Primrose ~ Blooming Doubts von BakaOtakuFish ================================================================================ Kapitel 6: Unmut ---------------- Mit welchem Wort ließ sich Daisukes Gesichtsausdruck am besten beschreiben? Irritiert? Durcheinander? Verstört? Fassungslos? Ja, ja… ja. Das traf es so ziemlich auf den Punkt. „Dann musst du die beiden Werte nur noch voneinander abziehen und hast das Ergebnis raus. Hast du das verstanden?“ Ken besaß eine Engelsgeduld, was die hoffnungslosen Erklärungen eben so hoffnungslos machte. Mittlerweile hatte er den vierten Versuch gestartet, aber mit jedem Mal sank das Verständnis des Rotschopfes weiter, bis es quasi nicht mehr existent war. Stöhnend vergrub er das Gesicht in den Händen und raufte sich im Anschluss die Haare. „Man, Ken! Wieso bist du so schlau?!“ Was sollte der arme Kerl darauf erwidern? Vor allem klang das weniger nach einem Kompliment sondern eher schon vorwurfsvoll. Nachdem die Geschichte mit den Keksen sich schnell klärte, hatten sich die Teenager gegen Nachmittag bei Daisuke eingefunden. Mathematik, japanische Sprache, Geschichte, Ethik, Englisch… und kein Ende in Sicht. Ausgerechnet Miyako und Cody fehlten in der „munteren“ Runde. Obwohl sie jeweils einen Jahrgang über und unter dem Rest waren, hatte Gott sie mit einer überdurchschnittlichen Intelligenz gesegnet. Mit dem Stoff wären sie spielend fertig geworden. Doch statt Davis das Wissen mit Gewalt einzuprügeln, musste Yolei im Laden ihrer Eltern aushelfen und Cody war mit seiner Familie in den Urlaub geflogen. So saß der Rest nun bei 35 Grad hier und zermaterte sich die Köpfe. Einzigen Trost stellten die Klimaanlage und die üppige Auswahl an Naschkram auf dem Tisch dar. „Ihr wisst gar nicht, wie gut ihr’s habt“, grummelte der Gastgeber, den finsteren Blick auf die Digimon gerichtet, „Ihr müsst euch keine Sorgen über die Schule oder Prüfungen machen.“ Demiveemon quittierte das mit einem lauten Schmatzer und einem vergnügten Grinsen. „Mach dir nichts draus, Davis. Das ist schließlich das letzte Mal. Ab nächstem Jahr musst du dich nicht mehr damit herumschlagen. Es sei denn, du willst studieren. Dann wird alles noch viel schlimmer.“ Takeru hatte ein einzigartiges Talent dafür, auch den letzten Funken Zuversicht in seinem Freund auszulöschen, dabei war seine Anmerkung eigentlich aufmunternd gemeint. Erst jetzt fiel ihm auf, was er da eigentlich gesagt hatte und verinnerlichte sich diese Worte. Es würde sich nicht wiederholen. Zum letzten Mal ärgerten sie sich über komplizierte Formeln, unverständlichen Satzbau und viel Schreibarbeit im Sommer. Nach den Abschlussprüfungen trennten sich ihre Wege. Einige von ihnen studierten, begannen zu arbeiten und wiederum andere wussten noch nicht allzu viel mit ihrem Leben anzufangen. Zu letzteren zählte sich Takeru selbst. Seine Interessen lagen neben seinen Freunden und der Digiwelt beim Basketball und Schreiben. Beides nicht unbedingt etwas, worauf man seine Existenz aufbauen konnten. Mit einem Besuch beim College oder einer Ausbildung wäre ihm sicher wohler gewesen, aber in welche Richtung würde wohl sein eigener Weg gehen? Welcher Beruf passte am besten zu ihm? „Vielleicht sollten wir einfach eine kleine Pause einlegen. Danach sieht die Welt schon wieder ganz anders aus“, schlug Ken vor. Versuch Nummer fünf machte die Misere nämlich nicht wirklich besser. Allgemeine Erleichterung machte sich breit. Zwar gingen die anderen Fächer ihnen durchaus leichter von der Hand, aber das machte es nicht weniger anstrengend. Bei dem Wetter freute man sich schon darüber, wenn man beim Stillsitzen nicht die fliegende Hitze bekam. Dabei auch noch nachdenken und unschlüssig auf dem Blatt herumkritzeln? Unmöglich! Ein Seufzen aus Hikaris Richtung erregte die Aufmerksamkeit der Jungs. Trotz der angekündigten Pause sah sie nicht von ihrem Block auf, musste sich aber nach wenigen Sekunden sowieso geschlagen geben. Auch ihre Konzentration war dahin. Dass mit der Brünetten etwas nicht stimmte, hatte Takeru bereits bei ihrer ersten Begegnung heute gemerkt. Sie wirkte nachdenklich. Und seit der knapp ausgefallenen Begrüßung mit den anderen beiden und dem darauf folgenden Start ihres Sommeralbtraums hatte sie kaum ein Wort gesagt. Völlig untypisch für Kari, die sonst liebend gern mit ihren Genossen plauderte. Wären sie unter sich gewesen, hätte er sie wahrscheinlich längst darauf angesprochen. Takeru wusste, wie sehr sie es hasste, offen über ihre Sorgen und Probleme zu sprechen, weshalb sie es meistens für sich behielt, wenn sie etwas bedrückte. Da wollte er sie nur ungern an den Pranger stellen und vor versammelter Mannschaft ausquetschen. Ihre mehr als nur offensichtliche Reaktion machte es ihm aber gar nicht mal so leicht. „Stimmt was nicht, Kari? Du bist so still“, nahm ihm Daisuke die Entscheidung ab. Was Feingefühl anging, war der leidenschaftliche Fußballspieler nicht unbedingt sehr versiert. Wahrscheinlich kam er gar nicht auf die Idee, dass ihr die Beantwortung seiner Frage unter Umständen unangenehm sein könnte. Dennoch konnte man ihm das unmöglich negativ anlasten. Für Daisuke stand das Wohl seiner Freunde immer an oberster Stelle. Bevor Hikari ihren Kummer totschwieg, hakte er lieber einmal mehr als einmal zu wenig nach. Und unangenehm war es ihr auf jeden Fall. Prompt wich sie seinem bohrenden Blick aus und haderte sichtlich mit sich und ihrer Erklärung dazu. „Na ja…“, stammelte sie, „Es geht um Tai.“ Nun konnte auch Takeru nicht mehr an sich halten. „Um Taichi? Was ist denn mit ihm?“ „Ach!“ Kopfschüttelnd verschränkte sie die Arme vor der Brust und starrte ununterbrochen auf den Tropfen, der an ihrem kalten Glas Eistee hinab rann. Die Verärgerung stand ihr förmlich ins Gesicht geschrieben. „Er hat beschlossen, für sein Studium in einen anderen Stadtteil zu ziehen. Und das schon Ende des Monats. Das ist in seinem Alter und unter den jetzigen Umständen zwar nichts Ungewöhnliches, aber ich bin sauer, weil ich es nur durch Zufall erfahren habe und unsere Eltern es anscheinend schon wochenlang wissen. Ich meine… wann wollte er denn damit rausrücken? Wenn ich ihm beim Kistenschleppen helfen soll oder wie?!“ Verblüffung machte sich unter ihren Zuhörern breit. Es kam relativ selten vor, dass Hikari so in Rage geriet wie jetzt. Die vergangenen Male ließen sich praktisch an einer Hand abzählen. Und dann war auch ausgerechnet ihr geliebter Bruder Tai der Auslöser dafür? Der Taichi, zu dem sie seit ihrer Kindheit aufsah, der sie beschützte? „So ist das also“, brach Ken die aufgekommene Stille, „Du bist ihm böse, weil er es dir verschwiegen hat.“ Wieder entfuhr ihr ein schwerer Seufzer, der sie ein wenig runter brachte. „Ich mag es nicht, wenn man mich vor vollendete Tatsachen stellt. Der Umzug ist völlig in Ordnung für mich, auch wenn es dann zu Hause sehr ruhig wird ohne ihn. Es ist ja für seine Zukunft und dabei möchte ich ihn unbedingt unterstützen. Aber bevor er geht, möchte ich mich wenigstens seelisch darauf vorbereiten, bald ein Einzelkind zu sein.“ Takeru spürte, wie sich sein Herz schmerzhaft zusammenzog. Zu sehr erinnerte ihn das alles an seine eigene Vergangenheit. Ihn hatte damals niemand vorgewarnt, als sich seine Eltern scheiden ließen und er von heute auf morgen von Yamato getrennt wurde. Der kleine T.K. musste einfach damit klarkommen. Keiner fragte ihn, ob das für ihn okay war, wie seine Familie auseinandergerissen wurde. Ob sich Hikari nun ähnlich fühlte wie er zu jener Zeit? Hoffentlich nicht. Solche hässlichen Gefühle wünschte er niemandem an den Hals. „Taichi wird seine Gründe haben, warum er das getan hat.“ Endlich schaute sie mal zu ihm auf und fixierte nicht die ganze Zeit nur ihr Getränk, als wüsste es die passende Lösung. Die Worte kamen Takeru ohne nachzudenken über die Lippen. Er mochte es nicht, wenn Kari traurig war. Das zog ihn automatisch mit runter. „Hast du denn schon mit ihm darüber geredet?“, wollte der Blonde wissen, doch sie verneinte entschieden. „Ich war so eingeschnappt, dass ich gleich in meinem Zimmer verschwunden bin. Außerdem hätte ich in meiner Wut bestimmt Dinge gesagt, die ich hinterher bereuen würde.“ Während Daisuke sich das so anhörte, kam ihm eine spontane Eingebung. Begeistert klatschte er in die Hände und sprang von seinem Platz auf. „Wie wär’s, wenn wir unsere Pause nutzen und ein Eis essen gehen? Das bringt dich auf andere Gedanken und kühlt uns ein bisschen ab. Was hältst du davon, Hikari?“ Dem aufmunternden Lächeln ihrer Freunde hatte das Mädchen nichts entgegenzusetzen. Sie fand es einfach nur lieb von ihnen, was für eine Mühe sie sich gaben, um sie ein wenig aufzuheitern. Obwohl die Hausaufgabe mehr Priorität besaß, wollte sie nur ungern den Moralapostel spielen. Jedenfalls hatte sie die geringste Konzentrationsspanne bei all dem Groll im Bauch. Das musste dringend mit einem leckeren Eis verarztet werden. „Warum nicht? Gute Idee!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)