Demonic Rewind von Flordelis ([Demonic Reverie]) ================================================================================ Prolog: Prolog: Ich will Kieran doch nur helfen. ------------------------------------------------ Als das Licht erlosch, die Geräusche verstummten und der Wind nachließ, hielt Luan die Taschenuhr immer noch fest in seiner Hand. Er umklammerte sie derart fest, dass er fürchtete, sie zerbreche jeden Moment und zerbrösele zu Staub, deswegen hielt er die Augen geschlossen, um sich nicht von ersten Rissen überzeugen zu müssen. Das einzige, was er jetzt noch hören konnte, war sein eigenes Atmen, das Ticken der Uhr, das schwer in seinen Ohren widerhallte – und sein Name, gerufen von demjenigen, für den er diesen Schritt überhaupt erst getan hatte. Bitte, lass es nicht umsonst gewesen sein. Ich will Kieran doch nur helfen. Mit einiger Überwindung öffnete er seine Augen. Obwohl es dunkel war, erkannte er sofort das Zimmer wieder, in dem er acht Jahre seines Lebens verbracht hatte. Acht der unglücklichsten Jahre, an die er nicht einmal mehr zurückdenken wollte. Dunkle Bilder zierten die Wände, Zeugnis seiner langsam immer finster werdenden Psyche, eine Spirale, die erst gestoppt worden war, nachdem er Kieran begegnete. Kieran ... Der Gedanke an diesen Namen ließ seine Brust schmerzen. Noch immer sah er das Gesicht seines Freundes – vielleicht sollte er lieber Ex-Freund sagen – vor sich, sein seltenes Lächeln und seine leuchtenden Augen, wann immer man sein vollständiges Augenpaar sehen konnte. Durch seine Frisur war das nicht sonderlich oft geschehen, aber … Ich darf nicht darüber nachdenken. Ich darf Kieran nie wiedersehen. Er hatte bekommen, was er sich sein Leben lang gewünscht hatte, er war in seiner neuen Familie glücklich gewesen. Mit dieser Erinnerung könnte er weiterleben, solange es Kieran war, der nun endlich sein Glück fand. Jemand, der wirklich zu ihm gehörte, so wie Faren. Aber um dieses Ziel zu erreichen, musste er noch etwas tun. Er legte die schwarze Taschenuhr auf den Nachttisch, stand von seinem Bett auf, ging zum Tisch hinüber und nahm sich seinen Block und einige Stifte. Dann begann er, sorgsam sich alles in Erinnerung rufend, eine genaue Anleitung sowohl für Cerise, die Herrin von Abteracht, sowie Jii, den dortigen Arzt, und auch Joy, die Herrin von Adhara, zu schreiben. Er listete auf, was alles in der Zukunft geschehen würde und wie man dem vielleicht entgegenwirken könnte und worauf man besonders achten sollte. Auch Ciar, das menschliche Ich Kierans, ließ er nicht unerwähnt, damit ihm ebenfalls Hilfe zuteil kam. Zum Schluss schrieb er noch einen Brief an Vincent, seinen Therapeuten, damit er Ferris helfen könne, von seinem Bruder loszukommen. Niemand sollte mehr leiden, Luan wünschte sich, dass sie alle glücklich wurden. Was aus ihm selbst wurde, war ihm egal, die Erinnerung an das Glück genügte ihm vollkommen. „Hast du dabei auch mal an mich gedacht?!“, polterte eine Stimme in seinem Inneren, verbunden mit einem Stich in seiner Brust. Das habe ich. Und es tut mir leid, Kian. Ich wünschte, ich könnte etwas für dich tun. Aber es gab keine Möglichkeit für ihn, Kian, dem Weltenbrecher, einen neuen Körper zu beschaffen, ohne sich nicht gefährlich lange mit den anderen zu befassen und damit nur wieder alle ins Unglück zu stürzen. Deswegen mussten sie zusammen bleiben. Ciar war stark, er kam mit Sicherheit auch ohne Kian zurecht, daran glaubte Luan, etwas anderes blieb ihm nicht übrig. Und Kieran hatte immerhin Faren, der zweifellos dafür sorgte, dass es ihm gut ginge. Jeder hatte jemanden, niemand brauchte Luan. Selbst die Kopfschmerzen, die Kian ihm schickte, ignorierte er, um sein Ziel zu erreichen. Solange Kieran glücklich war, könnte er das aushalten. Dann müsste er sich nur noch selbst von ihm fernhalten und dann würde endlich alles gut werden. Jedenfalls für den Rest der Welt. Und er … er würde sich einfach zurückziehen, soweit er konnte. Es war unwichtig, was aus ihm selbst wurde, da er ohnehin kein Mensch war. Hauptsache alles andere war gut – und er glaubte fest daran, dass es so käme, wie er es sich wünschte. Sie spürte die Veränderung noch während sie schlief. Gerade träumte sie von einem Sturm in der Stadt und einem Dämonenjäger, der sich diesem entgegenstellte, da wandelte sich das Bild. Die Stadt war noch immer dieselbe, aber nun war sie zugeschneit, voller Frost und Dämonen, die darin umherliefen, heulende Wölfe … „Wach auf, Brava, es ist Zeit.“ Eine ihr wohlbekannte Stimme unterbrach ihren Traum und zog sie sanft aus diesem heraus, zurück in die Wärme der Realität, in die sie eigentlich gehörte. „Wofür ist es Zeit?“, fragte sie murmelnd. „Der Lauf des Schicksals wurde geändert. Es ist Zeit, dass wir einschreiten.“ Sie löste ihre Arme, die bislang um ihre Knie geschlungen waren, streckte sich und durchstieß damit die schützende, wenngleich hauchdünne Hülle des Kokons, der um sie gesponnen war. Jemand griff nach ihren Händen, zog den Rest ihres Körpers heraus in die kühle Luft der Außenwelt. Zum ersten Mal seit langem öffnete sie ihre Augen, die von dem gleißenden Licht überschattet wurden, das es ihr unmöglich machte, etwas zu erkennen, außer einer golden glühenden Silhouette. Diese richtete auch ihre weiteren Worte an sie: „Guten Morgen, Brava. Willkommen zurück im normalen Leben.“ Kapitel 1: Nicht schon wieder. ------------------------------ Drei Jahre waren vergangen, seit Luan in der Zeit zurückgereist war und die Briefe geschrieben hatte. Wie er sich vorgenommen hatte, war jeder weitere Kontaktversuch von ihm zu einer der Schulen oder deren Schüler ausgeblieben – er war sogar Viorels Versuch, ihn für Athamos anzuwerben entgangen –, deswegen wusste er auch nicht, ob und was sich alles verändert hatte. Aber allein durch sein Fernbleiben von Kieran, davon war er überzeugt, hatte er etwas Entscheidendes geändert. Immerhin war ihm von Cathan oft erzählt worden, dass ihr Treffen die Räder des Schicksals erst in Bewegung gesetzt hatte. Da das Waisenhaus immer noch genauso ein Albtraum war wie in seiner Erinnerung, hatte Luan die drei Jahre meist im Keller verbracht, umgeben von Dunkelheit und den sanften Klängen der dort lebenden Trugmahre, um Kians anstrengende Zornausbrüche zu übertönen. Irgendwann war er leiser geworden, bis er gänzlich aufgegeben und sich schlafen gelegt hatte. Zuerst war Luan darüber bestürzt gewesen, da er damit jeden Gesprächspartner verlor, aber dann war ihm aufgefallen, dass es besser so war, immerhin blieb ihm damit auch jede weitere Verbindung zu seiner Vergangenheit erspart. Diese wurde noch weiter gekappt, als er direkt an seinem 18. Geburtstag zum Direktor zitiert wurde – nur damit dieser ihm in einem Gespräch mitteilen konnte, dass das Waisenhaus nun keine Verantwortung mehr für ihn trage und man ihn endlich legal auf die Straße setzen könne. Dort fand er sich auch schon wenige Minuten nach dieser Verkündung wieder. Der Himmel war grau, die Wolken so schwer, dass die Sonnenstrahlen sie kaum durchdringen konnten, aber es schneite einfach nicht. Dafür war die trockene Luft derart kalt, dass sie auf Luans Haut zu brennen schien. „Wie ich sehe, scheinst du ja keinerlei Problem damit zu haben“, bemerkte der Direktor nach einem abschätzig musternden Blick. „Jemand anderes würde sich das nicht so einfach bieten lassen.“ Luan hatte nicht vor, zu protestieren, auch nicht, als einer der Erzieher einfach einen Koffer neben ihm abstellte. „Da drin sind deine Sachen. Wir sind großzügig genug, dir welche zu überlassen.“ Er wollte sagen, dass er das nicht benötigte, da er plante, an seinen Geburtsort zurückzukehren. Für den Rest seiner Tage wollte er dort schlafen, zurückgezogen von der ganzen Welt, damit seine Anwesenheit niemanden mehr stören könnte. Aber das konnte er nicht sagen, deswegen nickte er und bedankte sich leise. Außerdem war auch die Jacke, die er trug, um sich notdürftig vor der Kälte zu schützen und in der er die schwarze Taschenuhr und sein Herz – das Zeugnis, dass er ein Weltenbrecher war – verwahrte, ein Teil dieses Geschenks. In den hellen Augen und dem harten Gesicht des Direktors war keinerlei Mitleid zu sehen. Vielmehr wirkte er erleichtert, Luan, den gruseligen Unruheherd, endlich loszuwerden. Und Luan seinerseits war froh, endlich von dort wegkommen zu können, ohne dass man sich verpflichtet fühlte, nach ihm zu suchen. Immerhin hatte stets die Chance bestanden, dass durch eine Suchaktion auch Abteracht, Athamos oder Adhara auf ihn aufmerksam wurden und nichts davon hatte er riskieren wollen. Nun war er aber alt genug, einfach zu verschwinden und niemand würde nach ihm suchen. „Danke, dass ich so lange hier bleiben durfte“, sagte er höflich und neigte ein wenig den Oberkörper. Ohne eine Antwort abzuwarten, die ohnehin nicht positiv ausfallen würde, nahm er den Koffer und ging nach einer kurzen Orientierung davon. Er spürte den Blick des Direktors in seinem Rücken, wusste aber, dass es kein Zeichen des Mitleids war, stattdessen wollte er nur sicherstellen, dass Luan auch wirklich verschwand und nicht einfach wieder zurückkam, um sich hineinzuschleichen. Aber ihn interessierten ganz andere Dinge. Zum letzten Mal betrachtete er das Viertel, das einst einmal lebhaft und interessant gewesen war, nun aber verlassen und trostlos dalag. Die Schaufenster der Geschäfte waren leer, die Scheiben staubig oder eingeschlagen. Es lohnte sich nicht einmal für Obdachlose, hier unterzukommen. Jetzt, da er fortging, könnte dieses Viertel wieder in einem neuen Glanz erstrahlen, sofern es wirklich seine Aura gewesen war, die sie alle vertrieben hatte. Wir sind frei, Kian. Ist das nicht schön? Aber Kian antwortete nicht, er schlief noch immer. Luan konnte nur hoffen, dass er auch etwas Schönes träumte, wenn es ihm überhaupt möglich war, in seinem Inneren zu träumen. Er wusste solche Dinge nicht, aber woher auch? Bislang war es nie ein Teil seines Interessensspektrums gewesen und nun konnte er niemanden mehr fragen. Also konzentrierte er sich auf dringendere Angelegenheiten, wie etwa der Frage, wie genau er noch einmal zu seinem Geburtsort kam. Es war lange her, seit er zuletzt dort gewesen war und damals war er von einem anderen Ort aus gestartet, um hinzukommen. Am Bahnhof angekommen – er wusste, er müsste mindestens mit dem Zug fahren – warf er einen Blick auf den Stadtplan. Er wusste nicht auf Anhieb, wo sich sein Geburtsort befand, deswegen suchte er nach einem verlassenen Bahnhof, der auf der Karte markiert war. „Ich muss wirklich mit dem Zug fahren“, murmelte er. Zu seinem Glück war sein Fahrausweis, den er wegen der Schule mit sich führte, noch gültig, jedenfalls heute – und das genügte auch vollkommen. Sobald er dort angekommen war, müsste er nie wieder fahren. Während er am Bahnhof auf den Zug wartete, musste er wieder daran denken, wie er in diesem damals das erste Mal Kieran begegnet war. Er war der einzige gewesen, der sich zu Luan gesetzt hatte, der erste, der keine Anzeichen von Angst gezeigt hatte. Ihm waren noch viele weitere gefolgt, aber niemandem war es gelungen, sich einen so großen Platz in Luans Herzen zu ergattern. Es schmerzte ihn, daran zu denken, dass er ihn wirklich niemals wiedersehen würde. Aber immerhin werde ich von dir träumen können. Und das genügte ihm vollkommen. Besonders solange er hoffen konnte, dass es Kieran gut ging und er endlich glücklich war. In der Bahn bot sich ihm dasselbe Bild wie eh und je. Alle machten einen großen Bogen um ihn, standen sogar von ihren Plätzen auf, nachdem er sich einen ausgesucht hatte, nur um aus seiner Nähe zu verschwinden. Ohne die Lanes war er nach wie vor ein Albtraum, was die anderen deutlich anhand seiner unheimlichen Aura spüren konnten. Außerdem, so stellte er nach einem Blick in das spiegelnde Fenster, fest, sah er auch nicht sonderlich vertrauenserweckend aus. Er war noch blasser als bei seiner ersten Begegnung mit Cathan, der ihn damals schon darauf angesprochen hatte, noch magerer. Das Essen im Waisenhaus war unausstehlich, besonders wenn man das von Kane oder die eigene Kochkunst gewohnt war. Deswegen hatte er stets nur das Nötigste hinunterwürgen können, um nicht zu verhungern. Das zeigte sich nun, indem er derart krank aussah. Wenigstens werde ich da, wo ich hingehe, keine Nahrung brauchen. Wie genau das funktionierte, wusste er zwar nicht, aber er war entschlossen, es herauszufinden, sobald er an seinem Geburtsort angekommen war. Solange genoss er erst einmal die, wie er glaubte, letzte Bahnfahrt seines Lebens. Es war Vormittag gewesen, als er aufgebrochen war und später Nachmittag, als er seinem Ziel endlich näherkam. Der nächstgelegene Bahnhof war immer noch viele Meilen entfernt, so dass er den Großteil der Strecke laufen musste, mit einem Koffer, bei seiner mangelhaften Kondition, die durch die falsche Ernährung und die fehlende Bewegung nur noch schlimmer geworden war. So musste er immer öfter eine Pause einlegen, da er sich weigerte, den Koffer, das einzige Geschenk des Waisenhauses an ihn, einfach zurückzulassen. Durch das ohnehin schon trübe Wetter wurde es bereits dunkel, als Luan sich dem Stadtrand mit noch mehr verlassenen Gebäuden näherte. Trotz der Kälte floss ihm der Schweiß in Strömen von der Stirn, doch er wischte ihn ungeduldig weg. Er hatte keine Zeit, jetzt eine Pause einzulegen, sonst käme er erst mitten in der Nacht an seinem Ziel an. Doch schließlich verließ ihn jegliche Kraft, so dass er anhalten und den Koffer abstellen musste. Mit den Händen auf die Oberschenkel gestützt, versuchte er, erst einmal tief durchzuatmen, letzte Reste an Energie zu mobilisieren, damit er den Weg schaffen könnte. Doch noch ehe ihm das gelingen konnte, hörte er ein Geräusch, das ihn geradewegs in seinen Bewegungen einfrieren ließ. Es war ein Kratzen an der Wand, gefolgt von einem leisen Zischen. Sein Blick huschte nach rechts zu einem der Gebäude, das einstmals ein Aufbewahrungsort für Schneeschaufeln und Streumaterial gewesen sein mochte, nun aber schon lange vergessen war, wie man der abblätternden weißen Farbe anmerkte. Aber es war auch etwas anderes, das Luans Aufmerksamkeit auf sich lenkte: Dort, an dieser Wand, kletterte eine menschengroße Echse, die ihn mit einem gierigen Blick musterte. „Nein …“, entfuhr es ihm. „Nicht schon wieder.“ Das letzte Mal, als er in einer ähnlichen Situation gewesen war, hatte Cathan ihm geholfen, er war rechtzeitig zur Stelle gewesen, weil er Luan beobachtet hatte – heute war das sicher nicht möglich. Cathan wusste nicht einmal, dass er existierte. Gerade als er darüber in Panik verfallen wollte, hörte er ein weiteres Geräusch, diesmal von links. Sein Kopf ruckte herum, so dass er einen weiteren derartigen Dämon entdecken konnte. Von hinten ein weiteres Geräusch. Von vorne. Von der Seite. Seine ganze Welt schien nur noch aus diesem Zischen und dem Kratzen zu bestehen. Und er wusste, dass es keine Rettung mehr gab. Er kauerte sich zusammen, dabei wäre es das perfekte Ende. Wenn er erst einmal tot war, konnte er niemanden mehr beeinflussen. Das Leben aller verlief dann endlich in Bahnen, die für sie angebracht waren. Aber dennoch fürchtete er den Tod. Er spürte Angst vor dem Moment, in dem der Schmerz einsetzte und die Zeitspanne, in der er anhielte. Er wollte nicht sterben, nicht so, nicht hier. Kieran, bitte hilf mir! Die Echsen stießen einen Schrei aus, sie setzten zum Angriff an – und im nächsten Augenblick zerschnitt das Rasseln von Ketten die Atmosphäre. Dutzende von diesen, die aus dem Nichts erschienen, bohrten sich in den Asphalt, bauten eine undurchdringliche Barriere um Luan herum auf. Dieser konnte nicht mehr tun, als nur gleichermaßen fasziniert wie entsetzt die Ketten anzustarren. Es gab nur einen einzigen Jäger, der sie einzusetzen verstand. Kieran … nein, das hätte nicht geschehen dürfen … wieso? Auch wenn er gerade eben noch um seine Hilfe gebeten hatte, konnte er nun nicht glauben, welch furchtbare Fügung des Schicksals es war, dass es tatsächlich Kieran war, der ihm gerade das Leben rettete. Auch wenn da noch ein kleiner Teil von ihm war, der hoffte, dass es sich doch um jemand anderen handelte. Schon in der nächsten Sekunde erschien tatsächlich ein Jäger, dessen Statur Luan sofort sagte, dass es sich dabei nur um Kieran handeln konnte, selbst wenn er nicht lange genug stillhielt, um sich wirklich ins Auge fassen zu lassen. Stattdessen tanzte er regelrecht über das kleine Schlachtfeld und nutzte dabei eine rot glitzernde Klinge, um die Echsen zu beseitigen. Dieser Anblick ließ Luans Herz sowohl schwer als auch gleichzeitig leicht werden, was ein seltsames Gefühl war. Aus Kieran war auch hier ein großartiger Kämpfer geworden, aber es brachte Luan nur dazu, sich noch mehr in ihn zu verlieben – und das konnte er sich nicht erlauben! „Großartig, oder?“ Die plötzlich neben ihm erklingende Stimme, ließ ihn erschrocken zusammenfahren. Er wandte den Kopf und entdeckte Faren, der plötzlich auch innerhalb der Ketten stand. Der andere beobachtete fasziniert Kierans Kampf, so wie er selbst gerade eben noch. Er war derart überwältigt, dass er nicht antworten konnte, weswegen Faren ihm den Blick zuwandte – und Luan erschrocken einatmete. Farens schulterlanges braunes Haar, das er wie üblich zu einem hohen Pferdeschwanz zusammenfasste, hatte früher stets mit seinen dunkelbraunen Augen harmoniert. Aber jetzt war nur sein linkes Auge braun, das andere war derart hell, dass Pupille und Iris silbern schienen. Faren bemerkte das atemlose Starren wohl, denn er deutete selbst lächelnd auf sein Auge. „Macht dir das Angst? Muss es nicht, das ist vollkommen harmlos.“ „Was ist passiert?“ Er winkte allerdings ab, vermutlich war es ihm unangenehm, es vor Fremden zur Sprache zu bringen. Am liebsten hätte Luan ihm sofort erzählt, dass sie sich kannten, dass sie Freunde waren, und was alles geschehen war, dass sie sich nun als Fremde gegenüberstanden, aber er konnte nicht. Es hätte seinem Plan widersprochen, deswegen schwieg er und sah wieder zu Kieran hinüber, der sich derweil mit weiteren Ketten Echsen vom Leib hielt. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis sie alle tot waren. Faren deutete seinen Blick allerdings falsch. „Keine Sorge, er schafft das schon.“ Luan zweifelte nicht daran, gab allerdings auch kein Zeichen, dass er verstanden hätte, sondern betrachtete weiterhin eingehend, wie Kieran kämpfte, wie die Ketten Verlängerungen seiner Arme glichen, wie sie die Echsen aufspießten, bis diese sich in glitzernden Staub auflösten. Einmal peitschte eine der Ketten knapp an Luans Kopf vorbei, spießte die Echse hinter ihm auf und schleuderte sie zu Boden. Es gab keinen Grund für Luan, auch nur mit der Wimper zu zucken, denn er wusste, dass ihm nichts geschehen könnte, selbst wenn sie sich hier noch nicht kannten. „Du hast entweder ganz schön viel Mumm oder kümmerst dich nicht um dein Leben“, meinte Faren anerkennend. „Ich hoffe ja, dass es ersteres ist.“ Luan antwortete immer noch nicht, er beobachtete lieber, wie Kieran endlich auch noch die letzte Echse in ein frühes Grab schickte und sich anschließend für einen kurzen Moment unter den herabfallenden glitzernden Staub stellte, den Blick fast schon sehnsuchtsvoll nach oben gerichtet. Luan kam nicht umhin, sich zu fragen, ob er glücklich war. Als Kieran sich endlich von dem Anblick ab- und ihm zuwandte, war sein Gesichtsausdruck nichtssagend, sein schwarzes Haar wie eh und je so geschnitten, dass das linke Auge verdeckt wurde, das dunkle rechte dagegen blickte ihn ohne jede Empathie an. Die Ketten verschwanden wieder, mit ihnen jede Spur, dass sie überhaupt je existiert hatten. „Faren“, kam es dann ungewohnt scharf aus seinem Mund, „hast du dich schon um ihn gekümmert?“ „Ah, tut mir leid~. Ich war zu fasziniert davon, wie du kämpfst.“ Aber es genügte ein kurzer Blick von Kieran, dass Faren sich doch wieder an Luan wandte und ihm rasch zurück auf die Beine half. Ohne seine Hand loszulassen, schüttelte er diese bereits. „Ich bin Faren, das hier ist Kieran. Darf ich deinen Namen wissen?“ Seine Brust zog sich schmerzhaft zusammen. „Luan.“ „Freut mich sehr, Luan.“ Endlich ließ Faren ihn wieder los. „Was machst du denn so spät hier in der Gegend? Es ist nicht ganz ungefährlich.“ „Es ist sogar sehr gefährlich“, beharrte Kieran. „Wären wir nicht zufällig in der Gegend gewesen-“ „Ich wollte ja gar nicht, dass ihr mich rettet!“, brach es aus Luan heraus. „Das … also, eigentlich wollte ich das schon, aber nicht von dir! Du bist doch ...“ Er verstummte, aber etwas an seinen Worten schien Kieran getroffen zu haben. Er zuckte wie unter einem Schlag zurück, warf einen kurzen Blick zu Faren und wandte sich dann von ihnen ab, um sich mehrere Schritte zu entfernen. „Habe ich etwas Falsches gesagt?“, fragte Luan leise. Faren, der Kieran besorgt hinterhergesehen hatte, winkte rasch ab. „Nein, nein, mach dir nichts daraus. Aber dein Verhalten ist reichlich eigenartig.“ Luan fluchte innerlich. Genau so etwas hatte er eigentlich nicht erreichen wollen. Er wusste, was Abteracht mit jenen tat, die sie für eigenartig und misstrauenserweckend hielten. „Außerdem siehst du nicht sonderlich gesund aus“, fuhr Faren mit vor Besorgnis gerunzelter Stirn fort. „Unter den Umständen können wir dich nicht allein weitergehen lassen. Wohin sollen wir dich begleiten?“ Auch das kannte Luan zu Genüge. Es ging nicht darum, sicherzustellen, dass er gesund ankam, sondern dass er niemandem etwas von Dämonen oder ihren Jägern verriet. Das lief unter dem Oberthema der Opferbetreuung – und Kieran hatte das stets gehasst, kein Wunder, dass er es Faren überließ … Faren, der nun kein Traumbrecher war! Was ist dann mit Ferris? „Hallo?“ Faren wedelte langsam mit seiner Hand vor Luans Augen. „Bist du noch anwesend?“ „Uhm, ja, sicher ...“ Er sah immer noch besorgt aus, anscheinend machte Luan wirklich einen schlechten Eindruck. Deswegen traf er dann wohl auch selbst eine Entscheidung und klatschte in die Hände. „Okay. Wir nehmen dich mit nach Abteracht. Unsere Ärztin soll dich mal durchchecken.“ Luan erinnerte sich an Yuina. Wenn sie Ärztin in Abteracht war, bedeutete dies, dass Jii zumindest die Leitung von Athamos übernommen hatte. Wenigstens eine gute Nachricht, wenn ihm schon keine Ausrede blieb, weswegen er nicht mit nach Abteracht könnte. „In Ordnung.“ Farens Miene hellte sich augenblicklich auf. „Fein. Dann sag ich noch unserem Griesgram Bescheid und dann gehen wir sofort los.“ Damit joggte er zu Kieran hinüber, um mit ihm außerhalb von Luans Hörweite zu sprechen. Er selbst sah derweil auf seinen Koffer hinab und stieß ein lautloses Seufzen aus. Ohne es zu wollen – gut, er hatte es sich gewünscht, aber das Schicksal sollte es doch besser wissen –, war er nun wieder an Kieran geraten, der keinen Deut glücklicher als früher wirkte. Vielleicht täuscht das aber auch nur. Vielleicht ist er in Abteracht ja ganz anders. Das war jedenfalls seine einzige Hoffnung, das einzige, was ihm half, um sich auf den Besuch in Abteracht zu freuen. Hoffentlich ist alles gut geworden, genau wie ich es wollte. Kapitel 2: Was ist denn mit dir passiert? ----------------------------------------- Abteracht war genau wie Luan es in Erinnerung hatte. Eine burgähnliche konservativ erscheinende Einrichtung, die allerlei Elektronik beinhaltete, die Luan nicht im Mindesten verstand. Kieran hatte sich von ihnen getrennt, kaum dass sie eingetreten waren, um Bericht zu erstatten, wie Faren, der seinen Koffer trug, ihm erklärte. Was für Luan der ideale Zeitpunkt war, um zu fragen, was er wissen wollte: „Seid ihr eigentlich ein Paar?“ Das verlegene Lachen, das ihm als Antwort folgte, kannte er noch ziemlich gut von einer seiner ersten Begegnungen mit Faren und dadurch kannte er die Antwort bereits: „Also nicht? Ich dachte nur, weil du ihn so ...“ „Fasziniert beobachtet hast?“ Er schmunzelte. „Also ich hätte nichts dagegen, wenn wir ein Paar wären. Aber Kieran hat da einige … Distanzschwierigkeiten.“ Der Plan war also gehörig schiefgegangen. Aber vielleicht wurde daraus noch etwas, wenn Luan sich weiterhin zurückhielt. „Wir sind allerdings Partner und werden meist zusammen losgeschickt. Parthalan sagt, keiner kommt so gut mit ihm zurecht, wie ich.“ Das verstand Luan dann wiederum nicht. In der vorigen Zeitachse war Kieran eigentlich mit jedem Jäger zurechtgekommen. Gut, mit Cathan hatte er- Genau in dem Moment, in dem er an diesen dachte, entdeckte er zwischen den anderen Jägern, die ihm größtenteils unbekannt gewesen waren, tatsächlich Cathan Lane, der sich lachend mit den Leuten in einer kleinen Gruppe unterhielt. Luans Herz schlug sofort schneller, er glaubte, jeden Moment weinen zu müssen. Cathan hatte sich kein Stück verändert. Sein schwarzes Haar war noch immer kurz geschnitten, seine Statur nach wie vor größer als Kierans, aber nicht minder drahtig, sein Gesicht dafür ein wenig definierter und seine Augen dunkler. Als sie bei Cathan ankamen, hielt Faren inne. „Hey, Cath, was geht~?“ Der Angesprochene wandte sich von dem Rest seiner Gruppe ab und dafür Faren zu. Lächelnd schlug er in seine erhobene Hand ein. „Alles bestens, Faren. Na? Kommst du gerade von einer Patrouille zurück?“ „Klar doch.“ Faren deutete zu Luan hinüber. „Dabei haben wir ihn aufgegabelt. Ich bringe ihn grad zur Frau Doktor, damit sie sich ihn mal anschaut.“ Cathan musterte Luan ernst, genau wie bei ihrer ersten Begegnung. „Er sieht wirklich blass und abgemagert aus. Hast du auf der Straße gelebt?“ „N-nein.“ Sogar hier fiel es Cathan wieder einmal auf. „Ich hab im Livio Waisenhaus gewohnt. Aber heute ist mein 18. Geburtstag, deswegen haben sie mich auf die Straße gesetzt.“ Selbst der Rest der Gruppe, Jäger, die Luan nicht kannte, schwiegen betreten, als sie das mitbekamen. Lediglich Faren reagierte, indem er ihm auf die Schulter klopfte. „Alles Gute zum Geburtstag. Wir finden schon eine Lösung, dass du nicht auf der Straße sitzen musst. Obwohl das ziemlich lustig sein kann.“ Ausprobieren wollte er es dennoch nicht. Aber er konnte auch schlecht sagen, dass er lediglich zu seinem Geburtsort zurückkehren wollte, um dort für den Rest seines Lebens zu schlafen. Dann hätte man ihn erst recht nicht mehr gehenlassen. „Ich rede mal mit Parthalan darüber“, versprach Cathan. „Er wird sich etwas einfallen lassen.“ Ihm lag die Frage auf der Zunge, weswegen man nicht direkt Cerise fragte, aber er konnte sie unmöglich stellen. Stattdessen nickte er scheu, verabschiedete sich höflich von Cathan und folgte Faren dann weiter, hoffend, dass er seinen Vater über kurz oder lang wiedersehen dürfte. Wenn er sich recht erinnerte, war es noch ein ganzes Stück bis zur Krankenstation, also stellte er direkt noch eine Frage, um die Zeit zu überbrücken: „Das mit deinem Auge, also … kannst du damit jetzt nichts mehr sehen oder so?“ „Jep. Glücklicherweise habe ich zwei absolut großartige Augen, da ist der Verlust von einem nicht mehr so schlimm – außerdem sieht es doch irgendwie cool aus, oder?“ Faren sah ihn direkt an, grinsend. Luan musste wirklich zugeben, dass es cool aussah. Aber es tat ihm auch leid, dass es seine Handlung gewesen war, die ihm die Hälfte des Augenlichts geraubt hatte. Wenn auch indirekt, aber das genügte vollkommen. Sein schlechtes Gewissen verhinderte, dass er noch weiter über irgendetwas sprechen konnte, deswegen schwieg er den Rest bis zur Krankenstation. „So, da sind wir~. Mal sehen, wie unsere Frau Doktor heute drauf ist. Ich hoffe für dich, dass sie gute Laune hat.“ Luan konnte sich nicht erinnern, Yuina jemals schlecht gelaunt erlebt zu haben, deswegen war er gespannt, was sie zu dieser Emotion befähigen könnte. Doch als sie den Vorraum hinter sich ließen und die Krankenstation schließlich betraten, kam Luan nicht umhin, einen überraschten Laut von sich zu geben, der zumindest von Faren bemerkt – Luan spürte seinen Seitenblick –, aber nicht kommentiert wurde. Die Ärztin, die an einem Schreibtisch zwischen all den Betten saß, vollkommen in ihre Notizen vertieft, war nicht Yuina, wie Luan gedacht hatte – sondern Konia, die eigentlich gar nicht mehr hier sein dürfte. Sie müsste in Athamos sein, gemeinsam mit Vane, und sich dort um ihre Kinder kümmern. Warum war sie noch hier? „Hey, Dr. D.“, begrüßte Faren sie. „Ich hab Ihnen hier einen Patienten mitgebracht.“ Sie hob den Kopf, so heftig, dass ihr unfrisiertes grünes Haar, das er zum ersten Mal offen sah, hinter ihr hochstob. Durch ihre Brille wurde ihr vollkommen emotionsloser Blick aus ihren dunklen Augen noch eine Spur eindringlicher. Aber als sie ihn erst einmal genauer musterte, wurden ihre Gesichtszüge ein wenig weicher. „Wer ist er?“ „Er sagt, sein Name ist Luan.“ „Luan Howe“, stellte er sofort richtig, was sie mit einem zufriedenen Nicken in seine Richtung quittierte. „Ich bin heute aus dem Livio Waisenhaus geworfen und von Dämonen angegriffen worden.“ Mit spitzen Fingern richtete sie ihre Brille, wobei Luan auffiel, dass sie einen weißen Handschuh aus Stoff an ihrer rechten Hand trug. „Lass ihn hier, Griffin. Und dann geh mir aus den Augen, ich ertrage deine Macho-Sprüche heute nicht.“ „Das sind doch keine Macho-Sprüche“, verteidigte er sich, aber sie hörte ihm schon nicht mehr zu. Zu Luans weiterer Überraschung erhob Konia sich nur mühsam und griff dann nach einem Gehstock, auf den sie sich schwer stützte, während sie zu einem der Betten hinüberging. Bei näherer Betrachtung fiel ihm auf, dass sie ihr rechtes Bein nicht mehr durchdrückte beim Gehen, als sei es steif geworden. Faren verabschiedete sich von Luan, nachdem er dessen Koffer neben das entsprechende Bett gestellt hatte. „Lass dich von Dr. D. nicht einschüchtern. Im Grunde ihres Herzens ist sie eine ganz Nette. Wir sehen uns.“ Luan hob nur ein wenig die Hand, als Faren hinausging, und folgte Konia dann zu diesem Bett hinüber. „Was ist denn mit dir passiert?“ Er war sich nicht sicher, ob er damit ihre fehlende Verbindung mit Vane meinte oder ihre scheinbaren Verletzungen, aber sie bezog es auf letzteres: „Ich habe es ein wenig mit meiner Energie übertrieben. Nicht weiter wichtig.“ Es war sogar sehr wichtig, wie er fand. Schon zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit bemerkte er, wie störend es war, dass er hier niemandem so nahe stand, wie in seiner Vergangenheit. Dort hätte er Konia einfach noch ein paarmal fragen können, bis sie ihm die Wahrheit sagte, sofern er sich das zugetraut hätte. Hier folgte er stattdessen ihrer Anweisung, sich die Jacke auszuziehen und auf das Bett zu setzen, damit sie ihn untersuchen konnte. Glücklicherweise beinhaltete diese Untersuchung lediglich das Standard-Verfahren, worin Puls, Blutdruck und Reaktion beinhaltet waren. Sie schwieg dabei, genau wie Vane es immer getan hatte, aber am Ende schrieb sie nicht sofort einen halben Roman auf ihr Klemmbrett, sondern nickte zufrieden. „An und für sich scheinst du vollkommen gesund zu sein. Du solltest nur unbedingt mehr essen. Aber ich verstehe, dass man im Livio Waisenhaus nicht unbedingt Lust auf das Essen hat.“ Erst nach diesen Worten griff sie nach einem Klemmbrett, das am Bett befestigt war, fischte einen Kugelschreiber aus ihrer Kitteltasche und begann dann – mit der linken Hand – etwas aufzuschreiben. Luan war sich nicht sicher, aber er war überzeugt, dass sie früher Rechtshänderin gewesen war. „Deine Hand ...“, sagte er vorsichtig, „kommt das auch von dem hohen Energieverbrauch?“ Sie warf einen kurzen Blick auf ihren Handschuh, dann nickte sie. „Ja, das auch.“ Eigentlich erwartete er nicht, dass sie noch mehr von sich preisgab, aber er erinnerte sich, dass sie beide im selben Waisenhaus aufgewachsen waren und das war ihr wohl Gemeinsamkeit genug, dass sie ihren Handschuh ein wenig zurückschob. Er atmete erschrocken ein, als er sah, dass ihre Haut darunter zu Stein geworden war. Unwillkürlich dachte er wieder an damals zurück, als Kierans linkes Auge und die Haut darum herum wegen seinem hohen Energieverbrauch ebenfalls derart versteinert gewesen war. Natürlich! Wie konnte ich das vergessen? Konia ist ein Dämon! Diese besaßen ohnehin einen erhöhten Energieverbrauch, um in dieser Welt zu überleben, jede weitere Anstrengung, die über ihr Pensum hinausging, verursachte dann eine graduelle Versteinerung, die schließlich zum Tod des Dämons führte. „Warum verbrauchst du so viel Energie?“, fragte Luan leise. „Wie kann das sein?“ Sie schien einen Moment zu überlegen, was sie darauf sagen sollte, entschied sich dann aber mit einem schweren Seufzen wohl doch für die Wahrheit: „Sagen wir, ich habe da einen sehr hartnäckigen Verehrer, der einfach kein Nein akzeptieren kann.“ „Aber nicht Vane, oder?“ Verwundert sah sie ihn an, ehe sie den Kopf schüttelte. „Meinst du Dr. Belfond?“ Am liebsten hätte er sich selbst auf die Zunge gebissen, bis es schmerzte, aber er beließ es dabei, zu hoffen, dass er durch diese Information mehr von ihr erfahren könnte. „Ja, genau den.“ Sie hob die linke Schulter ein wenig, als wolle sie diese zucken. „Wir haben zwar eine Bindung zu Athamos, seit unser letzter Arzt dort Direktor ist, aber ich habe Dr. Belfond nur ein- oder zweimal gesehen. Also ist er es nicht, nein.“ Das war nicht gut. Luan hatte nicht angenommen, dass die Zeit, die Vane in Abteracht verbracht hatte, um ihm und Kieran zu helfen, so wichtig für die Beziehung der beiden gewesen sein könnte. Aber offenbar … Zumindest war Jii aber wirklich Direktor von Athamos geworden, das hörte sich gut an. Und das bedeutete auch, dass es für Vane und Konia noch nicht zu spät war. Auch wenn es um ihren Körper schlimm stand. Aber Ciar hatte Kierans Körper nach der Übernahme immerhin auch vollkommen regeneriert, also war es nicht unmöglich. Ob man Ciar hier wohl auch geholfen hatte? Wie sollte er nach ihm fragen? „Woher kennst du eigentlich Dr. Belfond?“, fragte Konia wie beiläufig, während sie weiterschrieb. Luan lief es heiß und kalt den Rücken hinab, am liebsten hätte er geflucht. Fast hatte er schon vergessen, dass er ihn nicht einfach hätte erwähnen dürfen. Aber wenn man ihn hier nicht kannte, könnte er auch einfach versuchen, zu lügen: „Also, na ja, vor ein paar Jahren hat Athamos versucht, mich anzuwerben und da habe ich ihn getroffen, ja.“ Es war nicht vollkommen gelogen, deswegen kam es ihm wesentlich leichter über die Lippen, als es sollte. Sie schien auf jeden Fall keinen weiteren Verdacht zu schöpfen und widmete sich lieber wieder der Papierarbeit. „Du bleibst heute Nacht erst einmal hier, morgen früh besorge ich dir ein gutes Frühstück und dann sehen wir, wie es weitergehen wird.“ Das passte nicht wirklich in seinen ursprünglichen Plan, aber vielleicht sollte er sich besser den Umständen anpassen, solange er ihnen ausgesetzt war. „In Ordnung. Kann ich vielleicht Kieran sehen, wenn er wieder nach Abteracht kommt?“ Nachdem er Bericht erstattet hatte, dürfte er immerhin wieder nach Hause gegangen sein, genau wie Faren. Wobei er sich bei letzterem fragte, wo dieser wohl lebte, wenn er ein Jäger und kein Traumbrecher geworden war. Was ihn wieder zu der Frage führte, wie es wohl Ferris ging. „Er ist immer noch in Abteracht“, antwortete Konia. „Er lebt immerhin hier.“ „W-was?“ Luan atmete erschrocken ein. „Aber was ist mit seiner Familie?“ Diesen Schreck nahm sie ihm hoffentlich ohne Ausrede ab, immerhin war es doch gut möglich, dass man sich Sorgen um seinen Retter machte. Sie beendete die Papierarbeit und befestigte das Klemmbrett wieder an seinem angestammten Platz am Bett. „Er hat keine. Nun, genauer gesagt hatte er eine, aber er wurde von dieser verstoßen.“ Das konnte Luan nicht im Mindesten verstehen und es ließ sein Herz noch schwerer werden als ohnehin schon. Sicher, Cathan und Kieran waren nie wirklich gut miteinander ausgekommen, trotz ihrer gegenseitigen Liebe füreinander. Aber warum sollten Cathan und vor allem Granya ihn verstoßen? Es gab einfach keinen Grund dafür. Sein Unverständnis stand ihm wohl ins Gesicht geschrieben, denn Konia antwortete ihm auf seine unausgesprochenen Fragen: „Es ist schwer zu erklären. Die Lanes haben noch einen Sohn namens Ciar. Und die beiden kamen wohl nicht sonderlich gut miteinander aus, deswegen musste man sich für einen der beiden entscheiden.“ Das traf auch auf seine Erinnerungen zu. Manchmal hatten Kieran und Ciar sich richtig gut verstanden und nur einen Tag später waren sie sich wieder spinnefeind gewesen, ohne dass es eine Erklärung gegeben hatte. „Das erklärt nicht, warum sie Kieran direkt verstoßen haben.“ Vor allem von Granyas Warte aus nicht, da sie in Ciars Kindheit stets Angst bei ihm empfunden hatte. Gut, nach seiner Erinnerung war sie auch in seiner Zeit sehr von ihm angetan gewesen, aber da war er immerhin auch schon einige Zeit bei Atanas gewesen und hatte sich beruhigen können. Er runzelte seine Stirn, hinter der ein pochender Schmerz eingesetzt hatte. Denken ist wirklich anstrengend. Wenigstens schlief Kian gerade, sonst hätte er wegen Ciar sicher zu rebellieren begonnen. Vielleicht, Luan wünschte es ihm wenigstens, träumte er ja gerade von Ciar. Eine Hand auf seinem Kopf weckte ihn wieder aus diesen Gedanken. Es war Konia, die ihm vorsichtig mit ihrer gesunden Hand durch das Haar fuhr. „Du solltest dich für heute lieber ausruhen. Die Einzelheiten, was Kieran angeht, kannst du ihn im Bedarfsfall ja selbst fragen. Ich bin mir ohnehin nicht sicher, ob es ihm recht ist, wenn ich dir so viel erzähle.“ Das war es vermutlich nicht, aber darüber konnte Luan gerade nicht nachdenken, er war zu sehr damit beschäftigt, diese Form der Zuneigung zu genießen. Sie und Vane waren sich wirklich ähnlich, selbst wenn sie das hier noch nicht wusste. „Dann werde ich jetzt schlafen“, versprach er. Sie deutete ein Lächeln an, lediglich dadurch, dass sie die Mundwinkel ein wenig nach oben zog, genau wie er es früher bei Vane hatte beobachten können. „Gut. Dann setze ich drüben meine Notizen fort. Melde dich, wenn es etwas gibt.“ „Mache ich.“ Sie nickte zufrieden, erhob sich von ihrem Platz und kehrte mit dem Stock langsam zu ihrem Schreibtisch zurück. Ihr Gang erzeugte dabei Töne, die an einen Herzschlag erinnerten. Erst nachdem dieser verstummt war, zog Luan den Vorhang, der sein Bett umgab, richtig zu und öffnete seinen Koffer, um seinen Pyjama herauszuholen. Bevor er sich umzog, nahm er allerdings noch die schwarze Taschenuhr aus der Jackentasche und wog sie ein wenig in seiner Hand. Dieser Gegenstand war der Grund, wegen dem er nun eigentlich hier war – und doch glitzerte er unschuldig im Licht der Krankenstation. Hilf mir auch weiterhin, wenn ich nun schon in diesem Schlamassel stecke. Er legte die Taschenuhr unter sein Kopfkissen, in der Hoffnung, dass sie dort wesentlich sicherer war, als noch in seiner Tasche. Nachdem er sich umgezogen hatte, legte er sich hin und lauschte den Geräuschen der Krankenstation. Es war noch genau wie früher, sogar der Geruch von Desinfektionsmitteln war derselbe. Eigentlich fehlte nur noch Kieran neben ihm, um es perfekt zu machen. Kieran … ich muss unbedingt herausfinden, was hier alles mit dir geschehen ist. Und ob er irgendetwas tun könnte, um alles doch noch in jene Bahnen zu lenken, die von ihm erwünscht gewesen waren. Auch wenn er nicht glaubte, dass er gut in so etwas war. Er seufzte innerlich. Wenn sie mich doch nur nicht gerettet hätten ... Aber es war zu spät, um sich darüber noch Sorgen zu machen. Stattdessen sollte er sich lieber darum kümmern, jetzt das Beste daraus zu machen und zumindest die ein oder andere kleine Veränderung zustandezubringen. Er wollte doch nur das Beste für alle, das konnte nicht so schlimm sein. Oder? Kapitel 3: Das ist mir bewusst. ------------------------------- Als das Büro noch Cerise gehört hatte, war es ein wenig heller gewesen. Nun hingen schwere, schwarze Vorhänge vor dem einen großen Fenster. Die dunklen Holzregale schluckten das trübe Licht des Leuchters. Den einzigen Farbtupfer in diesem Raum bildete ein bunter Blumenstrauß auf einem Beistelltisch, ein rötlicher Schmetterling umflatterte die Blüten. Kieran betrachtete ihn, um sich selbst zu beruhigen, während Parthalan besorgniserregend lang schwieg. Er war sich nicht sicher, wann der Schmetterling das erste Mal aufgetaucht war, aber immer, wenn er das Büro aufsuchen musste, sah er auch diesen. Das Gefühl, dass er nicht wirklich existierte, war zwar stets vorhanden, aber er war noch nie nähergetreten oder hatte mit jemandem darüber gesprochen, um das wirklich zu bestätigen. Vor allem weil es eigentlich offensichtlich war – woher sollte das Insekt denn sonst kommen? „Du sagst, sein Name ist Luan?“ Parthalans Stimme lenkte Kierans Aufmerksamkeit zu dem großen Schreibtisch hinüber. Der Vizeanführer der Dämonenjäger lehnte locker mit der Hüfte an der Tischkante, die Arme vor der Brust verschränkt. Wenn man ihn so von der Seite betrachtete, wirkten seine spitzen Gesichtszüge noch edler, seine eisblauen Augen, die durch eine Brille die Welt betrachteten, waren auf ein Bücherregal an der Seite gerichtet. „Das ist richtig.“ Jedes Mal, wenn Kieran mit ihm sprach, stand er selbst unwillkürlich vollkommen gerade, als wolle er jeden Moment salutieren. Parthalan löste sich von dem Tisch und lief langsam durch den Raum. „Die Person, die uns vor drei Jahren diesen Brief zugespielt hat, hieß ebenfalls Luan. Dieser Name ist nicht zwingend sehr häufig.“ „Das ist mir bewusst. Aber ich fürchte, ich kann nicht sagen, ob es sich um dieselbe Person handelt. Möglicherweise ist es auch nur ein Zufall.“ Parthalan hielt wieder inne und wandte sich Kieran zu. „Hast du in seiner Gegenwart irgendetwas Außergewöhnliches gefühlt?“ Er musste einen Moment überlegen und sich die Begegnung wieder ins Gedächtnis rufen. Nicht, weil er sich nicht mehr sicher war, ob er etwas gefühlt, sondern worum es sich genau gehandelt hatte. Es war so, als wäre er jemandem begegnet, den er seit langem vermisst hatte, ohne es wirklich zu wissen – und gleichzeitig fühlte es sich an, als müsse er enttäuscht von ihm sein. Außerdem war da eine unglaublich anziehende Kraft an ihm gewesen, wegen dem sicher auch die anderen Dämonen in der Gegend es auf ihn abgesehen hatten. Er teilte das Parthalan mit, dieser nickte. „Ich verstehe. Dann muss ich ihn wohl selbst treffen.“ „Wenn Faren keinen Unsinn macht, dürfte er auf der Krankenstation sein.“ Dort benötigte er aber mit Sicherheit gerade Ruhe. Und vor einer Auseinandersetzung mit Konia scheute sogar Parthalan – wenngleich weniger aus Furcht, dass er verlieren könnte und eher mit der Begründung, dass sie noch mehr versteinern könnte. Niemand wollte Konia verlieren und schon gar nicht auf diese Weise. „Dann werde ich ihn morgen aufsuchen. Es ist notwendig, dass wir ihn fragen, woher die Informationen aus seinem Brief stammen.“ „Falls er diesen Brief geschrieben hat.“ Eigentlich zweifelte Kieran nicht daran, aber es schadete mit Sicherheit nicht, wenn er Parthalans Skepsis am Leben erhielt. „Es wäre ein großer Zufall, wenn es sich bei ihm um jemand anderen handelte.“ Kieran schwieg daraufhin, genau wie Parthalan, der mit seinen Gedanken schon wieder an einem gänzlich anderen Ort gelandet zu sein schien. „Parthalan … wie geht es eigentlich Cerise?“ Der andere erwachte sofort aus seinen Gedanken. „Unverändert. Sie befindet sich noch immer im tiefen Schlaf. Der Kampf gegen Armas und Atanas hat ihr zu viel Kraft abverlangt, als dass sie in zwei Jahren heilen könnte.“ „Ich verstehe.“ Das war der einzige Grund, wegen dem er sich gerade nur mit dem Vizeanführer unterhalten konnte. Der mysteriöse Briefschreiber – der vielleicht dieser Luan war – hatte ihnen mitgeteilt, welche Feinde es für Abteracht und die Welt im Gesamten gäbe und wo sie zu finden seien. In der Hoffnung auf eine friedliche Lösung und vermutlich nicht gänzlich überzeugt, hatte Cerise sowohl Atanas, den damaligen Anführer der Traumbrecher, als auch Armas, den späteren Anführer der Chaosbrecher, aufgesucht – nur um herauszufinden, dass jedes Wort der Wahrheit entsprach. Um jeglichen Schaden von ihren Jägern fernzuhalten, hatte Cerise sich der Bedrohung allein gestellt. Am Ende war sie, mit ein wenig Hilfe, siegreich gewesen, aber seitdem schlief sie im Kern von Abteracht. „Also wird sie nicht so bald wieder aufwachen?“, hakte Kieran nach. „Bislang sieht es nicht danach aus.“ Parthalan wandte sich wieder ab und lief einige Schritte von ihm weg, direkt auf ein Bild zu, das mitten im Bücherregal stand, und Cerise umrundet von mehreren Jägern vor zehn Jahren zeigte. „Wir können von Glück reden, dass Aludra dazukam, um Cerise zu helfen.“ Kieran war sich nicht sicher, ob man dabei von Glück sprechen konnte. Aber das bezog sich für ihn vermutlich nur auf alles, was sie im Anschluss noch mit sich gebracht hatte, also erhob er keinen Einspruch. „Ich sehe auch jeden Tag vorschriftsgemäß im Blumenladen vorbei“, sagte er stattdessen. „Atanas hat nach wie vor seine Erinnerungen nicht zurückerhalten. Es sieht nicht so aus, als müssten wir uns deswegen Sorgen machen.“ Aludra war eine Dämonenjägerin und ihre besondere Gabe beinhaltete, dass sie Erinnerungen beeinflussen konnte. Also hatte sie einfach Atanas' Gedächtnis bearbeitet, so dass er nun glaubte, schon immer Besitzer eines Blumenladens gewesen zu sein. Natürlich nachdem sie ihm sämtliche Fähigkeiten eines Traumbrechers abgenommen hatten. Armas, der hoffnungslose Fall, dagegen war Cerises Zorn zum Opfer gefallen. „Gut, danke, Kieran. Gibt es sonst noch etwas?“ „Nein, das war alles.“ Parthalan nickte ihm zu. „Dann war das für heute alles. Danke für deinen Bericht. Du solltest dich jetzt ausruhen gehen. Denk daran, wir wollen nicht, dass du zu viel Energie verbrauchst.“ Für den Hauch eines Augenblicks glaubte Kieran, Sorge in dem Gesicht des anderen zu sehen. Es genügte ihm als väterliche Geste, mehr verlangte er nicht, egal welchen Hintergrund die Besorgnis auch haben mochte. Er verabschiedete sich von Parthalan, verließ das Büro – und traf davor direkt auf Faren, der ihm bereits entgegenlächelte. „Na? Deinen Bericht überstanden?“ Es war eindeutig Freude, die er darüber empfand, dass Faren hier auf ihn gewartet hatte, aber das wollte er dem anderen sicher nicht zeigen, deswegen ging er direkt an ihm vorbei, um zu seinem Zimmer zu gehen. „Ich habe kein Problem mit Parthalan. Also gibt es nichts zu überstehen.“ Faren beeilte sich, ihm rasch zu folgen, was aber auch nicht weiter schwer war für ihn – immerhin hatte er die längeren Beine. „Yeah, ich weiß. Du bist der einzige, der sich so gut mit ihm versteht. Wahrscheinlich weil ihr beide ähnlich ernst seid und nie entspannt.“ „Das ist doch überhaupt nicht wahr.“ Faren wuschelte ihm mit einer Hand spielerisch durch das Haar, bis Kieran empört demonstrierte, erst dann hörte er lachend wieder auf. „Komm schon, du chillst nie. Dabei hättest gerade du das mal nötig.“ Kieran hoffte, dass sein Blick, den er Faren widmete, genervt genug wirkte, damit dieser es endlich sein ließ. Allerdings erntete er nur ein weiteres Lachen, als Faren die Hände hinter seinem Kopf verschränkte. „Sag mir lieber, ob du Luan auf die Krankenstation gebracht hast.“ „Jawohl, Sir“, antwortete Faren spöttisch. „In einem Stück, gesund, heil und ohne dass ich von Dr. D. zerfleischt werde.“ „Wahrscheinlich würde sie dich schon mehr mögen, wenn du endlich aufhören könntest, sie so zu nennen. Sie hat auch einen richtigen Namen.“ „Aber der ist langweilig.“ Mit einem Seufzen gab Kieran dieses Thema auf und legte schweigend den restlichen Weg zurück. Es gab keine Einzelquartiere in Abteracht. Betrat man eine der Türen im Wohntrakt, kam man in einen Gruppenraum, der über alle Annehmlichkeiten verfügte, die man benötigte. Eine Sitzecke, inklusive eines Fernsehers mit integriertem DVD-Player, eine Kochnische mit dazugehörigem Esstisch. Eine abgelegene Tür führte ins Badezimmer, vier andere Türen jeweils zu einem Einzelzimmer. Aber wie man es drehte und wendete, man kam nicht umhin, einen Gruppenraum mit einem anderen zu teilen. Und bei Kieran war es unglücklicherweise Faren. Er wollte eigentlich direkt in sein Zimmer durchgehen, aber Faren war schneller und stellte sich so, dass er nicht an ihm vorbei durch die Tür gehen konnte. Als er den Blick hob, bemerkte er, dass Faren wirklich besorgt aussah. „W-was ist?“ „Kieran, die Begegnung heute hat dich ziemlich getroffen, oder?“ Er wandte den Blick ab. „Ach was. Das musst du dir einbilden.“ Daraufhin spürte er aber nur, wie Faren ihm gegen die Stirn tippte. „Ich kenne dich besser als jeder andere. Ich sehe es, wenn etwas in dir vorgeht. Auch wenn ich nur noch ein Auge habe, bin ich nicht blind~.“ Kieran ergriff Farens Handgelenk und senkte es gemeinsam mit seiner eigenen Hand, ehe er sein Gegenüber wieder direkt ansah. „Bitte … du weißt, dass ich ...“ „Ich weiß. Und ich habe dir schon gesagt, dass es okay ist. Ich erwarte nichts von dir. Ich bin nur um dich besorgt und möchte wirklich, dass du dich nicht selbst kaputt machst. Auf diesem Weg bist du aber gerade – und das möchte ich verhindern.“ Diese Worte müssten eigentlich sein Herz berühren, aber sie schafften es nicht an den Ketten vorbei, die es gefangen hielten. Die Ketten, die mit Schuld beschriftet waren. „Wenn ich schneller gewesen wäre, an diesem einen Tag, könntest du noch mit beiden Augen sehen und du müsstest nicht hier sein.“ „Was ist denn so schlimm daran, hier zu sein?“ Faren beschrieb mit seiner freien Hand einen unbestimmten Bogen. „Es gibt hier gutes Essen, es ist warm und die Leute sind cool drauf. Und das mit meinem Auge … ach komm, wärst du dagewesen, um es zu verhindern, hätte mein Vater vielleicht noch etwas viel Schlimmeres getan. Du hast gesehen, wozu er in der Lage war, beim Versuch, dich zu töten.“ Kieran öffnete bereits den Mund, um etwas zu sagen, aber Faren fiel ihm ins Wort: „Nein, es wäre nicht besser, wenn du tot wärst. Egal, was die Lanes getan haben, ich bin froh, dass du noch lebst. Parthalan ist froh, dass du noch lebst. Dr. Dragana ist froh, dass du noch lebst. Und weil die anderen beiden es dir nicht zeigen, muss ich es umso deutlicher tun. Auch als Freund~.“ Kierans Griff lockerte sich, so dass Faren seine Hand wieder freibekam und ihn stattdessen an den Schultern fassen und zum Sofa dirigieren konnte. „Und ich fange an, dir das noch deutlicher zu zeigen, indem ich dich jetzt zwinge, mit mir zusammen einen Film anzusehen. Da kommst du ein bisschen runter, entspannst dich und kannst dann nachher besser schlafen. Ich habe sogar extra deinen Lieblingsfilm besorgt~.“ Kieran stolperte hinter ihm her. „Lieblingsfilm?“ Er wusste doch nicht wirklich, welchen er am meisten mochte, oder? Falls doch, hoffte er, dass er einfach im Boden versinken könnte. Am Sofa angekommen, drückte Faren ihn auf dieses nieder – und präsentierte ihm die DVD-Hülle, die Kieran gleichzeitig zwei Dinge mitteilte: Faren wusste wirklich gut über ihn Bescheid und man konnte leider nicht einfach im Boden versinken. Stattdessen legte er sich eine Hand vor das Gesicht, um nicht zu zeigen, wie verlegen ihn das machte. „Ich wünschte, die Erde täte sich auf ...“ „Weswegen denn? Das ist doch ein Film für die ganze Familie~.“ Kieran sah ihn nur durch den Spalt zwischen zwei seiner Finger hindurch an. „Meinst du?“ „Absolut~. Ich habe ihn auch schon gesehen. Er ist großartig, kein Wunder, dass du ihn so sehr magst. Auch wenn ich beim ersten Mal doch ein wenig irritiert war.“ Er schmunzelte. „Aber nichtsdestotrotz ist es ein echt toller Film. Und deswegen schauen wir ihn uns jetzt zusammen an. Danach lasse ich dich auch schlafen. Deal?“ Kieran musste unwillkürlich lächeln und das ließ ihn erröten. Aber immerhin wollte er nicht mehr im Boden versinken, er schaffte es sogar, die Hand wieder runterzunehmen und in die von Faren einzuschlagen. „Deal.“ Kapitel 4: Öfter als du glaubst. -------------------------------- Am nächsten Morgen befand Konia sich nicht mehr auf der Krankenstation – oder jedenfalls nicht in unmittelbarer Sichtweite. Dafür war Ias da, um ihm lächelnd einen guten Morgen zu wünschen und ihm sein Frühstück zu bringen. Sie erklärte ihm, wieder einmal, dass sie die Krankenschwester und Heilerin – die aber nur in besonders schweren Fällen genutzt wurde – sei, und noch immer war er von ihrem purpurfarbenen Haar, das sie meist hochgesteckt trug, fasziniert. Im Grunde war es genau wie damals, vertraut, als wäre er zu Hause angekommen, obwohl er nicht einmal bei den Lanes war. Es war nur ein weiteres Zeichen für ihn, wie viel Zeit er bereits auf dieser Krankenstation verbracht hatte. Sogar das Frühstück, so konnte er nach wenigen Bissen feststellen, schmeckte noch genau wie damals. Selbst mit all den nostalgischen Gefühlen, die ihm die Kehle zuschnüren wollten, fiel es ihm daher nicht schwer, das Essen ausgiebig zu genießen. Man benötigte neben Schlaf immerhin auch Nahrung, wenn man anständig denken wollte. Durch das einfallende Tageslicht wirkte die Krankenstation auch wesentlich friedlicher und heimischer als noch in der Nacht zuvor, als erst das grelle Neonlicht und dann das gedämpfte, fast schon als düster zu bezeichnende Licht, alles erhellt hatte. Nach dem Frühstück zog er sich an und nahm sich dann endlich die Zeit, um nachzudenken. Er hatte die Wahl, einfach wegzugehen und zu versuchen, sich zu seinem Geburtsort durchzuschlagen – aber er könnte niemals schnell und unaufmerksam genug fliehen, um den Jägern zu entkommen. Nicht zuletzt Kieran hatte ihm schon mehr als einmal deutlich demonstriert, dass er vollkommen problemlos Luan einholen könnte, ohne sich auch nur anzustrengen. Also fiel dieser Plan schon einmal weg. Wenn er wirklich Dinge wieder gutmachen wollte, müsste er versuchen, Kieran und Faren zu verkuppeln, so wie Vane und Konia. Aber er besaß keinerlei Erfahrung in derartigen Dingen und war sich nicht einmal sicher, wie man so etwas am besten anfing. Er hätte besser Ferris vor seiner Zeitreise danach gefragt. Selbst wenn er ihn hier fände, wäre das kein geeignetes Gesprächsthema bei der ersten Begegnung. Er könnte aber auch allen die Wahrheit erzählen. Die Frage wäre nur, ob man sie ihm glaubte und was das im Endeffekt brächte. Selbst wenn er eine Wahrsager-Nummer durchführte, kannte er Kieran gut genug, um zu wissen, dass er nicht aufgrund einer solchen Aussage einfach eine Beziehung mit jemandem einging. Dasselbe galt sicher auch für Vane und Konia. Der allerletzte Ausweg wäre dann, einfach noch einmal die schwarze Taschenuhr zu benutzen – falls das denn ginge – und zu hoffen, dass er diesmal wesentlich eindeutigere Briefe schreiben könnte. Aber selbst nach drei Jahren fiel ihm kein Text ein, der besser geeignet wäre, als jener, den er damals geschrieben hatte. Im Prinzip war keine seiner Alternativen wirklich gut, wie er feststellte. Was ihn wieder vor dasselbe Problem wie zuvor stellte: Er wusste einfach nicht, wie es weitergehen sollte. Also müsste er es offenbar Parthalan und Cerise überlassen, wie sie mit ihm verfahren wollten. Es mochten nur wenige Stunden seit dem Frühstück vergangen sein – die er hauptsächlich damit verbracht hatte, nachzudenken und Ias' Erklärungen zu lauschen, die ihm bereits bekannt waren – als sich die Tür öffnete und Kieran gemeinsam mit Parthalan hereinkam. Hinter ihnen folgte Konia, die sich noch immer auf ihrem Stock abstützte und sich deswegen dann auch direkt auf dem Stuhl niederließ, den Kieran ihr neben Luans Bett stellte. Sie nahm sich aber sofort das Klemmbrett und notierte auf diesem wieder einige Dinge, ohne etwas zu sagen. Ias wiederum verließ die Krankenstation, das Gespräch war wohl nicht für ihre Ohren bestimmt. Kieran wiederzusehen, ließ sein Herz sofort schneller schlagen. Auch wenn er von derart viel Trauer und Pessimismus begleitet war, konnte Luan nicht anders als ihn zu lieben. Aber für sie beide gab es einfach keine Zukunft. Parthalan, der wie üblich vollkommen gerade, mit auf dem Rücken verschränkten Händen vor Luan stand, räusperte sich, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. „Als Repräsentant der Cherrygrove-Jägervereinigung Abteracht begrüße ich dich als unseren Gast, Luan Howe.“ Also war er, natürlich, bestens darüber informiert, wer er war. Luan bedankte sich bei ihm, war aber wie üblich zu eingeschüchtert, um noch etwas zu sagen. Parthalan ließ sich davon aber nicht beeindrucken und fuhr fort: „Zuallererst möchte ich gern erfahren, weswegen du dich um diese Zeit in einer derart gefährlichen Gegend der Stadt aufgehalten hast. Gab es einen bestimmten Grund dafür?“ „Ich wollte dahin zurück, wo ich geboren wurde.“ Parthalan tauschte einen kurzen Blick mit Kieran, ehe er wieder Luan ansah. „Und wo mag das sein?“ Klänge es verrückt, wenn er einen Bahnhof nannte? Aber Kinder konnten immerhin an allen möglichen Orten geboren werden. Deswegen versuchte er das einfach, erntete aber einen skeptischen Blick von Parthalan dafür. „Und was wolltest du dort?“ Vielleicht war es besser, ehrlich zu sein. „Schlafen.“ „An einem Bahnhof?“, mischte sich nun Kieran ein. „Warum solltest du dort schlafen?“ Derart offen wollte er dann doch nicht sein, deswegen senkte er den Kopf ein wenig und sah auf seine baumelnden Beine hinab. Dafür konnte er die Verwirrung der beiden spüren. Lediglich Konia schien sich nicht sonderlich viel aus den Worten zu machen und notierte sich weiterhin Dinge, die er erwähnte und ihr wichtig erschienen. Parthalan verstand das Signal schließlich und wechselte das Thema: „Vor etwa drei Jahren erhielten wir einen Brief von einem gewissen Luan, der uns erstaunlich präzise zukünftige Ereignisse voraussagen konnte. Handelt es sich bei euch zufällig um dieselbe Person?“ Luan fluchte innerlich darüber, dass er damals zumindest seinen Vornamen angegeben hatte. Aber er war davon ausgegangen, dass man dem Inhalt eher Glauben schenkte, wenn er nicht von einer vollkommen anonymen Person kam. Nun drohte dieser Gedanke aber, ihm seine vorigen Überlegungen zu zerschlagen, um sich selbst eine Antwort zu wählen – und Parthalans prüfender Blick, der auf seiner Haut zu brennen schien, machte es nicht besser. Kieran hatte ihm damals erzählt, dass Parthalan in der Lage war, jede Lüge zu durchschauen. Wie genau war ihm zwar nicht mitgeteilt worden, aber Luan glaubte diese Behauptung auch ohne jede Erklärung, deswegen blieb er lieber bei der Wahrheit: „Das tut es.“ Diesmal gab es keinen Blickaustausch zwischen Parthalan und Kieran, dafür aber zwischen diesem und Konia, die davon wirklich überrascht wirkten. Der Vizeanführer dagegen wirkte als könne ihn absolut nichts erschüttern oder verwundern. „Woher stammten deine Informationen?“, fragte er stattdessen. „Ich ...“ Luan sah zu Kieran hinüber, der sich nichts anmerken ließ von dem, was gerade in seinem Inneren vorging; genau wie er ihn eben kannte. „Ich hatte diese Informationen, weil ich aus der Zukunft gekommen bin.“ Parthalan zog skeptisch die Augenbrauen zusammen. „Bitte?“ Er hatte ihn nicht oft sehen können, aber er glaubte, es war das erste Mal, dass nicht einmal Parthalan glauben konnte, dass sein Gegenüber nicht log, obwohl er den besten Beweis, dank seiner Fähigkeiten, dafür hatte. Luan erzählte von einer aussichtslosen Konfrontation mit den Chaosbrechern, von der schwarzen Taschenuhr und seinem Wunsch, alles besser zu machen, indem er Abteracht rechtzeitig eingreifen ließ. Die Anwesenden lauschten ihm mit ernsten Gesichtern, überlegten vermutlich, ob sie ihm diese Geschichte wirklich glauben sollten. Zumindest Parthalan tat es offenbar schließlich, denn bei seinem ernsten Blick und der gerunzelten Stirn, wusste Luan, was im Anschluss kam, noch bevor der Vizeanführer es aussprach: „Dir ist bewusst, dass es nicht in Ordnung ist, derart mit der Zeit zu spielen? Selbst wenn du es nur gut gemeint hast.“ Dasselbe, was auch Jii gesagt hätte, wäre er gerade hier. Luan nickte zerknirscht. „Warum hast du es dennoch getan?“, fragte Parthalan. „Ich wollte nur Kieran helfen.“ Er wagte es kaum, in dessen Richtung zu blicken, um zu sehen, wie er darauf reagierte. Glücklicherweise sagte er auch immer noch nichts und überließ es weiterhin Parthalan: „Gibt es einen bestimmten Grund dafür, dass du gerade ihm helfen wolltest?“ An diesem Punkt wollte er nicht mehr die Wahrheit sagen. Es kam ihm zu eigenartig vor, diesen drei Personen zu sagen, dass er Kieran so sehr liebte, dass er es nicht mehr hatte ertragen können, ihn unglücklich oder gar leiden zu sehen. Also müsste er wohl oder übel auf etwas anderes ausweichen: „Dank Kieran habe ich bei den Lanes ein Zuhause gefunden. Deswegen wollte ich verhindern, dass ihm etwas geschieht.“ Es war nicht vollkommen gelogen, deswegen gab Parthalan sich mit dieser Antwort zufrieden. Während er nachdachte, herrschte Schweigen, das von Luan wieder gestört wurde: „Ähm, Entschuldigung, aber … wo ist eigentlich Cerise?“ Parthalan schloss die Augen. Er berichtete ihm von einem furchterregenden Kampf zwischen Cerise, Atanas und Armas, aus dem sie zwar siegreich hervorgegangen war – aber derart geschwächt, dass sie seitdem schlief, um sich zu regenerieren. Alles in Luans Inneren schien zu gefrieren, mit einer derartigen Konsequenz hatte er nicht gerechnet, es erfüllte ihn mit noch mehr Schuld, der er inzwischen gar nicht mehr Herr zu werden glaubte. „Das tut mir leid. Ich wollte nicht, dass sie-“ „Ich gehe davon aus, dass du diesen Ausgang nicht erwünscht hast“, unterbrach Parthalan ihn. „Aber sei es wie es sei. Wir müssen nun überlegen, wie es mit dir weitergeht.“ Also hatten sie nicht vor, ihn so bald wieder gehen zu lassen. Luan ließ den Kopf hängen. „Für die nächste Zeit bist du erst einmal ein Gast in Abteracht. Du wirst es nicht allein verlassen, kannst dich im Inneren aber frei bewegen. Falls du Fragen oder Probleme hast, melde dich bitte bei Konia oder Faren.“ Er zögerte einen kurzen Moment, warf einen Blick zu Kieran hinüber. „Oder melde dich bei Cathan Lane. Laut deiner Geschichte dürftest du ihn gut kennen, da dürfte dir das nicht schwerfallen.“ Das nicht, aber vielleicht fiel es ihm schwer, ihn nicht Papa zu nennen, so wie früher. Parthalan wollte sich gerade abwenden, hielt aber noch einmal inne. „Oh ja … hast du diese schwarze Taschenuhr bei dir? Ich würde sie mir gern einmal genauer ansehen.“ Luan sah auf Parthalans geöffnete Hand hinab. Er wusste, dass es mehr bedeutete: Parthalan wollte ihm jegliche Möglichkeit nehmen, noch einmal mit der Zeit zu spielen. Schweren Herzens griff er unter sein Kopfkissen, zog die Uhr hervor und legte sie in Parthalans Hand. Erst dann verabschiedete der Vizeführer sich steif und ging mit raschen Schritten davon. Luan sah ihm hinterher, da er sich kaum traute, Konia oder Kieran, die beide schwiegen, anzusehen. Besonders seinem früheren Freund wollte er nicht in die Augen sehen. Deswegen betete er innerlich auch darum, dass er keine Fragen stellte – aber vergebens. „Dann ist das alles eigentlich meine Schuld?“ Kierans Stimme war kaum zu hören, aber für Luan kam sie kristallklar an – und die Traurigkeit darin brach ihm fast das Herz. Gerade als er vehement widersprechen wollte, übernahm Konia das: „Denk nicht so etwas, Kieran. Nichts hiervon ist deine Schuld. Außerdem sagt doch niemand, dass ein anderes Leben besser wäre als dieses. Luan hat das sicher nicht umsonst getan.“ Luan fürchtete sich schon vor dem Moment, an dem er Konia sagen müsste, dass ihr altes Leben wesentlich schöner gewesen war. Und Kieran sah das wohl ähnlich: „Wir können das nicht wissen, denn wir erinnern uns ja an nichts, um das vergleichen zu können.“ Darauf sagte sie nichts mehr, er wandte sich daher an Luan: „Und du … wenn ich dir so viel bedeutet habe, warum bist du dann nicht mehr aufgetaucht? Hat es dich nicht interessiert, wie es mir geht? Was ich nun mache?“ Öfter als du glaubst. Aber ich durfte nicht darüber nachdenken. „I-ich dachte, du wärst ohne mich besser dran. Alle sagten immer, unsere Begegnung hätte die Räder des Schicksals in Bewegung gesetzt … und ich wollte, dass du ein anderes Leben hast.“ Eines, in dem es ihm besser ginge, als mit ihm. Vielleicht hätte er ihm das auch noch sagen sollen, aber dafür hätte er ihm auch erklären müssen, in welcher Beziehung sie einst zueinander gestanden hatten und das wollte er nicht. Möglicherweise hätte dieses Wissen ihn nur noch mehr belastet, deswegen schwieg Luan. Das Unterlassen dieser Erklärung führte aber unweigerlich dazu, dass Kieran seinen eigenen Schluss zog. Er betrachtete Luan mit einem harten, distanzierten Gesichtsausdruck. „Dann hast du mich auch zurückgewiesen. So wie alle anderen.“ „Faren hat-“ Doch ehe Luan den Satz beenden konnte, war Kieran bereits herumgefahren und aus der Krankenstation gestürmt, ohne ihm die Zeit zu geben, sich zu erklären. Luans Brust verengte sich, sein Herz schien geradewegs zu brennen, um aus seinem Körper zu entkommen und Kieran zu folgen. Etwas, das er natürlich nicht zulassen konnte, weswegen er tief durchatmete und sich zu beruhigen versuchte. Ohne die Uhr blieb ihm keine andere Möglichkeit mehr als dieses Chaos manuell wieder zu beseitigen und Kierans Wunden jemand anderem zu überlassen. Er hoffte, dass es Faren wirklich möglich war, ihm zu helfen. Besser als er es je gekonnt hätte. So blieb lediglich Konia, die das Klemmbrett endlich wieder am Bett befestigte und sich dann auf ihrem Stuhl zurücklehnte. Wenigstens war in ihrem Blick nichts allzu Negatives zu lesen. Stattdessen wirkte sie äußerst neutral, so wie eh und je. „Kamst du deswegen auf Dr. Belfond?“, fragte sie unvermittelt. Luan benötigte einen Moment, um sich wieder an das Gespräch von letzter Nacht zu erinnern, aber dann nickte er. „Ja, genau. In meiner Zeit hast du ihn geheiratet und drei Kinder mit ihm bekommen.“ An ihrem Gesicht änderte sich nichts, sie sah immer noch vollkommen neutral aus, was ihm das Gespräch erleichterte. „Meinst du, ich war in jenem Leben glücklicher?“ „Ich bin überzeugt.“ Es wäre höflicher gewesen, sie anzulügen, aber das wäre seinem Ziel entgegengelaufen, also entschied er sich für die Wahrheit; und nach diesem Moment fürchtete er sich vor ihrer Reaktion darauf. „Du hast ganz oft gelächelt, viel gesprochen und dein Körper war gesund. Wer auch immer dieser Verehrer ist, in meiner Zeit tat er dir nicht so viel an.“ Darauf schwieg sie wieder nur. Ihr Blick ging geradewegs ins Leere, ihre Brauen waren leicht zusammengezogen, als denke sie gerade über etwas nach, das sie nicht so einfach begreifen könnte. Aber allein anhand daran konnte er nicht ausmachen, was sie darüber dachte. „Bist du jetzt auch böse auf mich?“, fragte er vorsichtig. Sie fokussierte ihren Blick wieder auf ihn. „Hast du wirklich aus einem für dich guten Grund gehandelt?“ Für ihn war das keine Frage mehr, deswegen nickte er sofort. Daraufhin entspannten sich ihre Gesichtszüge wieder ein wenig. „Unter diesen Umständen bin ich dir nicht böse. Wenn jemand aus guten Gründen handelt, gibt es keinen Grund, ihm das nachzutragen.“ Damit hatte er zumindest eine Person, die ihm das nicht nachtrug. Das gab ihm neuen Aufwind, um hoffentlich auch den Rest seines Plans in die Tat umzusetzen. „Danke, Konia.“ Er war es gewohnt, dass sie lächelte, wenn man sich bei ihr bedankte, aber an diesem Tag bekam er nur ein kurzes Nicken, dann erhob sich Konia von ihrem Stuhl. „Du solltest dich noch ein wenig ausruhen. Aber wenn du dich fit genug fühlst, kannst du auch alte Erinnerungen auffrischen … falls du früher einmal in Abteracht gewesen bist.“ Während sie wieder davonhumpelte, fragte er sich, ob das eine gute oder eine schlechte Idee wäre. Aber es gab wohl nur eine Art, das herauszufinden: Indem er sich einfach auf den Weg machte. Also stand er endlich vom Bett auf – und verließ die Krankenstation, um sich Abteracht und die erfolgten Änderungen genauer anzusehen. Konia, die inzwischen wieder an ihrem Schreibtisch saß, wartete, bis Luan draußen war und ganz sicher nicht mehr zurückkehrte. Eine Weile hatte sie so getan, als ginge sie Akten durch, aber aktuell gab es davon nicht sonderlich viele, da niemand verletzt wurde – was immer ein gutes Zeichen war, besonders für sie, immerhin hatte sie so ihre Ruhe – daher war es ihr auch nur schwer möglich gewesen, so zu tun als gäbe es Arbeit. Es mochten zwei Minuten vergangen sein, in denen sie nur auf die Tür gestarrt hatte (irgendwann war ihr aufgefallen, dass sie richtig gut darin war, Dinge einfach nur anzustarren, während in ihrem Kopf zigtausend Prozesse über sie faszinierende Kleinigkeiten gleichzeitig abliefen, so dass ihr nicht langweilig werden konnte), dann war sie überzeugt, dass Luan es ernst meinte, und griff nach dem Telefon. Sie betätigte die Schnellwahltaste für Jiis Handy, lauschte dem Klingeln am anderen Ende der Leitung und dachte dabei wieder über Luans Worte nach. In seiner ursprünglichen Zeitachse sei sie glücklicher gewesen, behauptete er. Mit einer Familie, etwas, das sie seit dem Tod ihres Wirts nicht einmal mehr ansatzweise in Betracht gezogen hatte. Stattdessen war sie von der dämonischen Meinung, die Menschheit sei verdorben und jeder, der sich auf sie einlasse, verloren, überzeugt gewesen und hatte sich so weit wie möglich zurückgezogen. Bis man sie eben aus ihrem Labor, ihrem Refugium, abgezogen hatte, damit sie sich wieder um diese Krankenstation kümmern könne. Seitdem waren ihre Forschungen und ihre Experimente, an denen ihr Herz – falls Dämonen wirklich so etwas besaßen, sie hatte noch keine Autopsie an einem solchen vorgenommen – so sehr hing, zum Erliegen gekommen. Aber mit Luans Aussage hatte sich eine neue Möglichkeit für sie eröffnet. In eine andere Richtung vielleicht, aber mit Sicherheit auch interessant genug für jemanden wie Jii, damit er darauf einginge. Ohne seine Unterstützung wäre dieses Projekt nämlich von Anfang an zum Scheitern verurteilt. „Was gibt es, Konia?“ Obwohl sie derart tief in ihre Gedanken abgetaucht gewesen war, wurde sie sofort aufmerksam, als sie Jiis Stimme aus dem Telefon hören konnte. Selbst als Direktor von Athamos klang er noch immer leicht gelangweilt, angeödet, als könne absolut gar nichts ihn überraschen. Was sie manchmal erstaunlich fand, wenn sie bedachte, dass er immerhin nicht derjenige war, der in die Zukunft sehen konnte – und all jene, die über diese Fähigkeit verfügten und ihr bekannt waren, führten sich eher wie überdrehte Kinder mit zu viel Zucker im Blut auf. Deswegen empfand sie Jii auch als wesentlich angenehmer. „Guten Morgen, Jii.“ Jetzt kam es darauf an, sie hatte nur eine Gelegenheit, um ihre Idee vernünftig zu übermitteln. Er durfte nicht sofort ablehnen, sondern musste sich ihre Ausführungen anhören, deswegen war es erforderlich, dass sie so seriös wie möglich klang. Unwillkürlich setzte sie sich kerzengerade auf ihrem Bürostuhl und räusperte sich noch einmal, ehe sie endlich zum Grund ihres Anrufs kam: „Ich rufe an, um dir ein interessantes Experiment vorzuschlagen. Hast du Interesse?“ Kapitel 5: Du darfst nur nicht aufgeben. ---------------------------------------- Luan lief in einem fast traumgleichen Zustand durch die Gänge Abterachts. Besonders wenn er allein unterwegs war, kam ihm alles noch so vertraut vor, als wäre er nicht durch die Zeit gereist, sondern befände sich immer noch in einer Partnerschaft mit Kieran, ein Gedanke, der sein Herz noch schwerer werden ließ als es bislang gewesen war. Sobald er für einen kurzen Moment glaubte, er müsste nur Kieran finden, um sich an ihn schmiegen zu können, wurde ihm wieder bewusst, dass das nicht möglich wäre. Niemals wieder. Und dieser Gedanke stach unangenehm in seiner Brust. Er sehnte sich nach den Klängen der Trugmahre, die ihn stets zu beruhigen verstanden hatten, aber in Abteracht gab es keine von ihnen. Also blieben ihm nur andere Personen. Allerdings wusste er auch nicht so recht, wen genau er suchen sollte. Kieran kam ihm natürlich sofort in den Sinn, aber das Problem wäre hierbei höchstwahrscheinlich, dass dieser gar nicht mit ihm reden wollte, und er konnte es auch verstehen. Nachdem er sich derart zurückgewiesen gefühlt hatte, wollte er Luan sicher erst einmal nicht mehr sehen. Ihm selbst erginge es in einer solchen Situation sicher ähnlich. Deswegen ließ er seine Füße einfach den Weg bestimmen – und er staunte nicht schlecht, als er bei Faren endete, der scheinbar wie zufällig in einem Gang, den Luan nicht kannte, gegen die Wand lehnte, die Beine verschränkt, die Hände in den Hosentaschen. Während er so dastand und auf den Boden starrte, sah er so nachdenklich und verloren aus, wie Luan ihn noch nie zuvor gesehen hatte, nicht einmal als ihm bewusst geworden war, dass er Kieran an ihn verloren hatte. Doch plötzlich bemerkte er wohl, dass er beobachtet wurde, denn Faren hob den Blick und sah ihn direkt an. Kaum erkannte er Luan, lächelte er und hob eine Hand. „Hey, alles klar?“ Nur zögernd ging er näher und musterte dabei genau Farens Gesicht. „Bist du nicht auch böse?“ Wusste er überhaupt schon Bescheid? „Wegen dieser Zeitreise-Geschichte? Nun schau nicht so verwundert. Neuigkeiten verbreiten sich in Abteracht schnell, jedenfalls wenn man die richtigen Leute kennt.“ Das mochte durchaus sein, aber es verwunderte Luan dennoch, immerhin hatte das Gespräch gerade eben erst stattgefunden. Wer mochte diese Details jetzt bereits weitergetragen haben? Und an wen alles? Faren winkte ab. „Nun mach dir mal keine Sorgen. Ich bin dir deswegen nicht sauer. Ich werde dich nicht mal fragen, wie mein voriges Leben war~. Ich kann mir immerhin bereits denken, dass da nichts zwischen mir und Kieran lief.“ Das überrumpelte Luan aus mehreren Gründen. Zum einen fragte er sich, wie sich Gerüchte hier so schnell verbreiten konnten und zum anderen interessierte ihn, wie Faren denn darauf kam. Also hakte er nach und erhielt auch sofort eine Antwort, deren Logik ihn überraschte: „Du hast gesagt, du hättest das für Kieran getan. In dem Fall musst du ihn sehr, sehr lieben – aber in dieser Zeitachse hast du sogar versucht, dich von ihm fernzuhalten. Das muss doch einfach bedeuten, dass du mit ihm zusammen warst, es aber für besser hieltest, ihn irgendjemand anderem zu überlassen. Wobei ich mich natürlich bevorzugen würde.“ Er deutete mit dem Daumen auf sich, während Luan ihn nur verwundert ansehen konnte. „Was? Hat meine umwerfende Logik dich derart sprachlos gemacht?“ Faren lachte ein herrlich reines Lachen, das so ungezwungen wirkte, dass Luan ihn regelrecht beneidete. „In gewisser Weise. Und? Was sagst du?“ Faren stellte sich endlich wieder aufrecht hin und klopfte ihm auf die Schulter. „Bei mir ist Kieran in allerbesten Händen, ich garantiere es dir. Luan hoffte, dass es wirklich so war, dass Faren sich so gut um Kieran kümmerte, dass am Ende niemand mehr wütend sein müsste, über Luans Einmischen. Und er hoffte, dass Kieran das auch noch zu akzeptieren lernte. Irgendwann einmal müsste er das doch, oder? „Wo ist Kieran eigentlich gerade?“ Faren deutete mit dem Daumen hinter sich. „Er ist am Kern von Abteracht. Da darf ich nicht hin, deswegen versteckt er sich immer dort, wenn er allein sein will.“ Daher kannte Luan diesen Bereich nicht. Er war niemals in der Nähe des Kerns gewesen, hatte bis zu Parthalans Erzählung zuvor nicht einmal gewusst, dass es einen solchen überhaupt gab. Aber er konnte sich denken, dass nicht einfach jeder hinein durfte. „Faren … kann ich dich vielleicht ein paar Sachen fragen? Wegen Kieran?“ Wenn sie schon allein hier waren, sah Luan es als durchaus möglich an, endlich ein paar Antworten zu bekommen, die ihn seit gestern beschäftigten. Glücklicherweise schien Faren das sogar zu freuen, er klopfte sich mit der Faust gegen die Brust. „Klar, ich bin hier der Kieran-Experte. Mit kleinen Ausnahmen natürlich. Frag ruhig.“ Gut, mit welcher Frage sollte er anfangen? Es gab doch einige. Aber vielleicht sollte er lieber nicht alle fragen, sonst geschähe es am Ende doch noch, dass seine Gefühle ihn übermannten. „Warum lebt Kieran nicht mehr bei den Lanes?“ Faren verschränkte die Arme vor seiner Brust, er runzelte nachdenklich die Stirn. „Das ist eine komplizierte Geschichte.“ „Konia meinte, es wäre wegen seiner Beziehung zu Ciar gewesen.“ „Das ist nur die halbe Wahrheit.“ Er seufzte leise. „Ciar und Kieran hatten wirklich einige schwere Probleme und auch Auseinandersetzungen miteinander. Was ich auch verstehen kann. Ich mag Wyot, aber wäre er, ob freiwillig oder nicht, so lange im Besitz meines Körpers gewesen, könnte er sich auch auf ziemlich viel Frust und Wut einstellen.“ Wyot … der Name war Luan vollkommen neu. Aber er ging davon aus, dass es sich dabei um den Namen von Farens Dämon handeln musste. Was ihn zu der Frage führte, ob Kieran als Dämon wohl auch einen besonderen Namen hatte – oder ob er wirklich einfach Kieran war. Darum ging es gerade aber auch nicht. „In gewisser Weise verstehe ich das auch“, versicherte er. „Aber ich denke trotzdem, sie sollten sich vertragen. Sie sind immerhin so etwas wie Brüder.“ „Das dachte Cath auch. Deswegen haben sie es wirklich lange versucht. Aber Ciar ist sehr nachtragend. Und dann war da noch irgendeine Sache, die mit den Zwillingen zu tun hat, über die ich aber auch keine genauen Details kenne. Frag lieber Cath danach.“ Also war doch irgendetwas vorgefallen und … „Moment!“, platzte es aus Luan heraus. „Zwillinge? Etwa Amy und Mya?“ Etwas an Farens Gesichtsausdruck schien sich ein wenig zu verändern, fast kam es Luan so vor, als fiele der letzte Rest von Misstrauen von ihm ab. „Richtig. Die beiden werden dieses Jahr schon zwei. Wegen den beiden kam es wohl auch dazu, dass Kieran jetzt hier lebt.“ Es durchfuhr Luan eiskalt. Hatte er etwa auch das Leben der beiden riskiert? In dem Fall hatte er zumindest auf die Schwangerschaft keinerlei Einfluss gehabt, Cathan und Granya waren ja bereits verheiratet gewesen und sie war auch schon schwanger geworden, bevor er Kieran damals kennen gelernt hatte. Aber was könnte geschehen sein, dass die Familie beschloss, eines ihrer Mitglieder einfach abzuschieben? Er müsste wohl wirklich Cathan danach fragen – falls dieser ihm darauf zu antworten gewillt war. „Willst du sonst noch was über Kieran wissen?“, hakte Faren nach. Auch wenn das Angebot großzügig war, fiel Luan sonst keine weitere Frage ein, die Kieran betraf, weswegen er sich einem anderen Thema widmete, auf das Faren ihm hoffentlich auch antworten konnte: „Hast du eigentlich noch Kontakt zu Ferris?“ Farens Gesicht verfinsterte sich ein wenig, aber sein Lächeln blieb dennoch erhalten. „Zu meinem Bro? Ja, schon. Also hin und wieder mal. Seit er bei diesem Therapeuten lebt, hat er nicht mehr so viel Zeit für anderes.“ „Er lebt wirklich bei Vincent?“ Luan konnte seine Begeisterung darüber kaum zügeln. „Nicht mehr bei seinem Bruder?“ Zumindest bei einer Person hätte er also vielleicht nicht den größten Mist gebaut, den er erst einmal wieder ausbügeln müsste. „Soweit Ferris es mir erzählte, ist dieser Therapeut einfach irgendwann aufgetaucht und hat ihn mit seiner Stimme dazu gezwungen, mit sich zu kommen.“ Gut, er hatte nicht bedacht, dass ein Vincent, der nicht viel Zeit mit Ferris und Faren verbracht hatte, weniger subtil vorging als etwa eine Cerise. Aber solange es im Endeffekt gut für Ferris ausgegangen war … „Wie geht es ihm denn?“ „Ziemlich gut. Er mag diesen Therapeuten sehr – auch wenn ich das meistens nicht so wirklich verstehe.“ Faren zuckte mit den Schultern. „Aber solang es ihm gefällt, soll es mir recht sein. Und immerhin lebt er bei dem Kerl besser als bei seinem Bruder.“ Dem konnte Luan nur zustimmen – abgesehen davon, dass er durchaus verstand, weswegen man Vincent mögen könnte. Aber vermutlich hatte Faren in dieser Welt nicht viel Zeit mit ihm verbracht. Er fragte sich, ob er auch in Erfahrung bringen sollte, was aus Ferris' Bruder geworden war, aber er glaubte nicht, dass Faren das wusste. Solange er Ferris in Ruhe ließ, war es im Endeffekt auch egal, sagte Luan sich schließlich. „Du verbringst wirklich sehr viel Zeit mit Kieran, oder?“ Farens Gesichtsausdruck (warum bemerkte er das erst jetzt?) wurde angenehm weich, als erinnerte er sich gerade daran, wie sehr er denjenigen liebte, über den er gerade nachdachte. „Wir sind Partner, wie gesagt. Und weil wir uns noch von früher kennen und er mir sehr viel bedeutet, will ich ihm natürlich beistehen.“ Und so wie Luan seinen früheren Freund kannte, war Faren auch der einzige, bei dem er es zuließ. „Hör zu“, sagte er mit selbst für sich ungewohnter Ernsthaftigkeit zu Faren, „ich möchte, dass du dich gut um Kieran kümmerst. Und zwar wirklich gut. Er verdient das, besonders nach dem, was ich ihm angetan habe.“ Sein Gegenüber erwiderte seinen Blick mit derselben Ernsthaftigkeit, dann nickte er, nachdem er sich diese Worte wohl genau hatte durch den Kopf gehen lassen. „Ich werde alles tun, was ich kann, um Kieran glücklich zu machen.“ „Danke, Faren.“ Das war alles, was er hatte hören wollen. Wenn Faren sich um Kieran kümmerte, ging es ihm mit Sicherheit gut. Zumindest bei Ferris hatte es gut funktioniert. Nach dieser Bestätigung verabschiedete Luan sich bereits wieder von Faren und ging davon, um zu sehen, ob er noch mehr Leute traf, die er kannte. Vielleicht wäre sogar Cathan gerade hier, dann könnte er ihn nach den Gründen für Kierans Auszug fragen. Sein Magen, der ihm sagte, dass es langsam Zeit für das Mittagessen wurde, lenkte seine Schritte in Richtung des Speisesaals. Erfahrungsgemäß dürften sich dort ohnehin die meisten Personen befinden, wenn es auf die Essenszeit zuging. Auf dem Weg dorthin traf er eine Menge anderer Dämonenjäger, die ihn knapp grüßten oder ihm auch nur zunickten. Keiner fragte ihn, was er hier machte, möglicherweise wussten sie von dem zeitreisenden Gast oder sie legten keinen großen Wert auf vermeintliche Neulinge. Aber er tendierte zum ersten Grund, da es nicht sonderlich oft vollkommen unbekannte Dämonenjäger gab. Kieran hatte ihm erzählt, dass es nur bestimmte Familien gab, die Jäger hervorbrachten, und diese kannten sich untereinander, weswegen dann auch die Kinder einander kannten. Sehr selten kam es vor, dass ein Dämon in einen gänzlich anderen Menschen geboren wurde – oder dass man von dieser Person bis zum Erwachen noch nichts gehört hatte, wie eben Konia. Auch traf Luan auf Daragh, der gerade gemeinsam mit Russel und Zashi, in eine Unterhaltung vertieft, in Richtung der Unterkünfte unterwegs war. Er versuchte, zu lauschen, entnahm aber nur, dass in letzter Zeit wohl seltener bestimmte Dämonen zu sehen waren. Für einen kurzen Moment wollte Luan die drei anhalten, um Zashi nach einem Ausblick in die Zukunft zu fragen, gleichzeitig wollte er aber auch von Russel wissen, wo denn seine Partnerin – Seline – abgeblieben sei. Aber während er noch versuchte, sich deswegen zu überwinden, waren die drei bereits nicht mehr zu sehen und er wollte ihnen nicht einfach hinterherlaufen. Also setzte er seinen Weg zum Speisesaal fort, schrieb diese Punkte aber auf seine imaginäre Liste, um sie irgendwann einmal doch noch zur Sprache zu bringen. In der Nähe seines Ziels stellte er fest, dass dort weniger Leute waren, als er gedacht hätte, weswegen er ganz deutlich hören konnte, dass sich zwei Personen miteinander unterhielten – und es waren zwei Stimmen, die er ganz deutlich erkennen konnte. Im Speisesaal fand er tatsächlich Cathan und seinen Bruder Lowe an einem der vielen Tische vor. Obwohl die beiden Zwillinge waren, sahen sie sich nicht wirklich ähnlich. Lowe hatte braunes Haar und blaue Augen, seine Statur entsprach mehr der eines Athleten als einem Kämpfer – und er war ein wenig kleiner als Cathan. Aber dennoch verstand er sich äußerst gut mit seinem Bruder, wie sich wieder einmal zeigte, da er gerade dabei war, herzlich zu lachen. „Das hätte ich nicht gedacht“, sagte er dann noch. „Dein Unterricht ist wohl ziemlich lange her.“ „Das war jedenfalls das letzte Mal, dass ich einen mir unbekannten Dämon einfach angreife“, sagte Cathan. „Nächstes Mal werde ich einfach ...“ Er verstummte, als er wohl bemerkte, dass Lowe direkt an ihm vorbeisah, und sah sich ebenfalls um. Sein Blick fiel auf Luan, der ihn wie versteinert einfach nur ansehen konnte, ein innerliches Stoßgebet an den Weltenwächter schickend – und tatsächlich lächelte Cathan und winkte ihn zu sich herüber. Alles in Luan vergaß für einen Moment die Probleme, in denen er sich befand, viel zu schön war dafür das Gefühl, nicht von Cathan abgelehnt zu werden. Er setzte sich zu den Brüdern an den Tisch und bemerkte dabei, wie intensiv Lowe ihn gerade musterte, als kenne er ihn wirklich, obwohl das nicht sein konnte. „Das ist Luan“, stellte Cathan ihn vor. „Oh~“, entfuhr es Lowe. „Der Luan?“ „Hat man wirklich schon so viel hier von mir gehört?“ Wie machten Gerüchte nur so schnell die Runde in Abteracht? Warum war ihm das nie aufgefallen? „Hat man, kleiner Zeitreisender“, bestätigte Lowe ihm lächelnd. „Aber darum geht es mir gerade eigentlich gar nicht.“ Luan sah ihn fragend an, aber da er nicht weitersprach, war es Cathan, der die Antwort übernahm: „Ich habe hier was, das du dir mal ansehen solltest, Luan.“ Er griff in seine Tasche und zog ein zusammengefaltetes Blatt hervor, das er Luan gab. Dieser nahm es nur ungern an sich, da er eine schlechte Nachricht fürchtete, aber die Brüder lächelten immer noch, also konnte es nicht so schlimm sein – hoffte er. Das Blatt entpuppte sich als Bild, offensichtlich gemalt von ungeübter Kinderhand, mit Wachsmalstiften, aber es zeigte eindeutig ihn. Er konnte es kaum erklären, denn es hätte genausogut jeder andere braunhaarige junge Mann sein können, aber er war sofort davon überzeugt, dass er dargestellt werden sollte. „Was ist das?“ „Ein Bild“, antwortete Cathan schmunzelnd, ehe ihm wohl bewusst wurde, dass nur er darüber lachen konnte. „Eine meiner Töchter hat das vor ein paar Tagen gemalt. Als ich gestern dann von dir erzählt habe, hat sie es wieder rausgeholt, mir in die Hand gedrückt und dabei dauernd deinen Namen wiederholt.“ Luan sah verblüfft wieder auf das Bild hinab. Bedeutete das etwa, Amy und Mya erinnerten sich an ihn? Aber wie sollte das funktionieren? In dieser Zeit war er ihnen doch niemals begegnet. „Früher haben Granya und ich angenommen, dass es sich bei Luan um einen imaginären Freund handelt oder dass es der Name ihres Dämons sei. Aber jetzt sind wir ratlos.“ Das war er selbst auch. Er fand keine Erklärung dafür – aber er war eben auch kein sonderlich schlauer Mensch (oder eben Albtraum). Das war eher ein Fall für Jii, den vielleicht jemand einmal anrufen sollte. Sicher wäre es besser, wenn er endlich verriet, was er eigentlich war. Er schob das Bild wieder in Cathans Richtung. „Ich fürchte, ich kann dir da nicht helfen. Ich weiß nicht, warum sie mich in dieser Zeit kennen.“ Cathan wirkte enttäuscht darüber, aber er nickte. „Ich hatte gehofft, du könntest mehr darüber wissen, warum die Mädchen dich kennen. Aber das war vermutlich zu viel verlangt.“ „Ich denke, es bringt vielleicht etwas, wenn ihr Luan mal zu euch einladet“, schlug Lowe vor. „Vielleicht sind die Mädels dann bereit, ein wenig mehr zu sprechen.“ Cathans Augen glitzerten ein wenig. „Oh, das ist eine gute Idee. Hast du Lust darauf, Luan?“ Diese Vorstellung war fast zu schön, um wahr zu sein. Er könnte wieder bei den Lanes am Tisch sitzen, mit ihnen essen möglicherweise – aber ohne Kieran. Es wäre dann nicht dasselbe, aber immer noch wundervoll, wie er glaubte und hoffte. Aber … „Parthalan hat gesagt, ich darf Abteracht nicht verlassen.“ Gut, er sagte, er dürfe es nicht allein verlassen, aber erlaubte er, dass Cathan ihn begleitete? Nur um dann mit dessen Familie zu essen? „Darum kümmere ich mich“, versicherte Cathan ihm. „Ich rede mit Parthalan und frage ihn.“ Da konnte Luan nicht mehr ablehnen, also stimmte er dem zu. Außerdem sehnte er sich wirklich danach, zumindest einmal das Haus der Lanes wiederzusehen. Auch ohne Kieran. Noch dazu könnte er so gleich herausfinden, wie es Ciar ging. Und das führte ihn wieder zu einem anderen Thema: „P- … Cathan, warum lebt Kieran eigentlich nicht mehr bei euch?“ Der Blick des Mannes verdüsterte sich ein wenig, aber es war kein Ärger, sondern vielmehr etwas, das Luan spontan als Verbitterung eingestuft hätte. „Das ist eine komplizierte Geschichte. Weißt du, vor zwei Jahren tauchte die Dämonin meiner Mutter wieder auf – und ist seitdem damit beschäftigt, Kieran zu verfolgen.“ „In meiner Zeit wollte sie ihn auch dazu bringen, mit ihr nach Niflheim zu kommen.“ „Ich schätze, darum geht es ihr auch diesmal“, ging Cathan darauf ein. „Aber jedenfalls verfolgt sie ihn seitdem überallhin.“ Luan konnte sich zwar nicht daran erinnern, dass er sie bislang gesehen hatte, aber er wusste selbst, wie unaufmerksam er war. Möglicherweise war Aludra also wirklich immer in Kierans Nähe gewesen, ohne dass es Luan aufgefallen war. „Das ging so weit, dass sie nachts ins Zimmer der Mädchen gegangen ist, um sich dort zu verstecken, aber … na ja, es kam durch die noch ungebildeten Kräfte der Mädchen zu einer Wechselwirkung mit denen Aludras und ...“ Cathan zuckte mit den Schultern, aber Luan konnte sich auch ohne jedes weitere Wort vorstellen, was geschehen sein mochte. „Gleichzeitig wurden die Auseinandersetzungen zwischen Kieran und Ciar immer größer, was auch nicht selten dazu führte, dass die Mädchen, wenn sie nervös wurden, ihre Fähigkeiten einsetzten.“ Das klang auch alles andere als positiv. Luan hätte nicht gedacht, dass seine Einmischung derart viel Negatives mit sich zog. „Granya und ich wollten Kieran nicht verstoßen“, fuhr Cathan fort. „Wir haben ihm nur vorgeschlagen, dass er für eine Weile lieber nach Abteracht ziehen sollte. Er hat es leider vollkommen falsch aufgefasst und sieht sich seitdem als verstoßen an.“ Unter diesen Voraussetzungen konnte Luan beide Seiten gut verstehen. Cathan und Granya hatten ihre Familie schützen wollen, Kieran dagegen musste sich natürlich zurückgewiesen fühlen. Hätte Luan vorher auch nur im Entferntesten geahnt, dass es so ausginge, wäre er niemals in der Zeit zurückgereist. „Warum konntest du nicht Ciar bitten, woanders hinzuziehen?“, fragte Luan. „Das haben wir. Aber er konnte nirgends hin, deswegen und wegen Aludra, blieb leider nur Kieran. Wir wollten weiterhin Kontakt mit ihm halten, aber er hat das vollkommen abgelehnt.“ An dem Schmerz, der sich in Cathans Gesicht zeigte, wusste Luan, dass er das auch nicht sonderlich gut fand. Nun war es aber nicht mehr rückgängig zu machen und sie müssten von dieser Position aus irgendwie weitermachen. „Das wird schon wieder“, sagte Luan mit mehr Zuversicht als er eigentlich besaß. „Du darfst nur nicht aufgeben. Wir bekommen das hin.“ „Das ist genau das, was ich immer sage“, stimmte Lowe zu. „Irgendwann wird Kieran verstehen, welche Gründe es dafür gegeben hat, und dann ist er bestimmt nicht mehr wütend.“ Er hoffte, das gelte auch für seine eigene Position. Immerhin wollte er nur das Beste, für jeden, das mussten sie erkennen und dann wurde alles wieder gut. Diese Hoffnung könnte ihm helfen, am Leben zu bleiben – und zwar so lange wie es nötig war. Kapitel 6: Ich danke dir. ------------------------- Der Kern von Abteracht sah auf den ersten Blick nicht nach einem solchen aus. Dies lag daran, dass er im Inneren eines Baumstammes war, eines Kirschbaumes, um genau zu sein. Der Raum sah mehr nach dem Inneren einer Höhle aus, in der ein grünliches Licht vorherrschte, obwohl es keine offensichtliche Quelle dafür gab. Rosa Kirschblüten fielen zu Boden, ohne dass der Baum an sich etwas von seinem Glanz verlor. Die Wurzeln waren verankert in einem kleinen Gewässer, auf dem Boden, das ebenfalls keinen Ursprung besaß und nicht wie Wasser funktionierte: fiel ein Blütenblatt darauf, entstanden kleine Wellen, aber berührte man es selbst, war es als berühre man Glas, sah man hinein, spiegelte man sich selbst. Welche Magie auch dahinterstecken mochte, Kieran war davon immer wieder fasziniert. Im Inneren des Baumstamms, halb verdeckt durch die Rinde, war der normalerweise farblose Kristall zu sehen, der den eigentlichen Kern Abterachts ausmachte. Seit zwei Jahren war das Innere allerdings von einem rosa Nebel eingenommen, manchmal konnte man Cerises Silhouette darin erkennen, wie sie friedlich schlief, womöglich unwissend, was hier gerade vor sich ging. Sie wurde nicht davon absorbiert, so wie es bei anderen Dämonen der Fall wäre, aber keiner von ihnen kannte den Grund dafür. Man akzeptierte diese Tatsache einfach und war froh darüber, dass Cerise an einem sicheren Ort genesen konnte. Der Kern wurde verehrt wie eine Gottheit, fast noch mehr als der Weltenwächter, einfach nur deswegen, weil es keinen Zweifel an der Existenz dieses Kristalls gab. Man konnte ihn sehen und sogar anfassen, wenn man mutig genug dafür war. Deswegen respektierte auch jeder Jäger, dass nur solche mit einem bestimmten Rang jederzeit Zugang zu diesem Kern besaßen. Kieran allerdings war da anders. Er hasste dieses Ding aus vollem Herzen, denn als er in seiner Verzweiflung von diesem hatte absorbiert werden wollen, wie sie es mit Dämonen manchmal taten, wenn sie nicht vernichtet werden konnten, war er von ihm zurückgewiesen worden. In der gesamten Geschichte Abterachts war das noch nie vorgekommen, weswegen es alle mit Erstaunen – und ihn mit Resignation – zurückgelassen hatte. Wenn nicht einmal der Kern Abterachts, der Lebensspender aller Dämonen in dieser Welt, der ihnen ihr Überleben in einer vollkommen anderen Atmosphäre als Niflheim überhaupt erst ermöglichte, ihn wollte, warum sollte überhaupt irgendjemand ihn dann wollen? Luans Worte hatten ihn dann nur noch darin bestätigt, dass seine gesamte Existenz ein einziger Fehler war – genau wie Ciar immer gesagt hatte. Aber er lebte immer noch. Nicht zuletzt weil Faren oder Aludra immer in seiner Nähe waren. Selbst hier drin. Er warf einen kurzen Blick hinter sich. Neben der Tür, in respektvoller Entfernung, stand eine Frau in einem hellblauen Kleid und einem dunkelblauen schweren Umhang, der ihre zierliche Figur nur noch kindlicher erscheinen ließ. Durch ihre größtenteils dunkle Kleidung und ihre schulterlangen schwarzen Haare verschmolz sie fast mit der Dunkelheit, die sich neben der Tür erstreckte und nicht von dem grünen Licht erreicht wurde. Lediglich ihr großer blauer Hut, an dem eine mindestens ebenso große Seerosen-Blüte angebracht war, die von einem eigentümlichen Glühen begleitet wurde, erhellte die Umgebung ein wenig. Es half nicht viel gegen die Dunkelheit, aber es ermöglichte ihm, ihre goldenen Augen zu erkennen. Sie und Faren waren immer in seiner Nähe und verhinderten, dass er im Kampf starb, egal wie passiv er war oder wie stark der Feind, aber vor allem ließen sie nicht zu, dass er sich selbst etwas antat. In seinen lichten Momenten fand er das gut, denn er wusste, dass er nicht sterben wollte, aber manchmal konnte er nicht anders als daran zu denken und es sich zu wünschen, und in diesen Augenblicken fand er es unfair, dass sie ihm diese Entscheidung nicht selbst überließen. „Warum weist du mich auch zurück?“, fragte er, wieder einmal, ohne eine Antwort zu bekommen, der Kristall blieb stumm, auch Cerise erwachte nicht. Mit einem leisen, fast lautlosen Seufzen, erhob er sich von seinem Platz. Wann immer er aufgewühlt war, ohne jede Hoffnung weiterleben zu können, kam er hierher, setzte sich vor den Baum und starrte den Kristall an. Warum, wusste er selbst nicht genau, aber er hatte das Gefühl, es half ihm, wenn er seine Wut und seinen Frust auf diesen Kristall konzentrierte und dabei von sich selbst ablenkte. Es hielt ihn am Leben – und das war sicher auch das, was Faren sich wünschte. Bei dem Gedanken an ihn musste er wieder an Luans angefangenen Satz denken. „Faren hat-“ Was war mit Faren? Vielleicht sollte er Luan noch einmal danach fragen, wenn er nicht mehr derart emotional aufgewühlt war. Nach einem letzten Blick auf den Kern, bewegte er sich auf die Tür zu, um den Raum zu verlassen. Aludra verschwand in die Dunkelheit, wie so üblich. Sie ließ nicht zu, dass man sich ihr näherte, wie ein scheues Tier ließ sie Nähe nur zu, wenn sie diese selbst suchte. Aber sie beobachtete ihn weiter aus den Schatten heraus, dessen war er sich sicher. Kaum war er aus der Tür getreten, entdeckte er auch schon Faren, der ihn sofort wieder lächelnd ansah. Kieran fühlte sich an den Tag zuvor zurückerinnert, da hatte der andere immerhin auch auf ihn gewartet, vor Parthalans Büro. Vielleicht musste er aber auch nur an Hunde denken, die warteten auch derart treu ergeben auf jene, die sie lieben. „Alles klar, Kieran?“, fragte er bemüht gelassen. „Nicht wirklich“, erwiderte er. Es war sinnlos, ihn anzulügen, also sagte er ihm eben die Wahrheit, damit sie sich den Tanz darum ersparen könnten. Für diesen Tag hatte er jedenfalls genug davon. Faren hob die Hand, zögerte einen Augenblick und legte sie dann auf Kierans Schulter ab, die er vorsichtig drückte. „Du kannst auf mich zählen, egal was passiert. Das weißt du doch, oder?“ Kieran sah ihn schweigend an. Vielleicht war es das, wovon Luan gesprochen hatte. Faren hatte ihn niemals abgewiesen, ihm nie den Rücken zugewandt – aber vielleicht lag das auch nur daran, dass er eine Herausforderung in Kieran sah. Wenn er dem einfach nachgäbe, wäre er doch gelangweilt von ihm, oder? „Was bin ich für dich eigentlich?“, fragte er unwillkürlich. Faren neigte den Kopf. „Warum fragst du das? Ich dachte, du wüsstest es.“ Es war unmöglich, es nicht zu wissen. Selbst Kieran, der eigentlich sehr unbedarft war, bei allem, was Liebe oder andere Gefühle betraf, hatte es gemerkt. Spätestens nachdem Faren ihm nach Abteracht gefolgt war, nach dem Tod seines Vaters Timothy. „Ich weiß es. Aber ich möchte es dennoch gern hören.“ Kieran senkte den Kopf, spürte aber weiterhin Farens Blick auf sich. „Nur einmal, bitte.“ Zuerst antwortete ihm nur Stille, er fürchtete bereits, Faren wolle nicht antworten – doch dann holte der andere tief Luft. „Ich liebe dich, Kieran.“ Es war kein Hauch von Sarkasmus in seiner Stimme wahrzunehmen, wie Kieran zufrieden feststellte. „Ich weiß, dass das total unsinnig erscheinen muss, wenn man meinen alten Ruf und unsere frühere Distanz bedenkt, aber alles an dir fasziniert mich.“ Kieran spürte, wie Faren ihm mit der Hand das linke Auge freilegte, er hob den Kopf wieder, um ihn anzusehen. In dem braunen Auge seines Gegenübers glitzerte etwas, das Kieran auch in Luans Augen zu sehen geglaubt hatte. „Deswegen bist du für mich mehr als nur ein Freund“, fuhr Faren mit fester Stimme fort. „Du bist der einzige, an dessen Seite ich immer sein möchte.“ Worte, die wie Balsam auf seiner Seele ruhten und ihn sanft zu umgarnen versuchten. „Du würdest mich nie verlassen, oder?“ Er hakte nicht nach, woher diese Frage rührte, sondern schüttelte direkt mit dem Kopf. „Niemals. Ich werde immer bei dir bleiben. Selbst wenn du dich entscheidest, die Welt zu zerstören – dann betrachte mich einfach als deinen dir treu ergebenen Sidekick.“ Zwinkernd gab er ihm zu verstehen, dass er das aber auch gar nicht annahm, was Kieran zufrieden stimmte. Aber vielmehr beschäftigten ihn gerade andere Dinge, die er gesagt hatte. Faren wollte ihn niemals allein lassen, selbst wenn er eine solch folgenschwere Entscheidung träfe. Natürlich, er ging nicht davon aus, dass er das jemals täte, aber Kieran war überzeugt, dass er es wirklich ernst meinte. Faren war vollkommen aufrichtig in seiner Liebe zu ihm. Statt darauf zu antworten, trat er nur einen Schritt vor und schlang die Arme um Faren. Er legte den Kopf auf seiner Brust ab, lauschte dem überraschend schnell schlagenden Herz – und atmete erleichtert auf, als Faren die Umarmung erwiderte. „Ich danke dir“, murmelte er kaum hörbar. „Ich danke dir so sehr, Faren.“ Was wäre er denn schon ohne ihn? Ohne jenen, der immer zu ihm gehalten hatte, selbst wenn er dafür von Kieran angefaucht oder schlichtweg ignoriert worden war? Auf jeden Fall wesentlich zerstörter als ohnehin schon, vielleicht sogar bereits vollkommen der Verzweiflung verfallen. Deswegen musste er diese Worte zumindest einmal aussprechen, wenn er schon gerade einen schwachen Moment hatte, der es ihm ermöglichte, so zu sprechen. Ohne dass er sich Gedanken darum machte, dass jemand ihm im Nachhinein einen Strick daraus drehte. Ohne dass er sich fürchten musste, doch noch abgelehnt zu werden. Es war als läge ein Zauber auf ihm, der ihm das gerade alles erlaubte. So sehr ihn das normalerweise stören würde, im Moment war es ihm durchaus willkommen. „Es ist gut“, sagte Faren, während er ihm über den Rücken strich. „Du musst dich nicht bedanken. Ich kann sehen, dass du mir dankbar bist und das genügt mir vollkommen.“ Womit hatte er jemanden wie ihn nur verdient? Er war fast zu verständnisvoll, um wirklich existieren zu können – und doch war es so, auch wenn er nicht immer so wirkte. Wie sollte Kieran sich jemals dafür bei ihm bedanken? Wirklich bedanken? „Du solltest langsam etwas essen.“ Farens Stimme brach den Zauber wieder. „Und dann ins Bett. Du musst dich ausruhen.“ Vorsichtig löste Kieran sich wieder von ihm und trat einen Schritt zurück. Erst als er sich selbst über die nassen Augen fuhr, bemerkte er, dass er wohl geweint haben musste. Aber Faren kommentierte es glücklicherweise nicht weiter, sondern fuhr ihm nur noch einmal durch das Haar. „Also? Wollen wir los? Wenn du willst, bestelle ich uns eine Pizza, das wäre doch auch mal was, oder?“ „Ich habe es nicht so sehr mit Pizza.“ „Lasagne?“ Bislang hatte Kieran nicht viel darüber nachgedacht, aber plötzlich kam ihm eine Lasagne wirklich wie ein überaus köstliches Gericht vor, das er unbedingt mal wieder essen müsste. Am besten zusammen mit Faren. „Das klingt wirklich gut.“ Kieran lächelte dem anderen zu, was diesem ebenfalls eines seiner seltenen ehrlichen Lächeln entlockte. Dann legte Faren seinen Arm um Kierans Schultern und zog ihn mit sich. „Fein, dann gehen wir mal in unser Zimmer. Ich hab auch ein paar schöne neue Filme, die wir uns ansehen könnten. Keine Sorge, keine Horrorfilme, ich weiß ja, dass du die nicht magst.“ Er zwinkerte ihm zu, während sie gemeinsam in Richtung ihres Zimmers davonging. Kieran störte sich nicht im Mindesten daran. Nur für heute, nur diesmal, wollte er sich auch nicht daran stören, sondern die gemeinsame Zeit mit Faren genießen, um ihm zumindest ein wenig das zurückzugeben, was er ihm tagtäglich schenkte: Ruhe und die Kraft, das alles durchzustehen, so gut er nur konnte. Ohne Faren wäre er nicht hier – und allein dafür liebte er ihn. Kapitel 7: Du erinnerst dich an mich? ------------------------------------- Nach einer unruhigen Nacht, frühstückte Luan am nächsten Morgen im Speisesaal. Es war noch früh, weswegen nicht viele Jäger da waren. Jene, die allerdings bereits anwesend waren, saßen in kleinen Gruppen zusammen und unterhielten sich leise. Egal wie sehr Luan die Ohren spitzte, es gelang ihm nicht, mitzubekommen, worüber gesprochen wurde. Aber da sie auch nicht in seine Richtung sahen, glaubte er zumindest nicht, dass es um ihn ging. Also sollte das Thema ihn auch nicht weiter interessieren. Also fragte er sich lieber, wie es weitergehen sollte. Kieran schien vollkommen enttäuscht zu sein, er war hier in Abteracht eingesperrt – und er hatte keine Ahnung, wie er das mit den anderen Paaren regeln sollte. Konia hatte er seit dem Gespräch mit Parthalan nicht mehr gesehen, Vane noch überhaupt nicht. Was sollte er also bei den beiden tun? Oder bei Vincent und Joy? Der Gedanke, dass er sich zu viel vorgenommen hatte und er daran nur zerbräche, ließ ihn schwer an seinem Brot schlucken, weswegen er mit viel Milch nachspülen musste. Kian schlief noch immer tief und fest, sonst hätte er sich mit Sicherheit über diese Aussicht gefreut. Gedankenverloren kehrte er danach auf die Krankenstation zurück, auf dem Weg traf er niemanden, den er kannte, sondern nur müde Jäger, die gerade von ihrem Dienst zurückgekommen waren und sich bereit machten, nach Hause zu gehen oder in ihre Quartiere zurückzukehren. Keiner von ihnen beachtete ihn mit mehr als nur einem müden Nicken in seine Richtung. Als Luan schließlich die Krankenstation betrat, hielt er überrascht inne. Konia saß an ihrem Schreibtisch, aber nicht allein, ihr gegenüber saß ein streng aussehender Mann, der immer wieder seine Brille zurechtrückte, obwohl sie nicht verrutschte. Die goldenen Augen dahinter schienen stets alles aufmerksam zu mustern und zu wissen, was sein Gegenüber plante. Aber am Auffälligsten empfand Luan immer noch das kurze, weiße Haar, das stets ungekämmt schien. „Guten Morgen, Luan“, grüßte der Mann ihn. Seine Augen weiteten sich erstaunt. „Dr. Jii … du erinnerst dich an mich?“ Oder hatte Konia ihm schon alles erzählt? Aber er konnte sich nicht vorstellen, dass der Mann ihn dann so direkt anspräche. Jii neigte den Kopf ein wenig, worauf hinter ihm eine schemenhafte Gestalt erschien. Sie war transparent, kaum zu sehen, deswegen konnte Luan die genaue Form auch nicht ausmachen. Wann immer er sich zu konzentrieren versuchte, um sie besser zu erkennen, verschwammen die Konturen wieder, bis er damit aufhörte. Jii deutete hinter sich, die Gestalt verschwand wieder. „Mein Dämon basiert auf Zeitmanipulation. Er hat sämtliche meiner Erinnerungen über die verschiedenen Zeitachsen hinweg in mein Gedächtnis dieser Welt transferiert. Ich wusste bereits in dem Moment, in dem ich in meinem Büro in Abteracht wach wurde, was geschehen war.“ Luan erinnerte sich. Jii war einst der Arzt in Abteracht gewesen, als Sohn eines Dämonenjägers dessen innerer Dämon, der das Jagen ermöglichte, immerfort geschlafen hatte. Daher war es Jii unmöglich gewesen, auf die Kräfte zuzugreifen, aber das musste sich geändert haben, als er der Direktor von Athamos geworden war. Doch wenn er sich an alles erinnert hatte … „Warum hast du dann keinen Versuch unternommen, mich zu kontaktieren?“, fragte Luan. Konia warf einen vielsagenden Blick zu Jii, sie hatte das wohl ebenfalls bereits gefragt und wartete immer noch auf eine Antwort. „Ich dachte mir, du wirst durchaus deinen Grund haben, möglichst anonym bleiben zu wollen“, erklärte Jii. „Und da auch Cerise und Joy kein Interesse an deiner Identität besaßen, hielt ich es für besser, dieses Spiel einfach mitzuspielen.“ Womöglich um seinen alten Wunschposten als Direktor von Athamos zu erhalten und endlich hauptsächlich nur noch an Uhren operieren zu dürfen. Aber hätte Luan geahnt, dass Jii sich an alles erinnerte, wäre es ihm möglich gewesen, mit ihm direkt Kontakt aufzunehmen. Vielleicht hätte Jii ihm dann auch sagen können, was nach seinem Verschwinden aus der anderen Zeitachse geworden war. Aber zumindest im Moment traute er sich auch nicht, das zu fragen. Also hörte er lieber auf sein schlechtes Gewissen. „War es schwer, als einziger all diese Erinnerungen zu besitzen?“, fragte Luan. Jii hob die Schultern, antwortete sonst aber nicht. Es interessierte ihn wohl nicht, also hatte es ihn glücklicherweise nicht gestört. „Und was machst du jetzt hier?“, fragte Luan deswegen weiter. „Du bist doch der Weltenbrecher“, erklärte Jii und ignorierte dabei Luans Zusammenzucken. „Ich möchte, als Direktor von Athamos, dass du dich von Vane untersuchen lässt. Er hat dich in dieser Zeit noch nicht gesehen, aber das dürfte ihn sicher interessieren.“ Vane war eine Geißel, die stärkste Gattung aller Albträume, die von den Traumbrechern bekämpft wurden. Unter der Leitung von Atanas war damals jedem neuem Schüler von Athamos eine solche Geißel eingepflanzt worden. Ihr Ziel war es, den Geist des menschlichen Wirts zu brechen und dann dessen Körper zu übernehmen. Jedenfalls war dies das Ziel der meisten. Es gab auch gute Geißeln, wie eben Vane. Wie er an den Körper seines Wirts gekommen war, wusste Luan nicht, aber er erinnerte sich noch gut daran, wie nett Vane zu ihm und Kieran gewesen war – wenn auch ein wenig verschroben manchmal –, wie sehr er darum bemüht gewesen war, immer jedem zu helfen und auch wie sehr er Konia und seine Kinder geliebt hatte. „Es stört mich nicht“, versicherte Luan. Konia nickte und griff in eine Schublade ihres Schreibtischs. Dort zog sie ein kleines Kästchen aus Metall heraus. Sie stellte es auf die Tischplatte und öffnete es. „Kannst du dein Herz bitte dort hineinlegen? Du hast es doch bei dir, nicht wahr?“ Luan sah sie verblüfft an. Woher wusste sie davon? Aber ihr kurzer Seitenblick zu Jii hinüber, war ihm schon Antwort genug. Also trat er zu seinem Bett hinüber. Mit einem kurzen, zielsicheren Griff unter das Kissen, brachte er das Herz bereits wieder an sich, nur um es kurz danach in die kleine Kiste zu legen, die von Konia sofort wieder geschlossen wurde. „Damals habt ihr ihn auch so aufbewahrt“, bemerkte Luan. Allerdings hatte auch ein Krieg um diesen Stein und Luan selbst geherrscht. Atanas war es um die Weltzerstörung gegangen, dafür hatte er den Weltenbrecher erst wirklich erwecken müssen. Abteracht hatte glücklicherweise um ihn gekämpft und Luan stets beschützt, so war ihm das Überleben gelungen – und nach Vincents Eingreifen mit Gesprächen und Keksen bei Kian, war die ganze Welt gerettet worden. Konia winkte Ias heran und drückte ihr das Kästchen in die Hände. „Bitte bring das ins Labor. Cael weiß, was er damit tun muss.“ Ihre Assistentin stimmte lächelnd zu, ehe sie die Krankenstation verließ, um dieser Bitte nachzugehen. Luan sah ihr noch eine ganze Weile hinterher, mit der Hoffnung, dass seinem Herzen hier wirklich nichts geschah. Letztes Mal waren sie sehr sorgsam damit umgegangen – aber er kannte diesen Cael ja nicht, deswegen war er sich bei diesem unsicher. Auf normale Menschen hatte das Herz des Weltenbrechers keinen Einfluss, aber Albträume – und damit auch Geißeln – spürten den Ruf der Zerstörung, der sie zu eben dieser zu drängen versuchte. Auch Vane hatte oft Probleme damit verspürt, dagegen anzukämpfen. Deswegen musste es wieder isoliert werden. „Wann kann er denn kommen?“, fragte Luan. Jii erhob sich bereits von seinem Stuhl und griff nach seinem Handy. „Ich muss ihn nur anrufen.“ Damit entfernte er sich bereits einige Schritte, um ungestört zu telefonieren. Luan ließ ihm diese Privatsphäre und konzentrierte sich wieder auf Konia, überlegte, worüber er mit ihr sprechen könnte – als er plötzlich leise Schritte hörte. Im nächsten Moment tauchte zwischen den Betten ein kleines Mädchen auf. Ihr rosa Haar stand in einem schönen Kontrast zu den goldenen Augen – und Luan wusste sofort, wer sie war, konnte es aber kaum glauben oder auch nur begreifen. „Tante Koni“, sagte das Mädchen und legte Konia ein Blatt Papier vor. „Das ist für dich.“ Luan wunderte sich, dass sie Koni sagte, aber Konia störte sich nicht daran, als sie das Blatt entgegennahm und es mit dem Hauch eines Lächelns auf den Lippen betrachtete. Von seiner Position aus konnte Luan nur erkennen, dass es ein Bild sein musste, kaum zu deuten, da es von einem ganz jungen Kind stammte. Wie alt war Zareen in dieser Welt? Konia hob den Blick, als Luan diese Frage laut stellte. Das Mädchen selbst sah ihn nur flüchtig an, ehe es schüchtern wieder den Blick abwandte. „Du kennst Zareen also“, stellte Konia fest. „Sie ist etwas älter als zwei Jahre. Das kam für uns alle überraschend, aber mit der Erklärung von vorhin … erscheint es mir plausibler.“ Für Luan auch. Wenn Jii sich damals an alles erinnert hatte, musste er Sehnsucht nach seiner Familie verspürt haben – und dann hatte er nicht mehr gewartet, um Zareen zu bekommen. Wie auch immer das genau funktioniert. Das Mysterium, woher Kinder eigentlich kamen, war für Luan nach wie vor ungelöst. Kieran hatte sich stets dagegen ausgesprochen, dass irgendjemand es ihm erklärte, aus Rücksicht auf sein Alter, wie Vincent ihm einmal erklärt hatte. Vielleicht sollte er in dieser Zeitachse einmal jemanden danach fragen, wenn er daran dachte. Nach wenigen Minuten kehrte Jii zurück, das Telefon bereits wieder in der Tasche seiner grauen Jacke. „Er kommt gleich.“ „Papa!“ Zareen breitete die Arme aus und lief auf ihn zu. Ohne das Gesicht zu verziehen ging Jii in die Knie, hob sie hoch und stellte sich dann wieder aufrecht hin. Sie verbarg ihr eigenes Gesicht an seinem Kragen, aber Luan bemerkte, dass sie dennoch in seine Richtung schielte, worauf er ihr ein wenig schüchtern zulächelte. Sie sah selbst dann noch zu ihm, als Jii sich wieder auf seinen Stuhl setzte. Aber dieser Augenblick hielt nicht lange an, denn plötzlich war es, als fahre eine Welle durch den Raum – und im nächsten Atemzug trat Vane aus einem Riss heraus, der sich hinter ihm sofort wieder schloss. Vane war, selbst ohne seine Geißel-Aura, eine beeindruckende Persönlichkeit. Er war der größte Mensch, den Luan je gesehen hatte. Er musste stets den Kopf in den Nacken legen, um ihn anzusehen, Vane dagegen musste sich stets bücken, wann immer er durch eine Tür gehen wollte. Dazu hatte er wallendes braunes Haar, das bis an seinen Ellenbogen reichte, sein Gesicht war stets ernst, die Brille verbesserte diesen Eindruck nicht. Er warf, ohne jede Begrüßung, einen prüfenden Blick über die Anwesenden, bis er an Luan hängenblieb. Dieser hob ein wenig schüchtern die Hand. „Hallo, Vane.“ „Du bist also Luan.“ Vanes Stimme war das wohl Faszinierendste an ihm. Sie war wohltuend tief und reichte bereits, um die Seele eines jeden Zuhörenden vibrieren zu lassen. In Verbindung mit seiner Schall-Prägung tanzte diese Stimme durch den Raum, zwischen den Wänden umher, wie ein Echo, unwillig, jemals wieder zu gehen, und legte sich dann wie ein Schleier auf die vibrierenden Seelen der Anwesenden. Man konnte sich mit ihm gar nicht fürchten. Luan, der diese Stimme schon lange nicht mehr gehört hatte, erschauerte im ersten Moment, fasste sich dann aber wieder. „Ja, der bin ich.“ Spürte er den Weltenbrecher in ihm? So ausdruckslos wie er ihn ansah, konnte Luan das nicht einschätzen. Aber das war auch nicht notwendig, denn Vane sprach direkt weiter: „Dann ist es in Ordnung, wenn ich dich untersuche?“ Da er deswegen immerhin hier war, stimmte Luan zu und ließ die Untersuchung, auf einem Bett sitzend, über sich ergehen, mit Vane direkt neben sich. Es war eine vollkommen normale Untersuchung, wie jeder Arzt sie bislang getan hatte, mit einem Test der Reflexe, der Pupillen-Reflexe und auch dem Abhören des Herzens und dem Messen des Pulses. Wie üblich machte Vane das alles schweigend, nebenbei machte er auf einem Klemmbrett Notizen, sein Kugelschreiber flog förmlich über das Papier, um Erkenntnisse oder Fragen – bislang hatte niemand seine Notizen ansehen dürfen – sofort festzuhalten. War man wegen einer bestimmten Sache bei ihm, wurde man so immer nervöser, wie Luan sich erinnerte. „Was ist mit dem Weltenbrecher?“, fragte er schließlich. „Er schläft.“ Und das war Luan eigentlich auch lieber. So nah und gleichzeitig fern von Ciar, war es sicher eine schlechte Idee, ihn einfach aufzuwecken. Und jetzt war Luan ja auch nicht mehr allein. „Du hast es die ganze Zeit geschafft, dich vor Atanas zu verstecken?“, hakte Vane nach. „Ich wusste, dass er vorhat, mich zu einem Traumbrecher zu machen – also bin ich einfach Viorel aus dem Weg gegangen. Das war nicht so schwer.“ Der Direktor des Waisenhauses hatte zwar auch Kontakt mit Atanas, in Bezug auf Luan, gehabt, aber man hatte wohl davon abgesehen, ihn dazu zu zwingen, ein Traumbrecher zu werden – das hätte auch nicht zu seinem gütigen Akt gepasst, den er in der Schule oft aufgesetzt hatte. Und zu der Zeit, zu der es ihm hätte egal sein können, was die Schüler und Traumbrecher über ihn dachten, war er mit anderen Problemen, namentlich Cerise, beschäftigt gewesen. „Warum bist du durch die Zeit gereist?“, fragte Vane überraschend neugierig. Als er derart direkt darauf angesprochen wurde, warf Luan einen entschuldigenden Blick zu Jii hinüber. Dieser hatte bislang noch kein Wort darüber verloren, was für eine schlechte Idee es gewesen sei, derart mit der Zeit zu spielen. Jii erwiderte seinen Blick finster, sagte aber nichts. Sicher weil er sich bereits denken konnte, dass Luan sich seiner Fehler selbst äußerst gut bewusst war. „Kieran brauchte Hilfe – und das war die einzige Möglichkeit.“ „Wie hast du das geschafft?“ Es waren wirklich dieselben Fragen, die Parthalan auch schon gestellt hatte. Deswegen antwortete Luan auch wieder vollkommen arglos. Vane hob eine Augenbraue. „Kann ich diese schwarze Taschenuhr einmal sehen?“ „Das geht nicht. Parthalan hat sie mitgenommen.“ Jii sah zu Konia hinüber, sie nickte. „Ich war dabei, das ist wahr.“ Misstraute er ihm wegen dieser Sache etwa so sehr? Aber gut, eigentlich konnte Luan ihm das nicht verübeln. Wenn er schon nicht dazu gekommen war, ihn wegen der Zeitreise zurechtzuweisen, musste er seinen Zorn wohl anders ausdrücken. Jii löste eine Hand von Zareen, rückte seine Brille zurecht und stützte seine Tochter dann wieder. „Ich werde einmal mit ihm reden. Sicher darf ich dann auch einen Blick auf die Uhr werfen.“ Daran zweifelte Luan nicht. Parthalan vertraute Jii mit Sicherheit genug. Vane notierte wieder etwas, inzwischen waren es schon gut zehn Seiten, allein über ihn. Auf eine ihm unverständliche Art und Weise fühlte es sich äußerst angenehm an, derart viel Aufmerksamkeit zu erhalten. Auch wenn sie nicht von jenen kam, von denen er sie gewohnt war. „Gibt es sonst noch irgendetwas, das du mit Luan besprechen möchtest?“, fragte Jii schließlich, nachdem er wohl glaubte, Vane genug Zeit eingeräumt zu haben. Der Gefragte hob den Blick, wirkte für einen kurzen Moment sogar so, als wäre ihm gar nicht mehr bewusst gewesen, dass er nicht allein war. „Nein, es gibt nichts mehr.“ Dann senkte er den Blick wieder, um sich erneut in das Schreiben zu vertiefen, als wäre er dabei, gerade ein ganzes Buch zu verfassen. Früher hätte er sich mit Sicherheit noch für Luans Zeit bedankt, doch das hier war eben nicht der Vane, den er in den letzten Jahren so gut kennen gelernt hatte. Aber immerhin waren Konia und er wieder in einem Raum. Vielleicht – Luan wagte kaum zu hoffen – könnte für die beiden doch noch alles gut werden. Als sein Magen knurrte, sah Luan auf die Uhr – und bemerkte überrascht, wie spät es geworden war. Während des Gesprächs und der Untersuchung war ihm nicht aufgefallen, wie die Zeit vergangen war. Aber nun war es Zeit fürs Mittagessen. Wie auch Konia feststellte. „Du solltest etwas essen gehen. Wir kommen erst einmal selbst zurecht und müssen ohnehin noch Sachen besprechen, die für dich nicht interessant sein dürften.“ Luan war sich nicht sicher, worüber sie reden wollten, aber er hoffte insgeheim, dass es ein Teil eines Plans war, um Vane und Konia wieder zusammenzubringen – auch wenn er nicht wusste, warum diese drei intelligenten Menschen einen solchen Plan fassen sollten. Sicher dachten sie über ganz andere Dinge nach, die Luan vollkommen fremd waren. Er stand vom Bett auf. „Ich gehe dann mal. Bis später.“ Nachdem er noch einmal die Hand gehoben hatte, ging Luan los, um den Speisesaal aufzusuchen und die Erwachsenen – sowie Zareen – ganz sich selbst zu überlassen. Kapitel 8: Natürlich. --------------------- Es war natürlich nicht Konias erste Begegnung mit Vane, aber das erste Mal, dass sie derart viel Zeit mit ihm im selben Raum verbrachte. Früher hatte sie nie wirklich einen Grund dafür gesehen, länger bei ihm zu sein. Als sie ihn nun aber mit dem neuen Wissen betrachtete, kam sie nicht umhin, die Stirn zu runzeln. Warum hatte ihr altes Ich sich in ihn verliebt? Es war nicht so, dass es nichts an ihm gäbe, was sie interessierte. Sie war – wie auch schon bei der ersten Begegnung – fasziniert von seiner Stimme, musste beständig ihre Augen von seinen Haaren losreißen, die sie unbedingt einmal anfassen wollte. Zumindest beim ersten Mal hatte sie das noch mit ihrer wissenschaftlichen Neugier begründet. Immerhin wirkte er nicht wie jemand, der sehr viel Sorgfalt in die Haarpflege steckte, aber doch sahen sie so weich und fest aus, dass man sie einfach anfassen wollen musste, um herauszufinden, ob man nicht nur von seinen Augen betrogen wurde. Vielleicht müsste sie aber doch einsehen, dass etwas anderes dahintersteckte, jedenfalls wenn sie Luans Aussagen trauen durfte. Da Jii sich aber sofort mit dem Experiment einverstanden erklärt hatte, musste da etwas Wahrheit dahinterstecken. Die größere Frage war dann aber: Nur weil sie in einer anderen Zeitachse mit diesem Mann verheiratet war, könnte das auch hier funktionieren? Sollte es funktionieren? Vielleicht waren sie durch die drei Jahre auch bereits derart in andere Richtungen gewachsen, dass sie gar nicht mehr kompatibel wären. Aber ausprobieren wollte sie es dennoch. Einfach nur um festzustellen, ob sie auch glücklich werden könnte – und ob eine Komplettheilung ihres desolaten Zustandes funktionieren könnte. „Du wirst das Herz also untersuchen, Jii?“, mutmaßte Vane. Konia schielte zu dem Gefragten hinüber, der allerdings den Kopf schüttelte. „Nein. Ich bin sehr beschäftigt. Auch mit der Hilfe von Iris.“ Er nickte zu Zareen hinunter. Sie saß immer noch auf seinem Schoß und war nun dazu übergegangen, seine Hände zu nehmen und diese immer wieder leise klatschen zu lassen. Ihrem zufriedenen Lächeln nach zu urteilen, bereitete ihr das wirklich Freude. Neben den Uhren hatte er wirklich jede Menge mit seiner kleinen Familie zu tun. Glücklicherweise nahm ihm seit einiger Zeit Iris Farone als Vizedirektorin zumindest den Teil der Arbeit ab, der mit Schülern und Unterlagen zu tun hatte. Soweit Konia wusste, war Iris eine Hüterin von Athamos, die bereits zu Atanas' Anfangszeiten eine solche gewesen war und bis zu Jiis Direktorenschaft tief und fest in Sicherheit geschlafen hatte. Aber was genau die Aufgabe eines Hüters war, wusste Konia nicht so recht, nur dass Jii und Vane ebenfalls zu solchen zählten. Jii nickte zu Konia hinüber. „Sie wird sich darum kümmern. Konia ist eine bessere Forscherin als ich, also bist du bei ihr in besten Händen.“ Vanes Blick wanderte tatsächlich zu ihren, auf ihrem Schoß liegenden, Händen hinab. Sein Gesichtsausdruck an sich veränderte sich kein bisschen, aber er zog die Brauen zusammen, woran sie zu erkennen glaubte, dass er darüber nachdachte, weswegen sie nur einen Handschuh trug. „Lass dich nicht davon entmutigen, dass sie nicht mehr vollkommen fit zu sein scheint“, sagte Jii, der den Gesichtsausdruck weiter interpretierte. „Ihr Gehirn arbeitet immer noch hervorragend und die Kommunikation mit ihr dürfte dir auch nicht schwerfallen.“ „Hm?“, war das einzige, was Vane von sich gab, aber immerhin sah er endlich wieder direkt in Konias Gesicht. Bislang hatte sie nichts gesagt, besonders während seiner eigenen Untersuchung Luans war das ja überflüssig gewesen. Aber nun schien es die beste Gelegenheit zu sein, wieder zu sprechen: „Er meint damit, dass wir beide ähnlich rational sind.“ Jedenfalls ging sie davon aus, dass er es so ausgedrückt hätte. Es klang immerhin netter als emotionale Krüppel, als solcher war sie aber auch schon bezeichnet worden. „Sie trauen sich das wirklich zu?“, fragte Vane. „Ist das eine Kritik, weil ich eine Frau bin?“ Es war keine empörte Frage, mehr ein interessiertes Nachhaken. Vanes Gesichtsausdruck blieb erstaunlicherweise immer noch vollkommen unverändert, aber sie glaubte, an seinen Augen erkennen zu können, dass er reichlich verwirrt war. Und Jii sah das wohl ähnlich, da er zu einer Erklärung ansetzte: „Viele Menschen in der Gesellschaft glauben, dass Frauen weniger können als Männer. Konia hat das ebenfalls schon erlebt.“ Wenn auch nicht so häufig, wie es anderen Frauen geschah. Meist ließen die Leute sie mit ihren Meinungen in Ruhe, vermutlich weil ihr absolut ruhiges Wesen und ihre fehlenden Emotionen manche denken ließen, sie benehme sich männlich. Vane nickte, es sah fast so aus, als vermerke er das irgendwo in seinem Gedächtnis, dann wandte er sich wieder Konia zu. „Das meinte ich aber nicht mit meiner Frage. Sie bezog sich eher darauf, dass ich Ihnen nicht viel werde helfen können. Die Nähe zum Herzen würde meine alten Instinkte in mir wecken.“ „Das ist mir bewusst.“ Vane warf einen kurzen Blick zu Jii hinüber, der allerdings leise mit Zareen sprach, in einer Art Singsang, als spielten sie irgendein Spiel, dessen Regeln Konia nicht kannte. „Ich verstehe“, sagte Vane schließlich, den Blick wieder ihr zuwendend. „Aber wissen Sie denn, wonach Sie bei dem Herz suchen müssen?“ „Nein“, gab sie unumwunden zu. „Ich hatte vor, die Untersuchung erst einmal allgemein zu halten. Wie oft bekommt man schon die Gelegenheit, das Herz eines Weltenbrechers zu untersuchen?“ Er stimmte ihr nickend zu. Vollkommen überzeugt wirkte er aber immer noch nicht. Vielleicht ahnte er ja auch, dass das eigentlich ein Experiment war, in dem er das Versuchskaninchen spielte. Auch Jii bemerkte, dass es Vane nicht wirklich zu gefallen schien. „Hast du irgendwelche Einwände dagegen?“ „Nicht wirklich. Ich habe nur gerade überlegt, ob das überhaupt notwendig ist, da Atanas die Zerstörung der Welt nun ja nicht mehr anstrebt.“ Mit einer solchen – zugegeben logischen – Erwiderung hätte keiner von ihnen gerechnet. Sogar Jiis Mundwinkel sanken noch ein wenig weiter nach unten, hinter seiner Stirn schien es zu arbeiten. Konia überschlug schnellstens alle Möglichkeiten in ihrem Kopf und kam damit früher zu einem Ergebnis als er: „Nur weil eine Gefahrenquelle ausgeschlossen wurde, bedeutet das nicht, dass nicht eine weitere erscheinen kann, die versucht, den Weltenbrecher und seine Macht zu missbrauchen.“ Sie glaubte, sehen zu können, wie Jii erleichtert aufatmete, sofort setzte er in ihrem Fahrwasser die Argumentation fort: „Oder Atanas erhält seine Erinnerung zurück. Dann muss er quasi nur die Hand ausstrecken, um doch noch seinen Plan zu erfüllen.“ Überzeugt wirkte er immer noch nicht, deswegen setzte Konia direkt nach: „Außerdem lässt meine Neugierde als Forscherin es nicht zu, dass ich das Herz einfach in Ruhe lasse. Ich habe sehr viele Dämonen bereits mikroskopiert, aber noch niemals etwas derart Außergewöhnliches.“ Wäre das Experiment nicht, wäre das für sie ein ausreichender Grund, um den Stein zu untersuchen. Und für Vane schien das auch der entscheidende Grund zu sein. Seine Augenbrauen entspannten sich wieder. „Das ist verständlich für mich. Dann würden Sie mich auf dem Laufenden halten?“ „Natürlich. Ich werde Ihnen regelmäßig meine Aufzeichnungen senden. Und falls ich auf etwas besonders Interessantes stoße, sage ich Ihnen sofort Bescheid.“ Obwohl sie laut Jiis Aussagen ohnehin auf nichts stoßen und Luan das Herz früher oder später zurückgeben wird. Aber das musste sie Vane ja noch nicht mitteilen. Er erfuhr früh genug davon, sobald das Experiment beendet war, egal mit welchem Ausgang. „In Ordnung, dann wäre ich gern beteiligt. Falls es auch keine Mühe bereitet, werde ich Luan gern öfter untersuchen. Auch einmal in Athamos.“ „Ich werde mit Parthalan darüber sprechen“, versicherte Jii. „Aber ich denke nicht, dass er dagegen etwas einzuwenden hat.“ Konia glaubte das auch nicht. Parthalans einzige Bedingung wäre sicher, dass man darauf achtet, dass Luan nicht fliehen kann, aber diese Gefahr dürfte sich mit Jiis Teleportationsfähigkeit ja leicht umgehen lassen. Vane nickte noch einmal und machte sich eine weitere Notiz auf seinem Klemmbrett. „Benötigt ihr sonst noch etwas? Sonst würde ich wieder nach Athamos zurückgehen.“ „Das war wirklich alles, danke, Vane.“ Er nickte noch einmal, erzeugte einen Riss – und verschwand durch diesen so schnell wie er gekommen war, ohne jede Verabschiedung. Konia sah einen kurzen Augenblick auf den Riss, der verschwunden war, als erwartete sie, dass er jeden Moment wieder auftauchte. „Das lief gut“, stellte Jii fest. „Dann hat das Experiment jetzt wohl angefangen.“ Dabei war sich Konia mittlerweile gar nicht mehr so sicher, ob das eine gute Idee gewesen war. Nicht wegen Vane, der davon gar nichts wusste, sondern eher wegen ihr. Wollte sie eine derartige Änderung denn wirklich? Immerhin konnte sie nach ihrer Heilung nicht einfach Danke sehr sagen und wieder gehen, wenn es wirklich zu Liebe und Glück führen sollte. … Allerdings wusste sie ja auch nicht so wirklich, wie das alles funktionierte. Könnte ein Dämon sich überhaupt verlieben? Vielleicht hätte sie vorher darüber nachdenken und ihre Zweifel ausloten sollen. Mit gerunzelter Stirn sah sie zu Jii hinüber. „Für dich ist das Experiment doch noch wesentlich größer oder?“ Er erwiderte ihren Blick vollkommen ungerührt – was ein reichlich belustigender Anblick war, da Zareen immer noch mit seinen Händen klatschte und dabei weiter den Sprechgesang vor sich herbrabbelte. Aber er tat Konia gegenüber so, als wäre das kleine Mädchen gar nicht da. „Tatsächlich“, antwortete er, statt es von sich zu weisen. „Genau genommen ist es in dieser Zeitachse nur eine Wiederholung des Experiments unter anderen Bedingungen, um meine These zu testen. Als Forscherin dürftest du das verstehen.“ Das tat sie tatsächlich. Aber sie verstand noch etwas anderes. Jii würde es vermutlich nie zugeben, dafür war er ein wenig zu stolz und zu sehr auf seine kühle Distanziertheit bedacht, aber neben seinem Willen zur Forschung, führte auch noch etwas anderes zu seinem Wunsch, die beiden in dieser Zeitachse zu verkuppeln. Sie beobachtete, wie Jii sich wieder auf Zareen konzentrierte, seiner Tochter zulächelte, als sie zu ihm hinaufsah, wie man ihn nur selten lächeln sah. Er, dieser einst von Hass und Rachsucht zerfressene Mann, war glücklich in seiner Rolle als Vater. Und er wollte dieses Glück auch für seine Freunde, für Konia und Vane, so wie es in der anderen Zeitachse war. Zum ersten Mal in ihrem Leben – und seit dem Tod ihres menschlichen Wirts – war Konia nicht nur überzeugt, dass sie Freunde besaß, sie glaubte auch, dass sie Glück hatte. Und aus diesem Grund schob sie alle Zweifel von sich und beschloss, dieses Experiment wirklich durchzuziehen, in der Hoffnung, dass es genau so ausging wie in der anderen Zeitachse. Kapitel 9: Auch das noch. ------------------------- Drei Jahre. Seit drei Jahren war Brava nun mit der Aufgabe beschäftigt, herauszufinden, was genau den Lauf des Schicksal geändert hatte, ob es gefährlich war und falls ja, wie es wieder rückgängig zu machen wäre oder ob es genügte, diesen Zeitstrang mit aller Kraft zu unterstützen. Ihre Partnerinnen, Skalia und Yurid, hielten sich dabei auffallend zurück, sprachen immer nur davon, dass es schwer sei, die genaue Quelle ausfindig zu machen. Vielleicht hatte Brava es deswegen im Grunde schon vor einem Jahr aufgegeben und ihr Leben nun einem anderen Zweck gewidmet. Als sie Skalia davon erzählt hatte, war deren einzige Reaktion ein Stirnrunzeln gewesen, begleitet von einem „Pass auf dich auf“, also war es wohl in Ordnung gewesen, sich so zu entscheiden. Ihr jetziger Zweck unterschied sich nicht so sehr von ihrem alten. Sie war nicht mehr darum bemüht, herauszufinden, wer die Veränderung erwirkt hatte, sondern sie beobachtete jemanden, der davon profitiert hatte. Gegen eine Häuserwand lehnend beobachtete sie nun jeden Tag den Blumenladen, in dem er arbeitete. Dabei störte sie nicht einmal die Kälte, der sie nur einen braunen Schal entgegenzusetzen hatte. Aber da sie die meiste Zeit ohnehin nicht in der Realität verbrachte, störte sie sich auch nicht weiter daran. Sie befand sich in einer Blase, die einen Riss in der Wirklichkeit darstellte. Solange sie sich im Inneren befand, war sie unsichtbar für alle anderen, da ihre eigene Zeit solange anhielt – deswegen sah sie auch nicht viel älter aus als damals nach ihrem Erwachen vor acht Jahren. Wenn man von ihrem einst hellbraunem Haar absah, das inzwischen rot-braun war. Der Blumenladen befand sich jedoch in der Realität. Eden Flowers. Vermutlich wusste er selbst nicht mehr so genau, wie er eigentlich auf diesen Namen gekommen war, aber er war einprägsam. Und die Kunden mochten den Laden, dessen Schaufenster schon derart grün im Winter und farbenprächtig mit den schönsten Blumen in den anderen drei Jahreszeiten war. Manchmal entdeckte sie auch Atanas, der mit seinem schulterlangen weißen Haar immer zwischen den Pflanzen hervorstach, wie er mit der Gießkanne oder anderen Utensilien zwischen ihnen umherlief und sich dabei um sie kümmerte. Brava hatte noch nie ein Wort mit Atanas gewechselt, er wusste nicht einmal, dass es sie gab und sie ihn beobachtete. Aber anhand dessen, was sie alles gesehen hatte, konnte sie sich ein wenig ableiten, was er wohl für ein Mensch sein mochte. Ungeachtet all seiner vergangenen Taten und dem Wunsch, die Erde zerstören zu wollen, war Atanas ein höchst sensibler Mann, der immer äußerst sorgsam mit den Pflanzen umging, manchmal kam es ihr sogar so vor, als streiche er über die Blätter und Blüten. Deswegen wuchsen sie in seiner Gegenwart vermutlich auch so gut. Am liebsten hätte sie einmal die Hand ausgestreckt, um vorsichtig über die Pflanzen zu streichen, aber sie war sich nicht sicher, wie diese auf ihre Zeitlosigkeit reagierten, deswegen ließ sie es. Der Laden lief derart erfolgreich, dass Atanas sich einen Mitarbeiter leisten konnte – und bei diesem handelte es sich ausgerechnet um Cathan Lane. Als er das erste Mal aufgetaucht war, hatte Brava befürchtet, er könnte sie entdecken oder zumindest bemerken, dass sie in der Nähe war, als legendärer Dämonenjäger sollte ihm das immerhin möglich sein – aber bei jeder einzelnen Gelegenheit hatte er keine Notiz von ihr genommen, selbst wenn sie so nah wie möglich herangegangen war. Auch an diesem Tag kam Cathan rechtzeitig um zwei Uhr zur Arbeit, um die Nachmittagsschicht zu übernehmen. Ganz genau hatte sie das Muster, nach dem sie sich Nach- und Vormittage aufteilten, nicht verstanden, aber da sie ja ohnehin auf Atanas achten musste, war es auch egal, wann genau er arbeitete. Es dauerte nicht lange, bis Atanas schließlich den Laden verließ und sie sich ihm anschloss. Wie üblich an einem Freitag, führte sein Weg ihn zu einem kleinen Markt, der nicht sonderlich gut besucht war, vermutlich weil er bald geschlossen wurde. Atanas störte sich aber nicht daran, sondern nahm sich die Zeit, das Obst und Gemüse genau zu betrachten, ehe er es kaufte. Das war auch etwas, das sie über ihn gelernt hatte: Er war sehr gewissenhaft, selbst in Situationen, in denen man glauben könnte, er müsste sich beeilen. Genauso redete er aber auch nur das Nötigste. Wirklich mehr als ein paar Worte hatte sie ihn noch nie am Stück sagen gehört. Nicht einmal im Wechsel mit seinen eigenen Kunden. Mit seinen Einkäufen ging er weiter über den Markt, besaß aber keinen Blick mehr für die anderen Dinge, ganz besonders nicht für andere Marktkunden, die an ihm vorbeikamen. Während Brava ihm folgte, versuchte sie, möglichst jeden Kontakt mit anderen zu vermeiden. Es schadete diesen vermutlich nicht, aber sie wollte dennoch kein Risiko eingehen, während sie sich in dieser Blase befand. Wenn man mit der Zeit spielte, konnte immerhin alles mögliche geschehen und sie wollte verhindern, dass sie das auf eine Art kennen lernte, die nur ihrer Nachlässigkeit zu verdanken war. Da sie wusste, dass Atanas auf dem Weg nach Hause war, musste sie ihn auch nicht im Auge behalten und konnte sich gänzlich darauf konzentrieren, den Zivilisten auszuweichen. Dabei konnte sie diese teilweise genauer betrachten, wieder einmal feststellen, dass sie diese Personen öfter zu sehen bekam und man ihr die Jahre inzwischen anzusehen begann. Andere wiederum waren ihr vollkommen fremd. Erst als sie ein Geräusch hörte, das sie an sich biegenden Stahl denken ließ, richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf Atanas. Er lief vollkommen seelenruhig weiter, der eigentliche Grund für dieses Geräusch war auch weiter oben zu verorten: Zwei wolkenkratzergroße dunkelgraue Würmer beugten sich bedrohlich über Atanas, ihre mit Reißzähnen bewehrte Kiefer mahlten bereits in freudiger Erwartung der baldigen Mahlzeit. Aber niemand außer ihr nahm Notiz von diesen Wesen. Brava griff in die Tasche ihres knöchellangen Rocks und zog einen Kompass hervor. Er sah aus wie ein handelsüblicher, recht billiger Kompass, abgesehen von der Tatsache, dass er ein goldenes Glühen verbreitete. Mit ihrer freien Hand griff sie durch das Glas hindurch, als existiere es gar nicht, bekam etwas im Inneren zu fassen und zog es mit einem Ruck heraus. Der silberne Revolver in ihrer Hand glitzerte im einfallenden Sonnenlicht und lenkte die Aufmerksamkeit der Würmer auf Brava, fort von Atanas, der sich immer weiter entfernte. Kaum war er aus ihrem Blickfeld verschwunden, zerbröckelte die Welt, fiel in sich zusammen und legte eine darunter liegende Ebene frei, die kein Mensch kennen dürfte. Auch hier gab es Bauten, die entfernt an Gebäude erinnerten, aber sie waren krumm, wanden sich um eine unsichtbare Achse oder waren zu abstrakten Formen zerplatzt, die in der Realität sofort eingerissen worden wären, an einigen floss eine zähflüssige rote Flüssigkeit herab. Die Marktstände waren fort, die Zivilisten hatten sich dafür in Schatten verwandelt, die nur entfernt an Menschen erinnerten, sofern man ihre Gliedmaßen und ihre Köpfe in die Länge gestreckt hätte. Die Augen waren durch Löcher ersetzt worden, die dennoch zu sehen schienen, jedenfalls folgten sie jeder von Bravas Bewegungen, als sie den Kompass wieder einsteckte. Der orange-farbene Himmel war mit bewegungslosen roten Wolken bedeckt, die nur daran denken ließen, dass möglicherweise Gott – oder an welches Wesen man auch immer glaubte – sich verletzt und anschließend auf einen Teppich geblutet hatte. Das hier war der Limbus – und nur wenige Lebewesen bekamen die zweifelhafte Ehre, ihn einmal in voller Pracht zu erleben. Die Würmer zögerten nicht mehr und stürzten sich gleichermaßen auf sie. Brava gab einen Schuss aus dem Revolver ab, eine gleißend helle goldene Lichtkugel, die auf den rechten Wurm traf. Mit einem lauten Schrei bäumte er sich wieder auf. Brava nutzte den neu geschaffenen Raum, um nach rechts auszuweichen, genau in dem Moment, in dem der linke Wurm auf den Boden traf, genau dort, wo sie gerade eben noch gestanden hatte. Sie hörte das Knirschen des Asphalts, als die Kiefer des Angreifers diesen zermahlten, stellte sich aber lieber gar nicht erst vor, dass sie auch so hätte enden können. Stattdessen legte sie wieder auf den zuvor getroffenen Wurm an und schoss noch einmal. Ähnlich wie bei den Traumbrechern bestanden die Kugeln ihrer Pistolen aus purer Energie, allerdings speisten sie sich nicht aus der Kondition des Trägers, weswegen sie sich nicht zierte, noch mit weiteren Schüssen nachzulegen. Der Wurm gab einen letzten, lauten Schrei von sich, ehe er stürzte, sich aber in unzählige Funken auflöste, bevor er auf dem Boden aufschlug. Diese wiederum schwebten in den unheilvollen Himmel, lösten sich aber schon nach wenigen hundert Metern bereits auf. Der andere Feind war aber immer noch aktiv und versuchte noch einmal, sie mit dem Maul zu erwischen. Erneut wich sie mit einem Sprung zur Seite aus, glitt dabei durch einen der Schatten, ein Schauer fuhr ihren Rücken hinab. Der Wurm traf wieder auf dem Boden auf, zerfetzte dabei einige der Schatten, die im Weg standen und einen gequälten – und dennoch hohlen – Laut von sich gaben, ehe sie sich auflösten. Brava wollte wieder schießen, aber da bohrte sich der Wurm bereits mühelos in den Boden. Allerdings konnte sie ihm auch nicht folgen, denn hinter ihm schloss sich das entstandene Loch bereits wieder. Sie spürte allerdings, dass er noch immer in der Nähe war, unter ihr, dass er dort das Erdreich aufwühlte und nach einem Weg suchte, sie von dort anzugreifen. Brava blieb so ruhig wie möglich stehen und zielte auf eine nicht weit entfernte Straßenlaterne. Auch diese war durch den Wechsel in den Limbus nur noch entfernt als eine solche erkennbar. Das einstmals graue Metall hatte sich schwarz verfärbt, sich verformt, bis die gerade Stange fast schon eine Fünf bildete. Brava schoss auf die Laterne, worauf das bereits in Mitleidenschaft gezogene Material endgültig nachgab und zu Boden stürzte. Der Aufprall ließ den Untergrund vibrieren und wirbelte eine abnormal große Staubwolke auf, die Schatten gaben einen erstaunten und gleichzeitig verwirrten Laut von sich. Aber es erreichte den gewünschten Effekt: Der Wurm brach aus dem Boden hervor, zermalmte die Straßenlaterne und mehrere der Schatten – und bot ein ideales Ziel für Brava. Sie legte erneut an, konzentrierte sich, bis erst der Revolver und dann auch sie in einem goldenen Glanz zu leuchten begannen. Als sie diesmal abdrückte, warf der heftige Rückstoß sie fast zu Boden. Eine riesige Kugel, fast so hell wie die Sonne, dass es schmerzte, sie anzusehen, raste auf den Wurm zu – und zerfetzte diesen beim ersten Kontakt. Ihm blieb nicht einmal mehr die Gelegenheit, noch einen Ton von sich zu geben. Brava atmete auf und steckte den Revolver ein, kaum dass sich die Kugel auch selbst aufgelöst hatte. Nachdem sie diese Bedrohung beseitigt hatte, sollte sie … Ihr Gedanke blieb unvollendet, da die Schatten sich wieder ihr zuwandten. Die leeren Augenlöcher waren auf sie gerichtet, sie erzeugten ein Gefühl der Unsicherheit und Anspannung in ihrem Inneren, das sie sich nicht erklären konnte. Bislang waren sie nicht aggressiv gewesen – aber kaum dachte sie das, schien jeder Schatten von einem roten Schimmer umgeben zu sein. Die Augenlöcher verformten sich zu wütenden Schlitzen, die bislang weichen Konturen wurden gezackt, wie der Rückenkamm eines Drachen. „Auch das noch“, stieß sie frustriert aus, die ersten Worte seit einer langen Zeit. Sie rannte los, in dieselbe Richtung, in die Atanas vorhin gelaufen war. Der allgemeine Schrei der Schatten erschütterte Mark und Bein, aber sie blieb nicht stehen, sondern rannte immer weiter, zog nicht einmal wieder ihre Waffe, um sich zu verteidigen. Die Wesen streckten sich, um sie zu erreichten, krachten aber nur in den Boden, den sie gerade hinter sich gelassen hatte. Sie spürte, wie er hinter ihr zerbröckelte, in eine unendliche Schwärze fiel, aber darum kümmerte sie sich nicht. Ihr Blick galt nur dem sanften Leuchten vor ihr, das ihr verriet, dass es sich um einen Ausgang aus dem Limbus handelte. Sie wich Schatten aus, die einen Angriff von vorne oder von der Seite wagten. Nur noch wenige Schritte bis sie ankäme. Der Boden unter ihr bebte, bekam Risse, er stürzte gleich mit ihr in den Abgrund. Ihr blieb nur eine einzige Wahl. Sie sammelte ihre letzte Kraft – und sprang. Das Licht des Portals blendete sie, sie schloss die Augen, erwartete den Schmerz, wenn sie gegen irgendetwas prallte oder ein Angriff sie doch noch treffen könnte. Aber stattdessen spürte sie einen kalten Wind auf ihrem Gesicht, hörte wieder ganz normale Verkehrsgeräusche. Und als sie die Augen öffnete, stellte sie fest, dass sie sich wieder in der Realität befand. Sie atmete erleichtert auf, stützte sich mit den Händen auf ihre Knie – und bemerkte dann die verwirrten Blicke der Passanten um sie herum. Mit einem verlegenen Lächeln richtete sie sich wieder auf, wenigstens war aber Atanas nicht zu entdecken, obwohl diese Straßenecke zu seinem Heimweg zählte, so konnte er sie auch nicht sehen und vielleicht misstrauisch werden. Mit hastigen Schritten ging sie weiter, bevor jemand sie ansprechen und sie etwas fragen konnte, worauf sie keine unverfängliche Antwort wüsste. Die sie umgebenden Menschen verloren schnell das Interesse an ihr und widmeten sich wieder ihren eigenen Problemen. Nur einer zwischen ihnen beobachtete sie weiterhin, sie spürte seinen Blick in ihrem Rücken, wollte sich aber nicht umdrehen. Sie wusste ohnehin ganz genau, wer er war, auch wenn sie ihn gerade eben nicht hatte sehen können. Aber sie war überzeugt, dass er dafür verantwortlich gewesen war, dass der Limbus erst Atanas und dann sie angegriffen hatte – und er war gleichzeitig der Vollstrecker des Weltenwächters. Kapitel 10: Was hat dich jetzt überzeugt? ----------------------------------------- Es schien Luan wie eine Ewigkeit her zu sein, seit er zuletzt in einem Auto gefahren war. Vor allem gemeinsam mit Cathan. Es war nicht derselbe Wagen, wie damals, sondern ein größerer, mit mehr Platz für die Familie und deren Gepäck. Nachdem er Cathan von seinen Erlebnissen erzählt hatte, schmunzelte dieser. „Ja, klingt wie mein alter Wagen. Der war leider nicht mehr zu gebrauchen, nach den Auseinandersetzungen mit Atanas und Armas.“ Luan fragte sich, was wohl genau dabei geschehen sein mochte, wollte es aber nicht aussprechen. Vielleicht war es besser, keine Antwort darauf zu erhalten. Es war Samstag, Parthalan hatte erlaubt, dass Luan zu den Lanes gehen dürfe, um dort einige Stunden zu verbringen – unter der Voraussetzung, dass darauf geachtet wurde, dass er nicht weglief und spätestens um 21 Uhr wiederkäme. In Luans Inneren kämpften unterschiedliche Gefühle miteinander um die Oberhand. Einerseits wollte er wirklich nur ein friedliches Treffen mit den Lanes erleben, besonders mit den Zwillingen, die sich scheinbar an ihn erinnerten, andererseits wollte er aber auch die Gelegenheit nutzen, um zu fliehen und doch noch zum Bahnhof zu kommen, um endlich zu schlafen. Aber für beides fand er immer eine logische Erwiderung, die ihm verriet, dass er keine Entscheidung nur mit reichlicher Überlegung treffen könnte. Er müsste abwarten, ob sich ihm eine Gelegenheit böte und ob er diese dann ergreifen wolle. Zumindest das Haus war noch dasselbe, wie Luan schnell feststellte, als sie davor anhielten. Aber es schmerzte in seiner Brust, wenn er daran dachte, dass es nicht mehr sein Zuhause war. Und auch nicht mehr das von Kieran. Alles war besser gewesen damals. Warum wusste er das erst in diesem Moment zu schätzen? Cathan sagte nichts, während sie gemeinsam zur Haustür gingen, erst im Inneren war seine Stimme wieder zu hören: „Ich bin wieder da! Und ich habe Luan mitgebracht.“ Für den ersten Moment war nichts zu hören, es herrschte eine fast schon bedrückende Stille – die urplötzlich von einem Chor zweier kleiner Mädchen unterbrochen wurde: „Luan! Luan!“ Gleich danach kamen sie ihnen bereits entgegengelaufen. Zwillingsmädchen, etwa drei Jahre alt, kamen mit wehendem schwarzen Haar auf sie zugerannt, ließen Cathan einfach links liegen und klammerten sich stattdessen an Luans Beine, während sie weiterhin unablässig seinen Namen riefen. Tränen stiegen in Luans Augen, er kniete sich hin, um die Mädchen richtig zu umarmen. „Hallo, Amy, hallo, Mya.“ Es war fast so als käme er wirklich nach Hause und würde dort begrüßt werden. Aber er wusste es besser – besonders als er sich auf den Geruch konzentrierte. Es roch ähnlich wie damals, in der anderen Zeitachse, aber doch fehlte hier etwas. Es war Kierans Geruch, der fehlte, kaum merkbar und doch bohrte sich sein Fehlen tief in Luans Herz. Erst als er eine Hand in seinem Gesicht spürte, ließ er den Gedanken wieder links liegen. Er sah Amy an, die sich darum bemüht hatte, seine Tränen wegzuwischen. „Nicht weinen“ forderte sie dabei. Mya nickte zustimmend, sagte sonst aber nichts mehr. „O-okay“, stammelte er und wischte sich selbst noch einmal über die Augen. Dann stand er wieder auf und bemerkte, dass Cathan nicht mehr da war. Die Mädchen zogen ihn bereits ins Wohnzimmer, wo er schließlich die auf dem Sofa sitzenden Granya entdeckte, die gerade von Cathan über den Besucher aufgeklärt wurde. Sie wandte den Kopf, um Luan anzusehen. Dabei fiel ihm auf, dass sie immer noch so schön aussah, wie er sie in Erinnerung hatte. Das lange schwarze Haar, die dunklen Augen und das spitze Gesicht, das so sehr an Kieran erinnerte … es war fast zu schön. Aber als er genauer hinsah, entdeckte er, dass Trauer in ihren Augen lag, verbunden mit Furcht, was ihm direkt wieder ins Herz stechen wollte. Aber dafür blieb ihm keine Zeit, denn sie erhob sich bereits vom Sofa, kam auf ihn zu und schloss ihn, wie selbstverständlich, in ihre Arme. Ihr ganzer Geruch hüllte ihn sofort ein und erinnerte ihn wieder an jene Tage, an denen er Kierans Familie das erste Mal getroffen hatte. Er erinnerte sich, dass Kieran ihm damals erzählt hatte, Granya umarme gern traurige Menschen – und dem blieb sie wohl auch in dieser Zeitachse treu. „Mama ...“, flüsterte er leise, obwohl er das eigentlich nicht sollte, aber er konnte sich kaum beherrschen. Sie löste sich wieder von ihm und neigte lächelnd den Kopf. „Wenn du mich so nennen willst, ist das in Ordnung.“ Offenbar waren seine Gedanken zu offensichtlich oder seine Stimme zu reuevoll. Er lächelte sie dankbar an, dann ließ er den Blick schweifen, während sie sich wieder an Cathans Seite begab. „Wo ist Ciar?“, fragte Luan. Er wollte ihn nicht unbedingt treffen, aber es hätte ihn doch interessiert, was wirklich aus ihm geworden war, wie er nun aussah, wie es ihm ging. Und das könnte er alles nur erfahren, wenn er ihn selbst sah. Cathan setzte bereits zur Antwort an, da wirbelte Amy herum und rannte aus dem Wohnzimmer hinaus, dabei immerzu „Ci! Ci!“ schreiend. Mya folgte ihrem Beispiel sofort. Nach wenigen Sekunden hörte er ihre Stimmen auf der Treppe verklingen. „Er ist oben, in seinem Zimmer“, sagte Cathan schmunzelnd und deutete dabei mit dem Finger in den ersten Stock. „Da hält er sich meistens auf.“ Das klang wirklich nach ihm. Es tat Luan leid, dass Ciar nicht bei Atanas sein konnte, den er viel eher als Vater akzeptiert hatte, trotz der fehlenden Blutverwandtschaft. Das war eines der Themen, das er willentlich in Kauf genommen hatte, in der Hoffnung, es könne helfen, die Beziehung zwischen Cathan und Ciar zu verbessern. Während er noch darüber nachdachte, ob das wirklich richtig gewesen war, hörte er wieder die vergnügten Stimmen der Zwillinge, die sich ihnen näherten. „Beruhigt euch doch mal“, sagte eine andere Stimme, die er nur zu gut kannte. Sie klang ähnlich wie die von Kieran, aber doch fehlte ihr das lieblich-melodische, stattdessen klang sie eher nüchtern und … erfahrener? Luan wusste nicht so recht, wie er diesen Unterton einordnen sollte. Aber das musste er auch gar nicht, denn in diesem Moment regte sich etwas in seinem Inneren. Es war lange her, seit er ihn zuletzt gespürt hatte, aber es war eindeutig Kian, der da gerade auf Ciars Stimme reagierte. Noch befand er sich in einem trüben Halbschlaf, war sich wohl nicht sicher, ob es nicht nur ein Traum gewesen war, aber er reckte sich bereits. Luan bereitete sich darauf vor, jemanden zu sehen, der Kieran zum Verwechseln ähnlich sah – und wurde dann von Überraschung übermannt, als Ciar wirklich eintrat. Er trug Mya auf seinen Armen, die doch ein wenig muskulöser waren als die von Kieran, Amy ritt auf seinem Rücken und verkündete ihren Erfolg mit einem fröhlichen „Ci!“. Ciars schwarzes Haar war nun kurz geschnitten, hing nicht mehr über sein Auge wie das von Kieran, war dafür aber unordentlich als wäre er gerade eben erst aufgestanden. Seine dunklen Augen wirkten müde und gelangweilt, selbst als sie auf Luan zu liegen kamen. Er nickte ihm nur knapp zu, dann setzte er die Mädchen auf dem Boden ab. „Die beiden Nervensägen haben mich aus dem Bett gezerrt, weil wir Besuch haben.“ Ungestört von dieser Kritik begaben sie sich sofort wieder zu Luan, damit sie um diesen herumlaufen konnten. Granya wich mit einem knappen Seitenschritt halb hinter Cathan. „Die beiden wissen eben nicht, dass du nachts arbeitest.“ Ciar warf einen kurzen Blick zu Granya, ehe er die Augen wieder niederschlug. „So meinte ich das nicht.“ Um wieder von sich abzulenken, sah er Luan an, der sofort zusammenzuckte, dann aber die Hand hob. „Äh, hallo, ich bin Luan.“ „Dachte ich mir“, erwiderte Ciar knapp, reichte ihm aber dennoch die Hand. „Ich bin Ciar, auch wenn ich dir das vermutlich nicht sagen muss, was?“ Nur zögernd ergriff Luan die ihm dargebotene Hand – und im selben Moment, in dem sie sich berührten, spürte er, wie Kian in ihm vollends erwachte, mit einer Gewalt, die ihn fast keuchend in die Knie zwang. Ciar zog die Augenbrauen zusammen, schaffte es aber, Luan auf den Füßen zu halten. „Alles in Ordnung? Das sieht nicht wie ein sonderlich gesunder Anfall aus.“ „Lass. Mich. Raus!“ Es gelang ihm kaum, die Worte noch richtig zu hören. In seinem Inneren schrie Kian ihn an, bedrohte ihn, damit er ihm sofort wieder die Oberhand über diesen Körper gewährte. Nur mit Mühe gelang es Luan, wieder einigermaßen die Kontrolle zu bekommen – und das vermutlich auch nur durch Amy, die ihm plötzlich etwas entgegenstreckte. Durch seine brennenden Augen gelang es ihm kaum, den Gegenstand wirklich zu erkennen, aber als er die Tränen wegblinzelte, wurde das Bild immer klarer: Es war ein Schokoladenriegel. „Luan, Süßes“, sagte sie, was von Mya direkt geechot wurde. Er bedankte sich stammelnd, als er den Riegel an sich nahm, ihn aber nicht sofort öffnete. Nur undeutlich nahm er wahr, dass Ciar ihn zwar losgelassen hatte, aber Granya und Cathan dafür an ihn herangetreten waren. „Setz dich“, forderte sie ihn auf. Er kam dem auch sofort nach, da Cathan ihm glücklicherweise bereits einen Stuhl aus dem Esszimmer herangeholt hatte. „Was ist geschehen?“ Luan blinzelte mehrmals, in der Hoffnung, dass seine Augen sich nicht auch noch rot zu färben begannen. Er sah auf den Schokoladenriegel hinab, den er unablässig in seinen Händen drehte. „N-nichts weiter. Macht euch keine Sorgen. Zeitreisen sind nur nicht sonderlich gesund.“ Da ihm niemand das Gegenteil beweisen konnte, empfand er das als recht gutes Argument. „Luan, Süßes!“, forderte Amy lautstark und sah ihn dabei überraschend entschlossen an. Granya lächelte. „Ich glaube, sie wollen, dass du ihn isst. Wahrscheinlich glauben sie, dass es dir besser geht, wenn du erst einmal etwas Süßes gegessen hast.“ Wie lange war es schon her, seit er zuletzt einen Schokoladenriegel gegessen hatte? In dieser Zeitachse war es jedenfalls noch nie vorgekommen, also mussten es mindestens drei Jahre sein. Da Amy ihn weiterhin derart ernst ansah, wickelte er den Riegel schließlich aus und biss hastig hinein. Der Zucker zog sofort in sein Gehirn und ließ ihn fast seufzen. Wie hatte er die letzten Jahre ohne ihn nur überleben können? Sogar Kian schien sich ein wenig zu beruhigen, vielleicht aber auch nur, weil er wusste, dass es im Moment keinen Sinn machte, sich weiter aufzuregen. Cathan sah die größte Gefahr wohl als vorüber an, da er mit der Ankündigung, er wolle kochen gehen, das Wohnzimmer verließ. Granya kniete sich allerdings neben Luan, während die Mädchen aufgeregt vor ihm stehenblieben und ihn weiterhin musterten. Entsprechend gab er sich Mühe, den Riegel auch zu essen. Ciar setzte sich derweil auf das Sofa, allerdings seitlich, so dass er Luan ebenfalls beobachten konnte. Dieser kaute auf seinem Schokoladenriegel und wandte ein wenig den Blick ab, um nicht vollkommen in Verlegenheit zu geraten. Dabei spürte er aber weiterhin, wie Kian in seinem Inneren wütete, wenn auch diesmal nicht so gewalttätig wie noch zu Beginn. „Also“, begann Ciar, was Kian nur noch mehr in Aufregung versetzte, „Zeitreisen, ja? Wie kamst du denn auf diese Idee?“ „In meiner Zeit gab es einige Probleme“, antwortete Luan leise. „Deswegen dachte ich, wenn ich zurückreise und einen Brief an die Anführer der Schule schreibe ...“ Und an Vincent, aber den musste er nicht extra erwähnen, wie er glaubte. Er war sich nicht einmal sicher, ob Ciar diesen überhaupt besuchte. „Und wie ist es für dich gelaufen?“, fragte er weiter. Also wusste er nichts von seiner Verbindung mit Kieran oder dessen Ausbruch. Dann würde Luan ihn auch nicht extra darauf hinweisen. „Nicht so gut, wie ich gehofft habe – aber es sind einige Dinge auch besser geworden.“ Wenngleich nicht durch sein Eingreifen. Jiis Tochter war nicht sein Verdienst, sondern der des Dämons, der in dem Mann lebte. Er war es gewesen, der ihm die Erinnerungen der anderen Zeitachse übertragen hatte. „Was ist mit mir?“, fragte Ciar ungeniert. „Ist mein Leben jetzt besser?“ Kian schien wieder mit den Fäusten gegen jeden Punkt in Luans Körper zu trommeln, weswegen dieser zu schmerzen begann. Er wollte sich das aber nicht anmerken lassen und kaute weiterhin an dem Schokoladenriegel, in einem Versuch, ihn wieder zu beruhigen. „Nein“, antwortete Luan dann ehrlich. „Ich glaube, dein Leben war vorher besser.“ Entgegen seiner ersten Befürchtung, schmunzelte Ciar nur, statt einen Wutanfall zu bekommen. Vielleicht war er also doch wesentlich besser dran in dieser Zeitachse. Ciar zuckte nur mit den Schultern und vollführte eine wegwerfende Handbewegung. „Tja, dann habe ich wohl Pech, was?“ Luan verspürte das Bedürfnis, sich zu entschuldigen, tat es aber nicht und aß stattdessen den Rest seines Riegels. Amy nahm ihm die leere Verpackung ab und huschte davon, um diese wegzuwerfen. „Mach dir keine Sorgen“, schlug Ciar dann vor. „Ich komme schon klar. Ich hab gehört, du kriegst schon von allen anderen ziemlichen Stress, da muss ich ja nicht mitmachen.“ Er war wesentlich netter sogar, als in der anderen Zeitachse. Vielleicht war es ja wirklich nicht so schlimm, was er getan hatte. Jedenfalls für Ciar. „Du machst doch Witze!“, fauchte Kian in seinem Inneren. „Er braucht mich! Lass mich raus!“ Nein, erwiderte Luan. Du bleibst drinnen. Ich kann dich nicht herauslassen. Allerdings könnte er vielleicht doch bei Jii nachhaken, ob eine der Hexen wieder einen Körper für Kian schaffen könnte, wenn ihm das derart wichtig war. Zumindest beruhigte er sich nach diesem Gedanken wieder ein wenig, brodelte aber weiter in Luans Inneren. „Was machst du jetzt eigentlich?“, fragte Luan ihn. Granya war derweil in eine leise Unterhaltung mit Amy und Mya vertieft, um diese abzulenken. Ciar griff in seine Tasche und zog eine Taschenuhr hervor, die Luan eigentlich bereits alles sagte, aber dennoch holte er zu einer Erklärung aus: „Jii hatte solche Angst vor mir, er hat als Bedingung für meine Freilassung gefordert, dass ich ein Traumbrecher werde, damit er jederzeit einfach die Uhr abstellen könnte, sollte ich etwas Falsches tun.“ Das klang wirklich nach Jii, musste selbst Luan zugeben. Aber auch nicht überraschend. Jeder wollte doch etwas in der Hinterhand haben, um sich in Sicherheit zu wähnen. Jeder Traumbrecher legte seine Seele in einer Taschenuhr ab. Damit konnte er auf die Kraft seiner eigenen Träume zurückgreifen, allerdings nur insgesamt sechs Stunden – und jedes Nutzen seiner Fähigkeiten kostete ihn ein wenig seiner Zeit. Je nach Ausprägung seiner Talente mehr oder weniger. Die Uhren dienten sowohl als Hilfsmittel, um die verbliebenen Stunden und Minuten zu ermitteln, als auch als Herz des Traumbrechers; zerstörte man die Uhr, oder geschah ihr aus sonstigen Gründen etwas, starb auch ihr Träger. „Bist du auch wieder ein Hüter?“ Ciar nickte. „Ich habe die Hexer-Prägung.“ Jeder Traumbrecher bekam neben der Möglichkeit, Albträume zu sehen und gegen sie kämpfen zu können auch eine Prägung, an der sich seine Fähigkeiten orientierten. Luan selbst hatte einmal über die Atem-Prägung verfügt, bis er die Traumbrecher wieder verlassen hatte. Zumindest in seiner Zeitachse war auch Ciar mit dieser Prägung zu Athamos gestoßen, nur um irgendwann die Hexer-Prägung wieder zum Leben zu erwecken. Und hier war es möglicherweise ähnlich gelaufen, auch wenn es eine Frage in Luan weckte: „Wer ist dann der Hüter der Atem-Prägung geworden?“ In seiner Zeitachse hatte Kian diese Rolle dann notgedrungen übernommen. Die Atem-Prägung war schwer zu meistern und entsprechend selten. Zu Luans Zeiten war er sogar der einzige Schüler damit gewesen – bis Ciar eben gekommen war und kurz darauf auch Kian. Die genauen Details bezüglich der Hüter kannte Luan zwar nicht, aber er wusste, dass sie notwendig für Athamos waren. Man konnte also keine Prägung einfach auslassen. Mit der Aufklärung hätte Luan aber nicht gerechnet: „Seline hat das übernommen.“ Russels Partnerin sollte jetzt ein Traumbrecher mit Atem-Prägung sein? Gut, schon in seiner Zeitachse war das eine Weile eines von Selines Zielen gewesen – aber doch nur wegen Ciars Einfluss auf ihren inneren Dämon, oder? „Warum hat sie das getan?“, fragte Luan ungläubig. Ciar stützte einen Ellenbogen auf die Rückenlehne und bettete dann sein Kinn auf seiner Hand. Keiner von ihnen sagte dabei etwas, aber obwohl er dem Gespräch Granyas mit den Mädchen lauschte, konnte er nicht verstehen, worüber sie sprachen. Luan glaubte schon, Ciar wolle ihm gar nicht mehr antworten, vielleicht weil er es auch gar nicht konnte, da öffnete er wirklich wieder den Mund: „Soweit ich weiß, ging es einerseits darum, mich im Auge zu behalten, andererseits wollte sie Jii nicht ganz allein nach Athamos gehen lassen und zum dritten wünschte sie sich wohl auch, sich von ihrer Familie ein wenig abzusetzen. Sie ist ja nur Dämonenjägerin geworden, weil ihr Vater es sich so gewünscht hatte.“ Was Luan wieder einmal zu dem Gedanken führte, dass es vielleicht besser war, keine Eltern zu haben. Zumindest konnte so niemand etwas von ihm verlangen und es war unmöglich, dass er irgendjemandes Erwartungen enttäuschte. Das geschah ohnehin schon oft genug und bereitete ihm ein schlechtes Gewissen. „Ah, okay ...“ Vielleicht war seine Zeitreise also für Seline eine gute Sache gewesen? Wenn er sie einmal traf, müsste er sie fragen, wie es ihr nun ging. Vielleicht konnte sie sein Gewissen ein wenig beruhigen. Da er nichts weiter zu sagen wusste, schwieg Luan – aber Ciar nutzte die Gelegenheit, um selbst Fragen zu stellen: „Wie hast du dich eigentlich von Abteracht schnappen lassen?“ Da das auch Granya zu interessieren schien, erzählte Luan eben von seinen Erlebnissen seit er wieder in die Vergangenheit gekommen war – selbst wenn ihm das immer noch schwer im Magen lag. Luan verlor bald die Zeit aus dem Auge, während er darüber erzählte, wie es ihm bislang ergangen war, Kians unruhiges Klopfen in seinem Inneren ignorierte und sich gleichzeitig darüber wunderte, dass keiner der Anwesenden ihn über ihr Leben in der anderen Zeitachse ausfragte. Ciar hatte nur eine einzige Frage gestellt und das wollte er nicht so recht gelten lassen. Irgendwann schwebten köstliche Essensdüfte bis ins Wohnzimmer, ließen Luan das Wasser im Mund zusammenlaufen und ihn wieder daran denken, wie köstlich Cathans Essen immer gewesen war – und wie es höchstwahrscheinlich immer noch war. Als Cathan sie dann endlich ins Esszimmer rief, konnte Luan nicht anders als überrascht in der Tür stehenzubleiben und den Tisch anzusehen, der bereits gedeckt war. Der köstlich duftende Braten war bereits aufgeschnitten worden, das Gemüse sah so frisch aus, dass es fast noch auf dem Feld in der Erde zu sein schien. „Das ist jetzt nichts weiter Besonderes“, wehrte Cathan ab, während der Großteil seiner Familie sich bereits auf ihre Plätze am Tisch setzte. Zu Luans Überraschung nahm Ciar nicht den Platz von Kieran ein, stattdessen setzte er sich gegenüber seines Vaters an das Tischende. Aber er nutzte diesen Umstand, um sich gefahrlos an seinen eigenen Platz zu setzen, gegenüber von Granya, an die Ecke neben Cathan. Die Zwillinge saßen auf der anderen Seite des Tisches neben ihrer Mutter, und ergriffen bereits das Plastikbesteck, das für sie bereitgelegt worden war. „Das sieht wunderbar aus“, schwärmte Luan, als Cathan ihm etwas auf den Teller gab. „Wenn Kane noch genauso gut kocht wie früher, ist es bestimmt köstlich.“ Er bemerkte den kurzen vielsagenden Blick, den Cathan und Granya miteinander austauschten, dann lächelte er ihn wieder an. „Danke, Luan. Lass es dir schmecken.“ Das ließ er sich nicht zweimal sagen, stattdessen begann er sofort, zu essen. Schon nach den ersten Bissen musste er ergriffen seufzen, so gut schmeckte es. Vielleicht sogar noch besser als in der letzten Zeitachse, was der Tatsache geschuldet sein musste, dass Luan ihm das nicht hatte abnehmen können in den letzten Jahren. Sie aßen schweigend, lediglich das Klappern des Bestecks erfüllte den Raum mit Geräuschen. Luan störte sich nicht daran, er vermisste lediglich Kieran, ohne dessen Wärme schien es ihm wesentlich kälter in diesem Raum zu sein, obwohl es sicher angenehm temperiert war. Die Stille wurde erst gebrochen, als plötzlich noch etwas anderes zu hören war. Es war ein Klingeln, das ihm äußerst vertraut vorkam. Luan hielt inne und ließ den Blick schweifen. Für einen Moment glaubte er, dass er sich das nur einbilde, da es so aussah, als ob keiner der anderen es hören könnte. Aber als er seinen verwirrten Blick bemerkte, pausierte Cathan seine Mahlzeit ebenfalls, um die unausgesprochene Frage zu beantworten: „Kümmere dich nicht um dieses Klingeln. Das ist nur unser Haus-Trugmahr.“ Ciar gluckste, versuchte das aber, mit seinem weiteren Essen zu verbergen. „Haus-Trugmahr?“, hakte Luan nach. „Hope!“, verkündete Mya fröhlich und streckte ihre Gabel in die Luft. Die gesamte Familie – und auch Luan – sahen zu ihr hinüber, Cathan nickte. „So haben ihn jedenfalls die Mädchen genannt. Ich weiß aber nicht so recht, wie er eigentlich ins Haus gekommen ist.“ Das wunderte Luan auch ein wenig. In ihrer Zeitachse hatten er und Kieran Hope aus einem Tunnel erst hierher bringen müssen. Aber anscheinend konnte keiner der Familie dieses Rätsel lösen. „Hope ist also hier ...“ Es erfüllte Luan mit einer beruhigenden Freude, dass sogar sie in Sicherheit war. In all dem Tumult hatte er sie schon vergessen, aber es war schön, zu sehen, dass sie dennoch in der Lage gewesen war, ihren Platz zu finden. Sein Blick schweifte über die einzelnen Familienmitglieder, die alle ins Essen vertieft waren, was Luan auf einen Gedanken brachte. Er erhob sich. „Ich gehe schnell ins Bad.“ Aus den Augenwinkeln bekam er mit, dass Cathan ihm zunickte, er ahnte also nicht, was der eigentliche Plan war. Das schlechte Gewissen beschlich Luan zwar, als er in den Flur trat und dort wieder stehenblieb, aber er wusste, dass er nur diese eine Gelegenheit hatte, zum Bahnhof zu kommen. Dort könnte er schlafen und müsste sich nicht mehr mit den Problemen auseinandersetzen, die er verursacht hatte. Bei diesem Gedanken erlebte er ein ungewohntes Stechen in seiner Brust. Er hatte all das verursacht – und er wollte einfach weglaufen und sich vor seiner Verantwortung verstecken. Könnte er das wirklich tun? „Wenn du keinen Bock mehr hast, kannst du auch einfach brechen und mir diesen Körper überlassen. Ich laufe garantiert nicht weg.“ Aber das war keine Alternative. Er konnte nicht einfach Kian übernehmen lassen, weil er mit Sicherheit nur noch mehr Probleme verursachte. Luan kannte ihn lange genug. Er wollte einen Schritt in Richtung Haustür machen – da spürte er ein warmes Gefühl, das sich auf seinen Schultern ablegte. Er kannte es, hatte es selbst in dieser Zeitachse schon gespürt – aber da waren es nur die Trugmahre aus dem Waisenhaus gewesen. „Hope ...“ Er glaubte zu spüren, wie sie zustimmte, was ihm wieder ein beruhigendes Gefühl vermittelte. „Du willst nicht, dass ich gehe, oder?“ Ob sie überhaupt wusste, wovon er sprach? Aber ungeachtet dessen gab sie ein zustimmendes Klingeln von sich, gefolgt von einem weiteren, das fast danach klang, als frage sie nach Kieran – jedenfalls interpretierte Luan es so. „Er ist in Abteracht“, erklärte er. „Ich weiß aber nicht, ob es ihm dort wirklich gut geht.“ Und bis es soweit war, konnte er auch nicht einfach gehen, kam ihm der Gedanke. Erst musste er sicherstellen, dass er wirklich Dinge verbessert hatte. Er wollte nicht vor seiner Verantwortung weglaufen – Kieran täte das auch nicht. Und auch wenn Kieran stärker war als er, wollte Luan zeigen, dass er mehr konnte als nur wegzulaufen. Er wollte seine Verantwortung schultern, notfalls bis er brach, damit sein Opfer auch endlich etwas wert war. Also wandte er sich von der Haustür ab und kehrte an den Esstisch zurück, um den restlichen Abend zu genießen, solange er noch anhielt. Morgen würde er immerhin direkt mit seinem Vorsatz anfangen, ganz sicher. Es war kurz vor 21 Uhr, als Luan wieder in Cathans Wagen saß. Der Rest des Abends war ruhig verlaufen, geradezu angenehm, und Hope hatte seine Schultern erst wieder verlassen, als er gegangen war. Für eine Weile fuhren sie schweigend, während Luan die Lichter der Stadt bewunderte. Bei seinem letzten nächtlichen Ausflug, in Richtung des Bahnhofs, war es ihm nicht möglich gewesen, weil er zu sehr mit seinen finsteren Gedanken beschäftigt gewesen war. Aber da er nun entschlossen war, nicht mehr wegzulaufen – selbst wenn es anstrengend wurde – konnte er die Schönheit dieses bunten Glitzerns wirklich genießen. „Hat dir der Abend gefallen?“, fragte Cathan schließlich. Luan wandte ihm den Blick zu und nickte. „Ja. Es war wirklich schön, mal wieder bei euch zu sein. Und auch Ciar zu treffen.“ Immerhin hatte es Kian wieder geweckt, auch wenn dieser immer noch in seinem Inneren brodelte, weil er eigentlich nicht hatte gehen wollen. „Ich hoffe, du bist nicht sauer, weil ich die meiste Zeit in der Küche gewesen war.“ „Nein, ich kenne das so von dir.“ Cathan sah weiterhin auf die Straße, lächelte aber dennoch entschuldigend. „Ich muss übrigens zugeben, dass ich dir bis heute nicht geglaubt habe.“ Zur Antwort neigte Luan nur den Kopf, er wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. Aber Cathan übernahm auch schon das weitere Reden: „Ich war misstrauisch, was diese Zeitreise-Sache anging und dachte, vielleicht wärst du einfach nur ein Komplize all dieser Leute gewesen – oder dass du nicht der Luan bist, der die Briefe geschrieben hat.“ Das konnte er gut verstehen. Ihm wäre es auch nicht sonderlich leicht gefallen, das zu glauben. Obwohl, andererseits … zumindest früher wäre er naiv genug dafür gewesen. „Was hat dich jetzt überzeugt?“ „Du kanntest Kanes Namen. Und du wusstest, dass er derjenige ist, der bei uns kocht. Kein noch so guter Detektiv hätte das einfach herausfinden können. Nicht einmal Kieran weiß das.“ Natürlich, er hatte es schließlich erst erfahren, als Luan immer bei ihnen gewesen war. „Ich hoffe, dass du deine Ziele in dieser Zeitachse noch erreichen kannst“, sagte Cathan. „Wenn du schon solche Gefahren auf dich nimmst, sollte es sich auch auszahlen.“ Das dachte Luan auch. Deswegen stimmte er nur einsilbig zu, dass er das ebenfalls hoffte. Sein Blick wanderte wieder zu den Straßenlaternen, deren orange-farbenes Glühen in dieser Nacht viel intensiver als jemals zuvor zu sein schien. Kapitel 11: Ist es gefährlich? ------------------------------ Erst nach Bravas Bericht hatte Skalia ebenfalls beschlossen, dass etwas getan werden musste. So trafen sie sich in dieser Sonntagnacht, dem 12. Januar, auf dem Dach eines Hochhauses. Der kalte Wind zerrte an ihren Haaren, weswegen Brava sich immer wieder mit den Händen durch die Strähnen ging, in einem vergeblichen Versuch, sie zu bändigen. Dabei blickte sie fast schon neidisch auf Skalia, die Älteste von ihnen, deren langes rotes Haar sich kaum bewegte. Sie trug eine schwarze Uniform, die denken ließ, dass sie eine wichtige Person in irgendeiner Art wäre, aber falls es so war, verlor sie nie ein Wort darüber. Auch im Moment rückte sie nur ihre Brille zurecht, während ihre rot-braunen Augen über die hell erleuchtete Stadt schweiften. Der ferne Lärm des Straßenverkehrs brandete bis zu ihnen herauf. „Manchmal“, seufzte sie, „vermisse ich die Zeiten, als die Menschen nachts noch friedlich geschlafen haben und wir nur Nachtwächtern ausweichen mussten.“ Brava erinnerte sich nicht an eine solche Zeit. Sie wusste nicht, ob es daran lag, weil sie diese nur vergessen hatte oder weil sie nie in einer solchen gewesen war. Aber egal wie oft sie Skalia danach fragte, diese lächelte immer nur, mit einem bitteren Glitzern in den Augen. Was auch immer das bedeuten mochte, es war mit Sicherheit nichts Positives. Yurid, die Dritte im Bunde, schloss sich ihnen nun ebenfalls an. Ihre grünen Augen leuchteten regelrecht, vermutlich nicht nur wegen der Lichter, sondern auch wegen der Aufregung des Kommenden. Durch ihr pinkes Haar, das ihr gerade mal bis an den Nacken reichte, müsste sie eigentlich die wenigsten Probleme auf diesem Dach haben. Ihre Haarspange, die an ein stilisiertes Ziffernblatt erinnerte, gab einen deutlichen Hinweis auf ihre Fähigkeiten – aber Brava hoffte, dass sie nicht eingesetzt werden müssten. „Ist dir nicht kalt?“, fragte Brava sie. Yurid trug, gewohnheitsmäßig, nur kurze Shorts, ihr Oberteil, so viel es auch im Großen und Ganzen bedecken mochte, offenbarte ihre Brust. Auch mit ihrem roten Schal sah es aus, als müsste sie bei diesen Temperaturen furchtbar frieren. „Absolut nicht“, sagte Yurid lächelnd. „Ich bin schon richtig heiß auf diesen Kampf – und darum ist mir nicht kalt.“ Wie konnte sie sich nur so sehr darauf freuen? Brava deutete ein Kopfschütteln an und folgte nun Skalias Blick. Dieser war vollkommen auf den nicht weit entfernten Glockenturm der Kirche konzentriert. Dort war, kaum sichtbar, eine blau glühende Kugel platziert worden, sie schwebte nur wenige Meter neben den Glocken in der Luft. In regelmäßigen Abständen sandte sie einen Impuls von Feindseligkeit durch die Stadt. Menschen dürften diese nicht bemerken, Traumbrecher und Dämonenjäger hoffentlich ebenfalls nicht. Hexen fielen in dieser Gleichung auch aus, aber sie waren ohnehin die ungefährlichsten Gegner. „Und wenn es nicht funktioniert?“, fragte Brava. Skalia lächelte selbstsicher. „Es wird funktionieren, keine Sorge.“ Die Kugel leuchtete auf, ein helles Klingeln ertönte, dann schickte sie eine weitere Welle durch die Stadt. Für Brava erschien es einen Moment so, als zog gleichzeitig ein Riss durch die Realität, der sich gleich danach wieder schloss. Ihr Kopf begann davon zu schmerzen. Sie wollte sich entschuldigen, um sich Tabletten dagegen zu holen – da tauchte etwas aus dem Nichts neben der Kugel auf und verharrte dort schwebend. Es war ein Mensch, nein, er sah nur aus wie ein solcher, in Wahrheit aber- „Da ist der Vollstrecker“, sagte Skalia, „holen wir ihn uns.“ Yurid nickte zustimmend. Sie ballte eine Hand zur Faust – und der Lärm der Stadt erstarb. Wer in einem solchen Moment einen genaueren Blick auf die Menschen geworfen hätte, wäre in der Lage gewesen, festzustellen, dass sich keiner von ihnen mehr bewegte. Die Zeit stand buchstäblich still. Skalia machte einen Schritt nach vorne, direkt ins Leere. Unter ihren Füßen entstand ein roter Bannkreis, der es ihr erlaubte, einfach in der Luft zu stehen. Yurid machte ihr das sofort nach, worauf auch Brava diesem Beispiel folgte. Bei jedem weiteren Schritt entstanden neue Bannfelder unter ihren Füßen, so dass sie problemlos die Distanz bis zum Kirchturm hinter sich bringen konnten, wo Yurid ihren Zauber wieder aufhob. Der Vollstrecker befand sich immer noch dort, er musterte die blaue Kugel, vermutlich ohne sie einordnen zu können. Manch anderer wäre vermutlich überrascht gewesen, dass der Vollstrecker eine eklatante Ähnlichkeit zu Kieran aufwies, aber Brava gehörte da nicht dazu – hauptsächlich weil sie diesem Kieran noch nie selbst begegnet war. Sein emotionsloser Blick wanderte über die drei Frauen. „Ist das hier eure Lockkugel?“ „Das ist sie“, sagte Skalia. „Und sie funktioniert vortrefflich, Vollstrecker.“ „Rick.“ Brava tauschte einen verwirrten Blick mit ihren beiden Gefährtinnen. Er reagierte nicht wirklich darauf. „Das ist mein Name, Rick Nuallan.“ „Du hast wirklich einen Namen?“, fragte Yurid irritiert. „Warum denn nicht?“ In seinem Gesicht war kein Anzeichen einer Emotion zu sehen. „Ihr Nornen habt doch auch Namen, obwohl ihr keine benötigt.“ Sie tauschten einen Blick miteinander. Er wusste, wer sie waren. Möglicherweise wusste er dann noch wesentlich mehr über sie und ihre Welt. Aber woher bezog er diese Informationen? Skalia beschloss, das sofort herauszufinden: „Wie kommst du in diese Welt, Vollstrecker?“ Er zog die Brauen zusammen, entweder wegen des fehlenden Namens oder weil er nicht gern nach solchen Dingen gefragt wurde. Dennoch antwortete er: „Durch das Tor.“ „Was für ein Tor?“ Die Nornen hatten kein wirkliches Verständnis für Welten außerhalb ihrer eigenen. In jeder Welt gab es andere ihrer Art, jede achtete nur auf ihr Revier, deswegen gab es auch keine Notwendigkeit, dieses zu verlassen und aus diesem Grund wussten sie auch nicht, mit welchen Mitteln man sie verließ. „Das Weltentor.“ Er ließ sich nicht im Mindesten von ihrem Unwissen irritieren. „Und woher weißt du so viel über die Welt und uns?“, fragte Brava, um seine Gesprächigkeit auszunutzen. Er neigte den Kopf ein wenig. „Ich weiß es eben.“ Sie unterdrückte ein Seufzen der Frustration, das ihrer Kehle entkommen wollte. Da sie wohl keine weiteren Informationen aus diesem Gesprächsverlauf erhielten, beschloss Brava, etwas anderes zu fragen: „Warum hast du neulich diese Würmer aus dem Limbus auf mich gehetzt?“ Seine Gesichtszüge verzogen sich in offensichtlicher Verwirrung. „Ich habe keine Gewalt über irgendwelche Wesen im Limbus. Aber mir ist auch aufgefallen, dass sie nervöser erscheinen.“ Aufgrund seines Gesichtsausdrucks und seiner nach wie vor emotionslosen Stimme war Brava überzeugt, dass er wirklich nichts damit zu tun hatte. Sie bezweifelte, dass er das Konzept der Lüge überhaupt verstand. Skalia war aber noch nicht wirklich überzeugt: „Gut, das hast du vielleicht nicht getan – aber das heißt nicht, dass du hierherkommen und die Ordnung verändern kannst.“ Ihre Stimme, die normalerweise so mütterlich und warm klingen konnte, war bei diesen Worten hart und unnachgiebig, wie die einer Generälin, die gerade ihrem Feind gegenüberstand. Aber auch davon ließ Rick sich nicht beeinflussen: „Das habe ich nicht vor.“ „Huh?“ Yurid war nicht minder verwirrt wie Brava sich fühlte. „Aber was hast du denn hier vor? Es muss doch einen Grund geben, warum du hier bist – und warum du dich von unserem Lockmittel herführen lässt.“ Sie deutete auf die Kugel, was auch Ricks Aufmerksamkeit wieder darauf lenkte. „Oh, da wir gerade davon sprechen.“ Er schnippte nur mit den Fingern – und die blaue Kugel wurde sauber in zwei Hälften geteilt, die direkt verblassten und innerhalb kürzester Zeit verschwunden waren. „Ihr solltet nicht so unvorsichtig sein mit diesen Dingen. Und was ich hier vorhabe …“ Er zögerte für einen Moment, als überlege er, ihnen einfach zu vertrauen und ihnen die Wahrheit zu sagen, aber dann entschied er sich doch anders: „…ist meine eigene Sache. Es hat jedenfalls nichts mit euch zu tun.“ Skalia kommentierte diese Antwort mit einem humorlosen Lachen, dann zog sie ihr Schwert und hielt es ihm entgegen. „Unter diesen Umständen müssen wir, die Nornen dieser Welt, dich als Feind betrachten, Rick Nuallan, Vollstrecker des selbsternannten Weltenwächters.“ Sie spie das letzte Wort aus als beinhalte es Gift, und zum ersten Mal in dieser Unterhaltung wandelte sich etwas in Ricks Gesichtsausdruck. Es war nicht direkt Wut, aber zumindest zog er seine Brauen zusammen und bewies damit, dass er doch zu gewissen Emotionen fähig war. „In Ordnung“, erwiderte er schulterzuckend. „Aber wir müssen das auf unsere nächste Begegnung verschieben. Ich habe heute noch etwas zu tun.“ Und noch bevor eine von ihnen etwas erwidern konnte, flog er rasch davon, ohne große Mühe. Brava kam nicht umhin, diese Fähigkeit für einen kurzen Moment einfach nur sprachlos zu bewundern. „So einfach kommst du uns nicht davon!“, rief Skalia. Sie begann in einem rötlichen Licht zu glühen – und im nächsten Augenblick prallte Rick mit einem erstaunlich hörbaren Knacken gegen ein rotes Schild. Er nahm sich nicht die Zeit, sich um etwaige Verletzungen zu kümmern, genau genommen hielt er nicht einmal lange genug inne, um überhaupt festzustellen, ob er verletzt worden war. Seine Form zerplatzte in auseinderdriftende Schatten – und setzte sich nur den Bruchteil einer Sekunde später an einer anderen Stelle wieder zusammen, als er gegen ein weiteres Schild stieß, das diagonal zum ersten verlief. Wieder hielt er nicht inne, zerplatzte, um gleich danach direkt gegenüber aufzutauchen, dann versuchte er es nach oben, nach unten, wieder in ihre Richtung – aber das Ergebnis blieb immer dasselbe. Skalia schob ihre Brille mit einem Finger nach oben. „Gib es auf, Vollstrecker. Du bist in meinem Käfig gefangen – und der löst sich erst wieder auf, wenn ich es bestimme oder sterbe.“ Es sah nicht so aus, als wäre Rick an ihren Worten interessiert, noch immer löste er sich in Schatten auf, um dann an einer anderen Stelle wieder zu erscheinen, weil er erneut gegen das Schild prallte. „Und jetzt kürzen wir das ab“, verkündete Skalia dennoch, und begab sich selbst ins Innere des Käfigs, gefolgt von Yurid und Brava. Rick hielt erst wieder inne, als er sich in unmittelbarer Nähe zu ihnen befand. Eine blutende Wunde an seiner Stirn, sowie Blut, das aus einer leicht verbogenen Nase lief, verriet, wie stark er gegen die Wände des Käfigs gestoßen war. Möglicherweise hatte er auch noch mehr Verletzungen davongetragen, aber er ließ sich das nicht anmerken. Sein Gesicht sprach nun eher von Ungeduld. „Ich habe wirklich keine Zeit hierfür.“ „Das ist kein Problem“, sagte Yurid fröhlich und ballte die Hand zur Faust. Brava sah, wie der Verkehr auf der Straße unter ihnen schlagartig stoppte – aber Rick seufzte nur. „Ihr seid Nornen“, erinnerte er sie. „Derartige Zauber wirken nur auf alles, was eure Welt bevölkert. Ich gehöre nicht dazu.“ „Auch kein Problem“, sagte Yurid, die sich davon nicht niederschlagen ließ. In ihrer zur Faust geballten Hand erschien eine Waffe, die mit viel Fantasie wie zwei altertümliche Stunden- und Minutenzeiger aussahen, wenn sie gerade in einer Position waren, die es erforderten, dass sie eine gerade Linie bildeten. Die geschwungenen Linien, deren Ränder messerscharf waren, formten sich zu zwei Klingen, die mit einem Griff verbunden waren. Brava war, egal wie sie es betrachtete, immer wieder erstaunt, dass Yurid von ihnen dreien am besten für diese Aufgabe ausgestattet schien. Yurid griff sofort an, kaum dass ihre Waffe sich geformt hatte. Rick wich dem Angriff aus, nicht im Mindesten von den zuvor durch die Zusammenstöße erlittenen Wunden, beeinträchtigt. Yurid ließ die Waffe zur Seite schwingen, aber auch diesmal schaffte er es, um Haaresbreite, ihr auszuweichen. Skalia stürzte sich sofort ebenfalls in den Kampf, das Schwert fest in beiden Händen. Sie konnte nicht so schnell zuschlagen wie Yurid, aber sie versuchte, einen Vorteil daraus zu ziehen, dass sie erahnen konnte, in welche Richtung Rick auswich. Kaum bemerkte er, dass er zwei Feinde hatte, ließ er etwas aus dem Nichts erscheinen. Es war ein Rapier in seiner rechten Hand und ein Schild an seinem linken Unterarm. Damit konterte und wehrte er die weiteren Angriffe ab, in einer Geschwindigkeit, die es Brava fast unmöglich machte, wirklich zu erkennen, was eigentlich vor sich ging. Sie hörte lediglich eine schnelle Abfolge von Metall, das auf Metall traf, sah das Aufblitzen der einzelnen Waffen im Mondschein. Wie schafft er es, sich gegen sie beide gleichzeitig zu verteidigen? Obwohl ihm das gelang, blieb ihm allerdings keine Zeit, auch noch zu kontern. So war er eindeutig in eine defensive Haltung gedrängt, die auch ihm nicht zu gefallen schien. Er gab einen Laut von sich, der von Ungeduld zeugte, dann sprang er zurück, ein blaues Licht hüllte ihn ein. Es sah aus, als bereite er einen Angriff vor, den Brava ihn nicht durchführen lassen wollte. Sie griff nach ihrem Kompass, zog den Revolver hervor, legte an und schoss – alles innerhalb einer Sekunde, die sie dank ihrer Fähigkeit für alle anderen zu einer Ewigkeit anwachsen lassen konnte. Die abgeschossene Energiekugel traf Rick mit voller Wucht und schleuderte ihn mehrere Meter zurück, bis er gegen eine der Wände prallte. Yurid setzte sofort nach, allerdings nicht mit ihrer Waffe. Stattdessen ließ sie einen blauen Ball aus Energie erscheinen, der für einen kurzen Moment vor ihr schwebte, dann der Schwerkraft folgte – und dann von ihr getreten wurde, als wolle sie ein Tor beim Fußball schießen. Rick hatte es gerade erst geschafft, sich wieder aufzurichten, schien aber im Moment zu schwach, um auszuweichen, weswegen er erneut getroffen wurde. Seine Glieder zuckten und verkrampften sich, als die fremde Energie seinen Körper angriff, mit dem festen Vorhaben, ihn in dieser Welt auszulöschen. Das Fleisch löste sich wie von Säure berührt von seinen Knochen – aber es regenerierte sich sofort wieder, ohne ein weiteres Anzeichen einer Verbrennung zu zeigen. Er ist immerhin nicht umsonst der Vollstrecker des Weltenwächters. Auch wenn Brava seinen Wächter-Status und seine Einmischungen nicht einfach akzeptieren konnte, bedeutete das nicht, dass sie nicht zumindest seine Fähigkeiten anerkennen könnte. Skalia sprintete auf ihn zu, und stieß ihm – ehe er sich vollständig regenerieren konnte – das Schwert direkt durch die Brust, durch sein Herz. Tatsächlich gab Rick sofort jeglichen Widerstand auf, seine Glieder fielen nutzlos herunter, der Regenerierungsprozess stoppte abrupt. Für zwei Herzschläge herrschte angespannte Stille, dann- „Wir haben den Vollstrecker des Weltenwächters besiegt!“, verkündete Yurid fröhlich. „Wir können alles schaffen, was wir nur wollen!“ Noch immer den aufgespießten Rick haltend, schob Skalia zufrieden mit einem Finger ihre Brille wieder nach oben, sagte aber nichts. Brava dagegen fühlte sich ein wenig … enttäuscht. Vom Vollstrecker des Weltenwächters, einem Mann, der – laut den Geschichten – immerhin unzählige Dämonen und einen Gott besiegt und sich deswegen zum Wächter aller Welten emporgeschwungen hatte, hätte sie sich wesentlich mehr erwartet. Einen besseren Kampf, mehr Gegenwehr. Doch während sie gerade in ein düsteres Brüten versinken wollte, konnte sie deutlich eine Stimme hinter sich hören: „Denkst du, sie sind jetzt zufrieden?“ Sie wollte sich umdrehen, um ihn anzusehen, aber- „Sieh nicht her“, wies Rick sie an. „Schau weiter die beiden an.“ Warum sprach er gerade mit ihr, statt sie in dem Glauben zu lassen, dass er tot sei? Nur weil sie enttäuscht über diesen Kampf gewesen war? „Du verstehst, dass ich nichts Böses will. Ich weiß es.“ „Du hättest mich trotzdem in dem Glauben lassen können, dass du tot bist“, murmelte sie, damit Yurid und Skalia, die sich gerade die vermeintliche Leiche ansahen, sie nicht hörten. „Das hätte ich“, sagte er nach kurzem Nachdenken. „Aber ich wollte dir noch sagen, weswegen ich keine Zeit hatte, um mich wirklich mit euch auseinanderzusetzen.“ Vertrödelte er diese Zeit dann nicht gerade mit ihr? Oder wollte er damit andeuten, dass der Kampf, unter anderen Umständen, länger angedauert hätte? Hatte er etwa wirklich nicht sein volles Potential gezeigt? „In genau zwei Minuten wird etwas durch das Tor in diese Welt kommen“, fuhr er fort. „Etwas, dem ich hinterherjage. Hier wollte ich es abfangen.“ Ein Schauer lief über Bravas Rücken. „Ist es gefährlich?“ In einem solchen Fall fiele das auch in ihren Bereich und sie müssten ebenfalls etwas tun. Warum hatte er das nicht einfach von Anfang an gesagt? Sie hätten ihm doch helfen können. Er zögerte. „Es ist sehr gefährlich. Nicht nur für euch. Sondern auch für den Weltenwächter.“ Worum mochte es sich bei diesem Wesen nur handeln, wenn es sogar dem Wächter gefährlich wurde? „Ist es für dich nicht gefährlich?“ „Ich bin kein Lebewesen. Also, nicht in dem Sinne, wie ihr. Der aufgespießte Rick und ich, wir sind ein- und derselbe. Und während ich mit dir rede, stehen andere Ricks dort, wo ich seine Ankunft erwarte. Wir sind viele. Der einzelne ist ersetzbar.“ Das klang furchtbar traurig, wenn sie darüber nachdachte. Weswegen sie es erstaunlich fand, dass der als so gütig angepriesene Weltenwächter dieses Konzept für seinen Vollstrecker nutzte. „Ich fürchte“, fuhr Rick fort, „ich muss euch deswegen darum bitten, euch aus diesem Kampf herauszuhalten. Er ist unberechenbar – und ich möchte nicht, dass euch oder dieser Welt etwas geschieht.“ Das waren nachvollziehbare Gründe – die sie aber dennoch hätten ablehnen müssen. Sie trugen nach wie vor die Verantwortung für diese Welt. „Wer hat euch diese übertragen?“, fragte Rick, nachdem sie es laut ausgesprochen hatte. Das war eine Frage über die Brava noch nie nachgedacht hatte. Warum auch? Sie kannte ihre Existenz an sich. Kannte ihren Grund dafür. Sie war kein Mensch, der ein göttliches Wesen erst darum bitten musste, ihr einen solchen Grund zu nennen. Und doch stand sie nun hier und grübelte darüber, wer die Nornen und ihr Konzept eigentlich ursprünglich erschaffen haben mochte. Sie konnte keine Antwort finden und Rick ihr keine geben, denn in diesem Moment war es, als zerbreche ein Teil des Himmels – und durch den entstandenen Riss strömte ein reines, geradezu göttliches Licht in die Welt hinein. „Das ist mein Stichwort“, sagte Rick. „Ich muss gehen.“ Sie hörte, wie er sich auflöste, aber das war schon nicht mehr sonderlich wichtig, denn alle drei Nornen blickten gleichermaßen gebannt auf das Lichterspektakel, das sich ihnen bot. „Was geschieht da gerade?“, fragte Yurid ratlos. „Wir sollten dem auf den Grund gehen“, sagte Skalia entschlossen. Die Wände des Käfigs lösten sich wieder auf, genau wie all ihre Waffen, die Leiche zersprang in unzählige helle Funken. Yurid ließ erneut die Zeit anhalten, in einem Versuch, nicht noch mehr Menschen als nötig Zeuge dieses Phänomens werden zu lassen. Während sie zu dem Riss hinüberhasteten, musste Brava wieder an Ricks Worte denken. Was immer in diesem Licht in diese Welt kam, war gefährlich. So sehr, dass er sogar den Weltenwächter nervös machte. Worum mochte es sich dabei handeln? Und warum legte es dabei einen derart auffälligen Auftritt hin? Und was wollte es überhaupt in dieser Welt? Doch noch ehe sie die Stelle erreicht hatten, schloss sich der Riss bereits wieder, das Licht erlosch, der Himmel fügte sich wieder zusammen, als wäre er an dieser Stelle nie zerbrochen. So konnten sie nur noch verwirrt unter dem betroffenen Fleck stehen und ratlos die Sterne anstarren, die keinerlei Anzeichen für etwas Ungewöhnliches aufwiesen. Brava spürte auch keinerlei fremde Entität in der Nähe, die nicht in diese Welt gehörte. War dieses Licht am Ende nur ein Ablenkungsmanöver gewesen? „Was machen wir jetzt?“, fragte Yurid. Es gab keinerlei Spuren zu verfolgen, nichts, was darauf hinwies, dass irgendeine Gefahr von diesem Licht ausgegangen war. Und dennoch hatte Brava das Gefühl, als müssten sie irgendetwas tun. Skalia sah zu Yurid hinüber und runzelte die Stirn. „Ich würde vorschlagen, dass wir die Mission für heute erst einmal beenden.“ Als Brava ihrem Blick folgte, bemerkte sie auch sofort den Grund dafür, ihr Herz wurde schwer: Eine von Yurids normalerweise pinken Strähnen hatte sich schneeweiß gefärbt. „Oh“, gab die Geschädigte überraschend fröhlich von sich. „Ich habe meine Kräfte wohl etwas zu viel genutzt, was?“ Zeit war ein stetiger Fluss, der aus der Vergangenheit kam und durch die Gegenwart in Richtung Zukunft floss. Wer sie zu beeinflussen versuchte, indem er sie anhielt oder auch nur eine Sekunde in die Ewigkeit streckte, musste schwere Strafen in Kauf nehmen – das galt selbst für sie als Nornen, als Hüterinnen dieses Flusses. „Ich werde mich zu Hause dann mal ein wenig ausruhen~.“ „Dann lasst uns jetzt gehen“, sagte Skalia zufrieden. „Es macht keinen Sinn, hier weiter herumzustehen – und immerhin haben wir den Vollstrecker besiegt, es war eine erfolgreiche Nacht.“ Brava wusste, dass dem nicht so war, aber sie wagte keinen Einspruch. Sollten die anderen ruhig erst einmal denken, dass Rick tot war. Vielleicht gelang es ihm ja, diese Gefahr, sofern sie denn existierte, selbst auszuschalten – oder es war ihm bereits gelungen. Sie konnte nur hoffen, während sie ihren Schwestern folgte, um zu ihrem Zuhause zurückzukehren. Von allen Personen in Cherrygrove, die in dieser Nacht noch wach und unterwegs waren, gab es nur einen einzigen Mann, der die Nornen über den Verbleib des Risses und die Bedeutung des Lichtes hatte nachdenken sehen. Er saß auf dem Dach eines Bürogebäudes, nicht weit entfernt von den Schwestern, aber keine von ihnen hatte ihn bemerkt. Seine Aura zu verbergen gelang ihm immer besser. Kaum waren die Nornen fort, bestätigte er einige der Aktionen auf seinem Tablet. Das Display glühte in einem grünen, unweltlichen Licht, das sich auch in seinen Brillengläsern spiegelte, hinter denen ein grünes und ein goldenes Auge desinteressiert die fremdartige Schrift auf dem Tablet betrachteten. Er konnte sie lesen, diese geschwungene, schnörkelige Schrift, er verstand die Worte, die sie formte, ganz im Gegensatz zu den meisten derer, die sein Schicksal teilten. Dank seines Wissens und dieses Instruments in seiner Hand, wusste er, anders als die Nornen, ganz genau, was gerade geschehen war, welche Gefahr diese Welt betreten hatte und was das für sie alle bedeuten mochte. Aber er hegte kein Interesse daran, diese verkommene, ihn verfluchende Welt zu retten. Nein, alles, was ihn interessierte, war die Rettung einer einzigen Person und diese würde er durchführen, auch gegen deren Willen. „Konia“, murmelte er kaum hörbar, seine Stimme nur für die Ohren jener Frau bestimmt, die ihn so oft von sich gestoßen hatte. „Wir werden nach Niflheim zurückkehren – gemeinsam.“ Mit diesen Worten schaltete er das Tablet aus, ließ das Display schwarz werden – und einen Windhauch später, befand sich niemand mehr auf diesem Dach. Kapitel 12: Hat sie denn etwas mit Albträumen zu tun? ----------------------------------------------------- Den Sonntag verbrachte Luan damit, sich in einem der Zimmer in Abteracht einzurichten. Parthalan hatte ihm verkündet, dass er, da er ja nicht verletzt war, nicht mehr auf der Krankenstation bleiben müsste, aber das änderte nichts daran, dass er Abteracht nicht allein verlassen durfte. Im Gegensatz zum letzten Mal – noch in der alten Zeitachse – war Luan diesmal nicht in einem Gemeinschaftsquartier für Schüler untergebracht, sondern in einem Einzelzimmer für Lehrer. Eigentlich war es mehr eine kleine Wohnung. Kam man zur Tür herein, stand man direkt im Wohnzimmer, hinter einem Raumtrenner war ein Bett, um die Ecke gab es eine kleine Kochnische und eine Tür führte ins Badezimmer. Sogar ein Esstisch, mit Platz für drei Personen und auch die entsprechenden drei Stühle waren vorhanden. Es gab zwar Fenster, aber sie zeigten nicht hinaus, sondern simulierten lediglich eine äußere Umgebung. Luan sah einen bewölkten Himmel und Bäume, die im Wind raschelten – aber zu seiner Verwunderung wirkte alles so, als sei es gezeichnet und animiert worden. Dabei kam sogar Kälte herein, als er das Fenster öffnete, begleitet von dem Geruch baldigen Schneefalls. Luan schloss das Fenster wieder und setzte sich auf das Sofa, das einem Fernseher gegenüberstand. Wirklich genau wie früher. Wie finanzierte Abteracht das alles nur? Das tut doch nichts zur Sache, ermahnte Luan sich. Was soll ich jetzt tun? Wenn er wirklich wollte, dass alles besser wurde, benötigte er jemanden, der mehr mit dieser Zeit verwurzelt war als er. Er bräuchte einen Komplizen. Aber wer wäre dazu bereit, ihn zu unterstützen? Für sie alle war er ein Fremder, außer für Jii, Amy und Mya. Doch die Zwillinge konnte er nicht fragen, und Jii war auch mit der eigenen Arbeit beschäftigt. Er starrte auf die schwarze Fläche des ausgeschalteten Fernsehers, sah seine eigene Spiegelung und glaubte gleichzeitig, Kians wütendes Gesicht zu sehen. Inzwischen tobte er nicht mehr, aber er konnte seinen brodelnden Zorn nach wie vor spüren. Luan konnte ihn verstehen, aber nun gab es kein Zurück mehr. Um sich und Kian abzulenken – sofern das möglich war – dachte Luan an die Zeit, die er damals in Abteracht verbracht hatte. Er war im Quartier von Daragh und Zashi gewesen, die ihn beide überaus freundlich willkommen geheißen hatten. Zashi mit einer Aussage über die Zukunft und Daragh mit einer magisch erschaffenen Zuckerstange – und im Moment vermisste Luan diese Süßigkeit schrecklich. Mit Sicherheit hätte sie ihm die Einsamkeit genommen. Er hatte die Bürde auf sich genommen, in dieser Welt, dieser Zeitachse, die Einsamkeit zu schultern. Er war hierfür verantwortlich, also musste er die Bürde ertragen. Doch gerade als er sich in dieses Gefühl zurückziehen wollte, hörte er ein Klopfen an der Tür. Es klang fest und entschlossen, fast konnte er sich vorstellen, wie die Person mit durchgestrecktem Rücken dastand und darauf wartete, hereingebeten zu werden. Aber wer sollte ihn besuchen kommen? Parthalan war erst vor weniger als einer Stunde wieder gegangen und er wirkte nicht wie jemand, der etwas vergaß. Wollte Cerise ihn vielleicht besuchen? Nein, bei ihr wäre es sicher ein sanfteres Klopfen gewesen. Als es noch einmal erklang, bat er die Person herein, um seinen Spekulationen ein Ende zu bereiten. Die Person, die hereinkam, war ihm im ersten Moment vollkommen fremd. Es war eine Frau in einer grünen Uniform, deren offene Jacke ein blütenweißes Hemd zeigte. Auf ihrem, zu einem breiten Pferdeschwanz hochgebundenen honigblonden Haaren thronte ein zur Uniform passendes Barett. Durch ihre rot-gerahmte Brille musterten ihn blaue Augen als wüssten sie bereits genau, wer er war, während er noch rätselte. Ein Hauch von Autorität umgab diese Frau, aber auch eine Verspieltheit, die einen dazu zu bringen versuchte, ihr selbst dann zu folgen, wenn sie vor einem dunklen Wald stand und einen mit dem deutlich sichtbaren Messer in der Hand hineinzulocken versuchte. Sie strich die Falten ihres Rockes glatt, nachdem sie stehengeblieben war, dann lächelte sie. „Es freut mich, dich endlich zu treffen, Luan.“ Erst als er ihre Stimme hörte, konnte er sie endlich einordnen: „Seline?“ Sie nahm sein Erkennen erfreut zur Kenntnis. „Wirke ich so anders als in deiner Zeit?“ Luan wusste gar nicht, wo er anfangen sollte, um zu erklären, wie anders sie nun wirkte. In seiner Zeit war sie zwar schon außergewöhnlich gewesen, aber da haftete auch immer ein Hauch von Distanz an ihr; etwas, das sie unantastbar und gleichzeitig losgelöst von allem hatte wirken lassen. Damals war er davon fasziniert gewesen, aber wenn er nun so darüber nachdachte, musste solch ein Leben auch sehr einsam gewesen sein, unabhängig davon, dass sie die Tochter eines legendären Dämonenjägers war und ebenfalls auf dem Weg gewesen war, diesen Titel für sich selbst zu beanspruchen. „Liegt das nur an deinem Wechsel nach Athamos?“ Sie neigte den Kopf ein wenig. „Gut möglich. Nachdem ich endlich aus dem Schatten meines Vaters getreten bin, fühlte ich mich jedenfalls gleich wesentlich freier.“ Er wollte fragen, was nun mit Russel sei, aber er traute sich nicht. Es war ihre Sache und außerdem war sie sicher nicht ohne Grund hier, wonach er auch gleich fragte. „Oh ja. Jii schickt mich, um als Repräsentantin von Athamos mit dir zu sprechen.“ „Worüber? Ich habe ihm doch schon alles erzählt.“ Seline nahm sich einen der Stühle vom Esstisch und setzte sich darauf. Dabei fielen Luan die schwarzen Stiefel auf, die sie trug und die bis an ihre Knie reichten. Sie wirkten ein wenig grobschlächtig, nicht als ob sie für eine Frau gemacht worden waren, aber sie störte das nicht. „Heute Nacht“, begann sie, „nach Mitternacht, kam es zu einem Vorfall in der Stadt.“ Das verwirrte ihn allerdings. Er war, abgesehen von dem Besuch bei den Lanes am Abend zuvor, seit Tagen nicht mehr draußen gewesen. Warum glaubten sie, er könnte dazu etwas sagen? Diese Frage musste ihm wohl ins Gesicht geschrieben stehen, denn sie antwortete darauf, ohne dass er sie aussprach: „Natürlich wissen wir, dass du dich nicht außerhalb von Abteracht bewegt hast, aber wir hatten die Hoffnung, du wüsstest dennoch etwas darüber.“ Dann müsste sie ihm wohl erst einmal erklären, worum es genau ging. Sie kam dem sofort nach, als er sie darauf ansprach: „Um genau zwölf Uhr siebenundvierzig, ist in einem Viertel der Stadt der Himmel zerbrochen. Durch diesen Riss strömte ein goldenes Licht herein.“ So erschreckend wie der erste Teil klang, so schön erschien ihm der zweite. Was könnte man gegen goldenes Licht einzuwenden haben? „Wir wissen nicht, wodurch es ausgelöst wurde und was es zu bedeuten hatte, aber normal war es keinesfalls.“ Dennoch hätte Luan es zu gern gesehen. Aber er konnte sich nicht an ein derartiges Ereignis in seiner Zeitachse erinnern, er wüsste nicht einmal, wer für so etwas verantwortlich sein könnte. „Vielleicht solltet ihr Ares fragen“, schlug er deswegen vor. „Er weiß wahrscheinlich mehr.“ Doch statt zu nicken, runzelte sie die Stirn. „Wer ist Ares?“ Natürlich, wie hatte er das vergessen können? Wenn all diese Ereignisse nie geschehen waren, dann waren auch Ares, Haze und Morte niemals in diese Welt gekommen. Aber was taten sie dann nun? Mein Kopf fängt wieder an wehzutun. Er hätte nie gedacht, dass Zeitreisen so viele Probleme aufwerfen könnten. Kein Wunder, dass niemand sonst versuchte, damit seine Schwierigkeiten zu regeln. „Niemand“, sagte er schließlich. „Wenn ihr ihn nicht kennt, ist es nicht so wichtig.“ Auch wenn er gern mit Ares über das alles gesprochen hätte. Vielleicht wäre es diesem möglich gewesen, ihm Ratschläge zu geben, an die er gerade nicht denken konnte. Aber selbst wenn nicht, Ares' Ruhe war immer erholsam genug gewesen, um die mit ihm besprochenen Probleme zu vergessen oder sie zumindest als nicht mehr allzu belastend zu empfinden. Seline tippte sich nachdenklich gegen die Schläfe. „Ich dachte mir bereits, dass du nichts weißt. Aber einen Versuch war es jedenfalls wert.“ Also war es wirklich nur ein Schuss ins Blaue gewesen. Hatte man gehofft, Luan sei plötzlich für alle Probleme oder Seltsamkeiten in dieser Welt verantwortlich? Wenn sie allerdings schon da war … „Seline? Deine Schwester, Joy, ist sie noch die Anführerin von Adhara?“ Über diese Frage wirkte sie überrascht, aber ihre Stirn glättete sich sofort wieder. Offenbar war sie auch skeptisch gewesen, was seine Geschichte anging. „Ja, ist sie. Warum? Möchtest du mit ihr sprechen?“ Spontan konnte Luan sich nicht daran erinnern, jemals mit Joy direkt gesprochen zu haben. Vielleicht war es auch nur in seinem Gedächtnis verschwunden, nachdem er sich in den letzten Jahren immer nur an Kieran erinnert hatte, alles andere war unwichtig gewesen. „Nein. Aber … könntest du vielleicht etwas für mich fragen?“ Sicher wäre es möglich gewesen, selbst zu fragen, aber er traute sich nicht so recht. Was, wenn sie nein sagte? Wenn sie ihm auch einen Vortrag über seine Gedankenlosigkeit hielt? Glücklicherweise störte Seline sich nicht daran, sie beugte sich sogar ein wenig vor, als wüsste sie, dass es ein Geheimnis bleiben sollte. „Was soll ich sie denn fragen?“ Luan legte eine Hand auf seine Brust in der ein Feuer zu brennen schien. Kian verlangte, dass er es fragte, er konnte nicht wieder zurückweichen. „Wäre es möglich, dass sie einen Körper formt, der so ist wie meiner? Nur mit roten Augen?“ Seline blinzelte einmal. „Gefallen dir deine nicht mehr?“ „Nein, ich … in mir lebt noch eine andere Seele und-“ „Diese möchte einen eigenen Körper“, schnitt sie ihm das Wort ab. „Ich werde Joy darum bitten. Versprechen kann ich nichts, aber eigentlich gibt es keinen Grund, das abzulehnen.“ Dieses schnelle Einverständnis machte Luan im ersten Moment misstrauisch, da er der Meinung war, dass es bedeuten musste, dass Seline mehr wusste als er gedacht hätte. Oder sie ahnte etwas. Aber er wollte nicht danach fragen, er wollte einfach nur, dass sein Wunsch erfüllt wurde. „Danke, Seline.“ Sie nickte, dann griff sie in ihre Tasche und reichte ihm eine Karte. „Falls doch noch etwas sein sollte, ruf mich einfach an. Aber ich sage dir auf jeden Fall rechtzeitig Bescheid, wenn Joy zusagt, diesen Körper zu schaffen.“ Luan bedankte sich und erhob sich gemeinsam mit Seline. Er wusste, dass sie sich gleich verabschieden würde, deswegen musste er sofort fragen, was ihm noch auf der Zunge brannte: „Was ist eigentlich aus dir und Russel geworden?“ Ihre Augenbrauen hoben sich erstaunt, aber sie antwortete nicht. Jedenfalls nicht sofort. „Was sollte denn aus uns geworden sein? Seit ich in Athamos bin, sehen wir uns nur selten. Es gibt ja auch keinen Grund mehr dafür.“ Hatte er damit Selines und Russels Leben verbessert oder verschlechtert? „Das ist schade“, sagte er dennoch. Ein deutlich sichtbarer Schatten huschte über ihr Gesicht. Luan bereute bereits, das Thema angesprochen zu haben, da es sie derart mitzunehmen schien. „Ja“, sagte sie nach einer kurzen Pause. „Das finde ich auch.“ Dann deutete sie ein kurzes Kopfschütteln an. „Ich muss dann wieder gehen. Wir müssen diese Sache noch untersuchen.“ „Hat sie denn etwas mit Albträumen zu tun?“ Ansonsten wüsste er nicht, warum gerade Traumbrecher sich diesem Vorfall annehmen müssten. Sie zuckte mit den Schultern. „Auch das wissen wir nicht. Aber wir haben kaum Probleme mit Albträumen, also sind wir die Gruppe, die am meisten Zeit dafür haben.“ Woher mochte es kommen, dass es so viele Dämonen und – vermutlich – auch Flüche gab, aber kaum Albträume? Kümmerte Seline sich vielleicht derart gut um Eden Howl, dass die Albträume die meiste Zeit ruhig waren? Er hoffte, dass es wirklich so war, damit zumindest eine Sache durch seine Einmischung gut gelaufen war. „Mach es gut, Luan. Und melde dich, falls irgendetwas sein sollte.“ Sie lächelte wieder. „Ich werde dich auf jeden Fall anrufen, wenn Joy zugesagt hat.“ Er wollte einwerfen, dass er kein eigenes Telefon habe, aber dann fiel ihm ein, dass sie vermutlich ohnehin meinte, dass sie jemand anderem die Nachricht geben und dieser sie dann einfach weitergeben müsste. Deswegen verabschiedete er sich nur ebenfalls von ihr, mit einem Lächeln, damit sie nicht das Gefühl bekam, ihn gestört zu haben. Zumindest Kian war nun wirklich ein wenig ruhiger, das Feuer brannte nicht mehr so stark. „Ich finde schon allein zur Tür, setz dich einfach wieder. Und hab noch einen schönen Sonntag.“ Damit fuhr sie herum und war mit raschen Schritten schnell zur Tür hinaus. Als diese sich hinter ihr schloss, fühlte Luan sich plötzlich einsamer als je zuvor. Er hatte den Entschluss gefasst, hier Dinge zu ändern, zu verbessern, aber Selines Auftreten zeigte ihm, woran es ihm noch mangelte, abgesehen von einem Partner, der hier verwurzelt war: Autorität. Selbst wenn er eine geniale Idee haben sollte, um eine Änderung anzuregen, warum sollte jemand auf ihn hören? Darüber musste er wohl als erstes nachdenken. Deswegen setzte er sich wieder auf das Sofa, starrte auf den leeren Stuhl, auf dem Seline zuvor gesessen hatte, und dachte darüber nach, wie er jemanden mit Autorität als seinen Helfer gewinnen könnte. Als Seline die Tür hinter sich geschlossen hatte, fiel ihr Blick sofort auf Ciar. Er lehnte nur wenige Meter entfernt an der Wand, die Arme vor der Brust verschränkt, einen Fuß ungeduldig wippend. Kaum entdeckte er sie ebenfalls, löste er sich von seiner Stütze und ging ihr entgegen. „Also?“ Manchmal fiel es ihr noch schwer, Ciar zu durchschauen, auch wenn sie schon seit einigen Jahren Partner waren, aber in diesem Moment sah sie es deutlich: In seinen Augen flackerte Neugierde und Hoffnung, und sie wusste nicht, was davon stärker war. „Du hattest recht.“ Sie kam direkt auf den Punkt, damit er sich nicht mehr quälen musste. „In Luan lebt noch eine andere Seele – und er hat mich gebeten, Joy nach einem neuen Körper für diese andere Person zu bitten.“ Sie hatte nicht nach dem Namen der anderen Seele gefragt, denn sie war überzeugt, dass Ciar sich auch mit dieser Information nicht irren könnte. Dieser atmete gerade auf, als wären unzählige Steine von seinem Herzen gefallen. „Ich wusste es doch. Ich bin nicht verrückt.“ „Niemand hat gesagt, dass du verrückt bist.“ Ciar strebte an ihr vorbei zu Luans Tür, hielt dann aber doch wieder inne. „Aber ihr habt es gedacht, da müsst ihr mir nichts vormachen.“ „Jii hat dir geglaubt.“ „Hat er nicht. Er wusste, dass es stimmt, das ist nicht dasselbe.“ Haarspaltereien. Aber sie wusste, dass es sinnlos war, ihn darauf hinzuweisen. Sobald es um Jii ging, war Ciar für Argumente nicht mehr zugänglich. Genau wie umgekehrt. „Können wir dann jetzt gehen?“, fragte sie. „Er wusste nichts über den Riss oder das Licht.“ Ciar fuhr herum. „Nicht? Dann müssen wir das immer noch untersuchen?“ „Nur wenn du nicht wieder Ärger mit Jii haben willst.“ Für einen kurzen Moment sah es aus, als denke er wirklich darüber nach, das in Kauf zu nehmen. Da es aber auch auf sie zurückfallen würde, redete sie weiter: „Außerdem kannst du ihn jetzt nicht einfach überfallen. Luan wirkt schon traumatisiert und traurig genug. Wenn du jetzt diesen Kian anspornst, weil du dich an ihn erinnerst, wird es nur schlimmer.“ Oder eher: Weil er von ihm geträumt hatte. Seline war deswegen immer skeptisch gewesen, hatte das auf irgendeine Sehnsucht geschoben, die Ciar sich nur nicht eingestehen wollte. Aber nun konnte sie es wohl nicht mehr verleugnen. Schnaubend verschränkte er wieder die Arme vor der Brust, machte aber zumindest keine Anstalten mehr, Luans Wohnung zu betreten. „Fein“, sagte Seline. „Können wir uns dann jetzt den Ort genauer ansehen, an dem der Riss aufgetreten ist? Vielleicht finden wir dort noch irgendeinen Hinweis.“ Er brummte etwas, das sie nicht verstehen konnte, dann ging er erneut an ihr vorbei, diesmal in Richtung des Ausgangs. Sie bedankte sich lächelnd und folgte ihm. Bevor sie um eine Ecke bog, warf sie noch einen letzten Blick zu Luans Tür zurück. Derjenige, der die Zeit durchschritten und die Welt verändert hat … Doch ehe sie den Gedanken beenden konnte, schüttelte sie mit dem Kopf und folgte Ciar weiter, um ihrer Mission nachzugehen. Kapitel 13: Es ging mir darum, dich zu treffen. ----------------------------------------------- Es gab, so friedlich es in Athamos auch war, eine Sache, an die man sich in unregelmäßigen Abständen doch gewöhnen musste: Lautes Knallen mit der Tür der Krankenstation, verbunden mit dem nicht minder lauten Fluchen des Verursachers. Spätestens an dieser Stelle wusste man sofort, dass man jener Person erst einmal aus dem Weg gehen sollte – wenn man das nicht ohnehin schon immer tat. Der Verursacher dieser Ruhestörung entfernte sich stampfend und fluchend von der Krankenstation, sein schulterlanges rosa Haar, das zu einem Pferdeschwanz gebunden war, wehte hinter ihm. Durch seine Brille wirkten seine grünen Augen, die vor Wut glitzerten, noch gefährlicher als ohnehin schon. Hinter ihm folgte Vane Belfond, der durch seine langen Beine keinerlei Probleme aufwies, ihm zu folgen. „Rowan, deine Behandlung ist noch nicht fertig.“ „Ich sage, sie ist fertig!“, erwiderte dieser über seine Schulter hinweg. In seiner Brust tobte ein schmerzhafter Schneesturm, der ihm das Atmen erschwerte, aber er dachte nicht daran, anzuhalten. Er hatte Vane eine Untersuchung erlaubt, weil Jii ihn dazu aufgefordert hatte, und die war nun vorbei. Den Rest könnte er von seinem Bruder Nevin machen lassen. „Bleib stehen!“, forderte Vane mittels seiner Prägung. Die Stimme hallte in Rowans Kopf wider, übernahm seinen Geist und verlangte von ihm, dem Befehl zu folgen. Aber er widersetzte sich diesem mit knirschenden Zähnen, mit protestierenden Muskeln, die sich plötzlich steif anfühlten. Selbst die darauf folgenden Kopfschmerzen, die wie ein Pressluftbohrer in seinem Gehirn wüteten, brachten ihn nicht dazu, innezuhalten. Vane folgte ihm hartnäckig weiter, so dass Rowan keine andere Möglichkeit blieb als Athamos wahllos durch eines der Portale zu verlassen. Er wusste, dass der Arzt ihm wegen möglicher Notfälle nicht hinausfolgen würde. Kaum draußen angekommen, wurde er von einem kalten Lufthauch begrüßt, der dem Sturm in seinem Inneren Konkurrenz machte. Aber zumindest wurde er wirklich nicht mehr verfolgt. Deswegen konnte er stehenbleiben und in seine Tasche greifen. In dieser verlassenen Gasse, in die das Portal ihn befördert hatte, mochte ihn zwar gerade niemand sehen, aber er musste immer noch seine angestaute Wut abbauen und konnte daher nicht hier bleiben. Deswegen zog er eine schwarze Mütze hervor, die er sich über das Haar stülpte. Eine Jacke benötigte er glücklicherweise nicht. Seine Wut und seine Muskeln hielten ihn selbst in dieser Kälte noch angenehm warm. Aber seine Haare mussten so gut wie möglich verdeckt sein. Sobald das geschehen war, verließ er die Gasse mit schweren, zornigen Schritten und mischte sich, wenngleich ungern, unter die Menschen der Einkaufsmeile. Von solchen gab es mehrere in Cherrygrove, aber jene, in der er gelandet war, konnte zweifelsohne als die größte bezeichnet werden. Neben Lebensmittelhändlern aus verschiedensten Teilen der Welt – Nevin kaufte gern bei dem asiatischen Laden, während Rowan den Italiener und den Griechen bevorzugte – reihten sich auch teure Warenhäuser aneinander, konkurrierten mit den ansässigen Modeläden und exklusiven Juwelieren um Kunden, Buchhandlungen standen wie Friedensstifter zwischen ihnen und priesen noch immer eine Botschaft der Nächstenliebe mit ihrem aktuellen Programm an, ein einsamer Laden für Jagdbedarf bot speziell gefertigte Messer an und ein veraltet wirkender Comicladen stellte die Tradition des Beginns der Einkaufsmeile dar; ferner gab es dann noch die kleinen Kioske, in denen Zeitschriften oder Leckereien verkauft wurden, für die Rowan nie einen Blick übrig hatte. Entsprechend dieses reichhaltigen Angebots gab es hier aber auch einen stetigen, nie abreißenden Strom an Menschen, die zum Einkaufen oder Schlendern herkamen, pflichtvergessen in ihre Gespräche oder vielleicht sogar ihr Essen vertieft. Manche lauschten auch entzückt den zahlreichen Straßenmusikanten oder begutachteten neugierig die Show eines Artisten, die von den Menschen angezogen wurden, wie die Motten vom Licht. Typisch, dachte Rowan. Natürlich lande ich ausgerechnet hier. Als wäre es nicht schon schlimm genug, dass Nevin ihn manchmal drängte, hier mit ihm einkaufen zu gehen und danach noch etwas zu essen. Aber nun war er schon hier, und es war besser als sich weiter von diesem Arzt behandeln zu lassen. Die Kälte in seiner Brust konkurrierte weiter mit jener von außerhalb und erschwerte ihm die Atmung. So schlimm war es bisher noch nie gewesen. Natürlich, es hatte Zeiten gegeben, in denen er so ähnlich gefühlt hatte, als ob eine innere Existenz nach seinem Körper zu greifen versuchte, um noch mehr Chaos und Zerstörung anzurichten, aber dieses Gefühl hatte immer nur für wenige Minuten, Sekunden gar, angehalten. Der Gedanke an Nevin hatte meist genügt, um es wieder verschwinden zu lassen. Spätestens der Gesang desselben hatte es besser werden lassen. Inzwischen hielt dieser Zustand aber schon seit zwei Tagen an. Egal, wie viel Nevin sang, diese innere Existenz wollte nicht schwinden, nicht nachlassen. Wenn das so weiterging, würde er davon verschlungen werden und Nevin bliebe allein zurück. Der Gedanke an diesen, seinen jüngeren Bruder, der ebenfalls Traumbrecher war, bereitete ihm Sorgen. Was sollte aus ihm werden, wenn Rowan verschwand? Wer sollte ihn beschützen? Nevin war viel zu gut für diese Welt und wurde bestimmt von der erstbesten Person ausgenutzt, die ihn traf und ihm nicht ebenfalls mit aufrichtiger Freundlichkeit begegnete – und es war nur eine Frage der Zeit, bis es dazu käme. Bislang war es Rowan gelungen, das zu verhindern, aber wer führte diese Arbeit fort, wenn er nicht mehr da war? Chander, der Freund seines Bruders? Er schnaubte wütend. Lächerlich! Chander hatte solche Angst vor der Welt, dass er sich nicht einmal traute, sich anderen Menschen zu zeigen. Er könnte Nevin niemals beschützen. Wenn es schon ein Mann sein musste, warum dann nicht ein richtiger? Das hatte er Nevin so oft gefragt, aber dessen einzige Antwort hatte aus einem sanften Lächeln und den Worten Das Herz will, was das Herz will bestanden. Rowan wusste bis heute nicht, was das überhaupt bedeuten sollte. Wann immer er nachhakte, bekam er von Nevin nur ein kurzes Tätscheln des Kopfes, gefolgt von einem Das erfährst du bestimmt noch. Das half ihm aber im Moment nicht weiter. Deswegen kämpfte er noch immer gegen diese Existenz, nur wegen Nevin. Er durfte nicht allein zurückbleiben. Nicht ohne einen besseren Schutz als seinen jetzigen. Während er noch darüber nachdachte und dabei immer weiter lief, war er diesen verschiedenen Musikstilen, die hier gespielt wurden, ausgeliefert. Vor einem Kaufhaus stand ein Mann mit einer Drehorgel, deren Töne schief klangen; einige hundert Meter weiter führte ein kleines Orchester seine Künste vor, doch klang es mehr danach als fehlte ihnen die Übung; von der anderen Straßenseite tönte die zu laute seichte Popmusik aus einem anderen Einkaufscenter. Das war alles kein Vergleich zu der Stimme von Nevin, der immerhin zu den Traumbrechern mit Schall-Prägung gehörte. Jeder von ihnen besaß eine samtene, volle Stimme, die durch die Prägung noch um ein Vielfaches verstärkt wurde. Er bog in die erste Seitenstraße, die sich ihm bot und die von Bäckern und Fressbuden gesäumt war, um dieser schrecklichen Musik zu entkommen – doch schon nach wenigen Schritten hörte er das einsame Spiel einer Gitarre. Für einen Moment überlegte er, umzukehren, doch dann dachte er sich, dass dieses einzelne Instrument wesentlich besser zu ertragen wäre als der Lärm auf der Hauptstraße. Also setzte er seinen Weg fort, in der Absicht möglichst schnell vorbeizukommen, aber dann hörte er, wie die Sängerin einsetzte: „If God had a name, what would it be? And would you call it to His face? If you were faced with Him in all His glory? What would you ask, if you had just one question?“ Es war wie ein Blitz, der durch ihn fuhr, aber es fühlte sich gut an, nicht schmerzhaft. Die Stimme, die so dunkel und klar klang, hüllte ihn vollkommen ein und beruhigte den Schneesturm in seinem Inneren. Er drehte den Kopf umher, auf der Suche nach dem Ursprung. Im ersten Moment konnte er allerdings nichts durch die anderen Menschen hindurch erkennen. „What if God was one of us? Just a stranger on the bus? Just a slob like one of us, trying to make his way home~.“ Schließlich fiel sein Blick auf eine junge Frau, die am Straßenrand saß. Sie hielt eine Gitarre aus dunklem Holz auf ihrem Schoß und schien gedankenverloren darauf zu spielen, während sie mit geschlossenen Augen sang. „If God had a face, what would it look like and would you want to see? If seeing meant that you would have to believe, in things like Heaven and in Jesus and the saints and all the prophets?“ Rowan betrachtete diese Frau eingehend mit gerunzelter Stirn. Sie sah durchschnittlich aus, schlanke Figur, langes schwarzes Haar, etwas blasses Gesicht, nichts, was ihn daran denken lassen könnte, dass er sie einmal getroffen hatte oder dass sie ihm dabei aufgefallen war. Und doch war da dieses Gefühl, dass er sie kennen müsste. Aber vielleicht rührte das auch nur von ihrer wohltuenden Stimme her. Wenn sie keine Schall-Prägung hatte, was ihn doch wundern sollte, wäre das unfassbar – und damit vielleicht eine Falle. „What if God was one of us? Just a stranger on the bus? Just a slob like one of us, trying to make his way home~.“ Durch seinen letzten Gedanken spannte sich sein gesamter Körper an. Er durfte nicht nachlässig sein. Wenn sie eine Feindin war, dann würde er ihr zeigen, dass sie sich mit dem Falschen angelegt hatte. „Just trying to make his way home~. Back up to heaven all alone. Nobody calling on the phone, 'cept for the Pope, maybe, in Rome.“ Während sie das Lied beendete, überlegte Rowan, ob er einfach weitergehen sollte. Er hatte schließlich keinerlei Grund, hier zu warten, aber sein Körper verwehrte ihm das. Wie festgenagelt stand er da, lauschte den letzten Tönen ihres Gesangs, der noch immer in der Luft zu schweben schien, auch während sie nur noch auf der Gitarre spielte. Erst nachdem ihre Finger stillhielten, öffnete sie ihre blauen Augen und sah Rowan lächelnd an. Im ersten Moment war er überzeugt, dass sie gerade irgendeine Art von Angriff gegen ihn eingesetzt hatte; nur so konnte er sich das warme Gefühl erklären, das die Kälte in seinem Inneren vertrieb. Er müsste wirklich auf der Hut sein. „Hey~“, grüßte sie ihn. „Hat es dir gefallen?“ Er schnaubte. „Es war zu ertragen.“ Warum sollte er ihr sagen, wie sehr ihr Gesang ihn berührt hatte? Man durfte einen Feind nicht wissen lassen, dass seine Strategie erfolgreich war. Während sie die Gitarre in den offenen Koffer legte, wirkte sie nicht sonderlich gestört von seiner Untertreibung. Ihr Lächeln erlosch nicht. „Du bist aber immerhin stehen geblieben.“ Sie sah zu ihm hoch, ihre blauen Augen schienen dabei zu glitzern. „Und dafür danke ich dir.“ Die Schnallen des Koffers schnappten zu, dann stand sie auf. Sie war ein wenig kleiner als er, doch nichtsdestotrotz wirkte sie so selbstbewusst wie er es selten in seinem Angesicht sah. Aber sie wusste eben nicht, wer er war. „Hast du jetzt überhaupt Geld verdient?“ Schließlich sah es nicht danach aus, als ob sie irgendwie Geld eingenommen hätte. Er sah jedenfalls nirgends welches. Ihr Lächeln schwand nach wie vor nicht. „Darum ging es mir gar nicht.“ „Worum dann? Hast du zu viel Freizeit?“ Glücklicherweise musste er sich keine Mühe geben, möglichst verächtlich zu klingen. „Es ging mir darum, dich zu treffen.“ Also war es eine Falle! Er griff in seine Tasche und umfasste seine Taschenuhr, ohne sie direkt hervorzuziehen. Es gab viel zu viele Menschen hier, da durfte er nicht angreifen, auch wenn er es gern getan hätte. Ein Schlag mit seinem Hammer dürfte ausreichen, um sie plattzumachen – und leider auch die restliche Gasse und die sich hier aufhaltenden Menschen. Sie lachte. „Ich weiß, dass du mir das nicht glaubst. Aber ich habe nichts Böses mit dir vor.“ „Wer bist du, dass du denkst, mich zu kennen?“ „Mein Name ist Morte.“ Ihre Stimme, ihr Name, ihr Blick, ihr Lächeln – alles sprach etwas in Rowans Inneren an, das er nicht einmal kannte. Im Moment wollte er es aber auch gar nicht kennen. „Und?“, schnaubte er. Selbst davon ließ sie sich nicht einschüchtern, dabei wurde es wegen der Kälte sogar von einer weißen Wolke begleitet; andere wären mit Sicherheit zurückgewichen und danach weggelaufen, um seinen Zorn nicht noch weiter anzufachen. „Du erinnerst dich nicht an mich, das ist okay.“ Sie streckte die Hand aus, als wolle sie ihm die Mütze vom Kopf nehmen, weswegen er reflexartig zurückwich. Im selben Moment ärgerte er sich bereits darüber, Schwäche demonstriert zu haben. An ihrem Lächeln änderte sich absolut nichts, was ihn noch mehr in Rage versetzte. „Warum glotzt du so blöd?! Willst du Stress?!“ Die anderen Menschen, die noch hier waren, sahen ihn ratlos und auch verängstigt an. Sie machten einen möglichst großen Bogen, wenn sie weitergingen, andere blieben in einiger Entfernung stehen, um die Situation zu beobachten. Rowans Nasenflügel bebten heftig, besonders als ihm auffiel, wie vollkommen ruhig und ausgeglichen diese Morte blieb. Statt in Panik zu geraten, ließ sie nur die Hand sinken, ging leicht in die Knie und hob den Gitarrenkoffer hoch. „Ich muss los. Aber es war wirklich schön, dich wieder einmal zu sehen. Ich hoffe, wir können das wiederholen.“ „Wovon redest du?“, knurrte er. Statt zu antworten wandte sie sich von ihm ab und ging die Straße weiter hinunter. Etwas in Rowan verlangte, ihr zu folgen, er schob das auf ihren letzten Satz. Er musste einfach eine Antwort darauf haben, um endlich Ruhe zu finden. „Warte!“ Mit großen Schritten folgte er ihr, in der sicheren Erwartung, sie bald einzuholen. Aber er hatte die Rechnung ganz offensichtlich ohne die umstehenden Personen gemacht. Nachdem sie bislang so feige gewesen waren, erwachte nun eine neue Form von Zivilcourage in ihnen, so dass sich ihm mehrere Männer rasch in den Weg stellten. „Halt mal, Freundchen“, sagte einer von ihnen. „Lass das Mädchen lieber in Ruhe.“ Rowan fixierte seinen Gegenüber mit einem glühenden Blick, aber dieser wich nicht zur Seite. Er sah vielmehr so aus, als wäre er bereit, wirklich gegen Rowan zu kämpfen, wenn es sein müsste. Das glitzerte ihm geradezu aus den entschlossenen olivgrünen Augen entgegen. Rowan glaubte außerdem, eine ungewöhnliche Energie in dem anderen zu spüren, genau wie bei dieser Frau zuvor. Der Begleiter seines Gegenüber griff nach dessen Arm. „Komm schon, No, wir sollten lieber gehen. Du-weißt-schon-wer wird es nicht gern sehen, wenn du dich hier mit jemandem anlegst.“ „Ja“, brummte Rowan, „hör lieber auf deinen Freund.“ Aber stattdessen schnaubte sein Gegenüber wütend. „Ich werde ganz bestimmt nicht zusehen, wie jemand eine Frau bedroht! Das muss Parthalan dann verstehen!“ Parthalan? Rowan stutzte für einen kurzen Moment. Den Namen hatte er bereits einmal gehört, er glaubte sogar, ein Gesicht damit verbinden zu können, aber er war im Moment viel zu aufgeregt, um darüber ernsthaft nachzudenken. Er warf einen Blick über die Schulter des anderen und stellte unzufrieden fest, dass die Frau bereits verschwunden war, vermutlich untergegangen zwischen den anderen Menschen. Es wäre eine viel zu nervenaufreibende Aufgabe, sie so wiederzufinden. Also trat er schnaubend zurück. „Fein, ich verschwinde. Aber nächstes Mal kommt mir keiner von euch so einfach davon!“ Zumindest war er überzeugt, dass die beiden unter einer Decke stecken mussten. Es wäre sonst ein zu großer Zufall, dass er direkt zwei Personen begegnete, die nicht ganz normal waren. Für diesen Tag blieb ihm dann aber nur der Rückzug. Sein Gegenüber sah ihn finster an, bis Rowan sich schließlich umdrehte und davonging. Die Menge teilte sich vor ihm, um ihm einen Weg zu schaffen. So stampfte er mit wütenden Schritten davon und bemerkte dabei nicht einmal, dass der Schneesturm in seinem Innerem sich wieder vollständig gelegt hatte. Nolan war erst zufrieden, als der wütende Mann von der Menge verschluckt worden war und sie ihn nicht mehr sehen konnten. Die Zivilisten verloren allesamt das Interesse und setzten ihren Weg fort, während er und sein Begleiter, Landis, noch eine Weile stehenblieben und dem wütenden Mann hinterhersahen. „Was war das denn für ein Kerl?“, fragte Landis seufzend. Nolan drehte sich um und sah in die Richtung, in die diese Frau vorhin gegangen war. „Ehrlich gesagt machte sie mir mehr Sorgen. Irgendetwas stimmte nicht mit ihr.“ „Warum hast du ihn dann aufgehalten?“ Er verschränkte die Arme vor der Brust, was sein schwarzer Mantel ihm nicht unbedingt einfach machte. „Hätte er hier einen Kampf mit ihr angefangen, wäre das zu auffällig gewesen – und außerdem hätte es Verletzte geben können. Das wollte ich verhindern.“ Der andere musste ein Traumbrecher gewesen sein, wenn Nolan sich nicht täuschte, also war er kein Feind. Aber diese Frau … er müsste Parthalan auf jeden Fall auf sie ansprechen, sobald er wieder in Abteracht war. Landis verstand offenbar auch ohne eine Erklärung, was er zu tun gedachte, deswegen hakte er nicht mehr nach, sondern nickte. „Wollen wir dann weitergehen? Ich werde sonst noch zu einem Eiszapfen hier.“ „Du solltest einfach mehr trainieren“, sagte Nolan lachend und legte einen Arm um Landis' Schultern, ehe er seinen Weg mit ihm fortsetzte. „Dann wäre dir immer warm.“ „Ich verzichte dankend. Außerdem habe ich dafür ja dich.“ Nolan lachte noch einmal. „Das stimmt allerdings. Und ich werde ungern arbeitslos.“ So dachte er dann erst einmal nicht mehr an den wütenden Mann oder die unheimliche Frau, sondern nur an die gemeinsame Zeit, die ihm noch mit Landis bevorstand und die er zu genießen gedachte. Kapitel 14: Ich möchte etwas tun, um alles besser zu machen. ------------------------------------------------------------ Es kam Luan wie das Eintauchen in eine Erinnerung vor, als er am Mittwoch Nachmittag in Cathans Wagen saß, auf dem Weg zu Vincent. Genau wie früher. An jedem Mittwoch hatte er nachmittags eine Stunde bei dem Therapeuten verbracht, gemeinsam mit Kieran, der aber natürlich nicht mehr dorthin ging. Also wäre er an diesem Tag allein bei Vincent. Und Ferris. Er rutschte auf seinem Sitz herum, aufgeregt darüber, dass er bald selbst erfahren könnte, wie es ihm nun ging und ob es ihm bei Vincent wirklich so gut gefiel wie Faren gesagt hatte. Die Straßen jenseits der Fenster kamen ihm immer bekannter vor, was dafür sprach, dass sie in der Nähe von Vincents Haus waren. Und das brachte Luan auf eine weitere Frage: „Gibt es eigentlich Alberts Süßigkeitenladen noch?“ Cathan warf ihm einen kurzen Blick zu, der etwas verwirrt wirkte, dann nickte er. „Den der Beraths meinst du? Ja, den gibt es noch. Ciar geht manchmal dort vorbei. Er versteht sich wohl relativ gut mit Albert.“ Bei der Ernsthaftigkeit der beiden konnte Luan sich das gut vorstellen. „Und was ist mit Allegra?“ Er erinnerte sich noch gut an die lebhafte Verkäuferin, die zu gern Süßigkeiten aß und ihre Scherze mit den Kunden trieb – aber vor allem mit Albert, mit dem sie auch zusammen gewesen war. „Da müsstest du Ciar fragen. Ich geh da so gut wie nie hin.“ Cathan runzelte die Stirn. „Aber falls sie eine blonde Verkäuferin dort ist, dann war sie zumindest letzten Valentinstag noch dort und hat die ganze Zeit geschmunzelt.“ Luan musste leise lachen. „Ja, das klingt eindeutig nach ihr.“ Also ging es ihr auch gut. Es war schön zu wissen, dass sein Handeln nicht für jeden schlimme Konsequenzen nach sich gezogen hatte. Gerade bei den beiden, die ihm so viel geholfen hatten, wollte er keinen Schaden verursacht haben. Schließlich bog Cathan in die Straße ein, die zu Vincents Haus führte. Auch heute war noch deutlich, dass es ein besser gestelltes Viertel war. Häuser mit geradezu schneeweißen Fassaden reihten sich aneinander, jedes einzelne stand inmitten eines sorgsam gepflegten Gartens, der wiederum von einer hohen Hecke begrenzt war. Sie waren alle so identisch, dass sie sich lediglich darin unterschieden, ob sich noch eine kleine Garage dabei befand oder nicht. Vor einem Haus mit einer solchen, die allerdings hauptsächlich mit Efeu überwuchert war, was nur dafür sprach, dass sie nicht wirklich genutzt wurde, hielt Cathan den Wagen. „Da wären wir. Warst du früher schon bei Mr. Valentine?“ Er nannte ihn nicht mehr beim Vornamen, fiel Luan sofort auf. Als er das erwähnte, musste Cathan ein wenig schmunzeln. „Ja, es ist eine ziemliche Weile her, seit wir uns miteinander unterhalten haben. Da will ich dann lieber nicht mehr zu sehr … vertraut sein.“ „Musste Ciar nicht herkommen?“ „Er wollte nicht. Und du weißt, wie durchsetzungsfähig er sein kann.“ Cathan seufzte leise, während er ausstieg. Luan verließ das Auto ebenfalls. Es herrschte eine angenehme Stille, die lediglich von dem Zwitschern einiger Vögel und dem weit entfernten Verkehrslärm gestört wurde. Irgendwo in der Nachbarschaft bellte ein Hund, während Luan und Cathan den Kiesweg zur Haustür entlanggingen. Neben der schwarzen Tür, in die Milchglasscheiben eingelassen war, hing noch immer das Schild, das Luan so gut kannte: Vincent Valentine. Therapeut. Er übernahm auch sofort das Klingeln, weil er so aufgeregt war. Wie früher dauerte es nur wenige Sekunden, bis Schritte erklangen, aber es waren eindeutig nicht die von Vincent, sondern leichte, beschwingte. Ist das etwa …? Die Tür wurde schwungvoll geöffnet, worauf sich Luans Verdacht bestätigte. Vor ihnen stand ein junger Mann mit schwarz gefärbten Haaren, deren blauer Schimmer sich hartnäckig jeder Änderung verweigerte. Besonders in Verbindung mit den braunen Augen wirkte Ferris von seinem Körperbau über die Form seines Gesichts wie Farens Zwilling. „Du bist aber süß~.“ Und von seinen verlegen machenden Aussagen auch. Wäre Luan das nicht bereits gewohnt gewesen und hätte es daher nicht schon erwartet, wäre er nun wieder rot geworden. Aber so seufzte er lediglich leise. „Hallo, Ferris.“ Der andere blinzelte überrascht. „Oh? Kennen wir uns? Normalerweise vergesse ich keine süßen Jungs.“ „Nein, nicht direkt.“ Ferris schien nun derart verwirrt, dass er nichts mehr sagte, genausowenig wie Luan, weswegen Cathan sich zu Wort meldete: „Luan ist hier, um Mr. Valentine zu sehen. Er weiß Bescheid.“ „Ach ja, er hat da was erzählt. Kommt rein.“ Damit trat Ferris beiseite, so dass sie ins Haus kommen konnten. Es roch anders als Luan es in Erinnerung hatte und es fehlten einige Bilder an der Wand, die nicht nur Ferris und Faren zeigten, sondern auch Vincents Sohn. In dieser Zeit gab es keinen Luka Valentine. Also gab es keine Bilder. Ferris deutete hinter sich, den Gang entlang. „Vince ist in seinem Behandlungszimmer. Ist gar nicht zu verfehlen.“ Luan nickte, lief aber noch nicht los, sondern musterte Ferris aufmerksam. „Bist du glücklich?“ Sein Gegenüber lehnte den Oberkörper ein wenig zurück, als wolle er ihm ausweichen, ohne es allzu offensichtlich zu machen. „Oh? Das ist wirklich eine seltsame Frage. Nicht mal Vince stellt die mir.“ Luan wiederholte sie nicht, wartete aber auf Ferris' Antwort. Dieser wurde immer ein wenig nervöser, räusperte sich dann aber schließlich. „Klar bin ich glücklich. Mir geht’s super.“ „Wirklich?“ „Absolut, total. Siehst du?“ Ferris zeigte ihm ein strahlendes Lächeln. „Kann so ein umwerfendes Lächeln gefälscht sein?“ Wieder einmal musste Luan sich eingestehen, dass er nicht gut darin war, zu erkennen, ob jemand log oder nicht. Besonders nicht, wenn er diese andere Person nicht so gut kannte. Faren wäre sicher besser hierfür geeignet. „Du solltest dich wieder einmal bei Faren melden“, meinte Luan. „Er freut sich bestimmt darüber.“ Dann ging er an dem sprachlosen Ferris vorbei in Richtung des Behandlungszimmers. Er hörte nur noch, wie Cathan zu dem anderen sagte, dass er ihm alles erklären würde, dann war er bereits an der Tür angekommen, die leicht offen stand. Wie es die Höflichkeit verlangte, klopfte er an, dann drückte er die Tür weiter auf, ohne auf eine Antwort zu warten. In diesem Raum hatte sich absolut nichts verändert. Der Schreibtisch mit dem Computer und einigen Notizbüchern stand noch immer auf der Seite, direkt neben dem Regal, in denen allerlei Bücher über Psychologie standen, teilweise sogar Selbsthilfebücher. Die schwarze Uhr, die sich zwischen all diese schmiegte, war kaum zu sehen. Vor dem in den Garten zeigenden Fenster, das eine ganze Wand einnahm, stand ein schwarzes Sofa, ein Sessel und davor ein kleiner Sofatisch auf dem im Moment nur eine Ledermappe lag. An der linken Wand stand, immer noch so außergewöhnlich wie damals, ein Aquarium. Es nahm die gesamte Länge der Wand ein und strahlte ein beruhigendes blaues Licht aus. Schwärme von kleinen roten Fischen zogen ihre ruhigen Bahnen, ungeachtet des gelben Fisches, der durch die Unterwasserwelt mit all ihren kunstvoll gestalteten Felsen und Pflanzen schoss. Einige silberne Fische verschwanden immer wieder in zerklüfteten Steinen, nur um danach irgendwo anders wieder aufzutauchen und beinahe mit einem Schwarm grüner Fische zusammenzustoßen. Dieser Anblick ließ Luan unwillkürlich lächeln. Deswegen übersah er aber auch vollkommen den Mann vor dem Aquarium, obwohl das nicht einfach war. Vincent war ein hochgewachsener Mann – nur etwas kleiner als Vane – mit schwarzen Haaren, die stets ein wenig unordentlich wirkten und deswegen nicht wirklich zu den dunklen Anzügen passten, die er immer trug. Zumindest harmonierten seine blauen Augen aber mit dem Licht des Aquariums. Vincent wandte sich Luan zu. „Du bist Luan Howe?“ Seine Stimme ähnelte der von Vane, wenn auch nicht wegen der Tonlage, denn sie war nicht derart tief. Aber sie war stets ruhig, besonnen, sie tanzte nicht im Raum umher, sondern legte sich wie seidiger Balsam auf der Seele ab, was an der Schall-Prägung liegen musste. Vincent war ebenfalls einmal ein Traumbrecher gewesen, besaß auch immer noch die entsprechenden Fähigkeiten, obwohl er von seiner einstmals eingepflanzten Geißel gebrochen worden war, noch bevor Luan ihn kennen gelernt hatte. Genau wie Vane. Aber, soweit er die Geschichte mitbekommen hatte, war Vincents Geißel so sehr von den Gefühlen seines sterbenden Wirts berührt worden, dass er das Leben als normaler Mensch und Therapeut bevorzugt hatte. Vincent und Vane waren für Luan stets die Erinnerung gewesen, dass auch ein Weltenbrecher sich sein Schicksal selbst aussuchen konnte, wenn sogar den Geißeln das gelang. Er war sich nicht sicher, wie er ohne die beiden damals die Erkenntnis, dass er der Weltenbrecher war, überlebt und aufgenommen hätte. Luan teilte ihm mit, dass er keine Vorstellung und auch keine Einführung in die Therapie benötigte, worauf Vincent nickte. Parthalan musste ihm alles erzählt haben, was das Ganze schon einfacher machte. „Das ist wirklich ein tolles Aquarium, auch in dieser Zeit.“ Nachdem er das gesagt hatte, setzte Luan sich auf das Sofa. Vincent bedankte sich für das Kompliment und nahm auf dem Sessel Platz. Er nahm die Mappe an sich und öffnete diese, so dass auch Luan wieder den vertrauten Schreibblock sehen konnte, so wie den Füller, den Vincent für seine Notizen über die Patienten benutzte. Dieser schlug die Beine übereinander und platzierte die Mappe auf seinem Oberschenkel. Dann sah er Luan wieder direkt an, seine Augen konkurrierten mit dem Leuchten des Aquariums in seinem Rücken. „Wie fühlst du dich?“ Vincents Standardfrage, sie kam stets am Anfang, am Ende und auch nach jeder erschütternden Erkenntnis. Luan hob die Mundwinkel ein wenig. „Ich fühle mich nicht sonderlich gut. Aber ich glaube, das ist auch normal, wenn man das alles durchgemacht hat, oder?“ Dass Vincent nicht nachhakte, sondern nickte und sich direkt etwas notierte, bestätigte Luan nur noch einmal darin, dass er bereits alles von jemandem erfahren hatte. „Wer hat dir davon erzählt?“ Natürlich begriff Vincent sofort, worauf er hinauswollte: „Parthalan empfand es als angebracht, dass ich deine Hintergrundgeschichte kenne, bevor du zu mir kommst.“ „Möchtest du dann auch … wissen, wie dein Leben vor meiner Einmischung war?“ Vincent sah ihn ernst und gleichzeitig vollkommen ausdruckslos an. „Nein. Ich möchte mich nicht von einem Ich beeinflussen lassen, das unter anderen Umständen lebte als ich. Ich werde meinen eigenen Weg finden.“ Das war eine Aussage, die absolut typisch für Vincent war. Jedenfalls empfand Luan sie so – und seltsamerweise erleichterte es ihn gewissermaßen, dass er einmal nicht erzählen musste, dass früher so vieles besser gewesen war. Möglicherweise war das auf seinem Gesicht zu lesen, denn Vincent notierte sich wieder etwas. „Parthalan sagte, als Kieran und Faren dich fanden, warst du auf dem Weg zu einem Bahnhof, in dem du schlafen wolltest. Worum geht es dabei?“ Vincent war ein Therapeut, eine Geißel, Luan hatte ihm immer vertrauen können. Außerdem wusste auch Vane bereits davon, genau wie andere Personen in Abteracht, also könnte er es auch jetzt einfach sagen: „Ich bin ein Weltenbrecher.“ Als wäre ein elektrischer Schlag durch ihn gefahren, hielt Vincent inne. Sein Gesichtsausdruck änderte sich kein bisschen, aber es kam Luan vor als halte er für eine Sekunde sogar den Atem an. Wusste jede Geißel, was ein Weltenbrecher war? Doch schließlich gelang es Vincent endlich, die Starre wieder abzuschütteln. „Dann ist dieser Bahnhof quasi dein Geburtsort?“ Froh darüber, dass Vincent das so schnell verstand, nickte Luan. „Genau. Ich wollte dort schlafen und mich nie wieder in irgendetwas einmischen oder auch nur etwas mitbekommen.“ Vincent notierte sich das, dabei fiel Luan auf, dass die Stirn des Therapeuten gerunzelt war. „Hast du jetzt immer noch vor, dort zu schlafen?“ Er hielt es wohl für einen Euphemismus für Selbstmord, dabei hatte Luan das gar nicht vor. Aber vermutlich, so dachte er sich, musste es für andere auch so erscheinen. „Nein. Ich möchte etwas tun, um alles besser zu machen.“ Luan rutschte tiefer auf dem Sofa. „Ich möchte mich nicht mehr einmischen, aber ich muss, wenn ich meinen Fehler wiedergutmachen will. Und das will ich unbedingt.“ Nachdenklich geworden tippte Vincent mit seinem Füller auf den Block. Sein Blick wanderte in den Garten hinaus, wo es außer Gras und einem einzelnen Baum nicht viel zu sehen gab. Aber für Vincent schien dort draußen gerade eine interessante Show abzulaufen. Luans Blick verweilte derweil auf dem Aquarium, die wirklich einzige Komponente, die sich nie zu ändern schien. Es war tröstlich und ließ ihn gerade alles andere vergessen. Vincent holte ihn aber schnell wieder in die Realität zurück, indem er sich räusperte. Er versicherte sich, dass er Luans Aufmerksamkeit wieder besaß, ehe er etwas sagte: „Für mich klingt das als ob du wirklich entschlossen bist, etwas zu tun. Du klingst reifer als dein Alter es vermuten lässt. Weswegen ich Parthalan zustimmen muss, deine Geschichte ist wahr und du bist wirklich aus einer anderen Zukunft gekommen.“ Natürlich, jeder musste in irgendeiner Art und Weise daran zweifeln, wenn er einigermaßen vernünftig war. Sogar Cathan hatte das, obwohl seine Töchter ihm beide bestätigt hatten, dass er wirklich aus der Zukunft kam. Luan nickte deswegen nur, obwohl es angenehm war, von ihm gesagt zu bekommen, dass man reif war. „Ich muss aber dennoch mit dir reden“, fuhr Vincent fort. „Nur über dich.“ Luan verstand das zwar nicht, aber dennoch stimmte er zu, was den Therapeuten zu erleichtern schien. Wieder machte er sich eine Notiz, dann hob er den Blick, wesentlich motivierter als noch zuvor. „Gut, wie fühlst du dich denn jetzt?“ Wegen dieser Frage musste Luan unwillkürlich lächeln. „Besser. Es tut seltsamerweise immer gut, mit dir zu reden.“ „Dabei haben wir noch gar nicht viel miteinander gesprochen. Aber es freut mich.“ Es musste allein schon Vincents beruhigende Anwesenheit sein, die dazu beitrug. Aber das erwähnte Luan nicht weiter. „Gibt es irgendein Thema, mit dem du gern anfangen würdest?“, hakte Vincent nach. Kaum wurde er das gefragt, begann Luan bereits zu erzählen. Von der Zukunft, die er hatte verhindern wollen, von seiner Sehnsucht nach Kieran und seiner Enttäuschung darüber, dass es nicht sonderlich gut für diesen gelaufen war. Er berichtete über seine Machtlosigkeit und Hoffnungslosigkeit, die ihn aber schließlich zu seinem Entschluss geführt hatte. Vincent hörte ihm aufmerksam zu, machte sich Notizen und hakte hin und wieder nach, wenn er etwas nicht vollkommen verstanden zu haben schien. Schließlich, nachdem er sich alles von der Seele gesprochen hatte, fühlte er sich nicht nur wesentlich leichter, sondern auch ein wenig atemlos, als wäre er gerannt. Er atmete tief durch und wartete auf Vincents Erwiderungen darauf. Dieser sah noch einmal auf seine Notizen hinab, wägte seine Antwort wohl gut ab. Es erschien Luan wie eine halbe Ewigkeit, bis Vincent schließlich wieder den Blick hob. „Ich finde, du bist wirklich sehr mutig.“ Damit hatte er nun nicht gerechnet, seine Augen weiteten sich. „Was?“ „Warum ist das so überraschend für dich? Es erfordert Mut, sein eigenes Glück zu opfern, sein gewohntes Umfeld zu verlassen und dann vollkommen allein in unbekanntes Gebiet zu schreiten.“ Er hob die Hand, ehe Luan widersprechen konnte. „Du warst möglicherweise nur an Orten, die du kanntest, aber du wusstest nicht, wie die von dir geplanten Änderungen sich auswirken würden. Dir war aber hoffentlich klar, dass alles hätte passieren können.“ Luan deutete ein Nicken an. Gut, alles war ihm nicht klar gewesen, aber er hatte jeden Tag damit gerechnet, dass mit seiner Schule oder dem Waisenhaus etwas geschehen könnte – aber glücklicherweise war das nicht passiert. „Dieser Mut ist wirklich außergewöhnlich, nicht jeder hätte ihn aufgebracht. Deswegen gibt es absolut keinen Grund, wegen dem du dich in welcher Weise auch immer schlecht fühlen müsstest.“ „Aber ich habe so viel kaputt gemacht.“ „Und du willst Verantwortung dafür übernehmen, indem du es so gut wie möglich wieder richtest, nicht wahr?“ Luan nickte, so entschlossen wie es ihm möglich war. Vincent schien darüber zufrieden. „Das Übernehmen dieser Verantwortung spricht auch für viel Mut. Ich weiß nicht, wie du früher gewesen bist, aber in diesem Moment sehe ich einen jungen Mann vor mir, der bereit ist, sich seiner Verantwortung zu stellen – und als solcher wird es dir auch gelingen, das zu erreichen, was du dir vorgenommen hast, da bin ich mir sicher.“ Vincents Worte verliehen Luan einen neuen Auftrieb. Er könnte alles wieder regeln, damit jeder glücklich wurde. Cathan und Lowe hatten es auch schon gesagt: Er durfte nur nicht aufgeben. Er versicherte, dass er alles täte, was in seiner Macht stünde und verzichtete sogar darauf, zu erwähnen, dass das eigentlich nicht sonderlich viel war. Vincent war jedenfalls zufrieden darüber, machte noch eine Notiz und sah dann auf die Uhr. „Die Stunde ist jetzt vorbei, Luan. Oder möchtest du noch etwas sagen?“ Hatte er wirklich so lange geredet? So lang war es ihm gar nicht vorgekommen. Hastig schüttelte er mit dem Kopf und stand bereits auf. „Nein, heute nicht mehr. Ich habe alles gesagt, was ich sagen wollte.“ Mehr fiel ihm im Moment jedenfalls nicht ein. Vincent schloss die Mappe wieder und legte sie zurück auf den Tisch, ehe er ebenfalls aufstand. „Ich begleite dich noch nach draußen.“ Doch noch bevor Luan das Behandlungszimmer verlassen konnte, fiel ihm noch etwas auf, das er zuvor übersehen haben musste. Neugierig geworden trat er näher an den Schreibtisch und hob das dort stehende eingerahmte Bild hoch. Es zeigte eine blonde Frau, die eine gewisse Ähnlichkeit mit Seline aufwies, aber diese hier war etwas älter und ernster, als wäre sie mit viel Verantwortung beladen. Dennoch lächelte sie in die Kamera. „Ist das Joy?“ „Ja“, antwortete Vincent sofort. „Warum hast du ihr Bild hier stehen?“ „Ist es nicht normal, Fotos seiner Verlobten am Arbeitsplatz aufzustellen?“ Luan hob ruckartig den Kopf, um Vincent fassungslos anzustarren. „Verlobt?“ In seiner alten Zeit hatten sie gemeinsam einen Sohn, waren aber nicht verheiratet oder gar verlobt gewesen, was bei Faren und Ferris anscheinend oft zu leicht amüsierten Fragen diesbezüglich geführt hatte. Hier gab es keinen Luka, aber dafür waren Vincent und Joy verlobt? „Ist daran irgendetwas seltsam? Jii, Seline und Ferris fanden den Gedanken gut.“ „N-nein, das ist auch gut“, versicherte Luan ihm rasch und stellte das Foto wieder hin. „Ich war nur überrascht. Aber herzlichen Glückwunsch.“ Bevor er nochmal in ein solches Fettnäpfchen treten konnte, verließ er rasch das Behandlungszimmer, damit er zu Cathan und Ferris zurückkehren könnte. Diese fand er im Wohnzimmer, wo sein Begleiter gerade von der Dämonenjagd zu erzählen schien. Ferris hörte ihm begeistert zu und spielte dabei mit seinem Haar, das so lang war, dass er es zu einem hängenden Pferdeschwanz gebunden hatte. Als Cathan bemerkte, dass Luan hereingekommen war, beendete er die Geschichte abrupt: „Das ist jedenfalls der Grund, weswegen du niemals nachts durch einsame Gegenden ziehen solltest. Nicht jeder kann so viel Glück haben.“ Ferris wandte seine Aufmerksamkeit den beiden Neuankömmlingen zu. „Hörst du, Vince?! Mr. L ist ein Dämonenjäger! Das ist so cool! Ich wünschte, ich-“ „Du wirst kein Dämonenjäger“, unterbrach Vincent ihn. „Es ist schon schlimm genug, dass du Traumbrecher geworden bist, weil Jii das für eine gute Idee hielt.“ Luan wurde wieder einmal klar, wie viel Vincent eigentlich von Jii hielt. In direkter Konkurrenz zu Vane war ihm das nie wirklich aufgefallen. „Ich bin ein Naturtalent!“, platzte es aus Ferris heraus. „Ich wäre bestimmt auch ein cooler Dämonenjäger. Vielleicht nimmt mein Bro Faren mich ja mal mit~.“ Also hatte er hoffentlich wirklich vor, sich wieder bei Faren zu melden. Es war wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis er zumindest die Beziehung der beiden wieder ein wenig gekittet hatte. Sie könnte nicht mehr so werden wie früher, aber zumindest wären sie weiterhin Freunde. Cathan erhob sich nun vom Sofa. „Dann sollten wir mal wieder los. Es wird sonst zu spät und Parthalan schaut mich dann wütend an, wenn wir wieder zurück sind.“ Lachend verabschiedete Cathan sich von Ferris und Vincent, was Luan ihm direkt nachmachte. Dabei musterte er Ferris noch einmal ganz genau, konnte aber immer noch nicht feststellen, ob dessen gute Laune nur gespielt war. Bei Vincent konnte er dafür aber sagen, dass dieser irgendwie zufrieden wirkte. Jedenfalls sah er bei genauerer Betrachtung nicht ganz so teilnahmslos aus wie früher. In seinem Inneren hörte er Kian leise grummeln, weil er nicht über ihn gesprochen hatte, aber Luan versicherte ihm, dass sie das beim nächsten Mal nachholen würden. Als er mit Cathan aus dem Haus trat, fiel ihm nämlich eine ganz andere Sache ein, die er auch vergessen hatte: Ich hätte ihn nach seiner Schwester fragen sollen. Sephira ist doch auch ein Teil seiner Familie. Doch auch das trat vollkommen in den Hintergrund, als die Haustür sich hinter ihnen schloss und sie sich in einer Umgebung wiederfanden, die ganz sicher nicht Vincents Nachbarschaft war. Unter einem orange-farbenen Himmel standen Luan und Cathan zwischen kunstvoll verzerrten Gebäuden, deren Formen noch keiner von ihnen bislang gesehen hatte. Selbst das Haus hinter ihnen, in dem sie gerade eben noch gewesen waren, hatte sich komplett verwandelt und gab keinerlei Anhaltspunkt von Leben mehr. Unfähig, das zu glauben, ließ Luan den Blick schweifen, während Cathan die Frage stellte, die sie beide in diesem Moment am meisten beschäftigte: „Wo sind wir?“ Kapitel 15: Wir haben beide keinen Plan --------------------------------------- Das orange-farbene Glühen des Himmels erschien Luan verheißungsvoll, ein Vorbote schlechter Ereignisse. Der Eindruck war derart intensiv, dass er ihm Magenschmerzen bereitete. Die Häuser hatten sich in Felsen verwandelt, jeder von ihnen war anders geformt, aber sie hatten Fenster beibehalten. Vincents Haus war zu einem schwarzen Brocken geworden, der den Anschein machte als hätte er sich selbst in den Himmel schrauben wollen. Er stand ähnlich geformt wie ein Korkenzieher vor ihnen, die Fenster nur noch blinde Augen, in denen sich eine Unendlichkeit zu spiegeln schien, die Luan nicht beschreiben konnte und die bei ihm Kopfschmerzen auslöste. Er musste sich abwenden. Das Haus direkt neben dem von Vincent war gewachsen – aber nur weil es sich zu einem Ring geformt hatte. Der Hohlraum in der Mitte hatte es notwendig gemacht, dass sich die eigentliche Substanz passend verteilte. Die zuvor hier gewesenen Pflanzen hatten sich ebenfalls verändert. Eine Tanne, direkt neben dem Ring, hatte sich verfärbt. Die grünen Nadeln waren nun rot, der Baum wog heftig von der einen auf die andere Seite, dabei erklang immer wieder ein spöttisches Lachen daraus. Luan hoffte, dass es sich bei diesem Laut nur um ein Wesen handelte, das ungesehen zwischen den dichten Nadeln saß. Eine Hecke auf der anderen Straßenseite hatte sich ebenfalls rot gefärbt – aber es schien sich dabei um richtiges Blut zu handeln. Es tropfte von den Blättern auf den Boden darunter, bildete Lachen, in denen Luan meinte, etwas sich bewegen zu sehen. Der Zaun hatte sich in messerscharfe Metallstreben verwandelt, die kreuz und quer im Gebüsch drapiert waren als wollten sie es aufspießen. Da auch das Metall mit Blut beschmiert war, sah Luan sich überzeugt, dass diese Streben der Grund für die Verletzungen sein mussten. Die Luft war erfüllt von einem starken Kupfergeruch, unterlegt mit etwas Schwefel. Nichts davon war angenehm, es stach in Luans Nase. Er glaubte, diesen Geruch nie wieder loswerden zu können. In der Ferne war ein Brüllen zu hören, wie das eines sehr großen und sehr wütenden Tieres. Nein, es konnte kein Tier geben, das einen solchen Laut von sich gab. Es musste sich mindestens um einen Dämon handeln. „Papa ...“ Luan rückte schutzsuchend näher an Cathan heran und konnte sich dabei nicht beherrschen, ihn wieder so anzusprechen. Nun war nicht die Zeit für Rationalität. Cathan schien das ebenfalls so zu sehen, denn er reagierte nicht auf diese Ansprache. Er fasste Luan bei den Schultern und brachte ihn sanft dazu, loszulaufen. „Ich weiß nicht, wo wir sind, aber wir sollten hier nicht stehen bleiben. Wir müssen einen Ausweg suchen.“ Obwohl er selber verwirrt war, übernahm er direkt die Führung, was Luan erleichterte. Mit Cathan konnte ihm bestimmt nichts geschehen. Selbst ihre Schritte hörten sich in dieser Welt anders an. Es war ein stetiges Knirschen wie bei einem Kiesweg, obwohl sie auf einer geteerten Straße liefen. Hinter einigen Fenstern glaubte Luan, Augen sehen zu können, die ihnen neugierig mit ihren Blicken folgten. Wer beobachtete sie da? Luan konnte hören, wie noch mehr der Bäume lachten, andere schienen über sie zu tuscheln, aber in einer Sprache, die er nicht verstand. Während sie so liefen, fragte Luan sich, was sie machen sollten, wenn es keinen Ausweg gab. „Wieso 'wenn'?“, schien ihm eine Stimme zuzuflüstern. „Es gibt keinen Ausweg. Ihr werdet für immer hier bei uns bleiben.“ „Bei uns~“, frohlockte eine andere Stimme. Bald stimmten ihr Tausend andere zu, so dass es zu einem lautstarken Chor der Absurdität anwuchs. „Bei uns. Bei uns! BEI UNS! Bei uns~. Bei uns. Bei uns! BEI UNS! Bei uns~. Bei uns. Bei uns! BEI UNS!“ Ein wilder Schrei, der Luan mehr Furcht einflößte als alles zuvor, übertönte die Stimmen. Er presste sich die Hände auf die Ohren, aber die Stimmen und der Schrei ließen nicht nach. Etwas Hartes prallte gegen seine Knie. Jemand packte ihn an den Schultern und schüttelte ihn, erst vorsichtig, dann ein wenig heftiger. Das Schreien erstarb. Dafür bemerkte Luan endlich, dass er auf dem Boden kniete, Cathan war direkt vor ihm und begutachtete ihn mit einem besorgten Blick. Langsam ließ Luan die Arme wieder sinken. „Diese Welt nagt ziemlich an deinen Nerven, oder?“ In Cathans Stimme lag kein Ärger, er war nicht genervt; es klang vielmehr nach aufrichtiger Sorge. Luan wollte antworten, da bemerkte er aber, wie wund sich seine Kehle anfühlte. Habe ich geschrien? War dieser laute Schrei von mir? Cathan erwartete offenbar keine Antwort, stattdessen versuchte er, Luan wieder auf die Beine zu helfen. Aber dieser fühlte sich viel zu kraftlos dafür. Deswegen versuchte er auch erst gar nicht, wieder auf seine zitternden Beine zu kommen. Diese Welt, wo immer sie auch waren, fühlte sich einfach nach zu viel an. Er konnte es kaum ertragen, nicht nach allem, was er bereits hatte durchmachen müssen. War das seine gerechte Strafe dafür, dass er mit er Zeit herumgespielt hatte? Doch selbst wenn, er wollte hier nicht bleiben. Schon gar nicht wollte er, dass Cathan hier blieb, er hatte das nicht verdient. Aber er wusste nicht, was er dagegen tun sollte. Nein, so ganz stimmte das nicht. Kian regte sich in seinem Inneren. Er käme sicher mit der Umgebung zurecht. Schließlich erinnerte er sich an seine Zeit im Eden Howl, der Heimat der Albträume. Er hätte keine Angst. Er war ein Weltenbrecher, geboren aus der Verzweiflung unzähliger Albträume. Solch ein Wesen kannte keine Furcht. Er wäre kein Hindernis für Cathan. Vielleicht könnte er ihm sogar helfen. Auch wenn Luan sich ungern von Cathan trennen wollte, von dem Mann, der ihn garantiert sicher hielte. Aber es wäre ja nur so lange, bis sie wieder hier draußen wären. Kian versprach es ihm. Und Luan wollte ihm vertrauen. Deswegen schloss er die Augen und erlaubte Kian die Kontrolle über ihren gemeinsamen Körper. Luans Augen waren derart lange geschlossen, dass Cathan begann, sich ernsthafte Sorgen zu machen. Bislang war ihnen noch nichts Feindseliges in dieser Welt über den Weg gelaufen, aber das musste nicht bedeuten, dass es auch so blieb. Deswegen war es für ihn wichtig, dass sie diesen Ort rasch verlassen könnten, aber Luans Zusammenbruch hatte das verhindert. Cathan stellte sicher, dass der Junge aufrecht sitzenblieb, dann ließ er ihn los und stand auf. Er warf einen Blick umher, entdeckte tuschelnde Pflanzen, die über ihr Unglück kicherten, und auch Augen, die sie aus den Fenstern heraus beobachteten. Aber nichts davon schien sie angreifen zu wollen. „Glücklicherweise“, murmelte Cathan. Er wollte gar nicht wissen, wie ein Dämon in dieser Welt aussehen musste. Luan regte sich wieder, was seine Aufmerksamkeit zurück auf diesen lenkte. Doch als der Junge die Augen schlagartig öffnete, zuckte Cathan erschrocken zurück. Die Augen, die zuvor noch grün gewesen waren, hatten sich rot verfärbt. Mit den Augen schien sich auch seine gesamte Ausstrahlung verändert zu haben, genau wie seine aktuelle Gefühlswelt. Mit abrupten Bewegungen stand er auf, dann klopfte er sich den Schmutz von seiner Hose. „Jetzt muss ich auch noch diese Weichei-Kleidung tragen ...“ Cathan wich noch einen Schritt zurück. „Luan?“ Er wandte ihm den Blick zu, das Gesicht war genervt und gelangweilt zugleich. „Ich bin nicht Luan“, knurrte er. „Ich bin Kian.“ Parthalan und Jii hatten Cathan davon erzählt. Aber so wirklich geglaubt hatte er das dennoch nicht. Nun blieb ihm aber keine Wahl mehr als das zu glauben. Vor allem weil er in dieser Umgebung nicht mit ihm diskutieren wollte. Also ging er nicht weiter darauf ein. „Weißt du, wo wir sind?“ Desinteressiert ließ Kian den Blick schweifen. „Ich war hier noch nie. Aber das muss wohl was sein, das Limbus oder so heißt.“ Das Wort rief Cathan sofort das Bild der Vorhölle vor Augen. Aber auch wenn das hier eine fragwürdige, seltsame Welt war, konnte er sich kaum vorstellen, dass es sich um einen Ort wie die Hölle handelte. Er glaubte ja nicht einmal, dass eine solche existierte. „Limbus bedeutet auch Rand“, murmelte Cathan, nachdem er sein kaum vorhandenes Wissen über Latein zusammengekratzt hatte. „Bedeutet das, wir sind hier am Rand unserer Welt?“ Kian schnaubte. „Mir egal! Es wird nur Zeit, dass wir hier wieder wegkommen. Ich mag die Farben, aber ich hab echt keinen Bock, hierzubleiben.“ Cathan war zwar durchaus fasziniert von diesem Ort, aber er sah ebenfalls ein, dass es besser war, Luan … oder Kian … von hier wegzubringen. Also setzte er sich in Bewegung, worauf Kian sich ihm anschloss. Der Junge verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Er machte sich offensichtlich keine Sorgen. Das machte die Sache ein wenig leichter. Gleichzeitig war Cathan aber auch angespannter als zuvor. Er kannte diesen jungen Mann nicht, der nun plötzlich Luans Körper zu besitzen schien. Wie sollte er da ruhig bleiben? Aus den Augenwinkeln bemerkte Cathan, dass Kian immer wieder zu ihm hinüberschielte. Er war sich nicht sicher, ob sein Begleiter einen Angriff plante oder ob er sich sonst in acht nehmen sollte. Gerade als er Kian darauf ansprechen wollte, spürte er eine weitere Präsenz – und das direkt um die nächste Ecke. Die tuschelnden Pflanzen verstummten schlagartig und begannen dafür zu zittern. Cathan packte Kian am Arm, ignorierte dessen Protest und zog ihn mit sich hinter eine blutende Hecke. Dort zwang er seinen Begleiter auf die Knie und gab ihm mit einem finsteren Blick und einem „Shh!“ zu verstehen, dass er still sein sollte. Kian zeigte sich zwar nicht begeistert, aber er gehorchte ihm. Cathan lehnte sich ein wenig vor, um zu beobachten, was vor sich ging. Zuerst war ein Schaben zu hören, dann ein schweres Schnaufen. Schließlich kam ein Wesen in sein Blickfeld, das er noch nie gesehen hatte. Es wirkte auf den ersten Blick zwar wie ein Mensch, aber es war mindestens drei Meter groß, wie er schätzte. Es lief, genau wie ein Mensch, auf zwei massigen Beinen, sogar von der Bräune seiner Haut her hätte es ein Mensch sein können. Der Kopf und beide muskulösen Arme steckten in einem hölzernen Pranger, so dass Cathan von hinten nur den bulligen Nacken sehen konnte. Aus seinem Rücken ragte ein Speer, an dessen Ende eine altmodische Laterne baumelte. Sie verbreitete ein grünes Licht, das nicht gerade positiv zur Atmosphäre beitrug. Während er die trägen Bewegungen des Wesens beobachtete, fragte er sich, ob er einfach hervortreten und es bekämpfen sollte – falls es wirklich bösartig war. Aber das Surren direkt hinter seiner Stirn, das ihn stets vor Feinden warnte, genau wie jeden anderen Dämonenjäger, verriet ihm, dass er nicht mit einer friedlichen Begegnung rechnen dürfte. Und er hatte sich vorgenommen, nicht mehr gegen Dämonen zu kämpfen, die ihm vollkommen unbekannt waren. Schon gar nicht in dieser Welt. Zumindest wirkte dieses Wesen aber nicht sonderlich aufmerksam, es lief in die entgegengesetzte Richtung von jener, in die Cathan gehen wollte. Nachdem er das sichergestellt hatte, wandte er sich wieder Kian zu. „Wir müssen vorsichtig sein. Ich will nicht, dass eines von diesen Dingern uns sieht und uns die Köpfe abreißt.“ Das war natürlich nur der schlimmste Fall, aber er zweifelte nicht daran, dass er eintreten könnte. Glücklicherweise schien Kian zu verstehen, wie ernst die Situation war, denn er flüsterte ebenfalls bei seiner Antwort: „Wo willst du überhaupt hin? Weißt du, wo es rausgeht?“ „Nicht wirklich. Aber ich will nach Abteracht. Oder zumindest dahin, wo Abteracht in unserer Welt ist.“ Obwohl er sich nicht sicher war, ob er es in dieser Realität finden könnte. „Ich schätze, dort wird es eine Art Ausgang oder so etwas geben.“ „Gib doch zu, dass du nur ins heimatliche Nest willst.“ Cathan verzog ein wenig das Gesicht. Die Bemerkung traf vollkommen zu. Es ging ihm tatsächlich nur darum, dass Abteracht vertrautes Terrain war, und er in seinem Inneren glaubte, dass sich dort Lösungen zu allen Problemen finden ließen. „Ist der Grund nicht letztendlich egal?“, fragte Cathan. „Wir müssen hier irgendwie wieder wegkommen, aber wir haben beide keinen Plan. Also können wir einfach versuchen, irgendetwas zu tun. Und das einzige, das mir einfällt, ist Abteracht. Hast du einen besseren Plan?“ Kian sagte nichts mehr. Er fuhr auf seinen Fersen herum und lief, immer noch in der Hocke, bereits voraus. Cathan war erleichtert, dass die Diskussion so schnell geendet hatte, und folgte ihm. Dank seiner Fähigkeit, die Anwesenheit der Dämonen zu spüren, konnte er glücklicherweise auch ohne jeden Blick über die blutende Hecke bemerken, dass sie sich wirklich immer weiter voneinander entfernten. Ein paar Gärten weiter begannen die Pflanzen erneut zu tuscheln und zu kichern, weswegen Cathan Kian zurück auf die Straße führte. Durch die seltsamen Gebäudeformationen empfand er es schon als schwer genug, sich zu orientieren, aber die Straßenführung gab ihm zumindest die Illusion, dass er sich auskannte. Nach wenigen hundert Metern kamen sie wieder in Straßen zurück, die mit mehr Menschen bevölkert waren – jedenfalls in der Realität. In dieser Ebene, dem Limbus, waren es nur entfernt an Menschen erinnernde Schatten, mit in die Länge gezogenen Gliedmaßen und Köpfen. Löcher ersetzten die Augen, mit denen musterten sie die Vorbeikommenden. Kian schien sich daraus absolut nichts zu machen, aber Cathan fühlte sich doch zunehmend unruhig, je länger sie an all diesen Wesen vorbeiliefen. Die Straßenlampen verbreiteten ebenfalls ein grünes Licht, obwohl die Laternenpfähle sich selbst auf wundersame Weise ineinander verknotet hatten. Das Tuscheln war inzwischen in den Hintergrund getreten. Von den Schatten ging eher ein Geräusch aus, das an das Summen von Hochspannungsleitungen erinnerte. Vielleicht ließen sie deswegen auch Cathans Haar zu Berge stehen. „Hey.“ Kians Stimme – eigentlich Luans Stimme, die nur ein wenig kühler und desinteressierter klang – war das einzige, das dieses Summen durchbrach. „Ist es wirklich okay, hier offen herumzuspazieren? Was auch immer diese Dinger sind, sie scheinen uns immerhin zu beobachten.“ „Aber sie wirken nicht aggressiv“, erwiderte Cathan. Möglicherweise konnte er das Surren seines Instinkts aber nur nicht hören, weil das Summen zu laut war. „Selbst wenn sie uns angreifen, ich bekomme das schon hin. Vertrau mir.“ Er wusste nicht, ob er eine gemeinsame Vergangenheit mit Kian hatte. Gab es für diesen überhaupt einen Grund, ihm zu vertrauen? Zu seiner Erleichterung diskutierte Kian jedoch nicht mit ihm. Sein Schweigen interpretierte Cathan als Zustimmung. An der nächsten Kreuzung hielten sie wieder inne, um zu betrachten, was sie vor sich sehen konnten. Mitten auf der Straße waren menschenähnliche Wesen zu sehen, die aus weißem Eis zu bestehen schienen. Im Gegensatz zu den Schatten wirkten sie wesentlich menschlicher, die von ihnen geworfenen Silhouetten hätten problemlos für Frauen gehalten werden können – ihnen fehlten lediglich Gesichtszüge. Sie bewegten sich über die Straßen, als liefen sie Schlittschuh, ohne solche überhaupt an den Füßen zu tragen. Das von ihnen ausgehende Lachen klang hübsch, unbeschwert. „Selbst hier amüsiert man sich“, murmelte Cathan. Obwohl er selbst einen Dämon in sich trug, verdrängte er stets den Gedanken, dass diese Wesen auch Spaß haben können. Oder Familien. Es half ihm, sich besser auf seine Arbeit zu konzentrieren, ohne jeden Abend Gewissensbisse zu bekommen, ohne sich vorzustellen, dass er kleinen wartenden Dämonen an diesem Tag den einzigen Vater genommen hatte. Kian rollte mit den Augen. „Albträume würden sich nie derart verhalten.“ „Sind Albträume immer schlecht gelaunt?“ „So ziemlich. Besonders als Tanas sie noch gequält hat.“ Cathan öffnete bereits den Mund, um zu fragen, ob er Atanas meinte, da stießen die Schlittschuhläufer einen erschrockenen Laut aus. Schon im nächsten Augenblick waren sie in alle Himmelsrichtungen auseinandergeprescht. Die umstehenden Schatten schmolzen einfach in den Boden. „Was ist mit denen los?“, fragte Kian. „Fängt gleich die neue Staffel einer Serie an?“ „Vielleicht laufen sie vor uns weg“, schlug Cathan vor – doch er wusste sofort, dass sie nicht der Grund waren. Jedenfalls nicht direkt. Das Surren des Instinkts begann plötzlich derart laut und fordernd in seinem Kopf, dass vor seinen Augen alles verschwamm. Er musste mehrmals blinzeln, bis seine Sicht wieder klar wurde. Er fuhr herum – und entdeckte das Wesen, den Dämon, von zuvor in der Entfernung. Es war noch weit entfernt, aber es rannte geradewegs auf sie zu, dabei stieß es ein lautes Brüllen aus. „Wie gut bist du im Rennen?“ Kian runzelte seine Stirn. „Nicht so gut, warum?“ Das hatte Cathan bereits befürchtet. Er nickte in Richtung des Wesens. Kian drehte sich nun auch endlich um. „Scheiße! Sieht nicht so aus als wäre er friedlich.“ Und bei der Geschwindigkeit war Wegrennen vermutlich auch zwecklos. Also musste er improvisieren. Darin bin ich gut. Ich hoffe zumindest, das bin ich immer noch. Mit dem Fuß zog er eine blau glänzende Linie aus der eine Schutzwand wuchs, die Kian vollständig umgab. „Verlass diesen Schutzwall nicht, klar? Wenn er zerbricht, versteck dich.“ „Hast du vor, gegen ihn zu kämpfen, oder was?“ „Das ist mein Job.“ Ohne jedes weitere Wort sprang Cathan aus dem Kreis heraus, dem angreifenden Monster direkt entgegen. Gerade noch rechtzeitig erschien seine Bardiche in seinen Händen. Die Waffe traf auf das monströse Wesen und stoppte es abrupt in seinem Vormarsch. Die Wucht des Aufpralls ließ Cathan zurücktaumeln. Er fand aber sein Gleichgewicht wieder, dann stellte er sich mit der Bardiche, einer langstieligen Streitaxt, in Pose. Das halbmondförmige Axtblatt glitzerte im grünen Licht der Laterne, die von dem Speer im Rücken des Dämons baumelte. Da sie sich nun gegenüberstanden, konnte Cathan das Wesen auch von vorne betrachten. Dabei stellte er fest, dass die Augen zugenäht worden waren. Probehalber bewegte Cathan die Bardiche in verschiedene Richtungen, worauf er beobachten konnte, dass sein Gegner der Waffe mit dem Oberkörper folgte. Kann er doch irgendwie sehen? Ehe Cathan das herausfinden konnte, brüllte der Dämon noch einmal. Dann rannte er auf ihn zu. Selbst diese Bewegungen wirkten aber irgendwie träge. Cathan wich diesem Angriff aus – und beobachtete, wie sein Angreifer gegen eine der Straßenlampen rannte. Mit einem dumpfen Knall torkelte er rückwärts und blieb erst einmal verwirrt stehen. So bekam Cathan einen direkten Blick auf den Rücken des Dämons. Die Laterne am Speer wackelte hin und her, so dass das Licht immer in andere Richtungen fiel – und damit erkannte Cathan noch ein anderes Wesen. Es sah aus wie eine schwebende Kugel, der man ein weißes Laken übergehängt hatte, um es wie einen klischeehaften Geist aussehen zu lassen. Kreisrunde leuchtend-gelbe Augen saßen mitten auf der Kugel und starrten Cathan an. Das angreifende Wesen erholte sich schließlich von seinem Zusammenstoß und wandte sich wieder Cathan zu. Er erhaschte einen letzten Blick auf die Kugel, die ihn immer noch anstarrte. Sie ist seine Augen! Der Dämon, der immer noch im Pranger steckte, versuchte, ihn mit einer heftigen Kopfnuss zu treffen. Cathan schwang die Bardiche, um den Angriff abzuwehren. Das Wesen schrie auf und zuckte zurück. Ein blutender Schnitt zog sich quer über das Gesicht seines Gegners. Die Laterne enthüllte noch einmal die Kugel. Sie hielt sich stets in der Nähe der Lichtquelle auf, genau wie eine Motte. Aber wenn er diesem Dämon seine Augen nehmen könnte … Statt passiv zu bleiben, entschied Cathan sich, die Offensive zu ergreifen. Er schloss die Distanz zwischen sich und dem Wesen, doch statt eines direkten Angriffs, stemmte er den Stiel der Bardiche auf den Boden. Mit einem Sprung beförderte Cathan sich auf den Kopf des Dämons, dieser gab einen lauten Schrei von sich. Er versuchte, den ungebetenen Gast von sich zu schleudern, aber Cathan gelang es, sich mit einer Hand am oberen Brett des Prangers festzuhalten. In der anderen hielt er immer noch seine Bardiche. Mit dieser zielte er direkt auf den Speer im Rücken des Dämons. Beim ersten Schlag rutschte die Klinge am hölzernen Stiel ab, ohne einen nennenswerten Schaden zu verursachen. Der zweite Schlag verursachte eine tiefe Kerbe. Beim dritten Schlag bewegte sich der Dämon derart heftig, dass Cathan so sehr abrutschte, dass er eine oberflächliche Wunde im vernarbten Rücken des Wesens verursachte. Inzwischen schien es verstanden zu haben, wie es ihn am besten loswerden könnte. Der Dämon ging in die Knie und beugte den Oberkörper. Er will seinen Kopf in den Boden rammen?! Statt sich zurückzuziehen, schlug Cathan noch einmal zu. Das Axtblatt traf direkt auf die Kerbe, der Speer brach endlich ab. Cathan schwang sich über den Pranger, sprang vom Rücken ab und schnappte sich den abgetrennten Teil des Speers noch in der Luft. Damit landete er dann wenige Meter entfernt von dem Dämon, der gerade seinen Kopf mit voller Wucht gegen den Asphalt schleuderte. Cathan atmete auf, dann nahm er die Laterne vom Ende des Speers und ließ das nutzlose Stück Holz einfach fallen. Die Kugel schwebte begierig um das grüne Licht, vollkommen darauf konzentriert. „Nicht schlecht“, hörte er Kian sagen. Vermutlich fiel ihm die Kugel erst in diesem Moment auf. Da Cathan sie aber nun nicht mehr benötigte, holte er aus und schleuderte die Laterne so weit weg von sich wie möglich. Die Kugel folgte dem Licht und fing die Laterne auf, bevor sie auf dem Boden aufschlagen und zerspringen konnte. Für einen kurzen Moment befürchtete Cathan, dass die Kugel das Licht einfach zurückbringen könnte – aber stattdessen schwebte sie glücklich davon. Möglicherweise suchte sie sich nun einen anderen Dämon, an den sie sich hängen könnte. Cathan, der erwartete, dass der restliche Kampf nun problemlos verlaufen dürfte, wandte sich zurück zum Dämon. Dieser hatte sich inzwischen wieder aufgerichtet. Aus der Schnittwunde floss immer noch Blut, die Stirn war wegen des Aufpralls gerade eben gerötet. Um ihn endlich von diesem Kampf zu erlösen, schwang Cathan erneut die Bardiche. Im selben Moment zersplitterte der Pranger – und der Dämon riss die Augen auf. Er fing Cathans Waffe mit den Händen auf und entriss sie ihm. Das geschah derart ruckartig, dass Cathan auf die Knie stürzte. Schmerzen zuckten durch seine Beine, aber dafür hatte er keine Zeit. Während der Dämon die Waffe genauer betrachtete – mit einem Interesse, das fast schon unheimlich war – beschwor Cathan einen Bogen in seinen Händen. Ohne aufzustehen zielte er von unten auf den Kopf des Wesens, ein leuchtender Pfeil erschien angelegt an der gespannten Sehne. Cathan ließ ihn los – doch der Dämon wischte den Pfeil desinteressiert beiseite. Er hatte nicht einmal die Gelegenheit, davon überrascht zu sein, da raubte ihm ein heftiger Schlag in den Torso sämtlichen Atem. Er flog durch die Luft, landete auf dem Boden und überschlug sich mehrmals, ehe er zum Liegen kam. Sein gesamter Körper schien in Flammen zu stehen. Die Regenerationskräfte begannen sofort zu wirken, aber das Kribbeln in den brennenden Gelenken machte es nicht besser. Die Schmerzen ignorierend, versuchte Cathan, sich aufzurichten. Da schmetterte der Dämon ihm seine Bardiche entgegen. Um nicht getroffen zu werden, ließ Cathan sich wieder fallen. Mühsam unterdrückte er einen Schrei, die Flammen in seinem Körper wurden intensiver. Die Bardiche flog dafür über ihn hinweg, ohne ihn zu treffen. Wie hatte der Kampf so schnell außer Kontrolle geraten können? Ich habe den Feind unterschätzt. Weil ich nicht genug über ihn wusste. Ich Idiot! Warum geschah ihm das nur immer wieder? Legendärer Dämonenjäger, was für ein lausiger Titel, er konnte ihm nicht mal alle Ehre machen. Der Dämon näherte sich ihm langsam. Cathans Blick wanderte zu Kian, der den Kampf scheinbar unbeteiligt verfolgte. Lediglich seine zusammengezogenen Brauen verrieten, dass er sich Sorgen machte. Ich muss ihn in Sicherheit bringen. Irgendwie. Er versuchte, zu Kian hinüberzukriechen. Seine Arme protestierten dabei kreischend. Er stieß einen Laut aus, der aus den Tiefen seines Halses zu kommen schien, der jemals von keinem menschlichen Wesen kommen dürfte. Schon nach wenigen Sekunden, die sich für ihn wie eine Ewigkeit anfühlten, wurde er wieder von dem Dämon aufgehalten. Diesmal stellte er einfach einen Fuß auf Cathan und übte ein wenig Druck auf ihn aus. Es war genug, dass er leise aufstöhnen musste. Das Wesen gab ein finsteres Lachen von sich, während es spielerisch den Druck erhöhte. Cathan glaubte, seine Knochen brechen zu hören, Blut in seinem Mund zu schmecken. Hätte ich mich heute nur anständig von Granya und den Kindern verabschiedet ... Aber wer hätte ahnen können, dass ein einfacher Therapeuten-Besuch derart enden würde? Wenigstens wird Lowe sich gut um sie kümmern. Auch um Kieran ... Besonders in diesem Moment bereute er, wie sie mit dem Dämon umgegangen waren, der so lange bei ihnen gelebt hatte und eigentlich ein Teil der Familie war. Wenn ich nur noch eine Chance bekäme ... Er wollte die Augen schließen, wollte das Ende nicht sehen – aber da spürte er eine weitere Präsenz. Schüsse zerrissen die wieder eingetretene Stille. Der Dämon kreischte, nahm den Fuß von Cathans Körper und fuhr herum. Die massige Gestalt versperrte ihm die Sicht, deswegen konnte er nicht sehen, wer ihm zur Hilfe gekommen war. Seine Regeneration arbeitete wieder auf Hochtouren, um seinen geschundenen Körper in Ordnung zu bringen. Während dieser Zeit beobachtete er den Kampf vor sich. Aber außer mehreren Lichtblitze konnte er nichts erkennen. Der Dämon versuchte, seinen Angreifer genauso barbarisch auszuschalten wie Cathan zuvor. Aber dieser Gegner musste damit gerechnet haben, denn er wich immer wieder blitzschnell aus, nachdem er selbst angegriffen hatte. Schließlich war der Dämon so sehr mit Stichen, Schnitten und Brandwunden übersät, dass er erschöpft zu Boden sank. Ein letzter Lichtblitz – und der Dämon löste sich in unzählige glitzernde Funken auf, die in den Himmel emporschwebten. Cathan sah ihnen einen Moment hinterher, dann fokussierte sich sein Blick auf zwei Personen, die inmitten der letzten Funken standen. Es war ein edel aussehender Mann mit langem grünen Haar und eine finster dreinblickende Frau mit langem dunklem Haar. Beide trugen sie es zusammengebunden, und sie hatten beide Brillen. Ihre Blicke wirkten dadurch geradezu stechend. Er hatte das Gefühl, die beiden schon einmal gesehen zu haben, aber im Moment konnte er sie nirgends einordnen. Auch nicht als der Mann schließlich den Mund öffnete: „Es war unvorsichtig von dir, im Limbus gegen einen Dämon kämpfen zu wollen, Cathan Lane.“ Die Frau rückte ihre Brille zurecht. „Damit wäre es fast zu dem Ergebnis gekommen, das er sich wünscht.“ Erst als er ihre, etwas leise, unentschlossene Stimme hörte, wusste er endlich, mit wem er es zu tun hatte: Seine Retter waren Patrok und Amari Dragana – die verschollenen Eltern von Konia. Kapitel 16: Du kommst von hier? ------------------------------- „Der Limbus ist die Grenze zwischen dieser Welt und Niflheim. Nur dank ihm ist es möglich, dass Dämonen in unsere Welt gelangen können.“ „Wen interessiert denn der Scheiß?“ Patrok sah zu Kian hinüber, der ihn derart grob unterbrochen hatte. Die Stirn des Mannes war gerunzelt, während Kian hauptsächlich genervt aussah. „Die Frage ist doch, wie wir hier rauskommen. Nicht, warum es dieses Ding überhaupt gibt.“ Cathan saß noch immer auf dem Boden, gegen eine Straßenlampe gelehnt. Seine Regenerationskräfte wirkten weiterhin, aber da es nur damit zu lange dauerte, kniete auch Amari neben ihm, um heilende Magie auf ihn zu wirken. Die fremde Energie wirkte wie ein kühler lindernder Balsam auf und unter seiner Haut. Gleichzeitig löste sie aber auch ein unangenehmes Kribbeln aus, während die Fremdheit durch seinen Körper pulsierte. Er wusste schon, weswegen er Heilmagie nicht mochte. Wenigstens konnte Cathan sie so näher betrachten. Amari wirkte wesentlich ernster und sogar noch distanzierter als er sie in Erinnerung hatte. Ihre Brauen waren leicht zusammengezogen, ihr Blick fokussierte sich vollkommen auf seinen Oberkörper. Sie trug einen bis an ihre Fußknöchel reichenden braunen Rock, der ihm furchtbar unpraktisch in dieser Welt vorkam, aber er war überraschend sauber, genau wie ihr schwarzer Pullover. Dabei fiel ihm auf, dass Patrok sogar einen dunklen Anzug trug, der auch wie neu aussah. Entweder waren sie derart gute Kämpfer oder es gab in dieser Welt, dieser Grenze, gute Modeläden. „Mich interessiert schon, was genau das hier eigentlich ist“, mischte Cathan sich in die Unterhaltung von Patrok und Kian ein. „Und wie wir hier landen konnten. Ich denke, das ist ziemlich wichtig.“ Kian sah ihn an, als wolle er widersprechen. Aber er sagte nichts, schnaubte stattdessen nur und wandte sich dann beleidigt wieder ab. Cathan fragte sich, ob zwischen ihm und Kian in der anderen Zeitachse auch eine Verbindung existiert haben mochte, so wie zwischen Luan und ihm. Luan, der ihn sogar Papa genannt hatte. Hoffentlich ging es ihm gut. „Natürlich weiß ich nicht, wie der Limbus überhaupt entstehen konnte“, fuhr Patrok fort. „Aber dass du über Abteracht zurückkehren wolltest, war ein gesunder Instinkt, Cathan.“ Wenigstens etwas Gutes, das er im Limbus bewirkt hatte. „Der Kraftkern von Abteracht ist mit dem Limbus verbunden, deswegen hättet ihr dort auch eigenhändig ein Portal öffnen können.“ Kian kratzte sich an der Wange. „Kraftkern, huh?“ Cathan dachte derweil über etwas anderes nach. Wenn der Kern von Abteracht mit dem Limbus verbunden war, galt dasselbe dann auch für Niflheim? War es am Ende nur dieser Kristall, der es Dämonen ermöglichte, in der normalen Welt zu existieren? Wenn er nun zerstört werden würde … Patrok griff sich nachdenklich an sein Kinn. „Ihr beide seid jedenfalls hier gelandet, weil es gerade jemanden in dieser Welt und seinem Limbus gibt, der den Weltenbrecher in seine Hände bekommen will.“ Er sah zu Kian hinüber, der wieder schnaubte. „Es ist Atanas, oder? Der Alte muss es sein!“ „Das kann nicht sein“, widersprach Cathan. „Atanas erinnert sich nicht an seine Vergangenheit. Er hat nichts mehr mit Weltenbrechern zu tun.“ „Vielleicht tut er auch nur so.“ Kian ließ sich nicht davon abbringen. „Ohne Ciar kann der Alte doch kein guter Mensch werden, das glaube ich nicht.“ „Was hat Ciar damit zu tun?“ Ein lautes Knurren unterbrach das Gespräch. Es kam scheinbar aus der Entfernung, war aber derart laut, dass Cathan ein eiskalter Schauer über den Rücken lief. Patrok sah die Straße hinab und schüttelte den Kopf. „Wir sollten uns hier nicht so sehr über etwas aufregen. Emotionen setzen in dieser Welt Schwingungen frei, die von Dämonen aufgespürt werden. Und nicht alle sind daran interessiert, dich einfach nur zu trösten oder sich mit dir zu freuen.“ „Du kennst dich hier aber gut aus“, brummte Kian. „Wir sind auch schon lange hier. Jedenfalls kann ich dir mit Sicherheit sagen, dass Atanas nicht hierfür verantwortlich ist. Wir haben das bereits eingehend untersucht.“ Amari beendete das Wirken des Zaubers endlich und erhob sich. Mit festem Blick, aber immer noch leiser Stimme, mischte sie sich nun ebenfalls in das Gespräch ein: „Wir kennen den Namen des Verantwortlichen nicht, aber er kommt aus einer anderen Welt, so viel ist sicher.“ Patrok half Cathan nach oben, während er weiter erklärte: „Cerises Existenz schützt normalerweise diese Welt, damit keine Aggressoren von außerhalb eindringen können. Vermutlich konntest du dir ja auch bereits denken, dass diese Welt ganz … außergewöhnlich ist.“ Nicht so wirklich, deswegen konnte er nur mit dem Kopf schütteln. „Oh.“ Patrok warf einen kurzen Blick zu Amari, die diesen stumm erwiderte. Cathan war überzeugt, dass die beiden eine starke Verbindung miteinander besaßen, und gerade miteinander kommunizierten. Vielleicht dachten sie aber auch nur dasselbe, weil sie sich so ähnlich waren oder derart lange kannten. „Wie auch immer.“ Patrok sah wieder Cathan an. „In diesem Fall musst du mir glauben, dass diese Welt Schauplatz einiger außergewöhnlicher Geschehnisse ist – und war.“ „Vor dem Wechsel der Zeitachse“, fügte Amari hinzu. Also wussten sie davon? Patrok führte diesen Punkt gar nicht erst aus. „In all den Welten, die vom Weltenwächter bewacht werden, gibt es immer wieder ganz besondere Exemplare. Das kann aus den unterschiedlichsten Gründen sein.“ „Welten, in denen sich nie Menschen entwickelt haben“, erklärte Amari. „Welten, deren Entwicklung für immer auf dem Level des Mittelalters bleiben. Oder auch Welten, in denen sich die Lebensgeschichte des Weltenwächters mit Variationen wiederholt.“ Das passte alles nicht zu ihrer Welt. Cathan sah Amari fragend an und wartete auf ihre weitere Erklärung. Allerdings präsentierte sie diese nicht. Stattdessen war ihr Blick bereits wieder auf Patrok gerichtet. Dieser fuhr mit einem anderen Thema fort: „Weil diese Welt derart besonders ist, lockt sie sehr viele Personen aus anderen Welten an, die versuchen, davon zu profitieren. Entweder indem sie die Kraftquelle zu stehlen oder die Welt zu zerstören versuchen, um diese Energie einfach freizusetzen.“ „Kein Witz?“, fragte Kian. „In der Welt gibt es so etwas?“ „Jede Welt besitzt eine gewisse Energiequelle“, antwortete Patrok. „Aber nicht in jeder ist sie derart stark wie etwa hier. Diese Welt ist das Licht, und diejenigen, die davon profitieren wollen, sind die Motten.“ War das der Grund, weswegen es die Dämonen in die Welt der Menschen zog? Was wollten sie dort überhaupt? Kane, sein eigener Dämon, schwieg in seinem Inneren. Aber Cathan hatte ihn schon vor langer Zeit danach gefragt. Damals war die Antwort aber auch nur Ratlosigkeit gewesen. Kane erinnerte sich nicht, was in seinem letzten Leben geschehen war oder weswegen er plötzlich in einem Menschen lebte. Dieselbe Antwort hatte er von jedem anderen Dämonenjäger bekommen, den er gefragt hatte. Möglicherweise war diese Energiequelle dafür verantwortlich. Hier darüber nachzudenken war aber sinnlos. Er müsste zurück und mit Parthalan darüber sprechen. Vielleicht könnte dieser wesentlich besser darüber nachdenken. Da Cathan nicht mehr schwankte, gab Patrok ihnen zu verstehen, dass sie gehen sollten. Zu viert setzten sie also ihren Weg fort in Richtung von Abteracht. „Was macht ihr eigentlich hier?“, fragte Cathan, da es offenbar nichts mehr zu erklären gab; jedenfalls schwiegen die beiden. „Ihr seid vor Jahren verschwunden ...“ Und niemand hätte gedacht, einen von ihnen jemals wiederzusehen, besonders Konia nicht. Da Patrok diesmal eine Antwort schuldig blieb, übernahm Amari das: „Wir waren in Muspelsheim, um die Erinnerungsfetzen eines Weltenzerstörers zu vernichten, ehe sie zu einem Dämon anwachsen und damit gefährlich werden.“ „Daran erinner ich mich“, kommentierte Kian. „Das waren die Erinnerungen von diesem Ares-Typ.“ Amari nickte ihm zu. „Ares Liam, korrekt. Aber er stellt seit dem Wechsel der Zeitachsen keine Gefahr mehr dar. Also gab es irgendwann keine Erinnerungsfetzen mehr, deswegen sind wir hierher zurückgekommen.“ Cathan betrachtete die blau leuchtenden Käfer, die sich leise summend in dem grünen Licht der Laternen sammelten. „Aber weswegen hierher? Warum nicht zu Konia?“ Wären sie dann rechtzeitig gekommen, um ihr menschliches Ich zu retten? Nein, vermutlich nicht. Es war schon lange weg. Nicht einmal mehr Kieran kannte es. Amari antwortete nicht. Deswegen warf Kian auch noch etwas ein: „Warum weißt du überhaupt was von dem Zeitdingens-Wechsel? Außer Jii hat das keiner mitbekommen.“ „Ich komme von hier. Wesen des Limbus sind frei von Zeit. Also kann ein Wechsel der Zeitachsen uns auch nicht beeinflussen.“ Cathan war erst von der Tatsache, dass der Limbus offenbar frei von Zeit war, fasziniert. Aber dann entdeckte er doch etwas, das ihn noch mehr interessierte. „Du kommst von hier?“ Sie blickte ein wenig zur Seite, nickte aber. „Ich bin hier im Limbus geboren, als einer von ihnen.“ „Deine Eltern und ich haben sie dazu überredet, den Limbus zu verlassen“, sagte Patrok. „Aber wir hielten es für besser, uns hier erst einmal zu verstecken, bis wir ergründen können, was für diesen Wechsel verantwortlich ist. Ich habe davon allerdings auch nichts mitbekommen, ich verlasse mich nur auf Amaris Worte.“ Das erforderte wirklich viel Vertrauen. Aber Amari wirkte auch nicht wie jemand, der log. Sogar Cathan hätte ihr das auf Anhieb geglaubt. „Ihr habt euch die ganze Zeit hier versteckt?“ Kian rümpfte die Nase. „Was für ein lausiges Versteck.“ „Es war der beste Ort, um dennoch im Auge zu behalten, was in der Welt, besonders in Cherrygrove, vor sich geht.“ Amari nickte nach den Worten ihres Mannes. „Cherrygrove ist ein Ort, an dem viele Fäden zusammenlaufen. Womöglich wegen des Energiekerns, aber das weiß ich nicht genau. Im Gegensatz zu den anderen hier, kann ich ihn und seinen Einfluss nicht spüren.“ Vielleicht war der Einfluss auch nicht für jeden direkt spürbar oder nur ein Gefühl, das man nicht näher benennen konnte, einen aber in diese Stadt zog. Jedenfalls hatte Cathan auch noch niemals den Wunsch verspürt, die Stadt zu verlassen, nicht einmal für einen kurzen Urlaub. Möglicherweise interpretierte er aber auch zu viel hinein. Das leise Lachen einiger Pflanzen war erneut zu hören, dann ging das Tuscheln los. Es schien, dass bei ihnen alles okay war. Es gab also keinen weiteren aggressiven Dämon in der Nähe. Inzwischen waren am Rand der Straße wieder Schatten aufgetaucht, die ihnen keine Aufmerksamkeit schenkten. Sie gingen ihren eigenen Dingen nach, was hauptsächlich daraus bestand, dass sie über den Gehweg schlichen, den Blick meistens nach unten gerichtet. Kian beobachtete diese Wesen aufmerksam. „Warum sieht hier alles so menschlich aus, nur voll verdreht? Albträume würden sich niemals mit sowas abgeben.“ „Albträume haben wohl wirklich keinen Spaß“, bemerkte Cathan. Darauf wandte Kian ihm den Blick zu und schien ihn geradewegs damit erdolchen zu wollen. „Albträume haben eben echte Probleme, anders als Dämonen. Anscheinend lieben die es ja, die Haustiere von Menschen zu sein! Wahrscheinlich haben Dämonenjäger eigentlich voll den chilligen Job und tun nur so, als ob es voll anstrengend wäre.“ Cathan war nie ein Traumbrecher gewesen, hatte sich nie eingehender mit Albträumen befasst, deswegen musste er erst seine Gedanken sammeln, ehe er darauf etwas erwidern konnte, um seinen Berufsstand zu verteidigen – doch Amari kam ihm bereits zuvor: „Wir sind keine Haustiere! Es gibt nur manche von uns, die den Menschen gern ähnlich wären. Das schafft uns wieder neue Probleme. Außerdem gibt es auch unter den Albträumen solche, die menschlich werden wollen. Oder wie erklärst du dir, dass du in einer menschlichen Form existierst? Der Weltenbrecher könnte auch eine Bestie sein – und doch bist du als Mensch geformt worden.“ Kian schien genauso überrascht über ihren Redeschwall zu sein wie Cathan, sie sahen sie beide nur schweigend an. Jedenfalls im ersten Moment. Kian öffnete bereits den Mund, um etwas zu erwidern, da blieb Patrok stehen und fuhr zu ihnen herum. „Das reicht jetzt. Wenn ihr euch weiter streitet, werden wir nie den Limbus verlassen.“ Er war vollkommen ruhig, aber ein entferntes Grollen unterstrich dafür seine Worte. Derart laut wie es dennoch war, musste es ein großes Monster sein. Cathan konnte auf diese Begegnung verzichten. Deswegen legte er eine Hand auf Kians Schulter. „Keine Sorge, ich kümmere mich schon darum, dass er fortan ruhiger wird.“ Patrok sah zwischen ihnen beiden hin und her, sein Blick weiterhin derart kühl und auch etwas desinteressiert. Aber schließlich nickte er und drehte sich wieder in die andere Richtung. „Wir sind bald da. Danach könnt ihr toben, so viel ihr wollt.“ Amari und er setzten den Weg bereits fort, Cathan und Kian blieben aber erst noch stehen. Letzterer riss sich los, schnaubte und richtete seine Kleidung. „Was denkt der eigentlich, wer er ist?“, zischte er. „Als ob der uns herumkommandieren könnte! Lässt du dir das gefallen?!“ Kian war es sicher nicht gewohnt, herumkommandiert zu werden, Cathan dagegen schon. Deswegen störte es ihn auch nicht, wie er erklärte. Kian wirkte darüber nicht erfreut, er sagte aber nichts mehr. Stattdessen schnaubte er noch einmal und schloss sich dann wieder Amari und Patrok an. Cathan folgte seinem Beispiel. Es dauerte tatsächlich nicht mehr lange, bis sie dort ankamen, wo Abteracht in der Realität war. Im Limbus befand sich hier allerdings nur ein Baum. Er erinnerte an jenen, in dem der Energiekern lagerte, aber es waren keine rosa Blüten auszumachen. Statt diesen lag etwas über den Ästen, das auf den ersten Blick wie eine rote Decke aussah. Aber es bewegte sich, tropfte herunter und bildete rote Pfützen zwischen den Wurzeln. Es roch nicht nach Blut, eher nach Wachs, aber es wurde in den Lachen nicht hart, deswegen blieb Cathan ratlos zurück. Eine Öffnung im Stamm enthüllte eine Schwärze, die tiefer erschien als alles, was er jemals zuvor gesehen hatte. Wenn er zu lange hineinstarrte, glaubte er, hineinzufallen und verschluckt zu werden – und gleichzeitig spürte er das Verlangen, sich in die Schwärze fallenzulassen und endlich alle Sorgen und Probleme hinter sich zu lassen. Ein Gefühl von Euphorie überkam ihn, wollte ihn dazu bewegen, diesem Verlangen zu folgen, aber noch war er der Herr seiner Sinne. Mit aller Gewalt brachte er sich dazu, den Blick abzuwenden und wieder Patrok anzusehen. „Wie öffnen wir nun das Portal?“ Der Gefragte hob schweigend einen Finger und richtete seine Aufmerksamkeit nun selbst auf den Baum. Er sah nicht in die Schwärze hinein, sondern betrachtete den übrigen Stamm. Nach einigen Sekunden legte er eine Hand auf eine bestimmte Stelle. Die Rinde leuchtete auf, eine glühende Spur zog sich durch die tiefen Risse darin, ließ andere Teile des Baumes leuchten, bis er schließlich vollständig in Licht getaucht war. Auch die rote Flüssigkeit war nun von einem eigentümlichen Glanz umgeben. Sogar die Schwärze war von unzähligen Sternen erhellt und hatte seine Anziehungskraft vollkommen verloren. „Das ist das Portal“, erklärte Patrok. „Es ist jetzt mit der normalen Welt verbunden, also können wir hindurchgehen.“ „Wohin führt es normalerweise?“, fragte Cathan. Er bekam keine Antwort, aber das sagte bereits mehr als er wirklich wissen wollte. „Werdet ihr mitkommen?“ Patrok suchte Amaris Blick, sie nickte. „Die feindliche Entität versteckt sich vielleicht hier, aber wir können sie nicht finden – und damit auch nichts weiter herausfinden. Deswegen wird es Zeit, den Limbus zu verlassen.“ „Wir müssen ebenfalls mit Parthalan über das Geschehen sprechen“, erklärte Patrok weiter. „Es wird leichter werden, gegen den Feind vorzugehen, wenn alle Jäger davon wissen.“ Kian grummelte leise, er zweifelte wohl immer noch daran, dass Dämonenjäger ein schweres Leben hatten. Aber keiner von ihnen ging darauf ein, um das Grollen nicht erneut zu provozieren. Patrok nickte ihnen zu. „Ihr solltet zuerst gehen. Der Limbus beruhigt sich mit Sicherheit, sobald ihr nicht mehr hier seid.“ Natürlich, die beiden waren emotionsarm genug, dass sie keinerlei Probleme hier verursachen dürften. Deswegen stimmte Cathan auch sofort zu. „Lass uns gehen, Kian.“ Hoffentlich wird er dann bald wieder Luan. Wenn er so blieb wie im Moment, könnte das einige Probleme in Abteracht verursachen, und das könnte gerade niemand von ihnen gebrauchen. „Von mir aus“, brummte Kian. Ohne jede weitere Aufforderung, ging er auf die mit Sternen gesprenkelte Fläche zu – und verschwand darin. Das schlechte Gewissen nagte bereits an Cathan; er hätte eigentlich vorgehen müssen, um sicherzugehen, dass alles in Ordnung war. Aber nun war es bereits zu spät und er konnte ihm nur noch folgen. Nach einem letzten Nicken in Richtung ihrer beiden Begleiter, ging Cathan ebenfalls mit festen Schritten auf das Portal zu. Im letzten Moment wollte er zurückweichen, aber da griff seine rechte Hand bereits nach den Sternen – und weißes Licht überschattete seine Augen vollständig, bis er sie endlich schloss. Vor seinem geistigen Auge sah er unzählige Sterne, hörte das Rauschen des Weltalls, das er von NASA-Aufnahmen kannte. Sein Herzschlag beruhigte sich immer mehr, bis er schließlich nur noch Frieden spürte. Und inmitten dieses Gefühls hörte er die Stimme eines Mannes: Sie schien von weit her zu kommen, deswegen konnte er nicht verstehen, was gesagt wurde. Dabei glaubte er, dass es wichtig war. Aber gleichzeitig störte es ihn auch nicht weiter, dass er es nicht verstand. So war es eben, also warum sollte er sich darum kümmern? Dann verschwanden die Sterne und auch das Gefühl der Ruhe. Cathan öffnete seine Augen wieder. Er war nicht mehr im Portal. Er stand in Abteracht, in dem Raum, in dem auch der Energiekern aufbewahrt wurde. Hinter sich spürte er die davon ausgehenden Wellen. Vor ihm standen Luan – die Augen waren wieder grün, sein Blick ging unsicher umher – und Parthalan, der ihn gewohnt ernst ansah. Einen kurzen, schönen Moment lang wollte er sich einreden, dass alles nur ein Traum gewesen war, aber dann zerstörte Parthalan diese Illusion: „Willkommen zurück, Cathan. Ich freue mich schon auf deinen ausführlichen Bericht.“ Cathan nickte. Parthalans Blick wanderte über seine Schulter, hinter ihm erschienen weitere Personen, die von dem Vizeanführer mit einem Nicken begrüßt wurde. „Und auf euren Bericht bin ich auch gespannt, Patrok und Amari.“ Kapitel 17: Ich wollte nur unser Experiment vorantreiben. --------------------------------------------------------- „Und ich soll dich wirklich nicht einfach teleportieren?“ Konia unterdrückte das Seufzen. Sie wusste, dass Jii es nur gut meinte, aber es nervte sie eher, dass er sie so zu behüten versuchte. „Wirklich nicht“, versicherte sie ihm zum wiederholten Mal. „Es ist okay.“ Vielleicht ärgerte es ihn aber auch nur, dass sie derart langsam liefen, während sie unterwegs zur Krankenstation von Athamos waren. Mit ihrem unnützen rechten Bein und dem Stock ging es aber nicht anders und er bestand darauf, ihr den Weg nicht nur zu beschreiben. Damit er nicht noch einmal auf die Idee kam, sie nach einer Teleportation zu fragen, stellte sie eine eigene Frage: „Bist du sicher, dass er heute Zeit für mich hat? Es ist sehr kurzfristig.“ „Ganz sicher. Es gibt aktuell nicht viele Patienten, die Routine-Check-Ups hat er alle hinter sich und er schläft ja auch so gut wie gar nicht. Er dürfte also auch schon alle Akten wieder durch haben.“ Sie konnte sich kaum vorstellen, dass es jemanden gab, der die Arbeit über den Schlaf stellte. Egal wie gern sie forschte und experimentierte, nichts ging über eine gute Portion Schlaf. Ob Luan sich unter diesen Umständen nicht doch irrte? „Außerdem fand er dich beeindruckend.“ „Bitte?“ Skeptisch sah sie zu ihm hinüber. „Davon habe ich nichts bemerkt.“ Bei ihrer letzten Begegnung hatte er vielmehr desinteressiert gewirkt. „Er hat mir gesagt, dass er deinen Titel als leitende Laborforscherin beeindruckend findet. Bei jemandem wie Vane bedeutet das schon eine ganze Menge.“ Ganz glauben konnte sie das nicht, aber sie widersprach auch nicht mehr. Falls er damit etwas bezweckte, wollte sie ihn nicht unnötig aus dem Rhythmus bringen. Vor allem, weil sie ohnehin nur noch abwarten konnte. Jii zog ein Handy aus seiner Tasche. „Du bist also aus Abteracht geflohen, weil deine Eltern heute dort angekommen sind?“ Konia verfluchte ihn innerlich für seinen Scharfsinn. Äußerlich ließ sie sich nichts anmerken. „Nein. Ich wollte nur unser Experiment vorantreiben. Und woher weißt du eigentlich davon?“ „Parthalan hat mir ein Bild geschickt, um zu fragen, ob sie es wirklich sind.“ Er hielt das Handy in ihre Richtung, wohl damit sie sich das Bild ebenfalls ansah, aber sie blickte stur geradeaus. „Ich habe es ihm bestätigt. Auch wenn Amari ein wenig anders aussieht als ich sie in Erinnerung habe.“ Konia erinnerte sich gar nicht mehr an ihre Eltern. Sie war von ihnen vor dem Waisenhaus abgesetzt worden, als sie gerade einmal drei Jahre alt gewesen war. Ihre einzige Erinnerung an die beiden beinhaltete daher deren Rücken, als sie verwirrt auf den Stufen gesessen und auf Mitarbeiter des Waisenhauses gewartet hatte. In ihrem Arm hatte sie nur eine weiße Robbe aus Plüsch gehalten und in ihrer Hand einen Brief, in dem alle wichtigen Dinge über sie gestanden hatten. Was auch immer ihre Eltern für wichtig erachtet hatten. Sie plante nicht, diesen Eindruck zu erneuern. Als Jii bemerkte, dass sie das Bild nicht ansehen wollte, senkte er das Handy wieder. „Jedenfalls glaubt mir Parthalan auch endlich, seit Luan aufgetaucht ist und alles erzählt hat.“ „Als jemand, der es angeblich jedem ansehen kann, wenn er lügt, ist er ziemlich misstrauisch, oder?“ „Du kennst ihn doch.“ Jii zuckte mit den Schultern. „Außerdem glaubt er, dass es jemanden gibt, der ihn ganz bestimmt hinters Licht führen kann.“ „Das kann ich mir kaum vorstellen.“ Aber möglicherweise besaß jeder eine Nemesis, der es möglich war, die eigene Fähigkeit aufzuheben, sogar Parthalan. Sicher war das eine furchterregende Vorstellung für ihn. „Wenn wir gerade von Feinden sprechen“, begann Jii, „hast du mal wieder etwas von Jarl gehört?“ Konia rümpfte die Nase. Die erste emotionale Reaktion auf ihrem Gesicht an diesem Tag. „Seit dem letzten Angriff im November nicht mehr. Aber von mir aus kann er auch auf dem Grund eines erloschenen Vulkans gelandet und dort qualvoll verhungert sein.“ Jii lachte humorlos. „Ich finde es immer interessant, wie anders du über ihn sprichst. Nur bei ihm zeigst du Emotionen – wenn auch sehr hasserfüllte.“ „Was anderes wird Jarl von mir auch nie bekommen.“ Weswegen sie immer hoffte, dass er niemals wieder auftauchte, weil er endlich die Hinweise verstand. Aber in seiner verklärten Realität deuteten diese vermutlich auf etwas ganz anderes hin. „Dann hoffe ich erst recht, dass es mit dir und Vane auch in dieser Zeitachse funktioniert. Jarl war anfangs dennoch sehr hartnäckig, aber irgendwann konnte er geschnappt werden.“ Das wäre sicher ein angenehmer Nebeneffekt, genau wie ihre Heilung. Aber es ging ihr doch mehr um dieses Glück von dem Luan gesprochen hatte. Weder sie noch ihr menschliches Ich hatten ein solches Gefühl je empfunden, also wurde es vielleicht endlich Zeit. Und wenn es funktionierte, wäre es doch für alle ein Gewinn, oder? Im Eingangsbereich der Krankenstation angekommen, entdeckte Konia sofort eine Person hinter dem Rezeptionsschalter. Es war eine junge Frau, die sich leise summend mit einigen Akten beschäftigte. Ihr violettes Haar, das ihr glatt über den Rücken fiel, führte dazu, dass Konia sich an ihr eigenes griff. Bevor sie geflohen war, hatte sie darauf geachtet, ihr Haar ausgiebig zu bürsten und es dann zu einem Zopf zu flechten. Angesichts dieser Erscheinung an der Rezeption, kam ihr das nun aber nicht mehr genug vor. Jii schien damit aber keine Probleme zu haben. „Hallo, Naola.“ Sie hob den Blick von ihrer Arbeit und lächelte dabei, was sogar ihre hellblauen Augen glitzern ließ. „Hallo, Dr. Jii. Brauchen Sie etwas?“ Ihr Blick wanderte zu Konia, die sich bereits anspannte. Glücklicherweise lenkte Jii die Aufmerksamkeit sofort wieder auf sich: „Ich nehme doch an, dass Vane für uns Zeit hat, oder?“ „Für seinen Chef doch immer~.“ Selbst ihre Stimme klang fröhlich und jugendlich. „Im Moment liest er wieder irgendwelche Bücher.“ „Seine übliche Freizeitbeschäftigung also. Ich erlöse ihn mal davon, bevor er doch noch Kopfschmerzen bekommt. Danke, Naola.“ Immer noch lächelnd beteuerte sie, dass es ihr eine Freude gewesen wäre. Jii setzte seinen Weg gemeinsam mit Konia fort, bevor Naola noch etwas sagen konnte, was seine Begleitung durchaus erleichterte. Jenseits der Rezeption befand sich ein Gang, der durchaus an ein Krankenhaus erinnerte. Er schien sich bis ins Unendliche zu ziehen, verschwamm aber, wenn man versuchte, das Ende genauer in Augenschein zu nehmen. Es musste sich also um eine Illusion handeln – oder er wurde bei Bedarf von Traumbrechern mit Schöpfer-Prägung erweitert. Links und rechts gab es Türen, die, den Aufschriften nach, in Untersuchungszimmer oder Krankenzimmer führten. Man schien also gut ausgerüstet, aber bei einem Direktor wie Jii verwunderte das Konia nicht. „Wenn Vane schon jemanden wie diese Naola hat-“, begann sie, wurde aber sofort von Jii unterbrochen: „Sie ist seine Assistentin, mehr nicht. Jemand wie Vane ist nicht an jemandem wie ihr interessiert. Und für sie ist er mehr eine Vaterfigur.“ Sie war immer noch skeptisch, sagte aber nichts mehr. Nach einigen Türen kamen sie zu einer, die verkündete, dass es sich hierbei um das Büro handelte. Sie war nur angelehnt, so dass Jii einen kurzen Blick in den Raum werfen konnte. Nachdem er zufriedengestellt war, wandte er sich wieder Konia zu. „Okay, bist du bereit?“ „Mehr oder weniger.“ Natürlich war es ihre Idee gewesen, aber eigentlich wusste sie gar nicht so recht, worüber sie mit ihm sprechen sollte. In ihrer freien Zeit hatte sie zwar das Herz des Weltenbrechers untersucht, aber wie von Jii prophezeit hatte sie nichts Nennenswertes herausfinden können. Also gab es darüber nichts zu bereden. Da Jii aber bereits an die Tür klopfte, war es zu spät, um sich noch zurückzuziehen. Das melodische „Herein“, das ertönte, ließ Konias Bedenken aber sofort schmelzen. Mit einem möglichst aufrechten Gang, sofern es ihr Stock und ihr gelähmtes Bein zuließen, trat sie hinter Jii in das Büro. Der Raum war überraschend aufgeräumt. Ordner standen fein säuberlich auf einem Regalbrett an der Wand, mehrere Aktenschränke reihten sich direkt darunter, direkt neben einem gut gefüllten Bücherregal. Die Werke darin schienen sich, auf den ersten Blick, alle um psychologische Probleme und besonders Albträume zu drehen. In einer Ecke stand ein kleines Regal mit einer oft gebrauchten Kaffeemaschine. In der gläsernen Kanne dampfte frisch aufgebrühter Kaffee, der sie direkt durstig machte. Auf dem Schreibtisch war ein Stapel geschlossener Akten abgelegt. Daneben lag ein ganzer Berg von dicken Büchern, die sich mit menschlichen Emotionen beschäftigten. In eines davon war Vane gerade vertieft gewesen, es lag aufgeschlagen mitten auf dem Tisch. Er schob seinen Stuhl zurück und erhob sich, nur damit Jii ihn mit einem Wink seiner Hand wieder dazu brachte, sich hinzusetzen. „Du bist so schon groß genug, da kannst du Konia auch im Sitzen begrüßen.“ Erst als Vane seine Aufmerksamkeit ganz auf sie richtete, erwiderte sie seinen Blick. Wie von selbst musterten ihre Augen gleich wieder seine Haare, die jemand – vielleicht Naola? – vor kurzem gebürstet haben musste. Neid stach in ihrer Brust, sie hätte das Bürsten nur zu gern übernommen. „Guten Tag, Dr. Dragana.“ Sie erwiderte die Begrüßung, und setzte sich auf den von Jii angebotenen Stuhl auf der anderen Seite des Schreibtisches, so dass sie ihm direkt gegenüber sitzen konnte. „Ich nehme an, ihr kommt allein zurecht“, bemerkte er dann. „Ich habe nämlich noch eine Besprechung mit Iris, wenn ich sie so lange wach halten kann.“ Soweit Konia wusste, waren die Jahre des Schlafes nicht spurlos an Iris vorübergegangen. Seitdem begleitete sie eine beständige Müdigkeit, die sich immer nur für kurze Zeit überwinden ließ. Im Grunde klang sie damit nach einer Person, mit der Konia sich eigentlich gut verstehen dürfte. Vane nickte Jii zu, worauf dieser sich verabschiedete und dann das Büro wieder verließ. Allerdings achtete er darauf, die Tür zu schließen. Konia vermisste ihn bereits. Für einen kurzen Moment herrschte Schweigen zwischen ihnen, das Konias Brust unangenehm eng werden ließ. Fieberhaft suchte sie in ihrem Kopf nach einem möglichen Anfang für ein Gespräch, aber normalerweise kamen die Leute zu ihr, weil sie etwas benötigten, umgekehrt kam es nur in sehr seltenen Fällen vor. Zu ihrem Glück brach Vane das Schweigen aber schon nach kurzer Zeit: „Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten?“ Bloß nicht erleichtert ausatmen, ermahnte sie sich selbst innerlich, ehe sie antwortete: „Ja, bitte.“ Vane stand nun wieder auf und ging zur Kaffeemaschine hinüber. Dort holte er zwei Tassen aus dem Regal darunter hervor. Nachdem er sich erkundigt hatte, ob sie Milch oder Zucker wünsche, reichte er ihr ihre Tasse. Sie bedankte sich höflich und nahm auch sofort einen Schluck. Damit hatte sie nur ihre Verlegenheit überspielen wollen, aber der Kaffee schmeckte derart gut, dass sie sofort vollkommen entspannte und ihm ein Kompliment dafür aussprach. Vane hatte sich bereits wieder gesetzt, bedankte sich aber dafür. „Kaffee ist eines der wenigen Dinge, bei denen ich anspruchsvoll bin.“ Schlief er deswegen so wenig? Oder lag das an seiner Geißel-Identität, von der Jii ihr erzählt hatte? Sie wollte allerdings nicht fragen. „Die Auswahl der richtigen Bohnen ist dabei sehr wichtig.“ Das war mal ein Gesprächseinstieg, mit dem sie wirklich etwas anzufangen wusste. Deswegen sah sie auch keinen Grund, sich weiter zurückzuhalten und begab sich in eine Unterhaltung mit ihm über die richtigen Bohnen für einen guten Kaffee. Ehe sie sich versah, war sie bereits in ein lebhaftes Gespräch vertieft, was sie erst bemerkte, als ihr Handy einen Signalton von sich gab und sie von dieser Unterbrechung genervt war. Vane gab ihr zu verstehen, dass sie ruhig nachsehen sollte, dann holte sie ihr Telefon heraus. Es war eine Nachricht von Parthalan, um sie darüber zu informieren, dass die Befragung ihrer Eltern vorbei wäre und sie eine Weile in Abteracht blieben und sie vorsichtig sein sollte, wenn sie ihnen nicht begegnen wollte. „Auch das noch“, murmelte sie. Bislang war Abteracht immer ihr sicherer Hafen gewesen, besonders was die Krankenstation oder das Labor anging. Aber unter diesen Umständen konnte sie sich denken, dass es nicht lange dauerte, bis einer der beiden – oder sogar beide – einfach bei ihr auftauchen würde, um mit ihr zu reden. „Stimmt etwas nicht?“ Der tiefe, volle Klang von Vanes Stimme ließ sie den Blick wieder von ihrem Handy lösen. Sein Gesicht war absolut reglos, aber in seinen braunen Augen glaubte sie, einen Hauch von Besorgnis zu erkennen. Machte er sich etwa wirklich Gedanken um sie? Sie steckte ihr Handy wieder in ihre Tasche. „Parthalan hat mir gerade geschrieben. Er sagt, meine Eltern bleiben jetzt für eine Weile in Abteracht.“ Vermutlich konnte er nicht wissen, weswegen sie das so schlimm fand, deswegen setzte sie an, um ihm zu erklären, warum sie kein gutes Verhältnis zu ihren Eltern hatte – aber da nickte er bereits. „Das klingt nicht angenehm. Ich würde auch nicht wollen, dass mein … Vater in Athamos lebt. Nicht einmal, wenn es nur vorübergehend ist.“ Also war ihm das Problem nicht derart unbekannt. Was auch immer zwischen ihm und dem Vater seines Wirts vorgefallen war, musste ähnlich verletzend gewesen sein wie ihre Geschichte. An diesem Punkt nachzuhaken kam ihr aber zu früh vor. Sie wollte auch nicht, dass er das bei ihr täte. „Jii wäre da sicher auch mitfühlender“, sagte sie. „Bei Parthalan habe ich aber gar nichts zu sagen.“ Sie war schließlich nur die Ärztin, für die man auch schnell einen Ersatz finden könnte. Ohne Cerise mangelte es eben ein wenig an der familiären Atmosphäre. Aber was dachte sie da? Selbst Cerise hätte die beiden in Abteracht bleiben lassen. Vane runzelte die Stirn, als dachte er einen kurzen Moment nach. „Falls es Ihnen hilft, könnte ich Ihnen anbieten, öfter nach Athamos zu kommen. Hier wären Sie sicher vor Ihren Eltern.“ Es wäre eine Möglichkeit. Andererseits wäre es auch nur eine Flucht, genau wie ihre Eltern es getan hatten, als sie Konia zurückgelassen hatten. Aber vielleicht wäre das nicht nur deswegen eine gute Idee. Es könnte auch dem Experiment zuträglich sein. „Ich danke Ihnen für das Angebot, Dr. Belfond. Ich werde es sicher annehmen.“ Jedenfalls wenn sie wirklich befürchten musste, dass ihre Eltern sie heimsuchen könnten. Natürlich benötigte sie Vanes Erlaubnis eigentlich nicht, um nach Athamos zu kommen, aber sie ging automatisch davon aus, dass er damit sagen wollte, dass sie zu ihm kommen könnte, um sich mit ihm zu unterhalten. Und das wusste sie zu schätzen. Sie nahm noch einen Schluck Kaffee. „Irgendwann müssen Sie mir auch verraten, wo Sie Ihren Kaffee kaufen. Nach einem solchen Genuss kann ich nicht einfach zu meinem gewöhnlichen Kaffee zurückkehren.“ Für einen kurzen Moment glaubte sie, ihn schmunzeln zu sehen, aber da es schnell wieder verschwand, war sie sich nicht sicher, ob sie es sich nicht doch nur eingebildet hatte. „Vielleicht erzähle ich es Ihnen irgendwann einmal“, sagte er dann. „Aber dafür müssten wir uns dann erst einmal besser kennen lernen.“ „Dem gegenüber bin ich aufgeschlossen“, erwiderte sie mit einem feinen Lächeln. Schließlich wäre auch das eine weitere Hilfe für das Experiment, ohne dass er irgendwann misstrauisch wurde, weil sie keine Ergebnisse zum Herzen bringen konnte. Also hob sie ihre Tasse. „Auf meinen Versuch, Ihnen die Antwort zu entlocken.“ Er zögerte einen kurzen Moment, dann hob er ebenfalls seine Tasse. „Auf Ihren Versuch.“ Und auf das Experiment, fügte sie in Gedanken noch hinzu, als sie mit ihren Tassen anstießen. Dann lehnte sie sich zurück und genoss die weitere Zweisamkeit – und das weit mehr als sie jemals zuvor die Anwesenheit einer anderen Person genossen hatte. Kapitel 18: Das ist es, was Albträume anzieht --------------------------------------------- Für eine Nacht im Januar, empfand Kieran die Temperaturen als angenehm. Es war kühl, aber nicht schneidend kalt, so dass es ihn auch nicht störte, eine Weile einfach nur an einer Ecke zu stehen. Faren machte das oft, sich an Häuserwände lehnen, rauchen und dabei beobachten, was um ihn herum vorging. Wenn Kieran sich richtig erinnerte, war das einmal seine hauptsächliche Freizeitbeschäftigung gewesen, sein Fernsehen quasi, damals, als er noch auf der Straße gelebt hatte. Manchmal stellte Kieran sich vor, wie anstrengend und ermüdend es sein muss, auf der Straße zu leben, besonders wenn es wirklich eiskalt war. Dann betrachtete er Faren und dessen stets fröhliches Wesen mit anderen Augen, bis er sich wieder über ihn ärgerte. In dieser Nacht rauchte Faren nicht, obwohl er gegen eine Wand gelehnt einige Leute beobachtete, die sich um diese Uhrzeit in diese abgelegene Straße verirrten. Kieran lehnte neben ihm, versuchte, alles genau so zu sehen wie er, schaffte es aber nicht. Ihm fehlten Farens Erfahrungen. Daher blieb ihm nur zu warten, bis der andere ihm sagte, was los war oder er sich endlich entschloss, weiterzugehen. Beides konnte, erfahrungsgemäß, dauern. Die Wand in seinem Rücken war rau und kalt, nicht einmal seinem Mantel gelang es, das abzufangen. Die Kälte kroch unter seine Haut und setzte sich dort fest. Faren sagte er davon aber lieber – noch – nichts, am Ende käme dieser sonst nur wieder auf Ideen. „Hey“, begann Faren plötzlich, „glaubst du, das ist die Erderwärmung? Also, dass es heute recht warm ist für eine Januarnacht?“ „Es ist mir neu, dass du dich für so etwas interessierst. War es früher nie ungewöhnlich warm im Winter?“ Faren neigte den Kopf und schielte in Richtung des bewölkten Himmels. „Kann gut sein. An manche Sachen erinnert man sich später nicht mehr so wirklich.“ Kieran sagte darauf nichts mehr, aber ihm fiel selbst auf, wie sehr er seinen Partner gerade anstarrte. Deswegen löste er seinen Blick von Faren und richtete ihn wieder auf die Passanten. „Verstehe.“ Sagen würde er es nicht, aber er hoffte innerlich, dass der andere auch noch jene Sachen von der Straße vergaß, die ihm heute noch Albträume bescherten. „Spürst du eigentlich irgendwelche Dämonen?“, fragte Faren. Stimmt, deswegen waren sie ja überhaupt in dieser Nacht unterwegs, es war ihre Schicht, zu jagen. Parthalan hatte ihnen aber bereits mitgeteilt, dass es wohl kaum etwas zu tun gäbe, so ruhig wie sich alle Dämonen in den letzten Nächten verhalten hatten. „Warum fragst du mich das?“, brummte Kieran. „Nur weil ich etwa auch ein Dämon bin?“ Im selben Moment bereute er, es gesagt zu haben. Von allen Menschen auf der Welt, wollte er Faren die wenigsten Vorwürfe machen und ein schlechtes Gewissen einreden. Als dieser nicht reagierte, wollte Kieran sich schon entschuldigen – da wurde er plötzlich von Faren gepackt und in einem Klammergriff näher zu ihm gezogen. Erschrocken schnappte Kieran nach Luft und versuchte halbherzig, sich zu befreien, aber Faren hielt ihn überraschend fest. „Ach komm~“, sagte er amüsiert und ignorierte dabei Kierans wenig erfolgreiches Zappeln. „Du bist doch mein kleiner Lieblings-Dämon, wie kannst du da denken, dass ich eine schlechte Meinung von dir habe? Ich hab dich nur gefragt, weil du einfach der bessere Jäger bist~.“ Damit ließ er Kieran wieder los, trat aber nicht zurück. Seine Nähe war angenehm, genau wie sein vertrauter Geruch. Da er nicht geraucht hatte, war er auch noch unverfälscht. „Also? Spürst du irgendetwas? Oder langweilen wir uns heute nur?“ Kieran konzentrierte sich, blendete die Anwesenheit der Menschen aus. Es schien ihm, dass sich eine Art sechster Sinn entfaltete, sich dabei ausbreitete, durch die Straßen und Gassen, über Gebäude und Wahrzeichen. Dieser Sinn suchte nach Dämonen, ihren Spuren, ihren Überresten. Er nahm feine Anzeichen dafür wahr, dass es solche gab, aber sie waren nicht stark genug, um wirklich verfolgt werden zu müssen. Es hatte hier Dämonen gegeben, aber sie waren schon lange weg. „Vielleicht sollten wir in einem anderen Stadtteil suchen“, schlug Kieran vor. „Es sind nicht so viele Jäger unterwegs, also dürften andere Gebiete noch nicht abgedeckt sein.“ In Farens Gesicht sah er für diesen Vorschlag keine Begeisterung. „Ich hatte eigentlich gehofft, du sagst mir, wir haben für heute frei und können machen, was wir wollen.“ „Tut mir leid, nein. Das sage ich dir erst, wenn wir auch andere Gebiete kontrolliert haben.“ Faren seufzte ergeben. „Okay. Alles, was du willst~.“ Statt einfach loszugehen, nahm er Kierans Arm und hakte ihn bei sich unter. Dann erst lief er los. Schon bald verfielen sie beide in einen Gleichschritt, trotz Farens wesentlich längerer Beine. Für Kieran war diese Erkenntnis angenehm, in gewisser Weise sogar schön. Es sagte ihm, wie nah sie einander inzwischen standen. Sie verließen die wenig belebte Straße, um durch einen Hinterhof zu gehen, der ihnen einiges an Zeit ersparen sollte – aber sie hielten beide abrupt wieder inne, kaum dass sie um die Ecke des dazugehörigen Lagerhauses gebogen waren. Statt des erwarteten Hofes mit asphaltierten Parkplätzen, auf denen um diese Zeit nur selten Autos parkten, erstreckte sich vor ihnen eine hügelige Landschaft. Der Boden schien auf den ersten Blick aus dicken Fäden zu bestehen, die miteinander verflochten waren und sich dennoch bewegten. Dadurch sah es so aus als ob die Hügel atmeten, was ein … beunruhigender Gedanke war. Die Lagerhalle war noch immer da, aber unzählige Augen waren aus der Wand gewachsen und blickten, sich rollend und drehend, in alle möglichen Richtungen, ohne sich auf eine zu konzentrieren. „Prima“, seufzte Faren. „Wir sind einem Reinmahr in die Arme gelaufen.“ Kieran warf einen Blick über die Schulter und stellte fest, dass sich nun auch dort eine hügelige Landschaft befand. „Sieht ganz so aus.“ Reinmahre gehörten zu den Albträumen, die von Traumbrechern bekämpft wurden – und sie waren so ziemlich die einzigen, die auch die Realität beeinflussen konnten. Normalerweise traf man sie eher selten, aber manchmal tappte ein Dämonenjäger doch in ihre Falle. Zum Glück waren die Traumbrecher meistens nicht fern, aber bis dahin mussten sie es allein schaffen. Hier nur herumzustehen, machte die Sache allerdings nicht besser. Sie nickten sich zu und machten den ersten Schritt auf die Fäden. Unter Kierans Füßen fühlten sie sich weich an, sie gaben sogar ein wenig nach, hielten aber stand. Vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen, um keine Unruhe im Albtraum zu erzeugen. „Wenn ich ein Traumbrecher wäre“, bemerkte Faren leise, „hätte ich den Reinmahr sofort erledigt.“ Kieran dachte wieder an Luans Erzählung der anderen Zeitachse zurück. Faren war dort ein Traumbrecher gewesen, zusammen mit Ferris, seinem Ehemann. War dieser Kommentar ein unbewusstes Sehnen nach dem damaligen Zustand? Bevor er zu negativ werden konnte, hörte er bereits wieder Farens Stimme: „Kieran, denk nicht immer so schlimme Sachen. Da runzelst du so die Stirn und das gibt frühzeitig Falten.“ Dabei deutete er auf seine eigene Stirn, um die Stelle zu verdeutlichen – aber bei Kieran führte das nur dazu, dass er sie erst recht runzelte. „Meine Falten können dir doch egal sein.“ „Oh, ich fände dich auch mit Falten charmant, ich wollte dich nur warnen.“ Er zwinkerte Kieran zu. Dann sah er wieder nach vorne. „Warum müssen diese Albträume eigentlich immer derart unheimlich sein? Kann es nicht mal einen Bösewicht geben, dessen Albträume von Ponys und Regenbögen handeln?“ „Negative Energie“, erinnerte Kieran ihn. „Das ist es, was Albträume anzieht. Ponys und Regenbögen sind zu positiv besetzt dafür.“ „Verdammte Logik.“ Solange sie keine Angst zeigten, dürfte die Welt nicht auf sie reagieren, wie Kieran hoffte. Glücklicherweise spürte er diese ohnehin nur selten, also dürfte es kein Problem für ihn sein, damit zurechtzukommen. Wegen Faren machte er sich da schon eher Sorgen – aber andererseits hatte der auf der Straße sicher schon wesentlich schlimmere Dinge erlebt. Nach einer Strecke, die sich anfühlte als hätten sie den Parkplatz überquert, hielten sie beide noch einmal inne. Der Himmel, der sich moosgrün über ihnen erstreckte, ließ eine Gänsehaut auf Kierans Körper entstehen. Aber er weigerte sich, das als Angst zu betrachten – und der Albtraum stimmte ihm offenbar auch darin zu, denn er reagierte nicht. Jedenfalls, wenn man von den Stimmen absah, die leise flüsternd um sie herum schwirrten. Er konnte ihren genauen Aufenthaltsort nicht ausmachen, da sie immer aus einer anderen Richtung zu kommen schienen, wenn er sich in eine bestimmte wandte. „Das erinnert mich an früher.“ Faren lächelte so schief, die Mundwinkel bildeten fast eine Grimasse. „Nachts haben wir manchmal solche Stimmen gehört. Wir sind ihnen aber zum Glück nie nachgegangen. So wie es aussieht, hätte das böse enden können.“ Einer von ihnen hätte in einem Albtraum landen können, vielleicht sogar Faren selbst. Kieran wollte sich das gar nicht vorstellen, aber er konnte nichts dagegen ausrichten, dass er es doch tat – und ihn ein schreckliches Grauen umfing, als ihm bewusst wurde, dass er Faren fast nicht kennen gelernt hätte. Er wollte den Gedanken verdrängen, sich nicht mehr damit befassen, aber je mehr er ihn ablehnte, desto lebendiger wurde er in seinem Inneren, und desto mehr reagierte der Albtraum darauf. Die Stimmen wurden lauter. Einige der Fäden lösten sich von ihrem Stamm, schossen nach oben und schlangen sich in Sekundenschnelle um Faren. „Hey!“ Er versuchte, sich zu befreien, aber sie zogen sich dafür nur noch mehr zusammen. Selbst der von ihm beschworenen Sense gelang es nicht, die Fäden zu durchtrennen. Bald würde er von dem Albtraum verschlungen werden, und- „Kieran!“ Er atmete erschrocken ein, als Farens Ruf seine Gedanken durchbrach. Sofort spürte er eine Reaktion darauf, etwas zog sich zusammen, schlang sich dichter um ihn, sein Oberkörper schmerzte. Als er an sich herabsah, entdeckte er auch den Grund dafür: Er war derjenige, der gefesselt war, nicht Faren. Diese Erkenntnis erfüllte ihn allerdings nicht mit noch mehr Furcht, sondern Erleichterung. Eine Emotion, die den Albtraum offenbar verwirrte. Die Fäden lockerten sich wieder ein wenig, genug, um Farens Sense zu erlauben, sie nun doch zu zertrennen. Die leblosen Reste fielen von Kieran ab und lösten sich in weißen Traumsand auf, was er nur halb registrierte. Im selben Moment, in dem er wieder frei war, griff er nach einer freien Hand von Faren – obwohl er ihn lieber umarmen wollte – und rannte gemeinsam mit ihm los. Der Albtraum reagierte mit unzähligen Fäden, die sich von ihren Bündeln lösten, versuchten, sie einzufangen und erneut Kontrolle über sie auszuüben. Aber selbst während einer Flucht fühlte Kieran sich noch im Vorteil. Er war aktiv, kein passiver Part, der nur seiner Umgebung ausgesetzt war. Er würde gewinnen und das hier überleben. Gibt es überhaupt einen Ausweg aus einem Reinmahr? Im Endeffekt wusste er zu wenig darüber. Sie waren lediglich über sie unterrichtet worden, weil immer wieder die Gefahr bestand, in einen solchen hineinzulaufen. Aber außer der Aufforderung, zu warten, bis ein Traumbrecher käme, hatte man ihnen nichts weiter auf den Weg gegeben. „Es wird wohl nichts bringen, wenn wir den Kern finden, was?“ Kieran warf einen kurzen Blick zu Faren, der sich erstaunlich gut hielt. Dafür, dass er wesentlich weniger Übung als Kieran besaß, war er wirklich ausdauernd. „Ich bezweifle, dass wir ihm etwas anhaben können.“ Dämonen mochten in manchen Instanzen vielleicht aus Albträumen entstehen, aber dennoch benötigte man vollkommen andere Kräfte, um gegen sie vorzugehen. Deswegen existierten die verschiedenen Jäger überhaupt erst. Der Albtraum reagierte indessen auf ihre Flucht: Die Fäden vor ihnen flochten sich rasend schnell zu einer Wand zusammen, die zu hoch war, um sie mit einem Sprung zu überqueren. Kieran spielte mit dem Gedanken, zu klettern, aber ein gewaltiger Chor von kreischenden Stimmen brachte ihn wieder davon ab. Er glaubte zu spüren, wie unzählige Hände aus der Dunkelheit auf ihn zeigten, seinen Aufenthaltsort verrieten. Aber er wollte nicht herausfinden, wer dieses Gebiet beherrschte. „Warum sind die so wütend auf uns?“, fragte Faren genervt. „Die haben zuerst angegriffen.“ Auf eine solche Logik ließen Albträume sich mit Sicherheit nicht ein, deswegen müssten sie es weiter mit einer Flucht versuchen. Doch noch im selben Moment, in dem er das dachte, übertönte ein lauter Knall das Kreischen, gefolgt von einem blendenden Licht, das den Himmel erfüllte. Kieran blieb stehen, er kniff die Augen zusammen, versuchte weiterhin, die Kontrolle zu behalten, seine Gegner nicht aus dem Blick zu verlieren. Die Fäden lösten sich allerdings bereits auf, der Himmel bekam Risse – und zersplitterte schließlich. Glitzernde Scherben regneten herab, verwandelten sich aber innerhalb kürzester Zeit in Traumsand, der wirkungslos auf den Boden rieselte und sich dort sammelte. Als Kieran die Augen wieder vollkommen öffnete, stellte er fest, dass sie sich in einer kaum besuchten Seitenstraße befanden, nur wenige hundert Meter hinter dem Parkplatz. Faren atmete erleichtert auf. „Gott sei Dank ist das wieder vorbei. Ich hasse Albträume, zum Glück bin ich kein Traumbrecher geworden.“ Diese Aussage war ein angenehmer Kontrast zu seiner vorigen über diesen Beruf. Kieran musste darüber ein wenig lächeln, aber er ließ es sofort wieder verschwinden, als er eine weitere Person in ihrer Nähe bemerkte. Er wandte sich dieser zu und runzelte die Stirn, als er ihn erkannte. Anders als Faren, der sofort schmunzelte. „Na, wenn das mal nicht Rowan Durante ist.“ Tatsächlich waren sie ihm bereits mehrmals begegnet, wenn sie beim Arbeiten gewesen waren. Normalerweise aber nur, weil sie ihm einen gerade zum Dämon gewordenen Albtraum als Gegner weggeschnappt hatten. Faren war in dieser Disziplin überraschend gut. Möglicherweise war das aber auch der Grund, weswegen Rowan sie derart finster ansah. Er sagte nichts, aber an dem neben ihm ruhenden Hammer, der genau so groß war wie er, war zu erahnen, dass er derjenige gewesen war, der sie gerettet hatte. Der schwer aussehende Kopf der Waffe war auf dem Boden, aber Rowan hatte eine Hand immer noch auf dem Griff, bereit dazu, jederzeit einen weiteren Angriff auszuführen. Faren tippte sich auch sofort mit zwei Fingern wie bei einem Salut an die Stirn. „Danke, Mann. Das ist echt nett von dir gewesen.“ „Hätte ich gewusst, dass ihr beiden die Opfer seid, hätte ich noch etwas gewartet“, brummte Rowan. Im Gegensatz zu so manch anderem Jäger schien es ihm weniger um die ideologische Komponente zu gehen, so kam es Kieran jedenfalls vor. Und er wünschte sich, Faren müsste den anderen nicht immer derart provozieren. Bei manchen Personen stieß das einfach nicht auf Gegenliebe. „In dem Fall bin ich ja froh, dass ihr das nicht vorher wissen könnt“, meinte Faren. „Sonst wären wir am Ende noch in einem Strickpulli verarbeitet worden. Aber wir hätten sicher hübsche Motive abgegeben.“ Er lachte leise über seinen eigenen Witz, hörte aber rasch wieder damit auf, als er merkte, dass er keine Reaktion von den beiden anderen bekam, und räusperte sich vernehmlich. „Hey, wenn wir uns schon alle treffen, wollen wir nicht was trinken gehen oder so? Man könnte ja mal alte Kriegsbeile begraben und Frieden schließen.“ Rowan hob den Hammer mit Leichtigkeit hoch und schwang ihn kreiselnd auf seinen Rücken, wo er einfach verschwand. Traumbrecher mochten davon beeindruckt sein, normale Menschen ebenfalls; aber für Dämonenjäger war das ein alltäglicher Anblick, deswegen zeigte keiner von ihnen auch nur einen Hauch von Erstaunen. „Ich geh sicher mit keinem von euch trinken“, erwiderte Rowan schließlich. „Im Gegensatz zu euch nehme ich meinen Job noch ernst.“ „Auch bekannt als Rowan Smash.“ Faren gluckste. „Letztes Mal musste eine ganze Fabrik von den Schöpfern wieder aufgebaut werden. Also-“ Kieran hob eine Hand, um Faren zum Schweigen zu bringen. „Es tut mir leid, Rowan. Wir beide sind lediglich durch Zufall in dein Revier geraten. Wir werden auch sofort unseren Weg fortsetzen. Bitte stör dich nicht an Faren. Er redet manchmal schneller als er denkt.“ Rowans Gesicht blieb vollkommen unverändert, aber es kam Kieran vor als sähe er ihn nicht derart mörderisch an wie etwa Faren. Das nahm er als gutes Zeichen. Er wollte keine Freundschaft mit Rowan schließen – das Konzept fand er mit seinen jetzigen Freunden schon anstrengend genug – , aber auch keine Feindschaft mit ihm aufbauen – in diesem Aspekt genügten ihm Ciar und Farran vollkommen. „Dann seht zu, dass ihr von hier verschwindet“, sagte Rowan. „Ich rette euch nämlich nicht, wenn euch noch ein Albtraum erwischt.“ Also gab es noch einen in der Gegend. Dem wollte Kieran lieber auch aus dem Weg gehen. Deswegen griff er nach Farens Unterarm und nickte. „In Ordnung, wir verschwinden. Dir noch eine erfolgreiche Jagd, Rowan.“ Dieser schnaubte nur und wandte ihnen den Rücken zu. Kieran zog derweil seinen Partner in eine andere Richtung davon, ohne etwas zu sagen. Bevor sie nicht aus der Hörweite des anderen waren, empfand er das als zu große Gefahr, ihn doch noch provozieren zu können. Erst nachdem sie eine gesamte Lagerhalle hinter sich gebracht hatten, entspannte Kieran sich wieder. Doch ehe er etwas sagen konnte, hörte er schon Farens leise Stimme: „Bist du sauer?“ Er hielt inne und drehte sich um. „Was? Wie kommst du darauf?“ Faren blickte ihn an wie ein Hund, der genau wusste, dass er etwas falsch gemacht hatte – und das kannte Kieran lediglich aus Filmen. „Na ja, du und Rowan ihr seid euch etwas ähnlich, deswegen könnte es sein, dass du gut vor ihm dastehen willst. Ich dachte halt, ich hätte zu viel gesagt und dich damit bloßgestellt.“ Kieran konnte ihn unmöglich in diesem Irrglauben lassen. „Hast du nicht. Ich wollte nur verhindern, dass du ihn wütend machst. Es fehlte uns gerade noch, wenn Rowan Durante gegen uns kämpfen würde.“ Die Erleichterung war Faren deutlich anzusehen, besonders als er gleich wieder eine Grimasse schnitt. „Aber echt. Der Kerl würde nicht aufgeben, bis die ganze Stadt platt ist.“ „Genau. Und das wäre ziemlich ungeschickt.“ Kieran ließ den Blick schweifen, aber nirgends war auch nur die Spur eines Dämons zu sehen. Nicht einmal Aludra ließ sich im Moment blicken, vielleicht hatte sie wegen dem Reinmahr kurzfristig ihre Spur verloren. Sorgen bereitete ihm das keine, über kurz oder lang fände sie ihn schon wieder. Darin war sie mindestens ebenso gut wie Faren. Diesem wandte er sich auch direkt wieder zu. „Weißt du, ich denke, jetzt können wir uns guten Gewissens den Rest der Nacht freinehmen und machen, was wir wollen.“ Faren lächelte sofort wieder strahlend. „Hach, Kieran, du weißt genau, was du sagen musst, um mich glücklich zu machen~. Dann lass uns endlich Spaß haben~.“ Damit hakte er sich bei Kieran ein und zog ihn mit sich, damit sie endlich entspannen und vor allem die Erinnerungen an diesen Albtraum abschütteln könnten. Rowan schnaubte leise, während er sich in die andere Richtung der beiden Störenfriede bewegte. Er konnte Dämonenjäger an und für sich schon nicht leiden – eine Antipathie, die noch von dem Krieg gegen Abteracht herrührte, der von Atanas stets mit falschen Wahrheiten angefeuert worden war – aber diesen beiden gelang es immer wieder, seine Arbeit zu stören. Seine Arbeit, das einzige, was ihm überhaupt noch Spaß machte. Wenn man in seinem Leben überhaupt von Spaß sprechen konnte. Aber das war unwichtig. Er brauchte so etwas nicht. Freunde, Frauen, Spiele – Unsinn! Das einzige, was Rowan brauchte, war Zerstörung, und da stimmte ihm die Kälte in seinem Inneren vollkommen zu. Alles war gut, solange er Albträume plattmachen konnte – oder auch Gebäude, wenn es sein musste. Vielleicht sogar eine ganze Stadt. Könnte er sich dann besser fühlen? Oder sollte er diese Sängerin wiedersehen? Bei ihr waren all diese Gedanken nebensächlich geworden. Nein, darüber sollte er nicht nachdenken! Er musste sich konzentrieren! Auf die Jagd! Auf die Albträume, die er zerstören durfte, ohne irgendwelche Konsequenzen zu fürchten. Wenn er dann erst einmal die lästigen Emotionen los war … Er hielt inne, als er Schritte hörte, die sich ihm von der nächsten Häuserecke näherten. Automatisch griff er wieder nach seinem Hammer, zog ihn aber noch nicht hervor. Er hörte das Ticken seiner Taschenuhr, weil er sie nach diesem Treffen eben gar nicht erst deaktiviert hatte – und jetzt kam ihm das wie eine gute Idee vor. Ehe sie die Ecke erreichten, verstummten die Schritte wieder. Wer auch immer es war, er musste direkt am Rand stehengeblieben sein. Wollte ihm da etwa jemand auf die Nerven gehen? Er knurrte wütend – und darauf beugte sich die Person wirklich vor, sah um die Ecke herum, aber das führte bei Rowan nur zu einem Stirnrunzeln. „Was? Du schon wied-“ Es gelang ihm nicht, den Satz zu vollenden. Etwas traf ihn in der Brust, eine unangenehme Hitze breitete sich schlagartig in seinem Inneren aus und verdrängte sogar die Kälte von zuvor fast vollkommen. Rowan spürte nur noch, wie er auf dem Boden aufschlug, dann wurde alles um ihn herum schwarz, während er in einem schier unendlichen Meer versank, nur begleitet von einer weit entfernten Stimme, die ihm ein Schlaflied zu singen schien, das er schon lange nicht mehr gehört hatte. Kapitel 19: Du bist die Geißel in ihm. -------------------------------------- Morte warf einen letzten Blick auf den schlafenden Rowan, stellte sicher, dass er noch regelmäßig atmete, dann schloss sie die Tür. Ares saß, in ein Buch vertieft, am Tisch des kleinen Wohnzimmers. Er musste nichts sagen, damit sie wusste, dass er ihre Entscheidung nicht sonderlich guthieß, sein viel zu ernster Gesichtsausdruck, die leicht gerunzelte Stirn, sprach da schon Bände. Um sich dieser Atmosphäre nicht zu lang aussetzen zu müssen, sprach sie ihn an: „Was ist los? Wenn du etwas sagen möchtest, dann raus damit.“ Er schloss das Buch abrupt, ehe er den Blick hob. Seine Brille verrutschte ein wenig, aber das tat dem Stechen seiner grauen Augen keinen Abbruch. „Ich denke, wir sollten nicht unsere Zeit mit einem Mann verschwenden, der dich in dieser Zeitachse nicht einmal kennt. Stattdessen sollten wir daran arbeiten, den Weltenverschlinger zu finden.“ Nach der ersten Erwähnung dieses Verschlingers hatte sie ihn gefragt, warum er ihn nicht einfach Weltenzerstörer nannte, worauf er ihr erwidert hatte, dass das ja bereits der Name für ihre kleine Gruppe war. „Und? Kümmerst du dich schon darum?“, entgegnete sie spitz, mit gerecktem Kinn. „Oder willst du noch lange deine Zeit mit diesem Buch verschwenden?“ Sie stritt sich nur ungern mit ihm, da er sie so sehr an ihren Vater erinnerte, und auch an ihren Großvater. Hätte Ares noch braunes Haar besessen, statt des grau-schwarzen, wäre die Ähnlichkeit noch offensichtlicher gewesen. In diesem Aspekt jedoch war der Streit unausweichlich. „Wir wissen gerade nicht, wo er sich befinden könnte“, sagte Ares, obwohl er wusste, dass er ihr damit nur Wasser auf die Mühlen goss. „Warum kann ich dann in der Zwischenzeit nicht Rowan helfen? Nur weil er sich jetzt noch nicht erinnert, bedeutet das nicht, dass es immer so bleiben muss. Denkst du nicht auch?“ „Ich denke, du hoffst da auf etwas, das niemals eintreten wird. Am Ende wird dich das nur aufreiben.“ Sie wusste zu schätzen, dass er sich Sorgen um sie machte, aber sie benötigte diese Form der Aufmerksamkeit nicht. Rowan war bei ihr, und er war in Sicherheit, das war alles, was sie brauchte. Als nächstes könnte sie auch dafür sorgen, dass er sich wieder an sie erinnerte und im Anschluss ihr altes Leben fortsetzen. Sie bekäme ihr glückliches Ende. Mit einer Hand deutete sie zum einzigen Fenster im Raum. „Wir können auch Darren suchen, und ihm helfen, sich auch zu erinnern. Nur weil hier einiges anders gelaufen ist, bedeutet das nicht, dass er nicht existiert. Schließlich weißt du nicht, wann Armas ihn genau erschaffen hat.“ Beim letzten Mal, als sie dieses Argument vorgebracht hatte, war Ares‘ Erwiderung ein Vorwurf gewesen, dass man die Personen dieser Zeitachse nicht einfach dazu zwingen könne, sich an eine Vergangenheit zu erinnern, die sie nie erlebt hatten. Sie verstand seinen Einwand, aber sie widersprach seiner Einstellung dennoch. Er wusste das, deswegen sagte er diesmal nichts mehr. Demonstrativ schlug er sein Buch auf und vertiefte sich erneut darin. Morte ging an ihm vorbei – als plötzlich ein lautes Poltern zu hören war. Sie hielt inne und fuhr herum. Das Geräusch war eindeutig aus dem angrenzenden Raum gekommen. War Rowan etwa bereits wieder aufgewacht? Ähnlich sähe es ihm jedenfalls. Schnellen Schrittes gelangte sie wieder zur Tür und riss diese auf. Das Bett war leer, Rowan stand neben dem Fenster und sah hinaus in die Nacht. Sein zusammengebundenes rosa Haar war vom Schlaf zerwühlt, weswegen sie automatisch danach greifen und es richten wollte. Aber mit bereits erhobener Hand hielt sie inne. Etwas stimmte nicht. Sie war es gewohnt, dass er ein wenig gereizt war und dementsprechend auch die Aura in seiner Nähe immer geradezu greifbar gewesen war. Aber davon war hier nichts zu spüren. Alles an ihm war kalt, in einer Intensität, die sogar sie, als Tochter einer Weltenbrecherin, frösteln ließ. Das war nicht mehr Rowan. „Du bist die Geißel in ihm.“ Endlich wandte er sich ihr zu. Seine normalerweise grünen Augen hatten sich rot verfärbt, aber sein Blick an sich wirkte absolut seelenlos. Es war das erste Mal, das sie ihn so sah. „Das ist richtig“, antwortete er schließlich, langsam, fast als müsse er erst überlegen, wie Worte funktionierten. „Ich weiß nicht, wer du bist. Aber es wäre besser für dich, wenn du uns in Ruhe lässt. Wir werden bald verschmelzen. Du kannst nichts dagegen tun.“ Natürlich, auch die Geißel wusste nicht, wie sehr sie diese in der letzten Zeitachse gebrochen hatte. Morte lächelte zuversichtlich und stemmte eine Hand in die Hüfte. „Oh, ich bin sicher, dass ich etwas tun kann. Sogar eine ganze Menge.“ „Ist das eine Herausforderung?“ „Wenn du es als eine solche sehen willst ...“ Ohne eine Miene zu verziehen, beschwor die Geißel Rowans Hammer. Allein das Erscheinen dieser Waffe erzeugte einen derart starken Energiestoß, dass die Wand hinter ihm pulverisiert wurde. „Dann zeig mir, ob du wirklich zu deinem Wort stehst, Mensch.“ Mit einem einzigen Sprung verließ er das Zimmer. Morte blieb schmunzelnd zurück. „Du Idiot hältst mich für einen Menschen? Es wird wohl Zeit, dass ich dir zeige, mit wem du dich anlegst.“ Kurzzeitig wurde sie in ein schwarzes Licht eingehüllt, das dann in unzähligen Federn von ihr wie Schuppen abblätterte. Darunter kam nicht mehr ihre zuvor noch alltägliche Kleidung, bestehend aus Jeans und Pullover zum Vorschein, sondern ein aus dunklen Federn bestehendes Kleid. Es verhüllte ihren Oberkörper, teilte sich dann entsprechend auf, um ihre Beine zu schützen und ihnen gleichzeitig genug Freiheit zu lassen, damit sie ungehindert kämpfen konnte. Die letzten abgeplatzten Federn verblassten, mit einem Sprung folgte sie der Geißel. Das kleine Hotel, in dem Morte und ihre Gefährten sich niedergelassen hatten, stand in einer abgelegenen Gegend, nicht weit von dem Ort, wo sie Rowan aufgegriffen hatte. Ihre Wahl war darauf gefallen, weil sie kein Aufsehen hatten erregen wollen, falls der Weltenverschlinger beschließen sollte, dort aufzuschlagen. Bislang war das nicht geschehen, aber das bedeutete nicht, dass es nicht noch passieren könnte. Für sie war das nun auch äußerst nützlich, da es dadurch kaum Zeugen für den folgenden Kampf geben könnte. Die Geißel hatte sich einen leeren Parkplatz ausgesucht, direkt hinter einer Lagerhalle, deren Inhalt Morte nicht kannte. Aber für den Moment war das auch unwichtig. Die gefühllosen roten Augen musterten sie. „Du wirst ohne Waffe kämpfen?“ „Seien wir doch ehrlich“, erwiderte sie, immer noch lächelnd, „jede Verletzung, die ich dir zufüge, gilt eigentlich Rowan – und den will ich nicht verletzen. Also musst du wohl damit leben, dass es ohne jede Waffe funktionieren muss.“ Entweder ihr Lächeln oder ihre Worte reizten die Geißel derart, dass ihre roten Augen aufblitzten. Sie hob den Hammer und deutete damit anklagend in Mortes Richtung. „Ich werde dafür sorgen, dass dir dein Geschwätz im Hals stecken bleibt!“ Mit aller Wucht schlug sie die Waffe in den Boden. Morte wich der Schockwelle mit einem Sprung aus, dann landete sie auf der nach oben zeigenden Seite des Hammerkopfes. Die Geißel riss die Waffe herum, um sie zu erwischen, doch Morte vollführte noch einen Sprung, sie landete hinter ihrem Feind. Dieser fuhr mit der Waffe herum. Doch Morte hob einfach nur einen Fuß und fing den Hammer damit, ohne jede Anstrengung, ab. Dann schnippte sie mit den Fingern – und ihr Körper zerplatzte in unzählige Federn. Sie rauschten wie ein Sturm über den Parkplatz, so dass die Geißel sich schützend ihren Arm vor die Augen hielt. Als der Wind endlich wieder verebbte, senkte sie den Arm, aber von Morte war nichts zu sehen. Die Geißel drehte sich einmal um die eigene Achse, ohne eine Spur zu entdecken, nicht einmal weitere Federn. „Hast du es dir doch anders überlegt, Miststück?!“ Obwohl ihr Gesicht nach wie vor emotionslos war, lag Wut in der Stimme der Geißel. Sie klang zwar immer noch genau wie die von Rowan, aber dennoch war da etwas … anderes darunter; ein Unterton, der sämtlichen Hass der Welt zu beinhalten schien. Morte zeigte sich nicht, dafür erschien etwas anderes. Das mehrstimmige Knurren verriet die Wölfe, bevor sie sich aus den Schatten schälten. Es waren insgesamt vier, von denen die Geißel umrundet wurde, die Lefzen waren drohend erhoben, das schwarze Nackenfell gesträubt. Sie beobachteten jede Bewegung der Geißel, die gelben Augen blitzten, wann immer sie in die Schatten zurückkehrten, bis sie wieder daraus auftauchten. Es war aber eindeutig, dass sie darauf warteten, dass die Geißel den ersten Schritt tat – und diese wollte es nicht länger hinauszögern. Sie hob den Hammer, dessen Kopf sich augenblicklich aufteilte. Die einzelnen Bruchstücke formten sich zu vier rot glühenden Würfeln, groß genug, um damit jemandes Kopf mit einem Schlag zu zerschmettern. Sie bewegten sich von allein, schwirrten um die Wölfe, die nun Probleme damit zeigten, sich gleichzeitig auf mehrere Ziele zu konzentrieren. Der erste Würfel begann zu rotieren, dann stürmte er auf einen Wolf zu. Ein Knacken erklang, gefolgt von einem leisen Jaulen, das Tier stürzte zu Boden und löste sich auf. Der Würfel kehrte in seine Ausgangsposition zurück, was es für die anderen Wölfe noch schwerer machte – besonders als sich alle gleichzeitig zu bewegen begannen. Die rot-glühenden Bruchstücke schossen wie Pistolenkugeln über den Parkplatz, mit der Geißel in ihrem Zentrum. Die Wölfe wichen den Angriffen aus, wurden getroffen, manchmal nur an den Pfoten. Wann immer einer von ihnen versuchte, die unsichtbare Barriere zu durchbrechen, die Rowans Körper in Sicherheit hielt, wurde er sofort von einem Würfel zur Seite geschleudert. Doch egal wie oft die Wölfe getroffen wurden, solange der Kopf unbeschadet blieb, standen sie immer wieder auf, selbst wenn sie nur noch auf wackeligen Beinen stehen konnten. „Ist das wirklich alles, was du kannst?!“, grollte die Geißel, ihre Augen suchten immer noch nach Morte. „Deine Schoßhunde machen mir keine Angst!“ „Das dachte ich mir schon.“ Selbst als sie endlich etwas sagte, schien ihre Stimme von überall gleichzeitig zu erklingen. „Deswegen waren sie auch nur eine Beschäftigungsmethode für dich.“ Der letzte Wolf wurde am Kopf getroffen, jaulend stürzte er in die Dunkelheit zurück. Im selben Moment schoss etwas Riesiges aus den Schatten hervor. Die Geißel reagierte sofort, ließ die Bruchstücke zum Hammerkopf zurückkehren und benutzte die Waffe, um das Maul offen zu halten, das sich um sie schließen wollte. Die scharfen Zähne waren pechschwarz, genau wie der Schlund des Wesens, deswegen war sofort klar, dass es sich um ein weiteres Schattenungetüm handelte. Morte erschien vor dem Maul und betrachtete den Hammer mit gerunzelter Stirn. „Ich habe dich wohl etwas unterschätzt, Geißel.“ Dass die Wölfe sterben müssten, war ihr bewusst gewesen, aber dass die Waffe sich derart schnell wieder zusammensetzen konnte, war doch als Überraschung gekommen. Der Kiefer des Schattenungetüm knackte, der Hammer verrutschte nicht einmal. „Und?“, fragte die Geißel spöttisch. „Hast du noch ein paar andere Tricks auf Lager?“ „Oh, sicher~.“ Morte stürmte in das Maul hinein, packte die überraschte Geißel und riss sie mit sich in den tiefschwarzen Schlund. Die Dunkelheit schien sich bis in die Unendlichkeit auszubreiten. Es gab keinerlei Lichtpunkt, der auf einen Ausgang hätte hindeuten können. Stattdessen waren in den finsteren Schatten die Spitzen von Stacheln zu erahnen, die sich bei näherem Hinsehen als Eiszapfen herausstellten. Morte ließ die Geißel wieder los, dann nahm sie auf einem Thron Platz, der sich innerhalb von Sekunden aus Eissplittern bildete. Ihr Feind nutzte die Gelegenheit, um sich gehetzt umzusehen. Offenbar dauerte es aber nicht lange, bis er erkannte, wo er sich befand: „Ist das ein Refugium?“ „Korrekt. Es ist einige Zeit her, seit ich zuletzt eines erschaffen habe, deswegen dauerte es ein wenig.“ Lächelnd strich Morte über das Eis des Throns, es war angenehm kalt. „Glücklicherweise hast du dich mit meinen Wölfen ja nicht gelangweilt.“ Die Geißel konzentrierte sich wieder auf sie. „Was hast du vor? Willst du den Menschen einfach hier einsperren, bis ich verschwinde? Darauf kannst du lange warten!“ Morte stützte den linken Arm auf die Lehne ihres Throns, dann ließ sie ihr Kinn auf ihrer Hand ruhen. „Das wäre natürlich eine Idee. Aber eine, die mir viel zu lange dauert. Ich mache lieber etwas anderes. Das auch weniger schmerzvoll wird.“ Sie hob die rechte Hand und schnippte mit den Fingern. Der Ton hallte in der Dunkelheit nach, während er verklang. Kaum war das geschehen, schälte sich ein dunkler Umriss aus den Schatten, der an eine grobe Kinderzeichnung erinnerte, die einem Menschen ähneln sollte. Arme und Beine waren unterschiedlich lang, verfügten über keine Hände oder Füße, auch der Kopf hob sich kaum vom restlichen Körper ab. Das Gesicht war lediglich durch zwei Punkte für die Augen angedeutet. Die Figur bewegte sich auf die Geißel zu. Als sie sich gegenüberstanden, blickte die Abstraktion eines Menschen drohend herab. „Ich gebe zu“, sagte Morte, „dass ich nicht unbedingt gut im Zeichnen bin. Sonst würde diese Figur jetzt ein bisschen besser aussehen. Aber das dürfte dich nicht stören. Albträume mögen Menschen ja bekanntlich nicht.“ Ehe die Geißel verstehen konnte, was sie damit meinte, griff die Figur mit beiden Armen nach Rowans Körper, der gleich darauf leblos zu Boden stürzte. Die Abstraktion blickte ungläubig auf seine Arme hinab. „Schon viel besser.“ Morte erhob sich wieder von ihrem Thron. „Ich würde sagen, jetzt sind die Chancen schon ein wenig ausgeglichener.“ Ein weiteres Schnippen hüllte Rowans Körper in Federn ein, die gemeinsam mit ihm verschwanden, genau wie der Thron. So blieben nur Morte und die Geißel in Form der Abstraktion zurück. Letztere, der Fähigkeit zu sprechen beraubt, hob wütend die Arme – und schmetterte sie auf den Boden. Diesmal wich Morte der Schockwelle nicht aus. Stattdessen erschuf sie eine Wand aus Eis, diese zersplitterte zwar, als die Welle sie traf, hielt jene damit aber auch auf. Die Barriere zerfiel in unzählige rasiermesserscharfe Bruchstücke, die in der Luft schwebten, statt zu Boden zu fallen. Auf eine einfache Handbewegung von Morte, schossen die Splitter vor. Die Geißel schützte ihren Kopf mit den Armen, die gleich darauf riesigen, missgestalteten Igeln ähnelten. Davon ließ sie sich aber nicht abhalten, sie stürmte auf Morte zu. Diesmal nutzte sie die zuvor eingesetzten Projektile gegen ihre Schöpferin, indem sie mit einem Arm ausholte. Doch der Körper von Morte zerplatzte in schwarze Federn. Die Geißel blickte sich nach ihr um. Im nächsten Moment erschien die Verschwundene direkt über der Figur und rammte diese in den Boden. Sie blieb auf dem Körper stehen, trat immer wieder mit High Heels darauf ein. Es spritzte kein Blut, das gestand sie ihrer Schöpfung nicht zu, aber dass weißer Traumsand aus Löchern im Körper rieselte, konnte sie nicht verhindern; es war jene Materie aus der jeder Albtraum – jeder Traum genaugenommen – bestand. Bevor die Geißel ihren gesamten Sand verlor, richtete sie sich plötzlich auf. Morte verlor die Balance und fiel rückwärts. Der Aufprall presste gefühlt sämtlichen Sauerstoff aus ihren Lungen, hektisch schnappte sie nach Luft. Die Geißel hob erneut den Arm und ließ ihn auf Morte niedersausen. Einige der Eissplitter zerbrachen, als sie auf ihren Körper trafen, andere durchbrachen ihre Haut, ihr Fleisch und bohrten sich schmerzhaft tief in sie hinein. Mit aller Macht unterdrückte sie einen Aufschrei, den sie der Geißel nicht gönnen wollte. Auch ohne erkennbares Gesicht, war sie überzeugt, dass ihr Feind gerade triumphierend schmunzelte. Wie um sie zu bestätigen, drückte die Figur den Arm weiter nach unten. Nicht nur die Eissplitter, sondern auch der Druck des anderen Körpers, wirkte sich nun auf Morte aus. Doch diese lachte nur trocken, was ihre Lunge schmerzen ließ. „Habe ich dir nicht gesagt, dass diese Figur von mir erschaffen wurde? Dachtest du, ich lasse sie einfach ohne Sicherung leben?“ Sie glaubte zu wissen, dass die Geißel darüber verwirrt die Stirn runzelte, was sie mit einer angenehmen Genugtuung erfüllte. Zufrieden hob sie die rechte Hand – und ballte diese zur Faust. Das Geräusch zerbrechenden Glases erklang, dann erstarrte die von ihr erschaffene Abstraktion und zerbröckelte wie trockener Lehm. Morte beobachtete das mit einem Lächeln, dann fühlte sie, wie sich die ihr zuvor zugefügten Wunden, dank der Dämonenjäger-Gene ihres Vaters, wieder schlossen. Nachdem die Schmerzen sich einigermaßen gebessert hatten, stand sie auf. Zwischen den übrig gebliebenen Brocken war Traumsand verstreut, für sie ein Zeichen, dass die Geißel endgültig fort war. Etwas, was ihr in der anderen Zeitachse nicht gelungen war. Deswegen zerstampfte sie in Hochstimmung einige der größten Brocken mit den Füßen, verwischte den Sand noch ein wenig, dann begab sie sich mit einem Summen in Richtung des Ausgangs, den sie für das Refugium schuf. Sie kehrte auf den verlassenen Parkplatz zurück, auf dem sich nun ein schlafender Rowan befand, gemeinsam mit einem Schattenwolf, der über ihn gewacht hatte. Das Refugium zerbrach hinter ihr, gleichzeitig löste sich ihre außergewöhnliche Kleidung in schwarzen Federn von ihr ab und enthüllte wieder ihren Pullover und ihre Jeans von zuvor. Morte näherte sich Rowan, worauf der Schattenwolf den Kopf hob. Als er sie erkannte, löste er sich einfach auf, kehrte wieder zu den Schatten zurück, in die er auch gehörte. Sie wiederum kniete sich neben Rowan und hob seinen Oberkörper vorsichtig an. Dabei stellte sie fest, dass er doch schwerer war als sie erwartet hatte. Er atmete tief und regelmäßig, aber selbst im Schlaf war sein Gesicht noch ernst, seine Mundwinkel heruntergezogen. „Gar nicht anders will ich dich haben“, flüsterte sie. „Nur an mich erinnern solltest du dich.“ Eine der schwarzen Federn, die sich vorhin von ihr gelöst hatten, schwebte auf seine Stirn hinab. Dort glühte sie auf, dann verschmolz sie regelrecht mit seinem Kopf. Ares, so wusste sie, würde dieses Vorgehen verurteilen, ihr vorwerfen, dass sie ihren Rowan damit austauschbar machte. Aber im Prinzip war sie doch ebenfalls eine andere Morte, der von Hazes kleinem Schützling nur Erinnerungen aufgezwungen worden waren. Sie sorgte lediglich dafür, dass sich alles so entwickelte, wie es sein sollte – jedenfalls vertrat sie diese Meinung. Wenige Sekunden nachdem die Feder sich mit ihm verbunden hatte öffnete Rowan leise stöhnend die Augen, dann kniff er sie wieder zu und rieb sich mit einer Hand über die Stirn. Sicher fühlte sie sich noch warm an. „Was für 'n seltsamer Traum“, brummte er. „Was hast du denn geträumt?“, fragte sie unschuldig. Erst nach dieser Frage schien ihm ihre Anwesenheit bewusst zu werden. Er setzte sich aufrecht hin, wandte ihr den Blick zu, musterte sie aufmerksam, dann entspannten sich seine Gesichtsmuskeln, er lächelte sogar. Gut, er hob nur ein wenig die Mundwinkel, aber es genügte ihr. „Ich habe geträumt, ich würde dich nicht kennen“, erklärte er. „Und dass du mich vor einer Geißel gerettet hast. In einem ziemlich schrägen Outfit.“ Sie lachte. „Nein, wirklich? Das ist echt seltsam. Aber mach dir nichts daraus, es war ja nur ein Traum.“ „Da bin ich echt froh drum.“ Er warf einen kurzen Blick umher. „Aber was machen wir hier überhaupt? Hat mich so ein dämlicher Dämon umgehauen?“ „Das ist eine lange Geschichte“, erwiderte Morte. „Ich erkläre sie dir besser auf dem Weg nach Hause. Wo wir jetzt hingehen sollten, ich bin nämlich ziemlich müde.“ Rowan reagierte sofort darauf. Er stand auf, dann half er ihr ebenfalls nach oben. „Okay, lass uns gehen. Die Schicht ist jetzt bestimmt sowieso vorbei.“ Lächelnd hakte Morte sich bei ihm unter. „Jawohl, also lass uns gehen~.“ Während sie losliefen, wagte sie noch einmal einen letzten Blick hinter sich. Dabei schmunzelte sie innerlich. Was für ein Glück, dass Rowan nicht die Federn bemerkt hatte, die noch immer in der Luft schwebten, wo zuvor ihr Refugium gewesen war. Kapitel 20: War eure Arbeit heute anstrengend? ---------------------------------------------- Ferris verstand einfach nicht, wie es Vincent möglich war, die ganze Nacht wachzubleiben und dann auch noch nicht wirklich etwas Interessantes zu tun. Sicher, Vincent sagte, er musste arbeiten, aber es konnte unmöglich derart lang dauern, alle Informationen über seine Patienten zusammenzutragen und auszuwerten. Derart viele hatte er schließlich nicht mehr. Und er selbst galt auch nicht mehr als Patient, sondern eher als … Mitbewohner. Aber warum auch nicht? Ihm ging es schließlich gut, besonders wenn er, wie auch in diesem Moment, Videospiele spielen konnte, ohne dafür von einem Bruder angeschrien zu werden, der ihn hasste. Besonders die lässige Haltung, in der er dafür auf dem Sofa lag, wäre Cowen verhasst gewesen und hätte mindestens drei Wochen Arrest und schmerzhafte Prügel nach sich gezogen. Vincent bat ihn immer nur darum, die Schuhe auszuziehen, bevor er die Füße auf das Sofa legte, inzwischen hatte Ferris sich auch schon daran gewöhnt und tat das, bevor er darauf hingewiesen wurde. Ohne wirklich darüber nachzudenken, drückte er die Knöpfe auf dem Controller, um seine Spielfigur Aktionen ausführen zu lassen und damit den Bildschirm von allen Feinden zu reinigen. Mitten in der Nacht war es am angenehmsten, etwas zu spielen, das einen nicht wirklich geistig forderte. Am frühen Abend hatte er einige Nachrichten mit Faren ausgetauscht, der tatsächlich sehr erfreut gewesen war, wieder etwas von ihm zu hören. Außerdem hatte er jetzt endlich seinen Kieran von sich überzeugt, was Ferris für ihn freute. Ein derart geduldiger, aufmerksamer und gleichzeitig lebenslustiger Mensch sollte seine Zeit nicht mit einer unerwiderten Liebe verbringen. Sein Blick wanderte zur Uhr, die ihm kurz vor eins anzeigte. Er war zwar bereits müde, aber er konnte noch nicht ins Bett gehen. Er hörte immer noch Vincent auf seiner Tastatur herumklappern, es gab wohl viel zu einem aktuellen Patienten zu schreiben. „Sie sind heute ziemlich spät dran“, murmelte er. Kaum hatte er das gesagt, erklang ein leises zweistimmiges Lachen vor der Haustür. Der Schlüssel wurde im Schloss gedreht, dann öffnete sich die Tür. Zwei vertraute Stimmen begleiteten die jungen Frauen, die hereinkamen. Im nächsten Moment erschien die erste von ihnen im Türrahmen. „Hey, Ferris, du bist ja noch wach.“ Sephira sah Vincent mit ihrem langen schwarzen Haar, den blauen Augen und dem fein geschnittenen Gesicht derart ähnlich, dass Ferris es kaum fassen konnte, dass sie lediglich Halbgeschwister waren. Die Gene ihres Vaters mussten sehr dominant sein. Er hob die Hand ein wenig. „Ja, ich habe auf euch gewartet.“ Sie entschuldigte sich lächelnd, dann bedeutete sie, dass sie zu Vincent gehen würde, um sich auch nach dessen Befinden zu erkunden. Sie war kaum weg, da kam die zweite junge Frau ins Wohnzimmer. Ohne etwas zu sagen, ließ sie sich neben ihm auf dem Sofa nieder, dann seufzte sie theatralisch erschöpft. „Wir hatten soooo~ viel Arbeit.“ Ferris pausierte das Spiel, ehe er sich ihr zuwandte. Sie hatte eine dramatische Pose eingenommen, mit dem Arm über der Stirn, als wäre sie wirklich über alle Maßen erledigt, dabei roch er den leichten Geruch von Alkohol, der an ihr haftete. Doch selbst in dieser Situation fand er sie so faszinierend wie bei ihrer ersten Begegnung. Sie war sportlich und durchtrainiert, obwohl sie Unmengen von Eis zu sich nahm, sie war immer wahnsinnig gut gelaunt und optimistisch, egal welche Steine das Leben ihr in den Weg warf, außerdem war sie auch immer hyperaktiv, was er zunehmend charmant fand. Am Aufregendsten fand er aber ihre goldenen Augen, sowie ihr pinkes Haar, das sie immer in einem hohen Pferdeschwanz trug. Ferris war in dem Glauben aufgewachsen, dass jede Haarfarbe außer blond, braun oder schwarz widernatürlich war und versteckt gehört. Deswegen hatte er sein blaues Haar jahrelang schwarz gefärbt. Aus diesem Grund war er ihr bei ihrer ersten Begegnung, als Sephira sie mal zum Essen mitgebracht hatte, fast direkt begeistert um den Hals gefallen, um mehr über die Person hinter den widernatürlichen Haaren und dem dafür notwendigen Selbstbewusstsein zu erfahren. „War eure Arbeit heute anstrengend, Rora?“ Rora – deren richtiger Name Aurora war – seufzte noch einmal theatralisch. „Furchtbar, wir mussten sogar Überstunden einlegen! Aber dafür sind wir jetzt fertig.“ Das erklärte natürlich den Alkoholgeruch. Wann immer sie ein Projekt abgeschlossen hatten, gingen sie erst einmal gemeinsam feiern. Seit sie beide 18 waren, beinhaltete das auch Alkohol. „Darf ich jetzt wissen, was das für ein super-geheimes Projekt war, an dem ihr so hart arbeiten musstet, dass du sogar deinen Freund ignoriert hast?“ Aurora rutschte ein wenig näher zu ihm. Unter dem scharfen Geruch des Alkohols nahm er den sanften Duft wahr, der sie selbst ausmachte. Er konnte ihn nicht beschreiben, aber er war genauso angenehm wie ein Tag am Meer, deswegen liebte er ihn. Sie schmiegte sich an ihn, so dass sie direkt unter seinen Arm passte. „Wir haben einen künstlichen Körper hergestellt. Ein total ehrgeiziges Projekt, das es nicht so oft gibt.“ Ferris wusste nicht einmal, wozu man so etwas brauchen könnte. Glücklicherweise half Aurora ihm direkt nach: „Wenn man etwa eine Seele zu viel in sich trägt, braucht man einen anderen Körper, damit die dort leben kann. Einem Luan soll es wohl so gehen.“ „Luan? Der Junge, der neulich hier war?“ Aurora schielte zu ihm nach oben, mit einem Blick, der ihm eigentlich schon genug sagte, aber sie sprach es dennoch aus: „Ich weiß es nicht, ich bin nicht die ganze Zeit bei dir, weißt du?“ „Ich finde immer noch, das sollten wir ändern.“ Sie lachte, setzte sich aber wieder aufrecht hin, um ihn ernst anzusehen. Er war sich nie sicher, ob es daran lag, dass sie einfach zu gutherzig war oder ob er sie einfach zu faszinierend fand, aber für ihn kam sie nie erfolgreich als ernst herüber. „Ferris, wir werden mit Sicherheit nicht zusammen bei Mr. Valentine leben, auch wenn er das angeboten hat.“ Sie wollte einfach nicht hier einziehen, bei einer Person, mit der keiner von ihnen verwandt war. Das konnte Ferris tatsächlich verstehen, auch wenn er wirklich gern bei Vincent lebte. Er hatte das Gefühl, endlich einen richtig guten großen Bruder zu besitzen. Aber natürlich ging das auch schon einige Jahre, vielleicht hatte er Vincents naive Gastfreundschaft wirklich ausgereizt, und es wäre Zeit, endlich erwachsen zu werden. „Und du bist sicher, dass wir nicht einfach bei dir einziehen können?“, fragte er scherzend. Aurora lebte gemeinsam mit ihrer Zwillingsschwester Asterea bei ihrer älteren Schwester Lilium. Da ihre Eltern gestorben waren, hatte sich die Älteste bislang um sie gekümmert, Geld verdient und dafür gesorgt, dass sie ihre notwendigen Schularbeiten erledigten. Deswegen lag den Zwillingen nicht nur sonderlich viel an ihrer Schwester, sie wollten diese auch bestmöglich entlasten. Seit sie die Schule beendet hatten, arbeiteten sie beide für Adhara, ihre ehemalige Schule, an der Hexen ausgebildet wurden. Die kämpften normalerweise gegen Flüche, aber manchmal übernahmen sie auch solche Aufgaben wie jene von Aurora und Sephira: das Herstellen eines künstlichen Körpers. Ansonsten wollten sie und Asterea, die ihr überhaupt nicht ähnlich sah, ihrer Schwester aber auch dadurch Arbeit abnehmen, indem sie so schnell wie möglich auszogen. Sie liebten Lilium so sehr, dass sie diese verlassen mussten. Das hatte Vincent ihm erklärt. „Ich weiß, dass es am besten wäre, wenn wir zusammen irgendwo hinziehen könnten“, versicherte Ferris ihr. „Deswegen werde ich morgen Jii anrufen, damit er mich wieder arbeiten gehen schickt.“ Da ihm ein Partner fehlte, wurde er oft erst dann auf Einsätze geschickt, wenn andere krank wurden und er für diese einspringen musste. Aber vielleicht gab es ja inzwischen neue Traumbrecher, die auch noch keinen passenden Partner gefunden hatten. Da wäre es doch gut, sich bei Jii mal wieder ins Gedächtnis zu rufen. Das schien Aurora zu beruhigen. Sie lächelte wieder. „Gut. Ich will dich nicht von Vincent wegreißen, ich will nur-“ „Ich weiß, ich weiß. Außerdem hast du es ja auch verdient, dass ich nur dich beachte – jedenfalls für eine ganze Weile.“ Schmunzelnd schmiegte sie sich wieder an ihn. „Wenn du mich fragst, sollte es für eine sehr lange Weile so sein, dass du nur mich beachtest. Bislang habe ich dich immerhin mit der ganzen Welt geteilt, aber das reicht langsam.“ Er konnte sich wirklich nicht beklagen, sie war mehr als geduldig gewesen, hatte ihm alle Zeit gelassen, die er benötigt hatte. Ganz zu schweigen davon, dass sie ihm die Angst vor dem Feuer genommen hatte, was auch sehr viel ihrer Lebenszeit in Anspruch genommen hatte. „Womit habe ich dich nur verdient?“, fragte Ferris leise. Nachdenklich legte Aurora einen Finger an ihre Lippen. „Hm, gute Frage. Vielleicht bin ich nur ein wahnsinnig guter Mensch~. Oder wir sind es beide?“ Sie strich ihm mit der anderen Hand durch das Haar. „Aber eigentlich muss man so etwas doch nicht fragen. Du bist immerhin nicht mehr bei deinem Bruder. Du hast alles verdient, was die Welt Gutes zu bieten hat.“ Sie lächelte – und plötzlich schien ihr etwas einzufallen: „Oh ja, ich hab deinen Bruder übrigens gesehen, als ich heute nach Adhara ging.“ Ferris verzog sein Gesicht. Es gab nicht viel Gutes, das er mit Cowen in Verbindung brachte. Er hatte sogar angenommen, dass dieser, ohne jemanden, den er quälen und für sein Leiden verantwortlich machen konnte, schon längst Selbstmord begangen hätte. Er wünschte ihm das nicht, aber er konnte nicht leugnen, dass Cowen sehr viel von seinem Leben zerstört hatte. „Wie ging es ihm?“, fragte er, mit überraschend viel Mitgefühl in der Stimme. „Er sah ganz gut aus. Ich war sehr überrascht, weil er das letzte Mal das totale Wrack gewesen ist. Aber heute hat er sich mit einer Frau getroffen – und er hat sogar gelächelt!“ Das konnte Ferris sich nicht vorstellen. Er kannte Cowen sein ganzes Leben, aber nie hatte er seinen älteren Bruder lächeln gesehen. In den letzten Jahren hätte er sogar geschworen, dass Cowen zu einer solchen Emotion einfach gar nicht fähig wäre. „Was war das für eine Frau?“ Aurora zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht. Sie sah total hübsch aus, aber ich hatte sie noch nie zuvor gesehen. Jedenfalls umarmten sie sich aber, also mussten sie sich schon öfter gesehen haben. Vielleicht solltest du mal irgendwen fragen, der sich eher mit ihm auskennt.“ Falls er eine solche Person jemals finden könnte. Aber das war nicht weiter wichtig. „Ich denke, wir sollten dann langsam ins Bett gehen, du musstest immerhin hart arbeiten.“ Wieder löste sie sich von ihm, um sich genüsslich zu strecken. „Du hast recht, ich bin todmüde.“ Ferris schaltete die Konsole aus, ohne das Spiel zuvor zu speichern. Der Fortschritt darin war ohnehin vollkommen nebensächlich. Nachdem das Licht am Gerät erloschen war, stand er auf und zog dabei auch Aurora mit sich nach oben. Ihre Augen schienen vor freudiger Erwartung zu leuchten, was durch die goldenen Iriden nur umso stärker hervorgehoben wurde. Luan hatte ihn gefragt, ob er glücklich sei. Eine Frage, die Ferris immer noch verwirrte. Aber in diesem Moment konnte er, ohne jeden Zweifel, wieder einmal bestätigen, wie glücklich er war. Und solange Aurora an seiner Seite war, würde das auch so bleiben, davon war er überzeugt. Kapitel 21: So wie beim letzten Mal ----------------------------------- Luan gähnte, während er dem Gang folgte. Lowe schien sich daran nicht zu stören. Gut gelaunt lief er vor ihm her, obwohl es so früh am Morgen war. Nach wie vor sah es aus als könne absolut gar nichts seine Stimmung trüben, nicht einmal frühes Aufstehen. Es war beneidenswert. „Hat Konia gesagt, warum sie mich sehen will?“ Luan hoffte, nicht mehr gähnen zu müssen, wenn er sich mit Lowe in einem Dialog befand. Sein Begleiter legte den Kopf in den Nacken. „Koni meinte, es sei Besuch für dich da.“ Luans Müdigkeit war sofort verflogen. „Etwa aus Adhara?“ „Ganz genau. Anscheinend haben sie etwas für dich.“ Auf einen Schlag fühlte Luan sich so wach als hätte er nicht die Nacht zuvor größtenteils wach gelegen und über all seine Fehler nachgedacht, die zu dieser Zeit geführt hatten. „Was könnten die Hexen für dich haben?“, fragte Lowe mit unverhohlener Neugier. Es war erfrischend, so jemanden zu kennen. Deswegen musste Luan lächeln. „Ich habe sie gebeten, einen Körper für Kian zu machen.“ Lowe hob seine Augenbrauen, aber Luan ging nicht weiter darauf ein. Er war zu sehr auf das Gefühl in seinem Inneren fokussiert, das ein aufgeregtes Brennen seitens Kian war. Nicht mehr lange, dann wären sie beide wieder frei. Dann musste Kian nicht mehr wütend sein. Er stillte Lowes Neugierde nicht, während dieser ihn weiter zur Krankenstation führte. Dafür stellte Luan eine andere Frage: „Hat Parthalan eigentlich schon etwas Wichtiges von Patrok und Amari erfahren?“ „Das weiß ich nicht so genau. Die Aussagen der beiden gelten gerade noch als geheim. Nur Parthalan hat darauf Zugriff. Vermutlich auch Kieran, aber der sagt mir ja auch nichts.“ Selbst diese Onkel-Neffen-Beziehung hatte Luan zerstört. Das müsste er auch irgendwie wieder kitten, wenn er wollte, dass alles gut wurde. „Warum sollte Kieran auch darauf Zugriff haben?“, hakte er nach. „Seit Cerise“ – Lowe zögerte einen kurzen Moment – „schläft, zieht Parthalan ihn einfach immer wieder ins Vertrauen. Vielleicht glaubt er, weil Kieran niemanden mehr außer Abteracht hat, sei dessen Loyalität unvergleichlich – oder so ähnlich.“ Luan kannte Kieran, deswegen konnte er bestätigen, dass er absolut loyal war. Es war schön, zu wissen, dass zumindest Parthalan ihm auch derart viel Vertrauen entgegenbrachte. Damit konnte Kieran sich gebraucht fühlen und das war gut so. Auf der Krankenstation wurde Luan bereits von überraschend vielen Leuten erwartet: Konia war da, genau wie Seline, Ciar – Kian gab ein Seufzen der Vorfreude von sich –, Sephira und Aurora, die gerade in ein Gespräch vertieft waren. Er wusste, weswegen die beiden Hexen da waren, auch Selines Anwesenheit war ihm klar, aber bei Ciar war er ratlos. Lowe freute sich jedoch darüber und vergaß scheinbar auch die unbeantwortete Frage: „Ciar, wie schön, dich zu sehen! Wie geht’s?“ Seine Neffe zog die Brauen zusammen. „Warum klingst du immer so, als sähen wir uns seit Jahren das erste Mal? Du stehst oft genug vor der Tür.“ „Ich freue mich einfach jedes Mal. Und Kieran akzeptiert das ja nicht, also musst du auch seinen Anteil mittragen.“ Luan wandte sich ab, ehe er Ciars Unmut über den Dämon erleben musste. Dabei fiel sein Blick auf Konia, die gerade etwas auf einem Klemmbrett notierte. Zuerst war er sich nicht sicher, was ihm an diesem Bild eigenartig vorkam, aber dann erinnerte er sich wieder an die Änderungen dieser Zeitachse. Sie schrieb nach wie vor mit links, aber- „Konia!“, stieß Luan aus. „Deine rechte Hand!“ Sie hielt inne, sah auf, dann blickte sie auf ihre Hand hinab, mit der sie das Klemmbrett hielt. Während sie offenbar auch erst darüber nachdenken musste, starrte Luan sie weiterhin an. Bei seinem letzten Besuch auf der Krankenstation hatte sie die versteinerte Hand nicht benutzen können und noch dazu einen weißen Handschuh getragen. Nun war davon absolut nichts mehr zu sehen. Sie bewegte sogar nacheinander alle Finger als wäre die Versteinerung nur ein schlimmer Traum gewesen. „Ich bin mir auch nicht sicher, was geschehen ist“, sagte sie schließlich. „Als ich gestern aufgewacht bin, war sie wieder so wie früher. Am Mittwoch war ich bei Dr. Belfond“, fügte sie noch hinzu. Damit war für Luan alles klar, was er auch sofort mit einem Lächeln demonstrierte. „Ich freue mich, dass es klappt. Hoffentlich wirst du dann bald wieder vollkommen normal sein.“ Sie zog ein wenig die Mundwinkel nach oben, ging aber nicht weiter darauf ein. Aurora bemerkte offenbar, dass sein aktuelles Gespräch beendet war, denn sie stand im nächsten Moment schon neben ihm. „Du musst Luan sein~. Cool, dich zu treffen. Mich kennst du ja bestimmt schon.“ Er nickte lächelnd. „Ja. Es ist schön, dich mal wieder zu sehen.“ Sie hatte sich kein bisschen verändert, selbst ihr Gesicht war so jugendlich frisch wie früher, in ihren goldenen Augen schien ein Feuer zu glühen, das dem in ihrer Seele gleichkommen musste. Zumindest sie war offensichtlich glücklich. „Also, wir haben den Körper gemacht, so wie du es wolltest~.“ Ohne ihn einmal getroffen zu haben, das erfüllte ihn immer noch mit Erstaunen. Bestimmt war Selines Hilfe dabei im Spiel gewesen, aber er blieb weiter verblüfft, Aurora gefiel das offensichtlich: „Dein Gesicht ist gerade Gold wert. Jetzt freue ich mich noch mehr, dass ich den Job angenommen habe.“ Luan sah Sephira an, die sich zu ihnen gesellte. Ihre hellblauen Augen schienen das Gegenteil von Auroras zu sein: in ihnen brannte kein Feuer, dafür war ein ruhiger See zu sehen. Sie lächelte Luan an. „Es ist schön, dich kennenzulernen.“ Er freute sich ebenfalls, sie zu sehen, aber ihm fiel noch etwas anderes auf: „Wo ist Christine?“ In der anderen Zeitachse war sie für alle Körper verantwortlich gewesen, und hatte, dank ihm und Kieran, auch ihre Abschlussprüfung auf diese Weise bestanden. Noch dazu waren sie und Sephira durch die vielfach zusammen verbrachte Zeit zu einem Paar geworden. Dafür war Aurora nicht darin involviert gewesen. Sephira sah in Richtung der Decke, während sie nachzudenken schien. „Also soweit ich mich erinnere, ist Chris mehr mit dem Fluchbrechen beschäftigt. Die Theorie liegt ihr wohl nicht so wirklich.“ Stimmt, Luan fiel wieder ein, dass Hexen auch noch eine andere Aufgabe hatten. Flüche entstanden aus negativer Energie, die sich lokal fokussierte, deswegen tauchten sie oft in Industriegebieten und Krankenhäusern auf. Sie schadeten Menschen, die ihnen zu nahe kamen, indem sie diesen unmerklich die Energie entzogen. Ließ man Flüche zu lange unbeaufsichtigt, wandelten sie sich in Albträume und schließlich in Dämonen. Derartig entstandene Dämonen waren wesentlich aggressiver als jene, die, wie Kieran und Konia, aus Niflheim kamen, und deswegen war es im Interesse aller, sie noch vor der Entstehung zu vernichten. „Habt ihr dann etwa keinen Kontakt?“, fragte Luan. Sephira schüttelte mit dem Kopf. „Warum fragst du?“ Er wollte ihr nicht sagen, dass sie in seiner Zeitachse in einer glücklichen Beziehung mit Christine gewesen war. Sie sah glücklich aus, das wollte er nicht wie bei Kieran zerstören. „Ich war nur neugierig.“ Sie nickte, dann vertiefte sie sich wieder mit Aurora in ein Gespräch, in das diesmal auch Konia einbezogen wurde. Soweit er es mitbekam, ging es dabei um verschiedene Lebenszeichen auf die während der Prozedur und danach geachtet werden musste. Luan strebte zu Seline hinüber, die der Unterhaltung zwischen Ciar und Lowe zu folgen versuchte. Das war nicht sonderlich einfach, denn die beiden sprachen teilweise durcheinander, verstanden sich aber dennoch. Luan konnte sich durchaus vorstellen, dass Ciar einfach nur Lowes Aussagen kommentierte, während dieser unbeirrt weiterplapperte. Er verstand aber nicht genug, um das mit Sicherheit sagen zu können. Deswegen wandte er sich Seline zu: „Wirst du Kian aus mir herausholen?“ „Woher weißt du das?“, fragte sie unverbindlich lächelnd. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass du eine normale Prägung hast, was die der Schöpfer wäre. Deine Stimme klingt nicht nach der Schall-Prägung. Du bist nicht so gebaut, wie jemand, der eine Koloss-Prägung hat. Und Ciar hat bestimmt als einziger die Hexer-Prägung. Also bleibt für dich nur die Atem-Prägung.“ Deren Außergewöhnlichkeit verursachte, dass sie auch die seltenste Prägung war – neben der wieder neu erweckten Hexer-Prägung. Sie war so selten, dass es nicht einmal Lehrer in Athamos dafür gab,worunter Luan als Traumbrecher hatte leiden müssen. Aber für Naturtalente war es sicher kein Problem, damit umzugehen. Entsprechend empfand Luan es als angebracht, dass jemand wie Seline diese besaß. Ihr Lächeln wurde herzlicher. „Das ist richtig. Du bist ein guter Beobachter.“ Verlegen senkte er den Blick ein wenig. „Ich vertraue dir jedenfalls. Aber du weißt, was die Nebenwirkung sein wird?“ „Jii hat mich bereits darüber aufgeklärt. Aber ich nehme das in Kauf.“ Er verspürte das Bedürfnis, sich zu entschuldigen, aber er dachte sich, dass sie darauf keinen Wert legte, also ließ er es sein. Außerdem wurde es Zeit, dass sie mit der Prozedur begannen, wie Ciar verkündete, um Lowe endlich zum Schweigen zu bringen. „Dafür bräuchten wir nun auch den Körper von Kian“, erklärte Konia. Sie deutete zu zwei Betten hinüber, die dichter beieinander standen als die anderen. Aurora tänzelte hinüber. Dort streckte sie ihren linken Arm aus. Auf ihrer Armbeuge war eine blaue Rune zu sehen, die auf den ersten Blick wie ein gewöhnliches Tattoo aussah. Erst als sie die kompliziert verschlungene Zeichnung berührte, zeigte sie ihre Außergewöhnlichkeit: Sie glühte in einem Licht, das sogar Funken zu versprühen schien. Mit ihrem Zeigefinger zog Aurora einen Lichttropfen aus der Rune hervor. Möglichst behutsam führte sie den Tropfen von ihrem Arm zum Bett hinüber. Die Helligkeit nahm derart stark zu, dass Luan für einen Moment die Augen zusammenkneifen musste. Und als er sie wieder öffnete, entdeckte er Kian auf dem Bett. Zumindest nannte er ihn bereits innerlich so. Da der Körper die Augen geschlossen hatte, konnte er sich nicht sicher sein, ob an dieses Detail gedacht worden war. Aber er vertraute den Hexen, besonders da sie ihn auch in einen weißen Pyjama gesteckt hatten. Durch genau diesem fiel ihm aber auch auf, dass der Teint des Klons nicht sehr gesund aussah. Er war derart blass, fast schon wächsern, dass er wie eine Puppe aus Porzellan aussah. Sephira griff nach Kians Handgelenk. Dieses erstrahlte nun ebenfalls in einem hellen weißen Licht. Es diente der Versicherung, dass der Körper für die Seele vorbereitet war. Genau genommen ging es darum, dass er belebt wirkte, damit die Seele sich nicht direkt wieder verflüchtigte. Sie hatten an alles gedacht. Luan schlüpfte aus seinen Schuhen und legte sich auf das Bett daneben. Sein Herz schlug schmerzhaft gegen seine Brust, obwohl er wusste, dass es keinen Grund gab, sich zu fürchten. Er war in den besten Händen, alles würde gut werden. Es gab Hoffnung für Kian. Er schloss die Augen. Jemand trat neben ihn. Die Person trug einen kaum merkbaren Duft von Rosmarin mit sich; er sehnte sich danach, wieder zu kochen. „Bleib ganz ruhig“, hörte er Seline sagen. „Es wird nicht lange dauern.“ Ein knappes Nicken blieb seine einzige Antwort. Er hörte, wie Seline ihre Uhr aktivierte, wie das Ticken den Raum zu erfüllen schien. Dennoch zwang er sich, ruhig weiterzuatmen. Selbst als etwas in seine Brust drang und kalte Luft mit sich führte. Die Klinge der Atem-Prägung wühlte in seinem Inneren, suchte nach Kians Seele, die sich ihr bereits erwartungsvoll entgegenstreckte. Die Klinge absorbierte den willigen Kian. Luan spürte den Sog, wie sich Kians Wurzeln von ihm lösten, wie er ihn endgültig allein zurückließ, in einer Zeit, die von ihm selbst geschaffen worden war. Erst als die Kälte in seiner Brust nachließ, ohne wirklich vollends zu verschwinden, öffnete Luan die Augen wieder. Dabei wurde seine Aufmerksamkeit rasch von der Klinge der Atem-Prägung in Beschlag genommen. Rote Verästelungen waren in der ansonsten blauen Färbung zu erkennen. An manchen Stellen gingen die Farben so sehr ineinander über, dass die Klinge sich lila zu färben schien. „Teil Eins ist geschafft“, sagte Seline lächelnd; ein Schweißtropfen perlte ihre Stern herab. Luan versuchte, sich in Erinnerung zu rufen, ob sie an dieser Stelle bereits etwas geopfert hatte oder ob etwas in ihr erst zersplitterte, sobald sie die Seele wieder abgab. Aber er erinnerte sich nicht mehr. Seline trat aus seinem Blickfeld. Er neigte den Kopf zur Seite. So konnte er gerade noch sehen, wie sich die Klinge bis zur Hälfte in Kians Brust bohrte, ohne eine Wunde zu erzeugen. Die Farbe verließ die Klinge, zog langsam in den Körper ein, dessen Haut endlich einen gesünderen Teint annahm. Selbst Luan fühlte sich so schon besser. Schließlich konnte Seline auch hier die Klinge wieder entfernen. Sie machte noch einen guten Eindruck; aus eigener Erfahrung wusste er, dass es dauern konnte, bis man bemerkte, welchen Teil seiner selbst man für diese Prozedur geopfert hatte. Vorsichtig richtete Luan sich auf. Ihm war noch etwas schwindelig, aber er konnte aufrecht sitzen. Aus den Augenwinkeln sah er Ciar, Lowe und Konia, die alle drei darauf warteten, dass etwas geschah. Aurora und Sephira schienen dagegen vollkommen gelassen, sie vertrauten auf ihre Arbeit. Luan fragte sich, welche Fehler man bei der Erstellung eines Körpers machen könnte, aber eigentlich wollte er darauf lieber keine Antwort. Schließlich schlug Kian die Augen – sie waren wirklich rot – auf. Zuerst blickte er nur an die Decke, als könne er noch nicht begreifen, was los war. Dann dämmerte es ihm mit einem Schlag. Seine Augen weiteten sich. „Es hat funktioniert!“ „So wie beim letzten Mal“, stimmte Luan zu. Kians Stimme klang noch rau, weil die Stimmbänder nie zuvor benutzt worden waren. Aber sie funktionierten, was bei Aurora zu einem glücklichen Klatschen führte. Für sie war das Experiment offenbar auch ein voller Erfolg. Sephira ließ Kians Hand wieder los. „Du wirst dich in erster Zeit nicht wirklich bewegen können, wie du vielleicht weißt. Es wird eine Weile dauern, aber das schaffst du bestimmt.“ „Ja ja“, erwiderte Kian genervt. „Ich weiß schon. Das ist nicht das erste Mal, dass ich das mache.“ Luan wollte sich gerade für ihn entschuldigen, aber Sephira lächelte bereits verstehend. „Dann muss ich ja nichts weiter erklären.“ Sie nickte ihm noch einmal zu, dann verließ sie das Bett, um noch einige Details mit Konia abzusprechen. Aurora schloss sich diesem Gespräch an. Ciar dagegen trat neben Kian an das Bett, um diesen genauer zu betrachten. Für einen Moment sahen sie sich nur gegenseitig schweigend an. Luan wartete angespannt darauf, was geschehen würde. Plötzlich beugte Ciar sich nach unten und schlang die Arme um den bewegungslosen Kian. Er murmelte etwas, das Luan nicht verstehen konnte, aber Kian vor Verlegenheit zum Erröten brachte. Die beiden waren jetzt glücklich. Das war Luan gelungen. Es fehlten nur noch … sehr viele andere Personen. Aber jeder kleine Erfolg – er sah zu Konias genesener Hand – war auch ein kleiner Schritt in die gewünschte Richtung. Mit genügend Zeit könnte er es schaffen. Lowe trat neben Luan, den Blick auf Ciar und Kian gerichtet. In seinem Gesicht war deutlich die Verwirrung über das Beobachtete zu sehen. Luan konnte es ihm nicht verübeln, er wäre an seiner Stelle auch verwirrt gewesen. „Okay“, sagte er schließlich, „ich glaube, es wird Zeit, dass du mir erklärst, was hier eigentlich gerade vor sich geht.“ Luan schmunzelte innerlich, dann begann er damit, Lowe die Geschichte des Weltenbrechers einer anderen Zeitachse, die nun nicht mehr existierte, zu erzählen. Kapitel 22: Wenn es um die Welt geht, sind wir dafür verantwortlich ------------------------------------------------------------------- Etwas stimmte nicht. Brava spürte es in jeder Faser ihres Körpers, selbst ihre Haarspitzen schienen zu funkeln. Sie stand wie üblich gegenüber des Blumenladens, eingehüllt in ihre Blase des Zeitrisses, und beobachtete das Geschäft. Freitags befanden sich stets zwei Personen im Laden: Atanas und Cathan Lane. Letzterer arbeitete seit einigen Monaten hier, vermutlich um ihn für Abteracht im Auge zu behalten. Normalerweise war daran auch nichts Schlimmes, aber an diesem Tag stimmte etwas nicht. Und es hatte mit Cathan Lane zu tun. Es hatte gedauert, bis es ihr gelungen war, ihn als Quelle auszumachen. Seit ihrer Begegnung mit dem Vollstrecker des Weltenwächters – Rick – war sie von dem Gefühl erfüllt gewesen, dass etwas Schlimmes bevorstand. Keiner von ihnen, weder ihr noch Yurid, noch Skalia, war es gelungen, herauszufinden, von wem das helle Licht verursacht worden war. Oder wohin derjenige verschwunden war. Sie hatte gehofft, dass es den Ricks gelungen war, ihn zu vernichten. Aber am Mittwoch war das Gefühl der Gefahr in ihr erwacht. Nein, das war die falsche Beschreibung. Es war aufgelodert, wie ein Feuer in einem trockenen Wald, der in der Sommerhitze schmorte. Wie Flammen, die gierig nach jedem noch so kleinen Zweig griffen, um sich am Leben zu halten, nachdem sie endlich entfacht worden waren. Und nun ließ es sich einfach nicht mehr löschen. Deswegen war sie diesem Gefühl nachgegangen, es hatte sie zu Eden Flowers geführt. Also beobachtete sie. Von außen betrachtet war alles so wie immer. Atanas war meist im Hinterraum beschäftigt, vermutlich mit Rechnungen und Bestellungen, er kam immer nur heraus, wenn der Laden kurzzeitig zu voll wurde. Cathan kümmerte sich derweil um die Blumen. Wieder einmal ging er dem mit voller Leidenschaft nach, deswegen konnte sie einfach nicht bestimmen, was genau das Problem war. Jedenfalls nicht von ihrem jetzigen Aufenthaltsort aus. Sie erweiterte den Riss, in dem sie sich befand, damit sie diesen nutzen konnte, um den Laden zu betreten, ohne gesehen zu werden. Menschen würden gar nicht bemerken, dass es diesen überhaupt gab. Nach jedem Schritt schloss sich hinter ihr der zuvor vorhandene Teil des Risses. Wie es sich für einen Floristen gehörte, war der ganze Raum voller Blumen, deren Farben und Gerüche die Sinne zu überlagern drohten. Selbst durch den Riss hindurch konnte sie diese wilde Mischung riechen, ein derart schwerer Geruch, dass er sich auf ihrer Zunge abzulegen schien. Im Hinterzimmer hörte sie Papier rascheln. Durch die lebenden Pflanzen, deren saftiges Grün eine Entspannung für die Augen bot, herrschte eine derart hohe Luftfeuchtigkeit, dass es fast schon stickig war. Brava gewöhnte sich langsam daran, indem sie mehrmals tief durchatmete. Währenddessen beobachtete sie Cathan, der mit einer Gießkanne umherging. Mit den Fingern prüfte er die Feuchtigkeit der Erde, vor der er gerade stand, ehe er entschied, ob er gießen sollte oder nicht. Nach mehreren Sekunden, in denen er sie nicht bemerkt hatte, wagte sie sich näher. Alles an ihm sah aus wie immer. Selbst sein schwarzes Haar schien bis zur letzten Strähne am richtigen Platz zu sitzen. Sie beugte sich vor und neigte den Kopf, um in seine Augen zu sehen. Doch bevor sie einen guten Blick erhaschen konnte, hielt er plötzlich in seinen Bewegungen inne. Seine Muskeln waren angespannt, als spüre er eine Bedrohung. Aber er konnte doch nicht sie meinen? Sie war zurückgeschreckt, aber nun beugte sie sich doch wieder vor. Cathan hatte dunkle Augen, die manchmal fast schon schwarz wirkten, was sie so faszinierend machte. Jedenfalls waren das Dinge, die Brava oft von den Kunden darüber gehört hatte. Sie empfand diese Dunkelheit, die einen zu verschlingen schien, eher als unheimlich. Und dann sah sie es. Es hielt nur einen kurzen Moment an, fast hätte sie es verpasst. Aber sie war sich sicher, es gesehen zu haben: Ein goldener Schleier. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte dieser Schein seine Augen erfüllt, dann war er wieder verschwunden. Plötzlich riss er den Kopf herum. Er sah sie direkt an, als starre er in den Riss hinein. Aber das war nicht möglich. Auch nicht für einen Legendären Dämonenjäger. Seine Lippen kräuselten sich zu einem amüsierten Lächeln, der Schleier kehrte zurück. „Ich fühle mich richtig geehrt. Die Aufmerksamkeit einer Norne hatte ich schon lange nicht mehr.“ Ihr blieb nicht einmal Gelegenheit, etwas zu erwidern. Die Gießkanne fiel klappernd zu Boden. Seine Hand schoss nach oben, direkt durch den Riss, und packte ihren Hals. Der Griff war fest genug, um ihre Kehle zusammenzudrücken. Sie keuchte, kratzte an seiner Hand, aber er ließ nicht locker. Stattdessen machte er einen Schritt – und stand dann plötzlich mit ihr im Riss. Er neigte den Kopf, musterte sie fast schon neugierig. Sie gab den Versuch auf, sich zu befreien und griff in ihre Tasche. Ihr Kompass leuchtete auf. Cathan kniff die Augen zusammen, ließ sie aber nicht los. Brava zog die Pistole aus dem Kompass, doch ehe sie schießen konnte, schleuderte ihr Angreifer sie plötzlich von sich. Sämtliche Luft wurde bei dem Aufprall aus ihren Lungen gepresst, ihr Blick verzerrte sich. Hektisch schnappte sie nach Sauerstoff. „Leider“, fuhr Cathan fort, seine Stimme schien von überall gleichzeitig zu kommen, „habt ihr Nornen die furchtbare Angewohnheit, euch in Dinge einzumischen, die euch nichts angehen sollten.“ Brava blinzelte die Tränen weg. Doch selbst mit dem verschwommenen Blick, erkannte sie, dass sie sich immer noch im Riss befand. Er hatte sich wieder geweitet, von dem Laden außerhalb war nichts mehr zu sehen. Dafür erkannte sie die rauchenden Überreste von Häuserruinen, teilweise standen nur noch die Außenmauern, an anderen Stellen konnte man zumindest noch erahnen, wie viele Räume es einst gegeben haben mochte. Es war allerdings nicht normal, dass so etwas hier war. Cathan – oder wer auch immer – musste einen Einfluss darauf ausüben. Langsam gelang es Brava wieder, vernünftig zu atmen, so dass sie antworten konnte: „Ich weiß nicht, welchen Nornen du bereits begegnet bist, aber wenn es um die Welt geht, sind wir dafür verantwortlich!“ „Soll ich dir sagen, wie oft diese Einstellung euch oder eure Welt gerettet hat?“ Sie konnte ihn immer noch nicht entdecken, aber er klang amüsiert. „Kein. Einziges. Mal.“ Sie entdeckte ihn immer noch nicht. Aber an seiner Stelle schälten sich Umrisse aus den Schatten der Ruinen. Es waren Wesen, die auf vier Beinen liefen, Wölfe, wie sie gleich darauf feststellte. Doch sie sahen aus als bestünden sie aus hellblauen Blitzen, die sich unablässig bewegten, Funken schlugen. Das darauf einsetzende Heulen klang nach mehr als einem Dutzend dieser Wesen, sie entdeckte allerdings nur acht. „Aber eines muss ich euch doch zugute halten.“ Brava versuchte, die Wölfe im Auge zu behalten, aber gleichzeitig weiter nach Cathan zu suchen. „Ihr schafft es immer wieder, mich vortrefflich zu unterhalten.“ „Wer bist du?“ Ihre Frage schien ins Nichts zu gehen. „Warum tust du das?“ Einen Moment lang herrschte Stille. Lediglich das Sprühen der Funken war noch zu hören. Die Wölfe beobachteten sie aufmerksam, rührten sich aber nicht. Er beendete das Schweigen, als ihre Nerven bereits angespannt waren: „Ich mache dir einen Vorschlag: Ich erzähle dir mehr über mich, wenn du meine Freunde hier besiegst. Deal?“ Er wartete nicht auf eine Antwort. Die Wölfe sprangen auf sie zu. Das Geräusch der Funken erhob sich zu einem unheilvollen Chor. Brava gab drei gezielte Schüsse ab, drei ihrer Angreifer lösten sich auf. Sie sprang zur Seite, eines der Tiere landete jaulend auf dem Boden. In einer fließenden Bewegung fuhr sie herum, gab drei weitere Schüsse ab und trat mit dem Fuß auf den Kopf des gelandeten Wolfes. Er löste sich auf, genau wie die drei getroffenen. Einer sprintete immer noch auf sie zu – und machte unliebsame Bekanntschaft mit ihrem Ellenbogen. Noch während er zurückflog, schoss sie auf ihn, so dass er sich ebenfalls auflöste. Zu sehen war sonst niemand mehr, deswegen lauschte sie aufmerksam nach weiteren Feinden. Außerhalb ihres Sichtfeldes, verborgen von den Ruinen der Häuser, waren noch immer die Geräusche von Pfoten zu hören, Krallen, die auf dem Boden klickten. Gleichzeitig huschte ihr Blick über die Mauern, um ein Zeichen von Cathan zu finden. „Gibt es eigentlich auch Nornen, die Anfängerinnen sind?“ Seine Stimme schien hinter ihr zu sein – doch als sie sich umdrehte, ertönte es aus der anderen Richtung: „Ich habe nämlich noch nie eine getroffen, die nicht kämpfen konnte. Komisch, oder?“ Für Brava war es das nicht. Was nützten sie denn, wenn sie nicht direkt von Anfang an kämpfen konnten? Wie sollten sie sich so um den Schutz der Welt kümmern? Aber sie erwiderte ihm das nicht, sondern wartete auf einen Angreifer. „Sag mal, die Cerise dieser Welt ...“ „Die Anführerin von Abteracht?“, hakte sie nach. „Genau die. Aber das hat meine Frage schon beantwortet. Deswegen stelle ich eine andere: Wo ist sie gerade? Normalerweise kann ich keine Welten betreten, die sie schützt.“ „Bist du nicht aus dem Limbus gekommen?“ Cathan musste ihn mit sich gebracht haben, unfreiwillig vermutlich. Für den Limbus als Grenze waren sie nicht verantwortlich, nur für alles innerhalb der Welt. Dasselbe galt vermutlich für die Ricks. Als Versteck wäre es daher ideal. Er seufzte schwer, wie ein Lehrer, der gerade seinen Schüler aufgab. „Sicher. Aber davor bin ich durch das Tor gekommen, wie es sich gehört.“ Wie sie es sich gedacht hatte. Eine Bewegung aus dem Augenwinkel lenkte ihre Aufmerksamkeit zur Seite. Ein Wolf sprintete auf sie zu, wich ihrer Kugel aus, ohne seinen Ansturm zu unterbrechen. Brava vollführte einen Schritt nach links – ein scharfer Schmerz fuhr durch ihren linken Arm. Als sie hinabsah, entdeckte sie einen der anderen, der sich in sie verbissen hatte. Obwohl er aus Blitzen bestand, fühlte es sich an als beiße er richtig zu. Blut floss ekelhaft warm ihren Arm hinunter, färbte ihre weiße Bluse rot. „Interessant“, kommentierte Cathan. „Weißt du, nicht jede Norne blutet. Aber vielleicht hat sich dieser Riss nur zu sehr auf mich eingestellt. Was meinst du?“ Sie erschoss erst den Wolf, der noch immer auf sie zustürmte, dann versetzte sie dem neben sich einen heftigen Schlag mit dem Griff der Pistole. Er ließ sie los und fuhr jaulend zurück. Ein heftiger Tritt von ihr sorgte dafür, dass er sich auflöste. „Scheint als ob es dir egal ist.“ Diesmal klang er enttäuscht. „Dabei sollte man meinen, jeder möchte mehr über sich erfahren und nicht nur über seinen Feind. Bist du es nicht leid, diese Welt und ihre Zeit zu beschützen? Zu schlafen, wenn du nicht gebraucht wirst?“ „Das ist die Aufgabe, für die ich geschaffen wurde.“ Ihr Schuss traf einen Wolf, der zwischen den Ruinen herumsprang. „Und ich werde sie erfüllen!“ Einen Moment lang herrschte nachdenkliche Stille. Sie lauschte nach weiteren Tieren, konnte aber keine mehr hören. Dabei hätte sie gewettet, vorhin wesentlich mehr gehört zu haben. Vielleicht war das aber auch nur eine Illusion gewesen. Selbst in diesem Augenblick dachte sie nicht darüber nach, ob das wirklich das war, was sie sich wünschte. Sie waren individuell, hatten ihre Eigenheiten, das sprach eigentlich dafür, dass sie solche Dinge zumindest erwägen müssten – aber sie alle besaßen nur einen Wunsch: Ihre Aufgabe zu erfüllen, bis derjenige, der sie dafür geschaffen hatte, sie irgendwann davon abzog oder wieder zerstörte. „Woher weißt du das?“ Cathan klang wirklich nachdenklich. Sie antwortete nicht, weil sie sich nicht sicher war, wovon er sprach. „Woher“, führte er aus, „weißt du, dass es genau diese Aufgabe bist, wegen der du existierst? Du weißt doch nicht einmal, wer dich überhaupt erschaffen hat, oder?“ „Das muss ich auch nicht wissen!“ Mit der freien Hand griff sie sich an die Brust, ihre Wunde schmerzte bei der Bewegung. „Ich kenne meine Aufgabe seit dem ersten Tag, an dem ich die Augen aufschlug. Ich kenne meine Fähigkeiten. Und ich werde sie nutzen, um meinem Herzen zu folgen.“ „Dem Herzen folgen“, wiederholte Cathan. Etwas an dem Riss änderte sich. Die Ruinen wurden transparent, als könnten sie jeden Moment verschwinden, drei weitere Wölfe saßen hinter verschiedenen Häusern und warteten geduldig auf Anweisungen. Von wem auch immer diese kommen sollten. „Das ist genau dasselbe, was alle Nornen sagen.“ Diesmal hörte sie genau, von wo seine Stimme kam! Sie wirbelte herum, riss die Pistole hoch und schoss. Die Kugel durchschoss die Luft, hinterließ einen goldenen Schweif – und stoppte plötzlich mitten im Flug. Einen Sekundenbruchteil später, erschien Cathan. Er saß auf einer Ruine, ein Bein angezogen, das andere ließ er nach unten hängen, sein Rücken war zurückgelehnt, mit der rechten Hand stützte er sich auf den Trümmern ab. Seine linke war erhoben, die Kugel klemmte zwischen Zeige- und Mittelfinger. „Gar nicht schlecht. Das hat nicht jede von euch geschafft.“ „Hör endlich auf, uns miteinander zu vergleichen! Nur weil es andere Welten gibt, die dieser ähneln, bedeutet das nicht, dass wir uns auch ähneln!“ Stumm sah er auf sie hinab. Sie nahm das als Ermutigung, weiterzusprechen: „Du hast bestimmt auch andere wie dich in anderen Welten gesehen, die dir nicht ähneln. Wer immer du auch bist.“ Seine Mundwinkel hoben sich, aber das Lächeln wirkte spöttisch. „Du willst also immer noch wissen, wer ich bin?“ „Natürlich!“ Sobald sie das wusste, könnte sie ihren Schwestern Bescheid geben. Ihr Feind würde sich nicht mehr verstecken können, auch nicht in anderen Personen, und sie wüssten genau, auf was für einen Kampf sie sich einstellen müssten. Das alles ging ihm aber offenbar nicht durch den Kopf – oder er entschied, dass dennoch keinerlei Gefahr für ihn bestand. Er erhob sich problemlos aus seiner Position und schwebte dann, irritierend schwerelos, zu ihr hinunter. Dabei umgab ihn dasselbe goldene Licht wie Sonntag Nacht, als er durch das Tor in diese Welt gekommen war. Die Wölfe heulten einstimmig, aber es klang wie ein Chor Engelsstimmen. Eine eigenartige Faszination lähmte Brava, ein Gefühl als stünde sie jedem Moment einer Person gegenüber, vor der sie sich verneigen müsste. Ricks Warnung war unnütz gewesen, wie könnte jemand wie er denn bösartig sein? Er landete sanft vor ihr, ergriff ihre Hand, in der sie die Waffe hielt, und zog sie näher zu sich. Sie spürte seinen warmen Atem an ihrem Ohr – und dann verriet er ihr seinen richtigen Namen. Cathan blinzelte mehrmals ins helle Licht, als er seine Augen wieder öffnete. Er war im Blumenladen, dabei war er für einen Sekundenbruchteil überzeugt gewesen, woanders sein zu müssen. Aber er wusste nicht, wo das sein sollte. „Schon wieder ein Blackout.“ Vermutlich wäre es besser, wenn er er deswegen mal zu Konia ging. Sie könnte sich des Problems sicher annehmen. Er sah neben sich, aber dort stand niemand. Dabei hätte er für einen Moment schwören können, dass er nicht allein war. Möglicherweise lag das auch nur an diesem Blackout. Statt sich weiter darum zu kümmern, griff er nach der Gießkanne. Glücklicherweise war kein Wasser dabei vergossen worden. Plötzlich hörte er Schritte aus dem Hinterzimmer, dann streckte schon Atanas den Kopf aus der Tür. „Ist alles okay?“ Cathan nickte rasch. „Ja, klar. Ich hab einen Moment lang nur nicht aufgepasst.“ Atanas' Augen wanderten prüfend durch den gesamten Verkaufsraum als erwarte er einen versteckten Feind zwischen den Pflanzen. Als er aber natürlich niemanden entdecken konnte, nickte er Cathan zu, ehe er sich in den Hinterraum zurückzog. Manchmal fragte er sich, ob Atanas sich nicht vielleicht doch an seine Vergangenheit erinnerte und befürchtete, jeden Moment wieder nach Athamos zurückgebracht zu werden. Aber selbst wenn Cathan ihm gegenüber bestimmte Signalwörter in Gespräche einfließen ließ, reagierte Atanas nicht darauf. Nicht im Mindesten. Also war es wahrscheinlich nicht so. Umso besser. Er dachte nicht weiter darüber nach und fuhr mit dem Gießen fort. Doch als er einige der Blätter wegdrückte, um die Erde zu kontrollieren, fiel ihm ein Gegenstand ins Auge, der da ganz gewiss nicht hingehörte. Im Blumentopf, eingebettet zwischen den hervorstehenden Wurzeln, lag ein einfacher Kompass. Kapitel 23: Ein Schuss reicht ----------------------------- [LEFT]Ciar hatte den restlichen Freitag und den bisherigen Samstag in Abteracht verbracht. Er war nicht mehr sonderlich gern dort, obwohl er es als Kind geliebt hatte. Das ganze Gebäude war ein riesiges Abenteuer gewesen, mit Menschen, die allesamt heroisch waren. Wie sollte man als kleines Kind, das davon träumte, selbst einmal ein Held zu werden, diesen Ort nicht mögen?[/LEFT] [LEFT]Sicher, seine Vorstellung eines Helden hatte sich stark von der aller anderen unterschieden, aber das änderte nichts an seinen Empfindungen. Man hatte ihn weggestoßen, eingesperrt, nun wollte er mit ihnen auch nichts mehr zu tun haben, abseits seiner Familie jedenfalls. Und bei denen blieb er auch nur, weil er keine wirkliche Alternative hatte. Inzwischen gehörte er nach Athamos, wenngleich sich auch dort die heroischen Vorstellungen von seinen unterschieden.[/LEFT] [LEFT]Aber da nun Kian wieder da war, musste ihn das nicht kümmern. Endlich hatte er die Person, die er liebte, wieder bei sich. Die Zeitachse korrigierte sich, wie Jii gesagt hatte.[/LEFT] [LEFT]Seit dem Vortag hatte er Kians Seite nicht verlassen. Dieser konnte sich kaum bewegen, gab sich aber alle erdenkliche Mühe, die Kontrolle über seinen neuen Körper endgültig zu erobern. Vielleicht trugen dazu auch Ciars Worte bei, die er Kian direkt nach seinem Erwachen zugeflüstert hatte: Ich habe dich schon geliebt, bevor ich dich kannte.[/LEFT] [LEFT]Ciar konnte sich nicht daran erinnern, dass Kian je zuvor einmal rot geworden war. Aber er wusste allgemein nur wenige Dinge, die in einer anderen Zeitachse geschehen waren. Hätte Jii ihm das alles nicht verständlich erklärt, wäre es ihm wahrscheinlich weiterhin ziemlich unklar, wie das funktionieren sollte.[/LEFT] [LEFT]So saß er an Kians Bett in einer fremden Krankenstation, hielt die meiste Zeit seine Hand, und verließ ihn nur, wenn es absolut nicht mehr anders ging. Er störte sich dabei auch nicht an Luan, der noch in einem der anderen Betten lag und immer mal wieder zu ihnen hinübersah, wie um sicherzugehen, dass sie noch da waren. Genau so wenig interessierte ihn Cathan, der am Samstag Morgen hereingekommen war, um sich von Konia untersuchen zu lassen. Da die beiden nicht weit entfernt waren, bekam Ciar mit, dass sein Vater über Blackouts klagte, die ihn bei der Ausübung seiner Arbeit behinderten. Das war aber nichts, was ihn weiter interessierte. Sein Vater hatte ihn schwer enttäuscht, deswegen investierte Ciar keine Energie mehr in ihn.[/LEFT] [LEFT]„Wird dir das nicht langweilig?“, fragte Kian plötzlich.[/LEFT] [LEFT]Ciar sah ihn an „Was denn?“[/LEFT] [LEFT]Kians Stirn war gerunzelt. „Na, die ganze Zeit hier herumzusitzen. Du hast doch bestimmt noch irgendetwas zu tun, oder?“[/LEFT] [LEFT]Er dachte einen Moment nach. Seline war gut darin, allein zurechtzukommen. Manchmal kam es ihm sogar so vor als stünde er ihr nur im Weg, während sie kämpft, und sie wäre nur auf Jiis Bitten hin seine Partnerin geworden. Für den Fall der Fälle gab es einen anderen Traumbrecher, der für ihn einspringen könnte. Welchen genau wusste er zwar nicht, aber das war ihm auch ziemlich egal, solange es funktionierte und er seine Ruhe hatte, bis es Kian gut genug ging, dass dieser Abteracht verlassen konnte.[/LEFT] [LEFT]„Es gibt nichts Wichtigeres als bei dir zu sein“, erwiderte Ciar. „Und das bin ich gerade.“[/LEFT] [LEFT]Kian hustete verlegen, rutschte ein wenig im Bett umher, soweit es ihm möglich war. Auf seinem Gesicht zeigte sich wieder eine leichte Röte.[/LEFT] [LEFT]„Du weißt wirklich immer genau, was du sagen musst“, brummte er leise. „Selbst jetzt noch.“[/LEFT] [LEFT]„Ich bin eben wie ich bin.“ Daran gewöhnte Kian sich besser. Aber wenn er ihn noch von früher kannte, dann wusste er es ohnehin.[/LEFT] [LEFT]„Ja ja“, bestätigte er auch sofort.[/LEFT] [LEFT]Konia trat ans Bett heran und unterbrach die Unterhaltung. Beide ihrer Hände waren funktionsfähig, sogar ihr Bein wirkte wieder vollkommen normal, nur noch ein wenig steif. Ciar hatte nur bemerkt, dass sie abends die Krankenstation verließ und erst irgendwann in der Nacht zurückkam. Er wusste aber nicht, was sie in dieser Zeit tat. Sie warf einen Blick auf das Klemmbrett, statt auf Kian, als sie ihn ansprach: „Wie fühlst du dich?“[/LEFT] [LEFT]„Ganz super. Ich liege gern untätig herum.“[/LEFT] [LEFT]Sie runzelte die Stirn, notierte etwas. „Dein Zynismus funktioniert schon einmal. Das nehme ich als gutes Zeichen. Wenn das so weitergeht, kannst du morgen mit der Physio-Therapie anfangen. Es dürfte dann nicht lange dauern, bis du wieder fit genug bist, die Krankenstation zu verlassen.“[/LEFT] [LEFT]Kian schnaubte dazu. Ciar kommentierte es nicht, verkniff sich aber nicht das Schmunzeln. Konia hatte nicht unbedingt seinen Spott verdient, sie hatte ihm schließlich nichts getan, im Gegensatz zu einigen anderen Personen.[/LEFT] [LEFT]„Weißt du schon, wer diese Therapie durchführen wird?“, fragte Ciar.[/LEFT] [LEFT]„Nein, wir haben noch nicht wirklich darüber geredet. Aber die Chancen stehen gut, dass ich es machen werde. Ich kann die Übungen auch gebrauchen.“[/LEFT] [LEFT]Sie deutete auf ihr Bein hinunter. Ciar nickte darauf, statt etwas zu sagen. Sie bestand auch nicht darauf, darüber zu reden, sondern notierte sich noch etwas. „Okay, wenn sich etwas ändern sollte, melde dich bei mir oder Ias. Wir schauen uns das dann an.“[/LEFT] [LEFT]Kian brummte zur Antwort. Sie gab sich damit zufrieden und ging zu Luans Bett hinüber, um sich nun um diesen zu kümmern. Er war auch wesentlich redefreudiger, fragte sie nach ihrem Bein und ihrer Hand, aber das kümmerte Ciar nicht wirklich.[/LEFT] [LEFT]„Wo werden wir hingehen, wenn ich hier rauskomme?“ Kian sah ihn nicht an, sein Blick galt einzig der steinernen Decke, obwohl es dort nichts Interessantes gab.[/LEFT] [LEFT]In einem ersten Reflex wollte Ciar antworten, dass sie nach Athamos gehen würden, aber das stimmte so nicht ganz. „Vorerst gehen wir zu meinen Eltern. Aber ich werde zusehen, dass wir dann bald ausziehen. Ich hab lang genug bei ihnen gewohnt.“[/LEFT] [LEFT]Cathan bekam davon offenbar nichts mit, er lag vollkommen ruhig da und las auf einem Tablet.[/LEFT] [LEFT]„Ich hab kein Problem mit deinem Alten“, erwiderte Kian. „Bist du sicher, dass du sie einfach alle zurücklassen willst?“[/LEFT] [LEFT]„So ist es ja nicht. Ich bin dann nicht aus der Welt. Ich finde nur, wir sollten unser eigenes Leben haben, wenn wir dann schon wieder zusammen sind.“[/LEFT] [LEFT]Auch wenn sich ihnen vielleicht neue Probleme auftäten. Sie hatten sich in dieser Zeit ganz anders kennengelernt als in der anderen, nicht dieselben Erfahrungen geteilt. Vielleicht funktionierte eine Beziehung zwischen ihnen gar nicht mehr. Unwillkürlich drückte er Kians Hand ein wenig fester. Es musste einfach funktionieren.[/LEFT] [LEFT]Es kam ihm vor, als wolle sein Freund noch etwas sagen – da ertönte plötzlich ein Alarm durch Lautsprecher, deren Existenz Ciar nicht einmal bewusst gewesen waren. Er hob den Kopf und blickte in die Ecke über der Tür. Dort war eine kaum zu erkennende Vorrichtung zu sehen, die diesen schrillen Alarm von sich gab.[/LEFT] [LEFT]„Was ist das?“, fragte Luan.[/LEFT] [LEFT]Auch er und Konia blickten nun in diese Richtung. Die Ärztin steckte eine Hand in die Tasche ihres Kittels. „Das ist ein Eindringlings-Alarm. Er wird automatisch ausgelöst, wenn eine unautorisierte Person Abteracht betritt.“[/LEFT] [LEFT]„Wie soll das gehen?“, fragte Ciar. „Nur Jäger können Abteracht betreten, oder?“[/LEFT] [LEFT]„Ja, natürlich. Das gilt aber auch für verstoßene Jäger. Ihre Aura-Signatur wird dann nur einer Liste hinzugefügt, die diesen Alarm auslösen kann. Normalerweise gibt es aber nicht viele Jäger, die auf dieser Liste sind.“ Konia dachte kurz nach, dann wurde sie plötzlich blass. „Im Moment kann das nur einer sein.“[/LEFT] [LEFT]Undeutlich erinnerte Ciar sich daran, dass Cathan einmal erwähnt hatte, dass Jarl ihr nachstellte. Er kannte diesen Mann nicht sonderlich gut, wusste nicht, was er plante, aber er war nicht bereit, zuzusehen, wenn jemand Konia etwas antäte.[/LEFT] [LEFT]Schritte erklangen im Vorraum. Ciar fuhr sofort von seinem Platz hoch. Er zog seine Taschenuhr unter seinem Hemd hervor, mit einem Schwung aus dem Handgelenk klappte er sie auf. Das helle Licht erstrahlte, materialisierte die Pistole, die alle Traumbrecher verwendeten. Mit der rechten Hand schnappte er sich diese, kaum dass sie vollständig erschienen war. Im selben Moment wurde die Tür geöffnet, Ciar zielte.[/LEFT] [LEFT]„Was soll das?“ Die ruhige Stimme der Person im Türrahmen kam ihm nur zu bekannt vor. „Nimm die Waffe runter.“[/LEFT] [LEFT]„Mann, Kieran. Du verstehst auch keinen Spaß mehr, was?“ Ciar senkte die Pistole, ließ sie aber nicht wieder verschwinden. Zumindest war der Alarm endlich verstummt.[/LEFT] [LEFT]Kierans sichtbares Auge bohrte sich direkt in ihn hinein, aber dafür hatte er nur ein Schulterzucken übrig. „Was willst du hier überhaupt? War es ein Fehlalarm?“[/LEFT] [LEFT]Das Gute an Kieran – für Ciar – war, dass er keine Konfrontationen suchte und deswegen ging er auch nun über sein eigentliches Problem hinweg und antwortete: „Es war kein Fehlalarm. Ich wollte sichergehen, dass es Konia gut geht.“[/LEFT] [LEFT]Typisch, ging es Ciar durch den Kopf, Dämonen halten eben zusammen.[/LEFT] [LEFT]Konia stellte sich zu ihnen, sie nickte Kieran zu. „Ist es wirklich Jarl?“[/LEFT] [LEFT]„Parthalan hat mir bestätigt, dass es sich um ihn handelt. Die anderen suchen gerade nach ihm. Aber es dürfte eigentlich klar sein, dass er hierher kommen wird.“[/LEFT] [LEFT]„Soll er ruhig“, sagte Ciar, er hob seine Waffe und tippte sich damit gegen die Schulter. „Ein Schuss reicht, um ihn endgültig loszuwerden.“[/LEFT] [LEFT]Kieran ging nicht darauf ein. Stattdessen trat er einen Schritt näher zu Konia. „Du solltest dich verstecken. Hier ist es nicht mehr sicher für dich.“[/LEFT] [LEFT]„Ich kann die Patienten nicht einfach allein lassen. Außerdem kann ich mich selbst verteidigen. Und Ciar und Cathan wären zur Not auch noch hier.“[/LEFT] [LEFT]So sicher war Ciar sich da nicht. Sein Vater lag nämlich immer noch untätig und vollkommen desinteressiert auf seinem eigenen Bett, in sein Tablet vertieft.[/LEFT] [LEFT]„Die Patienten kommen schon klar.“ Kierans Stimme wurde eindringlicher. „Du musst hier weg.“[/LEFT] [LEFT]Er hob die Hand – da öffnete sich noch einmal die Tür.[/LEFT] [LEFT]„Hey, alles okay hier?“[/LEFT] [LEFT]Ciar sah zum Türrahmen hinüber, blinzelte, wandte den Kopf nach rechts, dann wieder nach links. „Gibt es euch jetzt zweimal?“[/LEFT] [LEFT]Der Kieran in der Tür runzelte seine Stirn und folgte seinem Blick, sein sichtbares Auge weitete sich erstaunt. „Was …?“[/LEFT] [LEFT]Konia schüttelte ihre Verwirrung zuerst ab. Sie wich zurück. „Jarl …!“[/LEFT] [LEFT]Die Blicke aller richteten sich auf den Kieran, der zuerst hereingekommen war. Dieser schwieg einen langen Moment, versuchte gar nicht, es zu bestreiten. Schließlich seufzte er, seine Stimme änderte sich. „Fein, ihr habt mich erwischt. Aber das wird euch nichts nutzen.“[/LEFT] [LEFT]Er griff in seine Tasche. Automatisch riss Ciar die Pistole wieder hoch, Kieran folgte dem Beispiel, eine Armbrust materialisierte sich in seine Händen. Sie zielten direkt auf den Kopf des Mannes, der seine wahre Form wieder angenommen hatte – und Jarl deutete mit seinen zwei Revolvern direkt auf sie beide. Seine Mundwinkel zuckten amüsiert. „Was denkt ihr, wer von uns wird zuerst schießen?“[/LEFT] [LEFT]Ciar sah, wie sich die Zeigefinger des Mannes krümmten. Nicht genug, um zu feuern, aber die Drohung war klar: Egal, wer von ihnen beiden einen Schuss anbringen könnte, mindestens einer von ihnen würde ebenfalls verletzt werden. Das Risiko war ihm zu hoch.[/LEFT] [LEFT]Kieran schien zu demselben Ergebnis gekommen zu sein. Sein Kiefer war angespannt. Ciar hätte zu gern gewusst, ob Cathan sich nun endlich aus dem Bett bequemte, aber er wagte es nicht, den Blick von Jarl abzuwenden.[/LEFT] [LEFT]Für eine Sekunde herrschte nur Stille, bis Konia diese schließlich wieder brach: „Hört auf damit! Das ist doch unsinnig!“[/LEFT] [LEFT]„Gut, dass du es auch so siehst“, sagte Jarl zufrieden. Seine Augen huschten zu ihr hinüber, und wieder zurück. „Es wird langsam Zeit für uns, zu gehen.“[/LEFT] [LEFT]„Wohin?“, fragten Konia und Kieran gleichzeitig.[/LEFT] [LEFT]Ciar rollte mit den Augen. Nehmt euch doch ein Zimmer.[/LEFT] [LEFT]Glücklicherweise ignorierte Jarl, wie genervt er war, seine Konzentration galt einzig Konia. „Diese Welt steht kurz vor ihrem Ende. Wir werden nach Niflheim zurückgehen, zusammen.“[/LEFT] [LEFT]Jemand atmete erschrocken ein. Kian schnaubte empört. „Hey! Wenn hier jemand eine Welt vernichtet, dann ja wohl ich, als Weltenbrecher!“[/LEFT] [LEFT]Selbst ihn ignorierte Jarl, er fuhr fort: „Wir werden zurück in den Schnee und die ewige Kälte gehen. Ist das nicht, was du dir wünschst?“[/LEFT] [LEFT]„Nein.“ Die Antwort kam derart prompt, dass sogar Kieran irritiert kurz zu ihr sah.[/LEFT] [LEFT]Konia stand breitbeinig, mit durchgebeugtem Rücken und geballten Fäusten an den Seiten, vor Jarl. In ihren Augen wirbelte ein Schneesturm der Entschlossenheit, sogar Ciar verspürte in diesem Moment so viel Respekt, dass er am liebsten salutiert hätte.[/LEFT] [LEFT]Jarl wiederum wirkte eingeschüchtert. „Nein?“, wiederholte er, als kenne er die Bedeutung dieses Wortes gar nicht.[/LEFT] [LEFT]„Nein. Ich will nicht zurück nach Niflheim. Jedenfalls nicht mit dir.“[/LEFT] [LEFT]Also gab es eine andere Person. Deswegen auch ihre Heilung. Ciar verstand, aber bei Jarl fehlte noch das entscheidende Klicken. Er deutete ein Kopfschütteln an. „Warum sagst du das?“[/LEFT] [LEFT]„Weil ich es auch so meine! Ich verstehe nicht, weswegen du denkst, ich sei auch nur im Geringsten an dir interessiert. Ich habe dir oft genug das Gegenteil beteuert, dich sogar angegriffen!“[/LEFT] [LEFT]„Du bist nur verwirrt“, wandte er ein. „Du weißt nicht, was gut für dich ist.“[/LEFT] [LEFT]Schneeflocken begannen um Konia zu tanzen, aber sie hielt sich unter Kontrolle. „Ich weiß durchaus, was gut für mich ist. Und du bist es definitiv nicht! Ich möchte, dass du aus meinem Leben verschwindest! Und das sofort!“[/LEFT] [LEFT]Rasselnde Ketten brachen aus Kierans Rücken. Jarl wollte instinktiv schießen, doch die Abzüge klickten nur; die Läufe der Revolver waren eingefroren. Mit den Ketten schlug Kieran ihm die Waffen aus der Hand, Ciar nutzte den gestürzten Hochmut: „Jetzt leg dich hin!“[/LEFT] [LEFT]Er besaß keine Schall-Prägung, er war der einzige Hexer, aber die Fähigkeit war ähnlich genug – nur hatte seine Stimme lediglich Einfluss auf Albträume und verwirrte Dämonen. In diesem Fall war das vollkommen ausreichend. Jarl ging in die Knie; er sträubte sich noch einen Moment, doch die Kopfschmerzen durften bereits nach wenigen Sekunden übermächtig geworden sein, jedenfalls bezeugte seine blutende Nase das, dann legte er sich auf den Bauch.[/LEFT] [LEFT]„Geht doch~.“ Ciar drückte sein Knie in Jarls Rücken, und schnappte sich dessen Hände, um sie zusammenzuführen und mit den von Kieran dargebotenen Kabelbindern, die Dämonenjäger manchmal als Handschellenersatz mit sich führten, zu fesseln. „Sieht so aus, als hätte es uns doch etwas genutzt, dass wir dich erkannt haben.“[/LEFT] [LEFT]Jarl schnaubte. „Es ist dennoch alles vergebens! Wir werden einfach alle sterben, sobald diese Welt verschlungen wird! Macht es das besser für euch?! Ich hätte zumindest Konia retten können!“[/LEFT] [LEFT]Seine Nase blutete inzwischen so stark, dass es ihm in den Mund lief. Wütend spuckte er es aus.[/LEFT] [LEFT]„Ich muss nicht von dir gerettet werden“, erwiderte Konia ihm. „Ich schaffe das ganz allein.“[/LEFT] [LEFT]Er sah sie nicht an, aber das war wohl auch nicht notwendig für sie. Ohne noch etwas zu sagen wandte sie ihm den Rücken zu.[/LEFT] [LEFT]„Die Ansage dürfte deutlich genug sein.“ Ciar stand wieder auf, dabei zog er Jarl nach oben. „Und jetzt wanderst du erst einmal wieder in den Kerker.“[/LEFT] [LEFT]Glücklicherweise leistete der andere keinen Widerstand. Konias Weigerung musste seinen Willen nachhaltig gebrochen haben. Welcher Mann auch immer diese Entschlossenheit in ihr erreicht hatte, es war eine gute Sache gewesen.[/LEFT] [LEFT]„Das war besser als jeder Film“, sagte Kian.[/LEFT] [LEFT]Ciar sah endlich wieder in seiner Richtung, deutete eine Verbeugung an – aber dann fiel ihm auf, dass etwas am Bild der Krankenstation nicht stimmte. Konia erging es wohl ebenso, denn ihr Blick wanderte auch über die Betten. Der bereits an der Tür wartende Kieran kam näher. „Was ist denn? Worauf wartest du, Ciar?“[/LEFT] [LEFT]Er fühlte sich gerade nicht in der Stimmung, Kieran scharf darauf hinzuweisen, dass er von ihm nicht einfach mit Namen angesprochen werden wollte. Stattdessen sah er ihn mit gerunzelter Stirn an. „Fällt dir nicht etwas auf? Dad und Luan sind weg.“[/LEFT] [LEFT]Kierans Augenbraue hob sich. Er sah sich nun ebenfalls um, entdeckte aber natürlich niemanden außer Kian. „Aber das kann nicht sein. Wir standen doch vor der Tür.“[/LEFT] [LEFT]„Ich hab sie auch nicht gesehen“, bemerkte Kian. Sein Bett stand so, dass er mühelos zu ihnen sehen konnte, aber nicht zu Luan und Cathan.[/LEFT] [LEFT]Mit raschen Schritten ging Konia durch die Krankenstation. Ihr Kopf wirbelte dabei derart wild hin und her, dass ihr Pferdeschwanz wie ein grünes Band umherflog.[/LEFT] [LEFT]Tatsächlich war auch Ciar nichts aufgefallen, obwohl Kieran recht hatte: Jeder, der die Krankenstation verlassen wollte, hätte an ihnen vorbei müssen. Sie waren zwar angespannt und auf Jarl konzentriert gewesen, aber niemals so sehr, dass man sich an ihnen hätte vorbeidrängeln können.[/LEFT] [LEFT]„Gibt es noch einen anderen Weg nach draußen?“, fragte er Kieran.[/LEFT] [LEFT]„Zu Fuß nicht. Man könnte sich höchstens teleportieren. Aber das kann … Cathan nicht.“[/LEFT] [LEFT]Ciar entging nicht das kurze Zögern, aber er hatte keine Zeit, Rücksicht darauf zu nehmen, dass Kieran sich noch nicht an die neuen Familienverhältnisse gewöhnt hatte. Konia kam derweil aus dem hinteren Bereich der Krankenstation zurück, wo auch das Büro des führenden Arztes lag. Sie schüttelte mit dem Kopf. Keiner war dort.[/LEFT] [LEFT]„Also hat irgendjemand die beiden nach draußen teleportiert.“ Ciar seufzte. „Aber warum?“[/LEFT] [LEFT]Jarl warf den Kopf in den Nacken und lachte schallend. Genervt wandten sie alle drei sich ihm zu.[/LEFT] [LEFT]„Was ist jetzt schon wieder?“, fragte Konia.[/LEFT] [LEFT]Er benötigte einige Sekunden, um sich zu beruhigen. Ciar schüttelte ihn etwas, um ihn vom Lachen abzuhalten. Es gelang tatsächlich. Aber Jarls darauf folgende Antwort verursachte in ihnen allen Unbehagen: „Der Weltenverschlinger hat seinen Zug gemacht, und es wird nicht mehr lange dauern, bis ihr alle die Konsequenzen zu spüren bekommt! Niemand wird es schaffen, dem zu entgehen! Nicht einmal ihr!“[/LEFT] Kapitel 24: Es wird Zeit, dass du deinen Meister findest. --------------------------------------------------------- [LEFT]Luan hatte das Gefühl eines Déjà-vus. Schon einmal war Cathan mit ihm aus Abteracht geflohen, damals gegen den Befehl von Vane, auf der anderen Zeitachse. Es war eine Ewigkeit her. Aber gleichzeitig war es ihm gerade in dieser Situation derart nah.[/LEFT] [LEFT]Die Straße über die Cathan lief war erstaunlich verlassen. Es war spät, aber doch nicht derart, dass niemand zu sehen sein dürfte. Da Luan nicht laufen musste, sondern von Cathan auf den Armen getragen wurde, blieb ihm ausreichend Möglichkeit dazu, sich umzusehen. Aber der Stadtteil, der ein Wohnbezirk sein musste, war so ruhig, dass es Luan fröstelte.[/LEFT] [LEFT]„Wohin gehen wir?“, fragte er leise, um die Stille nicht zu sehr zu stören. Dabei stellte er sich vor, dass unzählige winzige Organismen in den Schatten lauerten, darauf wartend, dass jemand den Frieden störte, nur um diesen Verbrecher dafür auf grausame Weise zur Rechenschaft zu ziehen.[/LEFT] [LEFT]Cathan warf einen kurzen Blick auf ihn hinunter, dabei wirkte er anders als sonst. So wie auch schon zuvor auf der Krankenstation. Sein Gesicht war hart, seine Augen ohne jede Emotion. Was war mit ihm geschehen? War das auch Luans Schuld?[/LEFT] [LEFT]Erst als Cathan wieder in die Entfernung sah, antwortete er ihm: „Wir werden bald ankommen. Dann ist es vorbei.“[/LEFT] [LEFT]„Was ist vorbei?“[/LEFT] [LEFT]„Alles.“[/LEFT] [LEFT]Das eröffnete nur neue Fragen für Luan, statt seine alte zu beantworten. Aber die Endgültigkeit in seiner Stimme verriet, dass er diese auch gar nicht weiter quittieren wollte.[/LEFT] [LEFT]„Hast du Parthalan gefragt, ob wir überhaupt gehen dürfen?“[/LEFT] [LEFT]Cathan stieß ein amüsiertes Lachen aus. Dieser Laut fuhr Luan wie eisiger Stahl in die Brust.[/LEFT] [LEFT]Doch ehe er einem beginnenden Verdacht nachgehen konnte, wurde seine Aufmerksamkeit bereits von einem roten Ball, der vor ihnen über die Straße rollte, beschlagnahmt.[/LEFT] [LEFT]Das erste Lebenszeichen anderer Personen. Luan war überrascht, dass es sich gerade um diese Uhrzeit um ein kleines Mädchen handelte. Das lange rosa Haar flatterte, während sie auf Cathan zurannte. „Entschuldigung, Mister. Abby wollte nicht stören.“[/LEFT] [LEFT]In ihren hellgrünen Augen konnte Luan ein eigenartiges Glitzern sehen, das nicht zu einem normalen Menschen passen wollte, schon allein weil es auch auf diese Entfernung deutlich zu erkennen war.[/LEFT] [LEFT]„Warum bist du denn noch wach?“, fragte Cathan an seiner Stelle. „Sollte ein kleines Mädchen wie du nicht schon längst im Bett sein?“[/LEFT] [LEFT]„Uhm.“ Sie neigte den Kopf, die Stirn nachdenklich gerunzelt. „Nein, das muss es nicht. Abby ist schließlich kein normales kleines Mädchen.“[/LEFT] [LEFT]Cathan begriff noch vor Luan, was das bedeuten sollte. Er wirbelte herum und streckte einen Arm aus, um etwas abzufangen. Aber davon bekam Luan nichts mit, als er mit den Knien schmerzhaft auf dem Boden aufprallte. Mit Tränen in den Augen blickte er zur Seite, wo er nur einen verschwommenen Fleck wahrnehmen konnte.[/LEFT] [LEFT]„Netter Versuch“, sagte Cathan, ohne Notiz von Luans Sturz zu nehmen. „Aber ihr könnt mich nicht aufhalten.“[/LEFT] [LEFT]„Glaubst du das wirklich?“ Die Stimme klang nach Kieran, aber sie war monoton, leblos. Es musste der Kieran einer anderen Welt sein – Kieran Haze, einer der Weltenzerstörer.[/LEFT] [LEFT]Luan erinnerte sich an ihn. Er war einer der Guten geworden, gemeinsam mit Morte und Ares. Warum griff er dann Cathan an?[/LEFT] [LEFT]Während die beiden sich aufeinander konzentrierten, spürte Luan plötzlich, wie er von jemandem vorsichtig wieder hochgehoben wurde. Er wischte sich über die tränenden Augen; sein Blick klärte sich, so dass er den schwarzhaarigen Mann, der ihn aus dem Gefahrenbereich beförderte, erkennen konnte: „Ares?“[/LEFT] [LEFT]„Es ist eine Weile her.“ Diese beherrschte, ruhige Stimme, in der immer noch Trauer widerhallte.[/LEFT] [LEFT]Es schien ihm wie eine Ewigkeit, seit sie sich zuletzt begegnet waren. Aber dürften sie überhaupt hier sein?[/LEFT] [LEFT]„Was macht ihr hier?“[/LEFT] [LEFT]Ares warf einen Blick über seine Schulter. „Wir sorgen dafür, dass diese Welt nicht auch ein Opfer des Weltenverschlingers wird.“[/LEFT] [LEFT]Luan blinzelte verwirrt. Er sah ebenfalls zu Cathan zurück, der sich noch immer gegen Haze zu verteidigen versuchte. Dieser schleuderte seinem Feind aus seinen Armen entstehende Klingen entgegen; Abby hüpfte immer wieder zwischen ihnen umher, erschuf Löcher in der Straße, um Cathan hineinfallen zu lassen. Doch er wich ihren Hindernissen spielend aus, gleichzeitig wischte er die Schneiden mit Handbewegungen einfach beiseite.[/LEFT] [LEFT]„Aber das ist Papa“, erwiderte Luan schwach, wieder in sein altes Muster zurückfallend. „Er ist kein Weltenverschlinger.“[/LEFT] [LEFT]„Lass dich von seinem Aussehen nicht irreführen.“ In einiger Entfernung hielt Ares wieder inne. Sie standen nun neben einer größeren Mülltonnenbox aus einfachem Beton. Hier setzte er Luan vorsichtig auf den Boden zurück. „Warte hier. Oder renn weg, wenn der Kampf überhand nimmt. Aber versuch nicht, dich einzumischen.“[/LEFT] [LEFT]Damit wandte er sich ab, doch Luan hielt seinen Arm fest. „Warte! Bitte tu ihm nicht weh. Papa meint es bestimmt nicht böse.“[/LEFT] [LEFT]Ares sah ihn nicht an, aber die Frustration war deutlich spürbar. „Ich sagte dir bereits, dass du dich nicht von diesen Äußerlichkeiten beeinflussen lassen sollst. Auch wenn er aussieht wie Cathan, so ist er doch jemand anderes.“[/LEFT] [LEFT]„Aber es ist trotzdem Papas Körper.“[/LEFT] [LEFT]Für einen flüchtigen Moment glaubte Luan, Ares würde sich losreißen und weggehen, aber stattdessen stieß er nur ein Seufzen aus. „Verstanden. Ich werde sehen, was ich tun kann. Aber beweg dich bis dahin nicht.“[/LEFT] [LEFT]Seine Stimme war frostig und doch besorgt. Deswegen nickte Luan, dann ließ er ihn los. Ohne weitere Umschweife kehrte Ares mit großen Schritten zu Haze zurück, der sich nun seinerseits gegen Cathans Angriffe zu wehren versuchte. Er benutzte einen Schlagstock um den bläuliche Blitze und Funken zuckten, statt seiner üblichen Lanze; spätestens bei diesem Anblick wäre es Luan auch ohne Hilfe klar gewesen, dass es sich wirklich nicht um Cathan handelte.[/LEFT] [LEFT]Seine geschmeidigen Bewegungen, mit denen er sich Haze näherte, um ihn anzugreifen und sich dann wieder zurückzuziehen, wirkten wie ein Tanz, dessen Choreografie von jemandem stammte, der normalerweise einen ganz anderen Körper gewohnt war; deswegen trafen ihn manche der von Haze ausgehenden Klingen, streiften seine Haut, ohne ihn tief zu verletzen. Dennoch schmerzte es Luan, mitansehen zu müssen, wie nun auch noch Ares in den Kampf eingriff. Zum Ausgleich tauchten jedoch vier schemenhafte Wölfe auf, die aus Wolken zuckender blauer Blitze zu bestehen schienen. Gemeinsam stießen sie ein gellendes Heulen aus, dann stürzten sie sich auf Ares und Abby, worauf sich zumindest deren Aufmerksamkeit auf die Abwehr verschob.[/LEFT] [LEFT]Während Luan diese Kämpfe beobachtete – und sich dabei fragte, wie es sein konnte, dass niemand aufgrund des Lärms in den Häusern erwachte –, überlegte er, wer diese Abby sein sollte. Er hatte sie nie zuvor gesehen, aber sie kämpfte gemeinsam mit den beiden als wäre sie stets ein Teil von ihnen gewesen – und keiner von ihnen störte sich an ihr. Ares gelang es sogar, die Aufmerksamkeit eines ihrer Wölfe auf sich selbst zu ziehen, damit sie nur noch mit einem konfrontiert war. Dieser eine verbiss sich dafür gerade in ihren Arm, worauf schwarzer Rauch hervorquoll.[/LEFT] [LEFT]„Lass los!“, meckerte sie dabei, ohne zu zeigen, dass sie Schmerzen litt.[/LEFT] [LEFT]Ares hatte derweil keine Probleme mit seinen eigenen Angreifern. Mittels braunen Ranken, die einfach aus der Straße brachen, gelang es ihm spielend, die Wölfe zu fesseln und damit handlungsunfähig zu machen. Dann kostete es ihn nur zwei Handstreiche, um sie in Luft aufzulösen. Es wurde Luan deutlich, wie es Ares früher gelungen war gemeinsam mit Morte und Haze Welten, Welten zu zerstören.[/LEFT] [LEFT]In Cathans freier Hand erschien ein weiterer Schlagstock, mit dem er Ares' plötzlichen Angriff abhielt. Nun an zwei Fronten kämpfend wurde sein Tanz ein wenig ungelenkiger und fahrig. Immer öfter waren Fehler in seinen Schritten feststellbar, die ihn weitere Verletzungen kosteten. Bislang war aber noch keine wirklich schwer, der einzige Fakt, der half, dass Luans Puls nicht weiter anstieg.[/LEFT] [LEFT]„Ihr geht mir auf die Nerven“, kommentierte Cathan plötzlich. „Verschwindet endlich und mischt euch nicht in meine Angelegenheiten ein!“[/LEFT] [LEFT]Ein starker Windstoß aus dem Nichts ergriff sowohl Ares als auch Haze und schleuderte sie beiseite. Zufrieden wandte Cathan sich von ihnen ab und kam wieder auf Luan zu. Dieser legte automatisch eine Hand auf sein Herz und wich angsterfüllt zurück. Doch noch bevor Cathan in seine Nähe kommen konnte, erschien plötzlich eine andere Person vor ihm. Sie wandte ihm den Rücken zu, aber dennoch erkannte er das lange schwarze Haar und die blasse Haut, die er an ihren Armen sehen konnte. Cathan wusste wohl ebenfalls, um wen es sich bei ihr handelte, denn er fror in seinen Bewegungen ein. Dann stieß er jedoch ein spöttisches Lachen aus. „Wirklich? Das haben wir doch schon hinter uns. In der letzten Welt hat es euch auch nicht viel gebracht.“[/LEFT] [LEFT]Luan stutzte. In der letzten Welt? Was meint er?[/LEFT] [LEFT]Er konnte Mortes Gesicht nicht sehen, aber an der Art, wie sie ihren Kopf zur Seite neigte, wusste er, dass sie unschuldig lächelte. „Du bist zu süß, Verschlinger.“[/LEFT] [LEFT]Ihre in der Luft tanzende Stimme versprach wunderbare Dinge und trug gleichzeitig Sarkasmus mit sich, der sich einem einzuschleichen versuchte, so dass man sich nicht einmal davon angegriffen fühlen konnte. Selbst bei Cathan schien das zu helfen, denn er schmunzelte amüsiert, doch der Ausdruck wirkte falsch, verzogen, als trüge er nur eine Maske, die nun nicht mehr passte.[/LEFT] [LEFT]„Ich habe nicht vergessen, was geschehen ist.“ Morte deutete mit einem Arm zur Seite. „Deswegen habe ich diesmal noch jemanden mitgebracht.“[/LEFT] [LEFT]Luan sah zur Seite nur um einen hellen Schein wahrzunehmen. Im nächsten Moment stieß Cathan einen dumpfen Laut aus. Als Luan wieder zu ihm blickte, bemerkte er, dass der Mann auf dem Boden lag. Doch schon eine Sekunde später, sprang er auf die Füße zurück. Er schnaubte wütend, mehr genervt als verletzt. „Wie viele Personen wollt ihr noch gegen mich aufwenden?“[/LEFT] [LEFT]Langsame Schritte, die einen übernatürlichen Rhythmus vermittelten, näherten sich ihnen. Noch bevor Luan sie sah, wusste er, dass es Seline war, der dieser majestätisch anmutende Gang gehörte. Einige Meter entfernt von Cathan blieb sie stehen, einen Arm locker in die Hüfte gestemmt. Sie musterte ihn aufmerksam. „Also ist es wahr, dass der Weltenverschlinger die Körper anderer einnimmt, um seine Ziele zu erreichen?“[/LEFT] [LEFT]In einer theatralischen Geste hob er die Arme. „Was macht das schon? Die Dämonen in euch machen dasselbe.“[/LEFT] [LEFT]„Das zeigt nur, dass du keine Ahnung von dem hast, was unsere Dämonen ausmacht“, erwiderte Seline. „Du kannst nicht mit deiner Logik in eine fremde Welt kommen, und erwarten, dass sie dennoch greift. Es wird Zeit, dass du deinen Meister findest.“[/LEFT] [LEFT]Während sie das sagte, breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus. An ihrem linken Arm erschienen kaum sichtbare hellblaue Klingen. Sie lösten sich von ihr, um sie stattdessen schwebend zu umkreisen. Es erinnerte Luan an früher, als er ebenfalls die Atem-Prägung besessen hatte, doch bei Seline erschien sie ihm irgendwie … passender. Vielleicht lag das aber auch nur daran, weil sie die richtige stolze Haltung dafür einnahm.[/LEFT] [LEFT]Cathan wich ein wenig zurück, doch Ares und Haze, die wieder aufgestanden waren, näherten sich ihm, weswegen er innehielt. Er seufzte schwer. „Fein, dann bringen wir es hinter uns. Ich habe noch andere Dinge zu erledigen.“[/LEFT] [LEFT]Nach dieser Aufforderung legte Morte den Kopf ein wenig in den Nacken und begann zu singen. Luan verstand die Worte nicht, doch das war auch nicht notwendig. Sie entfalteten sich in der Nachtluft wie ein Schmetterling, der gerade aus seinem Kokon schlüpfte und seine schillernden Flügel das erste Mal ins Licht hielt. Wie dieses Bild vor Luans innerem Auge begannen Selines Klingen die Farben zu wechseln. Das zarte Hellblau vertiefte sich, wich einem zarten Lila, das sich verdunkelte, sich mit Rot abwechselte, Orange, Gelb, Grün, Blau. Der Farbwechsel geschah immer schneller, bis es schließlich so aussah als ob sie alle durch die Klingen hindurchflossen. Seline überbrückte die Distanz zu Cathan. Ein Tritt von ihr eröffnete den neuen Kampf.[/LEFT] [LEFT]Er wich ihr aus, während er gleichzeitig Angriffe von Ares und Haze abwehrte. Noch dazu gab es nun auch die acht Klingen, die unabhängig von Seline agierten; sie schwirrten umher, zogen farbige Schweife nach sich und zielten dabei stets auf seinen Oberkörper oder seine Beine. Seine Bewegungen waren nicht mehr derart elegant wie zuvor, sondern zeigten nun deutlich, dass er sich anstrengen musste, aber nach wie vor gelang es ihm, allem auszuweichen oder es abzuwehren. Morte sang immer weiter.[/LEFT] [LEFT]Luans Brust zog sich schmerzhaft zusammen. Am liebsten hätte er Seline darum gebeten, den Kampf zu beenden und Cathan zu retten, aber warum sollte sie auf ihn hören, wenn sie es schon nicht von sich aus tat?[/LEFT] [LEFT]Das ist alles meine Schuld, fuhr es ihm durch den Kopf. Wenn ich nicht die Zeit zurückgedreht hätte, wenn ich nicht nach Abteracht gekommen wäre, dann wäre das alles nicht passiert.[/LEFT] [LEFT]Er richtete sich zur vollen Größe auf, wofür er den Rücken durchdrückte. Es fühlte sich eigenartig an, so zu stehen, nicht den Kopf ein wenig einzuziehen, doch er konnte sich das nicht mehr leisten. Es war seine Verantwortung, alles wieder geradezubiegen.[/LEFT] [LEFT]Gerade als er seinen Mund öffnete, erklang eine andere Stimme, nicht weit entfernt von ihnen: „Dad!“[/LEFT] [LEFT]Darunter mischte sich eine andere, die allerdings ganz ähnlich klang: „Papa!“[/LEFT] [LEFT]Ciar und Kieran kamen in ihre Richtung gelaufen. Luans Herz vollführte einen Sprung, obwohl keiner von beiden wegen ihm hier war. Aber auch bei Cathan schien es eine Reaktion zu geben. Er hielt beim Kämpfen inne, die anderen drei glücklicherweise ebenfalls, sogar Mortes Gesang verstummte. Cathans Blick wanderte zu Ciar und Kieran, die inzwischen schon fast bei ihnen waren. Aufgrund der Entfernung konnte Luan nicht hören, was er sagte, als er seine Lippen bewegte. Dann griff er sich an den Kopf als habe er Schmerzen, und wich zurück. Die beiden Nachkömmlinge hielten inne, als sie das bemerkten. Selines Klingen schwirrten um sie herum, drehten sich manchmal um sich selbst, immer noch bereit bei der kleinsten Gefahr anzugreifen.[/LEFT] [LEFT]„Das ist nicht gut“, brachte Cathan angestrengt hervor.[/LEFT] [LEFT]Dem folgte ein schweres Keuchen, dann brach etwas aus seinem Rücken hervor. Nein, nicht etwas, sondern jemand. Es war eine Frau, die Luan nicht erkannte. Sie wich sofort nach hinten, wobei ihr Rock leise raschelte. Kaum war sie gänzlich aus Cathans Körper heraus, stürzte dieser zu Boden – und wurde gerade noch von Kieran aufgefangen. Er kniete sich auf den Asphalt, ohne Cathan loszulassen, Ciar begab sich sofort neben die beiden. Die Aufmerksamkeit aller anderen war auf die Frau gerichtet, die sich mit der Hand durch das kurze braune Haar fuhr und ein Seufzen ausstieß. „Zu schade, dieser Körper war ideal.“[/LEFT] [LEFT]Morte schnaubte leise. „Jetzt übernimmst du schon die Körper von Nornen, um deine Ziele zu erreichen? Zu feige, deinen richtigen Leib zu verlieren?“[/LEFT] [LEFT]„Ich bin nur am Spaß interessiert“, erwiderte die Angesprochene schmunzelnd. „Wie gemein von dir, mir das zu verwehren.“[/LEFT] [LEFT]Seline ging einige Schritte auf die Unbekannte zu. „Wer auch immer du bist, dein Werk ist vorüber. Ich nehme dich hiermit fest.“[/LEFT] [LEFT]„Denkst du, das beeindruckt mich?“, fragte diese spöttisch, mit einer Selbstsicherheit, die Luan noch nie bei einer Person erlebt hatte. „Andere haben es auch schon nicht geschafft, mich aufzuhalten. Aber versuch es ruhig.“[/LEFT] [LEFT]Ein Sprung, dann befand sich die Unbekannte plötzlich über ihnen in der Luft, wo sie nur noch als orange-glühender Punkt zu erkennen war. Seline schmunzelte lediglich. Ihre Klingen begaben sich in eine Position, die der einer Treppe ähnelten, so dass sie einfach nur hinaufsteigen musste. Wann immer ihr Fuß eine Klinge verließ, schwebte diese rasch nach oben, um dort eine der nächsten Stufen zu bilden. So schnell wie sie dabei lief, war von ihr bald nichts mehr zu sehen außer ein blaues Glühen, das sich dem orange-farbenen näherte.[/LEFT] [LEFT]„Sie spielt mal wieder die Heldin“, bemerkte Morte schmunzelnd, immer noch nach oben sehend.[/LEFT] [LEFT]„Das konnte sie schon immer gut“, bestätigte Ares.[/LEFT] [LEFT]Haze tätschelte derweil dem rosa-haarigen Mädchen den Kopf, worauf es stolz lächelte.[/LEFT] [LEFT]Luan hätte am liebsten gefragt, weswegen sie alle hier waren, wie sie das geschafft hatten, doch etwas anderes war wichtiger. Er sah zu Cathan hinüber, der sich kaum regte, während er dort auf dem Asphalt lag, immer noch von Ciar und Kieran umgeben, die sich nicht im Mindesten für den drohenden Kampf über sich interessierten. Ohne eine Erlaubnis von irgendjemandem abzuwarten, huschte Luan zu ihnen hinüber, um sich dort ebenfalls zu setzen. „Ist alles okay?“[/LEFT] [LEFT]Glücklicherweise gab Cathan ihm darauf indirekt eine Antwort. Er wandte den Kopf, um Kieran und Ciar anzusehen, ein feines Lächeln lag auf seinen Lippen. „Ihr seid gekommen.“[/LEFT] [LEFT]Die beiden warfen sich einen kurzen Blick zu, ehe sie sich wieder ihrem Vater zuwandten.[/LEFT] [LEFT]„Natürlich sind wir das“, sagte Ciar, immer noch recht unterkühlt, aber dennoch war Sorge in seiner Stimme zu hören. Er sah wieder Kieran an. „Das ist wahrscheinlich das einzige, was wir gemein haben.“[/LEFT] [LEFT]Der andere sagte darauf nichts, seine Gedanken drehten sich wohl eher um Cathan. Dieser stieß ein leises Lachen aus. „Ihr seid beide meine Söhne, daran wird sich nichts ändern. Egal, wie sehr ihr es leugnen wollt.“[/LEFT] [LEFT]Ciar schnaubte theatralisch. „Als ob das was bringen würde. Ich hab es schon aufgegeben.“[/LEFT] [LEFT]Sogar Kieran musste plötzlich schmunzeln. „Sieht so aus, als muss das so sein.“[/LEFT] [LEFT]Er warf einen Blick zu Luan, dessen Herz darauf einen Sprung vollführte. Auch wenn nicht halb so viel Liebe darin steckte wie in den Blicken seines Kierans, war es ein wundervolles Geschenk für ihn, denn endlich lag in seinen Augen keine Gleichgültigkeit und kein stummer Vorwurf mehr, sondern etwas wie Dankbarkeit.[/LEFT] [LEFT]Aus diesem Gefühl wurde er rasch herausgerissen, als Ciar ihm gegen die Stirn tippte. „Und du sagst gefälligst nächstes Mal etwas, wenn du entführt wirst. Wie konntest du das zulassen?“[/LEFT] [LEFT]Luan rieb sich die Stelle, die von Ciars Zeigefinger schmerzhaft malträtiert worden war. „Es war doch Cathan. Ich konnte nicht wissen, dass er etwas Böses wollte.“[/LEFT] [LEFT]„Dein Vertrauen will ich haben.“[/LEFT] [LEFT]Ehe Luan etwas erwidern konnte, erklang über ihnen ein lauter Knall. Synchron sahen sie hinauf, wo die glühenden Punkte in einer wahnsinnigen Geschwindigkeit aufeinanderprallten, nur um dann auseinanderzufahren und den Vorgang zu wiederholen.[/LEFT] [LEFT]„Solltest du ihr nicht helfen?“, fragte Kieran.[/LEFT] [LEFT]Ciar winkte ab. „Die kriegt das schon allein hin. Sie ist nicht umsonst ein Wunderkind.“[/LEFT] [LEFT]Statt zu seufzen, wie er es gern getan hätte, legte Luan eine Hand auf sein Herz. Ihm blieb nur zu hoffen, dass Seline diesen Kampf wirklich überstand, ohne zu viel Schaden zu nehmen.[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]Bislang konnte sie sich nicht über irgendwelche Verletzungen beklagen, vielmehr störte Seline sich daran, dass all ihre Angriffe von ihrer Gegnerin negiert werden konnten – und das scheinbar vollkommen problemlos. Bei jedem kurzen Aufeinandertreffen lächelte die andere vergnügt, als nähme sie nur aus Spaß an diesem Kampf teil. Als sie voneinander entfernt wieder einmal innehielt, stieß sie sogar ein zufriedenes tiefes Seufzen aus. „Das ist wirklich lustig. Selbst als Traumbrecher kämpfst du so wie immer. Du hast absolut keine Variation.“[/LEFT] [LEFT]Wie bei jedem Innehalten kam Seline auf einer ihrer Klingen zu stehen, die sich für sie vergrößert hatte; die anderen sieben schwebten um sie herum. Ihre Feindin schien jedoch keinerlei Hilfsmittel zu benötigen, um sich in der Luft zu halten.[/LEFT] [LEFT]„Morte hat mir von dir erzählt“, erwiderte Seline, statt auf die Provokation einzugehen.[/LEFT] [LEFT]„Oh, wirklich?“ Die andere klang amüsiert. „Was hat sie dir gesagt? Dass ich sie in der letzten Welt geradewegs zermalmt hätte, wenn ihr dämlicher Kerl nicht dazwischengegangen wäre? Tja, dafür hat es dann eben ihn erwischt.“[/LEFT] [LEFT]Derartige Details hatte Morte verständlicherweise ausgelassen. Aber darum ging es Seline auch gar nicht: „Sie sagte, du seist ein Weltenverschlinger. Und dazu habe ich eine Frage.“[/LEFT] [LEFT]Ihre Feindin blinzelte überrascht. „Oh? Frag einfach, vielleicht antworte ich.“[/LEFT] [LEFT]Selbst in dieser Situation wollte sie sich noch als überlegen darstellen. Aber davon durfte sie sich nicht beeindrucken lassen. Seline deutete ein Kopfschütteln an. „Warum tust du das?“[/LEFT] [LEFT]Die andere dachte einen Moment schweigend nach. Die Klingen der Atemprägung ordneten sich derweil auf Selines stummen Geheiß neu.[/LEFT] [LEFT]„Was würde es ändern, wenn ich es dir erzähle?“, kam schließlich die gelangweilte Antwort. „Wenn dich meine Motivation überzeugt, würdest du mir dann erlauben, fortzufahren? Mir vielleicht sogar helfen?“[/LEFT] [LEFT]„Egal aus welchem Grund du es tust, ich könnte es dir weder erlauben, noch dazu beitragen.“[/LEFT] [LEFT]Ihre Feindin zuckte mit den Schultern. „Dann muss ich es dir auch nicht erzählen.“[/LEFT] [LEFT]„Schade.“ Seline schnalzte mit der Zunge. „Aber nun auch nicht weiter wichtig. Schließlich hast du nicht an deine Rückendeckung gedacht.“[/LEFT] [LEFT]Im nächsten Moment durchbohrte eine ihrer Klingen den Körper der anderen. Dabei floss kein Blut, denn die Atem-Prägung war geistiger Natur – und sog nun die Seele der Feindin in sich auf.[/LEFT] [LEFT]„Hat eine andere Seline diese Strategie auch einmal benutzt?“[/LEFT] [LEFT]Der selbstsichere Gesichtsausdruck ihres Gegenübers wandelte sich in eine zornige Grimasse. Ihre Augen schienen wütende Funken zu sprühen. „Miststück! Du hast mich reingelegt!“[/LEFT] [LEFT]Kleine Blitze zuckten in ihrer Atmosphäre, die sich rasch ausbreitete, bis sie fast Seline erreichte. Die verbliebenen sechs Klingen sammelten sich vor ihr und bildeten mit den Spitzen nach innen zeigend einen Kreis, das Leuchten intensivierte sich, während sie einen Schild aufbauten.[/LEFT] [LEFT]Auf einen Schlag entlud sich die Kraft der Feindin in einer Versammlung von Blitzen, mit Seline im Zentrum des Sturms. Elektrizität leckte an ihrer bloßen Haut, die unangenehm kribbelte, versengte ihre Haarspitzen, sodass ihr ein unangenehmer Geruch in die Nase stieg, und ließ feine Risse auf ihren Brillengläsern entstehen. Doch sie rührte sich nicht. Weiterhin aufrecht hinter ihrem Schild stehend ertrug sie stoisch den Ansturm, der sie nur am Rande erreichen konnte – bis ein lautes Knacken in ihrem Inneren widerhallte.[/LEFT] [LEFT]Plötzlich befand sie sich im freien Fall und konnte nur noch beobachten, wie ihre Feindin rasch immer kleiner wurde und dann verschwand. Die Klingen waren allesamt zu ihrem linken Arm zurückgekehrt, wo sie wieder in ihren unsichtbaren Zustand zurückgekehrt waren, doch das von ihnen ausgehende schmerzhafte, geradezu lähmende Pulsieren genügte, um ihr zu sagen, dass etwas mit mindestens einer von ihnen nicht stimmte. Aus einem ihr unerfindlichen Grund versetzte sie das wesentlich mehr in Panik als die Tatsache, dass sie dem Boden entgegenfiel und jeden Moment aufschlagen könnte. Als Jägerin war sie immer darauf vorbereitet gewesen, in Ausübung ihrer Pflicht den Tod zu finden; die Guten starben schließlich jung, und sie war überragend. War sie deswegen so gefasst?[/LEFT] [LEFT]Ich wünschte nur, ich könnte ihn noch einmal sehen …[/LEFT] [LEFT]Sie schloss ihre Augen, um sein Bild in ihrem Geist zu beschwören, damit sie sich selbst zumindest diesen Wunsch noch erfüllen konnte, bevor sie aufschlug.[/LEFT] [LEFT]Aber noch bevor dies geschehen konnte, schlangen sich warme Arme um ihren Körper und stoppten ihren unkontrollierten Fall unvermittelt. Sie schlug die Augen auf, in der Erwartung, vor dem Totenwächter selbst zu stehen, doch stattdessen erkannte sie Russels Gesicht viel zu nah an ihrem.[/LEFT] [LEFT]„Gerade noch rechtzeitig“, sagte er lässig, als rette er jeden Tag mindestens drei fallende Frauen. „Hätte nicht gedacht, dass ich dich mal retten müsste, Prinzessin.“[/LEFT] [LEFT]Da sie nun wusste, dass Russel verantwortlich war, verstand sie auch, dass er mithilfe seiner Windmagie wesentlich langsamer zur Erde fiel, geradezu schwebte. Sie räusperte sich. „Ich bedanke mich erst, wenn wir wirklich unten sind und du mich nicht fallen gelassen hast.“[/LEFT] [LEFT]Er lachte durch die Nase. „Ich bin nicht mehr so ungeschickt wie früher. Ich stürze beim Landen nur noch jedes dritte Mal.“[/LEFT] [LEFT]Trotz der Schmerzen musste sie leise lächeln. Dann blickte sie jedoch mit sorgenvoller Miene wieder nach oben. „Wo ist sie hin?“[/LEFT] [LEFT]„Sie ist durch eine Art von Portal verschwunden“, erklärte er ernst. „Keine Ahnung, was sie plant, aber zumindest wollte sie heute niemanden töten.“[/LEFT] [LEFT]Dabei wäre es ihr auf jeden Fall gelungen, das war auch Seline klar. Dieses Verhalten warf mehr Fragen auf, statt Antworten zu liefern. Dabei hatte sie gehofft, nützlich sein zu können.[/LEFT] [LEFT]Überraschend vorsichtig kam Russel schließlich auf dem Boden auf, und er ließ sie tatsächlich nicht fallen. Behutsam stellte er sie wieder auf ihre eigenen Beine, die sich zwar noch weich anfühlten, aber nicht unter ihr nachgaben. Sie quittierte sein Verhalten mit einer hochgezogenen Augenbraue, sagte aber nichts weiter dazu. Ein kurzer Blick auf die Anwesenden verriet ihr, dass es allen gutzugehen schien, sogar Cathan, der noch immer auf dem Boden lag, aber nicht verletzt aussah.[/LEFT] [LEFT]Morte kam mit gerunzelter Stirn zu ihr herüber. Nachdem sie ihr beteuert hatte, dass es ein eigenartiges Verhalten für den Weltenverschlinger war, einfach zu verschwinden, musterte sie Seline. „Ich bin froh, dass dir nichts weiter passiert ist. Aber mir wäre wohler, wenn du jetzt mit mir zu Vane gehen würdest.“[/LEFT] [LEFT]„Ja, ich denke …“ Ehe Seline ihren Satz beenden konnte, spülte eine Welle von Schmerz über sie hinweg. Vor ihren Augen versank die gesamte Welt in einem schwarzen Meer, das sogar die Geräusche mit sich zu nehmen schien. Undeutlich nahm sie noch wahr, wie ihre Beine unter ihr nachgaben und sie in dem Ozean versank, in dem auch endlich ihre Schmerzen von der Strömung fortgerissen wurden.[/LEFT] Kapitel 25: Das war doch, was du wolltest. ------------------------------------------ Trotz der Blicke aller Anwesenden, die erwartungsvoll auf sie gerichtet waren, ließ Konia sich nicht beirren. Zwei Finger ihrer rechten Hand ruhten auf Cathans Handgelenk, während sie auf ihre Uhr sah und mitzählte. Schließlich ließ sie ihn wieder los und wandte sich den anderen zu. „Er kommt schon wieder auf die Beine.“ Luan und Kieran atmeten sichtbar auf, während Ciar und Kian scheinbar vollkommen desinteressiert waren; es blieb Konia jedoch nicht verborgen, dass sie sich erst von ihr abwendeten, nachdem sie diese gute Nachricht überbracht hatte. „Dann schläft Papa nur?“, fragte Luan. Seine Bezeichnung für Cathan verwunderte Konia, aber sie ließ sich das nicht anmerken, sondern nickte ihm zu. „Er ist ein wenig erschöpft, wird jedoch bald wieder aufwachen.“ Damit waren alle Patienten wieder sicher zurück in der Krankenstation und diesmal war jeder von ihnen auch der richtige. Cathans Gesicht war ein wenig eingefallen, aber ansonsten schlief er friedlich. Kieran stand ein wenig hilflos zwischen den Betten ohne sich einem zu nähern. „Wird er Nebenwirkungen von dem Dämon zurückbehalten?“ Ciar hatte ihn zuvor als Weltenverschlinger bezeichnet, aber Kieran blieb bei seiner Sichtweise des ihm bekannten Feindes. Es verwunderte sie ein wenig, weswegen das so war, aber sie hinterfragte das auch nicht weiter; er würde seine Gründe haben. „Das ist schwer zu sagen“, antwortete sie ihm. „Aber ich gehe davon aus, dass keinerlei Nachwirkungen zu befürchten sind. Genaueres werden wir jedoch erst wissen, wenn er wieder wach ist.“ Luan ließ sich tiefer in seine Kissen sinken. „Das war ganz schön aufregend.“ „Und ich habe natürlich alles verpasst“, murrte Kian. „Voll unfair.“ „Ich kann dir ja beschreiben, wie cool ich war“, sagte Ciar. Keiner der anderen beiden widersprach ihm, weswegen Konia einfach davon ausging, dass er sich wirklich derart gut angestellt hatte. Bevor er zu erzählen beginnen konnte, meldete Kieran sich noch einmal zu Wort: „Ich werde dann Lowe Bescheid geben, dass Cathan hier ist.“ Er wandte sich der Tür zu, wurde jedoch aufgehalten, als Ciar seinen Namen sagte, gefolgt von: „Kannst du vielleicht auch Mum Bescheid sagen? Wenn ich sie deswegen anrufe, wird sie nur total nervös, du würdest sie bestimmt weniger stören.“ Kieran zögerte, er sah zu Konia hinüber, die ihm knapp zunickte. Wenn Granya wirklich immer noch derart auf Ciar reagierte, wäre sie bestimmt erleichtert, diese Nachricht von Kieran überliefert zu bekommen. Genau genommen waren es ja zwei Nachrichten: Cathans Besessenheit und seine erfolgreiche Rettung. Kieran konnte das bestimmt besser erzählen als Ciar. Und er würde den Weltenverschlinger dabei unerwähnt lassen. Diese Gedanken mochten ihm ebenfalls durch den Kopf gegangen sein, als er sich wieder an Ciar wandte: „Okay, ich mache das. Kümmer dich solange um Kian.“ Damit verließ er die Krankenstation. Luan sah ihm einen Moment länger als notwendig hinterher, dann sank er ebenfalls in seine Kissen zurück. „Lass dich nicht so hängen“, murrte Kian. „Das war doch, was du wolltest.“ Luan gab nur ein zustimmendes Geräusch von sich und sah auf die Decke hinab. Konia tätschelte seinen Kopf, um ihn zumindest ein wenig zu beruhigen. Ihr menschliches Ich wäre darin wesentlich besser gewesen, sie hätte den Schmerz eher verstanden. Aber dennoch wollte sie nicht, dass er sich zu schlecht fühlte, da er nun alles tat, was er konnte, um die entstandenen Probleme zu bewältigen. Zumindest in ihrem Fall gelang ihm das auch. „Dr. Belfond und ich verstehen uns übrigens gut“, sagte sie ihm. „Immer noch.“ Das war eine Information, die er vermutlich kaum gebrauchen konnte, schließlich konnte er es sich sicher bereits denken, da ihr Körper immer weiter heilte. Das Experiment verlief gut. Er lächelte schwach. „Da bin ich froh.“ Ciar nutzte die Gelegenheit, dass Luan abgelenkt war, und verwickelte Kian in sein eigenes Gespräch, in dem er ihm erzählte, wie großartig er gewesen war. Konia wiederum konzentrierte sich weiter auf Luan: „Ich denke, du hast es getan, um zu helfen, das solltest du nicht bereuen. All die Nebenwirkungen konntest du unmöglich vorhersehen.“ Besonders was diesen Weltenverschlinger anging. Glücklicherweise hatte Parthalan versichert, sich um dieses Problem zu kümmern. Ihm würde schon etwas einfallen. „Es war trotzdem nicht in Ordnung, mit der Zeit zu spielen“, widersprach er schwach. „Und deswegen wirst du es auch nie wieder tun.“ Natürlich fehlte ihm die Möglichkeit dafür, aber selbst wenn er sie besäße, davon war sie überzeugt, würde er so etwas nicht noch einmal tun. Er sagte nichts mehr darauf. „Schlaf ein wenig“, schlug sie ihm vor. „Nach diesem Stress kannst du das gebrauchen.“ Er seufzte zustimmend, drehte sich auf die Seite und rollte sich zusammen. Am liebsten hätte sie ihn noch mehr getröstet, aber da stieß sie an ihre Grenzen. Bei Gelegenheit müsste sie Jii fragen, was man in einer solchen Situation am besten tun sollte. Cathan schlief noch, Kian wurde immer noch von Ciar unterhalten, es gab nichts mehr für sie mit den Patienten zu tun. Daher ging sie in ihr Büro, um sich dort ihren Unterlagen zu widmen. Dabei dachte sie weiter darüber nach, was sie tun könnte, um Luan aufzumuntern – und auch, wann sie die Gelegenheit finden würde, Vane wieder zu besuchen, ein Ereignis, dem sie überraschend ungeduldig entgegensah. Mit diesen Gedanken setzte sie sich an ihren Schreibtisch und begann damit, die Unterlagen zu aktualisieren. Parthalan konnte sich nicht erinnern, dass jemals so viele Personen im Kristallraum gewesen waren. Kieran Haze, Ares Liam, Morte, Patrok und Amari und Abby waren hier mit ihm versammelt. Amari hatte darauf bestanden, dass das dringend benötigte Gespräch an diesem Ort stattfinden sollte – was vor allem bedeutete, dass er auf mindestens drei dieser Personen ein Auge haben musste. Morte nahm er davon aus, da sie eindeutig eine Traumbrecherin war und Jiis Urteil zweifelte er nicht an. Haze und Ares befanden sich etwas abseits, keiner von ihnen wirkte sonderlich interessiert an ihrem Umfeld, möglicherweise hatten sie es in der Vergangenheit schon oft genug gesehen. Aber Abby stand auffallend dicht am Kirschbaum, den sie fasziniert betrachtete – und das gefiel Parthalan nicht besonders. Er sah zu den beiden anderen hinüber. „Könntet ihr dem Mädchen sagen, dass es sich von dem Kristall entfernen soll?“ Ares warf nur einen Blick zu Haze, der sofort reagierte: „Abby, komm her.“ Kaum hatte er das gesagt, verwandelte das Mädchen sich in einen Schatten, der zu Haze hinüberhuschte. Dort angekommen, verwandelte sie sich wieder zurück. Hinter ihm Schutz suchend schielte sie zu Parthalan, der ihren Blick nur emotionslos erwiderte. Aber immerhin war sie nun nicht mehr in der unmittelbaren Nähe zum Kristall. „Warum sollten wir alle hierher kommen?“, fragte Ares. „Wir hätten genauso gut im Büro reden können. Oder?“ Amari schüttelte sofort mit dem Kopf. „Das hier ist der einzige Ort, an dem wir davon ausgehen können, dass wir von niemandem belauscht werden. Oder möchtest du, dass Luan die Wahrheit erfährt?“ Ares' Augenbrauen verengten sich. Amari stieß ein zufriedenes Geräusch aus. „Dachte ich mir.“ „Diese Selbstsicherheit ist ungewohnt“, kommentierte Haze monoton. Parthalan erinnerte sich nur wenig an Amaris früheres Verhalten. Sie war verschwunden, bevor er zu Cerises rechter Hand geworden war, deswegen musste er sich darauf verlassen, dass Haze eine andere Amari kannte als diese und daher wusste, wovon er sprach. „Ich finde es erfrischend“, warf Morte ein. „Aber wichtiger ist jetzt doch wirklich, dass wir darüber sprechen, was geschehen ist und wie es weitergehen wird.“ „Was ist denn genau geschehen?“ Parthalan war insgeheim erleichtert, dass er endlich einmal eine Einschätzung von Leuten bekommen konnte, die mehr wussten als Jii – dieser hatte zwar die Erinnerungen seines Ichs dieser anderen Zeitachse übernommen, doch sie waren untrennbar mit jenen verwoben, die er in dieser Zeitachse durchlebt hatte, weswegen sie oft ungenau und verzerrt waren. Und bislang waren Amari und Patrok nicht sonderlich kommunikativ gewesen, was ihre Vergangenheit und ihren Aufenthalt im Limbus betroffen hatte. Ihre Erklärung, dass sie Erinnerungsfetzen in Muspelsheim gejagt hatten, konnte er jedenfalls nicht glauben, sie war eindeutig gelogen. Die drei ehemaligen Weltenzerstörer sahen einander an, dann entschieden sie sich offenbar dafür, dass Ares die Erklärung übernehmen sollte, denn er hob die Stimme: „Nachdem Luan die Uhr benutzte, brach Kieran zusammen – und der Weltenverschlinger wurde auf unsere Welt aufmerksam. So sind wir ihm das erste Mal begegnet.“ Morte nickte. „Er kämpfte mit einer Kraft, der wir bislang noch nie entgegengetreten waren. Es schien nur ein Spiel für ihn zu sein – und dann fegte er uns einfach davon.“ Sie deutete mit einer Handbewegung etwas an, das entfernt daran erinnerte, wie jemand etwas beiseite wischte. „In jener Zeitachse“, fuhr Haze fort, „hat er uns einfach getötet.“ Das konnte nicht sein – aber dennoch stellte Parthalan keine Lüge fest. „Wie kommt es, dass ihr dann mit eurem gesamten Wissen hier sein könnt?“ „Das ist etwas komplexer“, meinte Morte, während sie sich die Schläfen rieb. „Luan hat“, übernahm Ares wieder das Wort, „mit seinem unbedachten Zeitsprung eine neue Zeitachse erschaffen. Dabei hat er nicht nur seine alte Welt beeinflusst, sondern alle mit ihr verbundenen, etwa auch Muspelsheim.“ Dort mussten Patrok und Amari damals gewesen sein. So kam Parthalan nur zu einem Schluss: „Das bedeutet, dass, obwohl ihr in der alten Zeitachse getötet worden seid, ihr uns nun hier aufsuchen konntet, weil ihr in der neuen zum jeweiligen Moment gerade in einer mit dieser verbundenen Welt wart?“ „Genau“, bestätigte Amari. „Der Sprung muss das komplette Konstrukt dieser Welt in einer neuen Linie nachgeahmt haben. Inklusive der drei Zerstörer. Weil sie aber keine Welten mehr zerstören, gab es keine Erinnerungsfetzen mehr, die wir vernichten mussten.“ Zumindest ein Teil ihrer Geschichte war also wahr gewesen. „Wie kommt es dann, dass manche von euch sich erinnern?“ Die Anwesenden tauschten Blicke miteinander, als müssten sie sich erst einmal einigen, wer von ihnen als erstes antworten sollte. Amari gewann diese Runde und übernahm dies: „Ich weiß nicht, wie das in meinem Fall funktionierte. Die Erinnerung kam einfach über mich und ich wusste, dass sie der Wahrheit entsprach.“ „Und ich glaube ihr, weil ich weiß, dass Amari nicht lügt“, fügte Patrok hinzu. „Bei uns war das anders“, sagte Ares. „Wir konnten uns zuerst an nichts erinnern. Bis Abby aufgetaucht ist.“ Er deutete zu dem Mädchen hinüber, das sich plötzlich in Pose stellte. Die Beine weit auseinander, die Hände in die Hüfte gestemmt, nickte sie zufrieden. „Genau! Abby hat Papa und die anderen wieder an das erinnert, was vor der bösen Uhr passiert ist.“ Als böse hätte Parthalan diese Uhr nun nicht eingeschätzt. Aber andererseits war es nun einmal eine schwarze Taschenuhr, die sich einem Klischee beugen könnte. „Wie hast du das getan?“, fragte er das Mädchen. Sie schob die Unterlippe ein wenig vor, überlegte offenbar, ob sie es ihm verraten sollte, nachdem er derart gemein zu ihr gewesen war. Er selbst dachte bereits darüber nach, wie er sie am besten zum Reden bringen könnte. Doch Haze stieß sie einfach nur einmal sanft an, dann antwortete sie: „Abby gehört zu gar keiner Welt. Darum hat sie nichts vergessen, hatte aber auch kein Zuhause mehr, nachdem der böse Weltenfresser ihr alles weggegessen hatte.“ Sie pumpte Luft in ihre Backen und schmollte wieder, glücklicherweise fing sie sich aber auch sofort: „Abby hat dann Papa getroffen, von dem sie erst nicht wusste, dass er ihr Papa ist. Und dann hat Abby Papa und seinen Freunden alles von früher gezeigt. So toll ist Abby!“ Um den Punkt zu unterstreichen stellte sie sich in eine Pose, die einem beliebten Magical Girl gleichkam, dessen Name Parthalan entfallen war – doch das war auch nicht wichtig. Im Moment machte er sich eher Gedanken darüber, dass diese ganze Sache plötzlich derart verwirrend und komplex geworden war. Es gab einen Grund, weswegen Geschichten über Zeitreisen einen Kult hinter sich wussten, aber warum sie auch zu gern kritisiert wurden. Er kannte sich nicht wirklich mit derartigen Geschichten aus, daher konnte er nicht sagen, wie viel Sinn das ergab, was ihm gerade erzählt worden war, doch da er sich nun mit den Ergebnissen auseinandersetzen musste, sollte er sich vielleicht daran gewöhnen. Wieder einmal wünschte er sich, Cerise wäre wach, dann könnte er sich einfach auf ihr fantasievolles Verständnis verlassen. So blieb ihm aber nichts anderes übrig, als selbst zu versuchen, alles zusammenzusetzen. Haze tätschelte Abbys Kopf, worauf sie zufrieden lächelte. Wenigstens eine Person konnte derart einfach zufriedengestellt werden. „Nachdem wir nun darüber gesprochen haben, was geschehen ist“, fuhr Parthalan fort, „sollten wir darüber reden, wie es weitergehen wird. Wir können nicht zulassen, dass diese Welt zerstört wird.“ Die anderen stimmten ihm zu, versanken dann aber erst einmal wieder in Schweigen. Parthalan verstand das gut, denn einen Weltenverschlinger aufzuhalten – vor allem einen, der sie schon einmal alle getötet hatte – war schwer. Er hätte also genauso gut danach fragen können, wie sie die Entropie des Universums aufzuhalten gedachten. Patrok musterte die anderen, aber keiner von ihnen machte Anstalten, etwas zu sagen, deswegen übernahm er das: „Während wir darüber noch nachdenken, würde mich erst einmal interessieren, weswegen der Weltenverschlinger dies eigentlich tut. Worum geht es ihm?“ „Das wissen wir nicht“, antwortete Ares. „Wir wissen nicht einmal, wer er ist“, ergänzte Morte. „Wie ihr selbst gesehen habt, hat er eine Vorliebe, fremde Körper zu übernehmen.“ „Wir können nur theoretisieren, woran das liegt“, schloss Haze. „Vielleicht konnte Seline mehr herausfinden, sie konnte ihn mit ihrer Prägung sogar zum Rückzug zwingen.“ Wäre sie nicht ohnmächtig geworden und von Russel zurück nach Athamos gebracht worden, hätte Parthalan sie ebenfalls zu dieser Besprechung eingeladen, nicht zuletzt, weil es ihr gelungen war, dem Verschlinger derart lange Paroli zu bieten. Aber nun war sie in Athamos und wachte hoffentlich bald wieder auf. „Ich werde sie fragen, wenn ich mit der Befragung von Cathan fertig bin.“ Da dieser von ihrem Feind besessen gewesen war, wusste er vielleicht mehr. Es wäre schließlich nicht verwunderlich, wenn er irgendwie an Bruchstücke einer Erinnerung gekommen wäre. Möglicherweise lag in der Identität ihres Feindes auch der einzige Weg, ihn zu besiegen. Amari griff sich an die Brille, richtete diese, ließ sie aber nicht wieder los. „Vielleicht sollten wir eine Besprechung des weiteren Vorgehens vertagen, bis wir mehr Informationen haben. Es erscheint mir sehr fruchtlos, so darüber zu reden.“ Parthalan wollte dem gerade zustimmen, als er bemerkte, wie jemand an seinem Mantel zupfte, Abbys Stimme folgte direkt danach: „Mister, warum ist da eine Frau im Kristall?“ Als er hinabsah, entdeckte er das Mädchen direkt neben sich; ihm war nicht einmal aufgefallen, dass sie ihren Platz neben Haze verlassen hatte. „Warum willst du das wissen?“, fragte er schroff. Sie ließ sich davon nicht einschüchtern: „Abby ist neugierig.“ Morte kam zu ihrer Unterstützung: „Ich habe mich ohnehin schon gefragt, wo Cerise eigentlich ist. Bislang haben wir sie noch nicht gesehen. Warum ist sie in diesem Kristall?“ Widerwillig erzählte er ihnen von Cerises anstrengendem Kampf gegen Atanas und Armas und dass sie sich seitdem erholte. „Mehr zu diesem Thema hat euch nicht zu interessieren, es ist strenge Geheimsache.“ Lediglich hochrangigen Mitgliedern von Abteracht wurde anvertraut, welchen Zweck der Kristall noch beherbergte. Keiner der drei war allerdings auch nur annähernd ein Teil ihrer Gruppe, deswegen sagte er nichts weiter dazu – und die einzigen Mitglieder, Amari und Patrok, fragten nicht. Sie blieben beide dabei, dass man erst einmal mehr Informationen einholen sollte. „Ich werde mich darum kümmern“, versicherte Parthalan. „Und dann komme ich noch einmal auf euch alle zurück, um eine Strategie zu besprechen.“ Er war immer noch nicht überzeugt, dass man jemanden töten konnte, der ganze Welten verschlang. Seine einzige Hoffnung ruhte daher erst einmal auf Cathan und Seline und den Informationen, die sie ihm möglicherweise über ihren Feind geben könnten. Während die ehemaligen Zerstörer bereits dem Ausgang zustrebten, genau wie Amari und Patrok, wandte Parthalan sich noch einmal dem Kristall zu. So entdeckte er Abby, die erneut davor stand und zu ihm hinauf starrte. Eine innere Unruhe erfasste ihn wieder, obwohl das Mädchen bislang nichts getan hatte, was diese rechtfertigen könnte. Ihm genügte jedoch das Wissen, dass sie ein Wesen der Schatten war, um sein Misstrauen arbeiten zu lassen. „Was möchtest du noch?“, fragte er. Sie sah über ihre Schulter zu ihm. „Die Lady ist traurig. Sie kann das alles sehen.“ Parthalan schwieg. Abby neigte den Kopf. „Wir können sie nicht trösten. Aber vielleicht wacht sie bald wieder auf.“ „Wie kommst du darauf?“ „Abby war auch so traurig, als sie das erste Mal aufgewacht ist.“ Er spielte mit dem Gedanken, Abby in die Funktion des Kristalls einzuweihen, aber dann wischte er dies beiseite. Sie war unmöglich geeignet dafür. Haze rief das Mädchen von der Tür aus zu sich, woraufhin sie wieder in einem Schatten verschwand und davon huschte. Parthalan stellte mit einem Blick sicher, dass sie alle gemeinsam den Raum verließen, auch Abby, die sich von Haze den Kopf tätscheln ließ. Als die Tür sich hinter ihnen schloss, sah Parthalan wieder den Kristall an. Im nebelgleichen Inneren entdeckte er Cerises Gesicht, dessen Ausdruck sich kaum geändert hatte im Vergleich zum Beginn: neutral, die Stirn leicht gerunzelt. War Abbys Aussage korrekt? Würde Cerise dann vielleicht wirklich aufwachen, sobald sie wieder gebraucht wurde? Aber was sollte sie schon tun können, wenn nicht einmal ihre Gegenstücke aus anderen Welten es zustande gebracht hatten, gegen den Weltenverschlinger zu gewinnen? „Du würdest mir jetzt sicher sagen, dass ich nicht so negativ sein soll.“ Seine Stimme klang plötzlich sogar für ihn selbst hohl und als ob sie von allen Wänden zu ihm zurückgeworfen werden würde. „Ich werde dich aber weiterhin nur in deiner Funktion ersetzen, nicht in deiner Geisteshaltung. Wache bitte weiter über uns.“ Er bekam keine Antwort – und die eintretende Stille empfand er zum ersten Mal in seinem Leben als belastend. Kapitel 26: Parthalan wird schon eine Lösung finden --------------------------------------------------- [LEFT]In Selines Leben gab es selten Momente, in denen sie sich wohlgefühlt hatte. Von klein auf war sie dem Plan ihres Vaters gefolgt, eine Dämonenjägerin zu werden, unabhängig davon, ob sie das ebenfalls wollte. Das Ziel war es gewesen, dass sie eines Tages zur neuen Anführerin Abterachts werden sollte, etwas, sehr zu ihrem Missfallen. Vor vier Jahren hatte der Plan schließlich Risse bekommen, ihr Vater war eingesperrt worden, Jii wurde zum Direktor von Athamos und Seline war von ihm gebeten worden, mit ihm zu gehen, um Ciar im Auge zu behalten. Von dem alten Modell loszubrechen war angenehm gewesen – aber es hatte immer noch nicht ihren eigenen Vorstellungen entsprochen. Wobei sie sich auch nicht sicher war, woraus diese überhaupt bestanden, nachdem sie von klein auf immer von jemandem geformt worden war.[/LEFT] [LEFT]In Athamos gab es dann etwas Angenehmes: dem Gesang von Vane Belfond zu lauschen war stets ein Moment der inneren Ruhe und Ausgeglichenheit für Seline. Deswegen hatte sie viele Stunden auf der Krankenstation verbracht, und darum wusste sie genau, wo sie sich befand, als sie schließlich wieder wach wurde, noch bevor sie ihre Augen öffneten. Es roch nicht nach Desinfektionsmitteln, nicht nach Eisen, deswegen blieb jede negative Konnotation, die normalerweise mit solchen Orten einherging, aus. Ein sanfter Duft von Lavendel erfüllte die gerade herrschende Stille, auch beides angenehme Eigenschaften dieses Ortes, die Seline sofort einwickelten und sie sanft im Leben willkommen hießen. Das war alles wie immer, wenn sie hier aufwachte. Sicher befand sie sich auch mal wieder in einem Einzelzimmer, damit sie die notwendige Ruhe erhielt, das ahnte sie jedenfalls durch die gedämpften Schritte der auf dem Gang vorbeilaufenden Personen. Ihre Prägung war auch deaktiviert, das bemerkte sie an dem fehlenden Gewicht an ihrem linken Unterarm, es war eine reine Vorsichtsmaßnahme, die Vane immer durchführte, um sie besser behandeln zu können.[/LEFT] [LEFT]Doch eine Sache war anders als sonst: Sie war nicht allein.[/LEFT] [LEFT]Seline öffnete die Augen und entdeckte sofort eine Person auf dem Stuhl neben ihrem Bett. Er saß mit verschränkten Armen da – und schlief. Russel atmete derart gleichmäßig, dass es fast eine ähnliche Wirkung ausübte wie Vanes Gesang. Seine Anwesenheit ließ ihr Herz schneller schlagen, am liebsten hätte sie ihn sofort aufgeweckt, ihm gesagt, wie sehr sie ihn vermisste und wie sehr sie es bereute, dass ihr Weggang aus Abteracht zu ihrem Zerwürfnis geführt hatte. Aber gleichzeitig hätte sie ihn auch gern einfach direkt weggeschickt, ohne ihn jemals etwas davon wissen zu lassen.[/LEFT] [LEFT]Hin und her gerissen zwischen diesen Gefühlen konnte sie ihn nur beobachten, bis seine Atmung plötzlich unregelmäßig wurde und er im nächsten Moment schon seine Augen öffnete. Zuerst blinzelte er irritiert, doch dann konzentrierte er sich auf Seline. „Hey.“[/LEFT] [LEFT]Sie hob ihre Mundwinkel. „Ist das alles?“[/LEFT] [LEFT]„Ich hab schon jede Menge gesagt, als ich dich aufgefangen habe“, erwiderte er. „Ich finde, du solltest jetzt auch mal irgendwas beitragen. Du könntest zum Beispiel damit anfangen, dich zu bedanken.“[/LEFT] [LEFT]Seine Arme waren noch immer vor seinem Körper verschränkt, seine Schultern leicht hochgezogen; er meinte es ernst – was selten genug bei ihm vorkam.[/LEFT] [LEFT]Es kostete sie ein wenig Anstrengung, sich aufrecht hinzusetzen, aber sie hatte das Gefühl, dass es angebracht war, für so etwas zu sitzen. Schließlich sah sie ihn direkt an. „Danke, dass du mich gerettet hast. Ich dachte wirklich, ich würde sterben.“[/LEFT] [LEFT]Allein der Gedanke an diesen Moment, die Hilflosigkeit, schnürte ihr wieder die Kehle zu. Sie schüttelte leicht den Kopf, um dieses Gefühl zu vertreiben.[/LEFT] [LEFT]Er hob die Augenbrauen. „Du und sterben? Das hört sich nicht nach etwas an, das du beherrschst.“ Sein Gesichtsausdruck entspannte sich ein wenig. „Ich bin dennoch froh, dass ich helfen konnte. Während des Kampfes konnte ich ja nicht eingreifen.“[/LEFT] [LEFT]„Hast du etwa zugesehen?“[/LEFT] [LEFT]Seine Ohren färbten sich rötlich, was sich furchtbar mit seinen grünen Haaren biss. „Natürlich hab ich das. Ich war eigentlich wegen einer anderen Mission unterwegs, aber wenn ich schon mal vorbeikomme, wenn jemand wie du kämpft ...“[/LEFT] [LEFT]Endlich ließ er die Arme sinken. „Es hat mir ein bisschen gefehlt, dich kämpfen zu sehen, auch wenn du es jetzt anders machst als früher-“[/LEFT] [LEFT]„Es tut mir leid.“[/LEFT] [LEFT]„Was?“ Er blinzelte verwirrt.[/LEFT] [LEFT]Sie ließ ihm keine Gelegenheit, sich zu erinnern, wofür sie sich entschuldigen könnte, sondern sprach sofort weiter, um es zu erklären: „Für alles. Dass ich einfach gegangen bin, dass ich mich danach kaum noch gemeldet habe …“ Für die Vorwürfe, die sie ihm gemacht hatte, für das Ignorieren seiner Nachrichten und Anrufe, all das wollte sie noch anfügen, aber stattdessen verstummte sie. Es war unsinnig, zu hoffen, dass er sich an all das nicht mehr erinnerte, aber sie wollte es auch nicht mit aller Gewalt wieder hervorholen.[/LEFT] [LEFT]Russel griff sich an den Nacken und stieß ein tiefes Seufzen aus. „Du bist viel zu gut darin, mir immer meinen Auftritt zu klauen.“[/LEFT] [LEFT]„Wovon redest du?“[/LEFT] [LEFT]Er lehnte sich auf dem Stuhl zurück, und betrachtete ihr verwirrtes Gesicht amüsiert. Glücklicherweise lag ihm offenbar nicht daran, sie schmoren zu lassen: „Eigentlich wollte ich mich bei dir entschuldigen. Ich hab dir einen ziemlichen Schwachsinn an den Kopf geknallt, als du mir gesagt hast, dass du Abteracht verlässt. Dieser ganze Verräter-Mist, du weißt schon.“[/LEFT] [LEFT]Sie erinnerte sich. Als sie gemeinsam mit Jii nach Athamos gegangen war, hatte der Krieg zwischen den Schulen noch nicht lange zurück gelegen. Die Verletzungen auf beiden Seiten, Cerises Ohnmacht … alles war noch so frisch gewesen, dass es vielen Personen in Abteracht wie ein Verrat vorgekommen war, die eigene Gruppe zu verlassen, um zu den anderen zu gehen, ganz unabhängig davon, dass sie nun Verbündete waren. Ähnlich wenig begeistert waren die Traumbrecher gewesen, als sie gekommen waren. Jii und Ciar hatten sich den Respekt der anderen hart erarbeiten müssen, aber schlussendlich war es ihnen gelungen. Seline beneidete sie immer noch darum, denn ihr blieb dieses Gefühl verwehrt.[/LEFT] [LEFT]Er fuhr fort: „Ich war ziemlich angefressen, weil sich plötzlich alles geändert hat – und dann sogar du weggegangen bist. Ich dachte, das bedeutet, dass du nichts mehr mit uns anderen zu tun haben willst. Dann hast du auch noch meine Nachrichten ignoriert ...“[/LEFT] [LEFT]Er verstummte wieder, die Augenbrauen zusammengezogen.[/LEFT] [LEFT]„Da war ich dann ziemlich sauer auf dich“, gab sie zu. „Ich nahm mir immer vor, dir noch zu antworten, nur noch ein paar Tage wollte ich dich warten lassen … und irgendwann war es schon so spät, dass ich mich nicht mehr getraut habe, wirklich zu antworten.“[/LEFT] [LEFT]Im Grunde war es ein irrationaler Gedanke gewesen, aber sie war ihn einfach nicht losgeworden. Stattdessen hatte sie eine Trennung von Russel in Kauf genommen – für ein Leben, das sie genau so wenig mochte wie das vorige.[/LEFT] [LEFT]„Das ist wirklich interessant.“ Russel nestelte an seiner Brille, als wäre er ein neugieriger Wissenschaftler, der gerade etwas Neues entdeckt hatte. „Selbst für dich gibt es also etwas, das du nicht kannst.“[/LEFT] [LEFT]Sie schob die Unterlippe ein wenig vor. „Es gibt vieles, was ich nicht beherrsche. Ihr wollt das alle nur nicht sehen.“[/LEFT] [LEFT]Nicht zuletzt vermutlich wegen ihres Vaters, der sich Mühe gegeben hatte, sie als außergewöhnlich darzustellen. Da blieb nicht viel Raum, um ihre Fehler zu besprechen.[/LEFT] [LEFT]„Ja ja, schieb es nur auf uns arme einfache Bürger, die versuchen, dir zu dienen, Prinzessin.“[/LEFT] [LEFT]Sie beugte sich näher zu ihm und verpasste ihm einen sanften Schlag gegen den Oberarm, begleitet von einem verlegenen „Idiot“, das er nur weglachte.[/LEFT] [LEFT]„Komm schon“, verteidigte er sich, „ich sage dir nur, wie es auf uns manchmal wirkt. Du warst immer ein besonderes Symbol in Abteracht. Ohne dich blieb uns nur noch Nolan – und der ist nicht sehr hilfreich, so oft, wie er auf der Krankenstation ist, weil sich irgendein Dämon wieder nicht mit ihm anfreunden wollte.“[/LEFT] [LEFT]Gerade diese Eigenschaft hätte sie als ein Zeichen für Nolan gesehen. Andererseits verstand sie ebenfalls, dass es nicht gut für die Moral war, wenn das fleischgewordene Symbol bei der Ausübung seiner Pflicht wiederholt verletzt wurde.[/LEFT] [LEFT]„Vielleicht ist er wirklich nicht so sehr geeignet für die Rolle.“[/LEFT] [LEFT]„Aber mach dir keine Sorgen“, beruhigte er sie sofort, „wir haben uns einfach Kieran als neues Vorbild genommen. Schließlich ist er ein Dämon, das ist ein richtig tolles Symbol.“[/LEFT] [LEFT]Sie konnte sich vorstellen, dass er der einzige war, der das so sah, aber sie wollte den neu gefundenen Frieden mit ihm nicht riskieren, indem sie ihm widersprach.[/LEFT] [LEFT]Er neigte den Kopf ein wenig zur Seite. „Hey, wenn jetzt alles wieder gut zwischen uns ist, kann ich dich dann mal zu einem Date einladen? Mir auch egal, was wir tun, Hauptsache, wir tun es zusammen. Wär doch mal nett, oder?“[/LEFT] [LEFT]Sie legte die Hände auf ihre Brust, die vor Wärme geradewegs überzuquellen schien. Derart überwältigt war sie noch nie von ihren Gefühlen gewesen, jedenfalls nicht in diesem Ausmaß – deswegen wunderte es sie auch kaum, als sich Tränen in ihren Augen ansammelten. Hastig fuhr sie sich mit der Hand darüber, ehe Russel sie sehen könnte, doch da war es bereits zu spät: „Mann, ich dachte nicht, dass dich das zum Weinen bringen würde. So schlimm bin ich doch auch nicht.“[/LEFT] [LEFT]Lachend schüttelte sie den Kopf und wischte sich dabei weitere Tränen aus dem Gesicht. „Deswegen weine ich auch nicht, Idiot.“[/LEFT] [LEFT]Er atmete auf, dann griff er sich an den Nacken. Er murmelte irgendetwas, das sie nicht verstehen konnte, machte aber auch keine Anstalten, sich selbst zu wiederholen. Ehe sie nachhaken konnte, öffnete sich die Tür und lenkte ihre Aufmerksamkeit auf den eintretenden Vane.[/LEFT] [LEFT]Der Arzt hielt inne, als er ihr Gesicht sah und blickte zu Russel hinüber. „Ich sagte dir doch, dass du sie nicht aufregen sollst. Das ist gerade nicht gut für sie.“[/LEFT] [LEFT]„Ich habe nichts getan“, verteidigte er sich. „Jedenfalls nichts Schlimmes.“[/LEFT] [LEFT]Auf eine Bestätigung wartend, wandte Vane sich wieder Seline zu. Sie nickte. „Er hat wirklich nichts getan. Ich freue mich nur.“[/LEFT] [LEFT]Er runzelte die Stirn als wäre ihm dieses Konzept unbegreiflich. „Wie auch immer. Ich möchte mit dir über deine Prägung sprechen.“[/LEFT] [LEFT]Nach dieser Erwähnung dachte sie wieder an die fehlenden Klingen an ihrem Handgelenk. Was mochte derart Schlimmes geschehen sein, dass er darüber mit ihr reden musste? Wollte sie es überhaupt wissen?[/LEFT] [LEFT]„Ich dachte eigentlich, Parthalan würde mit mir sprechen wollen“, erwiderte sie, in einem Versuch, es noch einmal hinauszuzögern.[/LEFT] [LEFT]„Der kommt bestimmt noch“, sagte Russel. „Wahrscheinlich hat er auch noch mit anderen Sachen zu tun. Ich glaube, da sind ja ein Haufen Leute dazugekommen, mit denen er reden muss.“[/LEFT] [LEFT]Neben Morte musste er bestimmt noch mit den anderen beiden früheren Zerstörern sprechen. Dann war da auch noch Cathan, der sogar besessen gewesen war. Parthalan hatte sicher viel zu tun.[/LEFT] [LEFT]Vane richtete seine Brille. „Ich denke, es wäre gut, wenn wir zuerst über deine Klingen reden.“[/LEFT] [LEFT]Es blieb unausweichlich, also nickte sie.[/LEFT] [LEFT]„Dein junger Besucher sagte mir, dass eine deiner Klingen in den Gegner eingedrungen sei und begonnen habe, ihn zu absorbieren. Ist das richtig?“[/LEFT] [LEFT]„Ist es. Aber bei dem Gegenangriff hat der Klingenschild dann versagt.“[/LEFT] [LEFT]Vane notierte sich etwas auf dem Klemmbrett, das er mit sich trug. „Das ist nicht ganz korrekt. Nur eine der Klingen ist beschädigt worden, soweit ich sehen konnte.“[/LEFT] [LEFT]Statt einer weiteren Erklärung trat er an Selines Bett. Er nahm ihren linken Arm und reaktivierte mit einem raschen Befehl die Prägung. Scharfe Schmerzen zuckten durch ihre Muskeln, aber sie spürte auch das vertraute Gewicht ihrer Klingen wieder, was sie beruhigte. Russel beobachtete den Vorgang aufmerksam und misstrauisch, deswegen bemühte sie sich, die Schmerzen nicht zu deutlich zu zeigen. Sie wollte nicht, dass er etwas Dummes tat, nur weil er glaubte, der Arzt würde sie verletzen.[/LEFT] [LEFT]Vane wählte eine der Klingen, die sich von ihr löste und sich vergrößern ließ, bis sie deutlich zu sehen war. Ein feiner Riss zog sich über die Oberfläche, aber es war etwas anderes, das Seline innehalten ließ: blaue Adern bildeten ein spinnennetzartiges Muster auf dem silbernen Grund.[/LEFT] [LEFT]„Damit hast du die Seele deines Feindes absorbiert“, erklärte Vane.[/LEFT] [LEFT]Während sie weiterhin wortlos darauf starrte, beugte Russel sich ein wenig vor und runzelte die Stirn. „Also … ich will ja nicht nerven, aber … was ist so ungewöhnlich?“[/LEFT] [LEFT]Natürlich, fiel es Seline ein, er kannte sich mit so etwas nicht aus, deswegen verstand er es nicht. Also erklärte sie ihm mit knappen Worten, dass die Kraft eines Traumbrechers durch die Farbe seiner Magie bestimmt wurde. Zwar war Blau der Grundton dafür, doch je heller dieser war, desto stärker war die Fähigkeit.[/LEFT] [LEFT]„Und desto besser gesinnt ist der Wirker. Silber ist dabei eine Weiterentwicklung von Hellblau.“[/LEFT] [LEFT]Sie ließ Russel einen Moment Zeit, um das zu verarbeiten. Er starrte angestrengt auf die Klinge, hinter seiner Stirn schien es zu arbeiten – und dann rasteten die Zahnräder ein: „Warte mal. Wenn Silber also für die Guten steht, und du mit diesem Ding dem Weltenverschlinger was von seiner Seele abgezapft hast … bedeutet das dann nicht, dass der Kerl auch einer der Guten ist?“[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]Luan wäre gern noch in der Krankenstation geblieben, um bei Cathan zu sein, aber er fand, es wäre besser, nicht mehr zu viel Zeit mit ihm zu verbringen. Was auch immer über Cathan gekommen war, hatte sein Leben bedroht und das durfte nicht mehr geschehen. Nicht wegen Luan.[/LEFT] [LEFT]Also hatte er direkt nach dem Frühstück die Krankenstation verlassen, um in sein eigenes Zimmer zurückzukehren. So früh am Morgen waren die Gänge Abterachts noch verlassen, weswegen er vollkommen allein war. Die Einsamkeit hier draußen spiegelte jene in seinem Inneren wider, die ihn vereinnahmte, seit er in der Zeit zurückgereist war. Er hatte alles zurückgelassen – und wofür?[/LEFT] [LEFT]„Jetzt ist meine Anwesenheit eine Bedrohung für alle“, murmelte er.[/LEFT] [LEFT]Das war niemals seine Absicht gewesen, aber wie hätte er das auch ahnen können? Niemand hatte ihn vor den Folgen einer Zeitreise gewarnt, doch natürlich war er nicht auf den Gedanken gekommen, im Vorfeld mit jemandem darüber zu sprechen. Mit Sicherheit hätte Jii ihn davor gewarnt und dann wäre Luan auch nicht auf die Idee gekommen, die Uhr wirklich einzusetzen. Oder vielleicht doch? Schließlich hatte Kierans Leben auf dem Spiel gestanden.[/LEFT] [LEFT]Nun war es zu spät, darüber nachzudenken, aber dennoch kreisten seine Gedanken immer wieder darum, wühlten seine Schuldgefühle neu auf und ließen ihn einfach nicht in Ruhe.[/LEFT] [LEFT]Was konnte er tun, um es nun besser zu machen? Wie konnte er eine positive Änderung bewirken, bevor er sich schlafen legte, wie er es schon von Anfang an geplant hatte?[/LEFT] [LEFT]An seiner Tür angekommen, legte Luan eine Hand auf die Klinke, hielt jedoch inne, als er jemanden seinen Namen sagen hörte. Es war ein sanftes Wispern, von einer Stimme, die nicht aus dieser Welt zu stammen schien.[/LEFT] [LEFT]Er wandte den Kopf und entdeckte, zum ersten Mal in dieser Zeitachse, Aludra, die in einiger Entfernung zu ihm stand. Der Blick aus ihren dunklen Augen, die Cathan und Kieran von ihr geerbt hatten, mochte vielen als gelangweilt erscheinen, aber für Luan wirkte es eher so als sähe sie Dinge, die anderen verborgen blieben. Es war unheimlich – und gleichzeitig skurril genug, um Interesse zu wecken.[/LEFT] [LEFT]„Was möchtest du?“, fragte Luan leise.[/LEFT] [LEFT]Aludra näherte sich ihm. Ihr schwarzes Oberteil, das wie eine große Knospe sogar ihre Arme verbarg, schwankte bei jedem Schritt und erweckte den Eindruck, dass etwas Dunkelheit sich mit ihr bewegte. Wenige Schritte von ihm entfernt blieb sie stehen, um ihm nicht zu nahe zu kommen.[/LEFT] [LEFT]Da sie weiterhin nichts sagte, runzelte Luan die Stirn. „Solltest du nicht in Kierans Nähe sein?“[/LEFT] [LEFT]Jedenfalls war ihm das zu Ohren gekommen, seit er wieder in Abteracht war; Aludra, der unaufdringliche Schatten Kierans, nur an dessen Wohlergehen interessiert.[/LEFT] [LEFT]„Er schläft.“ Selbst bei dieser knappen Antwort war es, als schwebten die Worte durch den Gang, ohne sich um irgendetwas auf dieser Welt zu kümmern. „Er ist sicher.“[/LEFT] [LEFT]Luan vollführte eine unbestimmte Handbewegung. „Kann ich dir dann … irgendwie helfen?“[/LEFT] [LEFT]Aludra verlagerte das Gewicht von einem Fuß auf den anderen. „Du kommst aus einer alternativen Zeit, ja? Das sagen sie alle.“[/LEFT] [LEFT]„Das stimmt.“[/LEFT] [LEFT]Er erwartete, dass sie ihn fragen wollte, weswegen er diese Reise gemacht hatte, so wie jeder andere, aber das kam nicht. Sie neigte den Kopf, ihr Blick wanderte die Wand hinauf, obwohl dort nichts zu sehen war. „Du hast dich geopfert, um jemandem zu helfen, den du liebst.“[/LEFT] [LEFT]Offenbar kannte sie den Grund also bereits.[/LEFT] [LEFT]Er bestätigte das knapp, was sie nachdenklich werden ließ.[/LEFT] [LEFT]„Wenn du das schon weißt“, hakte er nach, „warum fragst du dann?“[/LEFT] [LEFT]Sie senkte den Kopf ein wenig und sah gleichzeitig zur Seite. „Weil ich es verstehen will.“[/LEFT] [LEFT]Das sagte sie so leise, dass Luan Mühe hatte, sie zu hören. Einen Reim konnte er sich darauf jedoch nicht machen, glücklicherweise fuhr sie mit etwas festerer Stimme fort: „Ich will verstehen, wieso man sich für jemand anderen opfert, statt ihn einfach mit sich zu nehmen, irgendwohin.“[/LEFT] [LEFT]Bislang war es ihm nicht in den Sinn gekommen, aber nun dachte er tatsächlich darüber nach, ob Kieran in seiner alten Zeit nicht vielleicht einfach mit ihm zum Bahnhof gekommen wäre. Dann hätten sie zusammen schlafen können, ohne dass irgendwer sie jemals stören würde; sie wären für immer zusammen gewesen. Das klang traumhaft.[/LEFT] [LEFT]Doch er holte sich selbst aus dieser Vorstellung heraus, indem er sich daran erinnerte, dass Kieran niemals mit ihm gekommen wäre. Er war niemand, der vor seinen Pflichten davonlief – und die Welt zu beschützen gehörte dazu. Die Flucht in die Vergangenheit war die einzige Möglichkeit für Luan gewesen, Kieran zu helfen, ungeachtet der daraus erwachsenen Konsequenzen.[/LEFT] [LEFT]Da Aludra auf eine Antwort wartete, überlegte er einen Moment. Er wägte seine Worte möglichst gut ab, um keinen emotionalen Ausbruch bei ihr hervorzurufen: „Ich wollte Kierans Wunsch respektieren – und er wollte kämpfen. Aber ich wollte ihm auch eine bessere Chance für diesen Kampf geben. Und das war nur möglich, indem ich mein Glück vergesse.“[/LEFT] [LEFT]Sie sah ihn ausdruckslos an.[/LEFT] [LEFT]„Wenn man jemanden liebt“, fuhr er fort, „muss man in einem gewissen Umfang bereit sein, auf sein eigenes Glück zu verzichten. Und das habe ich getan.“[/LEFT] [LEFT]Obwohl ihre Mimik sich nicht veränderte, glaubte er, dass sie über seine Worte nachdachte, sie möglicherweise hin und her wiegte, sie auseinandernahm, wieder zusammensetzte und dabei zu verstehen versuchte, wie dieser Ansatz erfolgreich sein könnte. Er wusste nicht, um wen genau es ihr bei dieser Frage ging oder was sie damit bezweckte, aber er hoffte, sie zufriedenstellend beantwortet zu haben.[/LEFT] [LEFT]Schließlich sprach sie wieder: „Glaubst du, Kieran ist glücklich?“[/LEFT] [LEFT]Luans Brust zog sich schmerzhaft zusammen, Kälte breitete sich in ihm aus und brachte ihm den Wunsch, endlich einzuschlafen und nie wieder aufzuwachen. Wie oft hatte er sich schon diese Frage gestellt, seit er in die Vergangenheit gereist war? Wie oft, seit er ihm wiederbegegnet war? Doch eine Antwort darauf war ihm nach wie vor verwehrt geblieben.[/LEFT] [LEFT]„Ich hoffe es. Aber solange diese Welt besteht, war mein Opfer nicht umsonst und er kann glücklich sein. Dafür wäre es nie zu spät.“[/LEFT] [LEFT]Das war gerade alles, was zählte. Wenn niemand Kierans Lebensraum bedrohte, blieb ihm noch Zeit, glücklich zu werden. Die Probleme mit seinen Eltern, Ciar, das alles konnte gelöst werden, er musste nur überleben.[/LEFT] [LEFT]Aludra neigte den Kopf, als wolle sie nicken. „Ich denke, ich werde darüber eine Weile nachdenken müssen. Danke für deine Antwort.“[/LEFT] [LEFT]Damit fuhr sie herum und war fast so schnell verschwunden, wie sie gekommen war. Luan war nicht einmal Zeit geblieben, sie zu fragen, warum sie das alles wissen wollte – oder wo Kierans Großvater war, von dem bislang noch niemand gesprochen hatte.[/LEFT] [LEFT]Die Sehnsucht nach Kieran brannte nach diesem Gespräch als kaltes Feuer in seiner Brust, aber er durfte nicht nachgeben. Er musste es niederkämpfen, um all die Ereignisse in dieser Welt und seinen behutsam aufgestellten Plan nicht zum Einsturz zu bringen.[/LEFT] [LEFT]Mit einem tiefen Seufzen, das all die Schmerzen der letzten Jahre in sich zu tragen schien, öffnete er endlich die Tür zu seinem Zimmer – das sich immer noch nicht so anfühlte – und trat ein. Wenn er schon nicht am Bahnhof seiner Geburt für immer schlafen dürfte, könnte er sich jetzt zumindest noch ein wenig hinlegen, um all das Negative erst einmal zu vergessen.[/LEFT] [LEFT]Damit ließ er die Tür hinter sich wieder ins Schloss fallen und sperrte die Welt mit all ihren Problemen erst einmal aus.[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]„Granya und Sephia kümmern sich um die Kleinen“, sagte Lowe. „Den Mädchen geht es also gut, da musst du dir keine Sorgen machen.“[/LEFT] [LEFT]So viel wusste Cathan bereits durch sein eigenes Telefonat mit seiner Frau, das hatte er geführt direkt nachdem er aufgewacht war, noch vor dem Frühstück. Aber es sprach für Lowe, dass er das ebenfalls klarstellen musste. Sein Bruder war sofort zu ihm gekommen, nachdem er erfahren hatte, dass er wach war. Nun saß Cathan auf seinem Bett auf der Krankenstation und Lowe zufrieden lächelnd auf einem Stuhl daneben. Kian war ebenfalls noch hier, ignorierte sie beide aber. Luan war dagegen schon nach dem Frühstück in sein eigenes Zimmer zurückgekehrt. Von Ciar war an diesem Tag noch nichts zu sehen gewesen (Cathan vermutete, dass er in Athamos etwas Wichtiges erledigen musste). Konia wiederum war in ihrem Büro, um dort Akten zu bearbeiten.[/LEFT] [LEFT]„Ich bin nur froh, dass du wieder wach bist“, sagte Lowe. „Die Stimmung war echt seltsam in Abteracht, so ohne dich.“[/LEFT] [LEFT]„Ich glaube, die Leute sind eher wegen dem Weltenverschlinger angespannt.“ Und das vermutlich nicht zu Unrecht, wie Cathan befürchtete. „Das wird mit mir nichts zu tun haben.“[/LEFT] [LEFT]Lowe stieß ihm spielerisch gegen die Schulter. „Ich sehe das anders. Ich mache mir wegen ihm aber auch keine Sorgen. Parthalan wird schon eine Lösung finden.“[/LEFT] [LEFT]Das Vertrauen in den Vizeführer war bestimmt eine Ehre für Parthalan, aber Cathan war sich nicht so sicher wie Lowe. Wenn es ihm bereits gelungen war, andere Welten zu zerstören, warum sollte er ausgerechnet an dieser scheitern? Außerdem war der Körper der Frau, von der er Besitz ergriffen hatte, außergewöhnlich. Auch das könnte es schwer machen.[/LEFT] [LEFT]„Wann kann ich mit Parthalan reden?“, fragte Cathan. „Er muss wissen, was ich gesehen habe.“[/LEFT] [LEFT]„Vorhin ist er nicht in seinem Büro gewesen. Ich glaube, er wollte auch mit Seline sprechen.“[/LEFT] [LEFT]Er erinnerte sich, dass sie auch da gewesen war. Sie hatte gekämpft, aber den Verschlinger auch nur zur Flucht zwingen können. Offenbar war sie dann auch bewusstlos geworden, doch davon hatte er nichts mehr mitbekommen.[/LEFT] [LEFT]Während er noch darüber nachdachte, öffnete sich plötzlich die Tür. Parthalan schritt erhobenen Hauptes herein, als hätte das Aussprechen seines Namens ihn beschworen; sofort schien eine Aura der Erhabenheit von der Krankenstation Besitz zu ergreifen. Cathan hatte stets zu jenen gehört, die Respekt, aber keine Furcht vor Parthalan fühlten. Wer nichts falsch machte, davon war er überzeugt, musste sich nicht ängstigen oder nervös sein, wenn der Vize mit einem reden wollte. In diesem Moment verspürte er neben dem üblichen Gefühl auch noch Erleichterung. Sobald er Parthalan erzählt hatte, was er wusste, würde dieser für alles weitere sorgen, darauf konnte er sich verlassen. Vielleicht wäre dies sogar die Änderung, die den Verschlinger endlich stoppen könnte. Diese Hoffnung war vielleicht ähnlich naiv wie die von Lowe, aber sie waren schließlich auch Brüder.[/LEFT] [LEFT]Der Vizeführer bewegte sich auf sein Bett zu, grüßte dabei Kian nebensächlich, genau wie Lowe, und fixierte sich dann auf Cathan. Der starre Blick aus den eisblauen Augen, verstärkt durch die Brillengläser, schien auf seiner Haut zu brennen. Doch er erinnerte sich daran, dass er sich nichts vorwerfen musste.[/LEFT] [LEFT]„Cathan.“ Sogar seine Stimme war eiskalt, mit einem leisen Unterton, der nicht so recht zu ihm zu passen schien. „Du kannst dir sicher denken, worüber ich mit dir sprechen möchte.“[/LEFT] [LEFT]„Über die Zeit, als ich besessen war, ja.“[/LEFT] [LEFT]Parthalans Haltung entspannte sich kaum merklich. „Richtig. Also?“[/LEFT] [LEFT]Sogar Kian schien nun neugierig zu sein, jedenfalls war sein Körper mehr in ihre Richtung geneigt. Lowe neben ihm wartete auch bereits aufmerksam. Cathan war fast ein wenig enttäuscht, dass er ihnen nicht mehr erzählen konnte als das, was er wusste: „Die Erinnerung ist ein wenig diffus, weil so vieles in kurzer Zeit auf mich eingeprasselt ist. Und dann ist da auch noch diese andere Frau gewesen, von der er Besitz ergriffen hat … es war seltsam.“[/LEFT] [LEFT]Eigentlich war dieses Wort nicht stark genug, um auszudrücken, wie er mit all diesen Gefühlen und Erinnerungen konfrontiert empfunden hatte. Aber ein anderes wollte ihm partout nicht einfallen.[/LEFT] [LEFT]„Erzähl mir einfach, was du noch weißt“, sagte Parthalan. „Es wird bestimmt genug sein.“[/LEFT] [LEFT]Was hatte Seline ihm bereits berichtet? Cathan hätte das zu gern gewusst, aber er wollte auch nicht fragen – jedenfalls nicht bevor er selbst geantwortet hatte, um unvoreingenommen zu sein.[/LEFT] [LEFT]„Ich kann keine genaue Erinnerung des Verschlingers benennen, also weiß ich auch nicht, wer er ist. Aber da war viel … Leid und Schmerz. Nicht der von anderen Personen, sondern sein eigener.“[/LEFT] [LEFT]Allein die Erinnerung daran ließ seine Brust wieder eng werden und erschwerte ihm das Atmen. Noch nie war er jemandem begegnet, der mit einer derartigen Last beladen war – und dann war es ausgerechnet ihr Feind.[/LEFT] [LEFT]Parthalan zog die Brauen zusammen. Sein Blick schien für einen Moment in die Ferne zu gehen. Doch er besann sich fast sofort wieder. „Weißt du, warum das so ist?“[/LEFT] [LEFT]Cathan versuchte, sich auf die Erinnerungen zu konzentrieren, so verwischt und konfus sie auch sein mochten. Wie Herbstblätter wurden sie von Windstößen fortgerissen und verloren sich irgendwo in der Dunkelheit.[/LEFT] [LEFT]„Ich bin mir nicht sicher“, antwortete er schließlich. „Aber wenn ich raten müsste, würde ich sagen, dass er diese Zerstörung eigentlich nicht möchte. Er hat aber keine Wahl.“[/LEFT] [LEFT]Das war jedenfalls der Gedanke, der ihn stets aufs Neue durchzuckt hatte: Ich habe keine Wahl. Das ist der einzige Weg. Immer und immer wieder, als müsste er sich selbst davon überzeugen, dass es einen höheren Beweggrund für sein Tun gab.[/LEFT] [LEFT]„Aber“, warf Lowe ein, „was könnte jemanden dazu bringen, Welten auszulöschen, obwohl er es nicht möchte?“[/LEFT] [LEFT]„Ist er vielleicht auch nur von etwas besessen?“, fragte Parthalan.[/LEFT] [LEFT]Cathan schüttelte mit dem Kopf. „Nein, er handelt aus freiem Willen. Das ist sein eigener Plan.“[/LEFT] [LEFT]Zwischen den Männern kehrte eine unangenehme Stille ein, während der jeder seinen eigenen Gedanken nachhing. Dabei fragte Cathan sich, ob Lowe nun endlich den Ernst der Lage begriffen hatte oder ob er nach wie vor an ein Wunder Parthalans glaubte, das sie alle retten würde.[/LEFT] [LEFT]Die Gesprächspause wurde schließlich von jemandem beendet, von dem sie es nicht vermutet hätten: „Warum macht ihr euch eigentlich so einen Kopf darum?“[/LEFT] [LEFT]Sie wandten sich Kian zu, der sie alle mit gerunzelter Stirn ansah. So genervt wie er von ihrem Gespräch schien, wunderte es Cathan, dass er überhaupt so lange zugehört hatte.[/LEFT] [LEFT]Parthalan fragte ihn, was er meinte, worauf Kian mit den Augen rollte. „Na, ganz einfach: Es gibt nur zwei Arten, wie das ausgehen kann. Entweder ihr schafft es, ihn zu besiegen oder wenigstens zu bekehren, oder wir gehen alle drauf, bis er irgendwann von irgendwem anderes aufgehalten wird.“[/LEFT] [LEFT]„Das wissen wir auch“, erwiderte Lowe überraschend ernst.[/LEFT] [LEFT]„Dann ist dieses ganze Blabla doch vollkommen überflüssig!“ Es sah aus, als wolle Kian verzweifelt die Hände hochwerfen, aber da sein neuer Körper ihm noch nicht gänzlich gehorchte, wurden es nur wenige Zentimeter, bevor er schnaubend wieder aufgab. „Ihr könnt ja versuchen, mit ihm zu reden, so wie mit mir damals. Oder ihr tötet ihn sofort. Oder ihr tötet ihn, nachdem ihr geredet habt. So wie ich das sehe, sind das die einzigen Möglichkeiten. Darüber nachzudenken, warum er das tut, bringt euch doch auch nicht weiter.“[/LEFT] [LEFT]Parthalan verschränkte die Arme vor der Brust, dann hob er eine Hand und stützte sein Kinn darin. Lowe tauschte derweil einen unsicheren Blick mit Cathan. Er verstand jedoch, was Kian ihnen zu sagen versuchte – und im Grunde stimmte er ihm zu. Deswegen nickte Cathan schließlich. „Richtig. Wir können ihn bekehren oder ausschalten, bevor er uns vernichtet. Dann sollten wir auch genau das tun, ohne zu überlegen, welche Motive er hat.“[/LEFT] [LEFT]„Ja“, sagte Lowe gedehnt. „Selbst wenn wir verstehen, warum er das tut, ändert das nichts daran, dass es hier um unser aller Leben geht.“[/LEFT] [LEFT]„Endlich habt ihr es kapiert.“ Kian nickte grimmig. „Also entscheidet euch einfach.“[/LEFT] [LEFT]Parthalan ließ die Arme wieder sinken. „Das habe ich bereits. Danke für deine – etwas rüde – Hilfe.“[/LEFT] [LEFT]Dieser kleine Vorwurf schien Kian nicht zu kümmern, genauso wenig wie das Lob. Er zuckte mit den Schultern. „Wenn ihr dann endlich zu labern aufhört, war es das wert.“[/LEFT] [LEFT]Demonstrativ wandte er sich von ihnen ab, gefolgt von einem weiteren Schnauben, als es ihm nicht gelang, eine seiner Hände vernünftig zu heben.[/LEFT] [LEFT]Cathans Aufmerksamkeit galt nun wieder Parthalan. „Wofür hast du dich entschieden?“[/LEFT] [LEFT]Der Vizeführer war in seine erhabene Rolle zurückgekehrt und streifte ihn nur mit einem kurzen Blick, als er die Hände hinter seinem Rücken zusammenlegte. „Wir werden den Weltenverschlinger einfangen und dann versuchen, mit ihm zu verhandeln. Falls das scheitert, haben wir ihn zumindest unter Verschluss.“[/LEFT] [LEFT]Abteracht besaß eine eigene Fänger-Einheit, die darauf spezialisiert war, Dämonen für die Forschung einzufangen – manchmal kam es auch vor, dass sie Wesen einfingen, die sie danach wieder nach Niflheim schickten, weil sie nur zufällig in diese Welt gelangt waren. Also mangelte es nicht an Jägern. Doch Cathan zweifelte daran, dass es einen gab, der es mit dem Verschlinger aufnehmen könnte.[/LEFT] [LEFT]Lowe dagegen war plötzlich in neuem Interesse entflammt. Mit großen Augen sah er Parthalan an. „Wen wirst du für diese Mission losschicken?“[/LEFT] [LEFT]Die Antwort darauf ließ Lowe zufrieden und gleichzeitig stolz lächeln: „Es wird Zeit, dass unser einziger Häftling die Gelegenheit bekommt, sich zu rehabilitieren.“[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]Abteracht war nicht bekannt dafür, Gefangene zu nehmen. Die von den Fängern festgesetzten Dämonen lebten in Käfigen im Labor, negativ aufgefallene Jäger wurden entsprechend ihres Vergehens diszipliniert und früher waren das zumeist nur kleine Fehler gewesen. Lange Zeit hatte es deswegen keinerlei Bedarf nach einem Gefängnis gegeben.[/LEFT] [LEFT]Das hatte sich vor vier Jahren geändert, nachdem durch Luans Brief ans Licht gekommen war, dass ein spezieller Jäger einst für das Wegsperren Ciars im eigenen Körper verantwortlich gewesen war. Einen solchen Verstoß hatte man nicht mit einer wütenden Rede oder einem Schlag auf die Finger durchgehen lassen können; da waren härtere Maßnahmen gefordert.[/LEFT] [LEFT]Also hatte Cerise eigens ein Kellergewölbe errichten lassen, in dem sich mehrere Zellen befanden. Für den Fall, dass wir noch mehr Missetaten aufdecken, hatte sie gesagt, nur wenige Monate bevor sie in ihren Schlaf gefallen war.[/LEFT] [LEFT]Es hatte weitere Frevel gegeben, aber keine Gefangenen mehr. Timothy war von Faren, seinem eigenen Sohn, getötet worden; Albus, Selines Vater, war zu Beginn der Auseinandersetzungen mit Armas irgendwo in Niflheim verschwunden und nie zurückgekehrt. Parthalan wusste nicht, was mit ihm geschehen war. Vielleicht wartete er dort draußen immer noch auf einen geeigneten Moment der Rückkehr, vielleicht interessierte er sich nicht mehr für diese Welt, vielleicht war er zu Tode gekommen. Es war Parthalan egal, solange er ihnen keinen Ärger bereitete.[/LEFT] [LEFT]Deswegen gab es, als er an diesem Tag die Treppe hinabstieg, auch nur einen Gefangenen an diesem Ort.[/LEFT] [LEFT]Cerise hatte darauf geachtet, dass der Hauptgang des Kerkers dunkel und abschreckend wirkte: vereinzelte Fackeln warfen flackernde Schatten an die Wände aus grünlichen Steinziegeln, Stahltüren reihten sich aneinander, irgendwo konnte man Mäuse und Ratten quietschen hören, während gleichzeitig eine unsichtbare Wasserquelle unaufhörlich vor sich hintropfte. Es war ein trostloser Ort, an den niemand gern kam.[/LEFT] [LEFT]Doch die scheinbare Strenge verlief sich rasch, wenn man die Zelle ihres Langzeit-Gefangenen betrat. Angefangen hatte dieser Raum als kleines Quadrat, gerade groß genug, um zwei Schritte zu machen, bis man an der jeweils gegenüberliegenden Wand ankam. Inzwischen hatte es sich zu einer gemütlichen Ein-Zimmer-Wohnung entwickelt, in der genug Platz für Trainingsgeräte war. Zwei davon – eine Latzugmaschine, sowie ein Rad – standen mitten im Raum, wurden an diesem Tag aber nur von jeweils einer schwarzen und einer weißen Katzen belagert. Die Augen der beiden folgten jedem von Parthalans Schritten, während er auf die Pritsche zulief, die auf Wunsch des äußerst vorbildlichen Gefangenen nicht durch ein gemütlicheres Möbelstück ersetzt worden war.[/LEFT] [LEFT]Der Mann, zu dem Parthalan wollte, lag gerade darauf, die Augen geschlossen, aber ein wissendes Lächeln auf den Lippen.[/LEFT] [LEFT]„Na?“, fragte er. „Sehnsucht nach mir gehabt?“[/LEFT] [LEFT]Parthalan überging diese eigenartige Begrüßung. „Farran Lane, ich habe einen Auftrag für dich.“[/LEFT] [LEFT]„Oh?“ Farran öffnete ein Auge. „Sind alle anderen Fänger krank oder in Rente gegangen?“ Er seufzte theatralisch. „Ich habe wirklich absolut keine Ahnung, wie lange ich schon hier bin. Cerise kommt seit Ewigkeiten ja nicht einmal mehr zum Tee vorbei.“[/LEFT] [LEFT]Parthalan dachte darüber nach, ihm zu erzählen, weswegen die Anführerin keine Zeit mehr für so etwas hatte, aber er wollte verhindern, dass Farran glaubte, er sei zum Plaudern hergekommen. Die Verletzlichkeit Abterachts könnte er außerdem noch erörtern, sobald der andere zugestimmt hatte.[/LEFT] [LEFT]Farran verschränkte die Hände unter seinem Kopf und schloss das Auge wieder. „Du musst ja sehr verzweifelt sein, wenn du damit zu mir kommst. Erst vergesst ihr mich hier unten und dann soll ich die Kastanien für euch aus dem Feuer holen?“[/LEFT] [LEFT]Dass er vergessen worden war, kam einer Übertreibung gleich. Man hatte stets sichergestellt, dass er versorgt wurde, sogar Besuch seiner Familie und vereinzelten Freunden war ihm erlaubt gewesen – und seine Katzen waren ebenfalls einheimisch geworden (obwohl Parthalan sich immer noch nicht daran erinnern konnte, dem zugestimmt oder gesehen zu haben, wie sie eingezogen waren). Diese unverzeihliche Einstellung Farrans sorgte dafür, dass Parthalan etwas steif wirkte, als er ihm eine Antwort darauf gab: „Du weißt, dass du etwas wirklich Schlimmes getan hast. Wir mussten ein Exempel an dir statuieren.“[/LEFT] [LEFT]„Und gleichzeitig wolltet ihr mich nicht als Fänger verlieren, ja ja“, konterte Farran sofort. „Sonst hättet ihr ja einfach meinen Dämon extrahieren können, nicht wahr? Lieber sperrt ihr mich hier zusammen mit ihm ein, wahrscheinlich in der Hoffnung, dass ich verrückt werde.“[/LEFT] [LEFT]Parthalan bereute bereits, hierher gekommen zu sein, doch auch der Leiter der Fänger-Einheit hatte ihm versichert, dass Farran der beste für diese Mission war – und es gab nur einen Versuch für diese.[/LEFT] [LEFT]„Unter anderen Umständen würde ich diese Diskussion mit dir auf einer anderen Ebene fortführen, aber die Lage ist wirklich ernst.“[/LEFT] [LEFT]Endlich öffnete Farran beide Augen und sah Parthalan direkt an. „Wie ernst genau?“[/LEFT] [LEFT]Sollte er diplomatisch vorgehen oder die Wahrheit sagen? Womit könnte er jemanden wie diesen Mann am besten überzeugen? Er war manchmal unberechenbar, aber doch musste ihn interessieren, wie es seiner Familie ging, besonders seinem kleinen Bruder. Das machte die Entscheidung einfach: „Wenn wir nichts unternehmen, wird diese Welt zerstört werden.“[/LEFT] [LEFT]Entgegen Parthalans Hoffnung schloss Farran die Augen wieder. Nachdenkliches Schweigen legte sich über die Zelle und erfüllte den Vizeführer mit einem ihm verhassten Gefühl von Unsicherheit. Weswegen war es für Farran so leicht, das in ihm auszulösen?[/LEFT] [LEFT]Nein, es musste an der Situation an sich liegen, die ihm unangenehm war. Der fast sicheren Zerstörung entgegenzusehen, ohne die positive Sichtweise von Cerise neben sich, war etwas, dem selbst Parthalan nichts zu erwidern wusste. Dennoch musste er stark bleiben, um zumindest den Eindruck zu vermitteln, dass er wusste, was zu tun war. Sein Rücken blieb deswegen durchgestreckt, seine Schultern stark und sein Kopf erhoben, selbst während er auf Farran hinabblickte.[/LEFT] [LEFT]Schließlich seufzte der Gefangene, der einzige Hoffnungsträger im Moment. Schwungvoll setzte er sich aufrecht hin und blickte den Vizeführer ernst an. „Erzähl mir mehr darüber.“[/LEFT] Kapitel 27: Bereust du es? -------------------------- [LEFT]Luan trat das erste Mal durch die Tür auf die Dachterrasse von Abteracht. Da er zuvor noch nie hier gewesen war, fiel sein Blick zuerst auf die Aussicht: Statt auf die Stadt konnte man auf den Innenhof der Einrichtung sehen. Ungewöhnlich große Bäume wuchsen hier in den Himmel, mit blutroten Blättern, die sanft in einer kaum merklichen Brise wehten; die Pflanzen schienen genauso wenig der Realität zu entstammen wie der Wind, der lediglich dort unten umherging, die Terrasse jedoch verschonte. Lehnte man sich über die steinerne Brüstung, sah man auf einen Felsen hinab, der zu einem Brunnen umfunktioniert worden war. Mehrere Personen unterhielten sich neben diesem, scheinbar vollkommen unbelastet von allen Problemen dieser Welt. Er beneidete diese Leute, die er nicht einmal kannte, so sehr, dass er leise seufzte.[/LEFT] [LEFT]„Manche haben ein Glück, was?“[/LEFT] [LEFT]Die ungewohnte Stimme holte Luan aus seinen Gedanken. Er wandte den Blick zur Seite und entdeckte Farran, der mit der Hüfte an einer der zwei Säulen hier lehnte, die Arme verschränkt hielt und ebenfalls nach unten sah. Selbst in seiner eigenen Zeit hatte Luan den anderen nur selten gesehen, aber er wirkte wie immer: das schulterlange schwarze Haar war teilweise zu einem kleinen lockeren Pferdeschwanz gebunden, Hemd und Hose wirkten ein wenig zu groß, als könne er das schlecht einschätzen – oder als ob er die damit einhergehende Bequemlichkeit mochte.[/LEFT] [LEFT]Luan war geschickt worden, um genau mit diesem Mann zu reden, zu besprechen, wie das weitere Vorgehen gegen den Weltenverschlinger aussehen sollte, aber nun, da er hier war, bildete sich ein Knoten in Luans Eingeweiden. In der Vergangenheit hatte er nie ein Wort mit Farran gewechselt, aber er kannte die Geschichten über ihn, und diese gefielen ihm nicht. Er wich einen Schritt zurück. Farran seufzte darauf. „Du vertraust mir wohl nicht, was?“[/LEFT] [LEFT]„Ich bin mir nicht sicher.“ Luan zögerte. „Das, was du Ciar angetan hast, ist wirklich schlimm gewesen.“[/LEFT] [LEFT]Farran löste sich von der Säule, ließ die Arme sinken und sah Luan an. Seine dunklen Augen waren immer noch undurchdringlich, aber inzwischen lag auch ein Ausdruck von Resignation darin.[/LEFT] [LEFT]„Ich weiß“, sagte er.[/LEFT] [LEFT]„Bereust du es?“ Diese Frage hatte er immer schon stellen wollen, war aber nie dazu gekommen. In seiner alten Zeit hatte Luan damit nicht Kieran verärgern wollen. Vielleicht war dieser immerhin nie an einer Antwort darauf interessiert gewesen. Aber wenn sie schon hier standen und das Thema angeschnitten hatten, könnte Luan endlich seine Neugier befriedigen.[/LEFT] [LEFT]Farran stemmte eine Hand in seine Hüfte und neigte den Kopf. „Um ehrlich zu sein bereue ich es nicht. Manchmal muss man Dinge tun, die bescheuert und falsch sind, weil keiner dir helfen will.“[/LEFT] [LEFT]Luan wollte bereits widersprechen, aber Farran ließ ihn nicht zu Wort kommen: „Man kann einsehen, dass man einen Fehler gemacht hat und muss ihn dennoch nicht bereuen. Nur dadurch kam es dazu, dass Kieran und Ciar eigene Identitäten entwickelten – und dass Ciar seine Lektion gelernt hat.“[/LEFT] [LEFT]„Das mit Kieran finde ich ja gut“, brachte Luan hervor. „Aber trotzdem war das gemein für Ciar. Hättest du ihm die Lektion nicht anders beibringen können?“[/LEFT] [LEFT]„Vielleicht. Aber damals hatten wir nicht viele Alternativen und wir mussten schnell handeln.“[/LEFT] [LEFT]Farran schloss die Augen. Er wirkte in Gedanken verloren, vielleicht erinnerte er sich gerade an damals, als sie diese Lösung beschlossen hatten.[/LEFT] [LEFT]„Ich weiß“, fuhr er fort, „dass es furchtbar war, was wir ihm angetan haben. Deswegen würde ich so auch nicht noch einmal handeln. Inzwischen kenne ich das Gefühl immerhin selbst ein wenig.“[/LEFT] [LEFT]„Tust du das denn wirklich?“, fragte Luan zweifelnd.[/LEFT] [LEFT]Obwohl er so wenig über den anderen wusste, konnte er sich einfach nicht vorstellen, dass er wusste, wie Ciar sich gefühlt hatte, allein, eingesperrt in seinem eigenen Körper, ohne die geringste Aussicht auf eine baldige Rettung. Wie einsam es gewesen sein musste, wie hoffnungslos.[/LEFT] [LEFT]Farrans Mundwinkel hoben sich ein wenig. „Was denkst du, warum Cerise mich in einem dunklen Kerker eingesperrt hat? Bestimmt nicht nur aus Symbolkraft für die anderen Jäger.“[/LEFT] [LEFT]Konnte das wirklich sein? Würde Cerise so etwas tun?[/LEFT] [LEFT]Farran schnitt eine schmerzliche Grimasse. „Anfangs war sie oft bei mir, um mir zu erklären, was für einen Fehler ich begangen habe, und dass die Strafe extra darauf abgestimmt gewesen war, um mir zu zeigen, wie Ciar sich gefühlt haben muss.“[/LEFT] [LEFT]Es war nicht dasselbe, aber dass so eine Strafe gerade von jemandem wie Cerise kam, musste sie um einiges schwerer wiegen lassen; besonders, wenn man überzeugt war, das Richtige getan zu haben.[/LEFT] [LEFT]„Du wirkst dennoch unzufrieden“, bemerkte Farran nach einem Blick auf Luan. „Weißt du eigentlich, über welche Kräfte Cerise verfügt?“[/LEFT] [LEFT]Er schüttelte mit dem Kopf. Es war ihm nie erzählt worden, aber er hatte auch nie gefragt oder darüber nachgedacht. Sie war die Anführerin der Jäger von Abteracht, einer Gruppe, die im Allgemeinen über viel Macht verfügte, das musste im Prinzip also bedeuten, dass sie alle übertraf. Jedenfalls war es bei Atanas so gewesen.[/LEFT] [LEFT]„Wahrscheinlich kannst du dir denken, dass sie ziemlich stark ist“, bestätigte Farran seine Gedanken. „Aber nebenbei kann sie auch noch einige Dinge mit deinem Verstand anstellen, die du lieber nicht erleben willst.“[/LEFT] [LEFT]Sein Blick schien wieder in die Ferne zu gehen. Er erinnerte Luan ein wenig an ein verlorenes Kind, das eine schlimme Erfahrung gemacht hatte, und ließ sogar Mitleid in ihm aufwallen. Hatte er irgendwann einmal auch so für andere ausgesehen?[/LEFT] [LEFT]„Klar“, fuhr Farran fort, „ich hab nach einiger Zeit ein paar Extras bekommen, das will ich nicht abstreiten, aber ich kann durchaus verstehen, was ich Ciar angetan habe. Und obwohl ich es nicht bereue, tut es mir leid.“[/LEFT] [LEFT]In seinen Augen konnte Luan Aufrichtigkeit herauslesen, aber dennoch … selbst wenn es so war, gelang es ihm nicht, Farran wirklich zu verzeihen. Glücklicherweise war das jedoch auch nicht seine Aufgabe und als jemand, der einen Fehler gemacht hatte, der sogar für die Situation mit dem Weltenverschlinger verantwortlich war, konnte Luan nicht guten Gewissens auf ihn einreden.[/LEFT] [LEFT]Doch ehe er dazu etwas sagen konnte, erklang hinter ihnen eine andere Stimme: „Glaubst du echt, damit kannst du dich rausreden?“[/LEFT] [LEFT]Luan wandte sich dem Neuankömmling zu. Ciar näherte sich ihnen mit gefassten Schritten, den Blick vollkommen auf Farrans Rücken fokussiert, da dieser sich nicht umgedreht hatte. Erst als Ciar hinter ihm stehenblieb, blieb Farran nichts anderes übrig als sich ihm zuzuwenden. Er lächelte dabei gequält. „Ich hätte nicht gedacht, dich so schnell wiederzusehen.“[/LEFT] [LEFT]„Lenk nicht ab!“ Ciar runzelte die Stirn. „Beantworte mir meine Frage.“[/LEFT] [LEFT]Für einen Moment sah es so aus als müsste Farran sich erst wieder daran erinnern, was der andere von ihm wollte. Doch bevor Luan dazu kommen konnte, ihm dabei zu helfen, klarte sein Gesicht sich bereits wieder auf.[/LEFT] [LEFT]„Da ich dachte, wir sehen uns erst später, wollte ich bis dahin überlegen, wie ich mich herausrede.“ Farran hob die Arme in einer Geste von Hilflosigkeit. „Ich hätte mir eine tolle Story überlegt.“[/LEFT] [LEFT]„Lächerlich!“ In Ciars Augen funkelte Wut. „Mir ist egal, welches Märchen du mir auftischen wolltest oder wie ach-so-schlimm Cerise dich behandelt hat. Du wirst ohnehin nie nachvollziehen können, wie ich mich gefühlt habe!“[/LEFT] [LEFT]Genau das war Luans Befürchtung gewesen. Ciar war so lange eingesperrt gewesen, dass es Narben hinterlassen hatte, deren Tiefe er sich nicht einmal vorzustellen wagte. Vielleicht war es daher das beste, wenn er seine Emotionen an Farran auslassen konnte.[/LEFT] [LEFT]„All die Jahre, in denen ich nicht wusste, ob ich jemals wieder einen eigenen Willen haben könnte! In denen ich zusehen musste, wie ich von jemandem ersetzt wurde, der nicht einmal ansatzweise so war wie ich! Und niemanden, den das zu kümmern schien.“ Ciar schüttelte mit dem Kopf. „Du kannst dir das nicht im Mindesten vorstellen.“[/LEFT] [LEFT]Farrans Lächeln war inzwischen verschwunden, sein Gesicht ernster als zuvor. So wirkte er älter als sein eigener Vater, wie Luan fand.[/LEFT] [LEFT]„Ich denke, damit hast du recht“, sagte er.[/LEFT] [LEFT]„Ich bin noch nicht fertig!“, fuhr Ciar dazwischen. „Ehrlich gesagt will ich auch gar nicht, dass du es verstehst. Ich hatte genug Zeit, um über all das nachzudenken, und ich habe im Grunde damit abgeschlossen. Inzwischen ist mir ziemlich egal, was aus dir wird, ich hatte sogar schon vergessen, dass du überhaupt eingesperrt worden bist. Oder dass du existierst.“[/LEFT] [LEFT]Was wollte er dann? Trotz seiner offenen Aggressivität glaubte Luan nicht, dass er zum Kämpfen gekommen war, nach diesen Worten schon gar nicht.[/LEFT] [LEFT]Ciar stemmte den Arm in die Hüfte und machte eine wegwerfende Handbewegung in Farrans Richtung. „Sicher vergebe ich dir aber auch nicht so einfach. Das einzige, worum es mir gerade geht ist, dass du einen ziemlich erbärmlichen Eindruck machst. Und das kann ich gar nicht brauchen! Weißt du eigentlich, wie das auf mich abfärbt, wenn alle denken, ich wäre von einem Schwächling besiegt worden? Also raff dich endlich mal und suhl dich nicht in deinem Selbstmitleid!“[/LEFT] [LEFT]Luan war unwillkürlich zurückgewichen, nur um nun irritiert zu blinzeln, genau wie Farran. „Bitte was?“[/LEFT] [LEFT]„Du hast mich schon verstanden!“ Ciar schnaubte, fast schon theatralisch. „Ich hab hier einen Ruf zu verlieren, und ich lasse ihn mir bestimmt nicht von dir kaputtmachen. Also reiß dich zusammen.“[/LEFT] [LEFT]Farran wusste offenbar nicht so recht, was er darauf antworten sollte, und sah Luan an. Dieser wusste es genauso wenig, aber um diese Situation nicht eskalieren zu lassen, stellte er eine Frage, die ihn beschäftigte: „Was, wenn Farran das nicht kann, bevor er eine Aussicht auf Vergebung hat?“[/LEFT] [LEFT]Ciar rollte mit den Augen. „Du passt echt gut in die Familie. Dad und Lowe haben mich genau dasselbe gefragt.“[/LEFT] [LEFT]Freudige Hitze schoss Luan ins Gesicht. Selbst in dieser alternativen Zeitachse, in der er kaum etwas mit den Lanes erlebt hatte, reagierte er wie zwei von ihnen, das war zu schön, um wahr zu sein. Außerdem sagte es ihm auch, dass Ciar mit den beiden über Farran gesprochen hatte und diese Unterhaltung möglicherweise tatsächlich ein Versuch der Versöhnung war.[/LEFT] [LEFT]Allerdings fehlte noch Ciars Antwort.[/LEFT] [LEFT]„Wie gesagt, mir ist das inzwischen vollkommen egal, aber wenn es sooo wichtig ist für ihn, kann er mich und Kian ja zum Essen einladen. In einem Lokal meiner Wahl. Und das wird nicht billig.“[/LEFT] [LEFT]Farrans Lippen kräuselten sich zum Ansatz eines Lächelns. „Okay, einverstanden.“[/LEFT] [LEFT]Er streckte Ciar die Hand entgegen, der sofort einschlug, als könne er es kaum erwarten, dieses Thema hinter sich zu lassen. Farran dagegen fand wohl endlich seinen Mut wieder: „Da komme ich echt gut davon. Ich hatte eigentlich vor, dir ein Auto zu kaufen.“[/LEFT] [LEFT]Ciars Augen weiteten sich, rasch löste er seine Hand wieder von Farrans. „Was?! Dann nehme ich natürlich das Auto! Das ist eine viel bessere Wiedergutmachung.“[/LEFT] [LEFT]„Schon zu spät“, erwiderte Farran triumphierend. „Du hast bereits zugestimmt und eingeschlagen.“[/LEFT] [LEFT]„Das habe ich auch gesehen“, sagte Luan.[/LEFT] [LEFT]Diesmal betrachtete Ciar sie mit verengten Augen; für einen Moment befürchtete Luan, dass er sie gleich beide angreifen würde. Doch da seufzte er bereits und stemmte beide Arme in die Hüften. „Ich hab das Gefühl, du hast mich schon wieder besiegt.“[/LEFT] [LEFT]Seine Worte klangen gönnerhaft, möglicherweise war dies, was einer Vergebung von Ciar am nähesten kam. Deswegen sagte Luan auch nichts dazu, genauso wie Farran, der endlich wieder ein verschmitztes Lächeln auf den Lippen trug.[/LEFT] [LEFT]„Ein Grund mehr, dass du dir bei diesem Weltenverschlinger Mühe gibst, verstanden? Ich kann nicht zulassen, dass dein Versagen mich in einem schlechten Licht dastehen lässt. Wenn ich schon besiegt werde, dann bitte von einem der Besten.“[/LEFT] [LEFT]Stimmt, da war ja noch was. Luan durfte das eigentliche Ziel und den Grund, wegen dem er hier war, nicht aus den Augen verlieren. Doch er kam nicht dazu, das Thema selbst anzuschneiden, da Farran plötzlich in Richtung Tür nickte. „Scheint als wären wir nicht allein.“[/LEFT] [LEFT]Als Luan seinem Blick folgte, entdeckte er Kieran. Sein Herz schlug sofort schneller, doch sein Verstand sagte ihm, dass es sinnlos war; sie gehörten nicht mehr zusammen.[/LEFT] [LEFT]Zu seiner großen Überraschung winkte Ciar den anderen zu sich. Erst nachdem er einige Schritte gegangen war, stellte Ciar ihm auch eine Frage: „Was machst du hier?“[/LEFT] [LEFT]„Parthalan hat gesagt, dass Farran wieder frei ist“, erklärte Kieran. „Ich wollte nur sichergehen, dass du ihm nichts antust.“[/LEFT] [LEFT]„Wofür hältst du mich?“ Ciar klang fast schon vergnügt. „Ich wollte ihm nur meine Meinung sagen. Dann hat er mir ein Essen versprochen. Ist doch nett, oder?“[/LEFT] [LEFT]Kieran musterte ihn skeptisch, dann sah er zu Farran, der die Schultern hob. „Ist günstiger als ein Auto.“[/LEFT] [LEFT]Nun wirklich ratlos sah Kieran zu Luan, der einfach nur lächelnd mit dem Kopf schüttelte. Das alles zu erklären würde zu viel Zeit einnehmen.[/LEFT] [LEFT]Da er kein Teil dieser Unterhaltung werden konnte, lenkte Kieran das Gespräch wieder auf ein anderes Thema: „Ich möchte kein Spielverderber sein, aber wie hast du vor, gegen den Verschlinger vorzugehen? Nicht einmal Seline konnte viel ausrichten.“[/LEFT] [LEFT]„Davon habe ich gehört“, sagte Farran. „Parthalan hat mich schon in die Umstände eingeweiht. Deswegen sprach ich mit Blackburn, und wir haben einen Plan entwickelt.“[/LEFT] [LEFT]Blackburn? Luan kannte niemanden, der so hieß. Glücklicherweise fing Ciar seinen ratlosen Blick auf und lieferte ihm direkt die Erklärung: „Das ist der Leiter der Fänger-Abteilung. Er ist ungefähr eine Millionen Jahre alt oder so.“[/LEFT] [LEFT]„Ach was, er bekommt noch nicht mal Rentnerrabatt“, widersprach Farran sofort. „Darüber beschwert er sich dauernd.“[/LEFT] [LEFT]Ciar deutete mit einer Hand an, dass er sich da nicht so sicher war, doch bevor sie in eine Diskussion geraten konnten, meldete Luan sich wieder: „Also warum genau werden eigentlich die Fänger damit beauftragt, gegen den Verschlinger zu kämpfen?“[/LEFT] [LEFT]„Parthalan möchte ihn einfangen, um ihn dann selbst befragen zu können“, antwortete Farran knapp. „Dafür braucht er mich. Und ich benötige einen Köder.“[/LEFT] [LEFT]Alle drei Männer sahen Luan an, der nur einen kurzen Augenblick benötigte, um zu verstehen: „Oh. Aber warum gerade ich?“[/LEFT] [LEFT]„Es ist doch offensichtlich“, sagte Kieran. „Er hat sich schon einmal die Mühe gemacht, dich zu entführen. Das heißt, er hat irgendein Interesse an dir. Das ist vermutlich der einzige Weg, ihn herauszulocken.“[/LEFT] [LEFT]Das klang tatsächlich logisch. Da er außerdem Schuld an dieser ganzen Situation war, durfte er sich auch nicht darüber beschweren. Ihm würde schon nichts geschehen, besonders nicht solange mindestens ein Lane über ihn wachte. Alles könnte gut enden, wenn sie den Verschlinger wirklich einfingen und ihn vielleicht sogar davon abhielten, weitere Welten zu zerstören. Es war ihnen bereits bei Kian, Morte, Ares und Haze gelungen, warum dann nicht auch bei ihm? Mehr benötigte Luan nicht, um sich selbst zu überzeugen.[/LEFT] [LEFT]„Okay“, sagte er. „Ich bin dabei. Wie sieht der weitere Plan aus?“[/LEFT] Kapitel 28: Das werde ich nicht zulassen (Teil 1) ------------------------------------------------- [LEFT]Das Vermillion-Viertel am Stadtrand von Cherrygrove war der große Traum der Investoren gewesen. Mehr Wohnungen, mehr Arbeitsplätze, mehr Natur. Es war nicht nur alles schon geplant, abgesegnet und erwartet, das Bauen hatte auch bereits begonnen – bis ein verheerendes Ereignis die Umgebung verwüstete, mehrere schon beendete Häuser einstürzen ließ und tiefe Gräben erschuf. Danach waren der Plan und alle Baustellen aufgegeben worden.[/LEFT] [LEFT]Natürlich wussten die meisten Personen nicht, dass dieses Ereignis nur eintreten konnte, weil dies der Schauplatz des Kampfes zwischen Cerise und Atanas gewesen war. Farran wusste das auch nur, weil Parthalan und Blackburn ihm bei der Planung davon erzählten, er hatte damals bereits im Gefängnis gesessen, statt an diesem Kampf teilzunehmen.[/LEFT] [LEFT]Inzwischen war das Viertel zur Sperrzone erklärt worden. Die verfallenen Gebäude dienten einigen Tierarten als Zuhause und Urban Explorern als Erkundungsgebiet. Farran hatte in der Nacht einige der dadurch entstandenen Videos angesehen, um ein besseres Gefühl für das Areal zu bekommen, wenn er dort kämpfen sollte. So fühlte es sich an als kenne er diesen Ort bereits, als er gemeinsam mit Luan und Ares dort ankam.[/LEFT] [LEFT]Außer ihnen schien niemand hier zu sein, abgesehen von einem großen weißen Vogel. Unter lautem Protest flog er aus einem der höheren Stockwerke eines Hochhauses, von dem nur eine Hülle übrig geblieben war.[/LEFT] [LEFT]Die drei folgten ihm mit den Augen. Nachdem er nicht mehr zu sehen war, seufzte Luan. „Wird das wirklich funktionieren?“[/LEFT] [LEFT]„Überlass das nur mir“, antwortete Farran. „Ich habe sogar ein besonders starkes Fangnetz bekommen, um ihn nach Abteracht zu bringen.“[/LEFT] [LEFT]Die Begegnung mit Ciar auf dem Balkon hatte ihm gutgetan, dadurch war ein großer Teil seines Ehrgeizes geweckt worden. Gemeinsam mit Blackburn hatte er dann noch innerhalb der letzten Woche trainiert, um sicherzustellen, dass er fit genug wäre, um gegen den Weltenverschlinger anzugehen; sein gesamtes Wissen über diesen rührte bislang von einem Gespräch mit Cathan und Seline, aber das wäre nicht das erste Mal, dass er blind in einen Kampf ging – das war schließlich der Zweck der Fänger.[/LEFT] [LEFT]Luan bedachte ihn mit einem sorgenvollen Blick, dem Farran ein Lächeln entgegensetzte. „Zerbrich dir nicht deinen Kopf. Sei einfach so köderig wie du sein kannst.“[/LEFT] [LEFT]Das Wort schien ihn zu verwirren, er runzelte die Stirn.[/LEFT] [LEFT]Farran sah zu Ares. „Such dir mit ihm ein gutes Versteck, und pass auf ihn auf.“[/LEFT] [LEFT]Wie üblich redete der andere nicht mit ihm, er nickte nur. Was immer ein anderer Farran ihm einmal angetan hatte, musste heftig gewesen sein. Vielleicht waren es ja sogar mehrere aus verschiedenen Welten gewesen.[/LEFT] [LEFT]Ares ergriff Luans Arm und zog ihn mit sich. Der Junge stolperte ihm erst hinterher, bis er mit Ares in Gleichschritt fiel. Er warf dennoch einen Blick zu Farran zurück, worauf dieser ihm lächelnd zuwinkte. Das schien ihn soweit zu beruhigen, dass er wieder nach vorne sehen konnte.[/LEFT] [LEFT]Es hatte ein wenig gedauert, Luan davon zu überzeugen, dass er zwar den Köder spielen, aber dabei nicht auf dem Kampffeld sein sollte – nur um sicherzugehen –, doch Parthalan war es schließlich gelungen. Dass Ares ihn beschützen sollte, war auch eine Idee des Vizeführers gewesen. Der ehemalige Zerstörer wäre die letzte Verteidigungslinie, falls Farran es nicht schaffen sollte.[/LEFT] [LEFT]Aber er hatte nicht vor, es dazu kommen zu lassen.[/LEFT] [LEFT]Er streckte sich ausgiebig und atmete tief durch. Der Geruch von Schnee lag in der Luft. Wie lange war es her, seit er solchen das letzte Mal gesehen hatte? Und wenn er hier versagte, gäbe es nie wieder Schnee.[/LEFT] [LEFT]Mit langsamen Schritten ging tiefer in das Viertel hinein. Mit ein bisschen Fantasie konnte er sich vorstellen, dass es wirklich schön geworden wäre, besonders mit den geplanten Spielplätzen und den öffentlichen Brunnen. Vielleicht hätte er sich selbst eine Wohnung hier gegönnt – mit etwas Glück wurde das Projekt irgendwann wieder aufgenommen.[/LEFT] [LEFT]„Dafür musst du diesen Kerl erst einmal besiegen“, bemerkte eine Stimme, von der er gehofft hatte, sie nicht mehr hören zu müssen, denn während seiner Haft war er davon verschont worden.[/LEFT] [LEFT]Er rollte mit den Augen. „Hast du es immer noch nicht geschafft, zu sterben, Ophelia?“[/LEFT] [LEFT]Die geisterhafte Gestalt einer jung aussehenden Frau – er verstand nicht, wie sie selbst im Tod so eitel sein konnte – erschien neben ihm. Ketten und blaue Flammen wanden sich wie lose Bänder um ihren Körper. Der Blick ihrer roten Augen schien ihn weiterhin aufspießen zu wollen. „Ich verschwinde erst, wenn ich beobachtet habe, wie du krepierst und deine Seele in der Hölle landet.“[/LEFT] [LEFT]Er verzog das Gesicht zu einem leicht amüsierten, leicht gelangweilten Grinsen. Es war immer dieselbe Leier mit ihr.[/LEFT] [LEFT]„Das wird aber kaum möglich sein“, fuhr sie fort, „wenn dieser Kerl die Welt verschlingt. So wie ich das verstehe, sitzen wir dann weiter zusammen fest – nur eben innerhalb des Verschlingers.“[/LEFT] [LEFT]Ausnahmsweise wies er sie nicht darauf hin, dass sie nicht festsaß, nein, sie hatte sich entschieden zu bleiben, wie ein anhänglicher Dämon, der einfach nicht verschwinden wollte. Tanis grollte in seinem Inneren bei diesem Vergleich. In gewisser Weise konnte er Tanis' Zorn dabei sogar nachvollziehen: Sein Dämon hatte sich nicht entschieden, zu ihm zu kommen, unfähig, ihn zu Lebzeiten aus eigenem Abtrieb zu verlassen. Ophelia dagegen war kurz vor ihrem Tod derart voller Hass auf ihn gewesen, dass sie ihre Seele mit seiner verbunden hatte, nur um ihn irgendwann sterben zu sehen, allerdings erlaubte der Zauber ihr nicht, ihm Schaden zuzufügen. Sie konnte sich jederzeit entscheiden, den Bund zu beenden und endgültig ins Jenseits überzugehen. Das wollte sie allerdings nicht, weil sie dickköpfig war.[/LEFT] [LEFT]„Und das Schicksal klingt schlimmer als der Tod.“ Sie schnaubte, wirkte regelrecht angewidert, und warf den Kopf zurück. „Deswegen helfe ich dir dieses eine Mal.“[/LEFT] [LEFT]„Da fühle ich mich aber geehrt.“[/LEFT] [LEFT]Sie reagierte darauf nicht, aber ihr verkrampfter Kiefer verriet ihm, wie wütend sie war.[/LEFT] [LEFT]Damit sie nicht zu sehr in ihrem Hass gärte – und sie am Ende doch noch einen Weg fand, ihn selbst zu töten – wechselte er das Thema: „Du hättest mich ruhig mal während meiner Haft besuchen können. Ich dachte, es würde dir gefallen, mich leiden zu sehen.“[/LEFT] [LEFT]„Es war schön zu beobachten, wie Cerise dich quält – aber ansonsten war es mir zu langweilig. Ich habe lieber Abteracht erkundet, soweit die Verbindung es zuließ.“[/LEFT] [LEFT]Wie viel Bewegungsfreiheit sie besaß wusste er nicht, aber es dürfte zumindest für einige Bereiche Abterachts gereicht haben. Vielleicht wäre das an diesem Tag dann sogar einmal nützlich für ihn.[/LEFT] [LEFT]Auf einem Platz, der von vier Hochhäusern umgeben war, hielt er wieder inne. Die Gebäude bildeten die Ecken eines Quadrats, was ihn nur wieder darin bestätigte, dass es in einer anderen Zeit ein schönes Viertel geworden wäre.[/LEFT] [LEFT]Ophelia ging noch einige Schritte weiter, dabei sah sie direkt in den mit grauen Wolken überzogenen Himmel. Die Ketten und die Flammen um sie bewegten sich immerzu, Farran wurde leicht übel, wenn er das lange beobachtete, deswegen sah er zur Seite. Sie kümmerte sich nicht darum. „Er ist nicht mehr weit weg. Ich lasse euch dann vorerst allein.“[/LEFT] [LEFT]Sie verschwand so schnell wie sie gekommen war. Er ahnte, dass sie lediglich hoffte, nichts tun zu müssen, weil er sich bereits darum kümmerte.[/LEFT] [LEFT]„Dann wird es mal Zeit zum Einsatz, Tanis“, murmelte Farran, um den Dämon aufzurütteln.[/LEFT] [LEFT]Tanis knurrte in seinem Inneren. „Hältst du diesen Kampf für eine gute Idee? Glaubst du wirklich, du kannst ihn aufhalten?“[/LEFT] [LEFT]Es war nicht das erste Mal, dass sie dieses Gespräch führten, in der letzten Woche war es öfter ein Thema zwischen ihnen gewesen. Bislang war Farran einer Antwort immer ausgewichen, aber er musste sich dem nun stellen, wenn er wirklich auf die Hilfe seines Dämons zählen wollte.[/LEFT] [LEFT]Er schloss die Augen. „Ich weiß es nicht. Aber ich werde es versuchen. Diese Welt ist mir zu wichtig, um einfach zuzusehen, wie sie zerstört wird. Und ich bin ja nicht allein.“[/LEFT] [LEFT]Ophelias Unterstützung war ihm sicher; als ehemalige Direktorin der Hexenschule Adhara, deren Ziel die Weltherrschaft gewesen war – wie vermessen das auch sein mochte, er empfand immer noch Bewunderung dafür, dass sie ihren perfiden Plan hinter den Rücken von Atanas und Cerise fast zur Vollendung gebracht hätte, wäre er nicht eingeschritten – dürfte er damit eine wichtige Verbündete haben.[/LEFT] [LEFT]Dann gab es noch Ares, der Luan beschützte. Und die restlichen Schulen, die auch nicht einfach nur zusehen würden. Außerdem bestand die Hoffnung, dass Cerise vielleicht in der Stunde ihrer größten Not wieder erwachte und sie alle rettete – eigentlich war es eher ein Wunschtraum.[/LEFT] [LEFT]„Und zu guter Letzt habe ich ja noch dich, Tanis.“ Farran legte eine Hand auf sein Herz, er kam sich vor wie jemand, der einen Schwur ablegte, fast ein wenig lächerlich sogar. „Wir hängen da zusammen drin, genau wie früher.“[/LEFT] [LEFT]Das leise Grummeln, das darauf als Antwort folgte, interpretierte er als Zustimmung.[/LEFT] [LEFT]Mit neuer Zuversicht erfüllt öffnete er die Augen wieder. Gerade rechtzeitig, um die Ankunft einer weiteren Person beobachten zu können. Es war eine Frau mit schulterlangem braunen Haar, ihre hellen Augen wirkten leer – doch wesentlich auffälliger war ohnehin die enorme Macht, die von ihr ausging, derart intensiv, dass sie ihm den Atem zu rauben drohte. Als greife jemand nach seinem Hals und drückte zu, ganz langsam, nur um ihn erst einmal in Panik zu versetzen und sich an seiner Reaktion zu ergötzen.[/LEFT] [LEFT]Er atmete bewusst tief durch, schüttelte jeden Gedanken an Hände an seiner Kehle ab. Dann setzte er ein spöttisches Lächeln auf. „So, du bist also der Weltenverschlinger von dem alle reden, hm? Ich habe mehr erwartet als ein Mädchen, das scheinbar gerade erst wahlfähig geworden ist.“[/LEFT] [LEFT]„Wie schlagfertig.“ Sie sah ihn direkt an, setzte ihre Schritte seitlich.[/LEFT] [LEFT]Er spiegelte ihre Bewegungen, damit sie sich umkreisen konnten. Ihre Energie folgte ihm, musterte ihn aufmerksam, wartete nur darauf, ihn erneut zu packen.[/LEFT] [LEFT]„Ich nehme nicht an, dass du mir einfach sagen wirst, wo Luan ist?“[/LEFT] [LEFT]Er tippte sich an die Stirn. „Nicht schlecht. Du bist ja wirklich klug.“[/LEFT] [LEFT]„Oh~. Danke für das Kompliment~.“ Sie lachte humorlos. „Vielleicht bin ich aber nicht so intelligent wie du denkst, schließlich bin ich auf euren Köder hereingefallen.“[/LEFT] [LEFT]Inzwischen hatten sie sich fast zur Hälfte gekreist und die Seiten gewechselt. Er wartete auf eine unbedachte Bewegung von ihr, sie tat dasselbe bei ihm. Wer immer den ersten Angriff wagte, wäre sofort im Nachteil.[/LEFT] [LEFT]„Stiehlst du überall Luans?“, fragte er, um sie aus der Reserve zu locken.[/LEFT] [LEFT]„Mach dich nicht lächerlich. Es ist nur dieser bestimmte Luan, der mich interessiert.“[/LEFT] [LEFT]„Warum?“[/LEFT] [LEFT]Sie wackelte mit dem Zeigefinger. „Ah-ah-ah! Nur weil ich auf euren Plan hereinfalle, bedeutet das nicht, dass ich so dumm bin, dir von meinem zu erzählen.“[/LEFT] [LEFT]„Ich dachte, du willst vielleicht plaudern, bevor ich dich fertigmache.“[/LEFT] [LEFT]Süffisant lächelnd strich sie sich durch eine lange Haarsträhne, die ihr Gesicht einrahmte, selbst in diesem Moment zeigten ihre Augen keinerlei Emotionen. „Da du von mir gehört hast, weißt du sicher auch, dass ich schon viele deiner Art geschlagen habe. Warum glaubst du, einen Unterschied machen zu können?“[/LEFT] [LEFT]„Weil ich im Gegensatz zu dir nicht denke, dass man jeden Gegner verallgemeinern kann.“ Er hob die Schultern. „Vielleicht bin ich aber auch nur unglaublich selbstsicher.“[/LEFT] [LEFT]„Das wird es wohl sein.“[/LEFT] [LEFT]An ihrem jeweiligen Ausgangspunkt angekommen hielten sie wieder inne, seine Aufmerksamkeit ließ kein bisschen nach. Er glaubte, jeden einzelnen Muskel in seinem Körper spüren zu können, angespannt darauf wartend endlich zum Einsatz zu kommen, sich nach so langer Zeit endlich wieder austoben zu dürfen.[/LEFT] [LEFT]Keiner von ihnen sagte ein Wort.[/LEFT] [LEFT]Von irgendwoher hörte er das Kreischen einer Krähe, die sich von ihnen entfernte, es war wie ein Startschuss für sie beide.[/LEFT] [LEFT]Die fremde Energie zog sich zurück, sammelte sich um die aktuelle Form des Weltenverschlinger, konzentrierte sich derart, dass sich etwas Blaues an ihrem rechten Arm bildete.[/LEFT] [LEFT]Farrans Atmung flachte ein wenig ab. An seiner Seite erschien eine violette Flamme, deren Form der einer langen Axt ähnelte.[/LEFT] [LEFT]Ein Windstoß fegte zwischen ihnen entlang, wirbelte Staub und Sand auf, der ihren Blickkontakt unterbrach. Doch den benötigten sie auch nicht mehr – denn sie stürmten bereits aufeinander zu, die Waffen erhoben, in Gedanken nur noch bei ihren gegensätzlichen Zielen.[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]Luan hob den Kopf, als der Wind seine Haare zerzauste. Ares hatte ihm geraten, nicht neben dem Fenster in diesem Rohbau zu sitzen, doch er war zu besorgt. Es war ohnehin unmöglich von hier aus zu sehen, wie Farran und der Verschlinger kämpften, es fühlte sich aber besser an, zumindest einen Blick nach draußen zu haben.[/LEFT] [LEFT]Ares stand in einer Ecke, die Schulter gegen die Wand gelehnt, in die Luft starrend, als fehle ihm etwas. Luan wusste, worum es sich dabei handeln musste, darüber zu reden wäre zu schmerzhaft, er konnte allerdings ein anderes Thema ansprechen: „Hast du in anderen Welten schon gegen Farran gekämpft?“[/LEFT] [LEFT]„Das ist eine seltsame Frage.“ Ares rührte sich nicht einmal, als er antwortete. „Willst du wissen, wie ich seine Chancen einschätze, oder weswegen fragst du?“[/LEFT] [LEFT]Luan schüttelte den Kopf. Darüber wollte er nicht einmal nachdenken. Wenn der Verschlinger bereits Welten zerstört hatte, stand Farrans Siegeswahrscheinlichkeit eher schlecht. Ihn interessierte etwas anderes: „Du hast kein einziges Wort mit ihm gesprochen. Deswegen.“[/LEFT] [LEFT]„Oh.“ Ares überkreuzte seine Füße. „Ich hatte bislang nicht viele Kontakte mit Farran. In meiner Welt starb er bereits in meiner Kindheit, ich erinnere mich nicht einmal an ihn.“[/LEFT] [LEFT]Ares schien zu überlegen. Es musste schwer sein, besonders wenn er so lange unterwegs gewesen war, wie von ihm und Morte öfter angedeutet worden war früher. Deswegen drängte Luan ihn nicht, sondern wartete geduldig, bis er fertig war.[/LEFT] [LEFT]„Wann immer ich in andere Welten kam, war er entweder oft nicht dort, wo ich war, oder er war auch dort schon gestorben. Ich habe ihn also wirklich nur selten gesehen. Er erinnert mich nur zu sehr an Faren. Sogar der Name passt dazu.“[/LEFT] [LEFT]Das war verständlich. Nachdem Ares damals seinen Faren getötet hatte, war er mit Sicherheit stets mit Schuldgefühlen beladen gewesen. Warum sollte er daran stets erinnert werden wollen, nur weil er jemanden ansah, der Faren ähnlich war?[/LEFT] [LEFT]Luan sah auf seine Schuhe hinunter. Risse zogen sich durch den Beton des unfertigen Bodens, darin wuchsen Grashalme, die sich nicht einmal von dieser unwirtlichen Gegend aufhalten ließen.[/LEFT] [LEFT]„Hat der Weltenwächter etwas gegen Farran?“, fragte Luan unvermittelt.[/LEFT] [LEFT]Mit gerunzelter Stirn sah Ares endlich zu ihm. „Wie kommst du darauf?“[/LEFT] [LEFT]„Ich frage mich nur, warum gerade er so viel durchmacht. Du hast ihn nicht einmal gesehen, wenn du seine Welten zerstört hast, und hier wurde nur er für etwas bestraft, wofür er nicht allein verantwortlich war.“[/LEFT] [LEFT]Farran war bei ihrer letzten Begegnung nicht genauer darauf eingegangen, aber aus seiner Vergangenheit erinnerte Luan sich, dass Jii und Joy an dem Plan beteiligt gewesen waren – doch während Farran eingesperrt wurde, hatten die beiden ihre Schulen weiterleiten dürfen. Und das war schon in seiner Zeit so gewesen.[/LEFT] [LEFT]„Das ist nicht fair“, fügte er an. „Müsste der Weltenwächter nicht auf so etwas achten?“[/LEFT] [LEFT]„Wenn er das könnte, bräuchte er seine Vollstrecker nicht“, erwiderte Ares. „Aber er konnte nicht einmal die Zerstörungen mehrerer Welten verhindern.“[/LEFT] [LEFT]Das war nicht abzustreiten. Doch warum war ihm das nicht gelungen? Hatten ihn diese nicht interessiert? War er abgelenkt gewesen?[/LEFT] [LEFT]„Vielleicht existiert er nicht einmal mehr.“[/LEFT] [LEFT]Ares' Worte trafen Luan wie Eiszapfen in die Brust. Seit Kieran ihm von dem Weltenwächter erzählt hatte, nach dem er benannt worden war, hatte Luan immer an diesen geglaubt. In seiner alten Zeitachse waren die Vollstrecker des Wächters sogar eingeschritten, um ihnen zu helfen.[/LEFT] [LEFT]Doch seit er hier war, hatte er noch keinen Rick getroffen.[/LEFT] [LEFT]Was, wenn er wirklich nicht mehr existierte? Wenn ihm etwas zugestoßen war?[/LEFT] [LEFT]Luan zog die Beine an und schlang seine Arme darum. „Ist das auch meine Schuld?“[/LEFT] [LEFT]Hatte er alle Welten mit seiner Zeitreise in Gefahr gebracht? Dabei war sein einziger Wunsch gewesen, Kieran zu helfen, ihm ein besseres Leben zu ermöglichen. Wie konnte das derart falsch sein? Warum wurde er derart bestraft?[/LEFT] [LEFT]Ares bemerkte offenbar, dass er ihn gerade in ein düsteres Gedankenkarussell befördert hatte. Er stellte sich wieder aufrecht hin, doch bevor er noch etwas sagen oder tun konnte, erklang eine fremde Stimme: „Keine Sorge. Der Weltenwächter lebt immer noch – und er wacht nach wie vor über euch.“[/LEFT] [LEFT]Ares fuhr herum, die Hand bereits erhoben. Luan folgte seinem Blick, besonders da der andere innehielt, statt anzugreifen. Es war nicht die Frau, die sie zuletzt gesehen hatten, als sie dem Verschlinger begegnet waren. Genau genommen waren es diesmal zwei Frauen; eine streng aussehende Rothaarige mit Brille und Uniform, eine leicht bekleidete mit rosa Haar. Luan kannte sie nicht, aber in ihrer Nähe fühlte er sich sicher, sie waren keine Bedrohung.[/LEFT] [LEFT]Ares sah das wohl genauso, denn er senkte die Hand wieder. Er blickte über die Schulter zu Luan. „Das sind Nornen. Es gibt sie in manchen Welten, um diese zu beschützen.“[/LEFT] [LEFT]In einigen Fällen schien das nicht funktioniert zu haben, wenn Ares und die anderen sie dennoch zerstören konnten. Aber das erwähnte Luan nicht, besonders da die Rothaarige bereits wieder sprach: „Ich bin Skalia, das ist Yurid.“[/LEFT] [LEFT]Yurid hob die Hand und winkte ihnen lächelnd zu.[/LEFT] [LEFT]Ares ignorierte diese Begrüßung, er wirkte immer noch misstrauisch. „Warum seid ihr hier?“[/LEFT] [LEFT]„Der Vollstrecker des Weltenwächters hat uns hierher geführt“, sagte Skalia. „Wir haben Brava überall gesucht, aber wir hätten nicht einmal im Mindesten gedacht, dass ein Feind sie für seine Zwecke benutzen könnte.“[/LEFT] [LEFT]Diese Frau war also auch eine Norne. Luan fragte sich, wie es dazu gekommen war, dass der Weltenverschlinger sie hatte übernehmen können. Vielleicht könnten sie das herausfinden, wenn sie ihn erst einmal eingefangen hatten – sofern Farran das gelang.[/LEFT] [LEFT]Aber dann bemerkte er etwas an Skalias Worten. Hastig stand er vom Boden auf. „Bedeutet das, der Vollstrecker ist auch hier?“[/LEFT] [LEFT]Es war lange her, seit er einem solchen einmal begegnet war, doch es war eine weitere Verbindung zu seiner Vergangenheit – und ein Beweis, dass der Weltenwächter noch existierte und sie nicht aufgegeben hatte.[/LEFT] [LEFT]Skalia und Yurid traten beiseite, worauf hinter ihnen noch eine Person sichtbar wurde. Genau genommen ähnelte der Vollstrecker eher Haze als dem Kieran, den Luan liebte. Allerdings war er nicht von einer Aura von Traurigkeit umgeben, er wirkte eher unauffällig, damit er in der Menge untertauchen konnte, sobald es notwendig wurde. Dennoch schlug Luans Herz, erfüllt mit neuer Hoffnung, sofort schneller, als er ihn sah. „Rick!“[/LEFT] [LEFT]Erst in diesem Moment ließ auch Ares' Misstrauen endlich nach. Er trat ebenfalls einen Schritt zurück, um sich wieder gegen die Wand zu lehnen, diesmal jedoch mit seinem Rücken.[/LEFT] [LEFT]Rick näherte sich derweil Luan. „Es ist ziemlich lange her.“[/LEFT] [LEFT]Das stimmte. Luan erinnerte sich kaum an ihre letzte Begegnung in der alten Zeitachse, aber zumindest für ihn waren mindestens vier Jahre vergangen – was ihn auch direkt darauf brachte, eine für ihn wichtige Frage zu stellen: „Bist du hier, um mich für die Zeitreise zu bestrafen?“[/LEFT] [LEFT]Das schien Rick ein wenig zu verwirren, er neigte den Kopf. „Nein. Ich wollte den Nornen nur zeigen, wo sich ihre Gefährtin aufhält. Sie muss schließlich wieder mit ihnen gehen, sobald sie von dem fremden Einfluss befreit ist.“[/LEFT] [LEFT]„Wir haben ihm anfangs nicht geglaubt“, sagte Yurid. „Wir dachten, er sei ein Feind – aber weil er uns jetzt zu Brava gebracht hat, müssen wir wohl doch davon ausgehen, dass er und der Weltenwächter es ernst meinen.“[/LEFT] [LEFT]Skalia warf ihr einen tadelnden Blick zu, aber Rick störte sich nicht einmal an der Kritik.[/LEFT] [LEFT]„Wirst du Farran helfen?“, fragte Luan; vielleicht war es noch nicht zu spät, dass alles gut werden könnte, dass Farran ausnahmsweise einmal in keiner Welt vorzeitig sterben musste.[/LEFT] [LEFT]Er schüttelte mit dem Kopf, worauf Luan seinen eigenen hängen ließ. Doch was Rick dann sagte, ließ erneut Hoffnung in ihm entstehen: „Ich muss ihm nicht helfen, denn Farran ist nicht allein in diesem Kampf – und ich denke, zu dritt haben sie eine realistische Chance, zumindest Brava zu befreien.“[/LEFT] Kapitel 29: Das werde ich nicht zulassen (Teil 2) ------------------------------------------------- [LEFT]„Ihr Name ist Brava“, teilte Ophelia ihm in seinen Gedanken mit. „Sie ist eine Norne.“[/LEFT] [LEFT]Farran hatte keine Ahnung, woher diese Information kam, aber immerhin wusste er nun, dass die aktuelle Form seines Gegners nicht seine echte war und dass er sich auf mehr Tricks vorbereiten musste – auch wenn er sich nicht im Klaren war, was genau eine Norne sein sollte; Ophelia schwieg zu dem Thema, doch er stellte sich vor, dass sie ihn mit einem selbstgefälligen Lächeln stumm verurteilte. Es war dumm, sich das vorzustellen, schließlich lenkte ihn das nur von seinem Kampf ab.[/LEFT] [LEFT]Bislang konnten weder Brava noch er selbst einen Vorteil erringen. Ihre Angriffe waren schnell, dafür nicht kraftvoll. Allein ihre Schnelligkeit reichte aber aus, dass er sich in die Defensive gedrängt sah, weil er ihre Angriffe abwehren musste. Dazu benutzte sie eine Schwertpeitsche, womit sie problemlos ihre Distanz bewahren konnte. Wann immer er doch mal seine Verteidigung ignorierte, um sie angreifen zu können, wich sie schneller aus, als dass er sie erreichen könnte, und versetzte ihm eine leichte Verletzung an seinen Armen. Sie verheilten schnell, stellten also keine Behinderung dar, aber so wie sie dabei lachte, schien es, als hätte Brava hauptsächlich Spaß an diesem Kampf, ohne dass sie sich auch nur im Mindesten anstrengte.[/LEFT] [LEFT]Nach einem weiteren Angriff, der eine offene Wunde in seinen Arm schlug, sprang Brava auf einen Stapel Steine, die von den Arbeitern einfach zurückgelassen worden waren. Die Glieder ihres Schwerts surrten um sie herum, als sie sich wieder zu einer Klinge am Griff in ihrer Hand zusammensetzten. Sie lachte amüsiert. „Oh, Farran, da hatten wir schon bessere Kämpfe. Schade, dass du dich daran nicht erinnern kannst~.“[/LEFT] [LEFT]Also wusste sie, woraus Tanis' Fähigkeit bestand. Egal, darauf konnte er nun ohnehin nicht zurückgreifen, aber das brauchte er auch nicht.[/LEFT] [LEFT]„Ich habe noch gar nicht richtig angefangen“, erwiderte er, während er seine Speeraxt neu fasste.[/LEFT] [LEFT]Im nächsten Moment sprang er auf sie zu. Sie wich nach hinten aus, schwang ihre Schwertpeitsche erneut. Statt auf sie selbst, zielte er in diesem Moment auf ein bestimmtes Glied zwischen zwei Klingenteilen – doch seine Waffe prallte tatsächlich an dem verstärkten Draht ab.[/LEFT] [LEFT]Was ist das für ein Metall?[/LEFT] [LEFT]Nach diesem Misserfolg duckte er sich und wich dann nach hinten zurück, weil die Schwertpeitsche versuchte, ihn einzuschließen. Brava bewegte nur ein wenig ihr Handgelenk, damit die Kette fauchend wieder ausschlug. Doch ihr selbstzufriedenes Lächeln wurde durch einen verwirrten Ausdruck ersetzt, als die Kette zur Hälfte in einem Portal verschwand. „Was …?“[/LEFT] [LEFT]„Du kennst wohl doch nicht alles, was ich zu bieten habe“, bemerkte Farran schmunzelnd.[/LEFT] [LEFT]Sie fuhr herum, als sich ein weiteres Portal hinter ihr öffnete und das Ende ihrer Schwertpeitsche sie zu verletzen drohte. Doch wieder genügte ein kurzes Zucken ihres Handgelenks, damit sich die Klinge wieder am Griff zusammensetzte.[/LEFT] [LEFT]„Ja, das kam wirklich überraschend“, gab sie zu. „Aber wenn das dein einziger Trick ist-“[/LEFT] [LEFT]Bevor sie den Satz beenden konnte, schossen blau leuchtende Ketten aus dem Nichts und wickelten sich um Bravas Körper, um sie an Ort und Stelle zu halten. Irritiert sah sie an sich herab (offenbar war Ophelias Unterstützung nichts, was der Verschlinger aus anderen Welten kannte). Farran nutzte die Gelegenheit und sammelte violette Energie an der kristallinen Spitze seiner Speeraxt. Dann stürmte er, die Waffe nach vorn gerichtet, auf Brava zu.[/LEFT] [LEFT]„Denk daran, dass du sie nicht töten darfst“, ermahnte Tanis ihn in seinen Gedanken. „Wenn sie nur von dem Verschlinger missbraucht wird, müssen wir vorsichtig sein.“[/LEFT] [LEFT]Ich weiß, ich weiß.[/LEFT] [LEFT]Statt auf ihr Herz, zielte er deswegen auch auf ihre Schulter – als sie plötzlich trotz der Fesseln grinste. Farran bremste ab und wich zurück. Brava sprengte die Ketten scheinbar ohne jede Problem, sandte scharfkantige Bruchstücke in alle Richtungen, vor allem in Farrans.[/LEFT] [LEFT]Er trat einen Schritt zurück, durch ein von Ophelia erstelltes Portal, um den Geschossen auszuweichen. Als er wieder hervorkam, befand er sich nur wenige Meter entfernt. Der Boden, auf dem er eben noch gestanden hatte, war mit Bruchstücken gespickt.[/LEFT] [LEFT]Bravas finsteres Lächeln jagte ihm einen Schauer über den Rücken. „Was für interessante Tricks. Wollen wir doch mal sehen, ob du sie noch öfter einsetzen kannst.“[/LEFT] [LEFT]Das entfachte offenbar Ophelias Ehrgeiz, denn plötzlich schossen Ketten und blaue Flammen aus dem Nichts, um Brava anzugreifen. Doch sie wich jedem einzelnen Angriff aus, mit einer Eleganz, die nur jemand innehaben konnte, der schon ewig kämpfte. Farran bewunderte das für einen kurzen Moment, ehe er sich Ophelias Versuchen anschloss und sich auch in den Kampf stürzte.[/LEFT] [LEFT]Statt die Peitsche zu benutzen, wehrte Brava seine Angriffe lediglich mit dem zusammengesetzten Schwert ab. Da sie währenddessen mit Ausweichen beschäftigt war, gelang es ihr anscheinend nicht, genug Distanz aufzubauen, um ihre Waffe richtig einzusetzen.[/LEFT] [LEFT]Zumindest dachte er das – bis sie einem seiner Vorstöße derart auswich, dass sie nur noch wenige Zentimeter voneinander getrennt waren. Und genau in diesem Moment grinste sie finster. Ehe er das verarbeiten oder darauf reagieren konnte, griff Brava mit der Hand direkt in seine Brust hinein. Ein brennender Schmerz zuckte durch seinen Oberkörper, dann wurde er plötzlich zurückgeschleudert.[/LEFT] [LEFT]Er landete problemlos auf den Füßen, stolperte ein paar Schritte rückwärts und blickte an sich herab, nur um irritiert festzustellen, dass er nicht verletzt war.[/LEFT] [LEFT]Ein Schmerzensschrei, gefolgt von einem amüsierten Lachen, ließ ihn den Blick wieder heben. Brava stand immer noch da – und hielt die blau leuchtende Gestalt von Ophelia an deren Hals in die Luft.[/LEFT] [LEFT]„Ich wusste doch, dass ich diese hinterhältigen Techniken kenne“, bemerkte Brava lächelnd. „Ach, Ophelia, in keiner anderen Welt bist du so tief gesunken, dich an einen Dämonenjäger zu ketten. Was wurde nur aus deinem Stolz?“[/LEFT] [LEFT]Er konnte Ophelias Antwort nicht verstehen, aber Brava lachte darauf noch einmal. Und dann – noch ehe er überlegen konnte, ob und wie er Ophelia retten sollte – wurde sie von einer blutroten Flamme eingehüllt. Ophelia stieß einen langgezogenen gequälten Schrei aus, wie er ihn noch nie zuvor von ihr gehört hatte.[/LEFT] [LEFT]Und dann war sie fort.[/LEFT] [LEFT]Die Hexe, die Farrans Leben erst aus der Bahn geworfen und ihn fast getötet hatte, nur um sich an ihn zu binden, nachdem er den Spieß umgedreht hatte. Die Hexe, von der er überzeugt gewesen war, dass sie das letzte sein würde, was er jemals sähe, war nun einfach fort. Aufgelöst in einem Feuer, das sogar stärker als ihre blauen Flammen gewesen war.[/LEFT] [LEFT]Dieser Feind ist wirklich … der Weltenverschlinger.[/LEFT] [LEFT]Tanis rumorte in seinem Inneren.[/LEFT] [LEFT]Brava ließ ihren Arm sinken und sah Farran direkt an, mit einem derart siegessicheren Blick, dass ihm das wahre Ausmaß ihrer Kraft in diesem Moment so wirklich bewusst wurde. Es traf ihn wie einen Hammerschlag, obwohl er nach allem, was er bislang gehört hatte, damit hätte rechnen müssen. Aber da war doch die leise Hoffnung gewesen, dass alle anderen sich einfach irrten, egal wie verlässlich sie sonst waren. Nun musste er aber erkennen, dass er sich geirrt hatte – und er deswegen alles auf eine Karte setzen musste, wenn er noch gewinnen wollte.[/LEFT] [LEFT]„Keine Ahnung, warum sie wie eine Klette an dir hing“, sagte Brava gönnerhaft, „aber ich habe sie für dich beseitigt. Du solltest mir vielleicht danken.“[/LEFT] [LEFT]Farran zuckte mit den Schultern. „Ich sehe da nicht viel Grund dafür. Früher oder später hätte sie sich ohnehin gelangweilt und wäre gegangen.“[/LEFT] [LEFT]„Huh~. Ich hätte gedacht, du würdest vielleicht wütend werden. Wie willst du mich denn ohne die netten Tricks von Ophelia besiegen?“[/LEFT] [LEFT]„Oh, ich weiß auch nicht. Aber ich bin schon ein wenig wütend – Ophelia hat mir noch nicht gesagt, was sie in all den Jahren meiner Gefangenschaft getan hat. Das hätte ich noch gern gewusst.“[/LEFT] [LEFT]Brava zog die Augenbrauen zusammen. Gut, ihre Verwirrung sorgte dafür, dass sie sich auf ihn konzentrierte, statt auf das violette Licht, das sich hinter ihrem Rücken gerade zusammensetzte.[/LEFT] [LEFT]„Aber vielleicht kannst du mir ja etwas anderes beantworten, Verschlinger.“[/LEFT] [LEFT]Sie vollführte eine großzügige Handbewegung. „Frag nur, vielleicht bin ich ja gut gelaunt.“[/LEFT] [LEFT]„Warum machst du das alles eigentlich? Was ist dein Endziel?“[/LEFT] [LEFT]Darauf seufzte sie schwer. „Eure Fragen sind auch immer dieselben.“[/LEFT] [LEFT]„Wenn du den Job weitermachst, solltest du vielleicht Informationsschreiben anfertigen, die du einfach immer wieder neu verteilen kannst.“[/LEFT] [LEFT]Sie lachte kurz humorlos auf. „Was denn? Rechnest du schon damit, dass du verlieren wirst? Na ja, wenn du das letzte bist, was diese Welt zu bieten hat, dann wird es wohl auch so sein. Denn wir hatten in anderen Welten schon bessere Kämpfe miteinander.“[/LEFT] [LEFT]„Oh ja …“ Farran griff sich an die Stirn. „Hilf mir mal auf die Sprünge. Im Gegensatz zu mir erinnerst du dich ja an unsere Begegnungen. Kannst du mir da etwas verraten?“[/LEFT] [LEFT]Großmütig breitete Brava ihre Arme aus. „Oh, natürlich. Frag mich nur. Ich kann einem Todgeweihten kaum einen Wunsch abschlagen.“[/LEFT] [LEFT]Diese Selbstsicherheit, die sie zur Schau trug, verbunden mit ihrem Glauben, dass er ohne Ophelia ohnehin verloren war, verursachte genau den Effekt, den er haben wollte, denn ihr Blick war immer noch auf ihn fokussiert. Falls sie den Drachen hinter sich bemerkte, so ließ sie sich nichts anmerken.[/LEFT] [LEFT]„Gab es irgendeine Welt, in der mein Dämon und ich uns gut verstanden haben?“[/LEFT] [LEFT]Sie hob eine Augenbraue. „Ich hätte ja mit einigem gerechnet, aber damit? Na ja, wenn du es unbedingt wissen willst: Du und dein Dämon seid euch in jeder Welt spinnefeind. Einmal bist du sogar nur gestorben, weil er vor mir deinen Verstand zersetzt hat.“ Sie lachte noch einmal auf. „Ein weiterer Grund, warum du nie eine Chance gegen mich hattest. Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr.“[/LEFT] [LEFT]Farran blieb von dieser Enthüllung unbeeindruckt. Das schien ihr offenbar nicht zu gefallen, denn sie runzelte plötzlich die Stirn. „Was ist los? Macht dich das dermaßen sprachlos?“[/LEFT] [LEFT]„Nein, es erklärt mir nur einiges. Vor allem, dass dich Tanis hinter dir gar nicht interessiert.“[/LEFT] [LEFT]Ihre Augen weiteten sich, sie fuhr herum – und im selben Moment traf Tanis sie bereits mit seiner Klaue. Er verletzte sie nicht, obwohl man das hätte glauben können, als sie erschrocken aufschrie, doch sein Angriff ging durch ihren Körper hindurch. Farran interessierte sich eher für die geisterhafte Gestalt, die bei dem Angriff herausgerissen worden war und einige Meter entfernt verwirrt zu Boden ging. Er nahm sich nicht die Zeit, diese genauer zu mustern, sondern zog einfach eine wurfelförmige Apparatur aus der Tasche, die ihm von Blackburn gegeben worden war, und schleuderte sie in die Richtung der Gestalt.[/LEFT] [LEFT]Der Würfel leuchtete golden und öffnete sich. Das Licht erschuf einen quadratischen Raum um den Geist. Er warf sich gegen die Wände, die bei jeder Berührung hell aufblitzten, aber nicht nachgaben.[/LEFT] [LEFT]„Das war es dann wohl“, bemerkte Farran lächelnd.[/LEFT] [LEFT]Damit schrumpfte der Raum bereits, erst langsam und dann, gerade als die Gestalt noch einmal gegen eine Wand prallte, faltete er sich auf einen Schlag komplett zusammen und kehrte in den Würfel zurück, der sich sofort wieder schloss. Die Apparatur fiel klappernd zu Boden. Blitze zuckten um das Metall.[/LEFT] [LEFT]Farran ließ seine Waffe verschwinden und sah den Drachen, bestehend aus schwarzer, ledriger Haut und violettem Feuer, zufrieden an. „Gut gemacht, Tanis.“[/LEFT] [LEFT]Sein Dämon, der sich das erste Mal außerhalb seines Körpers manifestierte, schnaubte, wobei noch mehr violette Flammen aus seinen Nüstern gestoßen wurden. Seine Stimme wurde dennoch direkt in Farrans Gedanken übertragen: „Der Hochmut des Weltenverschlingers hat ihn letztendlich besiegt. Wie konnte das vorher niemandem gelingen?“[/LEFT] [LEFT]„Tja. Vielleicht hat einfach niemand versucht, ihn einzufangen?“ Das wäre die einzige Erklärung für Farran, denn er war überzeugt, dass er den Verschlinger auch nicht hätte töten können. Der Hochmut kam immerhin nicht von ungefähr.[/LEFT] [LEFT]„Aber wie auch immer“, sagte er schließlich. „Hauptsache, es hat funktioniert.“[/LEFT] [LEFT]Er würde Parthalan dennoch ans Herz legen, ihn nicht mehr aus dem Käfig zu lassen. Noch einmal würde sich der Verschlinger sicher nicht mehr gefangennehmen lassen.[/LEFT] [LEFT]Tanis schnaubte noch einmal, dann wurde sein Körper von einem Windhauch fortgeweht. Farran war nun wieder allein, mit dem Würfel und der bewusstlos wirkenden Brava.[/LEFT] [LEFT]Und ohne Ophelia.[/LEFT] [LEFT]Noch immer erschien ihm dieser Gedanke unwirklich, obwohl er sie in seiner Gefangenschaft auch nicht gesehen hatte. Er war auch nicht unglücklich darüber, es erschien ihm einfach nur … seltsam.[/LEFT] [LEFT]Schritte holten ihn in die Wirklichkeit zurück. Als er den Kopf wandte, entdeckte er zwei Frauen, die er nicht kannte, die sich aber sofort besorgt neben Brava knieten, statt ihn zu beachten. Ihnen folgten Ares und Luan – und eine Person, die Farran erst für Kieran hielt. Aber Tanis' Fähigkeit ließ Erinnerungen aus anderen Welten von anderen wie ihm in sein Gehirn fließen. So wusste er direkt, dass es sich bei dieser Person um Rick, den Vollstrecker des Weltenwächters handelte. Vielleicht war er es, der ihnen gesagt hatte, dass es sicher sei, hinüberzugehen, also mischte Farran sich nicht ein.[/LEFT] [LEFT]Brava öffnete gerade ihre Augen. „W-was ist passiert?“[/LEFT] [LEFT]Die beiden Frauen redeten leise auf sie ein, erklärten ihr etwas, das Farran nicht weiter interessierte. Er nickte derweil dem besorgten Luan lächelnd zu, damit er sich hoffentlich beruhigte.[/LEFT] [LEFT]Dann konzentrierte er sich auf den Würfel, der noch immer von zuckenden blauen Blitzen umgeben war. Nichts, was ihn beunruhigte, das kannte er von manchem Fangnetz, die wenigsten Dämonen gaben einfach auf. Und von diesem hatte er es erst recht nicht erwartet.[/LEFT] [LEFT]Farran näherte sich dem Würfel – der plötzlich wieder zu leuchten begann.[/LEFT] [LEFT]Sein Körper reagierte, bevor er darüber nachdenken konnte. Er riss die Hände hoch und erstellte ein Schutzschild, genau in dem Moment, in dem der Würfel explodierte. Die freigesetzte Energie traf den Schild und ließ ihn geradewegs zersplittern. Die Wucht warf ihn zu Boden, schürfte seinen rechten Arm auf, so dass es sich anfühlte als stünde er in Flammen.[/LEFT] [LEFT]Als er sich wieder aufrichtete, stellte er fest, dass Rick die anderen mit einem eigenen Schild geschützt haben musste. Gut, dann musste er sich wenigstens um die keine Sorgen machen und konnte sich wieder dem Würfel widmen. Dieser war in unzählige Teile zerlegt worden.[/LEFT] [LEFT]Diese Macht ist unfassbar … Kein Wunder, dass niemand ihn aufhalten kann.[/LEFT] [LEFT]„Aber es muss einen Weg geben.“ Tanis wirkte plötzlich genauso unruhig wie er selbst.[/LEFT] [LEFT]Etwas widerwillig hob Farran den Blick, dorthin, wo die Energie sich gerade am stärksten bündelte, als nutze jemand eine Lupe, um mit dem Sonnenlicht ein Feuer zu entzünden. Inmitten der blau zuckenden Blitze formte sich eine Person, ein Mann mit braunem schulterlangen Haar. Farran erkannte ihn nicht, aber Luan atmete erschrocken ein, als wüsste er genau um wen es sich handelte.[/LEFT] [LEFT]Der Mann – der Weltenverschlinger – öffnete seine braunen Augen und richtete sie auf Farran. Im selben Moment wurde Tanis' Fähigkeit wieder aktiv und Myriaden von Erinnerungen schossen wie kraftvolle Wasserfälle in Farrans Gedächtnis.[/LEFT] [LEFT]Schmerzen wüteten in ihm, während seine Brust zerdrückt wurde, jemand seine Gliedmaßen abriss, ihn aufspießte, verbrannte, ihn in seinem eigenen Blut ertränkte. Er sah sich selbst sterben, immer und immer wieder, begleitet von einem Lachen, das den bedauernden Blick im Gesicht seines Gegenübers betrog. Betrug, das war auch das, was ihm durch den Kopf ging, als er von einem Dämon zermalmt wurde, der Tanis zum Verwechseln ähnlich sah. Seine Erinnerung sagte ihm auch, dass es Tanis war, dass es eine Welt gab, in der sie sich wirklich derart hassten, dass Tanis dem Weltenverschlinger – „Nenn mich einfach Fulgur“ – geholfen hatte.[/LEFT] [LEFT]Der Schmerz, dieser Betrug, drohte Farrans Körper zu überwältigen, obwohl er selbst gar nicht betroffen war. Sein Gehirn, das pausenlos Angriffe registrierte, wollte sich einfach ausschalten, für immer, den Erinnerungen entgehen, die unablässig weiter auf ihn einprasselten.[/LEFT] [LEFT]Doch als Farran dem nachgeben wollte, hörte er Tanis' schneidende Stimme in seinem Inneren: „Das werde ich nicht zulassen!“[/LEFT] [LEFT]Plötzlich änderten sich die Erinnerungen. Er sah sich nicht mehr selbst im Kampf gegen Fulgur, den Weltenverschlinger, spürte keinen aktiven Schmerz mehr. Dafür erinnerte er sich an eine junge braunhaarige Frau, deren grüne Augen ihn gequält ansahen, während sie sich von ihm entfernte. Im nächsten Moment konnte er nur hilflos beobachten, wie sie von einem Speer aufgespießt wurde, wie ein aus Blitzen bestehender Wolf sie anfiel, wie ein Feuer sie aufzehrte. Jeder dieser Augenblicke aus den verschiedensten Welten schien sein Herz brechen lassen zu wollen, obwohl er sich nicht einmal an den Namen dieser Frau erinnerte, weil er ihr nie begegnet war.[/LEFT] [LEFT]Aber Tanis schien das anders zu sehen, in seiner Stimme erwachte eine neue Form der Dringlichkeit: „Überlass das mir, Farran. Ich werde ihn für all das bezahlen lassen.“[/LEFT] [LEFT]Nach dem erfahrenen Betrug zuvor, war es vielleicht eine dumme Idee, ihm einfach zu vertrauen. Aber Farran wusste, dass er selbst nichts mehr tun konnte. Deswegen schloss er nur die Augen.[/LEFT] [LEFT]In Ordnung. Ich verlasse mich auf dich, Tanis.[/LEFT] [LEFT]Und damit schwand sein Bewusstsein in einen tiefen, hoffentlich erholsamen Schlaf.[/LEFT] Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)