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Nicht dein Leben...

von

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14.

Neujahr 2016, nun schon wieder elf Stunden alt. Gemeinsam saßen sie bei einem gemütlichen Brunch an dem großen Esstisch und ließen es sich schmecken.

Lächelnd beobachtete Richard seinen Sohn und Lian, die neben ihren Tellern, also zwischen sich einen großen Zeichenblock liegen hatten und über ein gemeinsames Bild diskutierten, dass sie heute malen wollten.

„Habt ihr Lust mir beim Streichen des Kinderzimmers zu helfen?“, erkundigte er sich bei den Kindern. Es gab noch so viel zu tun und so langsam hatte er das Gefühl, dass ihm die Zeit durch die Finger rann. Er musste endlich das Kinderzimmer für ihr Rosinchen vorbereiten.

Eifrig nickend bekundete Johnny sein Einverständnis, bevor er von seinem Stuhl rutschte und zu seiner Mutter ging. Ohne Scheu legte er die Hände sanft auf Barbaras runden Bauch, beugte sich nach vorn, legt die Lippen auf den Stoff des weiten blauen Sweatshirts und sagte. „Hast du gehört, kleine Rosine, ich helfe Daddy dein Zimmer schön zu machen.“

Lachend und sichtlich stolz auf ihren Sohn, versenkte die werdende Mutter die Finger in seinem wirren Haarschopf. „Du wirst ein toller großer Bruder sein.“ Sie küsste seinen Scheitel und sah zu Lian, die ein wenig traurig zu Johnny und seiner Mutter schaute. Richard war sich sicher, dass sie an ihren Vater dachte, der sich heute noch nicht gemeldet hatte.

„Okay, ihr beiden helft in der Küche...“ Richard trank seinen Kaffee aus, erhob sich und wuschelte Lian durchs Haar, ehe er Johnny an der Hüfte griff, den Jungen zu sich drehte und ihm in die blauen Augen schaute. „... und Jason freut sich, wenn ihr danach mit ihm rausgeht.“

Als der Golden Retriever seinen Namen vernahm, kroch er unter dem Tisch hervor. Neben seinem Herrchen setzte er sich hin und wedelte aufgeregt mit dem Schwanz. „Johnny dreht dann eine Runde mit dir.“

Nachdem dies geklärt war und die Kinder ohne zu murren zustimmten, brachte Richard sein Geschirr in die Küche. Barbara folgte ihm, blieb vor ihm stehen, lehnte sich gegen ihn und wisperte: „Ich benötige ganz dringend mal wieder einen Abend mit dir, ohne Kinder und Hund. Nur du und ich, ein schöner Film, lecker Essen und danach...“ Sie verstummte, sprach nicht aus, was ihr noch auf dem Herzen lag. Es war nicht nötig, ihr Mann verstand sie auch so. Er zog sie in seine Arme. „Wir werden Zeit für uns finden.“

Sie schmiegte sich an ihn, schlang die Arme um ihn und nickte. Es gab Tage an denen sie ihn vermisste, obwohl er neben ihr saß oder stand. So wenig Zeit für Zweisamkeit, immer wieder kam etwas dazwischen, wenn sie eine gemeinsamen Abend planten. Sie beschwerte sich nicht, nahm es hin. Was sollte sie tun? So war ihr Leben nun mal und der Spagat zwischen Superheldendasein und dem ganz normalen Familienleben gelang nicht immer.

Zärtlich strich er ihr durchs Haar und suchte ihre Lippen für einen sanften, aber versprechenden Kuss auf. „Wenn Roy Lian abholt, werde ich den nächsten Abend freinehmen. Wir verkaufen Johnny und Jason an Jenny, dann gehöre ich ganz alleine dir, euch...“ Mit der rechten Hand strich er über ihren runden Bauch. „... und verwöhne euch...“

„Ich freu mich drauf.“ Sacht glitten ihre Finger über seinen Bauch, seine Seiten, hinauf zur Brust, legten sich dort nieder. „Und unser Rosinchen sich auch.“

Er fing ihre Hände ein, umschloss sie und lächelte. Schon jetzt freute er sich auf diesen Abend, davor jedoch musste noch so einiges erledigt werden. „Ich bin oben...“

Nickend löste die werdende Mutter sich von ihrem Mann, ließ ihn gehen und wandte ihre Aufmerksamkeit auf die Kinder, die den Tisch abräumten.

Tief in seine eigenen Gedanken, die sich nicht nur um Barbara und ihre fehlende Nähe drehten, sondern auch um die Aufgabe, die vor ihm lag, betrat er ihr Schlafzimmer, den begehbaren Kleiderschrank und suchte nach einem alten T-Shirt, das er Lian anziehen konnte, damit Roys Tochter sich nicht ihre Kleidung mit der Wandfarbe verschmutzte. Irgendwo gab es ein Regalbrett mit aussortierten Kleidungsstücken, die Barbara entweder entsorgen oder an die Obdachlosenhilfe weitergeben wollte. Zwischen den Hosen, Pullovern und Kleidern, fand er auch einen Stapel T-Shirts von sich. Ein graues Shirt, mit dem Aufdruck einer bekannten Motorradmarke erregte seine Aufmerksamkeit. Schon vor Jahren, lange bevor sie heirateten, hatte er es Barbara nach einer heißen Nacht überlassen. Dass sie es bis heute aufbewahrte, ließ ihn glücklich lächeln. Er nahm es an sich, faltete den Stoff auseinander und entdeckte die kleinen Löcher, die im Laufe der Jahre bei dünner werdendem Stoff, anscheinend von ganz alleine, während der Wäsche auftauchten. Kurz entschlossen, sortierte er das Shirt wieder bei seinen ein, zu schade, um es wirklich wegzuwerfen, immerhin erzählte es einen Teil ihrer Liebe. Zum Schluss entschied er sich für ein einfaches schwarzes Shirt, welches er Lian geben würde.

Mit dem Stoff bewaffnet, öffnete er die Tür zu dem, schon vor Jahren geplanten, zweiten Kinderzimmer, welches ihnen bisher als Bibliothek, Hobbyraum und Arbeitszimmer gedient hatte. Nun lag es leer vor ihm, weiß gestrichen, mit den dunklen Rändern, die darauf hinwiesen, wo einst die Bücherregale standen oder Bilder an den Wänden hingen. Zur Zeit befand sich das gesamte ehemalige Interieur auf dem Dachboden. Für Richard endlich mal ein Grund diesen auszubauen und Barbara eine neue gemütliche Bibliothek einzurichten. Jetzt aber, lag seine Priorität auf dem zweiten Kinderzimmer. Als sie im letzten Januar Johnnys Reich nach seinen Wünschen neu gestalteten, hätte er im Traum nicht damit gerechnet, dass er nur ein Jahr später, wieder ein Kinderzimmer renovieren würde.

Lächelnd erinnerte er sich an Johnnys und seinen Ausflug in den Baumarkt, damit sein Sohn sich eine Farbe auswählen konnte. Wirklich verwundert hatte es ihn nicht, dass Johnny sich ein blaues Zimmer wünschte. Inwieweit er als Nightwing dafür verantwortlich war, konnte Richard nur raten, dennoch kamen er und Barbara den Wünschen ihres Sohnes nach.

Auf dem blanken Estrich, da er den alten Teppich vor drei Wochen entfernte, standen die Farbeimer, daneben lagen die typischen Malerutensilien. Das Leitergerüst hatte er schon aufgebaut. Auf der Fensterbank stand ein altes Radio, welches er einschaltete. Mit Musik arbeitete es sich leichter. Schnell noch den Baustrahler angesteckt, damit er besser erkannte, was er tat, dann öffnete er den ersten Eimer.

Gemeinsam, als Familie, hatten sie im Baumarkt ein warmes Dunkelorange mischen lassen, einen Farbton, der an einen traumhaften Sonnenauf- oder -untergang erinnerte. Die Wände kamen aber erst später dran, heute würde er sich um das Weißen der Decke kümmern und so füllte er die weiße Deckenfarbe in eine Farbwanne um und legte ein Abstreifgitter darüber. Sorgsam ließ er den Blick noch einmal durch den Raum gleiten. Steckdosen und Lichtschalter hatte er abgebaut, diverse Leisten und Türrahmen abgeklebt. Er sortierte die benötigten Malermaterialien auf das Arbeitsgerüst, stieg hinauf und arbeitete angestrengt eine Stunde ohne Unterbrechung vor sich hin.

Nur noch vierunddreißig Tage, huschte es ihm durch den Kopf. Er würde sich ranhalten müssen, immerhin musste noch ein Boden verlegt und die Möbel aufgebaut werden. Ein Teil der neuen Möbel befand sich noch verpackt und nicht aufgebaut in der Garage. Mitte Januar würden die Gardinen und Übergardinen fertig genäht geliefert werden. Den Part, der die Dekoration betraf, überließ er nur zu gern seiner Frau. Er war handwerklich nicht unbegabt, hatte beim Bau ihres Hauses so viele Handgriffe wie möglich alleine erledigt, aber was die Gemütlichkeit anging, hatte Barbara das bessere Händchen. Für ihn musste es praktisch sein, komfortabel ja, aber der Blick für die kleinen Details, der fehlte ihm.

„Dick!“ Eine Bierflasche in der Hand stand sein Batgirl in der Tür.

Er legte die Farbrolle zur Seite, sprang von dem Gerüst und nahm Barbara mit einem: „Danke“, die gut gekühlte Flasche ab. Er kreiste die Schultern, lockerte die Muskeln, da selbst für ihn, das andauernde über Kopf arbeiten anstrengend war.

Bevor er durstig trank, stahl er sich einen Kuss und folgte Barbaras Blick, die zur Decke schaute. Am liebsten hätte er die freie Hand auf ihren Bauch gelegt, da es sich aber nicht hatte vermeiden ließ, dass die weiße Farbe einen Weg auf seine Finger fand, verbot er es sich. Stattdessen erkundigte er sich: „Was machen die Kids?“

„Traurig ihre Legostadt abbauen, bevor sie dies aber taten, musste ich ihre Stadt aus allen möglichen Blickwinkeln fotografieren.“ Lachend zog sie ihr Smartphone aus der Hosentasche. „Ich soll Roy diese Bild schicken.“

Neugierig warf Richard einen Blick auf das Display. Fröhlich lachend saßen Johnny und Lian hinter ihrer Stadt und hielten Legofiguren in den Händen.

„Was soll ich schreiben?“

„Das seine Tochter angehende Bürgermeisterin ist“, lachte der Dunkelhaarige. „Wie wärs mit gesundes neues Jahr?“

„Hab ich schon geschrieben.“

„Richte ihm einfach Grüße aus. Ich ruf ihn heute Abend an.“

Bevor Barbara ihren Text zu Ende tippte, schob sie sich ein paar Haarsträhnen hinter die Ohren, da sie sie beim Schreiben störten. Sie sendete die Nachricht ab, danach wechselte sie das Thema: „Hast du in der Uni wegen deiner Vaterzeit nachgefragt?“

Er trank noch etwas, dann nickte er: „Kein Problem. Sobald unser Rosinchen auf der Welt ist, nehme ich zwei Monate frei.“

„Die Namen Wayne und Gordon ebnen uns jeden Weg“, lachte sie sarkastisch. „Ich habe meinen Wunsch nur ansprechen müssen und er wurde ohne Diskussionen abgenickt.“

Nun konnte Richard doch nicht mehr anders. An der alten Jeans, wischte er sich die Hände ab, danach legte er eine Hand auf den Bauch seiner Frau und zog sie näher.

„Wenn ich sehe, was die Frauen alles tun, nur um vor und nach der Geburt Hause bleiben zu können. Sie sammeln Überstunden und sparen sich ihren Urlaub. Wir sind ein so großes modernes Land und rühmen uns als Weltmacht, aber bei einem so wichtigen Thema sind wir Hinterwälder.“

Zärtlich streichelte Dick den Babybauch vor sich. „Wir können daran leider nichts ändern.“

„Menschen wie Bruce könnten es“, verteidigte sie ihren Standpunkt.

„Deswegen gibt es bei Wayne Enterprises, wie in Europa, Mutterschutz, Mutterschaftsgeld und die Möglichkeit auf ein Babyjahr.“ Richard wusste, wie sehr dieses Thema seine Frau beschäftigte. Es lag nicht nur an ihren Namen, dass sie die Vorteile des Mutterschutzes genießen konnte, nein, es lag auch an ihren Jobs, denn in der Universität, wie auch in der Bibliothek fanden ähnliche Regelungen Anwendung.

„Er muss damit an die Presse gehen und es in den Netzwerken posten, so wie Zuckerberg.“

„Da gibt es einen gravierenden Unterschied, Babs. Zuckerberg wurde Vater, Bruce nicht.“ Zumindest nicht in unserer Zeitlinie, vollendete er in Gedanken.

„Leider...“ Sie löste sich von ihm und wechselte das Thema, anscheinend wollte sie nicht weiter darüber nachdenken. „Kann ich dir irgendwas helfen?“

Richard schüttelte den Kopf. „Nicht wirklich. Ich schaff das schon.“

„Gut, dann geh ich mal zu Jenny rüber. Sie hat vorhin angerufen. Irgendein Problem mit dem Rechner.“

„Grüß sie...“ Vor seiner Frau ging der werdende Vater in die Knie. Seitlich legte er beide Hände an den dicken, runden Bauch, ehe er diesen sanft küsste. „Pass gut auf deine Mommy auf!“

Verliebt blickte Barbara auf den dunklen Haarschopf hinab und ließ die Finger durch die Strähnen gleiten, ehe sie sich von ihrem Mann löste. „Ich lass dich dann mal weitermachen.“

Wenn das Kinderzimmer doch nur schon fertig wäre und ihre Rosine auf der Welt. Wieso verging die Zeit nur so unglaublich langsam, wenn man sehnsüchtig auf etwas wartete, aber raste dahin, wenn sie eigentlich stehen bleiben sollte? Es war schon komisch welche Streiche einem der Kopf und die eigene Wahrnehmung spielen konnten. Nein, nur nicht darüber nachdenken. Richard würde ins Grübeln kommen und mit Sicherheit keine Farbe an die Wand und so schob er alle ablenkenden Gedanken ganz weit weg und widmete sich lieber der weißen Farbe.

Bisher war es, bis auf die Musik, ruhig gewesen. Nun aber vernahm er das Lachen der Kinder, die die Stufen der Treppe hinauf gestürmt kamen und in das Zimmer stürzten.

„Da sind wir, Daddy!“ Ruckzuck hatte Johnny die Leiter erobert und stand nun neben seinem Vater auf der Arbeitsbühne, ohne Angst, ohne Zittern in den Knien. Der Junge kannte genauso wenig Angst vor der Höhe Richard, der seinem Sohn durch das Haar wuschelte.

„Dann zeig ich euch mal, was ihr tun könnt.“ Die Leiter ignorierend sprang Richard hinab. Es verwunderte ihn nicht weiter, dass Johnny den selben, den kürzesten Weg nahm und sicher neben ihm landete. Er griff nach dem Shirt, dass auf der Fensterbank lag und reichte es Lian mit den Worten: „Dein Dad wäre bestimmt traurig, wenn dein Kleid mit Farbe bekleckst wird.“

Nachdenklich schaute das Mädchen an sich hinab, strich mit den Händen über den leuchtend gelben Stoff, ehe sie sich im Kreis drehte und erklärte: „Das hab ich von Opa Ollie bekommen.“

„Und es sieht sehr hübsch aus.“ Gewinnbringend lächelte Richard die Tochter seines besten Freundes an. Stolz nickte Lian und schlüpfte in das T-Shirt. Der Saum reichte ihr bis weit über die Knie, was aber nicht weiter stören sollte. Richard ging in die Knie, hockte sich vor Lian und griff nach dem rechten Ärmel, um diesen aufzurollen.

„Gehst du dich umziehen!“, bat er seinen Sohn, der sie stillschweigend beobachtete, nun verneinend den Kopf schüttelte und seinen Willen zum Ausdruck brachte. „Ich möchte auch ein Shirt von dir.“

Innerlich seufzend beendete Richard seinen Job, kümmerte sich um den linken Ärmel und erhob sich. Irgendwie hatte er mit Johnnys Gegenwehr gerechnet. „Ich hol dir eins“, gab er nach. Wenn er jetzt anfing mit seinem Sohn zu diskutieren, dann würde er die Decke heute Abend noch nicht fertig gestrichen haben. Außerdem, was war denn schon dabei, wenn Johnny, wie Lian einfach nur ein altes Shirt überzog?

„Ihr fasst nichts an, bis ich wieder da bin.“ Sein Satz und der dazugehörige Blick galten alleine Johnny, der nur zu gern einfach mal etwas ausprobierte und damit für heilloses Chaos sorgen konnte. Was für ein Glück, dass er durch seine Suche vorhin, nun wusste, wo Barbara die aussortierten Kleidungsstücke aufbewahrte und so war es ein leichtes, ein weiteres T-Shirt aufzutreiben und das auch noch in Johnnys Lieblingsfarbe.

Nachdem er auch bei seinem Sohnemann die Ärmel aufgerollt hatte, bereitete er für die Kinder alles vor, zeigte Lian, wie sie die Farbrolle auf den Gitter abrollte, um die überschüssige Farbe zu entfernen und ließ die beiden sich an der Wand austoben, an der sie die Schränke aufstellen wollten. Es würde kaum auffallen, wenn der Anstrich ein wenig ungleichmäßig verteilt war und zur Not, musste er der Wand eben einen zweiten Anstrich verpassen.

Das gemeinsame Malern schien den Kindern eine Menge Freude zu bereiten. Lachend und sich über diverse Zeichentrickserien austauschend, schafften die beiden es tatsächlich die Wand, bis zu ihrer erreichbaren Höhe, in ein warmes Orange zu verwandeln.

„Onkel Richard!“ Das schwarzhaarige Mädchen schaute zu ihm auf. Mit den Fingern hatte sie den Saum, des eigentlich viel zu großen T-Shirts, zusammengeknittert. Ihr Blick wirkte verunsichert, was Richard dazu veranlasste, die Farbrolle zur Seite zu legen und von dem Gerüst zu steigen. Von seinem Sohn sah er nichts. Johnny schien das Zimmer verlassen zu haben. Wieder ging er vor Roys Tochter in die Hocke, damit er ihr in die dunklen, schmalen Augen blicken konnte. Er spürte, dass ihr etwas auf dem Herzen lag. Aufmunternd nickte er ihr zu.

„Warum ist Dad zu den Navajos gefahren?“ Unsicher nagte Lian an der Unterlippe.

Was sollte er antworten? „Dein Dad arbeitet sehr viel“, begann er leise. „Er würde alles tun, damit du glücklich bist, damit es dir gut geht und du auf nichts verzichten musst. Er liebt dich. Du bist sein kleines Mädchen.“

Ein strahlendes Lächeln erhellte die Züge des Kindes.

„Ich weiß, dass du oft alleine bist. Deine Nanny ist beinah den ganzen Tag bei dir“, stellte er fest, worauf sie nickte.

„Wieso ist er allein gefahren? Ohne mich?“ Noch immer kneteten ihre Finger den Stoff. „Ich bin doch gern bei den Navajos.“

„Weil...“ Ja warum? Richards Hände griffen nach den kleinen, kalten Fingern, lösten sie von dem Stoff und hielten sie sanft fest. „Dein Dad will über ein paar Dinge nachdenken.“ Nun war guter Rat teuer. Lian war zu jung, um die Wahrheit zu verstehen. Er konnte ihr Roys Aufenthalt im Reservat aber in einem guten Licht präsentieren und so antworten, dass es für sie verständlich und ohne schalen Beigeschmack blieb. „Er möchte mehr Zeit für dich haben und sich wieder mit deinem Großvater vertragen.“

„Opa Ollie....“, murmelte sie leise und ein wenig traurig. „Sie streiten immer, wenn sie sich sehen.“

„Im Reservat findet dein Vater die Ruhe, die er gerade braucht. Das nächste mal wird er dich ganz sicher wieder mitnehmen.“

„Wann kommt er wieder?“ Mit aller Macht schien die Sehnsucht ihre Krallen nach dem Mädchen auszustrecken. Richard sah, wie Lian gegen die Tränen ankämpfte, die ihr heiß über die Wangen liefen.

„Bald, Kleines, bald.“ Zärtlich, wie es nur ein Vater konnte, zog er die Kleine in seine Arme, strich ihr durch das dunkle Haar und dann beruhigend über den bebenden Rücken. „Er fehlt dir, ich weiß.“

Über ihren Kopf hinweg, erblickte er seinen Sohn, der unschlüssig im Türrahmen stand. In den Händen hielt Johnny drei Schokoriegel und als er das Kopfschütteln seines Vaters bemerkte, nickte der Junge verstehend und ging, dabei ließ er geknickt den Kopf hängen.

„Werde ich eine Mom bekommen?“

Mit jeder möglichen Frage hatte Richard gerechnet, aber ganz sicher nicht mit dieser.

„Ich weiß, dass meine Mom starb...“ Lians Finger krallten sich an ihm fest, suchten Schutz und Halt. „Ich wünsch mir auch so eine Mom, wie Tante Barbara.“ Immer lauter wurde ihr Schluchzen. „Ich will eine Mom, die Zeit für mich hat, die mich ins Bett bringt, mir etwas vorliest, mir die Haare macht...“

Richard fühlte sich beinah überfordert. Was sollte er Roys Tochter antworten? „Dein Dad lernt bestimmt irgendwann eine nette Frau kennen. Und wenn er sich verliebt, dann bekommst du eine Mom.“

Lian löste sich von ihm, schaute ihn fragend und mit einem kleinen Funken Hoffnung in den Augen an. Ihr Gesicht glitzerte feucht, von den Tränen, die sie noch immer vergoss.

„Werde ich dann auch eine Schwester oder einen Bruder bekommen?“

„Vielleicht, Lian.“

„Dann muss ich für meinen Dad nur eine Frau finden?“ Entschlossen fuhr sie sich mit den Händen über die Wangen. „Vielleicht Miss Payton. Sie wohnt unter uns oder die nette Frau aus dem Café, in dem Dad immer seinen Kaffee und meine Schokolade holt?“

Innerlich seufzend schob Richard Lian von sich. Da hatte er ja was angerichtet. Diese Idee musste er ihr ganz schnell ausreden. Es konnte nur schief gehen, wenn ein noch nicht mal sechsjähriges Mädchen anfing, eine Mutter zu suchen. „Lian...“ Zärtlich schob er ihr einige, vom Weinen, feuchte Haarsträhnen aus dem Gesicht. Bevor er Lian jedoch erklären, konnte, dass es nicht so einfach sein würde, eine Frau für ihren Vater zu finden, straffte die Kleine sich und lachte: „Ich werde eine Mom für mich finden.“

Nachdenklich betrachtete Richard die Tochter seines besten Freundes. Sie sehnte sich nach einer Familie, nach Rückhalt, nach Liebe, nach einer Mutter. Seit Tagen musste Lian zusehen, wie Johnny mit seiner Mutter Zeit verbrachte, sah wie Barbara Johnny in den Arm schloss, wie sie ihm Abends einen Gute-Nacht-Kuss gab, ihm am Morgen Panecakes zauberte und einfach für ihn da war.

Er musste mit Barbara sprechen, damit sie in Ruhe ein Gespräch mit Lian führen konnte. Er war sich sicher, dass seine Frau die richtigen Worte finden würde und so ein Gespräch zwischen Frauen verlief bekannterweise ja anders, als die zwischen Männern. An der familiären Situation von Roy konnten sie nichts ändern. Natürlich lernte Roy hier und da mal jemanden kennen, aber die Richtige schien ihm bisher nicht über den Weg gelaufen zu sein.

Da Lian ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihre Farbrolle lenkte, erhob Richard sich. Aus den Augenwinkeln sah er Johnny, der mit einer Packung Chocolate-Chips-Eis und zwei großen Löffeln bewaffnet, zurückkehrte. Seelennahrung, nannte Barbara dieses Eis immer lächelnd.

Wie viel hatte Johnny von dem Gespräch mitbekommen? Anscheinend einiges, denn er ging zielstrebig auf Lian zu und hielt ihr schweigend einen Löffel hin.

Kurz darauf saßen die Kinder, friedlich vereint, auf dem Boden und löffelten ihr Eis. Und wieder einmal war Richard erstaunt darüber, wie gut sein Sohn Situationen wie diese einschätzen konnte und anscheinend genau wusste, was er tun konnte und wie er sich verhalten sollte. Stolz erfüllte seine Brust. Er zog sein Smartphone. Diesen Augenblick musste er einfach für Roy und auch für sich festhalten. Da saßen zwei Kinder, in viel zu großen T-Shirts, über und über mit Farbe beschmiert und ließen sich ein Eis schmecken. Maler-Gehilfen, schrieb er unter das Photo und versendetet es. Kaum das er den Zustellbericht erhielt, klingelte Roy auch schon durch. Lächelnd reichte er Lian das Telefon. Vergessen schien ihre Sehnsucht und ihr Heimweh. Leise unterhielt sie sich, mit einem glücklichen Strahlen in den Augen, mit ihrem Vater und erklärte haargenau, was sie seit ihrem Gespräch gestern Abend alles getan hatte.

Anscheinend war Johnny und Lian, im Laufe des Tages, dass Malern der einen Wand zu langweilig geworden. Überall im Raum erkannte er übergroße Kinderzeichnungen, orangene Bäume, Autos, Strichfiguren, Hunde, Blumen und nicht zu vergessen die Superhelden. Ein leises Lachen löste sich aus seiner Kehle. Zumindest waren die Beiden beschäftigt gewesen, so dass er in aller Ruhe die Decke zu Ende streichen konnte.

Ab und zu hatte Barbara bei ihnen reingeschaut, sie mit Getränken und Leckereien versorgt und alles mit Fotos, für die Zukunft, festgehalten. Es war Abendbrotzeit, der Tag lang gewesen und eigentlich gehörten die Kids ins Bett, aber ganz sicher nicht so, wie sie aussahen.

„Ich glaube, ich muss euch in die Wanne stecken!“, erklärte Barbara, als sie nach ihnen sah, worauf Richard sie fragend musterte. „Ja, du musst auch in die Wanne.“ Sie kam auf ihn zu, blieb lachend vor ihm stehen und strich ihm durchs Haar. „Zumindest habe ich jetzt eine Ahnung, wie du in dreißig Jahren aussehen könntest. Gar nicht so übel, das Weiß steht dir.“

Grinsend hob Richard die Farbrolle, die er noch immer in der Hand hielt. „Soll ich dich auch in eine Großmutter verwandeln?“

„Untersteh dich!“ Barbara drohte ihm spielerisch mit dem Finger, dann spürte sie, wie er sie an sich zog und fest in die Arme schloss. Zärtlich küsste er sie, ignorierte dabei die Blicke der Kinder, die sie kichernd beobachteten.

Schwer atmend löste Barbara sich von ihm, dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit auf Johnny und Lian, half ihnen aus den farbverschmierten T-Shirts und scheuchte sie ins Bad, welches sich zwischen den Kinderzimmern befand.

Richard räumte zusammen, lauschte dabei dem Disput, der aus dem Bad zu ihm drang. Johnny und Lian diskutierten lautstark darüber, ob sie Piraten sein wollten oder lieber Hochseefischer.

Der Tag war anstrengend gewesen. Malern und dabei zwei Kinder betreuen, schlauchte mehr, als zwei Nächte als Nightwing unterwegs zu sein. Und zum ersten mal seit langem, dachte er tatsächlich darüber nach, bei Zeiten ins Bett zu kriechen. Er war so unendlich müde, fühlte sich irgendwie schlapp, gar nicht fit und so ließ er den Rest einfach stehen und liegen und ging duschen. Nur noch gemeinsam Abendessen und danach aufs Ohr hauen. Auf den gemeinsamen Abend würde Barbara verzichten müssen. Er würde ihn nicht überstehen und spätestens nach zehn Minuten auf dem Sofa eingeschlafen sein.

Morgen musste er das Kinderzimmer fertig bekommen, denn schon am 3. Januar würden die Parkettleger kommen und ab dem 4. Januar musste er wieder arbeiten. Die Zeit der faulen Feiertage war vorbei. Der Alltag hatte ihn eingeholt. Innerlich dankte er Tim, der diese Nachtschicht schob.

Die Hände gegen die Fliesen gestützt, den Kopf nach vorn gebeugt, genoss er die heißen, prasselnden Wasserstrahlen auf seiner Haut. Wie eine leichte Massage löste das Wasser die Verspannungen in seinem Nacken.

„Dick?“

Nur leise vernahm er seinen Namen. „Duschen“, antwortete er und blickte Richtung Badetür.

„Johnny und Lian wollen Pizza essen?“ Barbara zog die Tür hinter sich zu und lehnte sich dagegen. Sie bereute im Augenblick bestimmt nicht, dass sie sich damals gegen eine Duschkabine und für eine gemauerte, offene Dusche entschieden hatten. Sie schien die Aussicht, die sich ihr bot, sichtlich zu genießen. „Wollen wir uns zwei Pizzen teilen? Ich würde eine Gemüsepizza nehmen.“

„Thunfisch.“ Blind, da er Barbara nicht aus dem Blick ließ, angelte er nach seinem Duschbad. „Was nehmen die Kids?“

„Lian möchte Champignons und Johnny...“

Leise lachend vollendete er: „... Hauptsache ganz viel Käse.“

„Auf wen soll ich jetzt eigentlich mein Augenmerk richten? Auf den Piraten mit seiner Meerjungfrau und dem Seehund oder auf den heißen Traumtypen?“, wechselte die Rothaarige das Thema.

Tief in seinem Inneren breitete sich eine wohlige Wärme aus. „Das musst du ganz alleine entscheiden“, antwortete er heiser mit leicht belegter Stimme. Barbaras Blick, der ihn einfach nicht losließ, sorgte für ein angenehmes Prickeln, eine Gänsehaut auf seinen Schultern und die ging auch nicht weg, während er das Duschgel auf seiner Haut verteilte.

„Gar nicht so einfach eine Entscheidung zu treffen?“ Leise seufzend kam Barbara näher. „Wenn Lian nicht da wäre, würde ich jetzt zu dir unter die Dusche kommen, aber Roy würde es uns nie verzeihen, wenn seiner Tochter etwas geschieht.“ Sie streckte die rechte Hand aus, ließ die Finger über seine Brust tiefer gleiten und wisperte: „Wir holen das nach...“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Ryukin
2016-09-28T18:01:30+00:00 28.09.2016 20:01
Ein tolles entspanntes Kapitel! Du kannst Situation sehr schön schildern, als wäre man selber dabei. So macht lesen Spaß!
Antwort von:  Grayson
29.09.2016 08:20
Oh, jetzt werde ich vor Lob ganz rot... Ab und zu muss man mal ein entspanntes Kapitel schreibe, so alltägliche Dinge, die einen den Charakter noch näher bringen, damit man dann erst recht völlig von den Socken ist, wenn was passiert *g*... da kommen noch ein paar entspannte Kapis, meistens geht's da nur um Dick und Johnny... Freu Dich drauf... Ganz liebe Grüße...


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