wenn es angebracht ist zu schweigen. Er wird zu euch kommen, wenn er bemerkt, dass das Geheimnis zu viel für ihn wird und er unbedingt mit jemanden darüber reden muss. Oder er kommt zu uns.“ Aufmunternd drückte Red Robin Nightwings Schulter. Er ließ seine Hand dort liegen, als er fortfuhr: „Er war bei mir, hat versucht mit mir zu reden. Sein Gestammel könnte die Frage: Daddy, ist er Nightwing? gewesen sein.“ „Ich soll also nicht mit ihm darüber reden?“ „Nein. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Johnny zu euch kommt.“ Seinem Bruder zunickend lief Tim zur gegenüberliegenden Seite des Dachs und ließ den Blick über die, vom Schnee eingehüllte, Stadt, die im Glanz, der unzähligen Weihnachtslichter erstrahlte, schweifen.Gedämpft drang Musik an seine Ohren. Bei dem Haus, direkt vor ihm, stand ein Fenster, sicher um frische Luft einzulassen, offen. In der Wohnung brannte Licht und durch das Fenster konnte er einen Blick auf die Anwesenden, eine Familie oder Freunde, erhaschen. Gemütlich saßen sie bei einer Flaschen Wein beisammen und unterhielten sich gedämpft, während Bing Crosby „White Christmas“ sang. „Lass uns weiterziehen. Hier schient sich nichts mehr zu tun.“ Mit einem sicheren Sprung, erreichte Red Robin das rechts von ihm liegende Dach des Nachbarhauses. Still, keinen Laut von sich gebend, folgte Nightwing, der gerade nicht ganz bei der Sache war, da ihm die eventuelle Entdeckung seines Sohnes, nicht aus dem Kopf ging. „Arsenal, wir bewegen uns Richtung Norden“, informierte er dennoch seinen Freund. „Hab verstanden“, erhielt er unverzüglich Antwort. Dem Vater blieb nur eins, abwarten, wie Johnny sich verhielt. Auf alle Fälle musste er seiner Frau Bescheid geben, damit sie nicht aus allen Wolken fiel, falls Johnny zuerst zu ihr ging, um zu reden. Ziemlich ereignislos rannen die Minuten dahin und nach etwa einer Stunde gesellte sich Arsenal wieder zu ihnen. Gemeinsam fuhren sie ins East End, nur um dort eine ähnliche ruhige Lage vorzufinden und so dachten die drei Männer tatsächlich darüber nach, noch irgendwo ein Bier trinken zu gehen, als sie mehrere Funksprüche, davon einer mit dem Code 187, des GCPD hochschreckten. „Nightwing, Red Robin, Arsenal!“ erklang kurz darauf Bruce Stimme in ihren Inears. „Sind schon unterwegs“, antwortete Nightwing und schwang sich dabei mit einer fließenden, im Traum beherrschenden Bewegung, über das Geländer des Daches. Dabei sicherte er sich mit einem seiner Seile, an der metallenen Fluchttreppe und landete, wie seine Begleiter ungesehen auf dem Bürgersteig. Der Mord an einer Mutter in einem der Vororte bescherte ihnen nun doch noch einen Fall. Den Mord hatten sie nicht verhindern können, aber sie konnten den Tatort besichtigen und Spuren sichern, vorausgesetzt sie kamen vor den Tatortermittlern an. Ansonsten blieb ihnen nur der Rest, aber es wäre nicht das erste Mal, das die Spurensicherung etwas am Tatort übersah. Innerhalb der nächsten zwanzig Minuten erreichten sie die Wohngegend, da Red Robin die vorgeschrieben Richtgeschwindigkeiten geflissentlich ignorierte und parkten eine Querstraße weiter. Links und rechts von ihnen erstreckten sich kleine Einfamilienhäuser mit Vorgärten. Jedes einzelne Haus schien mehr oder weniger weihnachtlich beleuchtet zu sein. Kaum noch ein Licht brannte in den Häusern. Ihre Bewohner, meist Familien mit mittlerem Einkommen, schliefen größtenteils. Bisher schien nur ein Streifenwagen vor dem Haus von Familie Miller zu stehen. Mit dem typischen gelben Plastikband hatten sie den Tatort großräumig abgesperrt, um die sich langsam einfindenen Neugierigen fernzuhalten. Ungesehen schafften sie es in das kleine Haus vorzudringen. Im Wohnzimmer angekommen, standen sie einen Moment vor der Leiche. In Sekundenbruchteilen nahmen sie jede Kleinigkeit wahr, die tiefen, mit Wucht ausgeführten Messerstiche in ihrem Brustkorb, der tiefe Schnitt über der Kehle, die Tatsache, dass die Frau mit den hellbraunen, lockigen Haaren, bequeme Hauskleider trug, ein viel zu großes Shirt, sicher eines ihres Mannes, mit dem Logo der Gotham Knights, eine schwarze Trainingshose und Badeschlappen. Nichts war durchwühlt, keine Unordnung. Also schlossen sie einen Raubmord aus. Sie trennten sich, Red Robin und Arsenal sollten die anderen Räume besichtigen, während Nightwing im Wohnzimmer diverse Spuren sicherte. Bei ihrer stillen, gewissenhaften Arbeit lauschten sie Bruce, der ihnen durchgab, was die beiden Streifenpolizisten ans GCPD gemeldet hatten: „Das Opfer hieß Katie Miller, geborene McSorley, 33 Jahre alt, Floristin. Sie und ihr Mann, Tobias, besitzen einen kleinen Blumenladen in New Town. Tobias Miller, 36 Jahre, befand sich seit ca. 20:00 Uhr bei seine Nachbarn, den Spinottis. Als er gegen 00:05 Uhr zurückkehrte, fand er seine Frau ermordet vor. Ihr fünf Monate alter Sohn Vince schlief oben im ersten Stock in seinem Zimmer.“ Nur noch fünf Minuten blieben ihnen, dann vernahmen sie die Sirenen und verließen auf dem selben Weg, den sie gekommen waren, das Haus. Im Schatten einer riesigen Platane blieb Nightwing stehen und schaute zurück. Er sah den aufgelösten Vater auf dem Bordstein sitzen, seinen Sohn dabei fest an die Brust gedrückt. Erst als er Dean Morgan, Detective bei der Mordkommission, entdeckte zog er sich zurück. Bei Dean befand sich der Fall in guten Händen. Es gab keinen besseren Ermittler beim GCPD. Gemeinsam hatten sie die Academy besucht, sich etwa ein halbes Jahr lang sogar ein Apartment geteilt und einen Freund in dem anderen gefunden. Dean war damals ganz schön angefressen gewesen, als Richard sich nicht mit ihm gemeinsam für den gehobenen Dienst bewarb, sonder ausschied. Noch heute gingen sie ab und zu mal ein Bier trinken, gemeinsam in die Kletterhalle oder zu einem Baseballspiel. „Nichts, rein gar nichts“, knurrte er, als er sich auf dem Beifahrersitz niederließ und sich der fragenden Blicke von Red Robin und Arsenal bewusst wurde. „Keine Fingerabdrücke, keine Fußspuren, keine Tatwaffe, rein gar nichts. Hoffentlich finden wir in den Proben, die ich genommen habe etwas.“ Noch immer das Bild der Frau, die in ihrem eigenen Blut lag, vor Augen, schüttelte Nightwing den Kopf, als könnte er die Erinnerung so vertreiben. „Es ist Deans Fall.“ Er musste nicht erklären, wer gemeint war. Tim und auch Roy, kannten den Detective von ihren gemeinsamen Ausflügen in die Kletterhalle. „In der Mikrowelle stand ein Becher mit noch lauwarme Milch“, meldete Arsenal aus dem Fond. „Vielleicht wollte sie schlafen gehen, als sie überrascht wurde.“ „Ich entdeckte keinerlei Abwehrspuren an ihr. Entweder kannte sie ihren Mörder oder sie wurde überrascht“, bemerkte Red Robin, der den Weg Richtung Wayne Manor einschlug. Richard nickte. „Beides möglich, warten wir ab, was der Computer ausspuckt, was die Spurensicherung findet und was die Obduktion ergibt.“ Dank Bruce, der den Hightech-Rechner schon mit diversen Angaben gefüttert hatte, mussten sie nur noch die gesammelten Spuren sorgfältig untersuchen und da sie dies zu viert tun konnten, hatten sie innerhalb einer halben Stunde alles soweit erledigt, um am nächsten Tag die Ergebnisse zu erhalten. „Morgen sind wir schlauer“, gähnte Roy. „Lasst uns schlafen gehen!“ Während Arsenal und Red Robin sich in der Höhle umzogen, hing Nightwing seinen Gedanken nach. Gerade mal 33 Jahre alt und der Chance beraubt, den eigenen Sohn aufwachsen zu sehen. Katie Miller würde nie die ersten Schritte ihres Sohnes filmen, das erste Wort nicht hören und nicht dabei sein, wenn Vince das erste Mal alleine Fahrrad fuhr und damit hinfiel. Der Junge musste ohne seine Mutter aufwachsen und ohne eine Erinnerung an sie. „Ich sehe nochmal nach Johnny“, erklärte Richard, sich der Tatsache bewusst, das jeder Tag sein letzter sein könnte - eine Kugel, ein Sturz, ein Messerstich, ein stumpfer Schlag oder sich einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort zu befinden, zum Beispiel mitten in einer Massenkarambolage auf dem Highway, dies waren die Dinge, die ihn das Leben kosten konnten. Normalerweise verschwendete er keinen Gedanken daran, aber sobald einer ihrer Fälle Kinder und deren Familien betraf, wusste er wieder, wie leicht Glück zerbrach. Er musste jeden Tag im Kreise seiner Familie genießen, sonst würde er es vielleicht irgendwann bereuen. „Ich komme mit!“ Leise schlichen Roy und Richard durch das dunkle Haus. Stille umgab sie, eine beinah schon unheimlich zu nennende Ruhe, aber der dunkelhaarige Mann mochte gerade diese Atmosphäre, ganz im Gegenteil zu seiner Frau. Die Geräusche, hier und da ein Knacken, wenn das alte Gebälk arbeitet, das leise Rauschen, wenn der Wind sich in den Giebeln fing, hatten, als er noch ein Kind war, dafür gesorgt, dass er sich wohl und sicher aufgehoben fühlte. In diesem Haus mit Batman als Vater, konnte ihm niemand etwas tun und so verließen ihn nach und nach die Albträume, in denen seine Eltern, mal mit und mal ohne ihn in die Manege von Haly's Circus stürzten. Vorsichtig öffneten sie die Tür zu dem Gästezimmer, in dem Johnny und Lian schliefen. Den leisen Atemzügen ihrer Kinder lauschend, blieben die Väter stehen. Die einzige Reaktion, die sie erhielten, war Jason, der sich müde von dem Läufer neben dem Bett erhob und auf sie zu getrottet kam. „Leg dich wieder hin, alter Freund!“ Einen Finger sanft zwischen die wachen Augen seines Hundes legend, zog Richard den Schwung bis zur Nase nach, worauf Jason sich zufrieden zurück zu dem Vorleger auf Johnnys Seite begab. Ein warmes, von Liebe geprägtes Gefühl erfüllte die Brust des dunkelhaarigen Mannes, der viel zu früh seine Eltern verlor und er hoffte, das sein Sohn noch als Erwachsener, mit Problemen, zu ihm kommen konnte. „Schlaf gut!“, wünschte er Roy, nachdem er die Tür zuzog. Richard wollte nur noch eins, sich an seine Frau schmiegen und ihre Nähe genießen. „Du auch! Bis nachher.“ Sie nickten sich noch einmal zu, dann begaben sie sich zu ihren Gästezimmern. So leise wie möglich drückte Richard die Klinge nach unten und schob die Tür auf. Dunkel lag der Raum vor ihm, bis ein heller Schein das riesigen Bette erhellte. „Alles in Ordnung?“, fragte Barbara, die er eigentlich gar nicht hatte wecken wollen. „So weit ja. Ich erzähl es dir morgen.“ Auf keinen Fall wollte er das warme Gefühl in sich zerstören, indem er von dem Mord berichtete. Lächelnd trat er an das Bett und blieb im Schein der Lampe stehen. Sich der Blicke seiner Frau sehr wohl bewusst, schälte er sich aus seinen Sachen, ließ sie fallen, jedoch nicht einfach liegen. Mit dem Fuß schob er den Stoff, der mit Aramidfasern der unterschiedlichsten Art durchzogen war, unter das Bett. Nur eine Sicherheitsmaßnahme, falls Johnny sie am Morgen wecken wollte, wovon er aber nicht ausging, da Lian zu Besuch war. „Magst du gleichziehen?“ Mit einem versprechenden Lächeln im Gesicht, lüftete Barbara für einen Moment die Decke und gewährte ihrem Mann, einen Blick auf ihren unverhüllten Körper, der die Aussicht sichtlich genoss. Schweigend ließ er das letzte Stück Stoff fallen, kroch danach an ihre Seite, um sich an den geliebten, vom Schlafen noch warmen Leib zu schmiegen. Zärtlich glitten seine Finger über den gerundeten Bauch, wobei er Barbaras Lippen für einen Kuss einfing und heiser murmelte: „Weißt du eigentlich, wie sehr ich dich liebe?“ Sein Kuss wurde tiefer, verlangender, während ihre Hände unstet über seinen Rücken, tiefer hinab zu seinem Hintern glitten. „Ich will dich fühlen!“ Zustimmend vergrub sie die Finger in dem schwarzen Haar und gab sich den Zärtlichkeiten ihres Mannes hin, die vertraute Zweisamkeit mit allen Sinnen auskostend, bevor sie ihm den Rücken zuwandte. Verlangend zog Richard seine Frau an sich, dann drang er sanft in sei ein - einfach nur fühlen, ihre Nähe, ihre Wärme, den geliebten Geruch einatmen, ihrem Atem lauschen und spüren, wie ihre Körper einander antworteten. Das Gesicht an ihrem Nacken, in ihrem Haar verborgen und einen Arm um sie geschlungen, bewegte er sich sanft und sicher, nicht fordernd. Er wollte die Hitze spüren, ihr einfach nur nah sein. „Dick!“ Nur noch selten vernahm er seinen Rufnamen aus Kinder- und Jugendtagen. Barbara benutzte ihn als Kosenamen, immer dann, wenn sie zu zweit waren und sich ihrem Verlangen hingaben. Oder es war Roy, der ihn aus Macht der Gewohnheit aussprach. Ihre Finger verschränkten sich fest mit seinen. „Lass uns so einschlafen!“ „Hmm.“ Zu mehr war er im Moment eh nicht mehr fähig. Eingehüllt in die Wärme seiner Frau, bewegte er sich nur noch minimal, immer dann, wenn er das Gefühl hatte, ihre innige Verbundenheit zu verlieren. Einige Minuten später, blieben auch diese Bewegungen aus. Der lange Tag zollte seinen Tribut. Er war eingeschlafen. 8. -- „Morgen, Boy Wonder.“ Der Länge nach schmiegte Barbara sich an den ihr so vertrauten nackten Körper. Auf dem Bauch liegend, ein Bein ein wenig angezogen, lag ihr Mann, der im Schlaf die Decke von sich geschoben hatte, neben ihr. Lächelnd ließ sie sie Fingerspitzen über seinen Rücken gleiten, hinauf zu den breiten Schultern und dem rechten Oberarm. Dort angekommen, zeichnete sie den Schriftzug nach, den Richard sich mit achtzehn, in einem Tattoo-Studio, hatte stechen lassen - in Erinnerung an seine Eltern und als Zeichen, für all die Trauer und den Schmerz, die er nach ihrem sinnlosen Tod durchlebte - The Flying Graysons. Nur ein leises Grummeln, welches sie an das Schnurren einer Großkatze erinnerte, deutete darauf hin, dass der Mann neben ihr nicht mehr schlief. „Ich glaube du musst noch etwas zu Ende bringen“, wisperte sie ihm ins Ohr, ehe sie federleichte Küsse auf seinem Nacken verteilte. Noch nicht vollständig erwacht, drehte der Dunkelhaarige sich auf den Rücken und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar, ehe er einen Blick neben sich warf. „Wie spät ist es?“ „9:00 Uhr durch.“ Eine Hand flach auf seine Brust legend, schaute sie ihm in die Augen. Ganz langsam, aber mit spürbarem Druck ließ sie dabei ihre Finger tiefer gleiten. „Wir haben alle Zeit der Welt. Lian und Johnny tollen mit Jason im Schnee und Roy passt auf sie auf. Es wird niemand an die Tür klopfen und Jason nicht winselnd davor hocken. Wir sollten das ausnutzen!“ Sie beugte sich über ihn und fing die geliebten Lippen für einen sinnlichen Kuss ein. Ihr rotes Haar fiel über sie, hüllte sie ein und bildete ein natürliches Zelt, welches das Licht, das durch das Fenster hereinfiel, filterte und warm erscheinen ließ. Durch die sanfte Verführung munter geworden, schlang Richard verlangend die Arme um seine Frau. Sie schmeckend, ihren geschmeidigen Körper und ihre Rundungen an seiner Haut spürend, gab er sich nur zu gern ihren kundigen Händen hin. Und während Richard und Barbara in ihrer eigenen Welt versanken, eilte Alfred durch das Haus, um den Kindern im Garten, dich sich immer noch stritten, ob ihr Schneemann einen Umhang tragen sollte oder nicht, schwarzen Stoff zu zu holen. Während Lian für einen Umhang plädierte, schien Johnny strikt dagegen zu sein. Von dem Disput, ob der große Schneemann heute ein Batman oder ein Nightwing darstellen sollte, bekamen Johnnys Eltern nichts mit, dafür aber Roy, der dem nun schon eine ganze Weile andauerndem Streit ein Ende setzte, indem er an einem der Bäume mehrere gerade Zweige abschnitt, diese dem frostigen Gefährten so in den Rücken steckte, das die Enden alle nach oben zeigten. Zum Schluss besorgte er einen gebogenen Ast und befestigte ihn so, das es aussah als würde der Schneemann einen Bogen tragen. Von seiner Aktion bekamen die sich noch immer streitenden Kinder, die sich mit aufgeblasenen Wangen und in die Hüften gestützten Händen gegenüberstanden, nichts mit, erst als er: „Wenn ihr euch nicht einigen könnt, dann entscheide ich eben. Bitteschön, jetzt habt ihr einen Arsenal.“ Lachend deutete er auf den Schneemann. „Daddy!“, schrie Lian plötzlich auf, wobei ihre schmalen, dunklen Augen wütend funkelten. „Batman ist viel toller.“ „Nein, Nightwing“, fing nun auch Johnny wieder an, seinen Standpunkt zu verteidigen. „Also, ich mag ja Arsenal.“ Mit einem amüsierten Grinsen, schnappte Roy sich seine Tochter und warf sie hoch in die Luft. Sicher fing er Lian wieder auf, die vor Freude kreischte. „Er wirkt nicht so düster, wie die Batboys, oder?“ Fest hielt er das Mädchen in den Armen, hauchte ihr einen väterlichen Kuss auf die Stirn und stellte sie zurück auf die eigenen Füße. „Was meint ihr, finden wir einen Kompromiss? Wieso gebt ihr dem Schneemann nicht von jedem eurer Helden einen Teil ab? Ein Cape, das für Batman steht? Bastelt eine Maske, wegen mir die von Nightwing und setzt sie ihm auf. Lasst ihm Pfeil und Bogen, als Zeichen für Arsenal und wenn ihr Lust dazu habt, dann bastelt ein paar Schwingen, wie sie Red Robin trägt.“ Zwischen den zwei Streithähnen kniete Roy sich in den Schnee, ignorierte dabei die Kälte und die Nässe, die seine Jeans durchdrangen und schaute von seiner schmollenden Tochter zu Johnny, der angestrengt über den Vorschlag nachzudenken schien. „Tolle Idee.“ Aufgeregt sprang der Junge auf und ab. „Und woher bekommen wir eine rote Perücke?“ „Wozu denn das?“ quiekte Lian, als sie die Hände ihres Vaters an der Taille spürte und die Finger die sie frech, aber sacht in die Seite stießen. „Wenn wir schon von jedem Superhelden einen Teil am Schneemann haben, dann doch auch was von Batgirl.“ „Da habe ich vielleicht eine Idee, Johnny.“ Es war Alfred, der die Haupttreppe hinab kam. In der Hand hielt er schwarzen Futtertaft. „Ich finde bestimmt irgendwo rotes Seil, daraus könnt ihr eine Perücke basteln.“ Johnny trat zu Alfred, griff zuerst nach dem dünnen Stoff und dann nach der Hand des Butlers, an der er zog, damit dieser sich zu ihm hinab beugte. „Danke.“ Der Junge gab dem überraschten älteren Herrn einen dicken Schmatzer auf die Wange, ehe er nach Jason rief, damit der Hund, der irgendwo auf dem Grundstück verschwunden war, ihnen ins Haus folgte. Die nächsten Minuten waren die Kinder beschäftigt. Unter Arianas Aufsicht und mit ihrer Hilfe, bastelten sie all die Sachen, die ihr Schneemann ihrer Meinung nach benötigte, um ein echter Superschneemann zu sein. Bis auf das Lachen von Johnny und Lian im Wohnzimmer, lag das Haus in Stille. Zeit für Roy, sich in der Bat-Höhle, auf den neusten Stand der Dinge im Mordfall Katie Miller bringen zu lassen. „Der Obduktionsbericht liegt vor.“ Ohne ein Guten Morgen kam Bruce Wayne direkt zur Sache. „Man fand Rückstände von Betäubungsgas in ihren Lungen. Sie war nicht bei Bewusstsein, als der Täter ihr sieben tiefe Stichwunden zufügte. Er traf das Herz zweimal, je zweimal den rechten und den linken Lungenflügel und die Speiseröhre. Zum Schluss durchtrennte er ihr so brutal die Kehle, dass er mit der Schneide bis auf die Halswirbel vordrang.“ „Wenigstens hat sie so nicht all zu viel mitbekommen“, atmete Roy auf. „Gibt es Anzeichen für sexuelle Gewalt?“ wollte Tim wissen, der an einem anderen Rechner saß und die Daten ihrer eigenen Spurensicherung durchsah. „Nein.“ Noch immer drehte Bruce sich nicht in ihre Richtung. „Ich lasse gerade eine Suche laufen, wo überall man in Gotham dieses Betäubungsgas beziehen kann.“ „Okay, also, was haben wir?“ Roy griff nach einem der freien Drehstühle und schob ihn neben Tim, ehe er darauf Platz nahm. „Eine Frau, betäubt, ermordet.“ „Bisher habe ich keine verwertbare Spuren entdeckt, keine DNA, keine fremden Fingerabdrücke, nur die der Familienangehörigen und der Nachbarn“, fuhr Tim fort. „Ich schau mal, ob das GCPD etwas gefunden hat.“ Durch ein paar geübte Griffe, erschienen die Daten der Spurensicherung auf dem Bildschirm. Sorgsam lasen Roy und Tim den Bericht durch, nur um dann gleichzeitig den Kopf zu schütteln. „Sie haben auch nichts.“ „Wir sollten uns heute Abend nochmal umschauen. Kann sein, dass der Mörder keine Spuren in dem Haus hinterlassen hat, ab vielleicht ja davor. Und wenn er nur irgendwo einen Faden verloren hat, ist es besser als gar nichts“, grübelte Lians Vater. Bruce lauschte den Überlegungen, bis er sich erkundigte: „Habt ihr schon das Umfeld der Familie gescannt?“ „Ich arbeite daran“, antwortete Tim und lehnte sich auf dem Stuhl zurück. „Bisher habe ich nichts auffälliges entdecken können - keine Vorstrafen, nicht mal ein Strafzettel für Falschparken, keine Schulden. Katie Miller war ein Einzelkind. Ihre Eltern Carl und Astrid leben in Metropolis. Sie zog vor fünfzehn Jahren für ihr Philosophiestudium hierher. Ihren Mann lernte sie an der Universität kennen. Tobias Mutter Edith starb vor fünf Jahren an Brustkrebs, sein Vater David lebt seit dem Tod seiner Frau in einem Seniorenheim in Metropolis. Nichts auffälliges.“ „Such trotzdem weiter!“ Nickend richtete Bruce seine Aufmerksamkeit wieder auf den Bildschirm. „Laut Tobias Miller wurde nichts gestohlen. Einen Raubmord können wir also ausschließen. Der Täter betrat das Haus durch die Wohnungstüre, die weder verriegelt, noch verschlossen war, da Tobias Miller sich nur bei den Nachbarn befand. Der Täter muss die Familie schon eine ganze Weile beobachtet und seine Tat akribisch geplant haben. Er wusste genau, was er tat. Ich habe eine Suche laufen lassen, fand aber keine ähnlich gelagerten Morde.“ „Wo ist eigentlich Richard?“ Suchend schaute Roy sich in dem Teil der Höhle um, in der sie sich gerade aufhielten. „Anscheinend bisher noch nicht aufgestanden“, grinste Timothy ihren Besuch an. „Wie war das gestern? Heiße Nächte? So weit ich das mitbekam, hatte er sich nicht umgezogen, als er hoch ging. Er wird die freie Zeit zu nutzen wissen.“ „Wusste er schon immer“, stimmte Roy lächelnd zu. „Wir sollten ihnen den Morgen gönnen. Nicht mehr lange und die Nächte werden für sie beide wieder viel zu kurz sein, wenn das Würmchen erst mal da ist.“ „Timothy?“ Es war Alfred der die Höhle betrat und zu ihnen kam. Noch immer an dem Tisch sitzend, drehte der Angesprochene sich in die Richtung, aus der die Stimme geklungen war. „Miss Dzerchenko bat mich, dich an das Essen bei ihren Eltern zu erinnern.“ „Dann bin ich mal weg.“ Den Stift, den er das gesamte Gespräch über in den Fingern gehalten hatte, auf die Tischplatte fallen lassend, erhob Tim sich und begab sich Richtung Ausgang, als er dabei Roy passierte, warf er ihm einen triumphierenden Blick zu. „Tim!“ hielt Bruce seinen jüngsten Adoptivsohn auf. „Bitte richte Arianas Eltern einen Gruß von mir aus. Ich werde gerne für die Hochzeit aufkommen.“ Ganz langsam drehte der Dunkelhaarige sich um, schaute zu dem großgewachsenen Mann, der ihm in den letzten Jahre nicht nur ein Heim zur Verfügung gestellt hatte. „Du willst...?“ „Mit Freuden. Dick hatte es mir verboten. Willst du dies auch?“ Jetzt erst richtete der Millionär den Blick auf Tim, der ihm mit einem skeptischen Ausdruck musterte. „Keine Sorge, Tim. Ihr plant, ich bezahle. Es ist und bleibt eure Hochzeit. Ich werde mich nicht einmischen, nur für den Fall, dass dies Arianas Sorge sein könnte.“ „Ich nehme dich bei Wort“, lachte der frisch Verlobte befreit auf und setzte seinen Weg fort. Bevor die Geheimtür jedoch hinter ihm zufallen konnte, rief er noch: „Dank dir!“ „Ich geh mal nach Lian und Johnny schauen“, murmelte Roy, der nicht unbedingt alleine mit Bruce in der düsteren Höhle zurückbleiben wollte und erreichte das Wohnzimmer gerade in dem Moment, als auf dem großen Fernseher an der Wand eine bunte V.I.P.-Sendung lief, die die beiden Kinder mit Interesse verfolgten. „Na, wie weit seit ihr mit eurem Schneemann gekommen?“ erkundigte er sich, trat hinter das Sofa und wollte seiner Tochter sanft über das dunkle Haar streichen, als diese ihm zurief: „Sei still, Daddy!“ Neugierig geworden schaute der Bogenschütze zu dem Fernseher, auf dem eben einige unscharfe Photos eingeblendet wurden. Sie waren heute Nacht gesehen und anscheinend mit einem Handy nicht nur fotografiert sondern auch gefilmt wurden. Soeben überlegte der Sprecher der Sendung, ob Arsenal, eventuell mit Batgirl, die schon seit beinah sechs Monaten nicht mehr gesehen worden war, verwand und vielleicht ihr Bruder sei und ob die Superhelden gemeinsam Weihnachten feierten. Kein Wunder, dass Lian und Johnny mit geweiteten Augen und aufgerissenen Mündern wie gebannt auf den Bildschirm starrten. *** Die nächsten Tage verliefe ereignislos. Lian hatte sich ohne große Probleme bei Familie Grayson eingelebt und schlief mit bei Johnny im Zimmer auf einer Luftmatratze. Ganz alleine hatte sich das dunkelhaarige Mädchen für die Campingvariante entschieden. Sie wollte kein Gästebett, so sei es aufregender, meinte sie. Jeden Abend telefonierte sie, gegen die Sehnsucht, mit ihrem Daddy, der sich unterdessen im Reservat befand, um der Herkunft seiner wirren Träume auf die Spur zu kommen. Es herrschte Leben in dem Haus - zwei Kinder und ein Hund, die den ganzen Tag durch das Haus oder den Garten tollten. „Gewöhn dich daran“, hatte Barbara lachend zu ihrem Mann gesagt, als dieser sich am frühen Morgen gegen 7:00 Uhr genervt und übermüdet das Kissen über den Kopf zog. Johnny, wie auch Lian gehörten zu den Kindern, dich schon ab 6:00 Uhr putzmunter schienen. „Drei Stunden Schlaf. Was für ein Glück, dass ich Urlaub habe“, grummelte Richard sarkastisch. „Ich kann mal nachschauen, ob wir noch irgendwo Ohrstöpsel haben“, bot seine Frau an und betrat das Badezimmer, wo sie in dem großen Spiegelschrank über dem Waschbecken, nach eben jenem Produkt suchte. „Ich werde Pancakes machen, dann kannst du noch etwas schlafen.“ „Danach kannst du sie eine Runde mit Jason raus schicken“, bat Richard, der das Kissen wieder unter seinen Kopf geschoben hatte. „Mach ich.“ Die Schultern zuckend, da ihre Suche erfolglos geblieben war, verließ Barbara das Bad, setzte sich zu ihm ans Bett und strich ihm durch das, vom Schlafen verwuschelte Haar. „Manchmal fehlen mir deine langen Haare“, murmelte sie und ließ einige schwarze Haarsträhnen durch ihre Finger gleiten. „Nicht nur du magst es, die Hände in langes Haar zu versenken. Ich mochte das auch.“ Sie beugte sich hinab, hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen und stellte leise fest: „Der wenige Schlaf fehlt mir definitiv nicht.“ „Deswegen beneide ich dich ab und zu mal um deinen Schlaf.“ Die Hände an ihre Taille legend, zog er sie näher. „Vor alle Dingen an Tagen wie diesen, wenn ich gleich noch mal mit einer Nachtschicht dran bin.“ „Dafür haben wir Silvester für uns. Ariana muss arbeiten. Das war ihr Deal im 'San Sebastian' - Weihnachten frei, dafür Silvester und Neujahr arbeiten.“ „Für Tim ist es sicher gar nicht so ungünstig, dass sie beinah täglich bis spät in die Nacht arbeitet“, überlegte Richard, während seine Finger sacht über ihren Rücken glitten. „Schlaf noch etwas. Ich verspreche dir, dass du von Johnny und Lian die nächste Stunde nichts mitbekommst.“ Sie löste sich von ihm und verließ das gemeinsame Schlafzimmer. Die Hände unter dem Kopf verschränkt, starrte Richard zur Decke hinauf. In ihm jagten sich die Gedanken, wie wild gewordene Katzen, die ihr Revier verteidigten. Noch immer hing ihm der Mord an Katie Miller nach. Alle Recherchen hatten nichts ergeben, weshalb er heute Nacht, noch einmal zum Tatort zurückgekehrt war. Nur um ihn mit dem selben Ergebnis wieder zu verlassen. Es gab keinerlei weitere Spuren. Beinah schien es so, als wäre die Mutter von einem Geist ermordet wurden. Selbst das GCPD hatte keine neuen Spuren gefunden und so tappen sie gemeinsam im Dunklen. Ihnen blieb nichts weiter übrig, als abzuwarten. Entweder der Täter beging einen so gewaltigen Fehler, dass dieser ihn verriet, oder aber der Fall wurde zu den Akten gelegt und blieb ungelöst. Es gab jedoch noch eine dritte Möglichkeit, nämlich die, dass es zu einem weiteren Mord kam und sie es plötzlich mit einem Serientäter zu tun bekamen. Richard war sich sicher, dass er irgendetwas übersehen hatte, übersah, wenn er im Augenblick auch nicht wusste, was dies sein könnte. Aber etwas störte ihn an diesem Fall, nur eine winzige Kleinigkeit, aber selbst die Verkehrskameras, die in der Nähe des Tatorts aufgebaut waren, hatten nichts Verdächtiges aufgezeichnet. Aber einen Erfolg hatte er heute Nacht auf sein Konto buchen können. Er konnte ein Bruderpaar dem GCPD überstellen, nachdem er ihnen bis heute Morgen um 4:00 Uhr nach einem Überfall auf eine Tankstelle, durch die halbe Stadt gefolgt war. Die beiden jungen Männer, zweiundzwanzig und vierundzwanzig Jahre alt, beherrschten, wie sich herausstellte, Freerunning und Parkour, was sie seit Kindertagen trainierten und betrieben. Nicht, dass er nicht mithalten könnte, aber zerteilen konnte er sich eben doch nicht und so musste er sich für einen der beiden entscheiden und nach dessen Festnahme, zu dem Treffpunkt der beiden zurückkehren, was ihn beinah die ganze Nacht gekostet hatte. Aber der Erfolg war mit ihm gewesen. Die nächsten Monate würden die Zwei keine kleinen Läden mehr überfallen. Die Nacht noch einmal Revue passieren lassend, fand Richard keine Ruhe und nachdem er sich zum Wiederholten Male von einer auf die andere Seite gewälzt hatte, beschloss er den Vormittag mit den Kindern zu verbringen und den Nachmittag auf der Couch. Bei einem, der vielen langweilen Fernsehprogramme, würde er schon einschlafen. Es brachte ihm nichts, wenn er sich weiterhin im Bett herum quälte und keine Ruhe fand. *** Zwei Nächte in Folge. Aus dem Vorhaben, den Nachmittag zu verschlafen, war nichts geworden und so hoffte Nightwing, dass diese Nacht entweder total ruhig und entspannt blieb, oder aber wie die gestrige zu einer Dauerjagd verkam. Nachdem er einige Runden gedreht hatte, bezog er nach Mitternacht seinen Lieblingsplatz. Hier auf diesem Dach, dass nicht zu hoch und nicht zu tief lag, bekam er den besten Blick über die Stadt präsentiert. Er konnte das Firedepartment einsehen, das Hauptquartier des GCPD's und eine der Notaufnahmen der Stadt. Hier bekam er live mit, wenn sich etwas ereignete. Diese Nacht war er ganz auf sich alleine gestellt. Tim und Ariana befanden sich im Kino und Bruce tummelte sich auf einer der vielen Benefizveranstaltungen, die um Weihnachten abgehalten wurden, auf welcher und wo, hatte er vergessen. Es spielte auch keine Rolle, so lange Bruce Knie nicht wieder zu einhundert Prozent verheilt war, würde Batman nicht auf der Bildfläche erscheinen. Natürlich heilten die Kochen, aber ein beinah vollständig zerschmettertes Knie benötigte seine Zeit um vollständig zu regenerieren und einige Operationen. Am 15. Januar würde Bruce, in einer der besten Kliniken des Landes, in der die Creme de la Creme der Sportstars behandelt wurden, eine letzte abschließende OP bekommen, bis dahin und während der Rehaphase würden Red Robin und er weiterhin auf sich alleine gestellt sein. Der Schnee, der zu Weihnachten gefallen war, war getaut. Nicht mal mehr ein kläglicher Rest schien zu liegen. Was bei einer Temperatur von 44 °F (ca. 7 °C) nicht weiter verwunderlich schien. Für morgen, den Silvestertag, hatten die Wetterfeen einen Temperatursturz angekündigt. Das Thermometer sollte wieder unter 32 °F fallen. Im Schatten, des Ende des Aufzugschachtes, blieb Nightwing stehen. Hier verschmolz er mit der Dunkelheit und er war vor dem Wind geschützt, den die Bewohner Gothams gerne 'The Knife' nannten, der mit beißender Kälte durch die Stadt pfiff. Er lauschte dem Polizeifunk und kämpfte gegen die immer stärker werdende Müdigkeit an. Ab und zu gähnte er, während die Zeit langsam dahin rann, ohne das sich etwas ereignete. Ab und zu suchte der ehemalige Akrobat Kontakt zu Alfred, der auf die Rückkehr Bruce Waynes, der die Gala wohl in Begleitung einer reichen Erbin, eines sich in Central City ansässigen Chemiekonzerns, verlassen hatte. „Gönn es ihm“, lachte Richard leise. „Vielleicht solltest du schlafen gehen, Alfred! So, wie ich Bruce kenne, wird er nicht vor dem Frühstück zurückkehren.“ „Ich leiste dir gerne Gesellschaft“, antwortete der ältere Mann. „Außerdem warte ich auf den Anruf von Timothy und Miss Dzerchenko. Ich soll sie gegen 2:00 Uhr abholen. Bis dahin kann ich ihnen noch fünfundvierzig Minuten Gesellschaft leisten.“ „Verstehe. Tim und Ariana wollen noch etwas trinken gehen.“ Richard trat aus den Schatten, ließ seinen Blick zu der Notaufnahme gleiten, vor der eben ein Notarztwagen mit Blaulicht vorfuhr. „Wie geht es Lian?“ Es tat gut mit Alfred über die kleinen Dinge des Lebens zu plaudern, bis dieser sich kurz vor 2:00 Uhr von ihm verabschiedete. In Gotham war es ruhig geblieben, bis auf einen Verkehrsunfall hatte sich nichts ereignet und so beschloss Nightwing noch mal eine Runde zu drehen und danach nach Hause zu fahren, um hundemüde ins Bett zu fallen. Nach seinen Erfahrungen trug sich nach 4:00 Uhr nichts mehr zu, bis dahin waren all die kleinen und großen Deals über die Bühne gegangen. Gerade, als er sich zum Rande des Daches begeben wollte, vernahm er seitlich von sich ein Geräusch. Jemand schien auf einen kleinen Stein getreten zu sein. Nightwing befand sich nicht mehr alleine auf dem Haus. Eine Gänsehaut lief dem Mann über den Rücken, als sich die kleinen, feinen Nackenhaare alarmierend aufrichteten. „Hallo, Dick!“ Die Stimme eines Mannes erklang in der Dunkelheit vor ihm. Er kannte die Stimme nicht, sie war ihm fremd, aber der Sprecher schien zu wissen, wer sich hinter der Maske verbarg. Mit einer, beinah nicht wahrzunehmenden Bewegung, zog Nightwing seine Escrima-Kampfstäbe und schaute angespannt in die Richtung, aus der die fremde Stimme geklungen war. Eine Gestalt schälte sich aus der dräuenden Finsternis, kam langsam auf ihn zu - ein Mann, nicht viel größer als er, mit einer ähnlich trainierten Figur. Mehr konnte Nightwing im Moment noch nicht erkennen. 9. -- Auf einen Angriff vorbereitet, wartete Nightwing erst einmal ab, was der Andere, der mit bewusst kleinen und langsamen Schritten auf ihn zukam, beabsichtigte. Immer mehr Details schälten sich aus der Dunkelheit, nicht nur das der Fremde eine rote Vollmaske trug, sondern auch die Tatsache, dass das Kostüm, das er trug, eine gewisse Ähnlichkeit mit Nightwings aufwies, genauso schwarz, ein ähnlicher Schnitt, beinah die selbe Verarbeitung des Stoffes, aber einen gravierenden Unterschied konnte Richard erkennen. Auf der Brust des Unbekannten prangte kein blaues Schwingensymbol, sondern der stilisierte Schatten einer roten Fledermaus. Batmans grauen Symbol gar nicht so unähnlich. Über dem Anzug trug der Mann eine geöffnete, schwarze Biker-Lederjacke. Die Hände steckten in schwarzen Handschuhen. Die Augen ein wenig verengt, registrierte Nightwing, mit einem gewissen Unbehagen, dass der Unbekannte, im Gegensatz zum ihm, automatische Handfeuerwaffen trug, die rechts und links seines Körpers in den Holstern eines Waffengurtes steckten, darauf wartend, jederzeit gezogen zu werden. Noch immer erschloss sich Richard die Situation nicht. Er konnte sich nicht im Geringsten vorstellen, was der Andere von ihm wollte und wieso trug er dieses Kostüm? Wollte er einfach nur wie sie sein? Wollte er sich ihnen anschließen oder ihn auf die Probe stellen, ihn eventuell sogar verhöhnen? Und die wichtigste aller Fragen, die sich Nightwing im Augenblick stellte, war diese, woher kannte der vor ihm Stehende seinen Rufnamen aus seinen Kindertagen? „Ganz egal, wann ich mich befinde, dein Lieblingsplatz in Gotham ist immer und zu jeder Zeit der Gleiche, hier auf diesem Haus, im Schatten des Aufzugschachtes.“ Der Mann mit der roten Maske verschränkte die Arme vor der Brust und blieb nur ein paar Schritte von Richard entfernt stehen. „Die Chance Nightwing hier anzutreffen, stehen überall bei achtzig Prozent.“ Schweigend, seinen eigenen Überlegungen folgend, blieb Richard ruhig, abwartend, was der Fremde als nächstes tun würde. Gefahr schien von ihm keine auszugehen. Hätte er Nightwing angreifen wollen, hätte er dies sicher schon längst getan oder diese Absicht kundgetan. Wieder fiel Richard das Symbol in die Augen. Wieso trug der Fremde es, aus Sympathie, als Zeichen, dass er sich ihnen zugehörig zählte. „Ja, ich trage euer Symbol“, sprach der Fremde mit tiefen Timbre in der Stimme. „Denn es ist auch das meine. Ich bin ein Teil eurer Familie.“ *** Wer war der Fremde, der sich ihm nun wieder näherte und nur eine handbreit vor ihm stehen blieb. Nightwing konnte die Wärme, die der trainierte Körper vor ihm ausstrahlte, beinah spüren. Er roch das Aftershave des Fremden. Er kannte den Duft, hatte er doch noch selber vor etwa zwei Monaten diese Marke benutzt. Drohte ihm nun von dem Fremden Gefahr oder nicht? „Erkennst du den Anzug?“ Die Hände wieder sinken lassend, neigte der Mann vor Nightwing den Kopf ein wenig zur Seite. „Es ist einer deiner alten. Du hast ihn mir überlassen...“ Was erzählte der Typ da? Richard hatte nie einen seiner ausgedienten Anzüge weggeben, geschweige denn weggeworfen. Sie alle befanden sich sicher verwahrt in der Bathöhle. „Wie geht es Bruce? Was macht sein Knie? Bei Barbara und dem Baby alles in Ordnung?“ Munter plauderte der Maskierte vor ihm weiter, als würden sie sich schon seit Jahren kennen und Freunde sein. Er schien sie zu beobachten. Es war ein leichtes zu erkennen, dass Barbara schwanger war und auch Bruce sah man an, dass er seit einigen Wochen nicht gut zu Fuß unterwegs war. Sich der Tatsache bewusst, das ein völlig Unbekannter Details aus ihrem Leben kannte, lief Nightwing eine Gänsehaut über den Rücken. „Was los, Dick, du hast doch sonst immer einen Spruch auf den Lippen und konterst gekonnt?“ „Es reicht“, knurrte Nightwing, dem die Situation immer seltsamer erschien. Er wollte endlich wissen, mit wem er es zu tun hatte. „Wer bist du?“ Die Finger fest um die Escrima-Kampfstäbe geschlossen, stellte er die nächste Frage: „Und was willst du?“ Nightwing konnte es kaum fassen, als der Mann vor ihm, nach der roten Vollmaske griff, um sich zu demaskieren. Die Augen zu schmalen Schlitzen verengt und mit nun doch etwas heftiger klopfendem Herzen, nahm Richard die schwarzen, wirren Haare wahr. Blaue Augen lachten ihn schalkhaft an und auf den Lippen lag ein herausforderndes Grinsen. Die Gesichtszüge des Fremden wirkten markant und unter den Augen zeichneten sich Spuren von Übermüdung und Stress ab. „Mein Auftrag im Moment lautet, die Zeitlinien, die zwei Metas mit den sinnigen Namen Rewind und Repeat mächtig durcheinander gebracht haben, in Ordnung zu bringen. Ich bin an sie gekoppelt, seit...“ Das Grinsen von den Lippen verschwand. „Ich bin so oft mit ihnen in der Zeit zurück und wieder vor gereist, das ich mein Zeitgefühl verloren habe. Gefühlt folge ich ihnen seit Jahren, aber es dürften in Wirklichkeit nicht mehr als vier Wochen sein.“ Metas? Es gab keine Metawesen, oder? Nightwing sortierte die Worte in seinem Kopf und erinnerte sich an Roy, der etwas von einer außerirdischen Prinzessin erzählte, die er im Traum sah. Hingen Roys Träume vielleicht damit zusammen? War Roy in der Lage, die Ereignisse, die sich in den verschiedenen Zeitgefügen zutrugen zu sehen? Zumindest würde es seine Träume erklären. „Ach so, nenn mich Red Hood oder nutze meinen echten Namen, großer Bruder.“ Wieder erschien das wissende Grinsen auf den Zügen des Mannes vor Richard. Es gefiel ihm nicht. Es wirkte auf ihn überheblich und großkotzig. Dessen ungeachtet blieb er ruhig. Er musste mehr von Red Hood erfahren. „Oder nutze meinen echten Namen. Ich heiße Jason.“ „Jason, ja?“ Belustigt zog Nightwing die Augenbrauen nach oben. „Hmm, wie dein Hund.“ Jetzt war sich Richard ziemlich sicher. Der andere war nicht hier, um Ärger zu stiften und so ließ er seine Kampfstäbe verschwinden, ehe er einige Schritte zurücktrat und den Blick über Jason schweifen ließ. Ein fremder Vigilant in Gotham. Bedeutete dies nun etwas Gutes oder eher etwas Schlechtes? Wo kam der andere her? In welcher Stadt hatte Red Hood bisher seine Runden gedreht und wieso hatten sie bisher noch nie etwas von ihm gehört. Ab und zu gab es Männer und Frauen, die versuchten so wie sie oder Arrow und Arsenal zu sein. Meistens mit mäßigem Erfolg oder von dem ansässigen Policedepartment nicht geduldet, gejagt und demaskiert. Schlecht wäre es nicht, wenn sie einen neuen Partner bekämen, natürlich erst nach einer genauen Überprüfung und einer Probezeit. Aber so wie es aussah, würde Red Hood sein Angebot niemals annehmen. Dieser verfolgte seine eigenen Ziele. Auch, wenn sie im Moment wirklich Hilfe gebrauchen könnten, nach dem Bruce ausgefallen und Barbara hochschwanger war, gefiel Richard die Tatsache nicht, dass der Andere anscheinend ziemlich gut über ihre wahren Identitäten informiert schien. „Gut, also Jason, dann erzähl mal von Rewind und Repeat!“ Wer weiß, vielleicht konnten Tim und er sich ja mal wieder in ein richtig aufregendes Abenteuer stürzen. Und mal ehrlich, Tim war es damals auch gelungen, herauszufinden, wer sich hinter der Maske von Robin und Batman verbarg. Wieso also nicht auch Jason. Es stellte sich nur eine Frage, wollte Red Hood nur in ihrem Schatten mitlaufen und von ihrem Ruhm zehren, oder war tatsächlich etwas an der Sache mit den Metawesen dran und Jason reiste durch die Zeit? „Das nächste Mal, Dick. Ich benötige eure Hilfe.“ Mit diesen Worten streifte Red Hood die schwarzen Handschuhe ab. „Mein voller Name lautet: Jason Peter Todd, geboren und aufgewachsen in Gotham City.“ Plötzlich hielt er ein Messer in der rechte Hand und setzte die scharfe Klinge an dem Handballen der linken Hand an. „Überprüf es!“ Blut quoll aus dem tiefen Schnitt, den Red Hood sich zugefügt hatte. Es interessierte ihn anscheinend nicht weiter. Beinah schon gemächlich wischte er die Klinge an seinem Oberschenkel ab, steckte das Messer zurück in die Scheide und brachte einen winzigen Glasbehälter zum Vorschein, mit dem er etwas von der dicken dunkelroten Flüssigkeit auffing. Verschlossen hielt er die Phiole Nightwing hin, der sie an sich nahm und in der Faust barg. „Wir sehen uns wieder...“ Mit einer fließenden und sichtbar gewohnten, sehr oft ausgeführten Bewegung, zog Jason erst seine Maske wieder über und dann die Handschuhe, ehe er genauso leise in der Nacht verschwand, wie er erschienen war. 10. --- Für einige Sekunden starrte Nightwing noch in die Dunkelheit, ehe er wieder zu einer Regung fähig war. In Gedanken ging er ihr Gespräch immer und immer wieder durch, suchte nach einem Haken, fand diesen jedoch nicht. „Alfred!“, sprach er leise, in der Hoffnung, dass dieser unterdessen wieder in Wayne Manor angekommen war. „Ich bin da, Richard.“ Es tat gut die vertraute Stimme zu vernehmen, beruhigte sie doch ein wenig Richards aufgewühltes Inneres. „Ist Tim da?“ Er musste mit jemanden darüber reden, sich mit jemanden austauschen und einen Partner haben, mit dem er die Situation erörtern konnte. „Ich kann ihn holen.“ „Sei so lieb, Alfred. Tim muss für mich einen Namen prüfen - Jason Peter Todd. Ich bin in etwa dreißig Minuten da.“ Vorsichtig schob er die kleine Phiole, die er noch immer sicher in der Faust barg, in eine der kleinen Taschen, ehe er das Dach verließ und zu seinem Bike eilte, welches nur eine Querstraße weiter parkte. Den Helm aufsetzen, aufsteigen, den Seitenständer hochklappen, das Motorrad zu starten und Gas zu geben, war eine, ihm in Fleisch und Blut übergegangene Handlung. Den satten Sound vernehmend, die Kraft der Maschine fühlend, spürte Nightwing, wie sich Ruhe in ihm ausbreitete. Er war eins mit dem Bike, mit der Straße und dem befreienden Gefühl, etwas zu tun, das er liebte. Tim, in Jeans und Sweatshirt gekleidet, wartete schon auf ihn, als er sein Motorrad an dem dafür vorgesehenen Platz abstellte. „Ich habe zwei Jason Peter Todds in Gotham finden können“, kam der jüngere sofort zur Sache. „Ein ehemaliger Marine, 65 Jahre alt, der einen kleinen Elektrofachhandel betreibt.“ Richard nahm den Helm ab und nickte. „Und einen Jason Todd fand ich in unserer eigenen Datenbank...“ Hellhörig geworden, legte Nightwing den Helm auf den Tank seines blauschwarzen Motorrads. „Zeig mir alles was du gefunden hast!“ Er folgte seinem Bruder zu dem Computer, nickte unterwegs Alfred zu, der eben mit einem Tablett in den Händen die Höhle betrat. „Ich war so frei. Heiße Schokolade mit einer Spur Chili zum Aufwärmen und Käsesandwich mit Tomaten.“ „Dank dir, Alfred.“ Lächelnd nahm der in blauschwarz gekleidete der guten Seele des Hauses einen Becher ab und schloss die Finger darum, ehe er sich hinter Tim stellte. „Also, was hast du?“ „Jason Peter Todd, am 16. August 1985 in Gotham geboren. Eltern: Catherine und Willis Todd. Catherine, verstarb vor siebzehn Jahren, nach schwerer Krankheit, da war Jason gerade mal zwölf Jahre alt. Von seinem Vater verliert sich in dieser Zeit jede Spur und auch von Jason gibt es keinerlei Einträge mehr. Er rutschte wohl durch die Verwaltungsmühle. Zwei Jahre später, taucht der Junge wieder auf. Als er vierzehn war, habt ihr ihn an die Behörden übergeben.“ „Batman und ich?“, hakte Nightwing nach. „Jason überfiel den einen oder anderen Laden, ohne wirklich viel Beute zu machen, worauf er den Coup plante. Er überfiel, mit gezogener Pistole, eine Bankfiliale. Er erschoss einen Bankangestellten und zwei Unbeteiligte, eine achtundzwanzig Jährige Mutter und einen sechsundfünfzig Jahre alten Mann.“ Hinter Richards Stirn arbeitete es. Er erinnerte sich. Kurz bevor er Gotham Richtung Südostasien verließ, waren Batman und er damals zu spät gekommen. Der Junge hatte schon um sich geschossen, als er wohl begriff, dass er in dieser Bank nicht den großen Reibach machen konnte, da der Barbestand durch ein Zeitschloss gesichert war. Immerhin schafften sie es, den Teenager zu überwältigen. Es war Richards letzter Auftritt als Robin gewesen. Danach war es nie wieder so gewesen, wie zuvor. „Ich erinnere mich“, murmelte er nach einem Schluck von der heißen Schokolade. Er schmeckte die leichte Schärfe, spürte wie diese seinen Körper wärmte und runzelte die Stirn. Die Erinnerungen an damals gehörten nicht zu den erfreulichsten in seinem Leben. Damals waren Bruce und er ständig aneinandergeraten, beinah wegen jeder Kleinigkeit. Kein Wunder, dass er damals die Reißleine zog und für ein paar Monate verschwand. Der Abstand hatte ihnen gutgetan und die erhitzen Gemüter beruhigt und der räumliche Abstand, den sie beibehielten, da er nach Blüdhaven zog und sein eigenes Leben lebte, tat sein übriges, damit sie sich langsam wieder annäherten. Nein, dies war nicht die Zeit, um über alte Geschichten zu grübeln und so schob Richard diesen Blick in die Vergangenheit ganz weit weg. „Nach den Verhandlungen kam Jason Todd in die Jugendstrafanstalt. Mit achtzehn verlegte man ihn nach Blackgate. Kurz darauf fand der 'Große Aufstand' statt, in den er anscheinend involviert war.“ Auch daran erinnerte Richard sich noch sehr gut. Er war mit Batman als Nightwing vor Ort gewesen. „Jason gehörte zu den zehn Todesopfer, die während dem Aufstand von einigen schießwütigen Wächtern erschossen wurden.“ Während Timothy die Fakten vortrug, erschienen verschieden Fotos auf dem Monitor: die Verhaftung des jungen Jason Todds vor der Bankfiliale und Aufnahmen von den Verhandlungen. Ja, eine gewisse Ähnlichkeit schien vorhanden zu sein - die schwarzen Haare, die blauen Augen, der schon damals vorhandene, aber noch nicht so stark ausgeprägte, energische Zug ums Kinn. „Kann es möglich sein, dass er den Aufstand überlebte und irgendwie entkam?“ Richard trat neben Tim, zog sich die Maus heran, vergrößerte das letzte Photo und zoomte die blauen Augen näher. Eindeutig, dies waren die Augen, in die er vorhin noch blickte. „Nein, seine Leiche wurde zweifelsfrei identifiziert. Laut dem Obduktionsbericht trafen ihn zwei Kugeln direkt ins Herz.“ Die vergrößerte Aufnahme verschwand, machte Platz für eine Foto aus der Gerichtsmedizin. „Kannst du diese Probe mit seiner DNA abgleichen? Du findest sicherlich auch ein paar Fingerabdrücke von ihm auf dem Glas.“ Vorsichtig legte Richard das Glasröhrchen auf den Tisch. „Entweder ich stand vorhin einem Geist gegenüber oder Jason Todd hat es geschafft die gesamte Justizbehörde auszutricksen.“ Über Bluetooth lud Richard die Aufnahmen, der Mikrokamera, auf den Server, suchte eine Frontalaufnahme von Jason Todd und ließ ein Gesichtserkennungsprogramm drüber laufen. „Gibt es alte Tonaufnahmen für einen Stimmabgleich?“ „Kannst du mir erklären, wer das ist?“ Timothys Blick hing gebannt auf den Aufnahmen. „Wieso trägt er Batmans Symbol?“ „Das versuche ich herauszufinden“, antwortete Nightwing, der gespannt auf das Ergebnis wartete. Mit einem leisen Pling gab der Computer an, das er den Abgleich beendet hatte - Übereinstimmung: 100 %. Tatsächlich, der Mann, der ihm vorhin auf dem Dach gegenübergestanden hatte, war der vor zwölf Jahren getötete Jason Peter Todd. Richard gab seinem jüngeren Bruder sie Zeit, sich seine Begegnung mit Red Hood in Ruhe anzuschauen. „Er scheint einiges über uns zu wissen“, dachte Tim laut nach. „Vielleicht ist er uns durch einen Zufall auf die Schliche gekommen, ähnlich wie ich damals. Aber, was meint er mit Zeitlinien?“ Mit den Schultern zuckend, antwortete Nightwing: „Zukunft? Wir wissen nicht, was in der nahen oder fernen Zukunft alles möglich sein kann. Vielleicht erfindet tatsächlich jemand eine Zeitmaschine. Falls er tatsächlich aus einer unbekannten fernen Zeit kommen sollte, erklärt dies trotzdem nicht, wieso er der verstorbene Jason Todd ist.“ „Sein Urururenkel“, überlegte Timothy weiter und angelte nach einem Sandwich, ehe er herzhaft abbiss und das Video noch einmal zurückspulte, um es ein weiteres mal abzuspielen. „Glaube ich nicht. Er sagte, er sei ein Teil der Familie. Er nannte mich Bruder.“ Richard tat es Tim gleich, nahm das andere Sandwich an sich und folgte schweigend seinen Gedankengängen, die ihn schon seit einer Stunde beschäftigten. „Alle Mutmaßungen nützen nichts. Warten wir bis morgen. Nach dem DNA-Abgleich sind wir schlauer. Ich such nach Tonaufnahmen und jage diese nochmal durch den Rechner. Morgen werden wir erfahren, ob er tatsächlich Jason Todd ist oder nur ein Verwandter von ihm.“ Nickend, bekundete Richard sein Einverständnis. „Halt mich auf dem Laufenden. Ich fahr nach Hause.“ „Mach ich...“ Und während Nightwing sich umziehen ging, sah Tim sich die Aufnahme ein weiteres mal an. 11. --- Wie ein Stein schlief Richard, ohne einen einzigen Traum, bis zur Mittagszeit durch. Er verspürte keinerlei Lust aufzustehen und so blieb er liegen - alleine, wie beinah jeden Tag in den letzten Jahren. Schon lange war die Epoche beendet, in der er morgens neben seinem Batgirl erwachte. Seit Johnny zu ihrem Leben gehörte und erst Recht, seit dem Barbara zum zweiten Mal schwanger war, fand er die andere Hälfte des Bettes kalt und verwaist vor. Ab und zu sehnte er sich nach der Freiheit zurück, die mit ihrem Sohn verloren ging. Jedoch hielt die Sehnsucht nie lange vor, dafür liebte er seinen Sohn einfach zu sehr. Obwohl, gerade jetzt hätte er nichts dagegen sich anständig mit seiner Frau durch die Laken zu wühlen. Stille hüllte ihn ein, was ihn im ersten Moment zwar verwunderte, aber ganz sicher nicht weiter störte. Sich tief in die warme Decke kuschelnd, schloss er die Augen, suchte tief in sich nach den wundervollen Erinnerungen, wenn er und Barbara einfach im Bett liegen blieben, den Tag eng umschlungen verbrachten oder gemeinsam im Bett frühstückten. Lange waren ihm die wertvollen Augenblicke jedoch nicht vergönnt, da die Ereignisse der Nacht zurückkehrten und somit auch die Begegnung mit Jason Todd. Er musste die Wahrheit erfahren. Die Neugierde quälte ihn und so fand er mehr recht als schlecht, den Weg aus dem Bett. Unter den warmen Strahlen der Dusche erwachten seine Lebensgeister zu neuem Leben und sorgten für ein wenig Ordnung in dem Chaos seiner Gedanken, die immer wieder um den selben Punkt kreisten, um Jason Todd und die Tatsache, dass dieser so einiges über sie wusste und zu ihrer Familie gehören sollte. In dem großen begehbaren Kleiderschrank suchte er nach frischen Sachen, Jeans, Shirt und ein Hoodie sollten genügen. Bevor er sich jedoch nach unten begab, griff er nach seinem Smartphone, das wie immer auf seinem Nachttisch lag und klingelte bei Tim durch, der ihm ohne groß drumherum zureden bestätigte, was er längst ahnte. Der DNA-Abgleich ergab eine Übereinstimmung von 100 %. Red Hood war oder ist der verstorbene Jason Todd. Energisch schüttelte er den Kopf. Nein, dieser Tag gehörte Richard Grayson, nicht Nightwing, der Superheld würde an diesem Tag nichts zu melden haben. Er bekam einfach Berufsverbot. Der Silvestertag lag vor ihm. Das Jahr 2015, mit all seinen Höhen und Tiefen, würde enden und morgen ein neues Jahr beginnen. Alles was heute für ihn zählte, war seine Familie - Johnny und Barbara. Jason Todd, dessen alter Ego Red Hood und die Sache mit den Zeitlinien konnten getrost noch zwei Tage warten. Und falls wirklich ein Notfall eintreten sollte, dann stand Nightwing auf Abruf bereit. Nun hieß es erst einmal die kleine Party für heute Abend vorzubereiten. Viele würden sie nicht sein, mit den Kindern zu neunt. Die Mitternachtssnacks waren bestellt. Ariana wollte sich darum kümmern und liefern lassen. Es stellte sich tatsächlich als praktisch heraus, wenn ein Teil der Familie in dem Restaurant der Stadt arbeitet. Wenn Tims Verlobte sich weiterhin so ins Zeug legte, dann könnte sie die jüngste Sterneköchin in Gotham werden. Viel vorbereiten mussten sie nicht, trotzdem wollte er die Arbeit nicht alleine Barbara überlassen. Eine Stunde, nur eine Stunde, rief eine kleine leise, aber energische Stimme in ihm und wieder, nur eine Stunde. Er schaffte es nicht, bekam keine Ruhe in seine wirbelnden, sich immer wieder um die selbe Sache drehenden Gedanken. Vielleicht hatte Tim ja doch noch etwas herausgefunden, etwas das ihnen in Sachen Jason Todd weiterhalf. Leise begab er sich nach unten, noch immer verwundert über die Stille, in der das Haus lag. Er vernahm nicht den kleinsten Laut. Waren etwa alle ausgeflogen? Von Johnny, Lian und Jason keine Spur. Bei dem Namen Jason, stolperte er wieder über seine eigenen Überlegungen. Jason, dieser Name war der erste gewesen, der ihm einfiel, als er seinen Hund als Welpe fand. Nie hatte er einen Gedanken daran verschwendet, wieso er den Golden Retriever Jason nannte. Also, wieso ausgerechnet dieser Name? War es wirklich nur ein Zufall gewesen oder hatte ihm damals vielleicht doch ein Riss im Zeitgefüge den Namen diktiert? Auf Zehenspitzen näherte er sich dem Sofa, auf dem Barbara schlief. Neben ihr auf dem Boden lag ein dicker Wälzer, über den sie anscheinend eingeschlafen war. Er hob das Buch auf, klappte es zu und legte es auf den Couchtisch, ehe er sich vor das Sofa hockte und sanft die Finger durch das rote Haar seiner Frau gleiten ließ. „Morgen, Schatz“, lächelte er, als sie die Augen öffnete und ihn ansah. „Wo sind Johnny und Lian?“ „Bei Nicky“, antwortete die werdende Mutter und setzte sich auf. „Ausgeschlafen?“ „Ich schon, aber du anscheinend nicht.“ Richard warf einen Blick auf seine Uhr. „Ich muss noch mal los. Gegen 15:00 Uhr bin ich bestimmt zurück.“ Nickend bekundete Barbara ihr Einverständnis. „Ihr habt einen neuen Fall?“ „Nichts gefährliches. Ich muss etwas überprüfen und mit Tim besprechen.“ „Ist in Ordnung. Jenny kommt nachher rüber um mir zu helfen. Für wann haben sich Dean und Emily angekündigt.“ „Deans Schicht ist gegen 19:00 Uhr zu ende, danach wollten sie herkommen. Rechne so mit 20:00 Uhr.“ Er hauchte ihr einen Kuss auf die Lippen, als sie nach seinen Fingern griff. „Wenn du schon mal dort bist, kannst du versuchen zwei Flaschen Wein aus Bruce gut gefüllten Weinkeller zu entwenden?“ Sanft drückte er ihre Hand, bevor er Richtung Haustür ging, wo er den Wagenschlüssel an sich nahm, in Schuhe schlüpfte und eine Jacke überzog.. „Ich gebe mein Bestes. Lies noch ein wenig und genieß die Ruhe!“ „Was ist mit Frühstück?“, rief Barbara ihm noch nach, aber Richard hörte sie schon nicht mehr. *** Im Gegensatz zum 25. Dezember herrschte auf den Straßen reger Betrieb und da Richard sich an die geltenden Verkehrsregeln hielt, benötigte er länger, als geplant. Dennoch erreichte er irgendwann, trotz zähflüssigen Verkehr, Wayne Manor. „Richard, ich habe heute gar nicht mit dir gerechnet“, begrüßte ihn Alfred, als er die Höhle betrat, in der er Tim und Bruce vermutete. „Ich habe auch nicht viel Zeit“, lachte der dunkelhaarige Mann und ging tiefer hinein, in ihre geheime Operationsbasis. Niemand zu sehen, aber auf der Platte des großen Beratungstisches standen eine Kanne Tee, die dazugehörigen Gläser und eine Schüssel mit selbstgebackenen Keksen, bei denen Richard sich erst mal bediente. Hungrig biss er ab. Alfreds Schokosplitter-Cookies waren die besten der Welt, aber sie zeigten ihm auch deutlich, dass er noch nichts zu sich genommen hatte, denn nach den ersten Bissen, meldete sich deutlich knurrend sein Magen. „Ist Tim da?“ „Im Trainingsraum“, antwortet Alfred, während er kopfschüttelnd auf Richard blickte, der nach seinem dritten Keks griff. „Soll ich dir etwas zu Essen machen?“ Zustimmend nickend bekundete Johnnys Vater seine Zustimmung. „Meine Mahnungen, dass du das Haus nicht ohne etwas Gesundes im Magen verlassen sollst, haben nie etwas bewirkt und eine Frau im Haus scheint an dieser ungesunden Angewohnheit auch nichts mehr ändern zu können.“ Die Schultern zuckend erklärte Richard grinsend: „Dafür konnte ich ausschlafen.“ „Ich sehe mal nach, was der Kühlschrank hergibt. Wenn du Glück hast, dann stehen noch Reste aus dem 'San Sebastian' drinnen.“ Alfred zwinkerte Richard zu und zog sich leise zurück. „Ich dank dir, Alfred.“ Bevor Richard sich jedoch Richtung Trainingsraum begab, griff er noch einmal in die Schüssel - Proviant für unterwegs. Neben dem Eingang, im diffusen Licht, blieb er stehen und blickte zu Tim, der anscheinend ein klein wenig lustlos Batarangs auf verschiedene Ziele warf, während Bruce auf einem Stuhl saß und ihn dabei mit Argusaugen beobachtete. Wurde wirklich Zeit für die OP. So langsam war ihr Adoptiv-Vater nicht mehr zu ertragen. Er war der Meinung, da er ausgefallen war, dass sie mehr Training denn je benötigten. Welch ein Glück für Richard, dass er nicht hier wohnte und eine Familie besaß, mit der er seine wenige Freizeit lieber verbrachte, als hier in der Höhle. Obwohl, so ab und zu mal wieder ein Trainingsprogramm mit Tim zu durchlaufen reizte ihn schon. Heute jedoch nicht. Er war gekommen um Neuigkeiten zu erfahren, außerdem erwartete Barbara ihn am frühen Nachmittag zurück. „Richard!“, grüßte Bruce, als er ihn bemerkte. „Hey!“, grinste Tim und ließ blind, da er sich seinem großen Bruder zu wandte, einen Batarang fliegen, der, wie nicht anders zu erwarten war, sein Ziel, eine gerade aus dem Boden hochschnellende, düstere Figur, traf. „Gibt es was neues?“ „In Sachen Jason Todd? Nein, nicht wirklich.“ Tim verließ seinen Standort, begab sich zu dem Rechner, der sich hier im Raum befand und schaltete das Programm ab. „Und im Mordfall Katie Miller auch nicht.“ Gemeinsam verließen sie den Trainingsraum. „Aber du kannst ja heute Abend mal bei Dean deine Fühler ausstrecken.“ Durstig griff der Jüngere nach dem abgekühlten Tee und schenkte sich ein. „Hatte ich sowieso vor“, bestätigte Richard und drehte sich zu Bruce um, der ihnen ein wenig langsamer gefolgt war. „Dein Knie?“ „Wird besser“, brummte der Milliardär. „Ich habe mir deine Aufzeichnungen von vergangener Nacht angesehen und die Daten noch einmal geprüft.“ Typisch für ihn, dachte Richard. Bruce konnte es einfach nicht sein lassen. Egal, was Tim oder er recherchierten oder ermittelten, Bruce musste es noch einmal gegenprüfen und das, obwohl er nie auf neue Ergebnisse stieß. Perfektion war alles, was für den Dunklen Ritter zählte. „Und?“ Die Arme vor der Brust verschränkend wartete Nightwing ab. Er bereute seine Entscheidung, damals aus Batmans Schatten getreten und sein eigener Herr geworden zu sein, bis heute nicht. Natürlich war es von Vorteil, wenn man jemanden besaß, an den man sich wenden konnte, aber immer nur das Gefühl vermittelt zu bekommen, dass man immer noch der kleine Junge von damals war, konnte einen zermürben. Außerdem hatte er ja jemanden an seiner Seite - Batgirl. „Ich habe nichts anderes erfahren.“ Die dunkle, raue Stimme verlor etwas von ihrer Schärfe. Es war nicht mehr Batman der zu ihm sprach, sondern sein Freund, sein Partner, sein Vater. „Aber ich habe da vielleicht etwas.“ Timothy griff nach seinem Pad, rief dort eine Datei auf und legte diese auf einen der riesigen Bildschirme. „Red Hood erzählte etwas von Zeitlinien.“ Eine Linie mit einem Ende war auf dem Monitor zu erkennen. Mit einem gelben Laserpointer deutete Tim auf eben jene Markierung. „Hier befinden wir uns, noch im Jahr 2015.“ Nun zeigte der gelbe Lichtpunkt auf eine neu entstandene Markierung mit der Beschriftung 2003. „An diesem Tag starb Jason Todd und dennoch befindet er sich hier in unserer Zeit.“ Der Lichtpunkt wanderte wieder zurück zu seinem Ausgangspunkt. Leise lachte Richard auf. „Okay, Doc Brown, dann mach mal weiter!“ „Also, nehmen wir mal an, es gibt tatsächlich eine weitere Zeitlinie, die neben unserer existiert...“ Eine weitere Linie, parallel der ersten erschien. „Eine Zeitlinie in der Jason Todd noch lebt, dann hat der Aufstand dort im Gefängnis nie stattgefunden. Jason wurde also nie erschossen.“ „Wäre das nicht eher so etwas wie ein Paralleluniversum“, grübelte Richard und angelte nach einem weiteren Keks. „Nicht unbedingt. Ich glaube eher, es ist tatsächlich wie in dem Film 'Zurück in die Zukunft', McFly“, fuhr Tim, mit einer Anspielung auf die Charaktere des Erfolgsfilmes aus den 80ern, fort. „Jason meinte, er sei an Rewind und Repeat gebunden und die zwei springen in der Zeit hin und her. Angenommen die beiden Metawesen können dank ihrer Fähigkeiten tatsächlich durch die Zeit reisen, dann sind sie irgendwo vor dem Aufstand gewesen.“ Kreisend tanzte das Licht des Pointers um den Anfang der Linien. „Wenn die Zeitlinie von Red Hood die Echte sein sollte...“ Wie durch Geisterhand geschrieben, stand plötzlich gut leserlich der Name Jason Todd am Ende der unteren Linie. „... dann hat sich der der Verlauf der Geschichte, unsere Geschichte, wodurch auch immer, verändert. Nennen wir diesen Ausgangspunkt mal Punkt Null.“ Auf der unteren Gerade, vor der Markierung des Aufstandes, erschien eine neue Kennzeichnung und die Zahl 0. Von diesem Punkt aus zog sich nun eine rote Linie schräg nach oben zu ihrer eigenen Zeitleiste und Jasons Gerade verwandelte sich in eine gestrichelte Linie. Richard schluckte. „Willst du damit andeuten, dass unser Leben nicht real ist?“ „Unser Leben ist real, sehr real sogar. Es hat sich nur anders entwickelt, anders gestaltet. Vorkommnisse, die Jasons Zeit zu seiner Zeit machen, haben hier nie stattgefunden.“ Als würde ihn dies nicht sonderlich aufregen, zuckte Tim mit den Schultern. „Deswegen müssen wir nach ihm suchen“, brachte sich nun Bruce ein, der bisher schweigend zugehört hatte. „ Und mit ihm reden.“ „Er ist zu dir gekommen, Richard.“ Tims blaue Augen ruhten auf Nightwing, der ohne es zu registrieren, wie zum Schutz die Schultern ein wenig nach vorn gezogen hatte. „Er sagte, er sei ein Teil der Familie, nannte dich großer Bruder. Was wäre, wenn er in seiner Zeitlinie meinen Platz eingenommen hat? Nach mir hat er sich nicht erkundigt. Er fragte nur nach Bruce und Barbara. Zumindest würde es erklären, wieso er Batmans Symbol trägt.“ „Oder er ist einfach nur ein Spinner, der sich profilieren möchte.“ Der Gedanke das sein Leben, dieses Leben nicht das seine sein sollte, beunruhigte Richard. „Deswegen sollten wir unbedingt mit ihm sprechen. Er scheint ein gewisses Vertrauensverhältnis zu dir zu besitzen. Wenn jemand von uns mehr von ihm, über ihn erfährt, dann bist du derjenige.“ Nickend, um seine Vermutung zu bestätigen, füllte Tim sein unterdessen leeres Glas mit frischem Tee auf. „Aber, wenn er eigentlich gestorben ist, wie kann er dann hier sein? Hätte er nicht einfach verschwinden müssen?“ „Er kommt nur aus einer anderen Zeitlinie“, grübelte Red Robin weiter. „Er wurde in beiden Linien geboren.“ „Man, ich bekomme noch einen Knoten im Kopf.“ Erleichtert darüber, dass Alfred zurück in die Höhle kam und ihnen eine Auszeit schenkte, nahm Richard dem Butler den abgedeckten Teller ab. Verführerisch duftete es nach grünem Curry, grünem Spargel, Hühnchen und Reis. Ungeachtet dessen, was ihm im Moment alles durch den Kopf geisterte, ließ der erste Robin sich an dem Besprechungstisch nieder, nahm Löffel und Gabel entgegen und ließ es sich schmecken. „Angenommen dein Theorie stimmt, Tim und Jason gelingt es, das Chaos, das Rewind und Repeat verursacht haben, wieder in Ordnung zu bringen“, murmelte Richard kauend. „Dann kann es gut möglich sein, dass dieses Gespräch nie stattgefunden hat.“ „Immer vorausgesetzt die Zeitebene aus der Jason kommt, ist die echte, die ursprüngliche.“ Red Robin setzte sich zu ihm und angelte über den Tisch hinweg nach einem Stück Hühnerfleisch. „Es besteht jedoch die Möglichkeit, dass auch seine Zeitlinie schon manipuliert wurde.“ „Wir müssen also das Datum finden, an dem die ersten Veränderungen vorgenommen wurden?“ „Nein. Sie können mit jedem Zeitsprung noch weiter zurückgereist sein, soweit, bis sie das Ergebnis bekamen, das sie benötigten. Dorthin müssen wir, also zu dem Datum, das am weitesten in der Vergangenheit liegt.“ Seufzend legte Richard das Besteck zur Seite und sah zu Tim, der nun nach der Gabel griff und aß. „Und wie finden wir das heraus?“ Ihm war der Appetit vergangen. Fragend schaute er zu Bruce, der auf seinem bequemen Drehstuhl saß und grübelnd schwieg. Dumpfe Theorie. Nein, dies lag Richard nicht. Er packte lieber an, sammelte handfeste Beweise und begab sich bei Nacht auf die Jagd. Ja, damit kam er klar. Er benötigte etwas zum Anfassen, Dinge die er verändern oder analysieren konnte, aber nur erörtern und überlegen, dass schaffte ihn. „Wir können den Zeitpunkt finden. Wir müssen nur der dokumentierten Geschichte folgen. Irgendwann gab es einen Bruch. Wir werden es erkennen.“ Leise brachte Bruce sich nun doch noch ein. „Dann müssen wir die Metawesen dazu bringen, zu diesem Punkt zurückzukehren. Red Hoods Aufgabe ist es dann die Manipulation zu verhindern und wenn ihm dies gelingt, wird es dieses Gespräch tatsächlich nie gegeben haben.“ Noch während der Milliardär darüber sprach, suchte er im Netz nach seltsamen Vorkommnissen in den letzten einhundert Jahren. „Wir wissen nicht, wie unser Leben danach aussehen wird. Es gibt zu viele unbekannte Variablen in dieser offenen Rechnung.“ „Außer ich spreche mit Jason“, seufzte Richard. „Wenn er wieder auftaucht, dann sollten wir uns alle vier mit ihm unterhalten.“ „Denkst du es wäre im Moment gut Batgirl einzuweihen?“ Und verschwunden war Bruce Wayne. An seine Stelle war wieder Batman getreten mit tiefer Stimme und dem harten Ausdruck in den Augen, der es noch heute schaffte, Nightwing zu beunruhigen und dies obwohl er den Kinderschuhen seit Jahren entwachsen war. Richard ließ sich dies jedoch nie anmerken. Auch er hatte, über die Jahre hinweg, gelernt eine Maske aufzulegen, wenn diese von Nöten sein sollte und so widersprach er seinem ehemaligen Mentor: „Sie ist Batgirl und wird Batgirl bleiben. Nur, falls du es vergessen haben solltest. Sie ging oft genug mit uns durchs Feuer, stand an unserer Seite und kämpfte mit uns. Sie wurde beinah genauso oft verletzte, wie du, wie ich. Sie fing eine Kugel auf, die eigentlich für dich bestimmt war.“ Richard merkte,wie er sich gerade in Rage reden wollte. Er schluckte, atmete einmal durch und fuhr mit scharfen, keinen Widerspruch duldenden Ton fort: „Es betrifft sie genauso wie uns.“ Für den Bruchteil einer Sekunde, sah er das Mündungsfeuer in der Dunkelheit, sah wie Batgirl die Hände an die rechte Seite presste und zu Boden sank. Tim schien zu bemerken, welche Hölle gerade in Richard tobte, denn er legte ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter und schlug leise vor: „Sprich erst mal alleine mit Jason. Er soll entscheiden, ob er uns allen gegenübertreten möchte, um Rede und Antwort zu stehen.“ Richards Finger legten sich dankbar auf Tims Hand, ehe er ihn ein wenig schief und noch immer aufgebracht anlächelte. „Barbara wartet auf mich.“ Er schob den Stuhl nach hinten, erhob sich und nickte Bruce zu: „Viel Spaß heute Abend.“ Bevor er die Höhle jedoch verließ, beugte er sich zu Red Robin hinab, der noch immer am Tisch saß und bat ihn: „Kann ich dich unter vier Augen sprechen?“ Nickend folgte Timothy seinem Adoptivbruder. Vor dem Anwesen angekommen, blieben sie neben dem Ford, den Richard nicht erst geparkt hatte, stehen. „Ich glaube Roy spürt es.“ „Roy?“ Die Stirn leicht gerunzelt, blickte Timothy fragend zu Richard, der sich nachdenklich mit den Fingern durch das dichte Haar fuhr. „Er ist nicht nur ins Reservat gefahren, um alte Freunde zu besuchen.“ Für einen Moment schloss Richard die Augen, als ihm die Tragweite, seiner Überlegungen der letzten Nacht, bewusst wurde. „Zu Weihnachten erzählte Roy mir, dass er wirres Zeug träumt, von seltsamen Ereignissen, die sich wie Erinnerungen anfühlen. Er ist ins Reservat gefahren, um herauszufinden, woher die Träume kommen und was sie bedeuten. Ich denke, seine Träume, beinhalten unser eigentliches Leben.“ Timothy schwieg, gab Richard somit die Chance weiterzuerzählen. „Tim, das muss erst einmal unter uns bleiben. Ich habe Roy versprochen es niemandem gegenüber zu erwähnen, aber in Anbetracht der Ereignisse, solltest du es wissen.“ Fest sah Richard in die blauen Augen des Vertrauten. Mit einem unauffälligen Nicken bestätigte Tim seine Verschwiegenheit. „Was träumt er? „Von Alkohol, von Drogen. Im Traum ist er Heroin abhängig. Er sagte: ein Trip in einem Traum. Kannst du dir vorstellen, wie verwirrend das ist?“ Die Schultern zuckend fuhr Nightwing fort: „Ich bin wohl Anführer von einem Team, welches nur aus Superhelden besteht. Barbara und ich sind nicht verheiratet. Johnny wurde nie geboren, dafür soll ich was mit einer außerirdischen Prinzessin am Laufen haben.“ Wie schon damals bei ihm, zeichnete sich ein Grinsen auf Tims Gesicht ab. „Als er mir Weihnachten davon erzählte, dachte ich wirklich er ist überarbeitet und benötigt dringend eine Auszeit, aber mit dem heutigen Kenntnisstand betrachtete, scheint es mir eher, als würden Roys verrückte Träume auf Jasons Zeitlinie hindeuten. Falls dies tatsächlich der Fall sein sollte, dann weiß ich nicht, ob ich Red Hood tatsächlich helfen kann. Ich werde mit Sicherheit nicht das Leben meiner Familie aufs Spiel setzen.“ „Du solltest dringend mit Jason sprechen und mit Roy. Dann erst kannst du eine Entscheidung treffen, eine mit der du leben kannst.“ Sacht glitten Tims Finger über den Seitenspiegel des Wagens. „Dank dir.“ Richard zog den Jüngeren in eine kurze Umarmung. „Rutsch gut rüber, Kleiner! Wir sehen uns im nächsten Jahr und pass gut auf dich auf, heute Nacht.“ „Das werde ich. Um Punkt Mitternacht werde ich auf einem der höchsten Dächer stehen und die Aussicht auf das Feuerwerk genießen.“ [-1. Buttercremetorte und eine Rosine] -------------------------------------- -1. Buttercremetorte und eine Rosine In seinem Laufschritt langsamer werdend, verließ Richard die breite Hauptstraße und bog in die Seitenstraße ein, in der er wohnte. Es war später geworden, als geplant, beinah schon 21:00 Uhr. Es verwunderte ihn nicht weiter, durch die seit Tagen herrschende Hitzewelle, musste er öfter als sonst eine Laufpause einlegen, um sich an einem der Truckstops mit neuem Wasser einzudecken. Die zwei Flaschen die er an seinem Trinkgürtel mitführte reichten an so einem Tag einfach nicht aus. Gerade als er an ihrem Nachbarhaus vorbeilief, entdeckte ihn Jenny. „Richard?“, rief die blonde Frau, die die noch kleinen Sträucher, an der Auffahrt zu ihrer Garage, goss. „Hallo Jenny“, grüßte der dunkelhaarige Mann die Mutter von Johnnys bestem Freund Nicky. „Kannst du bitte Barbara ausrichten, dass Johnnys Einladung für seinen sechsten Geburtstag angekommen ist. Nicky freut sich schon sehr darauf.“ „Mach ich“, antwortete der Richard, noch immer langsam auf der Stelle laufend. „Was können wir Johnny schenken?“ Jenny stellte die Gießkanne beiseite und kam die Auffahrt hochgelaufen. „Nichts“, lachte er. „Johnny wird schon genug verwöhnt. Nein, mal im ernst, frag Barbara. Nicky soll auf alle Fälle gute Laune mitbringen.“ „Gut, dann spreche ich mit ihr. Grüß sie von mir.“ Jenny winkte und wandte sich wieder ihrer Gartenarbeit zu. „Schönen Abend noch!“ Langsam lief er weiter, dabei drehten sich seine Gedanken nur noch darum, wie er in den Pool hüpfen würde, um ein paar Runden zu schwimmen. Danach würde er sich mit einem eiskalten Bier auf die Veranda verziehen und den freien Abend genießen. Es war Batmans und Red Robins Nacht, nicht Batgirls und seine. Mit dem Handrücken fuhr er sich über die Stirn. Es war nicht gerade ein Spaß bei beinah 100 °F (ca. 37 °C) Laufen zu gehen, aber was sein musste, musste sein. Die Kriminellen der Stadt fragten schließlich auch nicht danach, ob ihnen die Hitze zusagte oder nicht. Verschwitzt, aber innerlich total aufgeräumt, öffnete er nur Sekunden später die Haustür. Schon im Flur vernahm er die typischen Spielekonsolengeräusche und dazwischen die Anweisungen seines Sohnes: „Nein, du musst die Peitsche nehmen und den Stein zu dir ziehen.“ Mitten im Raum ließ Richard seine Laufschuhe stehen, betrat danach das Wohnzimmer und blickte auf seinen Sohn, der ganz alleine mit angezogenen Beinen, vertieft in sein Spiel, auf dem Sofa saß. Lächelnd beobachtete der Mann den Jungen, der um diese Zeit eigentlich schon längst im Bett liegen müsste. „Johnny?“, sprach er ihn an. Der Fünfjährige blickte nicht auf, sondern betätigte aufgeregt mit dem Daumen die Aktionstaste auf dem Controller. „Johnny!“ Noch einmal versuchte es der Vater und trat näher. „Gleich“, kam die Antwort. Erst wirkte es so, als würde Johnny ihn ignorieren, drückte dann aber doch die Pausentaste und schaute auf. „Dein Headset, bitte!“ Die offene Hand hinhaltend, bekam Richard die Kopfhörer und setzte sie auf. „Tim?“ „Bin da...“, erklang die vertraute Stimme seines Bruders. „Ihr habt die Zeit vergessen. Nur noch dieses Level zu Ende spielen. Johnny gehört ins Bett!“ Grinsend, da Richard ahnte, dass Timothy in der kühlen Bathöhle, vor einem der großen Bildschirme saß, sprach er weiter: „Und du hast, soweit ich weiß, auch noch einen Job zu erledigen.“ „Alles klar, Chef“, lachte es am anderen Ende der Leitung. Richard reichte seinem Sohn das Headset zurück, bevor er es jedoch freigab, blickte er in Johnnys blaue Augen und wiederholte: „Nur dieses Level, verstanden?“ Johnny nickte, zum Glück wusste sein Vater nicht, das sie mit diesem Level eben erst begonnen hatten. „Danach Zähne putzen und ab ins Bett.“ „Versprochen, Daddy.“ Mit den Fingern wuschelte Richard Johnny durch das Haar. „Wo ist deine Mom?“ „Wollte baden gehen“, murmelte der Junge, setzte dabei die Kopfhörer wieder auf und vertiefte sich in sein Spiel. Seufzend legte Richard seinen MP3-Player und die Kopfhörer auf den Couchtisch, bevor er sich in die Küche begab. Er stellte die Trinkflaschen in die Spüle, öffnete den Kühlschrank und entnahm diesen ein isotonisches Getränk. Schmeckte nicht wirklich das Zeug, aber es sollte ja gut tun. Dank der Klimaanlage herrschten in ihrem Haus erträgliche Temperaturen. Weshalb Johnny wohl auch vor dem Fernseher saß und lieber mit Tim zockte, als Draußen zu spielen. In Gedanken sah Richard sich schon im mit Barbara im Pool. Er musste nur ins Schlafzimmer hochgehen, aus den Trainingsklamotten raus und in die Badehose schlüpfen. Nichts würde ihn von seiner Abkühlung fernhalten können. Halb leer stellte er die Flasche zurück in den Kühlschrank, dabei fiel sein Blick auf zwei abgedeckte Stücke einer Buttercremetorte, die neben der Reste der Lasagne standen. Schokoladenbuttercremetorte? Er konnte sich nicht daran erinnern, wann es diese Art von Kuchen das letzte mal bei ihnen gegeben hatte. Er zuckte mit den Schultern. Vielleicht hatte ja eine Kollegin von Barbara ihre Geburtstagsrunde in der Bibliothek gegeben und seine Frau hatte die Torte für Johnny und Nicky mitgebracht. Auf dem Weg nach oben kam ihm Jason entgegen getrottet. Selbst ihrem Golden Retriever schien es draußen zu heiß zu sein. Er hatte auf den kühlen Fliesen unter der Treppe gelegen und schaute ihn nun neugierig an. Richard hockte sich vor seinen Hund, kraulte ihn sanft und erklärte: „Ich weiß, du wärst gerne mitgekommen, aber du bist nun ein älterer Herr, du hättest die 10 Meilen nicht mehr durchgehalten.“ Ein leises Wuff antwortete ihn, dann trollte sich der Hund und verzog sich wieder unter die Treppe. Im Schlafzimmer angekommen, zog Richard die Tür zum Kleiderschrank auf. Irgendwo mussten die Badesachen doch liegen? Was solls, dachte er. Sie waren alleine und der Pool befand sich auf der Rückseite des Hause. Niemand konnte sie sehen, außerdem färbte der Himmel sich draußen schon in ein dunkelblaues Grau. Die Handtücher befanden sich im Bad und als er sich diesem näherte, stutze er. Gedämpft drang Musik an seine Ohren. Baden, hatte Johnny geantwortet, als er ihn fragte, wo sich seine Mutter befand. Seine Frau schwamm also nicht im Pool, sondern zog ihre Bahnen durch die Wanne. Grinsend, da er damit nun wirklich nicht gerechnet hatte, öffnete er die Badezimmertüre leise und blickte auf sein Batgirl, das entspannt, mit einem Buch in den Händen, ein Schaumbad nahm. „Dir war es draußen wohl nicht heiß genug?“, lachte er, trat ein und setzte sich zu ihr auf den Wannenrand. „Gotham ächzt unter tropischen Temperaturen und du gönnst dir eine heiße Wanne?“ „Mir war danach.“ Lächelnd klappte Barbara ihr Buch zu, legte es zur Seite und rutschte zu ihrem Mann. Sie strich sich feuchte Haarsträhnen aus der Stirn, reckte sich ein Stück und wisperte gegen seine Lippen: „Du wirst mich in den nächsten Monaten ziemlich häufig in der Wanne vorfinden.“ „Ah ja...“ Er ließ eine Hand in das warme Wasser gleiten. Zärtlich strichen seine Finger über ihr Knie, ihren Oberschenkel und wieder zurück. Es war nichts besonderes. Seine Frau ging gerne baden. Ewig konnte sie in der warmen Wanne liegen, dabei ein spannendes Buch in der Hand und ein Glas Wein dazu, zwar eher im Winter, als im Sommer, da zog sie eigentlich den Pool vor, vor allen Dingen, wenn eine Hitzewelle über der Stadt lag. Apropos Wein? Suchend schaute er sich um. Nein, da stand kein Glas mit Rotwein, aber ein Saftglas. War das Pfirsichsaft? Plötzlich jagten sich hinter seiner Stirn die Gedanken. Eine heiße Wanne im Sommer, kein Wein, dafür Pfirsichsaft und im Kühlschrank Buttercremetorte. Ganz tief in ihm regte sich etwas. Er kannte diese Anzeichen, hatte sie schon einmal bei seiner Frau beobachten können, damals, als sie mit Johnny schwanger war. War es möglich? Konnte es sein? Barbara hatte sich wieder in dem warme Wasser zurück gelehnt. Neugierig glitt sein Blick über den wohldefinierten Körper, der Frau, die er über alles liebte. Wie zum Schutz lagen ihre Hände auf ihrem Bauch und endlich verstand er. „Ist es das, was ich denke?“ Seine Finger gesellten sich zu ihren, strichen sacht über die warme, weiche Haut. „Ich war heute bei meiner Ärztin“, bestätigte sein Rotschopf. Ihre Wangen glühten. Ihre Augen funkelten und nun, da er es wusste, konnte er das unglaubliche Strahlen auf ihrem Gesicht erkennen. Sie nickte zu dem Regal, auf dem sie ihre Handtücher aufbewahrten. Tausende Schmetterlinge schienen in seinem Magen aufzuflattern. Er erhob sich, trocknete die Hände ab und griff dann nach dem Umschlag, der auf dem obersten Handtuch lag. Seine Finger zitterten, als er den Umschlag öffnete. Ein schwarzweißes Bild fiel ihm in die Hände. Sekundenlang starrte er einfach nur auf den winzigen dunklen Fleck in der Mitte des Bildes, unfähig etwas zu sagen oder sich zu rühren. „Ich habe nicht mehr damit gerechnet“, erklärte Barbara. Vorsichtig, als würde das Photo aus hauchdünnem zerbrechlichem Glas bestehen, schob Richard es wieder in den Umschlag. In Zeitlupe drehte er sich zu seiner Frau, bedachte sie mit einem so warmen Blick, dass ihr eine Gänsehaut über den Rücken lief. „Eigentlich wollte ich ein paar Bahnen im Pool schwimmen und mich abkühlen.“ Nachdenklich, aber überglücklich kratzte er sich an der Schläfe. „Aber ich glaube, die Wanne tut es auch.“ Er dachte nicht weiter darüber nach, was er tat. Er ließ seinen Gefühlen einfach freien Lauf und stieg so wie er war zu der werdenden Mutter in das warme Wasser. Fest zog er sie für einen Kuss an sich. Atemlos wisperte er später gegen ihre Lippen: „Bald zu viert...“ Und nun, da er von ihrer Schwangerschaft wusste, nahm er auch all die kleinen Veränderungen an ihr wahr. Seine Finger glitten durch ihr Haar, über ihre Schultern, hinab zu ihrem Bauch. Flach legten sich seine Hände darauf. „Ihr werdet zu dritt klarkommen müssen. Batgirl geht in den Mutterschutz und danach ins Babyjahr.“ Vorsichtig drehte sie sich um, lehnte sich gegen seine Brust und zog die Hände wieder auf ihren Bauch. „Wir werden klarkommen...“ Er verteilte federleichte Küsse auf ihrem Hals. Seit Monaten hatten sie das Thema Nachwuchs nicht mehr erwähnt. Richard hatte sich schon beinah mit der Tatsache abgefunden, dass es bei Johnny bleiben würde. Schon immer waren sie sich bei dem Thema Kinder einig gewesen. Sie beide wollten eines, mindestens zwei und überließen es ihrem Glück oder Geschick, je nachdem, von welchen Standpunkt aus, man es betrachtete und so verzichteten sie von Anfang an auf Verhütung, bis heute. Johnny schien schon ein Wunder gewesen zu sein, denn er ließ etwas über drei Jahre auf sich warten. „Wann?“, erkundigte er sich leise. „Der errechnete Termin ist der 5. Februar.“ „Ich muss noch sieben Monate warten? Wie soll ich das aushalten?“ Die blauen Augen schließend, gab sich Richard der Nähe hin. Unvorstellbar gerade saßen sie zu dritt in der Wanne. „So wie ich auch“, lachte Barbara leise. „Ich hab es nicht mal bemerkt und war total geplättet, als Dr. Westerman es mir mitteilte und mir klar wurde, dass du doch noch einen Volltreffer gelandet hast, wie man so schön sagt. Und das nach all den Jahren und unzähligen Versuchen.“ „Unser Sex ist dir hoffentlich nicht nur als Versuch im Kopf hängen geblieben?“ Unaufhörlich glitten seine Finger immer noch über ihre Haut, berührten sie verlangend. „Natürlich nicht.“ Sie fing die vorwitzigen Finger ihres Mannes ein. „Ich wusste schon gar nicht mehr, was ich Dr. Westerman antworten sollte, wenn sie sich nach Stressfaktoren erkundigte. Was hätte ich ihr antworten sollen: Ach wissen sie Dr. Wetserman, ich bin Batgirl. Ich bekomme zu wenig Schlaf. Ich bringe böse Jungs ins Gefängnis und muss ab und zu mal tüchtig einstecken und ehe sie weiter fragen, mein Mann ist Nightwing. An manchen Tagen sind wir so müde und fertig, dass wir mit keiner Silbe mehr an Sex denken, sondern einfach nur nebeneinander einschlafen?“ „Eher nicht“, murmlete Richard , griff nach dem Naturschwamm, tauchte ihn unter Wasser und ließ ihn sanft über ihre Schultern gleiten. „Mir blieb als Ausrede immer nur der Job und der natürliche Stress, den ein Haushalt, ein Sohn, ein Hund und ein Mann so mit sich bringen.“ Unter den zärtlichen Berührungen fiel endlich die Anspannung von ihr. „Wir müssen es ihnen sagen.“ Richard musste die Namen nicht aussprechen. Seine Frau wusste wen er meinte und nickte. „Ich hab schon mit Alfred gesprochen...“ „Du hast was?“, unterbrach er sie. Nein, es konnte doch nicht sein, dass Alfred eher von ihrer Schwangerschaft erfuhr, als er. Immerhin war er ja mehr als genug daran beteiligt. „Nicht was du denkst. Ich hab uns zum Kaffee eingeladen.“ „Dann ist gut. Sonst hätte ich dir jetzt die Leviten lesen müssen. Mal ehrlich, den Butler vor dem Vater von dem Kind zu erzählen...“ Wieder glitten seine Finger über ihren Bauch. „Wollen wir wissen ob aus unsere Rosine ein Junge oder ein Mädchen wird?“ „Rosine?“, seufzte Barbara leise, als seine Finger tiefer glitten. „Auf dem Ultraschallbild hab ich nur eine Rosine erkannt“, neckte Richard seine Frau. „Und einen Arbeitstitel benötigen wir doch: Rosinchen.“ Verlangend schob sie seine Hände zwischen ihre Beine. „Dann bleibt es bei Rosinchen, bis zur Geburt...“ Ende Mai 2016 12. --- Den Nachmittag verbrachten Richard, Barbara und ihre Nachbarin Jenny damit alles für den Abend vorzubereiten und obwohl ihnen immer wieder drei Kinder und ein Hund zwischen den Beinen herumwuselten, waren sie gegen 18:00 Uhr mit den Vorbereitungen fertig und ließen sich auf das Sofa fallen. Es blieb ihnen noch genügend Zeit um ein wenig zu plaudern, etwas zu trinken und die Ruhe zu genießen. Da Dean und Michael, Jennys Mann und Nickys Vater, auch heute arbeiteten, würden sie erst gegen 21:00 Uhr vollzählig sein. Für das Fondue stand alles auf dem Esstisch bereit, die Zutaten in verschiedene Gefäße gefüllt, warteten im Kühlschrank auf ihren Einsatz. Gegen 22:00 Uhr würde Ariana die Fischplatte auf den Weg schicken. Zur Hälfte standen die Getränke in dem Getränkefach des Kühlschrankes, und zur anderen Hälfte in einer Klappbox auf der Terrasse. Während Barbara und Jenny sich leise unterhielten, beobachtete Richard die Kinder, die beinah den gesamten Fußboden für sich erobert hatten. Ganz selbstlos hatte Johnny seine Vater gebeten, die große Lego-Truhe aus seinem Zimmer zu holen, damit sie im Wohnzimmer ihre eigene Stadt aufbauen konnten. Mit offenem Mund werkelte Nicky an einem Haus herum. Johnny verteilt die Grundplatten in verschiedenen Farben und legte die Straßen und Kreuzungen aus und Lian stellte schon die ersten fertigen Gebäude auf die Platten: gerade eben ein Polizeirevier, davor verteilte sie kleine Legomännchen in Uniformen, dass sich darunter auch Feuerwehrmänner und Ärzte befanden, schien die Kinder nicht zu stören. Seltsam still verhielten sie sich, anscheinend einig darüber, wer welche Aufgabe erfüllte. Lächelnd schaute Richard dabei zu, wie die Legostadt immer mehr Gestalt annahm. Wenn sie Glück hatten, räumten die Kinder die Spielsachen nachher wieder auf, wenn sie aber Pech hatten, dann würden sie in den nächsten Tagen immer einen großen Bogen um die Stadt gehen müssen. Er trank noch einen Schluck von seinem Bier, dann erhob er sich, nahm seine dicke Jacke, griff nach dem Smartphone und pfiff leise durch die Zähne, damit Jason ihm Gesellschaft leistete. Auf der Terrasse blieb er stehen, wählte Roys Nummer und während er dem Klingeln lauschte, glitt sein Blick über den abgedeckten Pool, das bräunliche Wintergras und die kahlen Bäume, die wie seltsam anmutende Skelette in der Dunkelheit der Winternacht wirkten. „Hallo, Dick!“, vernahm er, nachdem er es eine ganze Weile hatte klingeln lassen, Roys Stimme. „Alles in Ordnung bei euch?“ „Alles Bestens, Roy. Lian geht's gut. Sie betätigt sich als Architektin in Johnnys Legostadt und wir müssen aufpassen, das wir nicht plötzlich Godzilla spielen und alles einreißen.“Auf der Sitzfläche der Schaukelbank, die Sommer wie Winter auf ihrer Terrasse stand, ließ er sich nieder. „Ich wollte mal hören, wie es dir geht und fragen, was deine Träume machen.“ „Ich sag es mal so, Richard, sie werden immer verworrener. Sani, mein spiritueller Führer ist fest davon überzeugt, dass mich Visionen heimsuchen. Unter seiner Anleitung habe ich es heute zum ersten mal geschafft, die Träume hervorzurufen, ohne dabei zu schlafen.“ „Wie viel Peyote hast du dafür konsumieren müssen?“, grinste Richard. Für eine Weile herrschte Schweigen am anderen Ende. Es schien so, als würde Roy tatsächlich darüber nachdenken, welche Antwort er auf diese Frage geben sollte. Ein: „Ähm“, war alles was Johnnys Vater darauf zu hören bekam, dann fuhr Roy, ohne darauf einzugehen, fort: „Manche Bilder lösen Angst in mir aus, andere stimmen mich traurig oder sorgen für ungewolltes aufgeregtes Herzklopfen. Ich sehe nur Bruchstücke. Die Visionen scheinen nicht zeitlich sortiert zu erscheinen. Ich kann mir ihre Zusammenhänge nur wage zusammenreimen.“ „Dann erzähl mal, was du so siehst!“ Richard spürte die freche Hundeschnauze, die ihm immer wieder gegen das Knie stupste. Ein eindeutiges Zeichen dafür, das Jason seine Aufmerksamkeit verlangte und so versenkte er die Finger in dem weichen, warmen Fell. Ein heiseres Lachen erklang durch den Hörer. „Du würdest es mir sowieso nicht glauben.“ „Bist du dir da sicher?“ Damit er Roy besser lauschen konnte, lehnte Richard sich zurück. Ihn störte es nicht, dass Jason zu ihm auf die Bank sprang, sich neben ihn legte und den Kopf auf seinen Schoß bettete. „In Ordnung, aber nicht lachen. Wo fange ich am besten an?“ „Am Anfang?“ Bildhaft sah Richard seinen besten Freund vor sich, wie er mit untergeschlagenen Beinen auf dem Bett in seinem Hotel saß oder einfach nur da lag, eine Hand unter dem Kopf gelegt. „Es gibt keinen Anfang. Ich erzähl einfach mal das, was mir in den Sinn kommt. In meinen Visionen war ich Privatdetektiv und lebte in LA. Davor war ich Undercoveragent beim CBI, dabei habe ich wohl Cheshire, also Jade kennen und lieben gelernt. Es ist verrückt, es fühlt sich so an, als hätte jemand mein Leben vollkommen neu geschrieben und verändert, aber irgendwie nicht im positiven Sinne. Ich glaube, ich habe sogar mal einen Pfeil auf Ollie abgeschossen und ihn im Rücken getroffen, dazu kommt die Heroinabhängigkeit.“ „Wie fühlst du dich dabei?“ Mit einer gewissen Unruhe in sich, hatte Richard seinem Freund gelauscht. „Wie ein Fremder... Ich glaube so geht es Menschen, die ihr Gedächtnis verloren haben und von, für sie, wildfremden Menschen ihr Leben erzählt oder auf Photos und Videos gezeigt bekommen. Du spielst übrigens eine große Rolle in meinem Selbstfindungstrip.“ „Dann lass mal hören! Ich bin neugierig.“ Gespannt wartete Richard mit klopfendem Herzen ab. Würde er jetzt einiges mehr erfahren? „Wir bildeten ein Team, du, ich und noch drei andere. Wir nannten uns Teen Titans. Ich kenne die anderen Mitglieder nicht. Ich kann mich nicht erinnern ihnen jemals im wahren Leben begegnet zu sein. Einer nennt sich Aqualad und nun wird es total verrückt. Er ist Atlanter, ja, du hörst richtig, er kommt aus Atlantis und kann, wie ein Fisch, unter Wasser atmen. Dann ist da noch Kid Flash, ein Teenie mit Supergeschwindigkeit und Wonder Girl, eine Amazone. Sie gab unserem Team sogar den Namen und ich, ich habe wohl eine heftige Romanze mit ihr gehabt.“ Metawesen, schon wieder. „Klingt alles ziemlich abenteuerlich.“ „Wem sagst du das, Richard. Ich durchlebe es jeden Tag und ehrlich, ich kann es kaum erwarten, mehr zu erfahren.“ Still ließ Richard seine Hand auf Jasons Kopf liegen. Veränderte Zeitlinien, hämmerte es immer wieder in seinem Kopf. „Ach, ehe ich es vergesse. Erinnerst du dich? Ich habe dir zu Weihnachten von einer außerirdischen Prinzessin erzählt.“ Obwohl Roy es nicht sehen konnte, nickte Richard bestätigend. „Sie kommt vom Planeten Tamaran, nennt sich Starfire und heißt Koriand'r. Ein ziemlich heißes Geschoss, wenn du mich fragst. Sitzt du, Dick?“ „Tue ich“, bestätigte der Schwarzhaarige und fragte sich, was Roy ihm als nächstes erzählen würde. „Ich war zwar nicht wirklich anwesend, als Starfire dich küsste, um unsere Sprache zu lernen, aber dies löste wohl etwas in dir aus. Du wolltest sie sogar heiraten.“ „Wollte?“, echote Richard und schüttelte den Kopf. Was kam noch? Hatte er in der anderen Zeitlinie vielleicht mit ihr Kinder? „Wolltest, ja. Ihr wolltet euch gerade euer Eheversprechen geben, als euer Pfarrer von Raven, einem Teammitglied von uns, getötet wurde.“ Das war dann doch etwas viel des Guten. Er, eine andere heiraten? Niemals. Unvorstellbar für den glücklichen Ehemann und stolzen Vater. Bisher hatte er seine Entscheidung, Barbara zu heiraten nie bereut. Sie passten so gut zusammen, ergänzten sich und konnten sich in allen Lebenslagen aufeinander verlassen. Richard wollte nicht mal daran denken, eine andere, als sein Batgirl zu lieben. „Dick, bist du noch da?“ Räuspernd meldetet Richard sich: „Ja.“ „Atmen, mein Freund. Die Beziehung zwischen Starfire und dir war nach dem Vorfall nie wieder wie davor.“ „Weißt du was mit Babs ist?“ Unbewusst hatten Richards Finger, die das Smartphone hielten, sich schmerzhaft um das Gehäuse geklammert. „Nein, keine Ahnung. Sie ist wohl Batgirl, aber das zwischen euch, hat anscheinend die Teeniephase nicht überstanden.“ „Roy, das klingt alles so unglaublich phantastisch, dass es beinah schon wieder wahr sein könnte“, überlegte Richard laut. „Wie meinst du das?“ „Nichts, Roy, gar nichts. Ich hab nur nachgedacht.“ Nein, er würde Roy noch nichts von Red Hood erzählen. Er war viel zu neugierig darauf mehr zu erfahren. Er konnte Roy in alles einweihen, wenn er wieder da war. Wenn er es ihm jetzt sagte, dann würde sein Freund sich in den nächsten Flieger setzen und er nie erfahren, was sich in der anderen Zeitlinie alles zugetragen hatte. „Falls wir uns heute nicht noch mal sprechen sollten, wünsche ich dir noch einen schönen Abend. Konsumier nicht zu viel Peyote und komm gut ins neue Jahr.“ „Ebenso. Grüß Barbara, gib ihr einen Kuss von mir und kannst du mir mein kleines Mädchen noch mal geben!“ „Mach ich.“ Richard erhob sich, zog die Terrassentür auf, ließ Jason ins Haus und folgte dem Hund ins Warme. „Lian, dein Vater!“ Wie ein Wiesel so flink, eilte Roys Tochter zu ihm, nahm ihm das Telefon ab und verzog sich damit auf die Treppe, damit sie in Ruhe und vor allen Dingen alleine mit ihrem Dad sprechen konnte. „Bei Roy alles in Ordnung?“ „Ja, alles in Ordnung.“ Nachdenklich hing Richard dem eben in Erfahrung gebrachten nach. Er beugte sich zu seiner Frau hinab, hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn und lächelte: „Mit einem Gruß von Roy.“ Er legte die Jacke ab und schüttelte innerlich den Kopf. Nein, er würde niemals eine andere heiraten. Barbara war sein Leben, sein Glück. 13. --- Mitternacht war vorbei. Jenny, Michael und Nicky gegangen. Johnny und Lian schliefen seit einer Stunde und auch Emily und Dean wollten so langsam aufbrechen. Barbara packte dem befreundeten Paar noch ein großes Lunchpaket für den Tag, da wie immer viel zu viel Essen übrig geblieben war. Vorsichtig hatte Richard seine Fühler bei Dean, im Fall Katie Miller, ausgestreckt, dabei aber nichts neues in Erfahrung bringen können. Dean wusste auch nicht, wo er mit der Suche nach dem Täter beginnen sollte, da sie noch immer keine brauchbaren Spuren entdecken konnten und so ruhte der Fall. Kurz bevor das Taxi vor dem Haus der Graysons hielt, verabredete Richard sich noch mit Dean zu einem Kletterabend. Gegen 2:00 Uhr hatten Barbara und Richard das Wohnzimmer wieder für sich. Gemeinsam bestückten sie die Spülmaschine und räumten die letzten Reste der Fischplatte in den Kühlschrank. Zum Glück war nur noch ein wenig Räucherfisch übrig. Die letzte Unordnung würden sie morgen beseitigen, wenn sie ausgeschlafen waren. Richard wollte die ungeöffneten Flaschen, die noch immer in der Klappbox auf ihrer Terrasse standen, hereinholen, als er eine Bewegung in ihrem Garten wahrnahm. Sein Blick fraß sich durch die Dunkelheit. Tatsächlich, neben dem großen Süßkirschbaum stand jemand, sah zu ihm herüber und nickte. Red Hood - er hatte versprochen, dass er wiederkommen wollte. „Ich geh noch mal mit Jason raus“, rief er seiner Frau zu, die eben die Spülmaschine anschaltete. „Ist gut. Ich geh schon mal ins Bett.“ Lächelnd schaute sie ihn aus ihren grünen Augen an, ehe sie sich zur Treppe begab und das Licht in der Küche ausschaltete. Die dicke Jacke überstreifend, rief Richard nach Jason, der es sich vor dem Kamin, der noch immer einen Rest an gespeicherter Wärme ausstrahlte, gemütlich gemacht hatte und trat hinaus. Hinter dem Golden Retriever zog der dunkelhaarige Mann die Tür zu, damit die Wärme im Haus blieb. Der Hund verhielt sich seltsam ruhig. Der fremde Mann auf dem Grundstück schien ihn nicht wirklich zu stören, was Richard nachdenklich werden ließ, da Jason bisher keinen Unbekannten in seinem, ihrem Garten akzeptierte. Normalerweise tat er seinen Unmut mit einem Knurren kund. Red Hood gegenüber verhielt er sich anders. Jason trottete zu dem Kirschbaum und setzte sich vor seinen Namensvetter, der in die Hocke ging und die Finger in dem dichten Fell versenkte. Die Wetterfeen aus dem Fernsehen hatten Recht behalten. Es war eisig geworden. Die Kälte bis in die freiliegenden Hautstellen. Die Hände tief in die Taschen vergraben näherte Richard sich Red Hood, der noch immer den Hund kraulte, der sich dies mit geschlossenen Augen gefallen ließ und sichtlich genoss. „Hast du schon einmal darüber nachgedacht, wieso du deinen Hund ausgerechnet Jason genannt hast?“ Keine Begrüßungsfloskel, kein hallo, wie gehts, einfach nur diese eine Frage. „Bisher nicht“, antwortete der Familienvater und blickte mit zusammengezogenen Augenbrauen, auf das Schauspiel, das sich ihm bot. „Vielleicht solltest du dies mal tun.“ Jason Todd, der wie schon gestern sein Red-Hood-Outfit trug richtete sich wieder auf. „Gesundes neues Jahr noch.“ „Dir auch.“ Richard beobachtete seinen Hund, der unsicher, aber zufrieden, zwischen den beiden Männern hin- und herschaute und sich anscheinend nicht sicher darüber war, zu wem er sich gesellen sollte und blieb so zwischen ihnen sitzen. „Du bist also wieder da“, bemerkte Richard leise. „Dann erzähl mal!“ Mit den Schultern lehnte Jason sich gegen den Stamm der Kirsche, stemmte den rechten Fuß gegen Rinde und begann: „Ich war einst ein Robin, wie du, wie Tim, wie Stephanie und nun Damian.“ Im Kopf hatte Richard bei der Aufzählung der Namen mitgezählt. Fünf Robins? Zwei Robins kannte er, die anderen nicht, sogar ein Mädchen sollte dabei gewesen sein? Unvorstellbar oder doch nicht? Gut, die Zeit würde es hergeben. Er war der erste Robin gewesen, bis er sich entschied auf eigenen Beinen zu stehen. Beinah drei Jahre zog Bruce alleine durch Gotham, bis Tim kam und Robin wurde. Aber selbst Tim trug schon seit einer geraumen Weile kein grün-rotes Robin-Kostüm mehr, sondern hatte sich entschieden, erwachsen zu werden. Danach hätten gut und gerne zwei weitere Robins die Lücke schließen können. „Nenn es Zufall oder einfach nur das Glück, zur rechten Zeit, am rechten Ort zu sein.“ Ein heiseres amüsiertes Lachen begleitete Jasons Worte. „Ich wollte die Räder vom Batmobil stehlen. Ich war mir sicher, dass ich dafür eine Menge Kohle einstreichen könnte. Batman erwischte mich jedoch, als ich in der Finsternis der Crime Alley begann die Räder abzubauen.“ „Crime Alley?“, hakte Richard nach, der sich vorgenommen hatte, unvoreingenommen den Worten seines Gegenüber zu lauschen, diese erst einmal zu akzeptiere, um sie später ganz in Ruhe analysieren zu können. „Ja, Crime Alley, an jenem Ort, an dem Bruce noch heute jedes Jahr eine rote Rose ablegt.“ Jason legte seine Maske ab, hielt sie fest zwischen den Fingern der rechten Hand und lächelte, anscheinend in Erinnerungen versunken, vor sich hin. „Vor neun Jahren fand ich Jason dort“, murmelte Richard nachdenklich und kraulte den Hund, der sich an seine Beine drängte und nach Aufmerksamkeit verlangte, nachdem er seinen Namen vernommen hatte. „Irgendjemand hatte einen Wurf von Welpen in einem Karton dort abgestellt. Vier Welpen waren schon tot, als ich sie fand, nur Jason atmete gerade noch so. Als erstes huschte mir der Name Jason durch den Kopf, als ich ihn hochnahm.“ „Ein Zeichen?“ „Oder Zufall?“ „Alles ist möglich...“ Eine Weile schwieg Jason Todd und beobachtete Richard, der noch immer seinen Hund kraulte. „Aber mal zurück. Eins ergab das andere. Ich wurde Robin, nicht für lange, aber ich war ein Robin. In der Zeit jedoch wurde ich das Gefühl nie los, in deinem Schatten zu stehen.“ Er zuckte mit den Schultern. „Ich sags mal so. Ich überschätzte mich. Ich begab mich auf die Suche nach meiner leiblichen Mutter, dabei traf ich auf den Joker.“ „Joker?“ Irgendwo, ganz tief in sich drinnen, erinnerte Richard sich. „Ja, da war mal einer, der sich Joker nannte, ein brutaler Possenreißer, der bei seinen Coups über Leichen ging. Wir wissen bis heute nicht, wer er ist. Wäre er tot, wäre er ein John Doe. Es ist beinah zwanzig Jahre her, dass Batman und ich ihn dem GCPD übergaben. Seitdem sitzt er in der Geschlossenen und wird mit einem Medikamentencocktail ruhig gestellt.“ Jason nickte: „Er ist ein Psychopath, wie es keinen zweiten gibt oder jemals geben wird. Er prügelte mich mit einem Brecheisen halbtot. Batman kam zu spät um mich zu retten. Eine Bombe gab mir dann den Rest.“ Beinah schon gefühlskalt, als würde er nur eine Geschichte erzählen, berichtete Jason von seinem Tot. „Und trotzdem lebst du?“ Irgendwie wurde der Fall, wenn es denn überhaupt einer war, immer mysteriöser: Außerirdische, Metawesen, Wiederauferstandene. Was kam als nächstes? Richard stand mit beiden Beinen viel zu fest in seinem Leben, als das er alles für bare Münze nehmen könnte. Irgendwo musste doch ein Haken an der Sache sein? Aber wo? Er fand ihn einfach nicht. Wieso sollte ein Fremder zu ihnen kommen, ihnen Märchen auftischen und sie nicht verraten oder angreifen? „Ich kam zurück, wieso, weshalb?“ Jason zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Ich war wütend, steckte voller Zorn, Zorn auf mich, auf Batman, der mich nicht rettete und ich war wütend auf dich, weil ich es nicht geschafft hatte, ein so guter Robin zu sein wie du. Ich zog als Rächer durch Gotham, versuchte die Unterwelt an mich zu reißen und schreckte nicht vor Mord zurück. Irgendwann erwischte ich den Joker, dem ich ähnliches angedeihen ließ, wie er damals mir. Aber im Gegensatz zu mir, überlebte er. Das Verhältnis zu Bruce blieb gespalten, bis heute. Außerdem gab es ja Tim, Robin Nr. 3. Und wieder hatte Bruce einen Robin ersetzt.“ „Wer sind die anderen Robins?“ Für den Bruchteil einer Sekunde überlegte Richard, ob er Red Hood auf ein Bier ins Haus einladen sollte, verwarf den Gedanken jedoch sofort wieder. „Stephanie Brown, die Tochter von Arthur Brown, dem Cluemaster, ein Krimineller. Sie nannte sich Spoiler, wollte wieder gutmachen, was ihr Vater tat, seine Verbrechen vereiteln. Sie und Tim...“ Jason schwieg einen Moment lang, da Richard aber nicht nachfragte fuhr er fort. „Batman verriet Spoiler Tims Identität. Für Tim ein riesiger Vertrauensbruch. Er hängte sein Cape an den Nagel und Stephanie wurde Robin Nr. 4.“ Wieder lachte Jason auf. „Sie war aufsässig, folgte Batmans Befehlen nicht, daraufhin feuerte er sie wieder. Sie wollte ihm wohl zeigen, dass sie es als Superheldin drauf hat und entfesselte die War Games. Es gab ein fürchterliches Gemetzel. Sie starb wohl... Tim kehrte als Robin zurück.“ So viele Informationen auf einmal und jede weitere Erklärung, warf neue Fragen auf. Ein, zwei Gespräche mit Red Hood würden nicht ausreichen, um sich ein detaillierte Bild der Situation in der anderen Zeitlinie machen zu können. „Bliebe noch Damian“, erinnerte Richard sich an den letzten erwähnten Namen. „Damian, ja. Er ist das, was wir alle nie waren: der wahre Erbe von Batman. Bruce leiblicher Sohn, nicht nur adoptiert, wie du, wie Tim, wie Cassie, wie ich...“ „Wie bitte?“ Na, das waren ja mal Neuigkeiten. Sollte Bruce es in der eigentlichen Zeitlinie tatsächlich geschafft haben, die Frau fürs Leben zu finden. Eigentlich unvorstellbar, aber anscheinend dennoch möglich. „Damian wuchs nicht bei ihm auf. Bruce wusste lange nicht, dass er einen Sohn, mit, sagen wir mal, einer Gegenspielerin hat. Er hatte eine Affäre mit ihr. Damian wuchs bei ihr auf. Er ist ein Fall für sich.“ Richard nickte. „Und wer ist Cassie?“ „Cassandra Cain, Tochter des Attentäters David Cain, ausgebildet als Kämpferin und Kriegerin, um einmal die Leibwächterin von Ras Al Ghul, ein Assassine, zu werden, übrigens der Großvater von Damian. Sie sollte im Namen von ihrem Vater jemanden töten, tat dies auch und realisierte wohl, dass dies nicht ihr Weg sein konnte und lief weg. Sie schlug sich so durch, traf irgendwann auf Batman und wurde Batgirl.“ Batgirl? Bei diesem Namen verspürte Richard auf der einen Seite das angenehme Kribbeln im Magen auf der anderen Seite zog dieser sich aber zusammen. Barbar war nicht Batgirl? Wieso war eine Fremde Batgirl? War sie für Barbara eingesprungen, war Barbara überhaupt in Jasons Zeitlinie Batgirl? Gab es sie dort überhaupt? „Ja, Cassie war ein Batgirl...“, bestätigte Red Hood, dem Richards fragend, zweifelnder Blick nicht entgangen war. Ein Batgirl. Jason hatte das Worte ein betont. Also, gab es mehr als ein Batgirl, eventuell genauso viele wie es Robins gab? Vielleicht hatte Barbara einfach nur ihren eigenen Weg gefunden, so wie er und Tim auch. Trotzdem, Richard benötigte Gewissheit. Leise fragte er mit klopfendem Herzen: „Barbara?“ „Nein, Dick, alles was dich und deine Familie betrifft bleibt mein Geheimnis. Egal, wie oft du mich danach fragen wirst, ich werde dir nicht antworten. Ich benötige deine Hilfe. Mir ist nicht damit geholfen, wenn du erfährst, was alles geschehen sein kann, denn dann könnte es sein, dass ich keine Hilfe von dir bekomme. Das Risiko ist mir einfach zu hoch.“ Die Zähne fest aufeinander gebissen, akzeptierte Richard diese Antwort. Er konnte sein gegenüber unterdessen soweit einschätzen, dass er sich sicher war, dass er tatsächlich keine Antworten auf seine Fragen bekommen würde. „Verstehe.“ „Wie du siehst, ist deine Familie um einiges größer, als du dir jemals hättest vorstellen können.“ Jason löste sich von dem Stamm der Kirsche, trat hinaus in den Schein der Lampe, die auf der Terrasse brannte und bückte sich zu seinem Namensvetter, der dankbar die Streicheleinheiten entgegennahm und Richard verfiel in dumpfes Grübeln. So viele neue Namen und sie alle sollten zu ihnen gehören, an ihrer Seite kämpfen. Waren in Red Hoods Gotham tatsächlich so viele Verbrechensbekämpfer von Nöten? Fünf Robins, ein Batman und Richard ging von zwei Batgirls aus, welchen Namen sie auch immer trugen. Hier waren sie gerade mal zu viert, im Moment ja sogar nur zu zweit. „Barbara wartete auf dich.“ Aus seinen Überlegungen geschreckt, folgte Richard Jasons Blick, der zum Fenster ihres Schlafzimmers hinaufschaute. Trübes Licht fiel durch die Scheibe. Ein der Leselampen schien noch an zu sein. Hinter der Scheibe zeichnete sich der Umriss seiner Frau ab, die zu ihnen hinabsah. „Geh zu ihr! Wir sehen uns wieder, dann erfährst du mehr.“ Von einem Moment zum anderen, wurde aus Jason Todd wieder Red Hood. Kurz darauf stand Richard alleine in dem Garten, an seiner Seite sein Hund, der leise winselte. Er warf einen Blick auf die Uhr, die auf dem Kaminsims stand, als er die Terrassentür hinter sich schloss. Beinah 4:00 Uhr. Ob er Tim noch erreichen konnte? Seufzend zog er die Jacke aus, ließ sie einfach auf das Sofa fallen, löschte die Lampen und stieg die Stufen hinauf. Vor der Schlafzimmertür atmete er einmal tief durch, dann drückte er die Klinke nach unten und trat ein. Er bemerkte den fragenden Blick seiner Frau, ignorierte ihn aber und zog stattdessen das Schubfach an seinem Nachttisch auf, um sein In-Ear an sich nehmen zu können. „Tim?“ „Bin da“, antwortete dieser unverzüglich. „Es ist alles ruhig, befinde mich auf dem Weg nach Hause.“ „Red Hood war hier“, informierte Richard seinen jüngeren Bruder. „Alles in Ordnung?“ „Ja, alles okay. Ich melde mich bei dir. Morgen schaff ich es nicht. Ich muss endlich mal das Kinderzimmer streichen.“ Auf der Bettkante ließ er sich nieder, spürte die warme Hand, die sich sanft auf seine Schulter legte. „Vermal dich nicht“, lachte Tim. „Gesundes neues Jahr noch!“ „Dir auch. Schlaf gut!“ Richard legte den Mini-Kopfhörer zurück in sein Schubfach und drehte sich zu seiner Frau, die ihn noch immer fragend anblickte. „Keine Sorge, Red Hood gehört zu uns, irgendwie.“ „Haben wir Hilfe bekommen? Wer ist er? Wieso weiß ich nichts davon?“ So viele Fragen auf einmal. „Vielleicht und wir sind uns noch nicht wirklich sicher. Mach dir keinen Kopf. Von ihm droht keine Gefahr.“ Sacht löste er sich von seinem Batgirl. „Ich erzähl es dir gleich.“ Er erhob sich, schälte sich aus seiner Kleidung, die er achtlos neben dem Bett liegen ließ und kroch zu seiner Frau, die sich sofort an ihn schmiegte, unter die Decke. Er spürte ihre Hand auf seinem Bauch, fühlte das Gewicht ihres Kopfes an seiner Schulter und zog sie näher an sich. „Was ich dir jetzt erzähle, wird unglaublich klingen, aber es scheint zu stimmen.“ Leise berichtete er, was es mit Red Hood auf sich hatte, erzählte die Eckpunkte die er für nötig hielt, um ihre Neugierde zu stillen, verschwieg aber alles, was sie unnötig beunruhigen würde. Barbara sollte sich ganz in Ruhe auf die Geburt vorbereiten können, ohne sich Gedanken darüber machen zu müssen, ob sie ihr Leben tatsächlich weiter leben durfte und da er in den letzten Tagen auch Roys Träume nicht erwähnte, konnte Barbara zum Glück keine Verbindung herstellen. Für sie würde es nur ihr jetziges Leben geben, kein anderes. Noch lange lag der Mann wach, streichelte dabei Gedankenverloren den Bauch seiner Frau und fühlte den Bewegungen ihres Kindes nach. So viel Input, so viel, was er nicht verstand. Noch mehr Robins, noch ein Batgirl, Bruce ein Vater. Sollte er wirklich glauben, was Jason Todd erzählte? Was würde sein, wenn sich die Zeitlinie wieder in ihrem ursprünglichen Zustand befand? Würde er sich an sein Leben erinnern? Würde Johnny nur noch in seinem Kopf existieren oder würde er alles vergessen, so als wäre es nie geschehen? Vielleicht war es wirklich gut, dass Red Hood ihm nichts über sein Leben in dem anderen Gotham erzählte. Lebte er überhaupt in Gotham? Und wenn ja, mit wem, alleine? Besaß er eine Familie? Was war mit Tim und Ariana? Wenn er Jason Todd richtig verstand, dann befand sich nicht Ariana an Tims Seite sondern diese Stephanie Brown. Sollte er Tim davon berichten? Immerhin befand der sich mitten in seinen Hochzeitsvorbereitungen. Lohnte es sich überhaupt noch zu heiraten? Lohnte es sich das Kinderzimmer herzurichten? Schon morgen konnte dieses Leben vorbei sein, nie geschehen. Die Vorstellung ohne Barbara leben zu müssen, schmerzte Richard. Unbewusst zog er die rothaarige Frau wieder enger an sich. Er wollte sein Leben nicht aufgeben müssen. Alles sträubte sich in ihm dagegen. Er würde Red Hood nicht helfen, egal, was dieser noch berichtete. [-2. Zeit auf Wiedersehen zu sagen] ----------------------------------- [-2. Zeit auf Wiedersehen zu sagen] „Wo hab ich nur das Buch hingelegt?“ Leise stellte Richard sich die Frage und durchsuchte zum wiederholten Male seinen Schreibtisch, ohne jedoch einen Erfolg zu erringen. Nirgendwo konnte er das Buch mit dem Titel 'Handbook of forensic service' finden, dabei war er doch wie so oft wieder einmal zu spät dran. Noch heute musste er das Buch zurückgeben. Ab morgen würde er keine Zeit mehr dazu haben. Okay, in der Mitte des Zimmers, welches in den letzten Jahren sein Reich gewesen war, blieb er stehen und ließ den Blick über das, immer noch nicht gemachte, Bett gleiten, danach über den Nachttisch, den großen Kleiderschrank und das Bücherregal. Vielleicht hatte er das geliehene Buch doch mit zu seiner eigenen Literatur gestellt? Eigentlich dürfte dies nicht der Fall sein, da er schon immer die geliehenen Medien auf dem Schreibtisch aufbewahrte, aber manchmal, so tief in Gedanken versunken, wusste man nie, was man tat. Nachdenklich trat er an das dunkelbraune Regal. Auf dem vierten Regalbrett befand sich ein Photo, welches seinen Blick wie magisch anzog. Ein trauriges, wehmütiges Lächeln kerbte sein Gesicht, als er auf seine Eltern schaute, die fröhlich strahlend, in ihrem Flying-Grayson-Kostümen, in die Kamera lächelten. Mit spitzen Fingern griff Dick nach dem Bilderrahmen, öffnete ihn und nahm das Bild seiner Eltern an sich. Den leeren Rahmen stellte er zurück, ehe er das Bild in einem Umschlag, den er in seinem Schreibtisch fand, steckte und zu dem Stapel Klamotten legte, der auf dem Sessel lag. Danach widmete er sich wieder seiner eigentlichen Suche. Buchrücken für Buchrücken nahm er sich vor, las die Titel der Bücher, die er schon lange nicht mehr in den Fingern gehalten hatte. Nein, von dem Bibliotheksmedium fehlte jegliche Spur. In dem Regal standen Klassiker, teilweise in Erstausgaben, die eigentlich gar nicht hierher gehörten, sondern in Bruce Bibliothek. Irgendwie hatte der junge Mann es zeitlich nicht geschafft, die Bücher zurück an ihren eigentlichen Standort zu bringen. Er würde Alfred bitten müssen. Langsam ließ er die Fingerspitzen über die Buchrücken gleiten, damit er das gesuchte Werk auch ja nicht übersah. Nein, das auch nicht, jenes nicht, nein sprach er in Gedanken mit. Das Buch blieb unauffindbar. Dabei musste er doch wirklich langsam los. Barbara Gordon, seine Lieblingsbibliothekshelferin, wartete auf ihn. Er hatte sie zu einem Abendessen eingeladen, wollte ihr auf Wiedersehen sagen. Der ehemalige Akrobat zuckte mit den Schultern. Es ließ sich nicht ändern, das Buch blieb verschwunden. Kein Wunder, würde Alfred wohl dazu sagen. Ordnung halten war nicht gerade die Stärke des ehemaligen Zirkuskindes. Wozu auch? Wieso sollte er die Turnschuhe immer in den Schuhschrank räumen, wenn er sie kurz darauf doch wieder anzog? Aber eines hatte Alfred im Laufe der Jahre geschafft, ihm beizubringen, die dreckige Wäsche nicht einfach auf dem Boden liegen zu lassen, sondern in dem Wäschekorb in seinem Bad zu deponieren. Dick grinste, denn eben fand er eine einzelne schwarze Socke einsam und verlassen, neben seinem Kleiderschrank. Hatte Alfred nicht schon mal vor einem Monat über eine fehlende schwarze Socke geklagt? Noch immer amüsiert hob er das fehlende Stück des Paares auf. Er betrat sein Bad und versenkte die Socke in dem dafür vorgesehenen Korb. Er würde die Socke die nächsten Woche nicht benötigen. „Scheiß auf das Buch“, murmelte er. „Dann muss ich halt Ersatz leisten.“ Beinah wäre er über den Trekkingrucksack gestolpert, den er heute Mittag vor sein Bett gestellt hatte, um ihn zu packen. Wirklich weit, war er noch nicht gekommen. Morgen früh fand sich schon noch etwas Zeit dafür. Sein Flieger ging erst kurz nach 14:00 Uhr. Nicht mal mehr zwanzig Stunden und er befand sich auf dem Weg nach Bangkok. Südostasien erwartete ihn - kein Bruce Wayne mehr, der sein Leben bestimmen wollte, kein Batman, der ihm immer noch nichts zutraute, nicht mehr Robin sein, dafür Auszeit, Freizeit, lecker Essen und einfach nur mal tun, wozu ihm der Sinn stand. Innerhalb von zwei Wochen hatte er seine Entscheidung, Gotham zu verlassen, getroffen, einen Flug gebucht und für die ersten fünf Nächte in einem Hostel, welches auf den wunderschönen Namen 'Bansabai Resort Hostel' getauft war, in der Lat Phrao Road eingecheckt. Mit Outdoor-Pool auf dem Dach, ansprechenden Zimmern und unschlagbaren Preis, der Deluxe Room gerade mal 900,- Baht, etwa 27,- $ die Nacht, was wollte man mehr. Wie so viele andere jungen Leute wollte auch er etwas von der Welt sehen und im wundervollen Südostasien sollte seine Reise beginnen. Als Rucksacktourist durch Thailand, Laos, Kambodscha und Vietnam. Unterdessen klebten mehrere diverse Visen, die ihn eine Stange Geld gekostet hatten, da sie für ein Jahr mit mehrmaligen Ein- und Ausreisen versehen waren, in seinem Reisepass. Dank Bruce, der ihm erst nicht helfen wollte, dann aber brummend zustimmte, war es kein größeres Hindernis gewesen, innerhalb einer Woche alle nötigen Unterlagen von den diversen Botschaften zu bekommen. War ihr Verhältnis besser geworden, seitdem Bruce bewusst wurde, wie ernst es Dick war, Wayne Manor zu verlassen, um auf eigenen Füßen zu stehen und eigene Erfahrungen zu machen? Möglich schien es. Zumindest ließ Bruce ihn in den letzten Tagen tun und lassen was er wollte. Heute hieß es Abschied nehmen, als erstes von Barbara Gordon, dem Mädchen, mit dem er in den letzten zwei Jahren Freundschaft schloss und die zu einer Vertrauten geworden war. Er mochte sie, da sie sich in vielen Dingen ähnelten und einig waren. Im Sommer würde sie mit ihrem Studium beginnen, Bibliothekarin, was sonst? Sie blieb sich und ihren Büchern treu, was er nicht anders erwartet hatte. Zwei Jahre lang hatte sie drei Nachmittag in der Woche ihr Taschengeld, als Bibliotheksgehilfin an der Universitätsbibliothek, aufgebessert und diese drei Tage waren zu einem festen Bestandteil in seinem Leben geworden. Barbara fand immer Zeit ein paar Worte mit ihm zu wechseln und irgendwann waren ihre Gespräche Normalität geworden. Aus der anfänglichen Bekanntschaft entwickelte sich eine ernsthafte Freundschaft. Wenigstens einmal im Monat hatten sie es hinbekommen, nach ihrem Dienst irgendwo einen Kaffee trinken zu gehen. Heute würde er das letzte mal mit ihr ausgehen, das letzte mal, für eine unbekannte Zeitspanne. Er musste wirklich langsam los. Aus dem Schuhschrank kramte er seine schwarzen Bikerboots hervor. Die dicke rotschwarze Lederjacke hing über dem Drehstuhl, der an seinem Schreibtisch stand. Handschuhe und Helm befanden sich auf dem Schreibtisch. Fehlte nur noch der Zweithelm, der ein wenig eingestaubt oben auf seinem Kleiderschrank stand, damit er Barbara nachher auch mitnehmen konnte. Er hatte sie zum Essen eingeladen, aber nicht verraten wohin, nur das er sie mit dem Bike abholen würde. Als letzte griff er nach seinem Rucksack und siehe da, unter diesem lag das Buch, welches er vorhin noch so verzweifelt suchte. Er erinnerte sich wieder, er hatte das Buch extra zu seinem Rucksack gelegt, damit er er auch ja nicht vergaß. Über seine eigene Vergesslichkeit und Schusseligkeit grinsend verließ er sein Zimmer. Stille hüllte das alte Haus ein. Nicht der kleinste Laut war zu vernehmen. Eilig schritt er den Gang entlang, lief die Treppe hinab und betrat die Garage. Zielstrebig begab er sich zu seiner roten Kawasaki Z 750, ein schlankes Nakedbike, welches er nach seinem achtzehnten Geburtstag kaufte und nun, kurz bevor er seine Z offen, also ungedrosselt fahren durfte, musste er sie zurücklassen. Während sich das Garagentor, durch einen Druck auf die Fernbedienung öffnete, erschien wie aus dem nichts, Alfred. „Darf ich sie zum Abendessen einplanen?“ „Nein, Alfred, wartete nicht auf mich. Ich esse außer Haus.“ Dick, der eben den Zweithelm an dem Sozius befestigte, blickte auf. „Und wie oft muss ich dir eigentlich noch das du anbieten? Mag sein, dass Bruce auf das Herren-Diener-Getue besteht, aber ich mag es nicht.“ Ein Lächeln erhellte das Gesicht des Butlers. „Ich wünsche ihnen einen angenehmen Abend, Master Richard.“ Es brachte nichts. Würde dem älteren Herrn jemals das vertraute du über die Lippen kommen? Dick rechnete nicht damit. Er zuckte nur mit den Schultern, schloss den Reißverschluss der dicken Jacke, setzte den Helm auf, zog die Handschuhe über und sagte: „Dir auch einen schönen Abend, Alfred!“ Danach schloss er das Visier, klappte den Seitenständer hoch und gab Gas. Während der Fahrt in die City, drehten sich seine Gedanken um den gestrigen versuchten Bankraub, bei dem vier Menschen ihr Leben lassen mussten. Ein gerade mal vierzehnjähriger Junge, ein Straßenkind, das anscheinend keinen anderen Ausweg aus seiner Notsituation mehr sah, hatte tatsächlich versucht eine Bank auszurauben. Mit gezogener, entsicherter Waffe hatte der Junge ganz alleine die Bank gestürmt und dann ging wohl schief, was nur schief gehen konnte. Es endete in einem Blutbad und dies alles nur, weil der Junge nicht daran dachte, dass die Bargeldbestände mit einem Zeitschloss gesichert waren oder es einfach nicht wusste. Robin und Batman waren es später, die den Jungen überwältigen konnten, nachdem er sich hinter einem der Auszahlungstresen verschanzt hatte und auf alles schoss, was sich der Eingangstüre näherte. Ihnen war es gelungen unbemerkt in die Filiale einzudringen. Während Batman das Kind überwältigte, blieb Robin nur eins, sich um die Verletzten zu kümmern, bis die Notärzte eintrafen. Was mochte in einem Kind vorgehen, wenn es sich mit vierzehn dazu entschloss ganz alleine eine Bank zu überfallen? Dick würde es nicht mehr erfahren, morgen befand er sich auf dem Weg in ein neues Leben. Nur noch ein letzte Mal Robin sein, heute Nacht, dann würde das Kostüm, sein Kostüm in der Bathöhle zurückbleiben. Was Bruce oder eher Batman dann damit anfing, war ihm egal. Heute Nacht würde er sich von Gotham verabschieden, von der Stadt, die ihm zur Heimat geworden war, die ihn aber auch immer an den tragischen Tod seiner Eltern erinnern würde. Ob er noch einmal auf Batgirl traf? Schon alleine der Gedanke, an die unbekannte Schöne ließ sein Herz schneller schlagen. Wann nur, hatte er sich in sie verliebt? Diese Frage konnte er nicht wirklich beantworten. Es war ein schleichender Prozess gewesen, seitdem sie vor einem halben Jahr plötzlich auftauchte. Er war von ihrer Dreistigkeit fasziniert gewesen, mit der sie wie selbstverständlich Batmans Outfit kopierte und sich ihnen anschloss. Batman wäre es am liebsten, wenn das selbsternannte Batgirl wieder von der Bildfläche verschwand, aber so dachte Robin nicht. Er fand Gefallen an einer Partnerin, mit der man scherzen und flirten konnte und ganz ehrlich, sie sah heiß in ihrem Dress aus. Dick war sich sicher, dass Bruce seit dem ersten Auftauchen ganz genau wusste, wer sich hinter der Maske verbarg, aber er hütete dieses Geheimnis. Und egal, wie oft Dick versuchte Bruce etwas zu entlocken und wenn es nur ein paar Hinweise waren, es misslang. Selbst in ihrer Datenbank war er nicht fündig geworden und Batgirl, die verstand es ihr Geheimnis zu bewahren, so wie er und Bruce es auch konnten. Nächtelang hatte er recherchiert, war Batgirl sogar gefolgt, aber sie hatte stets gewusst, wie sie ihn abhängen konnte, was ihn wurmte, aber sie in seinem Ansehen steigerte. Kurz vor 19:00 Uhr parkte er auf seinem Platz an der Uni. Eigentlich gab es keine Stammplätze, aber seine Parklücke fand er immer frei vor. Den Helm in der Hand betrat er kurz darauf die Bibliothek. Wie immer achtete Miss Fitzwater ganz genau darauf, wer eintrat. Nur selten grüßte sie verbal, auch heute brachte sie nur ein kurze Nicken zustande. Dennoch ließ es Dick sich nicht nehmen, die zu grüßen, dabei machte er das freundlichste Gesicht, zu dem er fähig war: „Guten, Abend Miss Fitzwater!“ Nein, damit würde er sie nicht aus der Reserve locken. Sie ignorierte ihn, wie immer. „War das heute nicht ein wunderschöner Tag?“ Wieder nur ein knappes Nicken, nicht mehr und nicht weniger. Okay, zumindest hatte er es mal wieder versucht. Suchend ließ er seinen Blick über die Regalreihen gleiten. Er konnte Barbara nicht entdecken und so schritt er die Gänge ab, tat dabei so, als würde er sich für die Bücher interessieren, die ordentlich auf Kante gestellt auf den Regalböden verweilten und darauf wartete, dass sie jemand ausleihen wollte. In der Ecke mit der Literatur zu den Sozialwissenschaften wurde er endlich fündig. Lächelnd blieb er ein wenig abseits stehen, beobachtete die junge Frau, die unterdessen so groß war wie er und lauschte ihrem Beratungsgespräch. Wieder fiel ihm der warme Rotton ihrer Haare auf und das Glitzern in den wunderschönen grünen Augen. Aus dem Mädchen, das er vor zwei Jahren hier zum ersten Mal traf, war eine wunderschöne junge Frau geworden. Eigentlich passte sie hervorragend in sein Beuteschema, aber da gab es ja noch das Batgirl, welches sein Herz erobert hatte und das Wissen darum, dass er morgen Amerika verließ. Und nur für eine Nacht? Er dachte tatsächlich darüber nach, verwarf den Gedanken aber schnell wieder. Nein, das wollte er Barbara nicht antun, außerdem war ihm ihre Freundschaft zu ihm viel zu wichtig. Er würde diese Freundschaft nicht wegen einer Nacht aufs Spiel setzen. Geduldig wartete er ab, bis der Leser, ein Student älteren Semesters, zufrieden mit einem Stapel Bücher Richtung Verbuchungstheke abzog, ehe er sich Barbara Gordon näherte. „Hey!“, grüßte er. „Hallo Dick.“ Langsam, mit einem Strahlen auf den sanften Gesichtszügen wandte sie sich ihm zu. „Wie immer zu spät?“ „Dieses mal nicht“, lachte er auf und folgte ihr zu der Theke. Dort angekommen zog sie seine Klappkarte aus einem der Katalogkästen und entnahm dieser die Karte mit den bibliographischen Angaben. Nachdem er das Buch aus seinem Rucksack geholt hatte, schlug sie es auf der letzten Seite auf und steckte die kleine Karte in die vorgesehen Lasche. „Wie weit seit ihr mit der Umstellung?“ Seit etwa zwei Monaten standen auf der Verbuchungstheke zwei Rechner. Die Universitätsbibliothek stellte endlich auf die elektronische Verbuchung um. „Nicht so weit, wie sie schon sein wollten.“ Sie zuckte mit den Schultern und sortierte Richards Karte in einem anderen Katalogkasten wieder ein. „Ich geh dann, Miss Fitzwater.“ Die ältere, sehr strenge Dame, die sie die ganze Zeit über beobachtet hatte, erinnerte Barbara: „Freitag, 15:00 Uhr!“ „Ich werde pünktlich sein, wie immer.“ Sie grinste Dick an. „Wartest du kurz, ich hol meine Sachen.“ „Mach ich.“ Es dauerte keine fünf Minuten, die er sich mit dem Blättern in einer bunten Zeitschrift vertrieb, bis Barbara wieder auftauchte. Über der blauen Bluse trug sie nun eine schwarze, auf Taille geschnittene Lederjacke, die ihr ausgezeichnet stand. „Erwartet dein Dad dich zu einer bestimmten Uhrzeit zurück?“ Dick ging vor, zog die Tür auf und hielt sie für Barbara auf. „Spätestens 23:00 Uhr soll ich wieder zu Hause sein.“ „Sollten wir schaffen.“ Er würde sich an die Zeit halten. Es schien ihm von Vorteil zu sein, es sich nicht mit Commissioner Gordon zu verscherzen. „Wohin entführst du mich eigentlich?“, wollte die Frau, die an seiner Seite lief wissen. Eben zog sie einen Haargummi aus der Hosentasche der engen Jeans und flocht sich geschickt einen Zopf. „Lass dich überraschen.“ Er hatte ihr nicht gesagt, was er plante, hatte nur erwähnt, dass er sie nach Dienstende mit dem Motorrad abholen würde und sie irgendwo essen gehen würden. Er spürte, wie es ihm in den Fingern zuckte. Beinah hätte er nach ihrer Hand gegriffen, da aber tief in ihm eine leise, kleine Stimme wisperte: tu ihr nicht weh, ließ er es bleiben. Mit einem Schnellgurt hatte er, noch in der Garage, den Zweithelm auf dem Notsitz befestigt. So sehr er sein Bike liebte, so unpraktisch war es, wenn er etwas transportieren wollte. Er löste den Spanngurt und reichte dem Mädchen, welches ihm in den letzten zwei Jahren echt ans Herz gewachsen war, den Helm. „Vielleicht ein wenig zu groß, aber für heute Abend ausreichend.“ Hilfreich nahm er ihr die Brille ab, damit die den Helm aufsetzen Konnte. Verdammt war die Kleine niedlich. Wieso war ihm dies nur nie früher aufgefallen? Nun war es zu spät, wie so oft im Leben. „Gib mir deinen Rucksack!“, bot sie an, nachdem sie die Brille wieder aufgesetzt hatte und Dick nahm das Angebot an. „Halt dich gut fest“, erinnerte er, nachdem er auf seiner Kawasaki saß und Barbara hinter ihm Platz genommen hatte. Purer Eigennutz, nichts anderes und schon spürte er, wie sich ihre Finger fest an seine Hüfte legten. „Alles klar? Kann es losgehen?“ Vorsichtig rutschte Barbara näher zu ihm. „Ja.“ Er gab Gas, dann verließ er, mit einem, wie er zugeben musste, sehr interessantem Extragepäck, das Universitätsgelände. Barbara schien ein Naturtalent zu sein, was das Gefühl für ein Motorrad betraf. Er bemerkte ihr Extragewicht nicht wirklich. Alles, was er von ihr wahrnahm, war ihre Nähe und der Griff an seiner Taille, wenn er an einer Ampel stoppte und danach etwas zu heftig am Gashahn drehte. Beinah glaubte er, ihre Körperwärme durch das Leder seiner Jacke zu spüren, aber da betrogen ihn sicher seine Hormone. Noch ewig hätte er, mit Barbara auf dem Sozius, durch die Gegend fahren können und für einen Augenblick dachte er tatsächlich darüber nach, auf die Schnellstraße zu fahren, um Gotham City zu verlassen. Den Weg zu dem Badesee, in dem kleinen Wald vor den Toren Gothams, kannte er wie seine eigene Hosentasche. Auf dem Weg dahin würden sie genügend Truckstops finden, um sich mit etwas zu Essen und zu Trinken einzudecken. Wieso war er nicht schon früher auf diese Idee gekommen? Ein Picknick im Grünen, im Mondschein an einem See, was gab es romantischeres? Weil das hier kein Date ist, erinnerte er sich. Keine zwanzig Minuten später erreichten sie das 'San Sebastian', das standesgemäß einen Parkservice anbot. Hinter einem lackschwarzen Porsche hielt Dick an, spürte sofort die neugierigen, fragenden Blicke der beiden jungen Männer, die darauf warteten, die Wagen wegzufahren. „Ich bin nicht passend angezogen“, vernahm er hinter sich Barbara, die ihr Visier geöffnet hatte und nach seinem Okay abstieg. „Ich auch nicht“, lachte er, wobei er an seine Biker-Boots, die Jeans und das einfache Sweatshirt dachte, das er trug. „Sie werden uns schon nicht abweisen.“ Er klappte den Seitenständer runter, nahm den Helm ab, legte ihn vor sich auf den Tank und wartete ab. Niemand kümmerte sich um sie. Die beiden Männer, mit den schwarzen Anzügen, starrten einfach nur stumm vor sich hin. „Was denn, hat keiner von euch einen Motorrad-Führerschein?“ Wie zwei aus dem Schlaf gerissene Eulen, blickten die beiden nun zu ihnen. Ansonsten tat sich nichts. Dick zuckte mit den Schultern. Wenn er jetzt mit Bruce mit einem Motorrad aufgetaucht wäre, würden sie sich nur so um sie reißen, aber so. „Okay, Jungs, wo kann ich parken?“, wollte Dick nun doch ein wenig ungehalten wissen. So vollkommen ignoriert zu werden, war nicht sein Ding, bevor er jedoch den Schnösel raushängen lassen konnte, öffnete sich die Tür zum Restaurant und Thomas Sebastian, der Sohn des Inhabers des Restaurants trat an die frische Luft. Anscheinend wollte dieser nach dem Rechten schauen. Mit verkniffenem Gesicht, sah er zu Dick. Es schien einen Moment zu dauern, doch dann erkannte er, wer auf der Kawasaki saß und ein Lächeln erhellte die Gesichtszüge des beinah Vierzigjährigen. „Mister Grayson-Wayne!“ Der schon leicht graumelierte Mann kam auf ihn zu, reichte ihm die Hand und wandte sich dann an einen der Parkboys. „Ramirez!“ Mehr war nicht nötig. Der angesprochene Latino, nun aus seiner Starre erwacht, kam auf sie zu. Er schien den Rüffel, der ihn darauf hinwies, das jeder Gast, ob nun zu Fuß, auf einem Motorrad oder einem Fahrrad, in der gleichen freundlichen Art und Weise zuvorkommend behandelt werden musste. „Schön vorsichtig!“ Grinsend reichte Richard Ramirez den Schlüssel, nachdem er abgestiegen war. Seine Aufmerksamkeit galt nun alleine wieder Barbara, die auf den Gehsteig stand und abwartete. Er nahm ihr den Rucksack ab, dann betraten sie, die Helme in der Hand, das Nobel-Restaurant. Freundlich wurden sie begrüßt und zu ihrem Tisch, der sich beinah am anderen Ende befand, begleitet. Sie fanden ihren Platz ruhig abgelegen in einer kleinen Nische. Genau richtig um sich ungestört unterhalten zu können, zu flirten oder der Angebeteten einen Antrag zu machen. Zum Service dieser Tische gehörte ein eigener Kellner. Ihrer stellte sich als Julio vor. Julio sah man den Spanier schon von weiten an - kohlrabenschwarze Haare, ein fein geschnittenes Gesicht, ein freundliches Lächeln auf den sanft geschwungenen Lippen. Er schob Barbara den Stuhl zurecht, danach entzündete er die beiden schlanken, roten Kerzen, die in silbernen Kerzenhaltern steckten und reichte ihnen danach die schon aufgeschlagenen Menü-Karten. „Verrätst du mir den Anlass?“ Nickend bedanke Barbara sich bei ihrem Kellner. Ohne große Umschweife kam Dick direkt zur Sache. Es brachte nicht, wenn er drumherum reden würde. „Ich möchte mich angemessen von dir verabschieden.“ „Verabschieden?“, wiederholte die schlanke Rothaarige seine letzten Worte und blickte irritiert von der Karte auf. „Was hast du vor?“ Dick zuckte mit den Schultern. „Morgen um die Zeit sitze ich im Flugzeug. Ich werde ein Auslandssemester in Bangkok an der Dhurakij-Pundit-Universität wahrnehmen.“ Das flackernde Licht der Kerzen zauberte schimmernde Reflexe auf ihr Haar, ließen es golden und bordeaux glitzern. Wieso er ihr gerade nicht die Wahrheit, dass er einfach nur weg wollte, mitteilte, war ihm nicht ganz klar, aber er ahnte, dass sie versuchen würde ihn aufzuhalten, ihn umzustimmen. Sie wusste von seinen Zwistigkeiten mit Bruce. Ihr hatte er sich anvertraut. Sie war nicht nur eine gute Freundin und Zuhörerin, nein, sie verstand es wie kein andere, ihn aufzumuntern. Sie hatte ihm immer mit Rat und Tat zur Seite gestanden, wenn er und Bruce mal wieder in einem Streit auseinander gegangen waren und die Fronten als verhärtet galten. „Vor zwei Wochen kam die überraschende Zusage. Deswegen ging jetzt alles so schnell“, versuchte er zu erklären. „Ich war mir nicht sicher, ob es überhaupt gelingt dort angenommen zu werden, darum hab ich dir gegenüber nichts erwähnt.“ „Freut mich für dich“, lächelte sie, wenn auch ein wenig gequält. „Wie hat Bruce darauf reagiert?“ Und wie so oft, stellte sie ihre eigenen Interessen hinten an und ging auf ihn ein. „Wie schon? Schweigend, nickend, brummelnd. Später hat er mir einen guten Flug gewünscht. Das wars eigentlich schon.“ Okay, ganz so war es nicht abgelaufen, aber doch ähnlich und nicht weit davon entfernt. In Wirklichkeit hatte Bruce ihn ohne viele Worte und zwischen den Zeilen,dem Haus verwiesen. Frei nach dem Motto, ich kam vor dir alleine zurecht und werde es auch nach dir wieder schaffen. Batman benötigt keinen Partner und Bruce Wayne eigentlich keinen Sohn. Wenn Bruce dies wirklich so sah, dann war dem Milliardär nicht zu helfen. Natürlich hatte es Dick verletzt, nach all den Jahren die sie Seite an Seite gegen die Unterwelt Gothams antraten, sozusagen entlassen zu werden. Gemeinsam waren sie durchs Feuer gegangen, als Partner, als Freunde, ja beinah sogar wie Vater und Sohn. Wenn er diese Jahre nun wie ein altes Paar Socken wegwerfen wollte, dann sollte er dies tun. Dick würde darüber hinwegkommen, auch wenn es ihn schmerzte. Sein Leben als Robin, als Partner von Batman würde der Vergangenheit angehören und einfach nur ein Abschnitt seines Lebens sein, der nun beendet war. Ab morgen würde er ganz alleine auf sich gestellt sein. Über den Tisch hinweg griff er nach ihrer Hand und lächelte entschuldigend: „Tut mir leid, dass ich dich nicht eher in meine Pläne einweihte.“ „Du bist nicht aus der Welt...“ Sacht, aber bestimmt, entzog sie ihm ihre Finger. „ ... nur in einem anderem Land und Internet gibt es unterdessen überall.“ Er hatte sie verletzt, spürte es sehr deutlich und sah es auch daran, dass sie sich hinter dem Menü verschanzte. Er ließ sie erst mal alleine mit ihren Gedanken, gab ihr Zeit, seine Mitteilung zu verdauen und die Ruhe die sie benötigte, um sich wieder fassen zu können. Mehr zum Schein, als aus Interesse blätterte er durch die Karte. In den letzten Jahren war er so oft mit Bruce hier essen gewesen, dass er die Gerichte, die es im 'San Sebastian' gab mit ihren Preisen auswendig aufsagen könnte. Er würde die Pasta mit den Trüffeln nehmen, wie so oft, dazu ein Wasser. „Hast du was gefunden?“, zerbrach er nach einer Weile, dass für ihn unangenehme Schweigen. Nickend legte sie die Karte zur Seite und sah ihn an, nachdenklich, mit einer winzigen, kaum zu erkennenden, Falte auf der Stirn, die darauf hinwies dass sie noch immer verstimmt war. „Du wirst mir fehlen.“ Es kostete ihn einiges an Überwindung, diese vier einfachen Worte auszusprechen, aber sie entsprachen seinen Gefühlen, also wieso sollte er sie Barbara vorenthalten? Ein wunderschönes, warmes Lächeln legte sich auf die sanften Züge. Die melancholische Stimmung, die zwischen ihnen herrschte, schien wie weggeblasen. „Du mir auch!“ Errötete sie gerade tatsächlich? Dick war sich nicht sicher, da der Rotton auf ihren Wangen auch von den Kerzen auf dem Tisch herrühren konnte. „Ich schreibe dir so oft wie möglich“, versprach er. „Deine Adresse hab ich ja, auch deine E-Mail-Adresse. Abends können wir chatten, wenn du magst und Telefone gibt es nun wirklich überall auf der Welt.“ Ja, sie würde ihm wirklich fehlen, als Freundin, als Vertraute, als die Person, bei der er sich sogar vorstellen konnte, sie irgendwann in sein Geheimnis einzuweihen. Bevor sie jedoch weiter über die Pflege ihres zukünftigen Kontaktes reden konnten, trat Julio an ihren Tisch und nahm ihre Bestellung entgegen. Es verwunderte Dick nicht wirklich, als sich auch Barbara für die Pasta mit den Trüffeln entschied. Sie lagen eben doch auf einer Wellenlänge. Leise unterhielten sie sich über all die Dinge, die ihnen gerade durch den Kopf schwirrten, was sie planten, wie ihr Leben in den nächsten Monaten aussehen könnte, wobei Dick hier und da flunkerte. Viel zu schnell verrann die Zeit und plötzlich war es schon 22:30 Uhr. „Ich glaube, wir müssen los“, unterbrach er ihr Gespräch, welches sich eben um den neuste Kinofilm drehte und die Tatsache, dass er ihn wohl auf Thai sehen musste. Am liebsten hätte er die Zeit zurückgedreht oder diese einfach angehalten, damit dieser Abend niemals endete, denn es war gefühlt der schönste, den er seit langer Zeit hatte verbringen dürfen und wieder fragte er sich, wieso er Barbara in den letzten zwei Jahre nicht ein einziges mal auf ein Date eingeladen hatte. Er hatte sich lieber in seinem Studienumfeld umgeschaut. Es hatte sich nie etwas ernstes ergeben, hier und da mal eine Romanze, ein schöner Abend, eine heiße Nacht, aber nie mehr. Seine längste Beziehung, wenn man es denn so nennen konnte, hielt gerade mal einen Monat. Es war eben nichts fürs Herz dabei gewesen. Außerdem gab es da ja seit einem halben Jahr ein geheimnisvolles Batgirl, welches ihn schier um den Verstand zu bringen drohte. Unerwartete hatten Batman und er tatkräftige Unterstützung erhalten und als er sich der Tatsache bewusst wurde, dass es ein Mädchen gab, das wie er bei Nacht auf die Jagd ging, um die Stadt sicherer zu machen, schaffte sie es, ihn zu erobern. Außerdem sah sie wirklich heiß in ihrem Dress aus. Welcher Mann würde dem schon widerstehen können? Er jedenfalls nicht. Ohne mit der Wimper zu zucken, beglich Dick den Betrag und legte noch ein ordentliches Trinkgeld für Julio drauf. Er dachte nicht darüber nach, ob er demnächst genug Geld zum Leben besitzen würde oder nicht. Im Augenblick hatte er noch genug. Für eine Weile würde er sich damit ohne große Nöte durch Südostasien schlagen können. Zum Glück war er vor über zwei Jahren so schlau gewesen, ein eigens Konto zu eröffnen. Auf dieses Geld würde Bruce nicht so einfach zugreifen können, selbst wenn es einst von dessen Konto überwiesen wurden war. Dick vertrieb die trüben Gedanken. Über seine finanzielle Situation konnte er später grübeln. Schweigend, sich bewusst, dass ihre letzten gemeinsamen Minuten angebrochen waren, verließen sie Seite an Seite das Restaurant. Ramirez, sich der Tatsache bewusst, dass Dick nicht irgendjemand war, sondern der Sohn des reichsten Manns der Stadt, eilte sich, fuhr die rote Kawasaki vor und reichte Dick den Schlüssel. Bis zu der Wohnung von Commissioner Gordon war es nicht weit, dennoch genoss der junge Mann die kurze Fahrt und vor allen Dingen die Nähe zu Barbara. Sie schmiegte sich enger an ihn als vorhin. Beinah schien es, als wollte sie ihn nie wieder loslassen und ihm gefiel es. Wieso nur, hatte er nie bemerkt, dass die Frau, die hinter ihm saß, eigentlich total seinem Geschmack entsprach? Eine einfache Frage, die er nicht beantworten konnte. Vor dem Haus, in dem Barbara mit ihrem Adoptivvater, noch eine Gemeinsamkeit die sie verband, wohnte, parkte er und schaute die Fassade hinauf. Der Commissioner schien vor dem Fernseher zu sitzen und seinen Feierabend zu genießen oder er wartete angespannt auf Barbara. „Jetzt heißt es wohl Abschied zu nehmen“, stellte Dick leise, mit einem leichten unangenehmen Ziehen im Magen fest, dann erst öffnete er das Visier. Nach Barbara stieg auch er ab, zog den Helm von Kopf, legte ihn auf den Tank und blieb unschlüssig, was er tun sollte, stehen. „Zeit auf Wiedersehen zu sagen.“ „Meldest du dich, wenn du angekommen bist?“ Sie reichte ihm den Helm, den Rucksack und fuhr sich mit den Fingern durch das lange Haar. „Sofort“, versprach er und suchte ihren Blick. „Ich wünsch dir ein schönes Semester und ganz viele tolle Erlebnisse. Wenn du wieder da bist, möchte ich ganz viele Photos sehen.“ Ihr Lächeln wirkte ehrlich, aufmunternd, aber der Situation angepasst traurig. „Hiermit lade ich dich schon jetzt zu einem Video- und Bilderabend ein. Datum, Uhrzeit und Ort muss ich dir leider später mitteilen.“ Und wieder verspürte er den Drang nach ihren Händen zu greifen. „Und ich sage hiermit zu.“ Sie nickte. „Pass auf dich auf, im fernen Thailand!“ „Mach ich.“ Wieso fiel ihm der Abschied so verdammt schwer? „Ich muss los“, murmelte sie, wand ihm den Rücken zu und ging langsam auf die Treppe zu, die zur Eingangstür, des dreistöckigen Hauses, hinaufführte. Er sah ihr nach, würde erst losfahren, wenn sie in dem Hausflur verschwunden war. Sie zog die Schlüssel aus der Jackentasche und verharrte. „Dick?!“ „Ja?“ Er kam gar nicht dazu zu reagieren, denn Barbara wirbelte herum, eilte die Stufen hinab und warf sich in seine Arme. Im Reflex zog er sie an sich, barg das Gesicht in dem angenehm nach Kokosnuss duftenden Haar und atmete ganz tief ein. „Du fehlst mir jetzt schon.“ Heiß und kalt lief es ihm den Rücken hinab. Vorsichtig schob er sie ein kleines Stück von sich fort. „Ich weiß...“ Er versenkte die Finger in ihrem Haar, zwang sie ihn anzusehen und strich mit den Daumen über ihre Wangen, fühlte den feuchten Bahnen darauf nach. „Ich komme zurück, versprochen.“ Dick konnte sich nicht erinnern, wann und ob er sich jemals so zerrissen gefühlt hatte. Es fehlte nicht viel und er hätte seine Pläne einfach über den Haufen geworfen. Hier bleiben und die Zeit mit Barbara verbringen wirkte verlockend auf ihn. Er konnte sich eine kleine Wohnung in der Stadt suchen und einen Job. Auch auf diese Weise würde er Bruce in der nächsten Zeit aus dem Weg gehen können. Nein, dies war definitiv keine Option für ihn. Er musste so weit weg wie möglich und erst mal zu sich selbst finden. Er wollte erfahren, was er eigentlich wirklich mit seinem Leben anfangen wollte, wer er sein wollte, ob Bruce Sohn und Partner oder der Sohn seiner Eltern und eigenständig. Wie von selbst näherte er sich Barbara wieder, hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn und lächelte sie an. „Ich bin schneller zurück, als du denkst.“ „Versprochen?“ „Versprochen.“ Zärtlich strich er ihr einige widerspenstige Haarsträhnen aus der Stirn und hinters Ohr, als er aus den Augenwinkeln eine Bewegung hinter dem Fenster im zweiten Stock wahrnahm. „Dein Dad wartet.“ Sie nickte und löste sich nur widerwillig von ihm. Die Hände an seiner Taille, verweilte sie einen Augenblick und sah ihm fest in die blauen Augen. Blind tastete Richard hinter sich nach seinem zweiten Helm und reichte ihn ihr. „Behalt ihn. Du wirst ihn brauchen, wenn ich wieder da bin.“ „Danke.“ Sie gab sich einen Ruck und verschwand eilig im Haus, ohne sich noch einmal umzuschauen. Tief durchatmend blieb der Dunkelhaarige noch eine Weile neben seinem Bike stehen, ehe er den Rucksack aufsetzte. Auf Wiedersehen Nummer eins hatte er hinter sich gebracht. Der Abschied von Barbara schmerzte ihn mehr, als er gedacht hätte. Anscheinend hatte sie sich doch tiefer in sein Herz geschlichen, als erwartet. Es nützte alles nichts, es gab kein Zurück mehr. Er schwang sich auf seine Z und fuhr noch immer über Barbara und sich grübelnd zurück nach Wayne Manor, das er kurz nach Mitternacht erreichte. Dort angekommen schob er seine Kawasaki in der riesigen Garage ganz weit nach hinten, damit sie in den nächsten Monaten nicht im Weg rumstand. Er griff nach einer der Abdeckplanen und zog sie darüber. „Master Richard!“ Wie machte Alfred das nur, immer dort aufzutauchen, wo er sich gerade befand? „Ich bin hier, Alfred“, antwortete er und trat aus dem Schatten des Jeeps, der neben ihm stand. „Hatten sie einen schönen Abend?“ „Einer sehr schönen Abend, Alfred.“ Vor dem langsam ergrauenden Mann blieb er stehen. „Das freut mich für sie. Benötigen sie noch etwas?“ „Nein, danke, Alfred.“ Ja, den älteren Herrn, die gute Seele des Hauses würde er vermissen. Alfred Pennyworth, immer die Aufmerksamkeit in Person und immer da, wenn man ihn brauchte. Ab und zu hatte Dick sich tatsächlich gefragt, ob Alfred im Stande war, seine Gedanken zu lesen, so oft wie der Butler genau das richtige tat, um ihn aufzumuntern. Und auch jetzt bewies Alfred, wie gut er in Dicks Gesicht lesen konnte. „Auch keine heiße Schokolade mit Marshmallows?“ Leise lachte Dick auf und schüttelte den Kopf. Wirkte er wirklich so genickt? Wie oft hatte der Butler ihn mit seiner selbstgemachten heißen Schokolade verwöhnt? Als er noch ein Kind war beinah täglich, immer dann, wenn er sich nach seinen Eltern sehnte, wenn er sich vor Trauer in sein Zimmer verzog und niemanden sehen wollte und später, wenn er nach einem harten Training, dass Gefühl nicht los wurde, das es für Bruce Anforderungen nicht ausreichte. Alfred lächelte ihn immer an, erklärte: Besser als jede Medizin und gut für die Seele und Dick nahm die Schokolade jedes mal dankbar an. „Wie hat Miss Gordon ihren Abschied aufgenommen?“ „Gefasst, Alfred.“ Mit den Schultern zuckend wand Dick sich ab. „Ich dreh noch eine Runde.“ Er eilte nach oben in sein Zimmer, stellte den Rucksack ab, ließ den Helm neben dem Schrank auf dem Boden stehen und ging hinab in die Höhle, die er verlassen vorfand. Kein Bruce, kein Batman, kein Batmobil. Nachdenklich blieb er vor seinem Robin-Kostüm stehen, ließ die Finger über den Stoff gleiten und atmete tief durch. Er nahm nicht nur Abschied von Freunden, sondern auch von Dingen, die ihm in den letzten Jahren ans Herz gewachsen waren, wie Wayne Manor, die Höhle, die Jagd nach Verbrechern, sein Dasein als Robin und eben sein Kostüm. Er würde all dies hinter sich lassen müssen. Er ließ sich Zeit beim Umziehen. Sein letzter Auftritt, dass letzte Mal als Robin im nächtlichen Gotham unterwegs. Morgen früh gehörte Batmans junger Partner der Vergangenheit an. Es würde keinen Robin mehr geben. Er würde einfach von der Bildfläche verschwinden, beinah so, als hätte es ihn nie gegeben. Einzig in der Erinnerungen der geretteten Menschen und der Verbrecher, die er hinter Gittern brachte, würde er weiterhin existieren und auf einigen unscharfen Photos, die im Laufe der Jahre von ihm gemacht worden waren. Einsam und verlassen stand sein rotschwarzes Robin-Motorrad in der Höhle. Auch das würde er nie wieder fahren. Die Gedanken an sein Dasein als Robin konnte er abschütteln, aber nicht die wirbelnden Gedanken, die sich noch immer um Barbara drehten. Die letzte Umarmung begleitete ihn, als er auf seinem Bike die Höhle verließ und in der Dunkelheit der Nacht verschwand. Ohne wirkliches Ziel fuhr er durch die Gegend und hoffte unterwegs nicht auf Batman zu treffen. Er ließ die bekannte Silhouette der Stadt auf sich wirken, die Farben der Reklametafeln und die Gerüche der Gassen und die Düfte, die aus den verschiedensten noch geöffneten Dinern zu ihm zogen. Er konnte es nicht leugnen, er liebte diese Stadt, war sie ihm doch zu einer Heimat geworden. In einer der engen Gasse stellte er sein Bike ab. Ungesehen erreichte er seinen Lieblingsplatz und bezog dort Stellung. Die Gefühle die ihn durchtobten, würde er nicht in Worte fassen können, falls ihn jemand danach fragen sollte. Trauer, weil er wegging, paarte sich mit Reisefieber und der Freude auf das Kommende. Tief in seine Grübeleien versunken, bemerkte er die schlanke Gestalt nicht, die sich ihm näherte. Erst als sie ihn ansprach: „Ganz alleine heute?“, fuhr er erschrocken herum, ärgerlich darüber, dass sie ihn überraschen konnte. Normalerweise schaffte es niemand, sich von hinten an ihn heranzuschleichen, aber heute schien alles sonderbar. Diese Nacht fühlte sich anders an, als all die Nächte davor, irgendwie fremd, einsam, verloren, aber irgendwie auch verheißungsvoll. Sein Herz schien ein paar Schläge zu überspringen, geriet einfach ins Stolpern. Plötzlich fühlte er sich als wäre er wieder sechzehn Jahre alt, mit feuchten Händen, Schmetterlingen im Bauch und feuchten Händen. Kein Wunder, denn nur ein paar Schritt von ihm entfernt, stand die Frau seiner Träume „Nicht mehr“, antwortete er und war sich durchaus bewusst darüber, dass sein Grinsen viel mehr über ihr verriet, als er beabsichtigte. „Du bist da, ich bin da, sind wir schon zu zweit.“ „Batman?“ Ohne ein Geräusch zu verursachen, trat sie näher. „Irgendwo unterwegs.“ Verträumt betrachtete er Batgirl, die seit beinah sechs Monaten an ihrer Seite kämpfte. „Wollen wir zusammen losziehen?“ Er stellte die Frage nicht ganz ohne Hintergedanken. „Nimmst du mich mit? Mir steht leider kein so großer Fuhrpark, wie eurer, zu Verfügung. Ich kann mir kein Batmobil leisten.“ „Ich mir auch nicht“, lachte Robin. „Reicht nur für ein Motorrad, aber auf dem dürften wir beide Platz finden.“ Innerlich einen Flickflack nach dem anderen schlagend, nickte Dick ihr zu und verließ das Dach auf dem kürzesten Weg. Batgirl folgte ihm, leise, gewandt und genauso sicher in ihren Bewegungen, wie er. Gentleman, wie er war, reichte er ihr seinen rotgrünen Helm. Musste er halt ohne fahren. Still triumphierend nahm er Platz. „Bitte aufzusteigen!“ Über den Seitenspiegel beobachtete er seine Angebetete. Batgirl schien nicht zum ersten mal auf einem Motorrad mitzufahren. Und so kam es, dass Dick innerhalb von ein paar Stunden, wieder eine Sozia mitnahm. Aber im Gegenteil zu Barbara, suchte Batgirl keinen Halt bei ihm. Schade, zu seinem Leidwesen musste er auf ihre Nähe verzichten. „Wo wollen wir hin?“ Der Fahrtwind riss ihm die Worte regelrecht vor den Lippen weg, dennoch schien sie ihn verstanden zu haben. „Ins Eastend?“, rief sie gegen die Fahrtgeräusche an. „In Ordnung.“ Robin drehte am Gasgriff, fuhr schneller, als die vorgeschriebene Richtgeschwindigkeit und und genoss diese Nacht, seine letzte Nacht als Robin und was ihm den Abschiedsschmerz versüßte, war die Tatsache, dass er mit Batgirl alleine sein konnte. Kein Batman in der Nähe, was wollte er mehr? Schon von Weitem erkannten sie das Blaulicht, das in der Finsternis der Nacht hell erstrahlte und vernahmen die Sirenen. Als sie den Tatort erreichten, bemerkten sie, dass sie zu spät kamen. Batman war ihnen zuvor gekommen. Einige Polizisten führten Männer, dem Anschein nach Angehörige der vietnamesischen Hanoi Tens, ab und andere verhörten Latinos, die zum Drogenkartell Rio Colorado gehörten. Zwischen zwei schwarzen Nobelkarossen lagen zwei silberne, geöffnete Koffer, einer Randvoll mit gebündelten Geldscheinen, der andere voller Kokain. Dieser Drogendeal war mit Sicherheit von Batman, der den Ort der Übergabe schon verlassen hatte, vereitelt worden. „Zu spät“, kommentierte Batgirl, die näher an ihn gerückt war, um ihm über die Schulter blicken zu können. Mit keiner Silbe erwähnte sie die Tatsache das Batman und er getrennt unterwegs waren. „Er scheint alles ganz gut alleine im Griff zu haben“, kommentierte Dick, mit einer gewissen Spur Bitterkeit in der Stimme. Noch vor drei Wochen hätten sie gemeinsam diesen Deal vereitelt und Robin war sich sicher, dass Batman nicht durch Zufall während der Übergabe anwesend gewesen war. Der Dunkle Ritter hatte ihn schon die letzten vierzehn Tage nicht mehr in seine Recherchen miteinbezogen, was Robin stoisch hingenommen hatte. „Irgendwo finden wir etwas zu tun und wenn es nur ein Taschendieb ist, der eine Oma beklaut“, versuchte Batgirl ihn aufzumuntern. Eine Gänsehaut rann ihm über den Rücken, als sie ihm eine Hand zwischen die Schulterblätter legte und mit fühlbaren Druck dort liege ließ. „Ihr geht euch aus dem Weg?“ Sein Nicken war ihr Antwort genug. Sie fragte nicht nach und beließ es dabei. Einzig ihre Finger strichen über seien Rücken, bevor sie wieder verschwanden. „Lass uns nach Miller Harbour fahren. Schauen wir mal, was im Rotlichtviertel und im Hafen los ist.“ Ihm war es im Augenblick wirklich egal, wohin es sie verschlug. Zwei Stunden durchkämmten sie systematisch die berüchtigsten Viertel der Stadt, ohne einen Erfolg. „Nichts los“, grummelte Robin, der sich seinen letzten Einsatz ein wenig anders vorgestellt hatte. Es war zum Haare raufen. Das Beste war wohl, wenn sie einfach nach Hause fuhren. Sie kamen einfach ständig zu spät. Batman hatte seine Stadt im Griff. Ein Robin wurde tatsächlich nicht mehr benötigt. „Kann ich dich irgendwo absetzen?“ Mit jeder Minute die verging, sank seine Laune. Nicht mal eine anständige letzte Prügelei war ihm vergönnt gewesen, dabei stand ihm doch gerade jetzt der Sinn danach. „Ich muss dahin zurück, wo ich dich gefunden habe.“ Nickend gab er Gas und obwohl sein Wunsch, nur einmal mit Batgirl alleine zu sein, erfüllt worden war, fühlte er nur Wut und Enttäuschung in sich, keinen Triumph. Was nützte es ihm, mit ihr alleine zu sein, wenn so gar keine Anzeichen von Zuneigung von ihr kamen? Kurz nach 3:00 Uhr hielt er wieder in der engen Gasse. Das war es dann wohl wirklich gewesen? In einigen Minuten gehörte Robin zur Geschichte der Stadt. „Danke.“ Ein Lächeln kerbte die roten vollen Lippen, als sie ihm den Helm zurückgab. Auf ihn wirkte sie nicht enttäuscht. Sie schaute eher zufrieden aus, ganz im Gegensatz zu ihm. „Sehen wir uns morgen?“ Ein Schrei zerriss die Stille der Nacht und enthob Dick seiner Antwort. Er schwang sich von dem Bike und lief los. In den schmalen Gasse, zwischen den hohen Häusern, brach sich der Schrei und wurde als Echo zurückgeworfen. Es war nicht einfach zu ermitteln, in welcher Richtung die Frau, die noch immer schrie, sich befand. Nebeneinander rannten sie durch die Dunkelheit, übersprangen Pfützen und Unrat am Boden. Nur zwei Querstraßen entfernt entdeckten sie das Opfer und die Täter. Acht Männer, Rocker, dem Äußeren nach zu urteilen, bedrängten eine blonde noch junge Frau. Sie trug silberne Highheels, einen kurzen schwarzen Rock, eine beige Bluse, darüber einen schwarzen Blazer und die farblich passende Handtasche, alles edel und teuer. Entweder kam sie von einem Clubabend oder aber von einem geschäftlichen Termin. Die langen Haare zu einer aufwendigen Steckfrisur gebunden, wirkte sie wie eine Tochter aus reichem Hause. „Hey, ihr Möchtegern-Rocker!“ Hinter den Männern, die durchweg derbe schwarze Lederjacken trugen, baute er sich auf. An seiner Seite Batgirl, wie er zum Kampf bereit. „Lasst sie gehen!“ Wie in Zeitlupe drehte sich der Zwei-Meter-Mann, dem Anschein nach, der Rädelsführer der Bande, um. Langes, wohl eigentlich blondes Haar, hing ihm strähnig, wirr in das kantige, brutal wirkend Gesicht. Ein hochnäsiges Grinsen auf den Lippen, lachte er: „Sieh mal einer an, der junge Vogel und das flatternde Mädchen...“ Woher der etwa vierzig jährige Typ plötzlich das Springmesser hatte, konnte Robin nicht sagen. Wahrscheinlich war, dass der Mann das Messer schon in der Hand verborgen gehalten hatte. „Euer Boss ist nicht zufällig in der Nähe?“ Der Schläger ließ seinen Blick kurz schweifen, ehe er seine Aufmerksamkeit wieder auf Robin und Batgirl richtete. „Schade, dann macht es ja nur halb soviel Spaß.“ Die restlichen Typen des Schlägertrupps, die in Aussehen und Bewaffnung, ihrem Anführer in nichts nachstanden, bildeten vor ihnen einen Halbkreis. Dick erkannte diverse Messer, Totschläger, aber auch Eisenketten in den Händen der Angreifer. Durch ihre Bewaffnung ließ Robin sich aber nicht aus der Ruhe bringen, solange er keine Pistolen, Revolver oder Maschinengewehre entdeckte, war für ihn alles in Ordnung. Er stand gut im Training, beherrschte diverse Kampfsportarten, war wendig und flink und sich sicher, dass er diesen Kampf gewinnen konnte. Sein Blick wanderte zu der blonden Frau, die an der Hauswand hinabgerutscht war und sich mühsam aufrappelte. Sie zog ihre Handtasche zu sich, sammelte den herausgefallenen Inhalt, der sich auf dem Gehweg verteilte hatte, ein und starrte sie aus großen blauen Augen an. Soweit Robin sah, schien sie nicht verletzt zu sein. „Verschwinden sie!“, rief er ihr gerade noch so zu, denn dann musste er sich auch schon ducken, da der Riese seine Faust ballte und diese direkt auf die Reise in sein Gesicht schickte. Dick konnte nicht mehr auf die Frau achten, da die Meute mit einem gemeinsamen Kriegsgeheul über sie herfiel. Seite an Seite kämpfte er mit Batgirl. Zusammen wirkten sie, wie ein seit Jahren eingespieltes Team, als hätten sie nie etwas anderes getan. Gemeinsam schafften sie es der Rockerbande Herr zu werden. Robin interessierte es gerade gar nicht, ob er einem der Typen die Nase oder den Kiefer brach. Es ging ihm um seine Knochen und die von Batgirl, die wie er alles gab. Und mal ehrlich, es tat gut, all der aufgestauten Wut und seiner Enttäuschung freien Lauf zu lassen. Jeden Schlag den er ausführte, richtete er gedanklich gegen Batman, gegen Bruce, der ihn maßlos enttäuscht hatte. Nach und nach zogen die Angreifer von dannen, mehr oder weniger auf den eigenen Beinen stehend. Zum Schluss stand ihnen nur noch der Riese gegenüber. „Wir können es gerne auf die harte Tour zu ende bringen“, knurrte Robin außer Atem. Er wusste schon jetzt, dass ihn morgen der eine oder andere blaue Fleck im Spiegel anlachen würde. Schnaufend, seine Niederlage nicht akzeptierend, stürzte der Rockerboss sich auf Robin, der ruhig abwartend dastand, um im rechten Moment einen Schritt zur Seite zu machen. Wie ein wild gewordener Stier flog der Mann an ihm vorbei und da der Aufprall nicht folgte, geriet er ins Straucheln und schlug der Länge nach auf den Asphalt. Mit der Stirn schlug er hart auf der gegenüberliegenden Bordsteinkante auf. Robin war sich sicher, das der Typ Sterne sah, aber dies hielt ihn nicht auf. Der Schläger schüttelte sich kurz, knurrte wie ein Wolf und kam schwankend auf die Füße. Die Hände über dem Kopf ausgestreckt, schien er sich wieder auf Robin stürzen zu wollen, überlegte es sich dann jedoch anders. Mit dem Zeigefinger deutete er auf Dick und knurrte: „Dich krieg ich noch!“, danach funkelte er Batgirl an: „Und dich auch!“, ehe er die Beine in die Hand nahm und davon hetzte, als wäre eine Meute wilder Hunde hinter ihm her. Heftig jagte das Adrenalin durch Dicks Körper. Seine Atem flog dahin, ihm war heiß und er spürte, wie die Anspannung von ihm fiel, wie er innerlich ganz ruhig wurde und entspannt. Gerade fühlte er sich, als könnte er die Welt aus ihren Angeln heben. „Bei dir alles in Ordnung?“ Fragend schaute er sein Batgirl an. „Ein klein wenig durchgeschüttelt“, lachte sie. „Aber nicht verletzt.“ Jetzt oder nie. Mit dem Hochgefühl, welches der gewonnene Kampf in ihm hinterlassen hatte und der abflauenden Wut in seinem Bauch, trat Dick vor seine Kampfgefährtin. Er suchte ihren Blick und bemerkte zum ersten mal, dass Batgirl tatsächlich größer als er war, was allerdings auch an den Stiefeln, die sie trug, liegen konnte. Es war egal, es spielte keine Rolle. Dieser Moment bot ihm die Chance seines Lebens. Kurz nur rief eine Stimme in ihm nein, die andere, die stärkere, lautere Stimme bat ihn, es zu tun und er gab dem Drang nach. Fest, aber nicht grob, griff er nach Batgirls Taille und zog sie an sich, ehe er ihre warmen, weichen Lippen mit den seinen aufsuchte, dass er dafür ein wenig auf die Zehenspitzen gehen musste, störte ihn reichlich wenig. Alles, was er gerade wollte, war diese wundervolle Frau in seinen Armen zu halten und zu küssen. Wie gut sie roch, wie samtig sich ihre Lippen anfühlten und wie wundervoll ihr Körper an dem seinen. Diese unglaubliche Nähe sorgte dafür, dass ihm wohlige Schauer durch den Leib rollten und sich ein unglaubliches Kribbeln in seinem Magen und seinen Lenden ausbreitete. Erst noch steif in seinen Armen liegend, schmiegte Batgirl sich nur Sekunden später an ihn. Ihre Hände suchten an seinen Seiten vorbei, den Weg unter sein Cape und legten sich besitzergreifend auf seinen Hintern. Ein heiseres Keuchen entfleuchte ihm, während sie den Kuss erwiderte. Er konnte nicht mehr anders, vertiefte den Kuss verlangend und zog ihr Becken enger an seines. Es war ein unglaubliches Gefühl ihr so nah zu sein, sie zu schmecken und ihren Körper zu spüren. Gerade als er die Hände auf ihrem Rücken auf Wanderschaft gehen lassen wollte, entzog sie sich ihm und trat ein wenig zurück. Heftig atmend schaute sie ihn an, griff nach seinen Händen, die noch immer an ihrer Taille lagen und schob sie bestimmt weg. „Keine gute Idee, Robin“, murmelte sie sichtlich verwirrt. Die Augen für einen Moment schließend, ließ Robin die Arme hängen. Was hatte er erwartet, dass sie Freudensprünge vollführte und sich ihm hier in dieser Gasse hingab? Was wusste er schon von ihr? Nichts, rein gar nichts, weder wie alt sie war, noch wie sie hieß, ob sie Single war oder gar verheiratet? „Sorry!“ Er zuckte mit den Schultern. Zu mehr war er gerade nicht fähig. „Die Hitze des Gefechts.“ „Nichts für ungut, Robin, aber...“ Sie richtete ihr Cape, ließ ihn dabei aber nicht aus den Augen. „Vielleicht sollten wir uns erst mal besser kennenlernen und...“ „... ein Date haben?“, vollendete er und lächelte ein wenig schief. „So was in der Art, ja“, lachte sie und kam wieder näher. Eine Hand legte sie flach auf seine Brust, direkt über sein Robin-Symbol, dann streiften ihre Lippen seine Wange. „Wir sehen uns...“ Mit wehendem Cape lief sie davon und tauchte in der Dunkelheit der Gasse unter. Alles was von ihr zurückblieb war ein Hauch ihres Parfums, welches Dick seltsam vertraut vorkam. © by Grayson Juni 2016 14. --- Neujahr 2016, nun schon wieder elf Stunden alt. Gemeinsam saßen sie bei einem gemütlichen Brunch an dem großen Esstisch und ließen es sich schmecken. Lächelnd beobachtete Richard seinen Sohn und Lian, die neben ihren Tellern, also zwischen sich einen großen Zeichenblock liegen hatten und über ein gemeinsames Bild diskutierten, dass sie heute malen wollten. „Habt ihr Lust mir beim Streichen des Kinderzimmers zu helfen?“, erkundigte er sich bei den Kindern. Es gab noch so viel zu tun und so langsam hatte er das Gefühl, dass ihm die Zeit durch die Finger rann. Er musste endlich das Kinderzimmer für ihr Rosinchen vorbereiten. Eifrig nickend bekundete Johnny sein Einverständnis, bevor er von seinem Stuhl rutschte und zu seiner Mutter ging. Ohne Scheu legte er die Hände sanft auf Barbaras runden Bauch, beugte sich nach vorn, legt die Lippen auf den Stoff des weiten blauen Sweatshirts und sagte. „Hast du gehört, kleine Rosine, ich helfe Daddy dein Zimmer schön zu machen.“ Lachend und sichtlich stolz auf ihren Sohn, versenkte die werdende Mutter die Finger in seinem wirren Haarschopf. „Du wirst ein toller großer Bruder sein.“ Sie küsste seinen Scheitel und sah zu Lian, die ein wenig traurig zu Johnny und seiner Mutter schaute. Richard war sich sicher, dass sie an ihren Vater dachte, der sich heute noch nicht gemeldet hatte. „Okay, ihr beiden helft in der Küche...“ Richard trank seinen Kaffee aus, erhob sich und wuschelte Lian durchs Haar, ehe er Johnny an der Hüfte griff, den Jungen zu sich drehte und ihm in die blauen Augen schaute. „... und Jason freut sich, wenn ihr danach mit ihm rausgeht.“ Als der Golden Retriever seinen Namen vernahm, kroch er unter dem Tisch hervor. Neben seinem Herrchen setzte er sich hin und wedelte aufgeregt mit dem Schwanz. „Johnny dreht dann eine Runde mit dir.“ Nachdem dies geklärt war und die Kinder ohne zu murren zustimmten, brachte Richard sein Geschirr in die Küche. Barbara folgte ihm, blieb vor ihm stehen, lehnte sich gegen ihn und wisperte: „Ich benötige ganz dringend mal wieder einen Abend mit dir, ohne Kinder und Hund. Nur du und ich, ein schöner Film, lecker Essen und danach...“ Sie verstummte, sprach nicht aus, was ihr noch auf dem Herzen lag. Es war nicht nötig, ihr Mann verstand sie auch so. Er zog sie in seine Arme. „Wir werden Zeit für uns finden.“ Sie schmiegte sich an ihn, schlang die Arme um ihn und nickte. Es gab Tage an denen sie ihn vermisste, obwohl er neben ihr saß oder stand. So wenig Zeit für Zweisamkeit, immer wieder kam etwas dazwischen, wenn sie eine gemeinsamen Abend planten. Sie beschwerte sich nicht, nahm es hin. Was sollte sie tun? So war ihr Leben nun mal und der Spagat zwischen Superheldendasein und dem ganz normalen Familienleben gelang nicht immer. Zärtlich strich er ihr durchs Haar und suchte ihre Lippen für einen sanften, aber versprechenden Kuss auf. „Wenn Roy Lian abholt, werde ich den nächsten Abend freinehmen. Wir verkaufen Johnny und Jason an Jenny, dann gehöre ich ganz alleine dir, euch...“ Mit der rechten Hand strich er über ihren runden Bauch. „... und verwöhne euch...“ „Ich freu mich drauf.“ Sacht glitten ihre Finger über seinen Bauch, seine Seiten, hinauf zur Brust, legten sich dort nieder. „Und unser Rosinchen sich auch.“ Er fing ihre Hände ein, umschloss sie und lächelte. Schon jetzt freute er sich auf diesen Abend, davor jedoch musste noch so einiges erledigt werden. „Ich bin oben...“ Nickend löste die werdende Mutter sich von ihrem Mann, ließ ihn gehen und wandte ihre Aufmerksamkeit auf die Kinder, die den Tisch abräumten. Tief in seine eigenen Gedanken, die sich nicht nur um Barbara und ihre fehlende Nähe drehten, sondern auch um die Aufgabe, die vor ihm lag, betrat er ihr Schlafzimmer, den begehbaren Kleiderschrank und suchte nach einem alten T-Shirt, das er Lian anziehen konnte, damit Roys Tochter sich nicht ihre Kleidung mit der Wandfarbe verschmutzte. Irgendwo gab es ein Regalbrett mit aussortierten Kleidungsstücken, die Barbara entweder entsorgen oder an die Obdachlosenhilfe weitergeben wollte. Zwischen den Hosen, Pullovern und Kleidern, fand er auch einen Stapel T-Shirts von sich. Ein graues Shirt, mit dem Aufdruck einer bekannten Motorradmarke erregte seine Aufmerksamkeit. Schon vor Jahren, lange bevor sie heirateten, hatte er es Barbara nach einer heißen Nacht überlassen. Dass sie es bis heute aufbewahrte, ließ ihn glücklich lächeln. Er nahm es an sich, faltete den Stoff auseinander und entdeckte die kleinen Löcher, die im Laufe der Jahre bei dünner werdendem Stoff, anscheinend von ganz alleine, während der Wäsche auftauchten. Kurz entschlossen, sortierte er das Shirt wieder bei seinen ein, zu schade, um es wirklich wegzuwerfen, immerhin erzählte es einen Teil ihrer Liebe. Zum Schluss entschied er sich für ein einfaches schwarzes Shirt, welches er Lian geben würde. Mit dem Stoff bewaffnet, öffnete er die Tür zu dem, schon vor Jahren geplanten, zweiten Kinderzimmer, welches ihnen bisher als Bibliothek, Hobbyraum und Arbeitszimmer gedient hatte. Nun lag es leer vor ihm, weiß gestrichen, mit den dunklen Rändern, die darauf hinwiesen, wo einst die Bücherregale standen oder Bilder an den Wänden hingen. Zur Zeit befand sich das gesamte ehemalige Interieur auf dem Dachboden. Für Richard endlich mal ein Grund diesen auszubauen und Barbara eine neue gemütliche Bibliothek einzurichten. Jetzt aber, lag seine Priorität auf dem zweiten Kinderzimmer. Als sie im letzten Januar Johnnys Reich nach seinen Wünschen neu gestalteten, hätte er im Traum nicht damit gerechnet, dass er nur ein Jahr später, wieder ein Kinderzimmer renovieren würde. Lächelnd erinnerte er sich an Johnnys und seinen Ausflug in den Baumarkt, damit sein Sohn sich eine Farbe auswählen konnte. Wirklich verwundert hatte es ihn nicht, dass Johnny sich ein blaues Zimmer wünschte. Inwieweit er als Nightwing dafür verantwortlich war, konnte Richard nur raten, dennoch kamen er und Barbara den Wünschen ihres Sohnes nach. Auf dem blanken Estrich, da er den alten Teppich vor drei Wochen entfernte, standen die Farbeimer, daneben lagen die typischen Malerutensilien. Das Leitergerüst hatte er schon aufgebaut. Auf der Fensterbank stand ein altes Radio, welches er einschaltete. Mit Musik arbeitete es sich leichter. Schnell noch den Baustrahler angesteckt, damit er besser erkannte, was er tat, dann öffnete er den ersten Eimer. Gemeinsam, als Familie, hatten sie im Baumarkt ein warmes Dunkelorange mischen lassen, einen Farbton, der an einen traumhaften Sonnenauf- oder -untergang erinnerte. Die Wände kamen aber erst später dran, heute würde er sich um das Weißen der Decke kümmern und so füllte er die weiße Deckenfarbe in eine Farbwanne um und legte ein Abstreifgitter darüber. Sorgsam ließ er den Blick noch einmal durch den Raum gleiten. Steckdosen und Lichtschalter hatte er abgebaut, diverse Leisten und Türrahmen abgeklebt. Er sortierte die benötigten Malermaterialien auf das Arbeitsgerüst, stieg hinauf und arbeitete angestrengt eine Stunde ohne Unterbrechung vor sich hin. Nur noch vierunddreißig Tage, huschte es ihm durch den Kopf. Er würde sich ranhalten müssen, immerhin musste noch ein Boden verlegt und die Möbel aufgebaut werden. Ein Teil der neuen Möbel befand sich noch verpackt und nicht aufgebaut in der Garage. Mitte Januar würden die Gardinen und Übergardinen fertig genäht geliefert werden. Den Part, der die Dekoration betraf, überließ er nur zu gern seiner Frau. Er war handwerklich nicht unbegabt, hatte beim Bau ihres Hauses so viele Handgriffe wie möglich alleine erledigt, aber was die Gemütlichkeit anging, hatte Barbara das bessere Händchen. Für ihn musste es praktisch sein, komfortabel ja, aber der Blick für die kleinen Details, der fehlte ihm. „Dick!“ Eine Bierflasche in der Hand stand sein Batgirl in der Tür. Er legte die Farbrolle zur Seite, sprang von dem Gerüst und nahm Barbara mit einem: „Danke“, die gut gekühlte Flasche ab. Er kreiste die Schultern, lockerte die Muskeln, da selbst für ihn, das andauernde über Kopf arbeiten anstrengend war. Bevor er durstig trank, stahl er sich einen Kuss und folgte Barbaras Blick, die zur Decke schaute. Am liebsten hätte er die freie Hand auf ihren Bauch gelegt, da es sich aber nicht hatte vermeiden ließ, dass die weiße Farbe einen Weg auf seine Finger fand, verbot er es sich. Stattdessen erkundigte er sich: „Was machen die Kids?“ „Traurig ihre Legostadt abbauen, bevor sie dies aber taten, musste ich ihre Stadt aus allen möglichen Blickwinkeln fotografieren.“ Lachend zog sie ihr Smartphone aus der Hosentasche. „Ich soll Roy diese Bild schicken.“ Neugierig warf Richard einen Blick auf das Display. Fröhlich lachend saßen Johnny und Lian hinter ihrer Stadt und hielten Legofiguren in den Händen. „Was soll ich schreiben?“ „Das seine Tochter angehende Bürgermeisterin ist“, lachte der Dunkelhaarige. „Wie wärs mit gesundes neues Jahr?“ „Hab ich schon geschrieben.“ „Richte ihm einfach Grüße aus. Ich ruf ihn heute Abend an.“ Bevor Barbara ihren Text zu Ende tippte, schob sie sich ein paar Haarsträhnen hinter die Ohren, da sie sie beim Schreiben störten. Sie sendete die Nachricht ab, danach wechselte sie das Thema: „Hast du in der Uni wegen deiner Vaterzeit nachgefragt?“ Er trank noch etwas, dann nickte er: „Kein Problem. Sobald unser Rosinchen auf der Welt ist, nehme ich zwei Monate frei.“ „Die Namen Wayne und Gordon ebnen uns jeden Weg“, lachte sie sarkastisch. „Ich habe meinen Wunsch nur ansprechen müssen und er wurde ohne Diskussionen abgenickt.“ Nun konnte Richard doch nicht mehr anders. An der alten Jeans, wischte er sich die Hände ab, danach legte er eine Hand auf den Bauch seiner Frau und zog sie näher. „Wenn ich sehe, was die Frauen alles tun, nur um vor und nach der Geburt Hause bleiben zu können. Sie sammeln Überstunden und sparen sich ihren Urlaub. Wir sind ein so großes modernes Land und rühmen uns als Weltmacht, aber bei einem so wichtigen Thema sind wir Hinterwälder.“ Zärtlich streichelte Dick den Babybauch vor sich. „Wir können daran leider nichts ändern.“ „Menschen wie Bruce könnten es“, verteidigte sie ihren Standpunkt. „Deswegen gibt es bei Wayne Enterprises, wie in Europa, Mutterschutz, Mutterschaftsgeld und die Möglichkeit auf ein Babyjahr.“ Richard wusste, wie sehr dieses Thema seine Frau beschäftigte. Es lag nicht nur an ihren Namen, dass sie die Vorteile des Mutterschutzes genießen konnte, nein, es lag auch an ihren Jobs, denn in der Universität, wie auch in der Bibliothek fanden ähnliche Regelungen Anwendung. „Er muss damit an die Presse gehen und es in den Netzwerken posten, so wie Zuckerberg.“ „Da gibt es einen gravierenden Unterschied, Babs. Zuckerberg wurde Vater, Bruce nicht.“ Zumindest nicht in unserer Zeitlinie, vollendete er in Gedanken. „Leider...“ Sie löste sich von ihm und wechselte das Thema, anscheinend wollte sie nicht weiter darüber nachdenken. „Kann ich dir irgendwas helfen?“ Richard schüttelte den Kopf. „Nicht wirklich. Ich schaff das schon.“ „Gut, dann geh ich mal zu Jenny rüber. Sie hat vorhin angerufen. Irgendein Problem mit dem Rechner.“ „Grüß sie...“ Vor seiner Frau ging der werdende Vater in die Knie. Seitlich legte er beide Hände an den dicken, runden Bauch, ehe er diesen sanft küsste. „Pass gut auf deine Mommy auf!“ Verliebt blickte Barbara auf den dunklen Haarschopf hinab und ließ die Finger durch die Strähnen gleiten, ehe sie sich von ihrem Mann löste. „Ich lass dich dann mal weitermachen.“ Wenn das Kinderzimmer doch nur schon fertig wäre und ihre Rosine auf der Welt. Wieso verging die Zeit nur so unglaublich langsam, wenn man sehnsüchtig auf etwas wartete, aber raste dahin, wenn sie eigentlich stehen bleiben sollte? Es war schon komisch welche Streiche einem der Kopf und die eigene Wahrnehmung spielen konnten. Nein, nur nicht darüber nachdenken. Richard würde ins Grübeln kommen und mit Sicherheit keine Farbe an die Wand und so schob er alle ablenkenden Gedanken ganz weit weg und widmete sich lieber der weißen Farbe. Bisher war es, bis auf die Musik, ruhig gewesen. Nun aber vernahm er das Lachen der Kinder, die die Stufen der Treppe hinauf gestürmt kamen und in das Zimmer stürzten. „Da sind wir, Daddy!“ Ruckzuck hatte Johnny die Leiter erobert und stand nun neben seinem Vater auf der Arbeitsbühne, ohne Angst, ohne Zittern in den Knien. Der Junge kannte genauso wenig Angst vor der Höhe Richard, der seinem Sohn durch das Haar wuschelte. „Dann zeig ich euch mal, was ihr tun könnt.“ Die Leiter ignorierend sprang Richard hinab. Es verwunderte ihn nicht weiter, dass Johnny den selben, den kürzesten Weg nahm und sicher neben ihm landete. Er griff nach dem Shirt, dass auf der Fensterbank lag und reichte es Lian mit den Worten: „Dein Dad wäre bestimmt traurig, wenn dein Kleid mit Farbe bekleckst wird.“ Nachdenklich schaute das Mädchen an sich hinab, strich mit den Händen über den leuchtend gelben Stoff, ehe sie sich im Kreis drehte und erklärte: „Das hab ich von Opa Ollie bekommen.“ „Und es sieht sehr hübsch aus.“ Gewinnbringend lächelte Richard die Tochter seines besten Freundes an. Stolz nickte Lian und schlüpfte in das T-Shirt. Der Saum reichte ihr bis weit über die Knie, was aber nicht weiter stören sollte. Richard ging in die Knie, hockte sich vor Lian und griff nach dem rechten Ärmel, um diesen aufzurollen. „Gehst du dich umziehen!“, bat er seinen Sohn, der sie stillschweigend beobachtete, nun verneinend den Kopf schüttelte und seinen Willen zum Ausdruck brachte. „Ich möchte auch ein Shirt von dir.“ Innerlich seufzend beendete Richard seinen Job, kümmerte sich um den linken Ärmel und erhob sich. Irgendwie hatte er mit Johnnys Gegenwehr gerechnet. „Ich hol dir eins“, gab er nach. Wenn er jetzt anfing mit seinem Sohn zu diskutieren, dann würde er die Decke heute Abend noch nicht fertig gestrichen haben. Außerdem, was war denn schon dabei, wenn Johnny, wie Lian einfach nur ein altes Shirt überzog? „Ihr fasst nichts an, bis ich wieder da bin.“ Sein Satz und der dazugehörige Blick galten alleine Johnny, der nur zu gern einfach mal etwas ausprobierte und damit für heilloses Chaos sorgen konnte. Was für ein Glück, dass er durch seine Suche vorhin, nun wusste, wo Barbara die aussortierten Kleidungsstücke aufbewahrte und so war es ein leichtes, ein weiteres T-Shirt aufzutreiben und das auch noch in Johnnys Lieblingsfarbe. Nachdem er auch bei seinem Sohnemann die Ärmel aufgerollt hatte, bereitete er für die Kinder alles vor, zeigte Lian, wie sie die Farbrolle auf den Gitter abrollte, um die überschüssige Farbe zu entfernen und ließ die beiden sich an der Wand austoben, an der sie die Schränke aufstellen wollten. Es würde kaum auffallen, wenn der Anstrich ein wenig ungleichmäßig verteilt war und zur Not, musste er der Wand eben einen zweiten Anstrich verpassen. Das gemeinsame Malern schien den Kindern eine Menge Freude zu bereiten. Lachend und sich über diverse Zeichentrickserien austauschend, schafften die beiden es tatsächlich die Wand, bis zu ihrer erreichbaren Höhe, in ein warmes Orange zu verwandeln. „Onkel Richard!“ Das schwarzhaarige Mädchen schaute zu ihm auf. Mit den Fingern hatte sie den Saum, des eigentlich viel zu großen T-Shirts, zusammengeknittert. Ihr Blick wirkte verunsichert, was Richard dazu veranlasste, die Farbrolle zur Seite zu legen und von dem Gerüst zu steigen. Von seinem Sohn sah er nichts. Johnny schien das Zimmer verlassen zu haben. Wieder ging er vor Roys Tochter in die Hocke, damit er ihr in die dunklen, schmalen Augen blicken konnte. Er spürte, dass ihr etwas auf dem Herzen lag. Aufmunternd nickte er ihr zu. „Warum ist Dad zu den Navajos gefahren?“ Unsicher nagte Lian an der Unterlippe. Was sollte er antworten? „Dein Dad arbeitet sehr viel“, begann er leise. „Er würde alles tun, damit du glücklich bist, damit es dir gut geht und du auf nichts verzichten musst. Er liebt dich. Du bist sein kleines Mädchen.“ Ein strahlendes Lächeln erhellte die Züge des Kindes. „Ich weiß, dass du oft alleine bist. Deine Nanny ist beinah den ganzen Tag bei dir“, stellte er fest, worauf sie nickte. „Wieso ist er allein gefahren? Ohne mich?“ Noch immer kneteten ihre Finger den Stoff. „Ich bin doch gern bei den Navajos.“ „Weil...“ Ja warum? Richards Hände griffen nach den kleinen, kalten Fingern, lösten sie von dem Stoff und hielten sie sanft fest. „Dein Dad will über ein paar Dinge nachdenken.“ Nun war guter Rat teuer. Lian war zu jung, um die Wahrheit zu verstehen. Er konnte ihr Roys Aufenthalt im Reservat aber in einem guten Licht präsentieren und so antworten, dass es für sie verständlich und ohne schalen Beigeschmack blieb. „Er möchte mehr Zeit für dich haben und sich wieder mit deinem Großvater vertragen.“ „Opa Ollie....“, murmelte sie leise und ein wenig traurig. „Sie streiten immer, wenn sie sich sehen.“ „Im Reservat findet dein Vater die Ruhe, die er gerade braucht. Das nächste mal wird er dich ganz sicher wieder mitnehmen.“ „Wann kommt er wieder?“ Mit aller Macht schien die Sehnsucht ihre Krallen nach dem Mädchen auszustrecken. Richard sah, wie Lian gegen die Tränen ankämpfte, die ihr heiß über die Wangen liefen. „Bald, Kleines, bald.“ Zärtlich, wie es nur ein Vater konnte, zog er die Kleine in seine Arme, strich ihr durch das dunkle Haar und dann beruhigend über den bebenden Rücken. „Er fehlt dir, ich weiß.“ Über ihren Kopf hinweg, erblickte er seinen Sohn, der unschlüssig im Türrahmen stand. In den Händen hielt Johnny drei Schokoriegel und als er das Kopfschütteln seines Vaters bemerkte, nickte der Junge verstehend und ging, dabei ließ er geknickt den Kopf hängen. „Werde ich eine Mom bekommen?“ Mit jeder möglichen Frage hatte Richard gerechnet, aber ganz sicher nicht mit dieser. „Ich weiß, dass meine Mom starb...“ Lians Finger krallten sich an ihm fest, suchten Schutz und Halt. „Ich wünsch mir auch so eine Mom, wie Tante Barbara.“ Immer lauter wurde ihr Schluchzen. „Ich will eine Mom, die Zeit für mich hat, die mich ins Bett bringt, mir etwas vorliest, mir die Haare macht...“ Richard fühlte sich beinah überfordert. Was sollte er Roys Tochter antworten? „Dein Dad lernt bestimmt irgendwann eine nette Frau kennen. Und wenn er sich verliebt, dann bekommst du eine Mom.“ Lian löste sich von ihm, schaute ihn fragend und mit einem kleinen Funken Hoffnung in den Augen an. Ihr Gesicht glitzerte feucht, von den Tränen, die sie noch immer vergoss. „Werde ich dann auch eine Schwester oder einen Bruder bekommen?“ „Vielleicht, Lian.“ „Dann muss ich für meinen Dad nur eine Frau finden?“ Entschlossen fuhr sie sich mit den Händen über die Wangen. „Vielleicht Miss Payton. Sie wohnt unter uns oder die nette Frau aus dem Café, in dem Dad immer seinen Kaffee und meine Schokolade holt?“ Innerlich seufzend schob Richard Lian von sich. Da hatte er ja was angerichtet. Diese Idee musste er ihr ganz schnell ausreden. Es konnte nur schief gehen, wenn ein noch nicht mal sechsjähriges Mädchen anfing, eine Mutter zu suchen. „Lian...“ Zärtlich schob er ihr einige, vom Weinen, feuchte Haarsträhnen aus dem Gesicht. Bevor er Lian jedoch erklären, konnte, dass es nicht so einfach sein würde, eine Frau für ihren Vater zu finden, straffte die Kleine sich und lachte: „Ich werde eine Mom für mich finden.“ Nachdenklich betrachtete Richard die Tochter seines besten Freundes. Sie sehnte sich nach einer Familie, nach Rückhalt, nach Liebe, nach einer Mutter. Seit Tagen musste Lian zusehen, wie Johnny mit seiner Mutter Zeit verbrachte, sah wie Barbara Johnny in den Arm schloss, wie sie ihm Abends einen Gute-Nacht-Kuss gab, ihm am Morgen Panecakes zauberte und einfach für ihn da war. Er musste mit Barbara sprechen, damit sie in Ruhe ein Gespräch mit Lian führen konnte. Er war sich sicher, dass seine Frau die richtigen Worte finden würde und so ein Gespräch zwischen Frauen verlief bekannterweise ja anders, als die zwischen Männern. An der familiären Situation von Roy konnten sie nichts ändern. Natürlich lernte Roy hier und da mal jemanden kennen, aber die Richtige schien ihm bisher nicht über den Weg gelaufen zu sein. Da Lian ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihre Farbrolle lenkte, erhob Richard sich. Aus den Augenwinkeln sah er Johnny, der mit einer Packung Chocolate-Chips-Eis und zwei großen Löffeln bewaffnet, zurückkehrte. Seelennahrung, nannte Barbara dieses Eis immer lächelnd. Wie viel hatte Johnny von dem Gespräch mitbekommen? Anscheinend einiges, denn er ging zielstrebig auf Lian zu und hielt ihr schweigend einen Löffel hin. Kurz darauf saßen die Kinder, friedlich vereint, auf dem Boden und löffelten ihr Eis. Und wieder einmal war Richard erstaunt darüber, wie gut sein Sohn Situationen wie diese einschätzen konnte und anscheinend genau wusste, was er tun konnte und wie er sich verhalten sollte. Stolz erfüllte seine Brust. Er zog sein Smartphone. Diesen Augenblick musste er einfach für Roy und auch für sich festhalten. Da saßen zwei Kinder, in viel zu großen T-Shirts, über und über mit Farbe beschmiert und ließen sich ein Eis schmecken. Maler-Gehilfen, schrieb er unter das Photo und versendetet es. Kaum das er den Zustellbericht erhielt, klingelte Roy auch schon durch. Lächelnd reichte er Lian das Telefon. Vergessen schien ihre Sehnsucht und ihr Heimweh. Leise unterhielt sie sich, mit einem glücklichen Strahlen in den Augen, mit ihrem Vater und erklärte haargenau, was sie seit ihrem Gespräch gestern Abend alles getan hatte. Anscheinend war Johnny und Lian, im Laufe des Tages, dass Malern der einen Wand zu langweilig geworden. Überall im Raum erkannte er übergroße Kinderzeichnungen, orangene Bäume, Autos, Strichfiguren, Hunde, Blumen und nicht zu vergessen die Superhelden. Ein leises Lachen löste sich aus seiner Kehle. Zumindest waren die Beiden beschäftigt gewesen, so dass er in aller Ruhe die Decke zu Ende streichen konnte. Ab und zu hatte Barbara bei ihnen reingeschaut, sie mit Getränken und Leckereien versorgt und alles mit Fotos, für die Zukunft, festgehalten. Es war Abendbrotzeit, der Tag lang gewesen und eigentlich gehörten die Kids ins Bett, aber ganz sicher nicht so, wie sie aussahen. „Ich glaube, ich muss euch in die Wanne stecken!“, erklärte Barbara, als sie nach ihnen sah, worauf Richard sie fragend musterte. „Ja, du musst auch in die Wanne.“ Sie kam auf ihn zu, blieb lachend vor ihm stehen und strich ihm durchs Haar. „Zumindest habe ich jetzt eine Ahnung, wie du in dreißig Jahren aussehen könntest. Gar nicht so übel, das Weiß steht dir.“ Grinsend hob Richard die Farbrolle, die er noch immer in der Hand hielt. „Soll ich dich auch in eine Großmutter verwandeln?“ „Untersteh dich!“ Barbara drohte ihm spielerisch mit dem Finger, dann spürte sie, wie er sie an sich zog und fest in die Arme schloss. Zärtlich küsste er sie, ignorierte dabei die Blicke der Kinder, die sie kichernd beobachteten. Schwer atmend löste Barbara sich von ihm, dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit auf Johnny und Lian, half ihnen aus den farbverschmierten T-Shirts und scheuchte sie ins Bad, welches sich zwischen den Kinderzimmern befand. Richard räumte zusammen, lauschte dabei dem Disput, der aus dem Bad zu ihm drang. Johnny und Lian diskutierten lautstark darüber, ob sie Piraten sein wollten oder lieber Hochseefischer. Der Tag war anstrengend gewesen. Malern und dabei zwei Kinder betreuen, schlauchte mehr, als zwei Nächte als Nightwing unterwegs zu sein. Und zum ersten mal seit langem, dachte er tatsächlich darüber nach, bei Zeiten ins Bett zu kriechen. Er war so unendlich müde, fühlte sich irgendwie schlapp, gar nicht fit und so ließ er den Rest einfach stehen und liegen und ging duschen. Nur noch gemeinsam Abendessen und danach aufs Ohr hauen. Auf den gemeinsamen Abend würde Barbara verzichten müssen. Er würde ihn nicht überstehen und spätestens nach zehn Minuten auf dem Sofa eingeschlafen sein. Morgen musste er das Kinderzimmer fertig bekommen, denn schon am 3. Januar würden die Parkettleger kommen und ab dem 4. Januar musste er wieder arbeiten. Die Zeit der faulen Feiertage war vorbei. Der Alltag hatte ihn eingeholt. Innerlich dankte er Tim, der diese Nachtschicht schob. Die Hände gegen die Fliesen gestützt, den Kopf nach vorn gebeugt, genoss er die heißen, prasselnden Wasserstrahlen auf seiner Haut. Wie eine leichte Massage löste das Wasser die Verspannungen in seinem Nacken. „Dick?“ Nur leise vernahm er seinen Namen. „Duschen“, antwortete er und blickte Richtung Badetür. „Johnny und Lian wollen Pizza essen?“ Barbara zog die Tür hinter sich zu und lehnte sich dagegen. Sie bereute im Augenblick bestimmt nicht, dass sie sich damals gegen eine Duschkabine und für eine gemauerte, offene Dusche entschieden hatten. Sie schien die Aussicht, die sich ihr bot, sichtlich zu genießen. „Wollen wir uns zwei Pizzen teilen? Ich würde eine Gemüsepizza nehmen.“ „Thunfisch.“ Blind, da er Barbara nicht aus dem Blick ließ, angelte er nach seinem Duschbad. „Was nehmen die Kids?“ „Lian möchte Champignons und Johnny...“ Leise lachend vollendete er: „... Hauptsache ganz viel Käse.“ „Auf wen soll ich jetzt eigentlich mein Augenmerk richten? Auf den Piraten mit seiner Meerjungfrau und dem Seehund oder auf den heißen Traumtypen?“, wechselte die Rothaarige das Thema. Tief in seinem Inneren breitete sich eine wohlige Wärme aus. „Das musst du ganz alleine entscheiden“, antwortete er heiser mit leicht belegter Stimme. Barbaras Blick, der ihn einfach nicht losließ, sorgte für ein angenehmes Prickeln, eine Gänsehaut auf seinen Schultern und die ging auch nicht weg, während er das Duschgel auf seiner Haut verteilte. „Gar nicht so einfach eine Entscheidung zu treffen?“ Leise seufzend kam Barbara näher. „Wenn Lian nicht da wäre, würde ich jetzt zu dir unter die Dusche kommen, aber Roy würde es uns nie verzeihen, wenn seiner Tochter etwas geschieht.“ Sie streckte die rechte Hand aus, ließ die Finger über seine Brust tiefer gleiten und wisperte: „Wir holen das nach...“ 15. --- Die nächsten Tage verliefen vollkommen ereignislos. Red Hood ließ sich nicht blicken, Bruce haderte mit sich selbst und seinem Knie. Tim und Ariana steckten mitten in ihren Hochzeitsvorbereitungen. Johnny besuchte wieder zur Schule und Lian und Barbara vertrieben sich die Zeit zu Hause oder beim Shopping, da noch so viel für ihr Rosinchen besorgt werden musste. Richard ging seinem Job in der Uni nach und wachte jede zweite Nacht über Gotham. Die Abende verbrachte er mit Bruce und Tim in der Höhle. Gemeinsam recherchierten sie, suchten nach den Namen, die Jason Todd ihnen nannte. Einzig Stephanie Brown konnten sie ausfindig machen. Sie studierte an der Yale Jura. Ihr Vater Arthur Brown kam vor zehn Jahren bei einer Verfolgungsjagd ums Leben, nachdem einer seiner Anschläge, auf einen Politiker, von der Polizei vereitelt wurden war. Sie waren zum Nichtstun verdammt. In Sachen Katie Miller tat sich auch nichts und so lange Red Hood nicht äußerte, was genau er von ihnen erwartete, blieb ihnen nur über Gotham zu wachen, wie sie es schon seit Jahren taten. „Es gibt Gerüchte, dass in China Town eine neue Gang von Außerhalb versucht Fuß zu fassen. Sie versuchen wohl das Glücksspiel an sich zu reißen“, erzählte Timothy, während er nachdenklich einen Batarang zwischen den Fingern drehte. „Chans Cousin Fong betreibt in seinem Restaurant im Hinterzimmer eine kleine Spielhölle.“ Bestätigend nickte Bruce. „Mein Informant erwähnte ähnliches.“ Mit der rechten Hand massierte der dunkelhaarige Millionär sein rechtes Knie, welches ihm seit einigen Tagen wieder größere Probleme bereitete. „Im Untergrund deutete alles auf einen Machtkampf zwischen Quan und einem jungen Triadenboss, der anscheinend aus Central City kommt, hin.“ „Bisher haben wir das Glücksspiel in China Town doch geduldet“, erinnerte Richard. Lange war es her, dass sie in China Town eingreifen mussten. Es gab keine Splittergruppen mehr und nachdem Quan die verschiedensten chinesischen Gangs vereinte, kehrte Ruhe ein. Der gerade mal neununddreißig jährige Hongkong-Chinese organisierte China Town von Grund auf neu. Es gab keine Schutzgelderpressungen mehr, keinen illegalen Mädchenhandel. Alles lief über Quans Tisch. Als erstes wurden die Bordelle ordnungsgemäß angemeldet, die Prostituierten bekamen Arbeitsverträge, erhielten Gehalt und bekamen sogar eine Krankenversicherung bezahlt. Nur gesunde Prostituierte waren gute Prostituierte, so Quans Motto. Um es kurz zu machen, Quans Bemühungen brachten ihm nicht nur Erfolg und Geld, sondern auch Ruhe und Frieden in seinem Bezirk. Natürlich florierten die illegalen Geschäfte noch, aber diese kleinen Deals fielen nicht weiter ins Gewicht und so entschieden sie gemeinsam, es dabei zu belassen. Lieber Ruhe, Ordnung und eine eiserne Hand in China Town, als Chaos, Mord und Totschlag. „Wir müssen unser Augenmerk wieder auf China Town richten, herausfinden, wer der Triadenboss aus Central City ist, wie er heißt, wo er wohnt, wer seine Handlanger sind.“ Es war wie immer, Bruce traf die Entscheidungen. „Tim, sprich mit Chan, vielleicht kann er dir schon mehr sagen.“ Sein Einverständnis bekundend nickte Red Robin. Chan und ihn verband eine Freundschaft, auch wenn der junge Chinese, bis heute nicht erfuhr, wer sich hinter der Maske verbarg. Tim war es gewesen, der vor sieben Jahren Chan das Leben rettete, als dieser in die Schusslinie, zwischen den vier sich bekriegenden chinesischen Gangs, geriet. Chans Eltern, damals die Inhaber von beinah allen kleinen Lebensmittelläden in China Town, waren zwischen die Fronten geraten. Sie lehnten sich gegen die Schutzgelderpressungen auf, was zur Folge hatte, dass ihre Läden verwüstet oder gleich in Brand gesteckt wurden. Erst durch Quan, durfte Chans Familie wieder in Frieden leben und mit Hilfe eines unbekannten Gönners, schafften sie es, ihre kleine Lebensmittelkette wieder aufzubauen. „Richard, du...“ Bruce unterbrach sich, als er Nightwings hochgezogene Augenbrauen bemerkte. „Dreh einfach Extrarunden!“ Innerlich triumphierend nickte der erste Partner Batmans. Es war das erste mal, dass Bruce ihm nicht wirklich vorschrieb, was sein Part sein würde. Er überließ es ihm, wann er und wo er in China Town agierte. „Tim, Chan und du spielt doch Pai Gow?“, wandte der dunkelhaarige Mann seine Aufmerksamkeit wieder auf Red Robin. „Wenn es die Zeit erlaubt“, bestätigte der jüngere. „Könnte er dich ins Spiel bringen?“ „Sieht mir ganz nach einem Job für Alvin Draper aus“, grinste Timothy zufrieden. Beinah wirkte es so, als würde er sich darüber freuen, mal wieder als Alvin inkognito zu ermitteln und so kam es, dass an diesem Abend Nightwing seine ersten Runden in China Town drehte und ein wachsames Auge auf Red Robin hatte, der sich mit Chan traf, um das Passwort für den heutigen Spieleabend im 'Sieben Köstlichkeiten' zu erfahren. Nur kurze Zeit später kam Tims Auftritt als Alvin Draper, der in Turnschuhen, mit Bluejeans, T-Shirt und kariertem Hemd darüber, aussah, wie der junge Mann, der sein Glück im Spiel suchte. Mit Ohrringen, einem Nasenpiercing und längerem Haar, das ihm frech ins Gesicht fiel, würde niemand auf die Idee kommen, einen Mann aus reichem Hause vor sich zu haben. Die braunen Kontaktlinsen, komplettierten seine Verkleidung. „Ich glaube ich krieche morgen früh mal als Alvin zu Ariana ins Bett“, lachte Tim leise, als er das Restaurant betrat. „Wenn sie den Schock ihres Lebens bekommen soll, dann tu das. Obwohl, so ein kleines Rollenspiel...“, kommentierte Nightwing, der auf dem Dach gegenüber Stellung bezogen hatte. Er würde den ganzen Abend und auch die Nacht über im Kontakt mit seinem Bruder stehen, ebenso wie Bruce, der dank Mikrokamera, alles in der Bathöhle verfolgen konnte. Ohne aufgehalten zu werden, schaffte Tim es, in der Gestalt von Alvin Draper, dass Restaurant zu durchqueren, vorbei an den runden Tischen, an denen nicht nur Bewohner von China Town Platz gefunden hatten und aßen, sondern auch einige andere Einwohner Gothams, die die chinesische Küche bevorzugten. Vor der Tür, mit der Aufschrift 'Staff' atmete Tim noch einmal tief durch. Falls der jüngere nervös sein sollte, so ließ er es sich nicht anmerken. Resolut öffnete er die Tür, betrat den dunklen Gang dahinter und schaute sich um, nachdem, dank Bewegungsmelder, die trüben Deckenlampen aufleuchteten. Links und rechts des Ganges zweigten Türen ab, einfache, weiße Holztüren, sechs Stück an der Zahl, die siebente Tür, direkt vor ihm, am anderen Ende des Flures, schimmerte grau, eine Eisentür. Recht und links davon wurde die Tür von zwei bulligen, glatzköpfigen Chinesen, mit breiten Gesichtern, die an Pfannkuchen erinnerten, eingerahmt. An diesen beiden musst er irgendwie vorbeikommen. Mit einem Grinsen im Gesicht nickt er ihnen zu, ging zielstrebig weiter und sagte, eben gerade so für die Türsteher vernehmbar, das Passwort des Abends. Leise sprach der rechte der Türsteher in ein kleines Mikrofon, das er am Revers trug. Ein leises Brummen und die Tür, die sich anscheinend nur aus dem Inneren, des dahinter befindlichen Raumes, öffnen ließ, schwang auf. „Danke“, lachte Alvin Draper die beiden Chinesen an. „Drückt mir die Daumen, Jungs! Ich werde das Gefühl nicht los, dass das heute mein Abend ist.“ Hinter der schwere Feuerschutztür erwartete Timothy eine andere Welt. Aufmerksam, damit auch Bruce alle Kleinigkeiten wahrnehmen konnte, ließ er den Blick schweifen. Zehn Tische mit je neun Sitzmöglichkeiten, acht Stühle für die Spieler und einer für den Spielleiter, verteilten sich in dem fensterlosen Raum. Beinah alle Spieltische schienen vollständig besetzt zu sein, teilweise mit gemischtem Publikum. Drei Tische allerdings waren für ein rein asiatisches Publikum bestimmt. Wie es schien gehörte Tim zu dem jüngeren Publikum. Wenn er das Durchschnittsalter errechnen müsste, käme er bei einem Alter um die Fünfzig raus. In den etwas dunkleren Ecken des Raumes, entdeckte Red Robin sechs weitere Männer, die er zum Sicherheitspersonal, oder besser gesagt, Schlägertrupp des Betreibers zählte. Der große schlanke Chinese in dem schwarzen Anzug, mit der auffällig roten Krawatte, der mit verschränkten Händen auf dem Rücken, seine Runden drehte, schien Chans Cousin Fong, der Chef zu sein. Aufmerksam und neugierig durchquerte Alvin das geheime Spielzimmer einmal, ehe er sich für einen der gemischten Spieltische entschied. Erst mal reinschnuppern, dann konnte er immer noch an einen anderen Tisch, mit mehr Chinesen, wechseln. „Darf man noch mit einsteigen?“ Nickend bekundete der Spielleiter sein Einverständnis und wies ihm den einzigen freien Stuhl zu. Wie jeder Spieltisch, war auch dieser mit grünem Funktionstextil bezogen. Direkt in der Mitte des Tisches, also über Tim, war ein Strahler angebracht, der den Tisch ordentlich ausleuchtete, damit man ohne Probleme seine Dominosteine erkennen konnte. Alvin vertiefte sich in sein Spiel, mal verlor er, mal gewann er. Nebenbei lauschte er den Gesprächen, aber niemand der Anwesenden schien Kenntnis davon zu haben, dass ein neuer Triadenboss aus Central City versuchte die Macht in China Town zu übernehmen. Ein Besuch würde nicht ausreichen. Irgendwie musste Tim sich Zugang zu den anderen Spielhallen verschaffen und so setzte er am Ende alles auf eine Karte und gewann. Bevor er am frühen Morgen das Hinterzimmer verließ, erkundigte er sich bei einem der Türsteher, ob er nicht irgendwo in China Town um größere Einsätze spielen könnte und tatsächlich, erhielt er eine Visitenkarte. Goldener Drache stand darauf, dazu eine Adresse und eine Telefonummer. Das war doch schon mal ein kleiner Fortschritt. Als Tim hinaus in die klirrende Nachtluft trat, glitt sein Blick zu dem Dach gegenüber. Von Nightwing war nichts zu sehen, dafür zu hören: „Wurde Zeit das du kommst! Ich dachte schon, ich muss mir einen Schlafsack organisieren und hier oben nächtigen.“ Leise lachend wand Tim sich Richtung Osten. Dort hatte er einen alten, unauffälligen 3er Golf geparkt. „Wir sehen uns zu Hause...“ Nightwing streckte sich, verließ das Dach und eilte ungesehen zu Tims Redbird. Dankbar dafür, dass er sich für diesen Wagen und nicht für sein Bike entschieden hatte, stieg Richard ein und schaltete als erstes die Heizung ein, bevor er sich auf den Weg nach Wayne Manor machte, um mit Tim und Bruce ihre nächsten Schritte zu besprechen. 16. --- 16. Seit einigen Tagen ermittelte Timothy, als Alvin Draper, undercover in China Town, unterstützt durch Nightwing, dem nichts weiter übrig blieb. Richard würde seinen kleinen Bruder nicht alleine lassen, während er sich in die Höhle des Löwen wagte. Immer tiefer drang Tim den den Glücksspielsumpf ein. Hier und dort knüpfte er wichtige Kontakte und erhielt schon bald Einladungen zu geheimen Spielrunden. In seiner Rolle als Alvin Draper schien er regelrecht aufzublühen. Er hatte sichtbaren Spaß daran sich zu verkleiden und mal den überheblichen, eingebildeten, jungen Schnösel zu spielen, der das gewonnene Geld entweder sofort wieder verspielte oder für unnützen technischen Spielkram ausgab. Vor den weiblichen, meist älteren, gut situierten Damen gab er den Playboy und konnte mit seiner Art der Darstellung schon beinah Bruce das Wasser reichen. Amüsiert beobachtete und lauschte Nightwing dem nächtlichen Treiben, auch, als es ihm von Tag zu Tag schwerer fiel, bei der Sache zu bleiben. Er fühlte sich so müde, schlapp und ausgelaugt, wie schon lange nicht mehr. Er war es einfach nicht mehr gewöhnt, wirklich jeden Morgen erst gegen 5:00 Uhr ins Bett zu kriechen oder einfach mal gar nicht. Gegen 7:00 Uhr musste er, außer am Wochenende, eh wieder raus, musste Johnny zur Schule fahren, danach in die Uni und seinen Job angemessen erledigen, um dann gegen 16:00 Uhr wider zu Hause zu sein. Sein tägliches Trainingsprogramm, hatte er angesichts der Lage, gecancelt, stattdessen zog er sich lieber zurück und schlief eine Runde. Richard konnte sich nicht erinnern, wann er zum letzten Mal so viel Kaffee oder andere Wachmachergetränke konsumierte und schon gar nicht, wann er zum letzten Mal eine der kleinen, von Bruce vor Jahren kreierten, Pillen nahm, um die Nacht zu überstehen. Noch bildete für Barbara das brachliegende Familienleben kein Problem. Sie wusste nur zu gut, wie es war, wenn Not am Manne war und ein Fall sie rund um die Uhr beschäftigte. Sie wusste aber auch, dass es wieder bessere Zeiten geben würde. Richard machte sich eher Gedanken wegen Johnny, der seinen Vater gerade so gut wie nie, außer am Frühstückstisch und auf dem Weg zur Schule, zu Gesicht bekam. Im Moment bemerkte der Junge die Abwesenheit seines Vaters nicht wirklich, da noch immer Lian bei ihnen wohnte und den Sechsjährigen somit unbewusst vom Tun seines Vaters ablenkte. Barbara vertrieb sich den Tag mit Lian, während er in der Uni die zwei Geräteturnen-Mannschaften und die kleine Artistengruppe coachte. Frauendinge, hatte Lian ihm geantwortet, als er sie beim Abendessen fragte, was sie den Tag über tat. Ja, so ähnlich stellte er sich das auch vor. Barbara mit Lian an der Hand, in einem der großen Shoppingcenter, um dort Geld auf den Kopf zu hauen. Sichtlich füllte sich das neue Kinderzimmer mit Spielzeug, Plüschtieren, Babysachen und all den anderen Notwendigkeiten. Es schmerzte Richard schon ein wenig, da er nur zu gern mit seiner Frau gemeinsam das Nest für ihr Rosinchen einrichten würde, aber ändern konnte er die Situation im Augenblick nicht. Um so schöner war es für Barbara, dass sie Lian an ihrer Seite hatte und auch Ariana, die sie am Vormittag nur zu gern begleitete. Er war sich sicher, das die zwei Frauen und das eine Mädchen auch in Sachen Hochzeit, die im September stattfinden sollte, unterwegs waren. Roy würde sich wundern, wenn die Tasche, die er für seine Tochter zu Weihnachten packte, nicht mehr genügte, denn Barbara hatte es sich nicht nehmen lassen, Lian zu verwöhnen, die glücklich strahlend, am Abend nach einem Einkaufsmarathon, ihre neuen Kleider vorführte. Von Red Hood hatte er noch immer nichts gehört oder gesehen. Der Mann mit der roten Maske schien entweder auf Tauchstation gegangen zu sein oder aber er verfolgte seine eigenen Angelegenheiten und Rewind und Repeat. Unheimlich fühlte sich der Gedanken an, dass Richard es gar nicht bemerken würde, wenn die Zeitlinie sich änderte. Angestrengt dachte er darüber nach, während er Alvin lauschte, der wohl das Spiel seines Lebens spielte. Würde der erste Robin bemerken, wenn in seinem Leben etwas anders sein sollte? Nein, mit Sicherheit nicht. Wer, außer Jason Todd und den beiden Metawesen wüsste überhaupt, wenn sich etwas ändert? Wer weiß, vielleicht gab es das neues Haus, auf dem er gerade verweilte eigentlich gar nicht. Wenn es morgen nicht mehr hier stand, würde Richard sich nicht daran erinnern, dass er noch heute auf dem Dach seinen Posten bezogen hatte. Ähnlich verhielt es sich auch mit den privaten Dingen. Angenommen, die beiden Metas manipulierten seine Vergangenheit soweit, dass Barbara und er nie heirateten? Er würde nicht wissen, wie glücklich er mit ihr ist und auch nicht wissen, das er einen kleinen Sohn hatte und bald noch ein Kind. Richard schüttelte sich. Genauso gut stand aber auch fest, dass er nichts vermissen würde, von dem er keine Ahnung hatte, dass er es besaß. Vielleicht würde er merken, dass sich etwas seltsam, irgendwie falsch anfühlte, aber er würde nie darauf kommen, denn er wüsste ja auch nichts mehr von den Zeitsprüngen und den veränderten Zeitlinien. Von stundenlangen Nachdenken und angestrengtem Grübeln würde er nur Kopfschmerzen bekommen und so riss er sich zusammen und lenkte seine Aufmerksamkeit wieder vollständig auf Tim, damit er seinem Adoptivruder den Rücken freihalten oder stärken konnte, falls etwas unvorhergesehenes eintrat. Zu seinem Glück blieb es ruhig und Alvin schien mit jedem Spiel, das er tätigte, dem inneren Kreis näherzukommen. Seit gestern Abend vermutete Tim, das der etwa fünfzigjährige Chinese, der sich jeden Abend den Tisch auswählte, an dem auch Alvin saß, zu der neuen rivalisierenden Gang aus Central City gehörte. Bruce ließ den Namen Lang Fai durch die Weiten der vernetzten Welt rasen, um an Informationen zu dem Unbekannten zu gelangen. Nur noch zwei Tage würde Bruce ihnen von der Höhle aus zur Hand gehen können, dann verließ er Gotham, um die letzte geplante und hoffentlich erfolgreiche Knie-OP über sich ergehen zu lassen. Bis heute wusste Richard nicht, was im Sommer des vergangenen Jahres genau vorgefallen war. Barbara, Johnny und er hatten sich zu diesem Zeitpunkt in Italien aufgehalten und Urlaub im traumhaften Rom gemacht. Er würde auch nicht nachfragen. Er wusste, Bruce würde ihm nichts sagen und so beließ er es dabei. Wie zäher Kaugummi zog sich die Zeit dahin. Alvin schien einen guten Lauf zu haben. Gegen 2:00 Uhr wollte er eigentlich sein Spiel beenden, aber dazu kam es nicht, da Lang Fai ihn zu einem privaten Spiel in seinem Haus einlud und Tim nahm die Einladung an. Lang Fai gestattet Alvin zum Glück seine nagelneue quietschgelbe Corvette Z06, wenn schon auffallen, dann richtig, zu nehmen und so war es dank GPS-Tracker für Nightwing ein leichtes seinem Bruder zu folgen. Sie verließen China Town, nahmen eine der Schnellstraßen und erreichten schon bald den Nobelvorort der Stadt. Die riesigen parkähnlichen Grundstücke, gesichert durch hohe Mauern und Zäune, erstreckten sich über einige Kilometer. Ein eigener Sicherheitsdienst patrouillierte bei Tag und bei Nacht und durch den Checkpoint, mit Schrankenanlage und unzähligen Überwachungskameras, kam man nur als Bewohner einer der Villen oder aber man stand auf der Gästeliste und war dem Wachpersonal gemeldet worden. Was das Eindringen ungemein erschwerte. Außerhalb, etwa fünfhundert Meter entfernt, parkte Nightwing Redbird ein wenig abseits, so das man Red Robins Wagen nicht von der Straße aus einsehen konnte. Dann machte er sich zu Fuß auf den Weg. „Batman!“, sprach er leise. „Ich höre, Nightwing.“ „Hast du einen Plan mit den Überwachungskameras und den Bewegungsmeldern?“ Sich hinter Büschen duckend, wartete Richard ab. „Ich hab mich schon bei den Sicherheitsfirmen eingeklinkt. Ich kann dich ungesehen zu dem Anwesen von Lang Fai leiten.“ Der tiefen, vertrauten Stimme lauschend, machte Nightwing sich auf den Weg. Die riesige Mauer, die sich um das gesicherte Wohnareal zog bildete kein großes Hindernis. Komplizierter wurde es dann erst, als er diversen Sicherheitsvorkehrungen, der teilweise berühmten Anwohner, ausweichen musste. Bruce jedoch wies ihm ohne große Schwierigkeiten den sichersten Weg durch die Anlage und nachdem er sich beinah fünf Kilometer, immer den Schutz von Bäumen, Sträuchern und den Schatten der Häusern, vorwärts bewegte, konnte er endlich auf dem Dach des Poolhauses Stellung beziehen und der Dinge harren, die da kommen konnten. Viel lieber, als hier in der Kälte zu hocken, wäre er in sein warmes Bett gekrochen. Er lauschte Tim, der sich angeregt mit Lang Fai unterhielt und dann endlich bekamen sie die Informationen, auf die sie so lange hinarbeiteten und warten mussten. Mister Unbekannt betrat das Spielfeld – Nicholas Wong - der neue Triadenboss aus Central City. Endlich gab es ein Gesicht – Sohn von chinesischen Einwanderern, in Central City geboren und aufgewachsen, studierte er BWL und verfolgte eigentlich nur ein Ziel, gerade mal neunundzwanzig Jahre alt, wollte er die diversen China Towns sein Eigen nennen und kontrollieren und ausgerechnet in Gotham City wollte er beginnen, aber da hatte er die Rechnung ohne Batman, Nightwing und Red Robin gemacht. Alvin Draper sollte dabei eine entscheidende Rolle spielen. Nicholas Wong warb ihn für seine Zwecke an und Tim stieg voll drauf ein. Er sollte Augen und Ohren von Nicholas Wong bilden. Nightwing hielt die Stellung, während Alvin sich in die Pläne einweihen ließ und Bruce vor Ort in seiner Höhle, die Rechner heiß laufen ließ. Gegen 5:00 Uhr in der Früh verließ Tim endlich das Anwesen und Nightwing folgte in dem Dunkel des Morgens dem gekommenen Weg zurück zu Tims Redbird. Nur noch nach Hause, keinen Bock mehr auf ein abschließendes Meeting. In der Bathöhle angekommen, parkte er den Wagen und ignorierte Bruce fragenden Blick. Stumm schüttelte er den Kopf und ging sich umziehen. „Ich komme heute Abend eher“, rief er Tim und Bruce, die schon die ersten Daten auswerteten, zu und stieg in seinen Ford. Keine zehn Pferde hätten ihn noch halten können. Als er gegen 6:30 Uhr endlich zu Hause ankam, blieb ihm gerade mal noch Zeit für eine heiße Dusche, einen starken Kaffee und Barbaras leckeres Rühreier mit Champignons und Speck. Entschuldigend zuckte er mit den Schultern, atmete einmal hörbar ein und aus und zog seine Frau fest in die Arme, als Johnny nach oben flitzte um seinen Rucksack zu holen. Lian schlief noch. Sie würde später gemeinsam mit Barbara frühstücken. „Heute Nacht noch einmal, dann klinke ich mich zwei Tage aus, versprochen.“ Müde suchte er ihre warmen Lippen für einen Kuss auf, ehe er wisperte: „Tim hat es wesentlich besser. Er schläft jetzt sicherlich an Arianas Seite und träumt von ihrer Hochzeit. Nur ich bin der Dumme und muss auf Arbeit.“ „Du müsstest nicht arbeiten“, erinnerte die Rothaarige ihn. „Bruce würde für alles aufkommen. Er hat es dir, uns, oft genug angeboten, auch einen Platz bei Wayne Tech. Aber du und dein Stolz...“ „Du wolltest auch nicht zu Hause bleiben...“, unterbrach Richard seine Frau. „... und hast den Job in der Bibliothek angenommen.“ „Ich gehe aber nur zwanzig Stunden die Woche arbeiten, Richard, nicht mehr, wie du weißt. Mir bleibt somit genug Zeit um alles unter einen Hut zu bekommen. Vielleicht solltest du auch ein wenig kürzer treten. Es ist ja nicht so, dass wir auf Gedeih und Verderb auf das Geld angewiesen sind.“ Sie schmiegte sich enger an ihn. „Um dann wieder von Bruce und seinem Geld abhängig zu sein?“ Energisch schüttelte er den Kopf. „So wie es ist, ist es gut.“ „Dann lass dir doch von Bruce einen Stundenlohn für deine Einsätze auszahlen“, überlegte sie weiter, was Richard ein Lächeln auf die Lippen zauberte. „Ich sag es dir glaube ich viel zu selten...“ Sanft, aber mit einem gewissen Verlangen, eroberte er ihren Mund aufs Neue und wisperte in den Kuss: „Ich liebe Dich!“ 17. --- Es war noch nicht mal Mitternacht, als Red Robin und Nightwing zuschlugen und Nicholas Wong, in seinem Versteck in China Town aufsuchten. Nach einem kurzen Handgemenge, das zum Glück ohne Schüsse über die Bühne ging, konnten sie den, wie sich durch Bruce Recherche herausstellte, in Central City, wegen mehrfachen Mordes, gesuchten Mann dem GCPD übergeben. Endlich mal wieder zeitig ins Bett, huschte es Richard durch den Kopf, als er kurz vor 1:00 Uhr mit Tim zurück in die Höhle kehrte. Bruce letzte Nacht in Gotham. Ab morgen mussten sie ohne 'ihr' wachsames Auge am Computer auskommen. Ihnen blieb eigentlich nur eins, einer schob Wache in der Höhle und der andere patrouillierte durch die Stadt oder aber, sie spannten Alfred ein. Obwohl, wirklich für nötig hielt Richard dies nicht. Als er vor fünfundzwanzig Jahren, zum ersten mal als Robin an Batmans Seite durch die dunkle Nacht zog, hatten sie sich auch nicht auf ein Netzwerk verlassen können. Damals waren sie auf die altbekannte Detektivarbeit angewiesen. Die Welt war noch nicht so weit vernetzt wie heute. Sie mussten Bibliotheken und Archive aufsuchen, um ihr gesuchten Informationen zu erhalten. Wie leicht die Technik einem das Leben doch machte und, wie er sich selbst eingestehen musste, auch faul. Ein einfacher Notfallplan musste genügen, und da es nichts Neues im Fall Katie Miller gab und Jason Todd sich immer noch nicht blicken ließ, hatte er seine Sicht der Dinge Timothy mitgeteilt. Was Bruce davon hielt, war ihm ehrlich gesagt, gerade egal. Er wollte nur nach Hause zu seiner Familie, außerdem war Tim einverstanden. Er spürte den fragenden, irgendwie aber auch vorwurfsvollen Blick von Bruce, als sie sich zu ihm gesellten. Er nickte ihnen zu. Kein Wort der Zufriedenheit oder der Anerkennung, ihrer geleisteten Arbeit. Stoisch, wie Bruce nun einmal war, nahm er es hin. Es war nun einmal ihr Job. „Ihr haltet die Augen offen!?“ Waren Bruce Worte als Anweisung oder als Frage gedacht? Bis heute verstand Richard es nicht zwischen den Worten zu lesen. Als er vierzehn war, hatte er diese Art der Feststellungen immer als Frage aufgefasst, je älter er aber wurde, um so mehr erkannte er, dass Bruce ihm eigentlich nur mitteilte, was er zu tun und zu lassen hatte und dem entsprechen nickte er nur gelassen. Gotham befand sich bei Tim und ihm in guten Händen. „Und du richtest all deine Aufmerksamkeit alleine auf dein Knie und die Reha!?“ Was Bruce konnte, konnte er schon lange. Ein Brummen als Antwort. Nein, Bruce würde nicht abschalten können. Batman würde mit nach Chicago reisen. Der Milliardär konnte nicht raus aus seiner Haut und den Dunklen Ritter einfach mal hinter sich lassen. Er würde sie im Augen behalten und mit Sicherheit über jeden ihrer Schritte informiert sein. So viel zu gegenseitigem Vertrauen. Gotham war Batmans Stadt und würde es auch bleiben. Es spielte keine Rolle, dass es Red Robin, Nightwing oder Batgirl gab. Nur Batman befand sich in der Lage, die Kontrolle zu behalten. Obwohl ihn eine Familie umgab, nahm er sie nicht als Familie wahr. „Ich schwör dir, Bruce, ich besteche deine Ergo- und Physiotherapeuten und alle anderen, einschließlich Pflegepersonal, wenn du dich nicht vollständig auf die Reha konzentrierst.“ Die Arme vor der Brust verschränkt, sprach Richard weiter. „Ich möchte dich erst in vier Wochen wieder in Gotham sehen, keinen Tag früher. Ich rate dir, dich an das Programm zu halten, wenn du dein Knie jemals wieder vollständig belasten möchtest.“ Sprach hier gerade der Vater aus ihm? Komische Situation. Es war das erste mal, dass er Bruce Verhaltensregeln auftischte. „Gotham braucht Batman...“ Timothy schlug sich auf Richards Seite und in die selbe Kerbe. „... einen vollständig genesenen und fitten Batman. Keinen Mann, der dreimal darüber nachdenken muss, ob er mit seinem Knie den Sprung wagen kann.“ Oh oh, sie wandelten auf dünnem Eis. Richard sah wie es hinter der Stirn seines Adoptivvaters arbeitet und sich Zornesfalten über den blauen Augen bildeten. Nur noch ein falsches Wort und Bruce würde sie entweder der Höhle verweisen oder einfach gehen. „Ich weiß, wie sehr es dich, verzeih mir den Ausdruck, ankotzt an den Rechner gefesselt zu sein. Ich bitte dich nur um eins, nimm die Reha nicht auf die leichte Schulter. Dein Knie muss ausheilen, wieder beweglich und gestärkt werden oder aber...“ „Oder aber was?“, knurrte Bruce. „Du wirst nie wieder Batman sein...“ Volltreffer... Der Milliardär schlug den Blick nieder. Was denn, keine Widerworte? Richard konnte es beinah nicht glauben. Sollte Bruce zum ersten Mal einen Rat von ihnen annehmen oder befand dieser sich tatsächlich an einem Punkt in seinem Leben, an dem er nicht mehr weiter wusste? „Entweder oder, Bruce. Es ist deine Entscheidung...“ Nickend wandte Richard sich ab. Er hatte seinen Standpunkt klar zum Ausdruck gebracht. Für ihn war es an der Zeit nach Hause zu gehen. Ohne ein weiteres Wort wandte er sich ab, ging sich umziehen. Es lag alleine in Bruce Händen. Innerlich schon ein wenig kochend, zog er dunkelhaarige Mann sich um, als Red Robin zu ihm trat. „Starke Worte. Ich glaube du hast etwas in ihm bewegt.“ „Ist doch wahr...“, murmelte Richard. „Ich war mir ziemlich sicher, dass er sich nach der OP höchstens zwei, vielleicht drei Tage Ruhe gönnt und dann wieder aufschlägt, nur um sich bei seinem ersten Einsatz gleich wieder das Knie zu ruinieren. So, wie die letzten vier male.“ „Er muss mit seinen Entscheidungen alleine klarkommen und die Konsequenzen tragen.“ Richard zog die Jeans hoch und drehte sich zu Tim um. „Bruce benimmt sich manchmal wie ein bockiges kleines Kind. Nicht mal Johnny ist so stur.“ „Du kennst ihn, wir kennen ihn. Er kann nicht raus aus seiner Haut.“ Ein Lächeln huschte über Timothys Gesicht. „Ich jedenfalls werde die Zeit genießen und einfach mal die Füße hochlegen. Es ist so ruhig, wie schon lange nicht mehr, in der Stadt und mal ehrlich, wenn Not am Manne ist, bekommen wir es mit. Es ist ewig her, dass das Batsymbol über Gotham erstrahlte. Geben wir dem GCPD doch die Chance, zu überprüfen ob es überhaupt noch funktioniert.“ „Lass das ja nicht Bruce hören!“, lachte Richard und streifte ein warmes Sweatshirt über. „Ich mach mich dann vom Acker. Schlaf gut!“ „Du auch...“ Nachdenklich, ob Bruce die Reha tatsächlich durchzog, lief Richard zu seinem Ford. Gerade als er einsteigen wollte, vernahm er Bruce Stimme: „Dick!“ Abwartend drehte der erste Robin sich um, schaute auf seinen Vater, Freund und Mentor und wartete ab, was dieser ihm noch mitteilen wollte. „Danke.“ „Wofür?“ „Für deine Ansage.“ „War nötig“, kommentierte Richard nur. „Ich glaube auch...“ Mehr sagte Bruce nicht dazu. Er wechselte das Thema. „Barbara und dem Baby geht es gut?“ „Alles bestens“, bestätigte Richard, der sich fragte, worauf der Mann vor ihm hinaus wollte. „Ich werde zur Geburt ja nicht da sein. Kannst du Barbara alles Gute von mir wünschen. Ich...“ „Ruf sie doch einfach an und sag es ihr selbst“, unterbrach Richard ihn. „Dafür dürfte es zu früh sein...“ Typisch Bruce. Sobald es um Gefühle oder mehr ging, sofort zurückziehen und einen Ausweg aus der Situation finden. Nur nicht über die eigenen Empfindungen reden, schon gar nicht mit ihm. Richard nahm es hin, kannte es nicht anders und so stieg er ein. „Ich richte es ihr aus, auch, wenn ich der Meinung bin, dass du dies selber tun solltest.“ Während der Worte ließ Richard den Wagen an. „Viel Erfolg!“ Er gab Gas und verließ das Anwesen. Gegen 2:00 Uhr in der früh begrüßte ihn ein in Dunkelheit und Ruhe liegendes Haus. Einzig Jason kam ihm müde entgegen getrottet. Sanft kraulte er seinen Hund, bevor er ihn noch mal zum Austreten in den Garten ließ. Leise, Jason an seiner Seite, schlich Richard nach oben. „Unser Rosinchen lässt mich nicht schlafen“, erklärte Barbara leise, als er ihr Schlafzimmer betrat. Sie schaltete das Licht an, warf einen Blick auf den Radiowecker und lächelte, ehe sie sich aufsetzte und ihren Mann ansah. „Vielleicht kann ich es ja überreden zu schlafen. Bin nur schnell im Bad.“ Vorhin schrie sein Körper noch nach einer heißen Dusche. Im Augenblick jedoch wollte er nur schnell Zähne putzen und dann so schnell wie möglich an Barbaras Seite kriechen. Gedacht, getan. Nur ein paar Minuten später saß er neben seiner Frau im Bett und griff nach der kleinen Flasche, die neben ihr auf dem Nachttisch stand. Er ließ den Verschluss aufploppen, träufelte etwas von dem Öl auf die Hand und verrieb die Flüssigkeit zwischen den Händen um sie aufzuwärmen. „Wenn unser Rosinchen dann immer noch nicht schläft, bekommt es Kopfhörer auf und muss Mozart hören“, lachte er leise, während Barbara es sich gemütlich machte und die Decke von ihrem Körper schob. „Dann zeig mal, was du kannst!“, wisperte sie und genoss die warmen, kräftigen Hände, die sanft ihren immer praller werdenden Bauch einölten und leicht massierten. Zärtlich, aber spürbar glitten Richards Hände über den Körper vor sich. Er genoss diese Momente zu zweit. Ganz alleine mit der Frau, die er nun schon so lange liebte und ihrem ungeborenen Kind, hing er seinen eigenen Gedanken nach. Wie würde es sein, wenn das Kleine erst mal auf der Welt war? Inwieweit würde sich ihr Leben ändern? Anfangs fühlte er den Bewegungen ihres Roisnchens noch nach, doch schon bald schien ihr Würmchen eingeschlafen zu sein. Er nahm noch einmal etwas von dem Öl und machte einfach weiter, bis Barbara plötzlich sagte: „Ich glaube, ich wünsche mir eine Tochter.“ „Hmm“, machte er einfach, denn ihm war es wirklich vollkommen egal, ob er noch einen Sohn haben würde oder eine Tochter. Hauptsache ihr Kind war gesund. Als er jedoch Barbaras gerunzelte Stirn bemerkte, fühlte er sich gemäßigt, etwas dazu zu sagen. „Einen Sohn haben wir ja schon...“ „Ich glaube es liegt an Lian“, fuhr die Rothaarige fort. „Lian ist wundervoll und ich muss gestehen, ich fühl mich in der Rolle als Ersatzmutter pudelwohl und ich genieße die Zeit, die ich mit ihr verbringe. Es ist schwer Johnny so zu verwöhnen, wie Lian. Johnny schlägt eher nach dir.“ Wohlig seufzte sie auf, als seine Finger vorwitzig bei der Massage höher und tiefer wanderten. „Ihm reicht es, wenn er eine neue Jeans bekommt, ein neues Shirt oder Turnschuhe. Er will Baseball spielen, vor der Konsole sitzen und mit Tim spielen, Fahrrad fahren und auf Bäume klettern. Ihm ist es egal, wenn es zum Frühstück nur Cornflakes gibt. Zum Abendessen reicht ihm ein Burger oder Pizza.“ Ein Grinsen schlich sich auf Richards Züge. Ja, ihm reichte so was auch. Er musste nicht jeden Tag in einem Sterne-Restaurant essen gehen und in Smokings fühlte er sich schon immer fehl am Platz. Barbara dagegen mochte es schick auszugehen, zu shoppen und ab und zu mal ein Wellnesswochenende zu verbringen. Ihm war auch nicht entgangen, wie sehr Barbara in der Rolle der Ersatzmutter aufblühte. Sie verwöhnte Lian, wo es nur ging. Sie zauberte Roys Tochter wundervolle Frisuren, kaufte für sie wunderschöne Kleider und spielte mit ihr mit Johnnys alten Plüschtieren. „Du gehst mit Johnny zum Baseball, begleitest ihn zum Skateboard fahren und am Abend gönnt ihr euch einen Burger in der Stadt. Du unternimmst mit ihm all die Dinge, die Jungs so gerne tun. Du wirst seine Bezugsperson sein, wenn er älter ist. Er wird mit seinen Problemen eher zu dir kommen, als zu mir und du wirst es sein, der erfährt, wenn er sich zum ersten mal verliebt.“ „Und eine Tochter würde zu dir kommen...“ Leise seufzend beendete Richard die Massage, zog die Decke über seine Frau, kroch an ihre Seite und zog sie in die Arme. Er konnte ihren Wunsch verstehen. „Ist es schlimm, wenn ich ganz tief in mir drin auf eine Tochter hoffe?“ „Nein, ist es nicht, ganz bestimmt nicht. Wenn du dir eine Tochter wünschst, dann hoffe ich mit dir.“ Sacht strich er ihr über das Haar. „Willst du morgen zu Frau Doktor Westermann? Dann wissen wir, was unser Rosinchen wird.“ An seiner Schulter schüttelte sie den Kopf. „Nein, ich will mich überraschen lassen und egal ob wir eine Tochter bekommen oder noch einen Sohn. Wir werden unser Kind lieben...“ 18. --- Heute empfand Richard das Training mit den Kids als besonders anstrengend. So gern er die fünfzehn Jungs im Alter von sechs bis neun Jahren auch trainierte, stellte es sich manchmal nicht gerade als leichte Aufgabe dar. Als er sich vor drei Jahren entschied, die wohltätige Organisation zu unterstützen, ging er nicht davon aus, dies über so viele Jahre hinweg zu tun, aber er hatte Spaß dabei und so würde er auch nächste Woche wieder in die William-Bradford-Highschool fahren, um den Kindern die Grundlagen im Geräteturnen beizubringen. Kurz vor 18:00 Uhr machte er sich auf den Weg nach Hause. Unterwegs hielt er bei dem kleinen Blumenladen von Tobias Miller. Er wollte sehen, wie es dem jungen Vater ging und wie er den Mord an seiner Frau zu Weihnachten verkraftete. Eine kleine Glocke klingelte leise, als er die Tür öffnete. Er schien der einzige Kunde um diese Uhrzeit zu sein. Hinter dem Verkaufstresen stand Tobias und nickte ihm zu. Unter den Augen des Mannes lagen tiefe Schatten. Er wirkte übermüdet, schmaler, als zu Weihnachten und um den Mund hatten sich tiefe Falten gebildet. „Guten Abend“, grüßte Richard und trat tiefer in den Laden, dabei ließ er den Blick über die Blumen schweifen. Er wollte einen kleinen bunten Strauß mit nach Hause bringen, eine kleine Überraschung für Barbara. Keine roten Rosen, die würden ihr vielleicht nur suggerieren, dass er sein Versprechen, die beiden Abende frei zu halten, nicht einhielt. „Hallo“, grüßte Tobias zurück. „Wenn ich sie beraten kann, sagen sie es mir ruhig.“ „Ehrlich, ich könnte etwas Hilfe gebrauchen“, lächelte Richard. „Könnten Sie mir einen kleinen bunten Strauß zusammenstellen?“ „Für eine Frau oder einen Mann? Zum Geburtstag, einfach nur so oder als Entschuldigung?“ Der blonde Mann verließ seinen Platz hinter dem Tresen und trat zu ihm. „Als Überraschung für meine Frau.“ Richard sah, wie sich auf der Stirn des Mannes schmale Falten bildeten. Tobias schien angestrengt nachzudenken. „Müssen sie etwas gut machen?“ „So ungefähr“, lachte Richard. „Ich war die letzten Tage dienstlich sehr eingespannt.“ Nickend bestätigte Tobias Miller, dass er verstanden hatte und stellte einen kleinen, sehr schönen, bunten Strauß zusammen. „Haben sie es sich so vorgestellt?“ Tobias hielt den Strauß in Richards Richtung, der angetan nickte. „Soll ich ihn in Folie einschlagen oder einfach nur in Papier?“ „Papier! Folie sieht so nach Geburtstag aus.“ „In Ordnung.“ Nachdenklich verließ Richard, nachdem er bezahlt hatte, den Laden. Tobias Miller ging es offensichtlich nicht gut. Der Mann litt unter dem Verlust seiner Frau, um so erstaunlicher erschien es Richard, das der Witwer dennoch seinen Laden öffnete. Vielleicht gehörte Tobias ja zu den Personen, die sich lieber in die Arbeit stürzten. Richard fühlte sich nicht wohl bei dem Gedanken daran, dass sie im Mordfall Katie Miller, genauso wie Dean und der Rest der Mordkommission im Dunkeln tappten. Wie jeden Abend wartete Jason auf ihn. Als er die Haustüre öffnete, wurde er regelrecht von seinem Hund überfallen. Immer wieder sprang der Golden Retriever an ihm hoch und bettelte nach Aufmerksamkeit. „Ist ja gut.“ Richard streifte die Turnschuhe ab, stellte den Rucksack zur Seite, legte die Blumen auf den Schuhschrank und zog die Jacke aus, ehe er vor seinem treuen Freund in die Knie ging und diesen am Hals kraulte. „Du bekommst gleich was.“ Dieser, seit Jahren angewandte, Satz, sorgte dafür, dass der Hund sich einmal um sich selbst drehte und dann leise bellend in Richtung Küche verschwand. Nichts konnte Richards Laune trüben. Dieser Abend gehörte Barbara und ihm. Er entfernte das Papier, das Tobias Miller zum Schutz um den Strauß gewickelt hatte und gerade, als er den kleinen Korridor verlassen wollte, vernahm er das angenehme, tiefe Lachen seines besten Freundes. Roy war also wieder da. Für einen Moment schloss der dunkelhaarige Mann die Augen und atmete durch. So viel zu einem gemütlichen Abend zu zweit. „Es ist noch Kuchen da“, hörte er Roy rufen. Richards Heimkehr war nicht unbemerkt geblieben. „Bin gleich bei euch“, antwortete er. Bevor er sich zu Barbara und Roy gesellen konnte, musste er sich erst mal um Jason kümmern und diesem sein versprochenes Leckerli geben. Der Hund würde sonst keine Ruhe geben und ihn so lange mit der Schnauze anstoßen, bis er bekam, was ihm versprochen ward. Aus einer Dose, die auf der Anrichte stand, nahm er einen Hundekeks und reichte ihn Jason, der sich daraufhin zufrieden Richtung Kamin verzog und es sich davor gemütlich machte. Dank einem Kaffeevollautomaten, bekam der Dunkelhaarige seinen Kaffee genauso wie er ihn mochte - extra stark. Er lauschte den Geräuschen, die der Automat von sich gab, während die Bohnen gemahlen und das heiße Wasser mit einem Druck von etwa fünfzehn Bar durch den Kaffee lief. Zufrieden, den heißen Becher in der Hand, gesellte Richard sich dann zu seiner Frau und seinem besten Freund, die anscheinend schon seit einer geraumen Weile gemütlich zusammensaßen, da vor Roy, auf dem Glastisch, eine leere Bierflasche stand. „Wann bist du angekommen?“ Vorsichtig, um sich nicht an dem heißen Kaffee zu verbrühen, trank Dick von seinem Kaffee und blickte fragend über den Rand der Tasse zu zu Roy. „Gegen 14:00 Uhr“, antwortete Lians Vater und rutschte ein Stück auf dem Sofa, damit Richard sich zu ihnen setzen konnte. Verstehend nickend stellte Richard seine Tasse ab, beugte sich zu Barbara, gab ihr den obligatorischen Begrüßungskuss und strich dabei sanft über ihren Bauch, fühlte den Bewegungen ihres Kindes nach. „Hält unser Rosinchen dich schon länger auf Trab?“ „Seit wir hier sitzen“, lachte die werdende Mutter. „Unserer Rosine scheint langweilig zu sein.“ Neben seiner Frau nahm Richard Platz. „Wo sind die Kids?“ „Oben“, antwortete Roy und schlug ein, als Richard ihm die Hand zur Begrüßung reichte. „Dein Rotschopf hat schon berichtet, was in den letzten Nächten los war. Ollie scheint in Star City ganz gut alleine zurecht zu kommen. Er hat mich Silvester mal kurz angerufen. Wenn du magst, kann ich noch eine Woche hierblieben und euch meine Unterstützung anbieten.“ „Das Angebot werde ich nicht ausschlagen“, lachte Richard, angelte nach dem Teller seiner Frau und nahm sich von der Käse-Sahne-Torte. „Du kannst mir beim Aufbauen der Möbel helfen.“ „Diese Art der Unterstützung meinte ich zwar nicht, aber...“ Mit der flachen Hand strich der rothaarige Mann über das helle Polster neben sich und zeigte somit Jason, der mit schief gelegtem Kopf vor ihm hockte, dass er sich zu ihm gesellen durfte. Den Kopf auf Roys Schoß gelegt, genoss der Golden Retriever die Finger, die ihn daraufhin kraulten. Den Hund nicht aus den Augen lassend, erkundigte Lians Vater sich: „Ihr habt Hilfe bekommen?“ „Ja“, bestätigte Richard. „Er nennt sich Red Hood.“ Es war an der Zeit Roy alles zu erzählen, aber nicht hier und jetzt, sondern lieber in Ruhe, irgendwo, wo sie alleine waren, daher erkundigte er sich: „Erzähl mal, wie war es bei den Navajos?“ Lautes Poltern ließ die drei aufhorchen. Gleichzeitig blickten sie zur Treppe, dann vernahmen sie ein leises Weinen. „Mein Stichwort.“ Barbara erhob sich und stellte ihre Teetasse auf den Tisch. „Ich schau mal nach den beiden.“ Richard blickte seiner Frau nach und als sie sich außer Hörweite befand fragte er: „Was machen deine Träume?“ „Ich kann sie kontrollieren.“ Frech grinsend zuckte Roy mit den Schultern. „Sani hat mich ganz schön schwitzen lassen, im wahrsten Sinne des Wortes und mein Vorrat an Peyote dürfte für die nächsten drei Monate reichen.“ „Ich habs geahnt“, grinste Richard zurück. Nein, er würde seinen besten Freund nicht auf die halluzinogene Wirkung der Pflanze und den eventuell darauf folgenden Missbrauch hinweisen. Roy wusste sehr gut, wie er mit Peyote umzugehen hatte, ohne sich dabei zu schaden. Obwohl, wusste er dies wirklich? Nun, nachdem es ja so aussah, dass Lians Vater in der realen Zeitlinie wohl ein wirkliches Drogenproblem besaß? Und wieder kreisten Richards Gedanken um sein eigentliches Leben. „Ich weiß übrigens wer Red Hood ist.“ Mit diesem Satz schaffte Roy es tatsächlich Richard zu überraschen. Der dunkelhaarige Mann zog die Augenbrauen nach oben. „Erzähl!“ „Ich kenne ihn nicht persönlich, nur aus meinen Träumen. Jason, er war ein Robin.“ Fragend musterten die blauen Augen Richard, warteten auf eine bestätigenden Antwort, die nicht lange auf sich warten ließ, da der erste Robin nickte. „Hast du Barbara von deinen Träumen erzählt?“ „Nein, aber wir sollten dringend darüber reden, auch über dich, über Tim und über Jason, weil ich glaube, das es nicht nur Träume sind, die mich heimsuchen. Ich glaube dahinter steckt viel mehr.“ Und damit war es klar. Die Zeitreisen-Geschichte von Jason Todd schien realer zu sein, als Richard sich bisher eingestand. Dieses Wissen schlug ihm auf den Magen und so stellte er den Rest seiner Torte weg, ehe er murmelte: „Du glaubst gar nicht wie recht du damit hast.“ „Wieso soll ich eigentlich Babs nichts erzählen?“ Fragend, mit einem gewissen Vorwurf im Blick, musterte Roy seinen Freund. „Ich hab ihr einige Aspekte, die Red Hoods Auftauchen betreffen, verschwiegen. Zu ihrem Schutz. Vielleicht auch zu meinem... “ Die Schultern zuckend, zog Richard sein Smartphone aus der Hosentasche und klingelte bei Tim an, der sich nach dem ersten Klingeln meldetet. „Krisensitzung, 20:00 Uhr.“ Kurz, knapp, präzise. Mit drei Worten hatte Richard sein Anliegen vorgetragen. „Mit oder ohne Einsatz?“ Da Richard das Lautsprechersymbol auf dem Bildschirm betätigt hatte, konnte Roy mithören. „Ohne.“ „Gemütlich mit Bier vor dem Kamin oder...“ Das war Tim. Der Jüngere ist und blieb eine Frohnatur, allem etwas positives abgewinnen. Dazu kam, dass die Katze, in diesem Fall wohl eher die Fledermaus, aus dem Haus war. „Erst dienstlich, danach dann privat. Ich bring Roy mit.“ „Okay, bis nachher.“ Tim legte auf, ohne nachzufragen und ohne Neugierde zu zeigen. „Auch auf die Gefahr hin, dass du es wieder abstreitest, Dick, aber deine Zeit mit Batman und Bruce haben ihre Spuren bei dir hinterlassen. Du klangst gerade wie er. Du wirst einen guten Nachfolger abgeben, wenn es mal so weit sein sollte.“ Die Augen zu Schlitzen verengt, musterte Richard seinen Freund. „Ich werde niemals sein Cape tragen.“ Er wollte nichts davon hören. Er würde niemals im Leben Batman sein, daher wechselte er das Thema: „Willst du auch ein Bier?“ Ohne auf Roys Antwort zu warten, erhob der Mann sich, ging zum Kühlschrank, entnahm diesen zwei Flaschen und öffnete sie. „Du hast sein Cape schon getragen.“ Roy war ihm gefolgt und nahm ihm nickend ein Bier ab. „Ich hab dich gesehen, in seinem Kostüm.“ Die Bierflasche schon zum Trinken an die Lippen geführt, ließ Richard sie wieder sinken. Ungläubig schaute er Ollies ehemaligen Sidekick an. „Glaub es mir, oder nicht. Ich weiß, was ich gesehen habe - dich als Batman.“ Neben dem Kühlschrank verharrte der dunkelhaarige Mann und traute seinen Ohren nicht. „Wann? Wieso?“ Unbegreiflich. Er war sich immer sicher gewesen, niemals in die Fußstapfen seines Mentors zu treten und nun sagte Roy ihm, dass er es getan hatte. „Bruce verließ Gotham, da er die wohl schlechteste Entscheidung seines Lebens traf. Er bat dich, seinen Platz einzunehmen und du nahmst an.“ „Will ich wirklich wissen, was geschehen ist?“ Es war zum Verzweifeln. Neugierde und Verdrängung kämpften in ihm um die Vorherrschaft. Natürlich war er neugierig darauf zu erfahren, was Roy träumte, auf der anderen Seite aber, wollte er nicht mehr über sein eigentliches Leben wissen. Anscheinend blieb ihm aber keine andere Wahl. Er befand sich mittendrin. Er musste sich den Tatsachen stellen und der Wahrheit, oder besser gesagt der anderen Realität, in die Augen schauen, aber was, wenn er dort nur einen tiefen Abgrund fand? „Können wir heute Abend darüber reden?“ Zustimmend nickend trank Roy von seinem Bier. „Du hast vorhin Möbel erwähnt? Wollen wir anfangen sie aufzubauen? Dann sind wir schneller fertig.“ Nachdenklich nickte Richard und verfluchte innerlich diesen Abend, denn seinen ersten freien Abend, hatte er sich den gesamten Nachmittag über anders ausgemalt, aber wie das Leben nun mal so spielte, erstens, kam es anders, zweitens, als man denkt. Im Kopf hatte er schon heute morgen die Kids und Jason an Jenny verkauft, damit er und Babs mal wieder ein paar Stunden nur für sich alleine hatten. Manchmal ließ ihn das Gefühl nicht los, dass ihr privates Leben auf Eis lag, von Romantik und Zweisamkeit mal ganz zu schweigen. Ihm fehlte seine Frau, ihre Nähe, ihre Wärme, ihr Geruch, ihre Hände auf seiner Haut. Es war zum Mäuse melken. Jedes mal musste er seine eigenen Interessen und sein Verlangen hinten anstellen. Natürlich freute er sich darüber, dass Roy zurück war und ihm helfen würde, die letzten Handgriffe für das neue Kinderzimmer zu erledigen, aber mal ehrlich, war es zu viel verlangt, wenn er einfach nur mal mit der Frau alleine sein wollte, die er liebte? Richard ergab sich der nun gegebene Situation und schaute nur auf den positiven Effekt. Er würde die Möbel nicht alleine zusammenschrauben müssen. Zu zweit ging dies schneller und leichter, dazu kam, dass er sich bei der Arbeit mit Roy unterhalten konnte. Woran er nicht dachte, war die Tatsache, dass sich im Haus zwei Kinder, im Alter von sechs und fünf Jahren aufhielten, die ihren Vätern unbedingt hilfreich zur Hand gehen wollten. 19. --- Kurz vor 20:00 Uhr rief Richard seinen Bruder an, um das anberaumte Treffen auf zehn Uhr zu verschieben. So bekamen sie die Möglichkeit die Kinderzimmermöbel fertig aufgebaut zu bekommen und Lian die Chance nach der langen Zeit wieder einmal mit ihrem Vater zu Abend zu essen und von ihm ins Bett gebracht zu werden und während Roy Johnny und Lian eine Gute-Nacht-Geschichte vorlas, deutete Barbara auf den Strauß, den Richard ihr mitgebracht, aber nie gegeben hatte. Sie hatte die Blumen später auf der Anrichte in der Küche gefunden und ins Wasser gestellt. „Ich weiß, Du hast Dir den Abend anders vorgestellt.“ Spielerisch glitten ihre Fingerspitzen über sein rechtes Knie. Er fühlte das Kribbeln in sich, spürte die warmen Wellen, die ihre Berührungen auslösten und griff nach ihrer Hand. Tief sah er ihr in die grünen Augen, zeichnete mit den Fingern der freien Hand den Schwung ihrer Augenbrauen nach und antwortete leise: „Es kommen wieder bessere Zeiten...“ Leise seufzend lehnte Barbara sich an ihren Mann. „Schön das ihr die Möbel aufgebaut habt. Jetzt kann ich endlich anfangen alles einzuräumen.“ „Das nächste mal...“ Richard schluckte. Hatte er tatsächlich gerade das nächste mal gesagt? Würde es ein nächstes Mal geben? Würde ihnen das Glück noch einmal hold sein? Wollte er überhaupt noch ein Kind? Waren zwei nicht eigentlich genug? Skeptisch schaute Barbara ihn an, die Augenbrauen leicht zusammengezogen. „Das nächste mal?“, wiederholte sie leise. „Hatten wir nicht...“ Tief atmete sie durch und löste sich aus seinen Armen. Verunsichert strich sie sich durch das lange, rote Haar. „Ein oder zwei“, murmelte sie und erinnerte an die Gespräche, die sie damals führten, bevor sie verheiratet waren und auch danach. „Wenn wir das nächste mal Möbel kaufen, dann gleich mit Aufbauservice...“ Kam er so davon? Es war nicht der rechte Zeitpunkt um über so ein sensibles Thema zu reden. Dennoch konnte er das Thema nicht unkommentiert im Raum stehen lassen, deshalb zog er seine Frau wieder zu sich und wisperte: „Egal für was du dich oder wir uns entscheiden. Es wird richtig sein...“ „Wird es“, bestätigte sie, schloss die Augen und genoss einfach nur schweigend, wie er, den eigenen Gedanken nachhängend, seine Nähe, bis Roy im Wohnzimmer erschien und die beiden Männer sich auf den Weg machten. Tim erwartete sie schon, gemütlich vor dem riesigen Bildschirm in der Höhle sitzend und ein Rollenspiel zockend. „Ist die Katze aus dem Haus, tanzen die Mäuse auf dem Tisch“, kommentierte Richard die Szenerie. „Bei uns wären es die Fledermaus und das Rotkehlchen“, antwortete der derzeitige Herr über Wayne Manor, während er das Schwert seines Elfencharakters gegen ein neues, stärkeres austauschte. Dann erst speicherte Timothy und wand sich von dem Geschehen ab. „Du sagtest etwas von Krisensitzung?“ Nickend trat Richard an ihren Besprechungstisch und nahm Platz. „Red Hood... Ich muss wissen, was an seiner Geschichte dran ist. Ich glaube Roy kann uns dabei eine wirkliche Hilfe sein.“ „Ich?“ Zweifelnd schaute der Rotschopf von Richard zu Tim und wieder zurück. „Deine Träume scheinen irgendwie in einem Zusammenhang mit Red Hoods Auftauchen zu stehen.“ Je länger der erste Robin darüber nachdachte, um so sicher war er sich. „Es kann doch kein Zufall sein, dass du von Erlebnissen träumst, die sich nie ereigneten und Jason Todd mir ähnliches erzählt. Ich muss einfach erfahren, in welcher Art und Weise dies zusammenhängt.“ „Dick, bevor ich euch in meine Träume einweihe, sollte ich vielleicht erfahren, was sich seit Weihnachten zugetragen hat.“ Wie Richard ließ sich nun auch Roy an dem großen Tisch nieder. „Kannst du den Mitschnitt abspielen!“, bat Nightwing seinen jüngeren Bruder, der nickend die entsprechende Datei aufrief. Nur ein paar Sekunden später, wohnte Roy Nightwings erster Begegnung mit Red Hood bei. „Eindeutig, dass ist er - Red Hood. Jason Todd aus meinen Träumen. Wie kann das sein?“ Mit zusammengekniffenen Augen starrte Ollies ehemaliger Sidekick auf den Bildschirm. „Das ist es, was ich herausfinden will.“ Richard griff nach einem Kugelschreiber, der einsam und verlassen auf der Tischplatte lag. „Es gibt einen gemeinsamen Nenner und das ist Red Hood. Was hast du von ihm geträumt?“ Niemand bemerkte Alfred, der leise, mit einem Tablett die Höhle betrat. „Ein Bier wäre mir lieber“, lachte Roy, nahm Alfred dennoch dankbar nickend die Tasse mit Earl Grey ab, ehe er weitersprach: „Nicht viel, Richard. Sicher nicht genug. Er war wohl ein Robin, nach dir, vor Tim. Er starb, kam aber wieder und hat euch wohl das Leben schwer gemacht. Ich...“ Roy verstummte und schüttelte den Kopf. „Es ist komisch, da ich das Gefühl habe, ihn ziemlich gut zu kennen.“ „Tim, könntest du deine Zeitlinientheorie noch mal raus kramen?“ „Klar.“ Nightwing und Alfred lauschten, ihren Tee genießend, dem Gespräch, welches ähnlich wie damals verlief. Erst nachdem Roy vollständig eingeweiht war, fuhr Richard fort: „Wir müssen versuchen Gemeinsamkeiten herauszufinden, die Geschichten irgendwie sortieren und Überscheidungspunkte suchen. Was ist gleich, was weicht voneinander ab.“ „Ich hab da schon mal was angefangen.“ Timothy öffnete eine neue Datei. Namen erschienen, Photos, wenn er welche in den Tiefen des Netzes gefunden hatte. „Auf dem linken Bildschirm sind wir.“ Unnötig, dass Red Robin darauf hinwies. Es war nicht zu verkennen. Bruce befand sich in der Mitte, einmal als Privatier und einmal als Batman. Über den beiden Bildern seine Eltern, Martha und Thomas Wayne und Alfred. Unter Bruce fand sich Richard wieder, als Dick, als Robin, als Nightwing. Neben ihm sah er Barbara auch als Batgirl und um den Stammbaum fortzusetzen, strahlte ihn sein Sohn an. Natürlich hatte Timothy sich und Ariana als den anderen Zweig nicht vergessen. Vervollständigt wurde der Stammbaum und die Zeitlinie durch Richards Eltern, ihren Todessturz, Tims Mom und Dad und Commissioner Gordon. Natürlich hatte Red Robin auch an Ollie, Roy und Lian gedacht. „Unsere Zeitlinie...“ Auf dem rechten Bildschirm tat sich etwas. „Jasons Zeitlinie. Sein Stammbaum, soweit er es dir erzählte. Aus Mangel an Fotos, meist nur mit Namen versehen.“ Beinah ähnlich, aber dennoch anders. Roy erhob sich und trat näher. „Ich kenne sie - alle. Spoiler, Black Bat, Damian, die Nervensäge. Gib mir mal die Tastatur!“ Tim reichte Roy das Keyboard. „Okay, ich versuch mal den Rest aufzulisten. Vor allen Dingen die Teams.“ Während Arsenal tippte, erklärte er leise, was er tat. „Es gibt die TeenTitans. Ihr Anführer Robin, später Nightwing. Ich gehöre dazu, Kid Flash, Aqualad, Wonder Girl und diverse andere wie Starfire. Von ihnen kenne ich die Namen. Ist eine schöne Rechercheaufgabe.“ Noch während Roy die Namen eintippte, sortierte Tim die Daten. „Dann gibt es noch die JLA - Justice League of America. Ihr Vorsitzender ist Batman. Zu der Gruppierung gehören Superman, Wonder Woman, Green Lantern, Flash und Green Arrow. Natürlich darf die Young Justice nicht fehlen. Wer meint ihr ist ihr Anführer?“, lachte Roy. Alfreds und Richards Blicke wanderten zu Tim, der nickend bestätigte, dass er verstand und ein leises: „ich“, von sich gab. „Die Batboys scheinen geborene Führungspersönlichkeiten zu sein.“ Noch immer mit der Tastatur bewaffnet, tippte Roy weiter. „Zu deinem Team gehören Impulse, Arowette, noch ein Wonder Girl und Superboy. Und dies sind noch nicht mal alle Superhelden die es auf der Welt gibt. Aber für mich scheinen sie irgendwie wichtig zu sein. Zumindest scheinen sie eine größere Rolle in meinem Leben zu spielen.“ „Und wo sind die alle?“ Nachdenklich kratzte Timothy sich über der rechten Augenbraue. „Ich habe keine Ahnung.“ Roy zuckte mit der Schulter, schrieb den letzten Namen auf und schob die Tastatur von sich. Tief in die eigenen Überlegungen versunken, saßen die vier Männer in der Höhle und tranken von dem heißen Tee. Richard konnte kaum glauben, was er eben erfahren hatte und las immer wieder die Namen auf dem Bildschirm. „Können wir davon ausgehen, dass die Mitglieder der JLA ihre eigenen Kinder, oder wie in unserem Fall, ihre Adoptivkinder, zu ihren Gehilfen machten?“ „Einige Namen scheinen darauf hinzudeuten“, murmelte Timothy. „Wäre schön, wenn Red Hood hier wäre. Er könnte uns sicherlich eine ganze Menge erklären“, dachte Richard laut. „Was ich nicht verstehe, Roy, ist die Tatsache, dass du davon träumst.“ So viele Fragen, so viele neue Namen, so viel ungeklärte Identitäten. Wallace Rudolph West, an diesem Namen blieb Nightwings Blick hängen und so tippte er ihn ein, startete die Suche und wartete gespannt ab. Tatsächlich fand er einen Wally West, Tatortfotograf, sesshaft in Keystone City, verheiratet mit Linda Park, zwei Kinder, Barry und Iris. „Es scheint, als hätten Rewind und Repeat einen Weg gefunden um alle Superkräfte außer Kraft zu setzen, eventuell für immer...“ Auf Richards Bemerkung ging Roy nicht wirklich ein. „Es gibt keine Metawesen bei uns, keine Außerirdischen, dabei müsste die Welt voll von ihnen sein, wenn meine Träume der Realität entsprechen.“ „Ohne Jason kommen wir nicht weiter“, knurrte Richard. „Und so lange er uns nicht mitteilt, was genau er von uns möchte, werde ich in Sachen Zeitlinien nichts mehr unternehmen. Es ist zu mühselig sich alleine auf Spekulationen zu verlassen.“ Er erhob sich. „Ehrlich gesagt habe ich keine Lust mehr, mir darüber den Kopf zu zerbrechen. Ich dreh lieber noch eine Runde.“ Gesagt getan. Richard ging sich umziehen und Tim und Roy folgten seinem Beispiel. [-3. Wieder mal zu spät dran, Robin?] ------------------------------------- [-3. Wieder mal zu spät dran, Robin?] Landeanflug, 9:35 Uhr, Gotham City. Vor sechs Monaten hatte er nicht nur Gotham verlassen, sondern auch Bruce, Alfred, Barbara und Batgirl. Nun kehrte der verlorene Sohn, Freund und Partner zurück. Was würde ihn erwarte? Im fernen Südostasien und in der Abgelegenheit der verschiedensten Klosteranlagen, die er besuchte und in denen er zurückgezogen lebte, um in die Geheimnisse der uralten Kampftechniken eingeweiht zu werden, hatte er sich nicht immer auf dem Laufenden halten können, dazu kam der fehlende Kontakt zu Bruce. Ab und zu hatte er seinem Adoptivvater eine Mail geschrieben, kurz und nur das Notwendigste enthaltend. Schnell ein paar Sätze, in denen nicht mehr stand, außer, dass es ihm gut ging und auch ansonsten alles in Ordnung war. Genauso unpersönlich antwortet Bruce, ohne ihn mit Neuigkeiten zu versorgen. Anders waren da Alfreds Mails und Briefe. Der Butler hatte ihm beinah jeden Tag geschrieben, hielt ihm auf den Laufenden was Bruce und dessen alter Ego Batman betraf und so erfuhr Dick, dass Bruce sich privat mehr und mehr zurückzog, im Gegensatz dazu aber den Playboy mehr denn je heraushängen ließ und sich von einem Frauenabenteuer in das nächste stürzte. Und Batman, Batman wurde mürrischer, wortkarger und schien brutaler denn je unter seinen Gegnern aufzuräumen. Alfred meinte, dass ihm ein jugendlicher Partner fehlte, genauer gesagt, er, als Robin und dessen Unbeschwertheit, die er sich trotz dem Tod seiner Eltern bewahrt hatte. Selbst Batgirl hatte sich anscheinend von dem Dunklen Ritter abgewandt und zog ihr eigenes Ding durch. Batgirl. Mit einem Grinsen auf den Lippen, erinnerte Dick sich an den Kuss in der Gasse. Heiß war er gewesen, aufregend und mit einem gewissen Verlangen gepaart. Eigentlich war Dick davon ausgegangen Batgirl nicht vergessen zu können, aber es kam anders. So nach und nach verblassten die Erinnerungen an sie und die lodernde Glut seines Verlangens erlosch. Innerhalb eines Monats war ihm klar geworden, dass er für die unbekannte Schöne einfach nur schwärmte. Er hatte sich wohl als Robin in sie verguckt und nicht als Richard Grayson. Im Laufe der Tage, die er in Bangkok und dann im Norden Thailands in einem kleinen Dorf in der Nähe von Chiang Rai verbrachte, ließen die Gedanken an sie nach. Dafür nahm jemand anderes den Platz in seinem Herzen ein. Barbara Gordon schlich sich in seine Träume und in seine Überlegungen. Sie war es, die er nicht vergessen konnte, was wohl auch daran lag, dass sie sich regelmäßig Mails schrieben und auch an dem letzten Abend, den sie zusammen hatten verbringen können. Noch heute konnte er ihre Hände an seiner Hüfte fühlen, ihre Nähe spüren und den Duft ihrer Haare riechen. Wenn er sich auf etwas in Gotham freute, dann auf die Tochter des Commissioners und Alfred, der ihn in seinem üblichen schwarzen Anzug, nach der Kontrolle, erwartete. „Alfred!“ Richard winkte der treuen Seele, schulterte seinen Rucksack und hielt direkt auf den älteren Herrn zu. „Master Richard!“ Ein ehrliches, warmes Lächeln lag auf den vertrauten Gesichtszügen. „Ich freue mich sie gesund und munter begrüßen zu können.“ „Ich freu mich auch, Alfred.“ Und als Bruce Waynes Butler Richard zur Begrüßung die Hand reichen wollte, ergriff dieser die Finger des Mann und zog ihn kurz, aber heftig an sich. „Bruce befindet sich in Tokio?“ „Er reiste heute morgen ab“, bestätigte der langsam ergrauende Mann. „Ich kann allerdings nicht sagen, ob er die Geschäftsreise so plante, um ihnen aus dem Weg zu gehen oder ob es sich um einen Zufall handelt.“ Die Schultern zuckend, nahm Richard es hin. Vor zwei Wochen hatte er Bruce seine Rückkehr mitgeteilt. Zu diesem Zeitpunkt stand der Termin in Japan wohl noch nicht fest. War er enttäuscht? Schon, ein wenig, aber auf der anderen Seite, war der junge Mann froh darüber, dass er sich nicht mit Bruce Wayne auseinandersetzen musste. So bekam er genügend Zeit sich neu zu organisieren und wie er Alfred kannte, hatte dieser seine Wünsche berücksichtigt und sich um deren Erfüllung gekümmert. „Nach Hause?“ Obwohl er die meiste Zeit im Flugzeug geschlafen hatte, fühlte Dick sich ein wenig erschlagen. Nur noch etwas essen, danach ins Bett und ab morgen ein neues Leben beginnen, ein Leben als Richard, nicht mehr als Dick. In den sechs Monaten hatte er sich überall als Richard vorgestellt. Dick gehörte der Vergangenheit an, genauso wie Robin. Er war nicht mehr der Junge, der Bruce und Batman folgte. Er war sein eigener Herr und genauso wollte er nun auch leben. Was er als nächstes tun würde? Definitiv etwas anderes studieren, vielleicht Sportwissenschaften? Sicher war er sich da noch nicht. „Nach Hause“, nickte Alfred. „Ich war so frei und habe alles für eine Salami und eine Thunfisch-Pizza vorbereitet. Als Dessert gibt es Tiramisu. Ich dachte, dass sie nach sechs Monaten in Asien und Südostasien, Appetit auf etwas richtig ungesundes haben.“ „Wie recht du hast, Alfred.“ Lachend lief Richard Richtung Parkplätze los und freute sich auf die selbstgebackenen Pizzen von Alfred, nach all dem Reis, dem Gemüse und dem vielen Hühnchen. Thailand war toll gewesen, nicht umsonst schrieb man diesem Land die beste Küche der Welt zu, aber in Kambodscha und Laos spürte er, dass dies immer noch dritte Welt Länder waren und ein Problem mit abwechslungsreichen Essen besaßen. Von daher hatte er ab und zu die anstrengende Reise mit einem kleinen Bus auf sich genommen, um in die nächst größere Stadt zu fahren, wo er dank der französischen Kolonialzeit Baguette und Croissant bekam. Einige Zeit später saßen die beiden so unterschiedlichen Männer zusammen in dem kleinen, gemütlichen Wohnzimmer, nicht in dem großen, welches Bruce bevorzugte. Leise prasselte der offene Kamin vor sich hin, strahlte seine Wärme aus und Richard, der die Füße auf die Couch gezogen hatte und die Pizzaschachtel auf dem Schoß liegen hatte, blickte in die gelb-orangenen Flammen, die mit ihren gierigen Fingern nach den Holzscheiten, die Alfred eben erst aufgelegt hatte, fassten. Leise, der Stimmung angepasst, berichtete der ehemalige Artist von dem Moloch Bangkok, den Garküchen, den Einkaufstempeln, den Menschen und der unglaublichen, nicht greifbaren Atmosphäre. Er erzählte von den Klongs, die er er besuchte, vom Königspalast und all den anderen Sehenswürdigkeiten, von dem Trubel im Nachtleben, den hübschen Frauen und den Ladyboys, den Kathoeys. Lächelnd, in seinen Erinnerungen versunken, beschrieb er, wie er im Norden des Landes gegrillte Schlange probierte, wie er Heuschrecken und anderes Getier aß, wobei die fetten, weißen Maden, so gar nicht seinem Geschmack entsprachen, viel zu mehlig und trocken. Nachdem er über zwei Stunden lang Alfred die wichtigsten Ereignissen erzählte, beschloss er schlafen zu gehen. Gähnend erhob er sich, dann begab er sich nach oben. Es fühlte sich eigenartig an, wieder durch die ruhigen, immer ein wenig düster wirkenden, Gänge zu laufen. Erinnerungen holten ihn ein, Gefühle überschwemmten ihn, Kleinigkeiten, von denen er dachte, sie längst vergessen zu haben, erwachten in ihm zu einem neuen Leben - der Tag an dem er von Bruce den Bilderrahmen mit dem Foto seiner Eltern erhielt und Bruce ihm dabei erklärte, dass sie immer bei ihm sein würden, tief in ihm drinnen, tief in seinem Herzen verankert, dass er nur an sie denken müsste, wenn sie ihm fehlten, dass er die Trauer zulassen sollte, selbst wenn sie schmerzte und dass er sich seiner Tränen nicht schämen bräuchte. Damals war er Bruce für die ehrlichen, offenen Worte dankbar gewesen. Heute wusste er, dass Bruce sich an seine eigenen Ratschläge mitnichten hielt. Das erste, was er tat, als er sein altes Zimmer betrat, war das Foto seiner Eltern aus dem Rucksack zu holen. Ein klein wenig zerknittert und an der linken Seite leicht eingerissen, hatte das Bild die Reise ansonsten gut überstanden. Noch immer stand der leere Bilderrahmen dort, wo er ihn vor seiner Reise abgestellt hatte. Mit einem wehmütigen Lächeln gab Richard dem Bild seinen alten Platz wieder. Danach kippte er den Inhalt seines Trekkingrucksacks einfach auf das frisch bezogene und ordentlich gemachte Bett. Obwohl er hundemüde war, sortierte er den Inhalt in aller Ruhe. Die dreckige Sachen landeten einfach auf dem Fußboden, seinen Discman, den Fotoapparat, diverse CDs und die Batterien landeten erst mal auf dem Schreibtisch, die Waschtasche stellte er ins Bad, nachdem er die Dreckwäsche im Wäschekorb versenkte. Nun lagen nur noch seine Mitbringsel auf dem Bett, für Alfred eine Auswahl an getrockneten Kräutern aus Thailand, ordentlich in kleine Tütchen verpackte und direkt aus dem Wat, in dem er sich beinah einen Monat aufhielt, um sich in die Geheimnisse des Krabi Krabong einweihen zu lassen. Für Bruce hatte er ein altes Buch über die Geschichte Siams mitgebracht. Am schwersten war ihm die Suche nach einem Geschenk für Barbara gefallen. Letztendlich hatte er sich für einen kleinen Elefanten entschieden, fein gearbeitete und aus Duftholz geschnitzt. Dies würde sein sofortiges Geschenk sein, anders sah es da schon mit dem kleinen, silbernen Anhänger aus, der sicher verwahrt, in einer kleinen runden Schachtel lag. Nachdenklich betrachtete er die winzige Fledermaus mit den ausgebreiteten Schwingen. Barbara würde seine Verbündetet werden, zumindest, wenn ihre Vertrautheit, die sechs Monate getrennt sein, überstanden hatte. Nur ein Treffen würde ihm die entsprechende Antwort geben können. Das Kribbeln in seinem Magen zeugte davon, wie sehr ihm seine Lieblingsbibliotheksangestellte fehlte, und als hätte Barbara gespürt, dass er an sich dachte, läutete das Telefon in seinem Zimmer. „Grayson“, meldete er sich, nachdem er die kleine Schachtel in der Schublade seines Nachttisches verstaute. „Hallo Dick.“ Eine Gänsehaut rann ihm den Rücken hinab, als er die samtweiche Stimme vernahm. „Ich wollte dich auch gerade anrufen.“ Mit dem schnurlosen Telefon verzog er sich auf sein Bett, streckte sich aus und machte es sich gemütlich. Zum Glück konnte niemand sehen, wie er nervös mit der Ecke des Kopfkissens spielte. Aufgeregt schlug das Herz in seiner Brust. „Ich wollte nur mal hören, ob du gut gelandet bist.“ „Bin ich. Bin gerade am auspacken.“ Sein Blick glitt zu der Funkuhr, die über seinem Schreibtisch hing. Noch nicht mal 19:00 Uhr, eigentlich noch keine Uhrzeit, um ins Bett zu gehen. Außerdem war seine Müdigkeit plötzlich wie weggeblasen. „Hättest du Zeit für einen Kaffee?“ „Immer“, lachte die rothaarige Frau am anderen Ende der Leitung. „Wann und wo?“ „Vielleicht auch eine Kleinigkeit essen?“ „Gern...“ „Okay, ich spring fix unter die Dusche. Sagen wir gegen halb neun im 'San Sebastian'. Beruf Dich auf mich oder Bruce, dann bekommst du einen Tisch, falls du vorher da bist.“ „Klingt gut. Ich warte dann dort auf dich.“ „Bis gleich.“ Das: ich freu mich, konnte er sich gerade noch verkneifen. Lächelnd und aufgeregt wie ein kleiner Junge zu Weihnachten, beendete er die Verbindung und raffte sich auf. Scheiß auf den Jetlag. Er wollte Barbara sehen. Hektik überkam ihn, als er ins Bad eilte und sich unter die warmen Wasserstrahlen der Dusche verzog. Eigentlich hatte er eher an eine Runde in der Wanne gedacht, nachdem er ein halbes Jahr lang, auf beinah jeglichen Komfort verzichten musste, aber das konnte er morgen noch immer nachholen. Die Wanne lief ihm nicht davon, aber vielleicht Barbara. Erfrischt und nicht mehr nach langem Flug riechend, schlüpfte er in frische Sachen, rasierte sich und betrachtete sich im leicht beschlagenen Spiegel. Blaue Augen strahlten ihn an. Grinsend wuschelte er sich mit den Fingern durch das länger gewordene schwarze noch feuchte Haar. Ihm gefiel es. Hoffentlich mochte Barbara seine neue Frisur, die ja eigentlich keine war, auch. Wenn er wirklich pünktlich sein wollte, dann musste er jetzt wohl oder übel zum Föhn greifen. Kurz danach eilte er in die Garage. Alfred hatte die Plane von seiner Kawasaki entfernt. Das Bike glänzte wie neu und er war sich sicher, dass sie in dem halben Jahr seiner Abwesenheit gewartet worden war, von dem besten Butler der Welt. Sacht glitten seine Finger über den Tank. „Grüßen sie Miss Gordon!“ Unbemerkt, wie immer, war Alfred hinter ihm aufgetaucht. „Mach ich, Alfred. Genießen sie den freien Abend!“ Auf diesen Rat ging Alfred nicht weiter ein, stattdessen sagte er: „Ich werde mit einer Überraschung auf sie warten.“ „Lieber nicht, Alfred. Ich weiß nicht, wann ich wiederkomme.“ „Dann erhoffen sie sich mehr von ihrer Verabredung?“ „Alfred!“ Verblüfft durch die Frage, schaute Richard den Vertrauten an. Tat er das? Erwartete er tatsächlich mehr von diesem Abend? Tief in sich, anscheinend. Dennoch hieß es erst einmal abwarten. Immerhin hatte er Barbara über sechs Monate nicht mehr gesehen. Auch, wenn sein Herz gerade aufgeregt schlug, wusste er nicht, ob dies nachher, wenn er ihr gegenüberstand noch der Fall sein würde.Vielleicht machte er sich ja auch nur etwas vor. Ihm war es, als er sich in der Ferne befand, wichtig gewesen, einen Fixpunkt zu besitzen, etwas, auf das er sich freuen durfte, wenn er zurückkehrte. Obwohl Barbara und er, wann immer es möglich war, telefonierten, hatte er keine Ahnung, ob sie in der Zeit nicht jemanden kennenlernte. Er hatte sich nie getraut zu fragen. „Ich werde sehen, was der Abend bringt.“ Er schloss den Reißverschluss der dicken Lederjacke, setzte den Helm auf, zog die Handschuhe über und bemerkte, wie sehr ihm in Asien ein Motorrad gefehlt hatte. Er spürte die Aufregung in sich. Endlich wieder zwei Räder unter dem Hintern. Okay, zugegeben, das Kribbeln konnte auch gut mit Babs zu tun haben. „Master Richard!“ Fragend blickte Richard noch einmal zu Alfred, nachdem er auf seiner Z Platz genommen hatte. „Ihre Kawasaki verfügt unterdessen über ein paar mehr PS. Ich war so frei, den Drosselsatz zu entfernen.“ Mit keiner Silbe hatte Dick daran gedacht. 106 PS unter dem Hintern. Nun freute er sich nur noch mehr darauf sein Bike zu fahren. „Manchmal frag ich mich, wie viele Seiten deine To-Do-Liste umfasst. Du vergisst niemals auch nur eine Kleinigkeit.“ Grinsend schloss er das Visier. „Bis dann.“ Es tat so unglaublich gut, wieder mit dem Motorrad in Gotham unterwegs zu sein. Zuhause. Wollte er diese Stadt wirklich verlassen? Ja, er hatte sechs Monate Zeit gehabt, darüber nachzudenken. Seine erste Wahl war auf Star City gefallen, seine zweite auf Blüdhaven. Blüdhaven würde wohl siegen, nicht zu weit entfernt, um eingreifen zu können, falls tatsächlich einmal Not am Manne sein sollte, aber fern genug, um Bruce nicht ständig über den Weg zu laufen. Ihm war nicht wirklich klar, was geschah, dass Bruce und er sich nur noch gegenseitig nervten? Gut, sie teilten nicht immer eine Meinung, aber dies schien für ihn nicht wirklich der Auslöser gewesen zu sein. Vielleicht lag es tatsächlich nur daran, dass er unterdessen erwachsen war und sein eigenes Weltbild entwickelte. Er wollte nicht der düstere Held sein, den man entweder liebte oder hasste. Richard wollte nicht, dass die Bewohner Gothams in Angst vor ihm lebten. Er wollte nicht eine ganze Stadt einschüchtern, nur die Kriminellen. Noch immer sah er die aus Angst geweiteten Augen des kleinen Jungen vor sich, als Batman dessen Vater, nicht gerade auf zimperliche Art und Weise, überwältigte, nur weil er in der Wohnung Crystal hortete und dieses auf der Straße vertickte. Der Mann wollte auch nur für seine Familie sorgen. Bruce Brutalität hätte nicht sein müssen. Er war sich sicher, der Vater wäre auch so mitgekommen, alleine schon, um seinen Jungen zu schützen. Zudem war der Mann nur ein kleines Licht in der Kette des Drogenhandels gewesen und hatte sich im Gefängnis das Leben genommen. Über ihn war das GCPD auch nicht an die Drahtzieher gekommen. Es gab nur wieder eine Waise mehr in der Stadt. Richard hatte Kontakt zu dem Waisenhaus aufgenommen, versucht herauszufinden, in welcher Pflegefamilie der Vierjährige untergekommen war, aber ohne Erfolg. Die Unterlagen zu diesem Vorgang waren auf unerklärliche Weise verschwunden. Nach diesem Vorfall hatten Bruce und er sich mörderisch in die Haare bekommen. Richard verteidigte seine Einstellung gegenüber Unschuldigen und Kindern, aber Bruce wollte all seine Einwände nicht hören, brummte nur etwas von Lektion fürs Leben und davon, dass der Junge sich erinnern würde, egal, was er in seinem zukünftigen Leben anstellen würde. Nein, jetzt wollte Dick nicht weiter darüber nachdenken, auf ihn wartete Barbara. Diesmal kam Ramirez direkt auf ihn zu, nachdem er vorfuhr und nahm ihm die Kawasaki ab, um sie auf den Parkplatz des Restaurants zu fahren. Julio, ihr Kellner von damals, bemerkte ihn, nachdem er eintrat, winkte ihm und nickt in Richtung der abgetrennten kleinen Tische. „Danke, Julio.“ Es dauerte einen Moment, bis Richards Augen sich an das Dämmerlicht gewöhnten. Sein Blick glitt über die Tische, die verteilt in den gemütlichen, kleinen Ecken standen und dann entdeckte er sie - Barbara Gordon. Leuchtend rot flammte ihr Haar auf, als sich das flackernde Licht der Kerzen, die vor ihr auf dem Tisch standen, in den Strähnen brach. Die schlanken Finger um ein Glas mit Wasser gelegt, schien sie tief in Gedanken versunken. Ein freudiges Lächeln stahl sich auf Richards Lippen, als er sie von seinem Standpunkt aus, für einen Moment lang, beobachtete. Es tat gut, sie zu sehen und das leichte Ziehen in seinem Magen, deutete darauf hin, wie gern er sie wirklich mochte. Ja, er freute sich auf diesen Abend. Die Gespräche, wenn sie sich Aug in Aug gegenüber saßen, hatten ihm wirklich gefehlt, auch die vertraute Nähe. Ungeachtet seines klopfenden Herzens trat er näher und blieb unmittelbar vor dem Tisch stehen. Noch immer blickte sie nicht auf, gefangen in ihrer eigenen Welt. Aus der Jackentasche zog er den kleinen, noch in Folie eingeschweißten, Elefanten aus Adlerholz und stellte ihn ihr direkt neben das Wasserglas. Endlich regte Barbara sich. Ihr Blick hob sich, richtete sich auf ihn. „Dick!“ Polternd fiel der Stuhl hinter ihr um, als sie aufsprang, um ihm in die Arme zu fallen. Zumindest dachte er dies, aber er schien sich zu täuschen. Mitten in der Bewegung hielt sie inne, sah ihn einfach nur an, wobei ein warmes Rot ihre Wangen überzog. „Babs!“ Er schob sich an ihr vorbei, schon ein wenig enttäuscht darüber, dass sie ihr eigentliches Vorhaben nicht in die Tat umsetzte und stellte den Stuhl wieder hin. Bevor Barbara jedoch wieder Platz nehmen konnte, beugte er sich zu ihr und hauchte ihr, mit heftig klopfendem Herzen, einen Begrüßungskuss auf die Wange. Weich und warm fühlte sich ihre Haut unter seinen Lippen an und er hätte schwören können, dass kleine elektrische Ladungen zwischen ihnen hin und her sprangen. „Wollen wir uns setzen?“, erkundigte er sich leise, da Barbara noch immer keine Anstalten machte sich zu rühren. Jetzt jedoch kam Leben in sie. Nachdem sie beide saßen, schauten sie sich nur an. Es herrschte Schweigen, keine unangenehme Ruhe, eher gegenseitiges Einverständnis diesen Moment auszukosten. Strahlten ihre Augen schon immer in einem so intensiven Grün? Glänzte ihr Haar schon immer so rot? Dick wusste es nicht. Vielleicht hatte auch nur die Entfernung und die Zeit des Getrenntseins, seine Erinnerungen getrübt. Während er die Frau vor sich betrachtete, lauschte er in sich, vertraute auf die Gefühle, die ihn durchtobten und sah, wie sie nach dem geschnitzten Elefanten griff. „Ich hab ihn in Mae Sot gekauft, direkt an der Grenze zu Myanmar“, erklärte er. „Schnuppre mal dran!“ „Riecht süßlich, wie Parfum“, bemerkte sie und stellte das Mitbringsel wieder auf den Tisch. „Hmm, die ätherischen Öle, die aus dem Holz gewonnen werden, finden Anwendung in der Parfumindustrie“, fuhr er fort und war dankbar dafür, dass die kleine Mauer der Unsicherheit, die sich in den sechs Monaten aufgebaut hatte, zusammenbrach. Es fühlte sich plötzlich so an, als hätten sie gerade gestern Abend hier gesessen und ihre Pasta mit Trüffeln gegessen. Leise unterhielten sie sich. Barbara erzählte und erzählte, berichtete, was sich alles in Gotham ereignete, erzählte von ihrem Studium, von den Veranstaltungen, die sie mit ihrem Vater besuchte, von den Treffen mit Bruce Wayne bei diversen Wohltätigkeitsfesten und erwähnte so ganz nebenbei, dass Batmans junger Partner vor einigen Monaten einfach so von der Bildfläche verschwand und von den verrückten Vermutungen, was mit Robin geschehen sein könnte. Sie frischte sein Wissen in Sachen Football und Baseball auf, wer in welches Team wechselte, wer verletzt und wie die Saison verlaufen war. Richard genoss es einfach ihrer sanften Stimme zu lauschen und mit den Augen ihren Bewegungen zu folgen, wenn sie sich mit den schlanken Finger Haarsträhnen aus der Stirn strich. Er war ihr für den Redefluss dankbar, so musste er sich nämlich keine Universitätsgeschichten aus den Fingern saugen. In seinen Mails war es leicht gewesen, sie anzulügen, aber hier so offen, so persönlich und ganz ohne Schutz des anonymen Netzes, würde es ihm schwer fallen. Irgendwann warf er einen Blick auf die Uhr. Beinah Mitternacht. Schon vor einer Stunde war im 'San Sebastian' Küchenschluss gewesen. Die Teller vor ihnen schon lange weggeräumt und die Flasche Wein beinah leer. Er hatte nur zum Essen ein Glas Wein getrunken, sich danach an Wasser gehalten, da er ja mit dem Motorrad hier war. Barbara und er schienen die letzten Gäste zu sein. Julio stand, sich sichtlich langweilend, an dem Tresen und schaute zu ihnen. „Wollen wir noch woanders hin?“, fragte er, während einer Gesprächspause. „Ich glaube, Julio ist froh, wenn er Feierabend machen kann.“ Durch seinen Satz aufmerksam geworden, schaute Barbara auf ihre Uhr. „Schon so spät“, murmelte sie, ehe ihr Blick sich regelrecht in seinen zu fressen schien. „Ich muss morgen zeitig raus.“ „Also nicht weiterziehen?“ Schade, er hätte nur zu gern noch ein paar Stunden mit ihr verbracht, egal wo. Sie nahm ihr Glas und schaute ihn über den Rand hinweg an, während sie den letzten Schluck trank. „Soll ich dich bringen?“ „Darauf hab ich spekuliert“, lachte sie warm und griff neben sich unter den Tisch. Zum Vorschein, kam sein alter Helm. „Magst Du mir irgendwann noch ein paar Fotos zeigen?“ Sie hatte seine Einladung nicht vergessen. Nun war guter Rat teuer. Ja, er hatte einige Fotos gemacht und ein paar davon konnte er tatsächlich, ohne Lügen zu müssen, vorzeigen, aber es waren halt nicht genug und schon gar keine Bilder von Kommilitonen, der Uni oder wilden Studentenpartys und so erklärte er notgedrungen: „Ich muss die Bilder erst mal entwickeln lassen, dann sichten, sortieren und eine Auswahl treffen.“ Um einer Vertiefung des Themas zu entgehen, winkte er nach Julio, damit er bezahlen konnte. Sein Kontostand war in den sechs Monaten nicht wirklich geschrumpft. Nach drei Monaten, als er sich gerade in Japan aufhielt, hatte Bruce ihm Geld überwiesen, obwohl er nicht darum bat. Er hatte das Geld, stur wie er sein konnte, wieder zurückbuchen lassen, nur um eine Woche später festzustellen, dass es sich wieder auf seinem Konto befand. Er hätte das Spiel mit Bruce bis heute durchziehen können. Keiner von ihnen hätte den Platz als Sieger verlassen und so beließ er es dabei und mal ehrlich, dass Geld in sein Treffen mit Barbar zu investieren, erschien ihm passend. Er zahlte und half ihr in die dicke Jacke. Es war März. Das Wetter deutete zwar schon auf den nahenden Frühling hin, aber Nachts war es noch empfindlich kalt und plötzlich war es wieder da, dass aufgeregte Flattern in seinem Magen. Er konnte es kaum noch erwarten, ihre Hände an der Hüfte zu spüren und so ließ er sich Zeit, als er sie nach Hause fuhr. Er blieb unter der vorgeschriebenen Richtgeschwindigkeit und genoss Barbaras Nähe. Irritiert und mit Wehmut nahm er später zur Kenntnis, dass ihr Auf Wiedersehen vor dem Haus kurz und schmerzlos ausfiel. Barbara schien es mit einem mal sehr eilig zu haben. Er wusste nicht, was die Hektik auslöste und hoffte, dass es nichts mit ihrem gemeinsamen Abend zu tun hatte. Nachdenklich machte er sich auf den Heimweg. *** Wayne Manor lag im Dunkel, als er den Weg hinauffuhr und die Kawasaki an ihrem Platz, in der riesigen Garage, abstellte. Seine Gedanken kreisten, wie nicht anders zu erwarten, um Barbara. Für einen Augenblick spielte er mit dem Gedanken sich in sein Robin-Kostüm zu werfen und auf Patrouille zu gehen. Einfach nur, um den Kopf freizubekommen. So richtig behagte ihm die Idee aber nicht und so verwarf er sie. Es war spät und er seit beinah vierzig Stunden auf den Beinen. Er würde nicht konzentriert genug sein und ein Fehlgriff konnte ihn das Leben kosten. Alles was er daher noch tun würde, war, sich eine Flasche Wasser holen und danach ins Bett fallen. Leise lief er durch die finsteren Gänge. Er benötigte kein Licht. Er wusste ganz genau, wo welche Möbel standen, wo sich Stufen befanden und Türschwellen. In der riesigen alten Küche angekommen, begab er sich zu der große Vorratskammer, in der sie nicht nur die Getränke aufbewahrten und griff nach einer Flasche. „Master Richard!“ „Alfred...“ Erschrocken wirbelte der junge Mann herum, blickte zu dem Butler, der einen Morgenmantel übergezogen hatte und Hausschlappen trug. „Wieso schläfst du nicht? Batman, Schrägstrich, Bruce befindet sich doch gar nicht in der Stadt.“ „Ich muss ihnen etwas zeigen.“ „In Ordnung.“ Die Finger um die Flasche gelegt, folgte er neugierig der guten Seele des Hauses in dessen Gemächer. Auf dem alten, sehr edlen Sekretär wirkte der Laptop ein wenig fehl am Platz. Ein Programm war geöffnet. Der Grundriss eine Loftes war auf dem Bildschirm zu erkennen. „Während sie sich in diverse Kampftechniken einweisen ließen, habe ich mich auf die Suche nach einer passenden Wohnung für sie begeben und bin fündig geworden.“ Parkthorne Avenue, Blüdhaven las Richard auf den Maklerunterlagen, die neben dem Laptop auf dem Tisch lagen. „Auf ihren Namen angezahlt, aber das Geld ist noch geblockt.“ Wie erstarrt blickte Dick auf die Mappe vor sich. Er konnte nicht glauben, was er sah was er las, es nicht fassen. Mühsam schluckte er. „In ihren Briefen schrieben sie, dass sie mit dem Gedanken spielen nach Blüdhaven zu ziehen.“ „Alfred, ich...“ Er griff nach den Unterlagen. „Ich bin sprachlos.“ „Sie erwähnten zwar erst nach Star City zu gehen, um mit Roy zusammenzuziehen, aber ich glaube, ihr Herz schlägt eher für diese Gefilde. Wenn sie mir erlauben dies zu sagen? Außerdem befinden sich hier ihre Freunde, eine hübsche Rothaarige nicht zu vergessen. Überlegen sie es sich! Es fehlt nur noch ihre Unterschrift.“ Noch immer, wie vor den Kopf geschlagen, vertraute Dick seinen Gefühlen und schloss Alfreds Hand fest in seine. „Wie soll ich dies jemals...“ „Sie müssen nicht“, lächelte der ältere Herr. „Das ist noch nicht alles. Ich habe in der Zeit ihrer Abwesenheit noch viel mehr getan.“ Alfred entzog dem ehemaligen Zirkuskind seine Finger. „Wenn sie mir noch einmal folgen würden.“ Obwohl Richard hundemüde war und eigentlich nur ins Bett kriechen wollte, folgte er dem Butler in die Höhle. Ein Schauer rann ihm über den Rücken, als er nach sechs Monaten das Dunkel der Höhle wieder betrat. Er ließ den Blick schweifen, nachdem das indirekte Licht aufflammte. Links von sich entdeckte er sein altes Robin-Outfit, ordentlich einer schwarzen Schaufensterpuppe angezogen und sicher hinter Glas verwahrt. „Was?“ Er trat näher und blieb staunend davor stehen, da er sich sicher gewesen war, dass Bruce alle Hinweise auf ihn aus der Höhle verbannte. „Sie sind ein Teil von Master Bruce, von Batman, werden es immer sein. Sie haben ihm gefehlt, auch wenn er dies nie zugeben würde. Sie kommen dem, was ein eigener Sohn ist, am nächsten.“ Mit diesen Worten verschwand Alfred und ließ einen, immer nachdenklicher werdenden jungen Mann zurück. Als Alfred zurückkehrte, hielt dieser einen Karton fest, die Art von Karton, die man erhielt, wenn man in einer Nobelboutique edle Designerstücke erwarb. „Ihre neue Identität“, erklärte Alfred und reichte ihm das Päckchen. „Sie schickten mir ihre ersten Entwürfe und baten mich um meine Meinung. Dies ist das Ergebnis.“ Dick ahnte, was er vorfinden würde, wenn er den Deckel abnahm und so fiel es ihm schwer, dass Zittern seiner Finger zu verbergen, als er den Karton öffnete. Vor ihm lag fließender, weicher, aber strapazierfähiger schwarzer Stoff mit blauen Elementen. „Ich habe ihr gewünschtes Schwingensymbol ein wenig verändert und erweitert. Es befindet sich auf Brust und Rücken und hoffe es entspricht ihrer Vorstellung.“ „Alfred...“ Und wieder stand Richard sprachlos da. „Fehlt nur noch ihr neuer Name.“ „Den verrate ich, nachdem ich mich umgezogen habe.“ „Handschuhe, Stiefel, Gürtel und weiteres Zubehör finden sie in der Umkleide.“ Richard konnte gar nicht schnell genug aus seinen Sachen kommen. Er wollte unbedingt fühlen und sehen, was Alfred für ihn schuf. Eng schmiegte der weiche Stoff sich an seine Haut und wärmte ihn. Er fühlte sich sofort wohl darin. Probehalber ging er in die Knie und streckte sich. Nirgendwo schnitt der Stoff ein, er passte sich seinen Bewegungen an. Genauso hatte er es sich vorgestellt. Passend zu seinem neuen Outfit fand er eine blaue Maske, blauschwarze Stiefel und blaue Handschuhe. Vollständig ausgestattet konnte er sich Alfred präsentieren. „Du hast dich selbst übertroffen...“ Richard war sich fast sicher, dass er eben den selben Gesichtsausdruck vor sich hertrug, wie ein Kind, das zu Weihnachten, das heißersehnte Spielzeug unterm dem Weihnachtsbaum vorfand. „Freut mich, wenn es ihnen gefällt.“ „Gefallen?“ Einen Blick auf den großen Bildschirm werfend, betrachtet Dick sein etwa unscharfes Spiegelbild. „Das beschreibt bei weiten nicht, was ich gerade empfinde. Es fühlt sich nicht nur gut an, Alfred. Ich hab das Gefühl, nie etwas anderes getragen zu haben. Es ist, als hätte ich etwas verlorenes, das ich sehr vermisste, wiedergefunden habe.“ Mit einem mal war Richard klar, dass er tatsächlich einen neuen Lebensabschnitt begann. Er würde die Wohnung in Blüdhaven nehmen, würde als sein neuer alter Ego über Blüdhaven, mit seinen gerade mal knapp fünfhunderttausend Einwohnern wachen und endlich aus Batmans Schatten treten. „Eine Frage, habe ich noch an sie, Master Richard. Wie wollen sie sich nennen?“ „Nightwing...“ Sechs Tage später Fertig. Endlich alle Umzugskisten ausgepackt. Mit einem befreienden Seufzen ließ Dick sich auf das Sofa fallen, legte die Füße auf den kleinen Wohnzimmertisch und lehnte sich zurück. Zuhause, dies war sein Zuhause. Niemand da, ganz alleine, einfach tun lassen können, wozu man gerade Lust verspürte. Er war Alfred für seine Hilfe und tatkräftige Unterstützung dankbar. Richard ließ den Blick schweifen, über den Fernseher auf dem Rack an der Wand gegenüber, zu der offenen Küche, die sich rechts von ihm befand, direkt neben der Glasfront und der Tür, die auf einen großen Balkon führte. Hinter ihm, noch abgetrennt durch einen einfachen Raumteiler, stand sein Bett, ein Kleiderschrank und eine einfache Regalwand, deren Fächer sich im Laufe der Zeit sicherlich noch füllen würden. Seit vier Tagen wohnte er nun schon in Blüdhaven und hatte die ersten nächtlichen Erkundungstouren hinter sich gebracht und war in seinem neuen alten Ego als Nightwing auf der Bildfläche erschienen. Dabei hatte er sogar die ersten Kleinkriminellen an das hiesige Police Departement übergeben können. Er schien in seiner neuen Heimat angekommen zu sein. Nun musste er nur noch entscheiden, was er mit seinem Leben als Richard Grayson anstellen würde. Zwei Ideen ließen ihn nicht in Ruhe, geisterten immer wieder durch seinen Kopf: entweder weiter studieren, am liebsten Sportwissenschaften und Trainingswissenschaften oder aber eine Ausbildung beim BPD beginnen. Beides barg seine Vor- und Nachteile. Er würde in einem günstigen Moment mal mit Alfred darüber reden, und wenn er dann immer noch keine Entscheidung treffen konnte, würde ihm sicherlich Barbara behilflich sein. Apropos Barbara. Er hatte sich für Samstag mit ihr verabredet, da er ihr bisher noch nicht mitteilte, dass er in einer Hauruckaktion Gotham verließ. Er musste es ihr erzählen. Alfred hatte die Wohnung wirklich passen ausgewählt. Hinter einem der Regale, gab es einen kleinen weiteren Raum, der anscheinend einmal als Abstellraum geplant war. Ihm leistete der Raum gute Dienste und dank einer kleinen technischen Spielerei, würde niemand, der ihn besuchte, hinter sein gut gehütetes Geheimnis kommen. Er musste einfach nur den winzigen Schalter, der sich in der Schublade seines Nachttisches befand, betätigen und das Regal würde zur Seite schwingen und den Blick auf seine Ausrüstung freigeben. Er freute sich auf die Nacht. Nach drei Erkundungsnächten, war ihm die nähere Umgebung schon in Fleisch und Blut übergegangen. Er zog sich um, löschte das Licht und verschwand über den Balkon auf dem Dach. Blüdhaven roch anders und fühlte sich anders an, aber ihm gefiel es. Blüdhaven schien bunter und lebensfroher als Gotham, aber auch hier herrschte die Unterwelt. Er würde viel zu tun haben. Während sie in Gotham die Kriege zwischen den verschiedensten Gangs weitestgehend eindämmen konnten, tobte hier der Kampf in vollen Zügen. Die Triaden gegen die Yakuza, dieser wieder gegen die italienische Mafia und diese gegen die Albaner und die Russen. Bevor er sich jedoch mit den Köpfen des organisierten Verbrechens anlegen konnte, musste er erst einmal die Strukturen in dieser Stadt durchschauen und da würden ihm die Kleinganoven behilflich sein. Wenn er diese verfolgte und stellte, würde er nach und nach die Informationen bekommen, die er benötigte und zur Not ging er undercover. Heute zog es ihn Richtung Notaufnahme, vorbei an der Polizeiwache in seinem Viertel und der Feuerwehr. Er versteckte sich nicht wirklich. Sollte Blüdhaven ruhig merken, dass sie, wie ihre Nachbarstadt Gotham, einen Beschützer besaß. Es kursierten eh schon die ersten Fotos von ihm. Spekulationen machten sich breit, seine Ankunft verbreitete sich wie ein Lauffeuer, aber bisher war es ruhig geblieben. In die Nachrichten hatte er es noch nicht geschafft, aber dies war nur eine Frage der Zeit. Spätestens, wenn Batman in Blüdhaven aufschlug und dies jemand bemerkte, würde der Teufel los sein. Bis heute hatten weder Alfred, noch er, Bruce, von den neugeschaffenen Tatsachen, in Kenntnis gesetzt. Richard wollte es seinem Adoptivvater selbst mitteilen, das war er ihm schuldig. Obwohl er sich ziemlich sicher war, dass Bruce, auch im fernen Tokio, ganz genau wusste, was in Gotham vor sich ging und dass er erst recht alles wusste, was seine Familie, also Alfred und ihn betraf. Gegenüber des BPD bezog Nightwing seinen Posten. Ganz ehrlich, ihm fehlte seine Identität als Robin nicht wirklich. Er vermisste Robin nicht, auch nicht das bunte Kostüm und schon gar nicht das Cape, welches ihn eigentlich immer nur in seinen Bewegungen einschränkte. Zum ersten mal in seinem Leben hatte er den Eindruck wirklich frei zu sein und dieses Gefühl genoss er in vollen Zügen. Am liebsten hätte er einmal ganz laut aufgeschrien, als er sich von dem Dach schwang, um das nächste, ein wenig tiefer gelegene zu erreichen. Sein Weg führte ihn direkt zum Hospital. Er wollte sich die Umgebung anschauen und sich Routen einprägen, nur für den Notfall. Er sollte seine neue Heimat, wie das Innere seiner Hosentasche kennen. Diese Aufgabe würde er in den nächsten Nächten sehr ernst nehmen. Aus den Augenwinkeln nahm er einen Schatten, auf dem Haus, auf der anderen Straßenseite wahr. Als er seine Aufmerksamkeit jedoch darauf richtete, konnte er niemanden entdecken. Wurde er verfolgt? Er würde es bemerken und so setzte er seinen Weg fort, behielt jedoch die Umgebung im Auge. Drei Blöcke, vier Blöcke, nichts, es blieb ruhig. War vielleicht wirklich nur ein Bewohner des Hauses gewesen, eventuell auf der Jagd nach einem Schnappschuss von ihm. Da lag sie endlich vor ihm, hell erleuchtet, die große Notaufnahme und da war er wieder, der Schatten, verschwand eben im Dunkel, weit genug entfernt vom Helikopterlandeplatz. Nightwing hielt inne, zog sich hinter eine Klimaanlage zurück und schaute hinüber. Jetzt erkannte er die einsame Gestalt, die sich wieder bewegte und zu ihm blickte - Batgirl. Was tat sie in Blüdhaven? Ihr Revier war Gotham und mit Sicherheit gab es dort genug zu tun oder stellte sie sein Begrüßungskomitee dar? Vor ihr musste er sich nicht verstecken. Ihr war es sicher nicht verborgen geblieben, dass es nun einen Maskierten in Blüdhaven gab. Wollte sie nach dem Rechten schauen? Überprüfen, ob er eine Gefahr darstellte? Viel Überzeugungsarbeit würde er nicht leisten müssen, außerdem freute er sich, sie gesund und munter wiederzusehen und es tat gut zu wissen, dass auch in Batmans Abwesenheit jemand Augen und Ohren offen hielt. Beruhigt stellte Dick fest, dass er innerlich ganz gelassen blieb, dass sein Herz nicht mehr im Stakkato schlug und sein Magen sich nicht zusammenzog. Diese Nichtreaktionen seines Körper, bewiesen ihm, dass er damals doch nur von Batgirl schwärmte. Er tat es ihr gleich, verließ seine Deckung und erreichte kurz darauf das Dach der Notaufnahme. „Na, wieder mal zu spät dran, Robin?“ Nein, das konnte nicht... Es war, als würde jemand eine eiserne Klammer um sein Herz legen. In seinem Magen zog es. Der Satz, die Ausdrucksweise, die Art der Betonung... Konnte es wirklich sein? Er kannte diesen Satz nur zu gut, hatte ihn zwei Jahre lang immer wieder gehört. Es war Barbaras ganz persönlicher Running Gag gewesen, wann immer er in der Universitätsbibliothek auftauchte. Niemand anderes würde mit diesem amüsierten Tonfall diese Frage stellen. Vor ihm konnte nur Barbara stehen, auch wenn ihre Stimme, dank Stimmenverzerrer, tiefer und rauer klang. Und als dieses Wissen bei ihm auf fruchtbaren Boden fiel, vertraute er blind seinem Instinkt. Mit ein paar Schritten stand er vor seinem Batgirl. Er bremste sich nicht, hielt sich nicht zurück. Alles in ihm schrie nach dieser Frau. Seine Hände legten sich, wie damals in der Gasse, an ihre Taille. Fest zog er sie näher an sich, ehe er die Lippen vor sich sanft eroberte, aber anders als damals, traf er sofort auf Widerstand. Umgehend zog sich Batgirl zurück. „Meine Prinzipien haben sich während deiner Abwesenheit nicht verändert, Robin. Wie nennst du dich jetzt?“ Ungeniert ließ sie den Blick über ihn schweifen, musterte ihn von oben bis unten. „Echt heißes Outfit...“ „Nightwing“, nannte er leise seinen neuen Namen. „Nightwing, also.“ ihre Hand legte sich flach auf seine Brust. Sanft zeichnete sie sein neues Symbol nach, ehe sie ihn umrundete, dabei die Hand weiterhin über den weichen Stoff gleiten lassend, ehe sie wieder vor ihm stehen blieb. „Und wenn du noch so heiß aussiehst, Nightwing, muss ich dich enttäuschen. Ich will noch immer wissen, wen ich küsse und demjenigen dabei in die Augen schauen können. Ich kenne dich nicht, weiß nicht, wer sich hinter der Maske verbirgt und ich habe noch weniger Ahnung davon, wie du wirklich tickst. Nimm es mir nicht übel, aber ohne ein Kennenlernen, wird das nie etwas. Außerdem gibt es jemanden in meinem Leben, der mir sehr wichtig ist.“ Richard schluckte. Es gab jemanden in ihrem Leben, aber sie hatte ihm gegenüber doch nie jemanden erwähnt, nicht einmal Andeutungen gemacht. Dabei war er sich sicher, dass sie ihm davon erzählt hätte. Weil es niemanden gibt, rief tief in ihm eine leise Stimme, niemanden außer dich. Lag es im Bereich des Möglichen? Sollte er dieser jemand sein? „Ich bin mir sicher, dass du mehr über mich weißt, als du ahnst“, erklärte er leise. „Mag ja sein, dass Batgirl nichts für den Superhelden empfindet, aber ich hoffe, dass du den Mann unter der Maske magst.“ Er konnte regelrecht die Fragezeichen in ihrem Gesicht erkennen. „Ich bin kein Unbekannter und wenn mein Gefühl mir nicht nur Streiche spielt, dann...“ Seine Finger griffen nach der Maske, die sie trug. „... bin hoffentlich ich der Mann, der dir wichtig ist.“ Ein Zittern lief durch ihren Leib, ehe sie am gesamten Körper versteifte. Einzig ihre Hände bewegten sich noch. Sie wollte ihre Demaskierung verhindern. „Du glaubst gar nicht, wie sehr ich dich die letzten Monate vermisst habe, Babs...“ Vorsichtig lüftete er ihre Maske. Langes, welliges, rotes Haar ergoss sich wie eine Flut. Grüne Augen starrten ihn ungläubig an. „Du sagtest damals, nicht ohne ein Date. Ich kann nur hoffen, dass das Treffen am Mittwochabend im 'San Sebastian' Date genug für dich war...“ Unbeschreibliche und auch unbekannte neue Gefühle, pulsierten durch seinen Körper. „Dick...“ Nickend fanden seine Hände wieder ihre Taille und seine Lippen die ihren, dann spürte er, wie sie sich regelrecht an ihn klammerte und den Kuss leise keuchend erwiderte. Ende © by Grayson September 2016 20. --- Die Tage rannen dahin. Gemeinsam mit Roy hielten sie abwechselnd Nachts die Augen offen, sorgten für Ruhe in Gotham und Sicherheit auf den Straßen. Dealer, Kleinganoven, Diebe und so einige andere Verbrecher fanden ihren Weg in die hiesigen Gefängniszellen. Es verwunderte schon ein wenig, dass diese noch nicht aus allen Nähten platzen. Während Richard und Tim arbeiteten durchforstete Roy die Weiten des Netzes immer auf der Suche nach all den anderen Superhelden. Ab und zu fand er einen der Namen. Bei den anderen musste er geschlagen aufgeben. Jede Recherche wurde festgehalten, die Dateien aktualisiert und schon bald ergaben sie ein eindeutiges Bild. Es existierten tatsächlich keine Metawesen und Außerirdische schienen nie den Weg auf die Erde gefunden zu haben und so blieb es bei ihnen, bei Superhelden ohne Superkräfte. Fünf Tage blieb Roy noch in Gotham, ehe Lian und er sich wieder auf den Weg nach Star City machte, um dort nach dem Rechten zu schauen und sich mal wieder bei Ollie blicken zu lassen. Richard und Barbara erledigten die letzten Handgriffe und gegen Ende Januar war das zweite Kinderzimmer endlich vollständig eingerichtet und schien sehnsüchtig auf seinen neuen Bewohner zu warten. Bruce Reha verlief nach der erfolgreichen Operation gut. Er konnte sein Knie beinah wieder vollständig belasten. In vierzehn Tagen würde der Millionär zurückkehren und dann sein eigenes Trainingsprogramm aufnehmen. Timothy und Ariana suchten nach der perfekten Location für ihre Hochzeit und Barbara hoffte jeden Tag, dass es bald soweit war. Trotz der verdächtigen Ruhe die im Moment über Gotham lag, fand Richard diese nicht. Es war, als würden tief in ihm immer und immer wieder, alle Alarmsirenen schrillen. Er konnte sich die innere Unruhe nicht erklären und versuchte so gut wie möglich damit umzugehen und es zu ignorieren. Vielleicht lag die Unruhe aber auch nur daran, dass er demnächst zum zweiten mal Vater wurde. Zumindest verbarg er seine Nervosität so gut es ging vor Barbara, damit nicht auch noch sie durch Sorgen gequält wurde. Jason Todd schien wie vom Erdboden verschluckt zu sein. Red Hood meldete sich nicht und es gab auch keine Hinweise darauf, das dieser irgendwo gesichtet wurde. Roys Träume hatten sich verzogen, quälten ihn nicht mehr und er sah auch keinen Grund, diese mit Hilfe von Peyote hervorzurufen. Vielleicht hatten sich die Zeitlinien stabilisiert oder aber Red Hood reiste noch immer mit Rewind und Repeat hin und her und veränderte dadurch ihr Leben, ohne das sie es bemerkten. Richard wusste es einfach nicht. Dennoch wurde er das Gefühl nicht los, dass etwas in der Luft lag. Im Fall Katie Miller tat sich auch nichts. Richard wusste, dass Tim noch immer an dem Fall dran war und sporadisch Filter laufen ließ, aber bei seiner Suche nichts fand, genauso wie Dean, mit dem Richard sich heute zum Kletten verabredet hatte. Auf dem Dachboden suchte der dunkelhaarige Mann seine Klettersachen zusammen, die Schuhe, die Karabiner, die Seile und den Klettergurt. All die Utensilien verstaute er in einem Rucksack und ging im Kopf noch mal alles durch, ob er auch wirklich nicht vergessen hatte etwas einzupacken. Männerabend, endlich mal wieder, nach langer Zeit. Er freute sich darauf. Endlich mal wieder er selbst sein und nicht Nightwing. „Dad!?“ „Auf dem Dachboden, Johnny“, antwortete er. „Darf ich mitkommen?“ Die Hände in den Hosentaschen vergraben stand der Junge in der Tür. „Dean und ich gehen klettern.“ Skeptisch betrachtete der Vater seinen Sohn, der sich bisher nichts aus dem Klettersport machte. „Ich weiß, aber mir ist so langweilig.“ Neugierig trat Johnny näher, schaute in den Rucksack und erklärte: „Lian ist fort, Onkel Tim ist nicht da und draußen ist es schon dunkel.“ „Nicky hat keine Zeit für sich?“ Richard zog den Reißverschluss des Rucksacks zu. „Der ist bei der Geburtstagsfeier seines Opas.“ Die Hände noch immer in den Hosentaschen, blickte Johnny mit gesenktem Kopf auf die Holzdielen und trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. Aus der Hocke kommend, hob Richard den Rucksack auf eine Schulter und betrachtete nachdenklich seinen Sohn. „Okay, Großer, wenn ich dich mitnehmen soll, dann musst du mir versprechen, dass du nicht quengelst!“ Sanft schob er einige schwarze Haarsträhnen aus Johnnys Stirn. „Ich möchte nicht hören, dass du lieber nach Hause willst, weil Dean oder ich gerade mal keine Zeit haben, uns um dich zu kümmern.“ Ganz langsam hob der Sechsjährige den Blick. Er biss sich auf die Unterlippe, schien angestrengt nachzudenken und dann nickte er begeistert. „Versprochen.“ Auf dem Absatz machte Johnny kehrt, stürmte die Stufen hinab und rief: „Daddy nimmt mich zum Klettern mit.“ Einmal tief durchatmen. Das würde ein Abend werden. Wenigstens konnten sich so die Frauen einen gemütlichen machen. Durch das Gespräch mit einem Sohn abgelenkt, öffnete er noch einmal den Rucksack, schaute nach, ob er auch wirklich nichts vergessen hatte. Für Johnny würde er vor Ort einen Klettergurt leihen. Er löschte das Licht, begab sich in das Reich seines Sohnes, um für diesen ein paar Shorts und ein Wechsel-T-Shirt zu holen. Irgendwo mussten doch auch noch Hallenturnschuhe sein? Ah ja, ganz hinten im Schrank, wo sonst? Im Wohnzimmer angekommen, beobachtete er, am unteren Ende der Treppe angekommen, wie seine Frau sich durch einen Stapel Fotos wühlte. Was das Sortieren ihrer Erinnerungsfotos betraf, gab Familie Grayson nicht gerade die ordentlichste ab. Ihnen fehlte einfach die Zeit dazu. Niemand kam mehr dazu die Bilder in ein Album zu kleben. Sie schafften es auch nicht, wie andere, ein Photobuch zu erstellen. Richard war schon froh darüber, dass er es ab und zu hinbekam, ein paar Schnappschüsse in einem Fotoatelier entwickeln zu lassen. Er selbst kam gar nicht auf den Gedanken das Photolabor in der Höhle zu benutzen. Diese Refugium gehörte Bruce und Tim und seinen kleinen Bruder zu fragen, verbot er sich. Daher existierte in ihrem Haushalt genau ein Photoalbum, welches Barbara nach Johnnys Geburt anlegte. Hin und wieder klebte sie einige Fotos ein, versah sie mit einem Datum und dem Ort, an dem sie entstanden. Johnny würde dieses Album erhalten, wenn er irgendwann einmal auszog. „Denkst du wirklich, es ist eine gute Idee Johnny mitzunehmen?“, fragte Barbara leise, als sie ihren Mann bemerkte. „Das wird sich zeigen.“ Neben ihr nahm er auf dem Sofa Platz, griff nach dem Stapel Bilder, den sie zur Seite gelegt hatte und schaute diese an. Johnny und Lian vor ihrem Superheldenschneemann, hinter ihrer Legostadt und während der Maleraktion mit Eis verschmierten Mündern und überall mit orangener Farbe bekleckst, Johnny auf dem Sofa schlafend, dabei Jason als Kopfkissen benutzend. Ein warmes, stolzes Lächeln auf dem Gesicht, betrachtete Richard seinen Sohn und freute sich darauf, wenn schon bald ein weiterer Graysonsprössling auf den Fotos zu sehen sein würde. „Emily und ich holen Johnny gegen 21:00 Uhr ab. Dann habt ihr noch etwas von eurem Kletterabend.“ „Das Angebot werde ich nicht ausschlagen.“ Die Bilder zurück auf den Tisch legend, blickte Richard auf, schaute in die grünen Augen vor sich, die ihm so vertraut waren und erklärte leise, aber von ganzem Herzen: „Ich liebe dich!“ „Ich dich auch!“ Ernst gemeinte Worte. Sie sagten es sich viel zu selten, aber wenn er es tat, dann tat er es, weil er es gerade wirklich fühlte und nicht wie Jenny und Michael, die diese drei so besonderen Worte, seiner Meinung nach, viel zu oft benutzten. Selbst am Telefon hörte er, wie die beiden sie sich sagten, selbst wenn sie sich nur an einen Termin erinnerten oder über das Abendessen sprachen. Nein, für ihn sollten diese Worte immer etwas besonderes bleiben. Bei mehrmaligen Gebrauch am Tag, war er sich sicher, würden sie sich abnutzen und zu etwas alltäglichem verkommen, wie das übliche Guten Morgen. Er versank regelrecht in dem leuchtenden Grün ihrer wunderschönen Augen, streichelte sanft mit den Fingerspitzen über ihre Wangen, ehe er ihr Gesicht sanft in die Hände schloss und ihre vollen Lippen sanft und zärtlich küsste, ohne Verlangen, ohne Gier, nur mit viel Gefühl und all seiner Liebe. Noch ewig hätte er die Frau in seinen Armen weiter küssen können, aber das Läuten an der Tür, zog ihn zurück in das Hier und Jetzt, hinfort von seinen Träumen und Wünschen. Aufgeregt bellte Jason, lief zur Haustüre, hockte sich davor und winselte nur noch leise, als Zeichen, dass kein Fremder vor der Türe stand. Dem Hund folgten stampfende Kinderschritte, als Johnny die Stufen hinab eilte und rief: „Ich mach auf!“ Noch einmal die Lippen auf Barbaras senkend, löste Richard sich von ihr und erhob sich. Er würde den Kuss heute Nacht zu einem Ende bringen müssen. „Hey Kleiner!“, grüße Dean Johnny, nachdem dieser die Tür aufgezogen hatte und wuschelte ihm zur Begrüßung durchs Haar. „Kommt rein!“, rief Barbara und Richard erhob sich von der Couch, um die Freunde Willkommen zu heißen. „Weißt du was, Dean“, plapperte Johnny sofort drauf los, während der Detective und seine Freundin den Korridor betraten. „Was denn?“ Der dunkelhaarige und dunkelhäutige Mann, der auf dem Revier von allen nur 'Vereinte wandelnde Nation', genannt wurde, da seine Vorfahren aus Afrika, von Hawaii und aus Norwegen und Italien stammten, half Emily aus ihrem Mantel, den er auf einen leeren Bügel an der Garderobe hängte. Stolz reckte der Sechsjährige sich. „Ich komme mit euch klettern.“ Fragend blickte Dean zu Richard, der nur entschuldigend mit den Schultern zucken konnte. „Aber nur bis um neun, Johnny, dann holen Emily und ich dich ab.“ Barbara ignorierte ihren schmollenden Sohn und trat lieber zu Emily. Die beiden Frauen umarmten sich. „Ich hätte uns nur zu gern Sushi bestellt, aber ich darf ja nicht.“ „Das holen wir nach“, lachte Deans Freundin und fuhr sich mit den Fingern in das lange, krause, schwarze Haar um es aufzulockern und schlüpfte aus den Pumps, die sie trug. „Stattdessen hab ich was beim Thai bestellt.“ Etwas lauter fuhr Barbara fort. „Wir können Johnnys Fischküchlein also mitessen.“ „Nein...“ Entsetzt blickte der Junge seine Mutter an. „Und die süßen Kugeln, die Johnny so sehr mag, auch...“ „Nein...“ Johnnys Blick huschte zwischen den Erwachsenen hin und her. „Ich glaube, deine Mom nimmt dich nur auf den Arm“, lachte Dean und kraulte Jason den Kopf, da ihm der Hund noch immer mit der Schnauze gegen den Oberschenkel stieß. „Ich stell deine Tod man pla und die Met kanoon in den Kühlschrank“, beruhigte Barbara ihren Sohn, hauchte ihm einen Kuss auf den Scheitel und reichte ihm die dicke blaue Daunenjacke. „Du isst mit Dean und deinem Dad im 'Limit' und du hörst auf das, was sie dir sagen!“ „Ja“, grummelte der Junge anscheinend noch immer ein wenig eingeschnappt, zog sich aber die Jacke über. „Hast du gehört, was ich sagte?“, fragte Barbara, nun eine Spur ernster. „Auf Daddy hören“, wiederholte der Junge, schlüpfte in seine Schuhe und bückte sich, um diese zuzubinden. „Da müssen wir wohl deinen Wagen nehmen“, überlegte Dean, sich dabei an Richard gewandt. „Oder wir bauen den Kindersitz um.“ „Umparken“, schlug Richard vor, nahm seinen Wagenschlüssel und verließ das Haus, um den Ford aus der Garage zu fahren, damit Dean seinen Flitzer, eine alte, aufgearbeitete Corvette einparken konnte, danach brachen die drei Richtung Gotham auf. In einem der Industriegebiete, hatten pfiffige Geschäftsführer eine der stillgelegten Fabrikhallen in ein Kletterparadies mit Hochseilgarten und Skaterpark verwandelt. Seit dem Tag der Eröffnung vor sechs Jahren waren Richard und Dean Mitglied, so wie auch Timothy und Roy, der nur zu gern, wenn er zu Besuch war, dem Hochseilgarten einen Besuch abstattete. Richard freute sich auf den Abend. Im November hatte er das letzte Mal Zeit gefunden. Das er heute seinen Sohn mitbetreuen musste, störte ihn nicht weiter. Zur Not gab er Johnny einfach bei dem Kinderbetreuungsteam ab. Dort würde er sich mit den anderen Kids austoben können und neue Freundschaften knüpfen. Erst mal jedoch, wollte der Dunkelhaarige abwarten. Wer weiß, vielleicht fand Johnny ja Gefallen am Klettern. Der große Parkplatz war gut gefüllt und so musste Richard ein wenig suchen, aber dann fand er eine freie Lücke, die groß genug war, um den Ford abzustellen. Johnny nicht aus den Augen lassend, betraten sie die alte Industriehalle. Begrüßt wurden sie durch bunte Graffiti und einem riesigen Anmeldetresen, hinter dem Alex, ein drahtiger, blonder Mann mit langen Haaren, die er heute zu einem Zopf gebunden trug, stand und sie anstrahlte. „Richard, Dean“, grüßte er und trat hinter seiner Theke hervor. Direkt vor Johnny, der sich staunend umschaute, blieb der junge Mann stehen und ging in die Knie. „Du bist sicherlich Johnny.“ „Bin ich“, antwortete der Sechsjährige und ließ sie einfach stehen. Sein Aufmerksamkeit galt der großen Vitrine, in der unzählige Pokale, Medaillen und Urkunden auslagen. „Alex, wärst du so freundlich, für Johnny einen Gurt rauszusuchen?“ Richard war sich ziemlich sicher, dass sein Sohn, wenn er schon mal hier war, sich an einer der Kletterwände versuchen würde. „Klar. Tragt ihr euch derweil ein.“ Alex schob ihnen das dicke Anwesenheitsregister zu. „Johnny!“ Dreimal musste Richard seinen Sohn ansprechen, ehe dieser überhaupt reagierte. Völlig fasziniert stand dieser unterdessen vor der Glasscheibe, die die Empfangshalle von der eigentlichen Halle trennte und blickte in das Innere. „Gehst du bitte mit Alex mit, damit er dir einen Klettergurt geben kann!“ „Mach ich.“ Den Blick noch immer auf die Kletterwände mit den bunten Klettergriffen gerichtet, stolperte Johnny über die eigenen Füße, als er sich umdrehte. Der Junge fing sich, grinste seinen Vater an und folgte dem blonden Mann. „Es gibt zwei neue schwarze Routen mit der Schwierigkeit 5.15a“, erinnerte Dean sich an den Newsletter, den er zum Neujahr vom 'Limit' erhielt. „Neue Herausforderungen.“ Nickend trug sich Richard nach seinem ehemaligen Mitbewohner in das Buch ein. Sichtlich stolz, mit einem blauen Klettergurt über den Jeans und einem Brustgurt kehrte Johnny zurück. „Der Gurt musste unbedingt blau dein“, lachte Alex und räumte das Mitgliederverzeichnis weg. „Ich habe neue Wege gesteckt.“ „Wir sagen dir hinterher, ob sie gut waren“, lachte Richard. „Los Johnny, umziehen!“ Die Hand auf Johnnys Schulter gelegt, schob Dean den Sohn seines Freundes vor sich her, in Richtung Umkleide. Leer lag der Raum vor ihnen. Einige Spinds standen offen. „Kannst du den Gurt alleine ausziehen?“, fragte Richard, während er den Rucksack, an einer der Bänke, öffnete und aller hervorholte. „Klar.“ Sich auf die Unterlippe beißend, werkelte Johnny an den Verschlüssen, so lange, bis Richard ein Einsehen hatte und seinem Sohn half, danach reichte er ihm T-Shirt und Shorts und zog sich selber um. Während Richard in seinen Gurt stieg und die Riemen festzog, beobachtete er Dean, der Johnny half, den geliehen Gurt wieder anzulegen. Diesmal hatte Richard an ein Paar Badelatschen für sich gedacht. Damit war es leichter von einer Kletterwand zu nächsten zu gehen, als in den engen Kletterschuhen. „Fertig“, rief Johnny sichtlich aufgeregt. Richard hakte noch einige Karabiner links und recht an seinen Gurt, dann schloss er ihre Sachen in einem Spind ein und schulterte sein Seil. Zur Zeit war die Kletterhalle in Gotham die größte und modernste in den USA und dementsprechend viele Auswärtige tummelten sich hier. Den Blick nach oben gleiten lassend, staunte Richard immer wieder. Die Werkhalle hatte früher einmal vier Produktionsetagen besessen. Die Zwischendecken waren entfernt worden. Über ihnen baumelte ein Auffangnetz, darüber befand sich der Hochseilgarten, in dem gerade reger Betrieb herrschte. Es schienen sich mehr Leute in luftiger Höhe zu befinden, als an den Kletterwänden. „Boulderhalle?“ Dean wuschelte Johnny, der den Blick nicht von dem Hochseilgarten wenden konnte, durch das dunkle Haar. Da Johnny nicht wirklich darauf achtete, wo er hinlief, fasste Richard nach der Hand seines Sohnes, ehe sie gemeinsam die Halle durchquerten. Ganz am anderen Ende befand sich die wesentlich kleinere Boulderhalle. Leer lag der Raum vor ihnen. Johnny hatte schon seinen Spaß, als er die dicken, federnden Matten, die den Boden des Raumes ausfüllten, eroberte. Vor den Wänden, die nicht immer gerade nach oben führten, sondern auch schräg verliefen, gekrümmt oder aber mit Überhängen versehen waren, blieben sie stehen. Der Raum besaß eine gesamte Höhe von vier Metern, aber durch die unterschiedlichen Schwierigkeitsgrade, kam hier jeder auf seine Kosten. „Hier gibt es gar keine Halterungen für ein Seil“, stellte Johnny mit einem Blick nach oben fest. „Hier benutzt man kein Seil. Hier kannst du einfach so klettern. Pass auf, ich zeig es dir.“ Überhang, huschte es Richard durch den Kopf. Er ging zu der entsprechenden Wand, suchte kurz mit den Augen nach den schwarzen Griffen. Wenn schon, denn schon, dachte er und machte sich an den Aufstieg zu dem gekrümmten Überhang über sich. Für ihn kein Problem und schneller als gedacht, hatte er den Überhang erobert. Mit den Füßen voran ließ er sich fallen. Sicher kam er auf und federte in den Knien ein wenig nach. Nun trat Johnny näher an die Wand, griff nach einem der größeren Griffe in Kopfhöhe und gab sich einen Ruck. Mit dem rechten Fuß suchte er nach einem sicheren Tritt. Ohne größere Schwierigkeiten erreichte er schon bald das obere Ende der Wand und hielt dort inne, unsicher, was er als nächstes tun sollte. „Dad?“ „Du kannst wieder runterklettern, dir einen seitlichen Weg suchen oder runterspringen.“ Den Blick auf seinen Sohn gerichtet, beobachtete er mit den Augen eines Vaters. „Okay“, kam die Antwort von oben, ehe Johnny einfach weiter nach rechts kletterte, bis er auf die nächste Wand traf, an der sich dir Griffe für den Jungen allerdings viel zu weit entfernt befanden. Dennoch gab Johnny nicht auf und versuchte sein Glück. Ein leiser Aufschrei. Johnny verlor den Halt, dann fiel er lachend auf die weiche Matratze. „Das macht Spaß.“ Und schon erklomm der Junge einen anderen Abschnitt. „Geben wir ihm noch ein paar Minuten.“ In der Mitte des Raumes stehend, folgte Dean dem Sechsjährigen mit den Augen. „Er macht das besser, als manch älteres Kind in meiner Gruppe“, lobte der Detectiv anerkennend. „Johnny, du kannst hier bleiben und alleine weiterklettern. Dean und ich befinden uns in der Kletterhalle. Falls du uns nicht findest, frag einfach Alex.“ Richard machte sich nicht wirklich Sorgen. Sein Sohn kletterte geschickt, ohne Unsicherheiten und durch die weichen Matten, konnte nicht wirklich viel passieren, außerdem hatte Richard Johnny schon als Kind beigebracht, wie er sich sicher abrollte. „Geht ruhig!“ Erklang es über ihnen. „Bis dann.“ Mit einem wissenden Lächeln auf den Lippen verließ Richard den Raum und blieb im Gang davor stehen. „Willst du ihn wirklich alleine lassen?“ Nachdenklich schaute Dean ihn von der Seite an. Leise zählte Richard, bei der zwanzig angefangen, runter. Er war gerade bei der Zahl vierzehn angekommen, als sie ein: „Dad, warte!“, vernahmen. „So viel zum alleine lassen“, lachte Richard und wuschelte seinem Sohn durchs Haar, nachdem dieser angeflitzt kam. An der großen Wand, mit den neuen schwarzen gesteckten Wegen waren sie ganz alleine. Ganz geduldig erklärten Dean und Richard Johnny die wichtigsten Knoten, die sie benötigten. Dennoch hieß es für den Jungen erst einmal nur zusehen und beobachten und so stand Johnny neben seinem Vater, während dieser Dean, der dem neuen Weg nach oben folgte, sicherte. Richard gab sich alle Mühe, den neugierigen Fragen seines Sohne gerecht zu werden und danach war es Dean, der sich Johnny stellte, während sie gemeinsam Richard sicherten. Zufrieden, dass sie den ersten Weg gemeistert hatten, löste Richard den doppelten Achterknoten an seinem Gurt und reichte das Seilende Johnny. „Üb mal mit Dean den Achterknoten. Ich geh uns was zu trinken holen.“ In dem kleinen Café angekommen, musste Richard sich in Geduld üben. Er schien nicht der einzige zu sein, der etwas zu Trinken kaufen wollte. Mit zwei Flaschen Cola, zwei Wasserflaschen und einem Apfelsaft kehrte er später zurück. Von seinem Sohn sah er nichts, aber Dean schien jemanden zu sichern. „Eindeutig dein Sohn“, kommentierte der Detectiv und nickte nach oben. „Er nimmt zwar jeden Griff der sich ihm bietet, egal welche Farbe, aber Johnny scheint ein Naturtalent zu sein.“ Richard stellte die Flaschen ab und blickt nach oben. Etwa sechs Meter über ihm, hing der Junge in der Wand, krallte sich mit den Händen fest und schien zu überlegen, wohin er den linken Fuß als nächstes stellen sollte. „Etwa zwanzig Zentimeter links von dir“, wies Dean den Weg. „Den Fuß noch etwas höher, Kleiner.“ Und Johnny versuchte es. Mit der Schuhspitze erreichte er den roten Griff, aber dann verlor er den Halt. Lachend schwebte das Kind über ihnen. „Willst du weiterklettern oder erst mal runterkommen? Ich hab dir Apfelsaft mitgebracht.“ „Wollen wir ihn schaukeln lassen?“, fragte Dean, der das Seil hielt und Johnny nicht aus den Augen ließ. „Schaukeln?“, kam es von oben. Die Hände um das Seil gelegt, blickte Johnny zu ihnen hinunter. „Hast du schon mal gesehen, wie sich jemand abseilt?“ Während Dean sich mit Johnny unterhielt, trank Richard etwas von der Cola und gab den stummen Beobachter. „Ja...“ „Stemm mal beide Füße gegen die Wand!“ „Okay.“ Lächelnd betrachtete Richard seinen Sohn, der mit sichtlichem Eifer und Spaß bei der Sache zu sein schien. „Stoß dich langsam, mit beiden Füßen gleichzeitig, von der Wand ab.“ Dean ging noch ein wenig zurück, damit das sichernde Seil Johnny nicht im Weg war und Johnny tat wie ihm geheißen. Er machte das wirklich gut. Mit jedem Schwung stieß er sich stärker ab als zuvor, bis er dann doch etwas zu wagemutig wurde. Johnny fiel aus der Richtung, näherte sich nicht, wie all die male davor mit den Füßen der Wand, sondern traf seitlich auf. Nichts, was der Junge nicht in den Griff bekam. Mit den Händen fing er sich ab, suchte nach einem der angebrachten Griffe und kam zur Ruhe. „Nichts passiert“, lachte der Sechsjährige. „Versuch mal an der Wand nach links und rechts zu laufen!“ Dean zog noch mal kurz an dem Seil. „Er hat ein sehr gut ausgeprägtes Gleichgewicht.“ Richard nickt zustimmend, während sein Sohn erst mit kleinen und dann mit größeren gewagten Schritten an der Wand entlanglief. Immer wieder von links nach rechts, dabei wurde der Bogen den er beschrieb, immer größer. „Johnny, das reicht dann für heute. Dean lässt dich runter. Einfach immer nur einen Fuß vor den anderen setzen.“ Zumindest hatte Dick sich dies so gedacht, aber nicht sein Sohn, der stieß sich mit beiden Füßen ab, immer und immer wieder. Dean ließ den Jungen, gab nur jedes mal ein Stück Seil nach. Warum auch nicht wie die Schauspieler im Film, dachte Richard. Er machte es ja nicht wirklich anders, außerdem ging es schneller. Johnnys blaue Augen strahlten euphorisch und kaum das Dean ihn von dem Seil befreit hatte, bestürmte der Junge seinen Vater. „Kann ich klettern lernen?“ Die Hände in die Hüften gestützt schaute Johnny mit fragendem und bettelndem Blick nach oben. „Trink erst mal was.“ Johnny nahm den Apfelsaft an sich und trank durstig. „Darf ich?“ „Und was ist mit deinem Baseballtraining?“ Johnny zuckte mit den Schultern. „Habe ich doch nur Dienstags und Donnerstags.“ Okay, nun war guter Rat teuer. Natürlich konnte Richard Johnny für einen Kletterkurs anmelden. Über den Daumen brechen wollte er dies jedoch nicht. Erst mal drüber schlafen, dann noch mal nachfragen. Manche Dinger erledigten sich ganz schnell von alleine. „Dean, weißt du wann die Kletterkurse für Kinder stattfinden?“ „Immer Montags um 16:00 Uhr für die Kids von sechs bis neun Jahren.“ „Siehst du, ich kann klettern und auch zum Baseball.“ Vor Richard streckte Johnny sich, machte sich lang, um größer zu wirken, dann hüpfte er plötzlich aufgeregt auf und ab. „Darf ich, Daddy, bitte, bitte, bitte...“ „Wir reden erst mal mit deiner Mom, danach fällen wir gemeinsam eine Entscheidung, in Ordnung?“ Schmollen verzog Johnny das Gesicht. „Ist gut...“ „Was ist gut?“ Barbaras warme Stimme trieb Richard, nach all den Jahren noch immer, eine Gänsehaut über den Rücken. War es tatsächlich schon um neun? Sie hatten die Ankunft der beiden Frauen gar nicht mitbekommen. „Mommy!“ Wie ein Irrwisch eilte Johnny auf Barbara zu. „Darf ich klettern lernen?“ „Wenn du das möchtest?“, antwortete die Rothaarige vollkommen überrumpelt und zog den Jungen in die Arme. Soviel zu einem Familienrat, dachte Richard und grinste. „Das muss ich Nicky erzählen...“ Triumphierend, da er die Erlaubnis seiner Mutter bekam, schaute Johnny zu seinem Vater, der das ganze amüsiert verfolgte. „Aber nicht jetzt, mein Schatz. Du kannst es Nicky morgen in der Schule erzählen.“ „Aber Rosinchen erzähle ich es gleich.“ Die Hände flach auf Barbaras runden Bauch gelegt, berichtete Johnny leise, was er in der Kletterhalle erleben durfte und Richard gestand seiner Frau, dass sie vergessen hatten, etwas zu Abend zu essen. 21. --- Nachdem Dean und Emily sich verabschiedet hatten, schaute Richard noch mal bei seinem Sohn rein. Tief schlafend, hatte Johnny die Arme um Jason geschlungen, der neugierig zur Tür blickte, als Richard diese öffnete, sich ansonsten aber nicht regte. Arme schlangen sich um Dicks Taille. „Er kannte gar kein anderes Thema mehr. Wir werden wohl nicht drumherum kommen. Dein Sohn will unbedingt klettern.“ „Scheint so...“ Leise schloss der Dunkelhaarige die Kinderzimmertür und drehte sich in Barbaras Armen. „Mal sehen, wie lange er mit Freude dabei ist.“ „Willst du noch mal los?“ Nickend bestätigte er. „Kurz noch mal nach Tim schauen.“ „Und ein paar Runden drehen“, vervollständigte sie seinen Satz. Fest zog er sie an sich und lachte leise: „Soll ich dich noch ins Bett bringen?“ „Sehr gern, ich bestehe aber auf meinen Gute-Nacht-Kuss. Eine Gute-Nacht-Geschichte brauch ich nicht unbedingt. Ich bin ja schon groß.“ „Sollst du haben.“ Noch immer die warmen Lippen auf seinen fühlend, machte der erste Robin sich auf den Weg. Als er Wayne Manor erreichte, ließ Alfred ihn ein und auf dem Weg zur Hölle kam ihm Ariana entgegen. „Hallo Aria“, grüßte er Tims Verlobte, die offensichtlich bis eben seinem Bruder Gesellschaft geleistet hatte. „Hey, Richard, wusste gar nicht, dass du vorbeikommen wolltest.“ Sie strich sich einige Haarsträhnen hinters Ohr. „War auch nicht geplant.“ „Na dann, Tim freut sich bestimmt über Hilfe. Ich weiß nicht, was er da unten treibt, murmelte nur etwas von Datenabgleich und schien unzufrieden zu sein.“ „Ich schau mal, ob ich ihm helfen kann. Schlaf gut!“ Er nickte der angehenden Meisterköchin zu und wollte seinen Weg fortsetzen, als er sie sagen hörte: „Wenn ich schlafen könnte.“ In seinem Schritt verhaltend, drehte er sich wieder um: „Alles in Ordnung bei euch?“ „Ja, ja“, seufzte Tims Highschoolliebe. „Ich bekomme nur kein Auge zu, wenn er als Red Robin unterwegs ist.“ „Du machst dir Sorgen?“ Richard konnte nur ahnen, was genau in der bildhübschen Frau vor sich ging. Sie nickte. „Ich hab mir Babs geredet. Sie hat mir viel erzählt, aus ihrer Sicht berichtet, aber diese unterscheidet sich von Tims und ganz sicher auch von deiner. Babs besitzt einen Vorteil. Sie befindet sich seit Jahren an eurer Seite. Sie weiß, wie ihr vorgeht, was ihr tut, wie ihr kämpft, was ihr euch zutraut und sie weiß, wie gut ihr seid. Aber selbst sie macht sich Gedanken, wenn du als Nightwing unterwegs bist. Kannst du dir vorstellen, wie es sich für mich anfühlt?“ Richard schluckte. Was sollte er ihr antworten? In seinem Kopf jagten sich die Gedanken. „Ja, ich kann es nachvollziehen, zu einem Teil zumindest. Ich bin schon so viele Jahre Nightwing, davor war ich Robin. Für Bruce, für Tim, für Babs und auch für mich, stellte sich nie die Frage, ob wir damit aufhören, aber ich...“ Er unterbrach sich kurz. „Als Johnny geboren wurde, habe ich versucht Barbara zu überreden, das Cape an den Nagel zu hängen. Und auch jetzt, werde ich nicht aufgeben, sie davon zu überzeugen, Batgirl aufzugeben. Obwohl ich weiß, dass dies ein Kampf sein wird, den ich nicht gewinnen kann. Ich ahne jedoch, was dir Nachts durch den Kopf geht.“ Er deutete zu den großen Ohrensesseln, die vor dem Kamin in der Bibliothek standen. Ariana verstand seinen Wunsch und nahm auf einem der gemütlichen Lesesessel Platz. Ehe Richard sich jedoch auf den anderen freien Sessel fallen ließ, schaltete er die kleine Leselampe an, damit sie sich nicht im Dämmerlicht gegenüber sitzen mussten. „Es gab eine Zeit, in der ich, ähnlich wie Bruce jetzt, kürzer treten musste. Johnny war gerade zwei geworden.“ Unbewusst massierte er sich sein rechtes Handgelenk. „Ich habe Babs damals auch nicht aufhalten können. Sie musste raus in die Nacht, aber ich wusste ja Tim und Bruce an ihrer Seite.“ „Aber Tim zieht alleine los.“ Die Hände im Schoß gefaltet, blickte sie ihn an. „Er hat vom Besten gelernt“, murmelte Richard. „Tim wird und kann auf sich aufpassen.“ Er gab ihr Zeit zum Nachdenken und erinnerte sich, als er sich vor vier Jahren das Handgelenk brach. Ihm war es unglaublich schwer gefallen, einfach nur Zuhause zu sitzen, aber er hatte auch gewusst, dass er den Bruch vollständig ausheilen lassen musste, wenn er jemals wieder als Nightwing unterwegs sein wollte. Deswegen kämpfte er sich, anders als Bruce mit seinem Knie, durch alle Instanzen, die OP und die Reha danach. Mit dem Daumen der linken Hand, strich er über die kaum noch wahrzunehmenden Narbe. Ein Überbleibsel der OP, als die Ärzte den schwierigen Bruch richteten. Er gab sich die Zeit nach der ersten OP und auch nach der zweiten, nachdem das Titan wieder entfernt wurde. Erst nach den beiden erfolgreichen Rehas hatte er sich wieder durch die Luft geschwungen. Anfangs ein wenig unsicher, da er sein Handgelenk nicht zu sehr beanspruchen wollte. Heute dachte er mit keiner Silbe mehr daran, hatte es eigentlich schon vergessen, wenn nicht Ariana die Erinnerung in ihm wieder hochgespült hätte. „Als Tim mich zu Weihnachten in euer Geheimnis einweihte, empfand ich es als aufregend. Ich konnte es kaum glauben, dass ausgerechnet ich schon seit Jahren mit Red Robin zusammen war, dass ich seine Frau werden soll und das meine besten Freunde Batgirl und Nightwing sind. Ich dachte immer wieder, Red Robin ist mein Freund, mein Verlobter, der Superheld, den sicherlich einige Mädchen gerne kennenlernen würden und bestimmt auch einige Männer.“ Ein ehrliches Lachen erhellte die Bibliothek. „Als ich während der Highschool in einem Café jobbte, habe ich so einige Gespräche mitbekommen. Manche stritten sich doch tatsächlich, wer denn heißer ist: Batman, Nightwing oder Red Robin. Ich fand ja immer Red Robin ganz gut. Lag wohl am gleichen Alter. Du warst übrigens sehr oft ein potentieller Kandidat für viele junge Männer.“ „Ehrlich?“ Fragend zog Richard eine Augenbraue nach oben. So ganz neu, was ihm dies zwar nicht, aber es mal direkt bestätigt zu bekommen, war etwas anderes. „Liegt wohl an deinem Outfit.“ Wurde Ariana tatsächlich gerade rot. „Na ja, nichts für ungut, Richard, aber...“ „Sprich dich ruhig aus.“ Sichtlich amüsiert lehnte Dick sich zurück. „Hautenges Spandex, oder aus was auch immer eure Kostüme gefertigt sind, bietet unglaublich viel Platz für wilde Fantasien, nicht nur bei Frauen. Viel verheimlichen tut dein Nightwingoutfit nicht wirklich.“ Versonnen vor sich hinlächelnd betrachtete Richard Tims Verlobte. „Was erzählt man sich denn so? In wessen Fantasien stell ich denn was an?“ „Willst du das wirklich wissen?“ „Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich nicht neugierig bin.“ Okay, als er damals über sein neues Outfit nachdachte, stand eines von Anfang an fest, kein Cape mehr, da er immer das Gefühl hatte, dass es ihn behinderte. Er wollte sich frei bewegen können, ohne sich eingeschränkt zu fühlen. Er war ein 'Flying Grayson', ein Artist und er liebte es, sich durch die Luft zu schwingen. Daher stand sehr schnell fest, dass sein neues Outfit, an die Artistendresse angelehnt sein sollte, weicher, dehnbarer Stoff, der sich anschmiegte und bei einigen Manövern sich nicht im Weg befand oder gar an bestimmten Stellen einschnitt. Alfred hatte damals gute Dienste geleistet, als er ihm von seinen Wünschen berichtete und diese hervorragend umgesetzt. Im Laufe der Jahre hatten sie alle gemeinsam die Stoffe weiterentwickelt und auch das eigene Design hatte er mehr und mehr an sich angepasst. So, wie sein Kostüm heute aussah, gefiel es ihm und er fühlte sich wohl, was die Hauptsache war, dazu schützte es ihn vor Kälte, Feuer und sogar Strom. „Vielleicht erzähl ich es dir irgendwann“, lächelte Ariana. „Was bedrückt dich wirklich?“, hakte Richard nach, der sehr wohl bemerkte, dass Tims Verlobte mit sich rang. Der unruhig wirkende Blick, die Finger, die miteinander spielten. „Von der Aufregung, dass ausgerechnet Red Robin mein Freund ist, ist nicht mehr viel übrig. Ich bin mir nicht sicher, ob ich damit leben kann, dass Tim sich nachts auf die Jagd begibt. Ich...“ Wieder verstummte sie für einige Herzschläge. „Es sind nicht nur die Sorgen, die ich mir um Tim mache, es ist eher die Angst davor, ihn zu verlieren. Ich...“ „Ariana!“ Richard beugte sich ein wenig nach vorn, ergriff ihre eiskalten Finger und schloss sie in seine. „Es liegt an dir, ob du deine Angst überwinden kannst oder ob du dich früher oder später von Tim trennst, weil du es nicht mehr aushältst. Ich kann dir nur einen Weg zeigen, der es dir eventuell einfach macht. Entweder kannst du sein Doppelleben akzeptieren oder du ziehst die Konsequenzen und sagst die Hochzeit ab, was ich nicht hoffe.“ Ihr Kopf ruckte hoch. Bisher hatte sie auf ihre Hände geschaut. Nun sah sie Richard an, der glaubte Panik in ihren blauen Augen erkennen zu können. „Was hast du vor?“ „Vielleicht ist es gut für dich, einmal live dabei zu sein, dann weißt du, wie wir agieren, was wir tun und musst nicht wild spekulieren. Du könntest am Rechner im Batcave die Stellung halten.“ „Aber ich...“ „Kein aber, Alfred wäre bei dir.“ „Und du glaubst wirklich, dass dies eine gute Idee ist?“ „Da bin ich mir ziemlich sicher.“ Aufmunternd strich er mit den Daumen über ihre Handrücken. „Kopf hoch, Tim liebt dich, du ihn, wäre doch gelacht, wenn ihr das nicht meistert.“ Sacht entließ er ihre Finger aus seinem Griff und erhob sich. „Ich seh mal nach deinem Zukünftigen. Soll ich mit ihm reden oder willst du dies lieber selber machen?“ „Ich werde mit ihm reden.“ Gerade als Richard die Geheimtür öffnen wollte, hielt Ariana ihn noch einmal auf: „Danke fürs zuhören.“ „Gern geschehen und vergiss nicht, du schuldest mir noch eine Antwort auf meine Frage.“ Lachend erklärte sie: „Ich glaube, ich schreib es dir lieber auf, dann ist es für mich nicht ganz so peinlich.“ „Schlaf gut!“ Lächelnd den Kopf schüttelnd, betrat Richard ihr Allerheiligstes. 22. --- Gemütlich, als würde er einen Blockbuster schauen, saß Tim vor dem riesigen Bildschirm, die Füße auf der Tischplatte und eine große Schüssel mit Kartoffelchips auf dem Schoß, als Richard die Höhle betrat. „Erwischt“, lachte Dick und ließ sich auf den freien Stuhl, neben seinem Bruder fallen. Anstatt einer Antwort, hielt Timothy ihm die Schale unter die Nase und Nightwing bediente sich aus dieser. „Alles ruhig?“, erkundigte er sich kauend. „Alles ruhig“, bestätigte Tim und beobachtete weiterhin die Datenanalyse, die über den Monitor flackerte. „Katie?“ „Nein, Jason. Ich suche nach ihm, aber er scheint, wie vom Erdboden verschluckt zu sein. Keine Treffer über die Gesichtserkennung. Er weiß, wie er sich von öffentlichen Kameras fernhält.“ „Der selbe Lehrer“, lachte Nightwing. „Mal ehrlich, Tim, was denkst du, ist wirklich an der Story der Zeitreise dran?“ „Ich würde sagen, eine ganze Menge“, erklang plötzlich eine Stimme aus der Tiefe der Höhle, ehe Jason Todd aus den Schatten ins Licht trat. Er kam nicht als Red Hood zu ihnen, sondern als Jason. Er trug Bluejeans, Boots, einen dicken Hoodie, darüber eine Lederjacke. Mit der rechten Hand hielt er locker eine, prall gefüllte, Sporttasche über der Schulter fixiert. „Dick, Tim“, grüßte er die beiden, ein wenig verwirrt wirkenden Männer. „Wie bist du...“, setzte Tim an. „Ich kenne die Höhle wie ihr, in und auswendig. Sie war einst auch mein Zuhause...“ Neben Tim ließ Jason die Tasche auf den Boden fallen. „Ist schön zu sehen, dass in all den verschiedenen Zeitlinien, wenigstens eine Konstante gibt - die Höhle mit ihren weit verzweigten Gängen.“ Richard nahm die Antwort hin. Er wunderte sich nicht weiter darüber, was Jason alles wusste. Es war nur ein weiteres Zeichen dafür, dass der Mann, mit hoher Wahrscheinlichkeit, tatsächlich aus einer anderen Zeitlinie zu ihnen gekommen war. Er nickte zu dem freien Stuhl, der neben ihm stand. „Wo warst du die letzten Tage?“ „Hier und da.“ Dankbar nickend nahm der Zeitreisende Platz. Wie selbstverständlich griff Jason nach der Schüssel mit den Chips und ließ es sich schmecken. „Ich hab nach Rewind und Repeat gesucht. Sie aber nirgendwo aufspüren können.“ „Vielleicht können wir sie ja gemeinsam finden.“ In Richard erwachte die Neugierde und auch der Drang, endlich mehr zu erfahren, über Jason, über sich, über Tim, über Barbara, über Bruce und über Roy. Er wollte wissen, wie ihr Leben aussehen könnte, aussehen würde, wenn Jason es schaffte, die Zeitlinien wieder in Ordnung zu bringen. „Bevor wir dir jedoch selbstlos zur Hand gehen...“, brachte Tim sich ein. „... will ich mehr von dir erfahren. Ich möchte wissen, auf was ich mich einlasse.“ „Ist in Ordnung. Eine Hand wäscht die andere, sagt man doch so schön.“ Wie vorhin Tim, packte nun auch Jason die Füße auf die Tischplatte, lehnte sich zurück und verschränkte die Hände im Nacken. „Ich versuche euch, so weit es mir möglich ist, in alles einzuweihen, aber ihr müsst akzeptieren, dass ich nicht alles preisgeben kann.“ Richard würde einfach mal dem Gespräch lauschen. Er hatte ja schon das Vergnügen mit Red Hood. Er würde Timothy das Feld überlassen. Vielleicht kam sein Adoptivbruder ja mit ein paar anderen Ansätzen. „Ich wandere nicht nur zwischen den Zeitlinien“, begann Jason, dabei einen Chip nach dem anderen kauend. „Ich komme aus der Zukunft. Nicht weit, nur fünf Jahre, aber weit genug, um zu wissen, wie es für uns alle in der Zukunft aussieht.“ Sein Blick glitt zu Richard. Er fixierte ihn regelrecht. „Nicht gut...“ Schluckend schloss Richard für einen kurzen Augenblick die Augen. Das nicht gut, schien direkt auf ihn gemünzt zu sein. Er fragte jedoch nicht nach. Das alles war nur Zukunft, nichts was wirklich geschehen würde, also, wieso sollte er sich beunruhigen lassen, anders als Tim, der genau nachfragte, dabei aber den Bildschirm vor sich nicht aus den Augen ließ: „Was geschieht in fünf Jahren?“ „Hier? Keine Ahnung.“ Jason zuckte mit den Schultern. „Was sich in meiner Zeitlinie, in der Zukunft, ereignet, spielt keine Rolle mehr. Der Lauf der Geschichte ist so oft verändert wurden, dass es die Zukunft, aus der ich komme, nicht mehr gibt.“ Er schob die unterdessen geleerte Schüssel auf den Tisch. „Ich habe meine Verbindung zu Rewind und Repeat verloren. Seit Tagen keine Zeitsprünge mehr, genauer gesagt, seit dem wir hier bei euch gelandet sind. Beinah wirkt es so, als hätten sie ihr Ziel erreicht.“ „Was ist bei uns grundlegend anders, als bei dir?“, brachte Richard sich nun doch ein. „Es ist ruhig...“ Darauf folgte ein heiseres Lachen. „Um nicht zu sagen, es ist langweilig bei euch.“ Richard und Tim warfen sich fragende Blicke zu. „Versteht mich nicht falsch“, fuhr ihr Gast fort. „Ich weiß, was Batman, Batgirl, Nightwing, Red Robin, Green Arrow und auch Arsenal...“ Bei dem letzte Namen zuckte der Mann aus der Zukunft kurz mit den Augenbrauen. „... erreicht haben. Es ist euch zu verdanken, dass es so ruhig ist, dennoch, scheint es falsch zu sein. Es fehlen so viele wichtige Menschen, Personen. Es gibt keine Metawesen, keine magisch Begabte und anscheinend nicht einen Außerirdischen. Fast scheint es so, als wären all die Freunde und die Kampfgefährten, die wir eigentlich haben, nicht existent.“ „Vielleicht war genau dies das Ziel von Repeat und Rewind“, erklang eine vertraute Stimme aus dem Off. Wie immer, hatte Alfred unbemerkt die Höhle betreten, in den Händen ein Tablett mit Snacks und Getränken. „Alfred!“ Ein Anflug von Lächeln erhellte Jasons Gesichtszüge, ehe er sich erhob, dem älteren Herrn das Tablett abnahm und vor ihm stehen blieb. „Schön dich zu sehen und wie überall, sorgst du hingebungsvoll für unser aller Wohl.“ Auf diesen Satz ging der Butler nicht weiter ein. Niemand musste der guten Seele des Hauses erläutern, wer da vor ihm stand. Nichts geschah, ohne das der Butler davon erfuhr. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Master Bruce, die Anwesenheit eines Fremden, in der Bathöhle, gutheißen würde.“ „Bruce ist nicht da“, murmelte Jason nur und griff nach einem Schinkensandwich. „Und ich bin mir ziemlich sicher, dass ihr mich nicht rauswerft, dafür seid ihr alle viel zu neugierig.“ 23. --- Mit einer Geste wies Jason Alfred den freigewordenen Platz zu und eroberte selbst den überdimensionierten Schreibtisch. Mit den Beinen baumelnd, erzählte er weiter: „Ich hielt mich in vielen verschiedenen Zeitlinien auf - mal für eine Stunde, mal für einen Tag, mal für drei Tage. Hin und wieder blieb mir die Zeit nach euch zu schauen oder euch aufzusuchen. In beinah allen Zeitlinien existierten Batman und wir.“ Da Jason aß und dabei berichtete, lehnte Richard sich gemütlich zurück, nahm sich etwas von dem frischen Kaffee und beobachtete ihren Gast und dessen Mienenspiel, um zu erkennen, ob er Jason vertrauen konnte oder nicht. „Mal kämpfte Bruce alleine, mal mit einem von uns an der Seite oder mit allen. Dick, du...“ Nach einer theatralischen Pause und einem Schluck von Alfreds guten Kaffee, fuhr der Fremde fort: „... bist eigentlich immer ein Robin gewesen, später dann Nightwing, wobei es mich hier verwundert, dass du diesen Namen für dich wähltest, da Superman hier anscheinend nie auf der Erde ankam. Er erzählte dir einst von einem Helden namens Nightwing, der auf seinem Heimatplaneten Krypton lebte.“ „Superman?“ Um auch ja nichts zu verpassen, regulierte Tim die Lautstärke der Polizeifunks, ein wenig nach unten. „Ein Typ in einem blauen Anzug, mit einem großen S auf der Brust. Wobei es gar kein S ist, sondern ein Symbol, sein Familienwappen, was wohl soviel wie 'Hoffnung auf Frieden' bedeutet. Dazu ein großes, rotes Cape und fertig ist der außerirdische Superheld“, grinste Jason. „Sein irdischer Name lautet Clark Kent. Als sein Heimatplanet explodierte, schickten seine Eltern ihn als Baby, mit einem Raumschiff, auf die weite Reise. Gefunden hat ihn ein Farmerehepaar aus Smallville - Martha und Jonathan Kent.“ Noch während Jason die Namen aussprach, tippte Timothy diese schon ein. „Martha und Jonathan Kent aus Smallville haben tatsächlich einen Adoptivsohn namens Clark. Etwa so alt wie Bruce.“ Jason nickte. „Komisch, ich hab den Kents auf der Farm einen Besuch abgestattet, aber nicht ein Anzeichen von Clark entdeckt.“ Richard konnte regelrecht erkennen, wie es hinter der Stirn des Dunkelhaarigen arbeitete. „Vielleicht ist dieser Clark einfach kein Außerirdischer“, mutmaßte Timothy und zauberte ein Photo, von eben jenem Clark Kent ihrer Zeitlinie, auf den Bildschirm. „Die Kents adoptierten ihn in einem Waisenhaus in Metropolis.“ „Das ist nicht Clark“, murmelte Jason. „Zumindest nicht der Clark aus meiner Zeitlinie.“ Resigniert ließ der Gast die Schultern hängen, als er auf den blonden Mann, mit den grünen Augen, der die Kent-Farm im Sinne seiner Eltern weiterführte, schaute. „Von ihm können wir wohl keine Hilfe erwarten.“ „Du wolltest vorhin etwas über mich erzählen“, erinnerte Richard, der wusste, dass nicht nur er, all die kleinen Details im Kopf behalten würde. „Ach ja, du bist nicht überall Nightwing, nicht mal Robin. In einer Zeitlinie gastierte gerade 'Halys Zirkus' in Gotham und mit ihm die Superstars in der Manege: Die 'Flying Graysons'. Ganz Gotham schmückten Plakate mit deinem Konterfei und dem deiner Eltern.“ „Sie lebten?“ Tief in sich spürte Richard, wie die Trauer die Krallen nach ihm ausstreckte, immer dann, wenn er an seine Eltern Mary und John dachte. „Ja, sie erschufen ein Familienunternehmen. Die 'Flying Grayson' ein eingetragenes Markenzeichen und eine Firma. Überall auf der Welt hattet ihr Auftritte. Ihr habt sogar den 'Goldenen Clown' beim internationalen Zirkusfestival von Monaco gewonnen und du warst für zwei Jahre beim 'Cirque du Soleil'.“ Hart schluckte der erste Robin. Hätte sein Leben tatsächlich so aussehen können? Bevor er sich jedoch tatsächlich Gedanken darüber machen konnte, fuhr Jason fort: „In einer anderen Zeitlinie hast du es nicht so gut getroffen. Als deine Eltern starben, befand sich Bruce nicht unter den Zuschauern und somit...“ „Ja?“ Eine Gänsehaut kroch Richard über den Rücken. Die Augen leicht zusammengekniffen, hakte Jason nach: „Willst du es wirklich wissen?“ „Ja...“ Innerlich machte Richard sich auf alles gefasst. „Du bist vor der Fürsorge geflohen, hast dich irgendwie durchs Leben geschlagen, als Straßenkind. Ich hab nach dir gesucht, dich irgendwie ausfindig gemacht und aufgesucht. Ich hab dich kaum erkannt: Obdachlos, Alkohol- und Drogenabhängig und auf den...“ Unmerklich schüttelte Richard den Kopf. Er schloss kurz die Augen, atmete einmal tief durch und hoffte, dass Jason, die letzten entscheidenden Worte nicht aussprach. Was auch immer in dieser Zeitlinie mit ihm geschehen war? Was auch immer ihn zu diesem Leben trieb, es spielte keine Rolle, denn hier und heute ging es ihm gut. „Vielleicht ist es an der Zeit, eine Flasche des guten Whiskys zu holen“, räusperte sich Alfred, der sich tatsächlich, entgegen seiner eigenen Regeln, gesetzt hatte. „Ich glaube, wir alle könnten einen guten Schluck vertragen.“ „Gute Idee“, pflichtete Richard bei, denn eben spielten sich ein paar unschöne Szenen in seinem Kopf ab. Bevor Alfred die Höhle jedoch verließ, suchten Jasons blaue Augen den direkten Kontakt zu Richards. „Es war die einzige Zeitlinie in der du abgerutscht warst. Ansonsten ging es dir überall gut. Du warst sogar einmal Special Agent beim FBI.“ „Und was ist mit mir?“ Nun schien auch Timothy neugierig auf seine verschiedenen Leben zu sein. „Dir schien es überall so weit gutzugehen.“, lachte Jason. „Sorry, wenn ich dir nicht mehr erzählen kann, aber mein erster Anlaufpunkt war immer Dick. Ich habe nach jedem Zeitsprung immer zuerst nach ihm gesucht.“ „Wieso ich?“ Was auch immer Richard und Jason verband, es schien mehr zu sein, als nur eine lose Bekanntschaft. Mit den Schultern zuckend, griff Red Hood nach einem weiteren Sandwich, diesmal mit Truthahnbrust belegt. „Ich vertrau dir...?“ Aufgrund der Informationsflut herrschte gespenstisches Schweigen in der Höhle. Nur der Polizeifunk lief, leise rauschend und knackend, im Hintergrund. Erst als Alfred mit dem Whisky zurückkehrte, nahm Jason das Gespräch wieder auf: „Es gibt noch eine fixe Konstante.“ Dankbar nahm er dem Butler das Whiskyglas ab, prostete ihm zu, lächelte und erklärte leise: „Auf den Butler ist immer Verlass.“ „Okay, genug von den anderen Zeitlinien!“ Tim schüttelte sich leicht, nachdem er seinen Whisky getrunken hatte. „Kommen wir mal zurück zu Repeat und Rewind. Was weißt du über sie?“ „Kenneth und Raymond Draxler - eineiige Zwillinge, geboren in Gotham, am 26. Juni 1985...“ Und wieder war es Timothy der in den Weiten des Netzes ein Photo der beiden aufspürte: braune, lockige, halblange Haare, braune Augen, südländischer Einschlag, so präsentierte sich das Zwillingspärchen beim Surfen auf Hawaii. „Keinerlei Hinweise auf paranormale Fähigkeiten“, murmelte Red Robin. „Zwei ganz normale einunddreißig jährige Männer, die in LA eine Surfschule betreiben.“ „Metawesen“, lachte Jason. „Wir sind doch nicht bei Akte X.“ „Ach, gabs die Serie bei dir auch“, feixte Tim, ehe er wieder ernst wurde. „Laut ihrem Onlinestatus befinden die beiden sich im Moment auf Hawaii.“ Tief in die eigenen Gedanken versunken, drehte Richard sein Glas zwischen den Fingern. Er lauschte nur mit einem Ohr, viel zu viel ging ihm gerade durch den Kopf. „Eure Zwillinge befinden sich auf Hawaii. Meine werden sich nicht in ihre Nähe wagen. Ich gehe meinem Doppelgänger auch aus dem Weg. Man weiß nie, was geschieht, falls wir uns begegnen sollten.“ „Wie kam es überhaupt dazu?“ Noch immer sein Whiskyglas festhaltend, wollte Richard etwas über den Beginn der Zeitreisen wissen. „Wie schon erwähnt, in fünf Jahren ereignet sich etwas, weshalb ich mich an ihre Fersen hefte. Ich habe keine Ahnung, ob die, die ich verfolge, tatsächlich Kenneth und Raymond Draxler aus meiner Zeitlinie sind, aber Repeat und Rewind lösten einen Krieg aus, der vielleicht noch immer tobt. Ich beschloss mit ihnen zu reisen, als ich bemerkte, dass sie Zeitreisende sind und bekam Hilfe von zwei magisch begabten Superhelden. Zatsana band mich mit einem Zauber an die beiden. Fragt mich bitte nicht, wie das ganze genau funktioniert. Die magische Verbindung zerfällt von alleine, sobald ich meine Zeitlinie repariere.“ „Und wie willst du dies bewerkstelligen?“ „Das ist es ja, Tim. Ich habe keinen blassen Schimmer. Helfen würde es mir schon, wenn ich die Zwillinge hier aufspüren und sie dazu bringen kann, mit mir zum Ausgangspunkt zurückzukehren, damit ich ihre Veränderung rückgängig machen kann und so vielleicht den Krieg der Metawesen verhindere.“ „Und wir sollen dir dabei helfen?“ „Ja, so habe ich mir das vorgestellt.“ „Aber von uns reist niemand durch die Zeit“, erinnerte Richard, der nun seinen Whisky trank. „Ich weiß...“ Mehr sagte Jason nicht dazu. „Okay, dann werde ich mal einen Suchalgorithmus schreiben und dem Rechner was zu tun geben. Kann aber eine Weile dauern, ehe er Ergebnisse ausspuckt. Hast du Zeit?“ Die Finger schon über der Tastatur schwebend, blickte Tim Jason fragend an. „Habe ich, langsam ist es nämlich echt mühsam, euch immer wieder alles zu erzählen und zu erklären.“ „Wie oft hast du schon unsere Hilfe in Anspruch genommen?“ „Unzählige Male, aber noch nie war ich so lange in der selben Zeitlinie gefangen. Daher hoffe ich, dass es so bleibt.“ Jason gönnte sich noch einen Schluck des guten Whiskys. „Aber mal was anderes. Kann ich für ein die nächsten Tage und Nächte hierbleiben?“ Die Augenbrauen fragend zusammenziehend, erkundigte Alfred sich: „Hier auf Wayne Manor?“ „Ja, hier auf Wayne Manor, Alfred. Ich würde nur zu gern mal wieder deine Crêpe Suzette oder deine Egg Benedict zum Frühstück essen.“ „Gästezimmer haben wir ja genug“, traf Timothy, der derzeitige Herr über das Anwesen, eine Entscheidung. 24. --- Gemeinsam mit Red Hood, der Red Robins Redbird fuhr, patrouillierte Nightwing durch das nächtliche Gotham. Es war dem werdenden Vater nicht gerade leicht gefallen Barbara so kurz vor dem Entbindungstermin alleine zu lassen, aber sie hatte ihn regelrecht dazu überredet: Frauen und ihre Überzeugungskunst. Die Suche nach Rewind und Repeat lief auf Hochtouren, war bis jetzt jedoch ergebnislos geblieben. Das Zwillingspaar blieb verschwunden. Mit Geduld und Spucke hatte Tim Bruce in ihr Vorgehen eingeweiht und damit beinah dafür gesorgt, dass der Millionär seine Zelte abbrach und die Reha vorzeitig verließ. Bruce wollte seine Stadt nicht in den Händen eines Fremden sehen. Tim schaffte es jedoch, mit den richtigen Argumenten, seinen Adoptivvater zum Bleiben zu bewegen. Gegen die Bedenken, die Batman jedoch gegenüber Red Hood hegte, konnte selbst Tim nichts tun. Sie standen unter Kontrolle. Nun lag es an ihnen, Bruce zu beweisen, dass sie Gotham weder zu Grunde richteten, noch dass die Kriminalität wieder überhand nahm. Richard gefiel es, mal wieder einen festen Partner an der Seite zu haben. Er verstand sich mit Jason und im Kampf konnten sie sich, nach zwei gemeinsamen Nächten auf den Dächern Gothams, blind aufeinander verlassen. Beinah kam es ihm so vor, als wären Red Hood und Nightwing schon seit Jahren Partner. Sie kamen ganz gut miteinander aus, wenn Richard Jason auch sehr oft Einhalt gebieten musste, da Red Hood mit anderen Methoden vorging. Schon nach ihrer ersten gemeinsamen Runde hatte Timothy Jasons Waffen einkassiert und mit den Worten: „Du bist einer von uns, also sollte dir der Gebrauch unseres Arsenals nicht fremd sein“, seinen Standpunkt vehement vertreten und tatsächlich beugte Jason sich, wenn auch nur widerwillig. Der Zeitreisende legte eine ganz schöne Neugierde an den Tag. Er wollte mehr über sich selbst in dieser Zeitlinie erfahren, stellte aber auch ziemlich persönliche Fragen, was Richard, Timothy und Bruce betraf, außerdem wollte er wissen, wie Dick Job, Familie und sein alter Ego unter einen Hut bekam und so eilten die Tage und Nächte in Gotham dahin. Hier und da ein paar Festnahmen, nichts weltbewegendes und vor allen Dingen sterbenslangweilig, wie Red Hood immer wieder betonend von sich gab. Dem Mann, mit der roten Maske, schienen tatsächlich die psychopathischen Gegner aus der eigenen Zeitlinie zu fehlen. Er erzählte von Two Face, der sich nur auf die Entscheidung eines Münzwurfes verließ und hier, in diesem Gotham noch immer Staatsanwalt Harvey Dent war. Er berichtete von einem Pinguin, von einem Riddler und einer Menge anderer durchgeknallter Männer und Frauen, die hier entweder ein normales Leben führten oder einsaßen. Richard wollte sich nicht einmal vorstellen, wie sein Leben in all dem Chaos aussehen könnte und Jason hielt sich weiterhin bedeckt. Der Fremde hielt an seinem Vorsatz, Richard nichts von seinem eigentlichen Leben zu erzählen, fest, was Dick schon wurmte, aber nicht wirklich störte, denn dafür hatte er ja Roy, der ihm munter plaudernd am Telefon auf dem Laufenden hielt, was seine Träume betraf. Es waren nur Kleinigkeiten die Roy mitteilte, aber diese Kleinigkeiten zeigten Richard, dass sich sein wirkliches Leben unglaublich von dem anderen, dem eigentlichen unterschied. Obwohl, wer sagte eigentlich, dass seine Zeitlinie nicht die echte war? Konnte ja gut sein, dass sein Leben hier, das echte war und Jason aus einer veränderten Zeitlinie zu ihnen kam und nun das Zeitkontinuum vollkommen durcheinander wirbelte. Jedenfalls hatte Roy ihm vor ein paar Abenden am Telefon erklärt, dass Dick in der anderen Zeit nicht mit Barbara verheiratet war, dass er keinen Sohn und Gotham verlasen hatte. Er hatte wohl einen anderen Weg eingeschlagen. Darüber jedoch nachzudenken, empfand der erste Robin als mühselig und so ließ er es bleiben. „Red Hood?“ Über den Funk nahm er Kontakt zu seinem neuen Partner auf. „Wo steckst du?“ „Bei den Docks. Ich schau mir gerade eins von Pinguins Verstecken an, ohne Erfolg. Hier gibt es nur einige Container mit leeren Eierkartons.“ Es war gut, jemanden an der Seite zu wissen, der wusste, wer sich wo in Gotham herumtrieb, wo sich welches Versteck oder Hauptquartier der einzelnen Gangs befand. Dabei spielte es keine Rolle, dass diese Informationen aus der anderen Zeitlinie herrührten. Es konnte nie schaden, nachzusehen und so erkundeten sie gemeinsam all die geheimen Plätze der Unterwelt. Nightwing wusste, dass Bruce sich jede Nacht in ihren Funk einklinkte und den Neuen zähneknirschend akzeptierte. Heute jedoch befand er sich nicht in der Leitung. Er hatte wohl eine Frau kennengelernt und verbrachte mit ihr den Abend, in einer der Bars, die sich in der Nähe der Rehaklinik befanden. Insgesamt hatte Bruce während seiner Reha, unglaublich viele Kontakte knüpfen können, nicht nur zu berühmten oder angesagten Sportlern, von Footballspielern, über Snowboarder, bis hin zu weltberühmten Fußballern. Sogar der eine oder andere Olympiasieger war ihm über den Weg gelaufen, auch ein Oskar-Preisträger. Kurz gesagt, er befand sich unter seines gleichen, wohl auch ein Grund, wieso er es bis jetzt in der Rehaklinik aushielt. Ein 5-Sterne-Hotel, nur mit Physiotherapie, hatte Bruce zu Anfang mal gesagt. Und da Bruce nicht zuhörte, fand Dick den Moment passend, mehr über seine anderen Leben in Erfahrung zu bringen. Gegen 3:00 Uhr fanden die beiden Vigilanten sich an Nightwings Lieblingsplatz ein und obwohl gerade mal Anfang Februar war, hielt der Winter sich weiterhin zurück. „Und ich hatte tatsächlich eine Anstellung im Cirque de Soleil?“, wollte Nightwing leise wissen, da er diese Tatsache noch immer nicht so recht verdaut hatte. „Ja, gemeinsam mit deiner Schwester.“ Jason blieb im Schatten des Fahrstuhlschachts stehen. „Ich habe eine Schwester?“ Richard zog die Stirn kraus. „Nur in dieser einen Zeitlinie. Sie ist so alt wie Tim.“ „Dann lebten meine Eltern dort?“ Hart schlug das Herz in Richards Brust. „Ja...“ Einmal tief durchatmend, straffte Nightwing sich und fragte: „Wie lange warst du dort?“ „Fünf Tage und dabei fiel mir auf, dass sich immer wieder findet, was zusammengehört. Deine Schwester trug übrigens einen Doppelnamen: Grayson-Drake.“ „Tim?“ Richard konnte es kaum glauben, sein Adoptivbruder, nein, in dieser Zeitlinie, war Tim ganz sicher nicht sein Adoptivbruder, aber wohl sein Schwager. Nickend trat Red Hood zu Nightwing an den Rand des Daches. „Tim war kein Robin, du auch nicht und ich erst recht nicht. Batman war ein Einzelkämpfer, ohne jeglichen jugendlichen Partner, brutal, hart und ohne Mitleid, aber er hatte seine Stadt unter Kontrolle. Uns allen ging es gut, wenn nicht sogar ausgezeichnet.“ Von der Seite sah Nightwing seinen neuen Partner an, nur um wieder einmal festzustellen, dass dieser eine Vollmaske trug und er nicht in den Zügen des anderen lesen konnte. „Tim arbeitete als IT-Supporter bei Wayne Enterprises und auf einer von Bruce riesigen Wohltätigkeitsveranstaltungen lernte er Marion kennen. Sie heirateten und hatten eine kleine Tochter. Ich war Angestellter bei einer Bank, auch nicht so übel, wenn man mein Leben, dass ich davor führte, bedenkt.“ Wollte Dick tatsächlich wissen was mit ihm war? „Du dagegen warst ein Star in der Manege und ein ganz schöner Frauenheld. Du hast dich von einer Beziehung in die nächste gestürzt, hier ein Model, da ein Sternchen oder mal eine Schauspielerin. Du hast nichts anbrennen lassen, aber letztendlich hat dir eine hübsche Polizistin den Kopf verdreht und du hast dein Quartier, wie deine Schwester in Gotham aufgeschlagen. „Eine Polizistin?“ Im Kopf ging Richard all die Kolleginnen von Dean durch. Vielleicht war es ja eine von ihnen. „Sie war die Partnerin von einem Detectiv Morgan.“ Dean besaß einen Partner, ja, Thadeus Bishop, ein netter Kerl, aber ganz sicher nicht Richards Typ. Oh man, musste Jason ihn so auf die Folter spannen? „Verrätst du mir, wer sie war?“ „Detectiv Gordon.“ „Babs?“ Ein warmes, zärtliches Gefühl überrollte Dick. „Wer sonst? Ich sagte doch, es findet immer zusammen, was zusammengehört.“ Beruhigt durch die Tatsache, dass Barbara und er in den verschiedensten Zeitlinien ein Paar zu sein schienen, atmete Richard auf. Dann konnte es ja gar nicht so übel in der echten Zeitlinie sein. Mag ja sein, das Babs und er nicht verheiratet waren und keine Kinder hatten, aber sie würden sich kennen und ganz sicher mehr bedeuten, als nur ferne Bekannte. „Wieso erzählst du mir so frei, was in all den unterschiedlichen Zeitlinien aus uns wurde, aber...“ Nightwing verstummte, als er ein paar Maskierte unter sich in der Gasse erblickte, die sich eben an dem Schloss eines Hintereinganges zu einem Tabak- und Schnapsladen zu schaffen machten. „Arbeit“, kommentierte er und schwang sich in die Nacht. Gemeinsam tauchten die beiden Vigilanten hinter den acht Einbrechern auf. „Hey“, rief Jason, dann stürzte er sich ins Getümmel. Seite an Seite kämpften die beiden so unterschiedlichen Männer, bis ein leises Knacken in Richards In-Ears ihn innehalten ließen. „Nightwing!“ „Bin da“, antwortete er und behielt die Gegner, die sich gerade gemeinsam auf Red Hood einschossen, im Auge. Wie lange war es schon her, dass er Barbaras Stimme über ihren Funk vernahm? Eine gefühlte Ewigkeit. „Jenny bringt mich in die Klinik.“ Die Verbindung zerbrach. Es war soweit. Richard packte einen der Angreifer am Schlafittchen und zog ihn von Red Hood fort. „Was machst du noch hier?“, keuchte Jason und überwältigte einen der Einbrecher. „Mach das du fortkommst. Ich schaff das hier alleine.“ Die flache Hand in den Nacken, des noch jung aussehenden Mannes, sausen lassend, schickte diesen ins Reich der Träume, dann sah man nur noch einen Schatten der im Dunkel der Gasse verschwand und einen Red Hood, der unter den Einbrechern ordentlich aufräumte. 25. --- Es blieb keine Zeit sich umzuziehen. Vorsorglich hatte Richard Jeans, einen Hoodie, eine Jacke und Turnschuhe verstaut. Er angelte nach dem Rucksack, streifte die Sachen über sein Kostüm und nahm die Maske ab, als er sich sicher sein konnte, sich alleine in der Gasse zu befinden. Im den Klinik würde er sich dann richtig umziehen. Den Redbird konnte er nicht nehmen, viel zu auffällig und so eilte er zur nächsten großen Straße, winkte sich ein Taxi und bat den Fahrer auf die Tube zu drücken. Unruhig rutschte der Dunkelhaarige auf dem Rücksitz hin und her, bis sie endlich vor der Klinik hielten. Er zahlte, gab ein saftiges Trinkgeld und stürzte los. Sonst so beherrscht, verlor er nun ein wenig den Kopf. Automatisch schwang die gläserne Tür vor ihm auf. Hell erleuchtet lag der Empfangsbereich vor ihm. Er nickte der Schwester hinter dem Empfangstresen flüchtig zu, dann trugen ihn seine Beine zu den Aufzügen, die er dann doch links liegen ließ. Zu Fuß war er schneller, außerdem wollte er nicht aufgeregt wartend davor stehen. Er riss die Feuerschutztür auf, fand sich in einem weiß getünchten Treppenhaus wieder und nahm nur jede zweite Stufe, bis er den dritten Stock erreichte. Wieder öffnete er eine Tür, hielt sich danach links und begab sich direkt zur Entbindungsstadion. Auch dort fand er einen Wartebereich vor, mit Sesseln, Sofas, einem Kaffee- und einem Snackautomaten und anderen Annehmlichkeiten, die einem die Wartezeiten verkürzen sollten. Leer lag der Wartebereich vor ihm. Niemand da. Zimmer 3.16 huschte es ihm durch den Kopf. Wieder raus auf den Gang, vorbei an großen Pflanzen und weiteren Zimmern und dann stand er vor der entsprechenden Tür. Tief atmete er durch. Ob es schon soweit war? War er vielleicht schon zum zweiten mal Vater? Hielt Barbara sich noch in ihrem Familienzimmer auf oder befand sie sich schon auf Station? Leise klopfte er an, zog die Tür auf und trat ein. Ein großes Bett, daneben das Babybettchen, beides verwaist. Links von ihm stand ein großes Sofa, ein Schlafsofa und auf diesem lag Johnny, die Hände als Kopfkissen unter den Kopf geschoben und schlief. Kein Wunder um 2:00 Uhr in der Früh. Von Barbara sah er nichts. War es also doch schon soweit? Leise trat er an das Sofa, ging davor in die Knie und strich Johnny sanft durchs Haar. „Wo ist Mommy?“, fragte er. Verschlafen blinzelte der Sechsjährige ihn an, zuckte mit den Schultern und antwortete: „Vorhin war sie noch da.“ Mit einem Satz sprang der Junge auf und blickte sich gehetzt um. Bevor Johnny jedoch in Panik verfallen konnte, öffnete sich die Tür, die zu dem angrenzenden Bad führte. Barbara erschien, die Hände in die Seiten gestützt und lächelte ihn an. An ihrer Seite befand sich Jenny, die Richard böse Blicke zuwarf. „Wo zum Teufel hast du gesteckt?“, fuhr sie ihn an und kam auf ihn zu. „Du kannst Barbara doch nicht einfach, in der Nacht vor ihrem errechneten Termin, alleine lassen! Was, wenn etwas geschehen wäre? Außerdem wäre es deine Aufgabe gewesen, deine hochschwangere Frau hierher zufahren!“ Wo Jenny Recht hatte, hatte sie Recht. Er war nicht dagewesen, bevor er sich jedoch verteidigen konnte, legte Barbara eine Hand auf den Unterarm ihrer Freundin und erklärte: „Ich hab ihn gehen lassen. Es ist in Ordnung.“ „Trotzdem...“ Das Thema schien für die blonde Frau noch nicht vom Tisch zu sein. „Wo sind die anderen?“, wollte Barbara wissen und schlang die Arme um Johnny, der zu ihr getreten war und strich ihm sanft durchs Haar. „Hier“, erklang es von der Tür, in der soeben Ariana, Tim und Alfred erschienen. „Alfred, wärst du so lieb und bringst Jenny nach Hause?“, bat Barbara den älteren Herrn, der nickte. „Wir reden noch einmal, Richard. So einfach kommst du mir nicht davon!“ Jenny funkelte ihn an, bevor sie Barbara umarmte, ihr einen Kuss auf die Wange hauchte und einmal über den kugelrunden Bauch streichelte. „Ich komme morgen wieder, wenn eure Rosine auf der Welt ist und mach dir keine Sorgen, Nicky kümmert sich nur zu gern um Jason.“ Eine Augenbraue nach oben gezogen schaute Richard Jenny hinterher, als sie Alfred folgte. Endlich Zeit für seine Frau, die sich wieder hinlegte. Er setzte sich zu ihr, lächelte sie an und legte die Hände auf ihren dicken Bauch. „Wie geht es euch?“ „Rosinchen geht es gut und mir geht es so, wie es einer Frau geht, bei der die Wehen in immer kürzeren Abständen kommen.“ Leise lachte sie. „Wirklich sexy fühl ich mich gerade nicht, was nicht nur am Trainingsanzug liegt.“ *** Fasziniert und stolz stand Johnny neben dem kleinen Bettchen in dem sein kleiner Bruder lag und schlief. Er betrachtete ihn, sah, wie er atmete und wisperte: „Ich werde immer auf dich aufpassen!“ Für einen Moment schwebten Johnnys Finger über der Stirn des gerade mal drei Stunden alten neuen Erdenbürgers, dann zog er sie jedoch wieder zurück, ohne das Baby zu berühren. Auf der Couch sitzend beobachtete Richard die Szene und grinste überglücklich vor sich hin. Barbara schlief und erholte sich von den Strapazen der Geburt, die ohne Komplikationen verlief. Leise näherte er sich seinen Söhnen, legte Johnny die Hände auf die Schultern und schaute auf den kleinen Mann in dem Bettchen, der ihm sofort das Herz gestohlen hatte. „Johnny, du solltest etwas schlafen! Du warst die ganze Nacht wach.“ „Du hast auch nicht geschlafen“, kam die prompte Antwort. „Aber ich würde gerne etwas schlafen.“ Sacht schob er seinen ältesten Sohn Richtung Schlafcouch. „Na komm, Großer, ich weiß, du bist noch immer aufgeregt, aber du hilfst uns nicht, wenn du übermüdet bist und rumknurrst.“ „Ich knurre nicht.“ „Und wie du knurrst, wenn du auf der Couch vor dem Fernseher eingeschlafen bist und ich dich ins Bett bringe.“ Schmollend verzog Johnny den Mund, kam aber der Bitte seines Vaters, der sich an den Rand der Couch setzte, nach und benutzte dessen Schoß als Kopfkissen. Richard zog die Decke über seinen Sohn, der sich an ihn kuschelte und die Augen schloss. Zärtlich glitten die kräftigen Finger, durch das wirre, schwarze Haar des Jungen. Beinah nicht mehr vorstellbar, dass Johnny auch einmal ein so winziges Bündel Mensch gewesen war, vollkommen hilflos auf Barbara und ihn angewiesen. Da saß er nun, als frischgebackener Vater, dessen Leben sich wohl ein weiteres Mal ändern würde, nun da wieder ein kleines schreiendes Bündel bei ihnen einziehen würde. Obwohl er sich unendlich müde fühlte, fand er innerlich keine wirkliche Ruhe. Sein Blick glitt von dem Babybettchen zu seiner Frau, die tief und fest schlief, genauso wie ihre beiden Söhne. Er hing seinen Gedanken nach, die zum ersten mal nicht von der Zeitlinientheorie beherrscht wurden. Er dachte nicht an Red Hood, nicht an Roys Träume. Alles, was in Moment für den Mann zählte, war seine kleine Familie. Ab heute würde ihr Leben anders verlaufen, wieder fester in einen Zeitplan gedrängt. Er würde kürzer treten müssen. Da gab es so ein winziges Bündel, das seinen Vater brauchte. Und so traf es sich ganz gut, dass sich Red Hood gerade jetzt in ihrer Stadt aufhielt und vorbei war es, mit den sorgenfreien Gedanken. Vorsichtig, um Johnny nicht zu wecken, zog Richard sein Smartphone, blätterte sich durch die schon enorme Anzahl an Photos und schickte eines der ersten Bilder von seinem Nachwuchs an Roy. „Dick!“ Er schaute zu Barbara, schob vorsichtig Johnnys Kopf von seinem Schoß und legte sich zu der Frau, die ihn zum glücklichsten Menschen der Welt machte. *** Es war ein Segen für sie, dass sie sich für die Privatklinik mit den Familienzimmern entschieden hatten. So blieben ihnen drei Tage, an denen sie sich voll und ganz um sich und ihren Nachwuchs kümmern konnten. Dazu kam eine eigene Hebamme und das Wissen, dass sich immer ein Arzt und mehrere Schwester in der Nähe befanden. Maria, ihre Hebamme, war noch vor einer Stunde bei ihnen gewesen und Dr. Westermann hatte ihnen auch einen kurzen Besuch abgestattet. Am frühen Nachmittag, Johnny schlief noch immer tief und fest, Barbara schmiegte sich an Richard, der sicher und fest seinen Jüngsten im Arm hielt, klopfte es an der Tür, die sich kurz darauf öffnete. Das erste, das Richard erkannte, waren zwei Luftballons, einer pink und einer hellblau, diesen folgte ein brauner Teddybär, der eine Maske trug, im Stil von Richards Nightwing-Maske. Nach dem Geschenkewirrwarr betrat Jason den Raum. „Ich hatte die Wahl zwischen einem Jack-Sparrow-Teddy, einem Teddy mit rosa Tutu und diesem. Dieser schien mir die passendere Wahl zu sein.“ „Babs, das ist Jason. Ich hab dir von ihm erzählt.“ „Hi“, grinste der Zeitreisende von einem Ohr zum anderen, während Barbara nur nickte und den Fremden weiterhin von oben bis unten abscannte. Sie würde ihr eigenes Urteil fällen. „Hellblau oder rosa?“ Die Ballons abwechselnd nach unten ziehend und wieder steigen lassend, trat Jason näher. „Hellblau“, lachte Barbara. Richard erhob sich, darauf bedacht seinen Sohn nicht zu wecken, der friedlich, von den kräftigen Händen sicher gehalten, weiter schlummerte. „Darf ich vorstellen, unser kleiner Jamie.“ Mit dem Baby auf dem Arm und dem überglücklichen Strahlen auf dem Gesicht, sah Richard um Jahre jünger aus. „Steht dir“, lachte Jason. „Das ich das mal noch erleben darf. Der große strahlende Held mit seinem gutaussehenden Nachwuchs.“ Den Teddy zu Barbara werfend, die ihn geschickt auffing, betrachtete Jason den neuen Erdenbürger. „Kommt ganz nach der Mama. Da wird Roy sich freuen, dass es noch einen Rotschopf in eurem Kreis gibt. Kommt endlich mal wieder etwas Farbe ins Spiel.“ „Wer ist das?“, vernahmen sie die noch müde klingende Stimme von Johnny, der in seine Decke gehüllt auf dem Sofa saß. „Hey, Großer.“ Jason hielt dem Grayson-Spross die Luftballons entgegen. „Ich bin Jason, ein Freund deines Vaters.“ „Wieso kenne ich dich dann nicht?“ Typisch Johnny, erst mal skeptisch bleiben und dem Frieden nicht so recht trauen. „Dein Vater und ich lebten zusammen im Zirkus, lange bevor du geboren wurdest, lange bevor deine Eltern sich kennenlernten.“ Vor dem Sofa blieb Jason stehen. Mit der Frage: „Darf ich?“, setzte er sich zu dem Jungen. „Ich habe lange im Ausland gelebt. Bin gerade erst wieder zurückgekommen.“ Oh oh, ob das so eine gute Idee war? Nachdenklich runzelte Richard die Stirn. Er kannte seinen Sohn gut genug, um zu wissen, dass Jason der Neugierde des Kindes nicht so schnell entkommen konnte. „Wo warst du?“ Und schon begann sie, die kindliche Fragestunde. „Mal hier und mal dort.“ Ein amüsiertes Grinsen huschte über Jasons Gesicht. Er schien tatsächlich Spaß zu haben. „Wo?“ Johnny zog die Decke enger um seine Schultern. „Überall, in Europa, in Asien, in Australien...“ Richard war gespannt, welche Geschichte Jason sich aus den Fingern saugen würde. „Dann bist du ein Artist wie mein Dad?“ „So kann man es nennen.“ Jason band die Luftballons nun einfach am Sofa fest, da es ihm anscheinend lästig wurde, diese die ganze Zeit über zu halten. „Dann kannst du wie mein Dad einen Salto?“ Ein Lachen erhellte den Raum. „So gut am Trapez, wie dein Dad, bin ich nicht. Ich bin ein Scharfschütze. Ich treffe jedes Ziel.“ „Messerwerfer?“ Mit vollem Eifer war Johnny bei der Sache. „Genau, ich bin ein Messerwerfer“, bestätigte Jason und wuschelte dem Jungen durchs Haar. „Ich muss dann leider wieder los. Ich bin nur zu Besuch und auf der Durchreise.“ „Sehe ich dich noch mal? Dann musst du mir zeigen, wie man Messer wirft!“ „Wenn deine Eltern dies erlauben.“ Jason stemmte sich hoch, nickte noch einmal Barbara zu und sagte zu Richard, bevor er das Zimmer verließ: „Wir sehen uns in drei Tagen. Du weißt ja, wo du mich findest.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)