In weiter Ferne... von CharleyQueens (...erstrahlt dein goldenes Licht) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- “Sag mal, Flynn!” Der junge Mann blickte auf, als das nervige Mädchen mit den langen, blonden Haaren ihn von der Seite ansprach. Fragend hob er eine Augenbraue. “Wenn du zurückgehen willst, dann sag es nur. Noch ist genug Zeit umzudrehen und deine Mutter wird niemals erfahren, dass du überhaupt weg warst”, meinte er ruhig. Rapunzel jedoch schüttelte lachend den Kopf. “Ich hab dir gesagt, dass du mich zu den Lichtern bringen sollst und das wirst du tun.” “Also, was willst du dann von mir?” Genervt verdrehte Flynn seine Augen. Wenn er diesen Turm doch nie hochgeklettert wäre, dann hätte er sie nie getroffen. Wobei, süß war die Kleine ja doch schon, irgendwie. Auch wenn sie ganz schön hibbelig und durchgedreht war. “Glaubst du eigentlich an Meerjungfrauen?” Mit ihren großen, grünen Augen sah sie ihn fragend an. “Meerjungfrauen?” Kindisch war sie also auch noch. “Das sind doch nur Fabelwesen…” “Ja, aber … wer sagt denn, dass Fabelwesen nicht existieren? Außerdem hat der Autor selbst geschrieben, er hätte die Inspiration zu dieser Geschichte bekommen, weil ein mysteriöses Wesen ihn vor dem Ertrinken rettete.” Sie hüpfte lachend über die tellergroßen Steine, die im Flussbett lagen. “Mutter hat mir einmal eine Geschichte mitgebracht, über eine junge Meerjungfrau, die mit ihren sechs Schwestern im Ozean lebt. An ihrem fünfzehnten Geburtstag darf sie an die Oberfläche und rettet dabei einem Prinzen das Leben, denn sein Schiff geriet in einen Seesturm.” Überrascht blickte Flynn auf. “Du sprichst von Der Kleinen Meerjungfrau. Das ist ein ziemlich berühmtes Märchen.” “Ich mag dieses Märchen wirklich gerne”, erzählte Rapunzel ihm lächelnd. “Schade, dass ich nicht weiß, wie die Geschichte ausgeht.” Flynn blieb stehen und blickte sie verwundert an. “Die letzten Seiten fehlen leider. Mutter hat es mir zu meinem vierzehnten Geburtstag geschenkt, weil ich sie nach einem neuen Buch gefragt hatte”, entgegnete sie mit einem verträumten Lächeln. “Aber da du sagst, dass du das Märchen kennst, vielleicht weißt du ja, wie es ausgeht. Würdest du mir es erzählen? Gibt es ein glückliches Ende für die Meerjungfrau und ihren Prinzen?” Natürlich kannte er die Geschichte. Er hatte sie im Waisenheim oft genug gelesen und er wusste auch, dass es kein gutes Ende geben würde. Schließlich opferte die Meerjungfrau ihre Stimme im Tausch gegen Beine und trotzdem heiratete der Prinz eine Andere und die Meerjungfrau tötet sich in ihrer Trauer. Er warf einen Blick zu dem jungen Mädchen, dass ihn erwartungsvoll ansah. “A-aber natürlich”, entgegnete er also. “Die Meerjungfrau findet einen Zauber, der ihr Beine gibt und sie heiratet den Prinzen am Ende.” Zufrieden lächelte Rapunzel ihn an. Und er erwiderte das Lächeln und fragte sich, weshalb er ihr nicht einfach die Wahrheit erzählt hatte.   ***   “Arielle, warte doch auf mich!” So schnell er konnte, schlug Fabius mit seinen Flossen und versuchte seine beste Freundin zu erreichen. “Wir sollten längst wieder zurück sein.” An einem Korallenriff hielt die Meerjungfrau an und wartete auf Fabius. “Wo bleibst du denn, Fabius?”, fragte sie, als er sie endlich eingeholt hatte. “Wir sollten wirklich zurück gehen”, wiederholte der Fisch das, was er eben erst gesagt hatte. “Arielle, wir sind schon viel zu nah an der Küste. Wenn dein Vater davon erfährt…” “Nun, er wird es niemals erfahren, wenn ich es ihm nicht sage und du es ihm nicht sagst”, entgegnete sie jedoch gelassen. “Außerdem ist er immer noch bei diesem langweiligen Treffen mit den anderen Ältesten.” Fabius seufzte. Er kannte Arielle und wusste, dass sie sich nicht von ihrem Vorgehen abhalten lassen würde. Trotzdem wünschte er sich, sie würde etwas vorsichtiger sein. Wer wusste, in welche Gefahren sie noch geraten würden. Nicht, dass es nicht schon genug war. Ängstlich sah sich der junge Doktorfisch um. Irrte er sich oder hatte er dahinten einen Schatten gesehen? Vielleicht warteten dort hinter dem Riff auch schon einige Haie darauf sie beide zu verschlingen. Eilig schwamm er auf Arielle zu und versteckte sich in ihren langen Haaren. “Fabius, nun beruhig dich doch mal”, sprach sie auf ihn. “Ich will nur sehen, ob ich am Strand nicht …” Sie verstummte und blickte sich fragend um. “Arielle, was ist los?” “Hörst du das nicht?” Sie hielt sich eine Hand an ihr Ohr und lauschte angestrengt. “Da singt jemand.” “Wirklich?” Der Doktorfisch versuchte angestrengt auch etwas zu hören - doch für ihn war es still. Abgesehen von dem Rauschen des Meeres und dem Schnattern der Seesterne unter ihnen. “Blume,leuchtendschönkannstsomächtigseindrehdiezeitzurückgibmirwaseinstwarmein…” Da sang jemand. Arielle hörte die Stimme ganz deutlich. Sie kam von dort drüben aus der Unterwasserhöhle am Felsenriff. “Fabius, warte hier auf mich!”, erklärte sie ihrem besten Freund. “Ich bin gleich wieder da.” “Aber, Arielle…” Er wollte etwas erwidern, doch die junge Meerjungfrau schwamm schon weg. Sie musste herausfinden woher dieser liebliche Gesang kam. Und außerdem spürte sie, dass jemand ihre Hilfe brauchte. Nein, sie hatte keine Zeit auf Fabius zu warten. Immer kräftiger schlug sie mit ihrer Schwanzflosse und erreichte schließlich die Felsenwand. Aus dem Augenwinkel bekam sie mit, wie jemand nur wenige Meter an ihr vorbei schwamm Richtung Oberfläche. Sie ignorierte ihn und schwamm weiter, erreichte schließlich die Höhle. Das Erste, was sie bemerkte, waren lange, goldene Haarsträhnen, die im Dunkeln leuchteten. Überrascht blieb Arielle stehen und blickte sich um. Dann sah sie sie. Ein junges Mädchen mit unglaublich langem Haar, dass sich um die Korallen gewickelt hatte. Sie hatte ihr Bewusstsein verloren und trieb nun regungslos durch das Wasser. Entschlossen schwamm Arielle zu den Korallen und versuchte die Haare zu lösen. Vergeblich. Suchend sah sie sich nach einem spitzen Gegenstand um, mit dem sie die Strähnen lösen konnte. “N-nicht!” Überrascht drehte sie sich um. Das fremde Mädchen war immer noch bewusstlos und trotzdem hatten sich gerade ihre Lippen bewegt. “Nein, das muss ich träumen…” Arielle schüttelte den Kopf und widmete sich wieder den verknoteten Haaren zu. “N-nicht!” Verwundert warf Arielle dem Mädchen einen fragenden Blick zu und zählte dann eins und eins zusammen. Aus irgendeinem Grund wollte das Mädchen nicht, dass sie ihre Haare abschnitt… Aber es musste eine andere Möglichkeit sie zu befreien. Und außerdem bekam sie doch gar keine Luft mehr. Und dann agierte Arielle ohne groß Nachzudenken. Sie wusste, was sie zu tun hatte, denn sonst würde dieses Mädchen mit der lieblichen Stimme einfach ertrinken. Entschlossen öffnete sie den Mund des Mädchens und drückte ihre Lippen aufeinander - füllte ihre Lippen mit Luft und Sauerstoff. Atme, flehte sie verzweifelt. Atme!   ***   Zärtliche Hände, die sie an einen weichen Körper drückten… Warme Lippen auf ihren, die immer wieder Luft in ihre Lungen füllten… Zögernd schlug Rapunzel ihre Augen auf. Wo war sie? Sie erinnerte sich daran, dass sie mit Flynn in dieser Unterwasserhöhle gefangen war und dann in letzter Sekunde einen Fluchtweg gefunden hatte. Doch dann hatten sich ihre Haare in den Korallen verfangen und sie hatte das Bewusstsein verloren. Aber nun… Jemand hatte sie gerettet. Und dieser Jemand war… “Du lebst!” Die Lippen lösten sich von ihr und hektisch schlug Rapunzel ihre Hand vor den Mund um kein Wasser einzuatmen. Denn vor ihr schwamm ein junges Mädchen mit langen, roten Haaren. Sie blickte an ihr herunter, bemerkte das violetten muschelförmige Oberteil und dann den - Rapunzel blinzelte verwundert - grünen Fischschwanz, der dem Mädchen anstelle seiner Beine wuchs. Sie war eine Meerjungfrau. Und nein, nicht nur irgendeine Meerjungfrau - es war die Meerjungfrau, die der Erzähler getroffen hatte. “Und auch wenn meine Erinnerungen verblasst scheinen, so kann ich mich doch noch genau an die wunderschönen, roten Haare dieses wundersamen Wesens erinnern…” so hatten seine Worte am Anfang der Geschichte gelautet. Und jetzt war sie wirklich hier, es war wirklich Realität, Meerjungfrauen existierten wirklich! Sie war so aufgeregt, sie könnte schreien vor Glück. “Meine Augen sind übrigens hier oben”, erwiderte das Mädchen besorgt. Rapunzel errötete leicht. Wie peinlich! Es war ihr bestimmt unangenehm, wenn jemand so lange auf ihren Fischschwanz starrte. “Du musst so schnell wie nur möglich an die Oberfläche, sonst wirst du ertrinken!”, entgegnete die Meerjungfrau und beide blickten nach unten zu den Haaren, die sich immer noch verheddert hatten zwischen den Korallen. “Ich wollte sie abschneiden, aber irgendwie…” Nein! Drastisch schüttelte Rapunzel den Kopf. Sie durften nicht abgeschnitten werden. Entschlossen bückte sie sich und versuchte selbst an den Strähnen zu ziehen um diese irgendwie zu lösen. Das Mädchen hatte Recht, sie musste so schnell wie möglich an die Oberfläche. Sie brauchte wieder frische Luft, sie spürte, wie ihr immer schwindliger wurde. “Komm her!” Erneut zog die Meerjungfrau sie an sich heran und presste ihre Lippen aufeinander, als Rapunzel wieder das Bewusstsein zu verlieren schien. Ein warmes Kribbeln erfüllte das junge Mädchen, während Sauerstoff ihre Lungen füllte. “Wenn wir deine Haare nicht abschneiden können und auch sonst nichts anderes hilft, müssen wir wohl die Korallen kaputt machen”, entschied sie schließlich. Rapunzel nickte und beide sahen sich nach etwas um, mit dem sie diese kleinhauen konnten. Schließlich fanden sie einen Stein, der spitz genug wirkte und die Meerjungfrau schlug entschlossen immer wieder und wieder auf die Koralle ein, darauf bedacht keine einzige Haarsträhne zu treffen. Und schließlich zerbrach das Kalk, aus dem die Korallen bestanden und Rapunzel war frei. Überglücklich wollte sie ihrer Retterin danken, sie in die Arme schließen - doch sie hielt sie ab. “Schwimm nach oben!”, erinnerte sie sie und deutete hoch. “Schwimm, so schnell du kannst, denn mehr Zeit hast du nicht!” Und Rapunzel wusste, dass sie Recht hatte. Also winkte sie ihr noch einmal zu, ehe sie dann so schnell wie es nur ging nach oben schwamm. Immer weiter dem strahlenden Licht der Sonne entgegen, bis sie schließlich die Wasseroberfläche durchbrach. Gierig schnappte sie nach Luft, atmete hektisch ein und aus, füllte ihre Lungen mit frischen, nahrhaften Sauerstoff. Sie konnte es kaum glauben. Sie hatte gerade wirklich eine Meerjungfrau getroffen. Beinahe kam es ihr vor wie ein Traum - und trotzdem war da noch das Prickeln auf ihren Lippen, dass ihr deutlich machte, sie hatte nicht geträumt. Dieses Mädchen war real gewesen. Sie bemerkte Flynn - Nein, Eugene - der immer noch bewusstlos am Strand zu liegen schien. Eilig rannte sie zu ihm hin und versuchte ihn zu wecken. Hoffentlich ging es ihm gut…   ***   “Entschuldigt, Prinzessin!” Arielle blickte auf, als jemand sie von der Seite ansprach. Vor ihr stand eine junge Frau mit kurzen, braunen Haaren und leuchtenden, grünen Augen - Augen, die ihr für einen kurzen Moment bekannt vorkamen, doch sie konnte nicht genau sagen, woran sie sie erinnerten. “Ich möchte ihnen herzlichst zum ersten Geburtstag ihrer kleinen Tochter gratulieren!” Sie knickste höflich und Arielle nickte dankend, so wie man es ihr beigebracht hatte. “Entschuldigen Sie, aber kennen wir uns?”, fragte die junge Mutter nach. Irgendetwas an ihr kam ihr so bekannt vor. “Mein Name lautet Rapunzel. Ich bin die Prinzessin eines fernen Landes namens Corona”, entgegnete sie und ihr Blick ruhte fragend auf Arielles hochgesteckten, roten Haaren. “Entschuldigt meine Frage, Eure Majestät, aber sind wir uns nicht vielleicht schon einmal begegnet? Ihr seht einem Mädchen sehr ähnlich, dass mir vor einigen Jahren das Leben gerettet hat. Auch wenn, nun, Ihr werdet mich bestimmt auslachen wollen, dieses Mädchen, das mich gerettet hat, war eine Meerjungfrau.” Und dann fiel es Arielle wieder ein. Das Mädchen mit dem lieblichen Gesang, das war sie. Sie war das Mädchen mit den langen, goldenen Haaren, welches Arielle damals gerettet hatte. Diese grünen Augen, die so hoffnungsvoll zu ihr aufblickten… Ein leises Grunzen ihrer kleinen Tochter holte die junge Prinzessin zurück in die Wirklichkeit. Sie warf einen Blick in die Wiege, wo das einjährige Mädchen seelenruhig schlief. Nein, sie durfte nichts verraten. Die Mauern, die sie um das Schloss hatten errichten lassen, waren zum Schutz ihrer Melody gebaut wurden. Jeglicher Kontakt mit ihrer Heimat war verboten. Und das galt auch für sie. “Es tut mir Leid, aber Ihr müsst mich verwechseln!”, entgegnete sie nun also mit entschlossener Stimme und flehte innerlich, dass Rapunzel ihre Lüge einfach schlucken würde. “Oh. Dann, entschuldigt bitte meine Störung, Eure Hoheit. Ihr saht ihr einfach nur zum Verwechseln ähnlich und deshalb dachte ich, Ihr wärt wirklich die kleine Meerjungfrau aus der Geschichte. Denn wisst Ihr, ich habe dieses Märchen immer geliebt und es freut mich zu sehen, dass Ihr euren Prinzen gefunden habt. Genau das habe ich mir immer für Euch gewünscht, Prinzessin!” Sie nickte kurz zum Abschied und schritt dann langsam davon. “Warte kurz!” Erst, als Rapunzel schon den halben Saal durchquert hatte, konnte Arielle sich endlich bewegen. Sie hob ihre Röcke an und eilte zu ihr. Verdutzt blickte sie sie an, denn ohne ein weiteres Wort zu sagen, griff Arielle nach ihrem Arm und bugsierte sie nach draußen auf einen der Balkone. Sie hatte die Mauern gebaut, um ihre Tochter zu schützen. Und gleichzeitig hatte sie auch eine Mauer um ihr Herz gebaut, die sie daran hinderte an ihrem Heimweh zu zerbrechen. Für eine Prinzessin gehörte es sich nicht, ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen. Und doch, Arielle war noch immer der Wildfang, der sich nichts sagen ließ und lieber seinem Herzen folgte. Und sie wusste, sie konnte ihr vertrauen. “Kannst du ein Geheimnis für dich behalten?”   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)