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Demonic Rewind

[Demonic Reverie]
von

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Kapitel 19: Du bist die Geißel in ihm.

Morte warf einen letzten Blick auf den schlafenden Rowan, stellte sicher, dass er noch regelmäßig atmete, dann schloss sie die Tür. Ares saß, in ein Buch vertieft, am Tisch des kleinen Wohnzimmers. Er musste nichts sagen, damit sie wusste, dass er ihre Entscheidung nicht sonderlich guthieß, sein viel zu ernster Gesichtsausdruck, die leicht gerunzelte Stirn, sprach da schon Bände. Um sich dieser Atmosphäre nicht zu lang aussetzen zu müssen, sprach sie ihn an: „Was ist los? Wenn du etwas sagen möchtest, dann raus damit.“

Er schloss das Buch abrupt, ehe er den Blick hob. Seine Brille verrutschte ein wenig, aber das tat dem Stechen seiner grauen Augen keinen Abbruch. „Ich denke, wir sollten nicht unsere Zeit mit einem Mann verschwenden, der dich in dieser Zeitachse nicht einmal kennt. Stattdessen sollten wir daran arbeiten, den Weltenverschlinger zu finden.“

Nach der ersten Erwähnung dieses Verschlingers hatte sie ihn gefragt, warum er ihn nicht einfach Weltenzerstörer nannte, worauf er ihr erwidert hatte, dass das ja bereits der Name für ihre kleine Gruppe war.

„Und? Kümmerst du dich schon darum?“, entgegnete sie spitz, mit gerecktem Kinn. „Oder willst du noch lange deine Zeit mit diesem Buch verschwenden?“

Sie stritt sich nur ungern mit ihm, da er sie so sehr an ihren Vater erinnerte, und auch an ihren Großvater. Hätte Ares noch braunes Haar besessen, statt des grau-schwarzen, wäre die Ähnlichkeit noch offensichtlicher gewesen. In diesem Aspekt jedoch war der Streit unausweichlich.

„Wir wissen gerade nicht, wo er sich befinden könnte“, sagte Ares, obwohl er wusste, dass er ihr damit nur Wasser auf die Mühlen goss.

„Warum kann ich dann in der Zwischenzeit nicht Rowan helfen? Nur weil er sich jetzt noch nicht erinnert, bedeutet das nicht, dass es immer so bleiben muss. Denkst du nicht auch?“

„Ich denke, du hoffst da auf etwas, das niemals eintreten wird. Am Ende wird dich das nur aufreiben.“

Sie wusste zu schätzen, dass er sich Sorgen um sie machte, aber sie benötigte diese Form der Aufmerksamkeit nicht. Rowan war bei ihr, und er war in Sicherheit, das war alles, was sie brauchte. Als nächstes könnte sie auch dafür sorgen, dass er sich wieder an sie erinnerte und im Anschluss ihr altes Leben fortsetzen. Sie bekäme ihr glückliches Ende.

Mit einer Hand deutete sie zum einzigen Fenster im Raum. „Wir können auch Darren suchen, und ihm helfen, sich auch zu erinnern. Nur weil hier einiges anders gelaufen ist, bedeutet das nicht, dass er nicht existiert. Schließlich weißt du nicht, wann Armas ihn genau erschaffen hat.“

Beim letzten Mal, als sie dieses Argument vorgebracht hatte, war Ares‘ Erwiderung ein Vorwurf gewesen, dass man die Personen dieser Zeitachse nicht einfach dazu zwingen könne, sich an eine Vergangenheit zu erinnern, die sie nie erlebt hatten. Sie verstand seinen Einwand, aber sie widersprach seiner Einstellung dennoch. Er wusste das, deswegen sagte er diesmal nichts mehr. Demonstrativ schlug er sein Buch auf und vertiefte sich erneut darin.

Morte ging an ihm vorbei – als plötzlich ein lautes Poltern zu hören war. Sie hielt inne und fuhr herum. Das Geräusch war eindeutig aus dem angrenzenden Raum gekommen. War Rowan etwa bereits wieder aufgewacht? Ähnlich sähe es ihm jedenfalls.

Schnellen Schrittes gelangte sie wieder zur Tür und riss diese auf. Das Bett war leer, Rowan stand neben dem Fenster und sah hinaus in die Nacht. Sein zusammengebundenes rosa Haar war vom Schlaf zerwühlt, weswegen sie automatisch danach greifen und es richten wollte. Aber mit bereits erhobener Hand hielt sie inne. Etwas stimmte nicht.

Sie war es gewohnt, dass er ein wenig gereizt war und dementsprechend auch die Aura in seiner Nähe immer geradezu greifbar gewesen war. Aber davon war hier nichts zu spüren. Alles an ihm war kalt, in einer Intensität, die sogar sie, als Tochter einer Weltenbrecherin, frösteln ließ. Das war nicht mehr Rowan.

„Du bist die Geißel in ihm.“

Endlich wandte er sich ihr zu. Seine normalerweise grünen Augen hatten sich rot verfärbt, aber sein Blick an sich wirkte absolut seelenlos. Es war das erste Mal, das sie ihn so sah.

„Das ist richtig“, antwortete er schließlich, langsam, fast als müsse er erst überlegen, wie Worte funktionierten. „Ich weiß nicht, wer du bist. Aber es wäre besser für dich, wenn du uns in Ruhe lässt. Wir werden bald verschmelzen. Du kannst nichts dagegen tun.“

Natürlich, auch die Geißel wusste nicht, wie sehr sie diese in der letzten Zeitachse gebrochen hatte. Morte lächelte zuversichtlich und stemmte eine Hand in die Hüfte. „Oh, ich bin sicher, dass ich etwas tun kann. Sogar eine ganze Menge.“

„Ist das eine Herausforderung?“

„Wenn du es als eine solche sehen willst ...“

Ohne eine Miene zu verziehen, beschwor die Geißel Rowans Hammer. Allein das Erscheinen dieser Waffe erzeugte einen derart starken Energiestoß, dass die Wand hinter ihm pulverisiert wurde. „Dann zeig mir, ob du wirklich zu deinem Wort stehst, Mensch.“

Mit einem einzigen Sprung verließ er das Zimmer. Morte blieb schmunzelnd zurück. „Du Idiot hältst mich für einen Menschen? Es wird wohl Zeit, dass ich dir zeige, mit wem du dich anlegst.“

Kurzzeitig wurde sie in ein schwarzes Licht eingehüllt, das dann in unzähligen Federn von ihr wie Schuppen abblätterte. Darunter kam nicht mehr ihre zuvor noch alltägliche Kleidung, bestehend aus Jeans und Pullover zum Vorschein, sondern ein aus dunklen Federn bestehendes Kleid. Es verhüllte ihren Oberkörper, teilte sich dann entsprechend auf, um ihre Beine zu schützen und ihnen gleichzeitig genug Freiheit zu lassen, damit sie ungehindert kämpfen konnte. Die letzten abgeplatzten Federn verblassten, mit einem Sprung folgte sie der Geißel.

Das kleine Hotel, in dem Morte und ihre Gefährten sich niedergelassen hatten, stand in einer abgelegenen Gegend, nicht weit von dem Ort, wo sie Rowan aufgegriffen hatte. Ihre Wahl war darauf gefallen, weil sie kein Aufsehen hatten erregen wollen, falls der Weltenverschlinger beschließen sollte, dort aufzuschlagen. Bislang war das nicht geschehen, aber das bedeutete nicht, dass es nicht noch passieren könnte. Für sie war das nun auch äußerst nützlich, da es dadurch kaum Zeugen für den folgenden Kampf geben könnte.

Die Geißel hatte sich einen leeren Parkplatz ausgesucht, direkt hinter einer Lagerhalle, deren Inhalt Morte nicht kannte. Aber für den Moment war das auch unwichtig. Die gefühllosen roten Augen musterten sie. „Du wirst ohne Waffe kämpfen?“

„Seien wir doch ehrlich“, erwiderte sie, immer noch lächelnd, „jede Verletzung, die ich dir zufüge, gilt eigentlich Rowan – und den will ich nicht verletzen. Also musst du wohl damit leben, dass es ohne jede Waffe funktionieren muss.“

Entweder ihr Lächeln oder ihre Worte reizten die Geißel derart, dass ihre roten Augen aufblitzten. Sie hob den Hammer und deutete damit anklagend in Mortes Richtung. „Ich werde dafür sorgen, dass dir dein Geschwätz im Hals stecken bleibt!“

Mit aller Wucht schlug sie die Waffe in den Boden. Morte wich der Schockwelle mit einem Sprung aus, dann landete sie auf der nach oben zeigenden Seite des Hammerkopfes. Die Geißel riss die Waffe herum, um sie zu erwischen, doch Morte vollführte noch einen Sprung, sie landete hinter ihrem Feind. Dieser fuhr mit der Waffe herum. Doch Morte hob einfach nur einen Fuß und fing den Hammer damit, ohne jede Anstrengung, ab. Dann schnippte sie mit den Fingern – und ihr Körper zerplatzte in unzählige Federn. Sie rauschten wie ein Sturm über den Parkplatz, so dass die Geißel sich schützend ihren Arm vor die Augen hielt. Als der Wind endlich wieder verebbte, senkte sie den Arm, aber von Morte war nichts zu sehen. Die Geißel drehte sich einmal um die eigene Achse, ohne eine Spur zu entdecken, nicht einmal weitere Federn. „Hast du es dir doch anders überlegt, Miststück?!“

Obwohl ihr Gesicht nach wie vor emotionslos war, lag Wut in der Stimme der Geißel. Sie klang zwar immer noch genau wie die von Rowan, aber dennoch war da etwas … anderes darunter; ein Unterton, der sämtlichen Hass der Welt zu beinhalten schien.

Morte zeigte sich nicht, dafür erschien etwas anderes. Das mehrstimmige Knurren verriet die Wölfe, bevor sie sich aus den Schatten schälten. Es waren insgesamt vier, von denen die Geißel umrundet wurde, die Lefzen waren drohend erhoben, das schwarze Nackenfell gesträubt. Sie beobachteten jede Bewegung der Geißel, die gelben Augen blitzten, wann immer sie in die Schatten zurückkehrten, bis sie wieder daraus auftauchten.

Es war aber eindeutig, dass sie darauf warteten, dass die Geißel den ersten Schritt tat – und diese wollte es nicht länger hinauszögern. Sie hob den Hammer, dessen Kopf sich augenblicklich aufteilte. Die einzelnen Bruchstücke formten sich zu vier rot glühenden Würfeln, groß genug, um damit jemandes Kopf mit einem Schlag zu zerschmettern. Sie bewegten sich von allein, schwirrten um die Wölfe, die nun Probleme damit zeigten, sich gleichzeitig auf mehrere Ziele zu konzentrieren. Der erste Würfel begann zu rotieren, dann stürmte er auf einen Wolf zu. Ein Knacken erklang, gefolgt von einem leisen Jaulen, das Tier stürzte zu Boden und löste sich auf. Der Würfel kehrte in seine Ausgangsposition zurück, was es für die anderen Wölfe noch schwerer machte – besonders als sich alle gleichzeitig zu bewegen begannen. Die rot-glühenden Bruchstücke schossen wie Pistolenkugeln über den Parkplatz, mit der Geißel in ihrem Zentrum. Die Wölfe wichen den Angriffen aus, wurden getroffen, manchmal nur an den Pfoten. Wann immer einer von ihnen versuchte, die unsichtbare Barriere zu durchbrechen, die Rowans Körper in Sicherheit hielt, wurde er sofort von einem Würfel zur Seite geschleudert. Doch egal wie oft die Wölfe getroffen wurden, solange der Kopf unbeschadet blieb, standen sie immer wieder auf, selbst wenn sie nur noch auf wackeligen Beinen stehen konnten.

„Ist das wirklich alles, was du kannst?!“, grollte die Geißel, ihre Augen suchten immer noch nach Morte. „Deine Schoßhunde machen mir keine Angst!“

„Das dachte ich mir schon.“ Selbst als sie endlich etwas sagte, schien ihre Stimme von überall gleichzeitig zu erklingen. „Deswegen waren sie auch nur eine Beschäftigungsmethode für dich.“

Der letzte Wolf wurde am Kopf getroffen, jaulend stürzte er in die Dunkelheit zurück. Im selben Moment schoss etwas Riesiges aus den Schatten hervor. Die Geißel reagierte sofort, ließ die Bruchstücke zum Hammerkopf zurückkehren und benutzte die Waffe, um das Maul offen zu halten, das sich um sie schließen wollte. Die scharfen Zähne waren pechschwarz, genau wie der Schlund des Wesens, deswegen war sofort klar, dass es sich um ein weiteres Schattenungetüm handelte.

Morte erschien vor dem Maul und betrachtete den Hammer mit gerunzelter Stirn. „Ich habe dich wohl etwas unterschätzt, Geißel.“

Dass die Wölfe sterben müssten, war ihr bewusst gewesen, aber dass die Waffe sich derart schnell wieder zusammensetzen konnte, war doch als Überraschung gekommen. Der Kiefer des Schattenungetüm knackte, der Hammer verrutschte nicht einmal.

„Und?“, fragte die Geißel spöttisch. „Hast du noch ein paar andere Tricks auf Lager?“

„Oh, sicher~.“ Morte stürmte in das Maul hinein, packte die überraschte Geißel und riss sie mit sich in den tiefschwarzen Schlund.

Die Dunkelheit schien sich bis in die Unendlichkeit auszubreiten. Es gab keinerlei Lichtpunkt, der auf einen Ausgang hätte hindeuten können. Stattdessen waren in den finsteren Schatten die Spitzen von Stacheln zu erahnen, die sich bei näherem Hinsehen als Eiszapfen herausstellten. Morte ließ die Geißel wieder los, dann nahm sie auf einem Thron Platz, der sich innerhalb von Sekunden aus Eissplittern bildete. Ihr Feind nutzte die Gelegenheit, um sich gehetzt umzusehen. Offenbar dauerte es aber nicht lange, bis er erkannte, wo er sich befand: „Ist das ein Refugium?“

„Korrekt. Es ist einige Zeit her, seit ich zuletzt eines erschaffen habe, deswegen dauerte es ein wenig.“ Lächelnd strich Morte über das Eis des Throns, es war angenehm kalt. „Glücklicherweise hast du dich mit meinen Wölfen ja nicht gelangweilt.“

Die Geißel konzentrierte sich wieder auf sie. „Was hast du vor? Willst du den Menschen einfach hier einsperren, bis ich verschwinde? Darauf kannst du lange warten!“

Morte stützte den linken Arm auf die Lehne ihres Throns, dann ließ sie ihr Kinn auf ihrer Hand ruhen. „Das wäre natürlich eine Idee. Aber eine, die mir viel zu lange dauert. Ich mache lieber etwas anderes. Das auch weniger schmerzvoll wird.“ Sie hob die rechte Hand und schnippte mit den Fingern.

Der Ton hallte in der Dunkelheit nach, während er verklang. Kaum war das geschehen, schälte sich ein dunkler Umriss aus den Schatten, der an eine grobe Kinderzeichnung erinnerte, die einem Menschen ähneln sollte. Arme und Beine waren unterschiedlich lang, verfügten über keine Hände oder Füße, auch der Kopf hob sich kaum vom restlichen Körper ab. Das Gesicht war lediglich durch zwei Punkte für die Augen angedeutet. Die Figur bewegte sich auf die Geißel zu. Als sie sich gegenüberstanden, blickte die Abstraktion eines Menschen drohend herab.

„Ich gebe zu“, sagte Morte, „dass ich nicht unbedingt gut im Zeichnen bin. Sonst würde diese Figur jetzt ein bisschen besser aussehen. Aber das dürfte dich nicht stören. Albträume mögen Menschen ja bekanntlich nicht.“

Ehe die Geißel verstehen konnte, was sie damit meinte, griff die Figur mit beiden Armen nach Rowans Körper, der gleich darauf leblos zu Boden stürzte. Die Abstraktion blickte ungläubig auf seine Arme hinab.

„Schon viel besser.“ Morte erhob sich wieder von ihrem Thron. „Ich würde sagen, jetzt sind die Chancen schon ein wenig ausgeglichener.“

Ein weiteres Schnippen hüllte Rowans Körper in Federn ein, die gemeinsam mit ihm verschwanden, genau wie der Thron. So blieben nur Morte und die Geißel in Form der Abstraktion zurück. Letztere, der Fähigkeit zu sprechen beraubt, hob wütend die Arme – und schmetterte sie auf den Boden. Diesmal wich Morte der Schockwelle nicht aus. Stattdessen erschuf sie eine Wand aus Eis, diese zersplitterte zwar, als die Welle sie traf, hielt jene damit aber auch auf. Die Barriere zerfiel in unzählige rasiermesserscharfe Bruchstücke, die in der Luft schwebten, statt zu Boden zu fallen. Auf eine einfache Handbewegung von Morte, schossen die Splitter vor. Die Geißel schützte ihren Kopf mit den Armen, die gleich darauf riesigen, missgestalteten Igeln ähnelten. Davon ließ sie sich aber nicht abhalten, sie stürmte auf Morte zu. Diesmal nutzte sie die zuvor eingesetzten Projektile gegen ihre Schöpferin, indem sie mit einem Arm ausholte. Doch der Körper von Morte zerplatzte in schwarze Federn. Die Geißel blickte sich nach ihr um. Im nächsten Moment erschien die Verschwundene direkt über der Figur und rammte diese in den Boden. Sie blieb auf dem Körper stehen, trat immer wieder mit High Heels darauf ein. Es spritzte kein Blut, das gestand sie ihrer Schöpfung nicht zu, aber dass weißer Traumsand aus Löchern im Körper rieselte, konnte sie nicht verhindern; es war jene Materie aus der jeder Albtraum – jeder Traum genaugenommen – bestand.

Bevor die Geißel ihren gesamten Sand verlor, richtete sie sich plötzlich auf. Morte verlor die Balance und fiel rückwärts. Der Aufprall presste gefühlt sämtlichen Sauerstoff aus ihren Lungen, hektisch schnappte sie nach Luft. Die Geißel hob erneut den Arm und ließ ihn auf Morte niedersausen. Einige der Eissplitter zerbrachen, als sie auf ihren Körper trafen, andere durchbrachen ihre Haut, ihr Fleisch und bohrten sich schmerzhaft tief in sie hinein. Mit aller Macht unterdrückte sie einen Aufschrei, den sie der Geißel nicht gönnen wollte. Auch ohne erkennbares Gesicht, war sie überzeugt, dass ihr Feind gerade triumphierend schmunzelte. Wie um sie zu bestätigen, drückte die Figur den Arm weiter nach unten. Nicht nur die Eissplitter, sondern auch der Druck des anderen Körpers, wirkte sich nun auf Morte aus. Doch diese lachte nur trocken, was ihre Lunge schmerzen ließ. „Habe ich dir nicht gesagt, dass diese Figur von mir erschaffen wurde? Dachtest du, ich lasse sie einfach ohne Sicherung leben?“

Sie glaubte zu wissen, dass die Geißel darüber verwirrt die Stirn runzelte, was sie mit einer angenehmen Genugtuung erfüllte. Zufrieden hob sie die rechte Hand – und ballte diese zur Faust. Das Geräusch zerbrechenden Glases erklang, dann erstarrte die von ihr erschaffene Abstraktion und zerbröckelte wie trockener Lehm. Morte beobachtete das mit einem Lächeln, dann fühlte sie, wie sich die ihr zuvor zugefügten Wunden, dank der Dämonenjäger-Gene ihres Vaters, wieder schlossen. Nachdem die Schmerzen sich einigermaßen gebessert hatten, stand sie auf. Zwischen den übrig gebliebenen Brocken war Traumsand verstreut, für sie ein Zeichen, dass die Geißel endgültig fort war. Etwas, was ihr in der anderen Zeitachse nicht gelungen war. Deswegen zerstampfte sie in Hochstimmung einige der größten Brocken mit den Füßen, verwischte den Sand noch ein wenig, dann begab sie sich mit einem Summen in Richtung des Ausgangs, den sie für das Refugium schuf.

Sie kehrte auf den verlassenen Parkplatz zurück, auf dem sich nun ein schlafender Rowan befand, gemeinsam mit einem Schattenwolf, der über ihn gewacht hatte. Das Refugium zerbrach hinter ihr, gleichzeitig löste sich ihre außergewöhnliche Kleidung in schwarzen Federn von ihr ab und enthüllte wieder ihren Pullover und ihre Jeans von zuvor.

Morte näherte sich Rowan, worauf der Schattenwolf den Kopf hob. Als er sie erkannte, löste er sich einfach auf, kehrte wieder zu den Schatten zurück, in die er auch gehörte. Sie wiederum kniete sich neben Rowan und hob seinen Oberkörper vorsichtig an. Dabei stellte sie fest, dass er doch schwerer war als sie erwartet hatte. Er atmete tief und regelmäßig, aber selbst im Schlaf war sein Gesicht noch ernst, seine Mundwinkel heruntergezogen.

„Gar nicht anders will ich dich haben“, flüsterte sie. „Nur an mich erinnern solltest du dich.“

Eine der schwarzen Federn, die sich vorhin von ihr gelöst hatten, schwebte auf seine Stirn hinab. Dort glühte sie auf, dann verschmolz sie regelrecht mit seinem Kopf. Ares, so wusste sie, würde dieses Vorgehen verurteilen, ihr vorwerfen, dass sie ihren Rowan damit austauschbar machte. Aber im Prinzip war sie doch ebenfalls eine andere Morte, der von Hazes kleinem Schützling nur Erinnerungen aufgezwungen worden waren. Sie sorgte lediglich dafür, dass sich alles so entwickelte, wie es sein sollte – jedenfalls vertrat sie diese Meinung.

Wenige Sekunden nachdem die Feder sich mit ihm verbunden hatte öffnete Rowan leise stöhnend die Augen, dann kniff er sie wieder zu und rieb sich mit einer Hand über die Stirn. Sicher fühlte sie sich noch warm an.

„Was für 'n seltsamer Traum“, brummte er.

„Was hast du denn geträumt?“, fragte sie unschuldig.

Erst nach dieser Frage schien ihm ihre Anwesenheit bewusst zu werden. Er setzte sich aufrecht hin, wandte ihr den Blick zu, musterte sie aufmerksam, dann entspannten sich seine Gesichtsmuskeln, er lächelte sogar. Gut, er hob nur ein wenig die Mundwinkel, aber es genügte ihr.

„Ich habe geträumt, ich würde dich nicht kennen“, erklärte er. „Und dass du mich vor einer Geißel gerettet hast. In einem ziemlich schrägen Outfit.“

Sie lachte. „Nein, wirklich? Das ist echt seltsam. Aber mach dir nichts daraus, es war ja nur ein Traum.“

„Da bin ich echt froh drum.“ Er warf einen kurzen Blick umher. „Aber was machen wir hier überhaupt? Hat mich so ein dämlicher Dämon umgehauen?“

„Das ist eine lange Geschichte“, erwiderte Morte. „Ich erkläre sie dir besser auf dem Weg nach Hause. Wo wir jetzt hingehen sollten, ich bin nämlich ziemlich müde.“

Rowan reagierte sofort darauf. Er stand auf, dann half er ihr ebenfalls nach oben. „Okay, lass uns gehen. Die Schicht ist jetzt bestimmt sowieso vorbei.“

Lächelnd hakte Morte sich bei ihm unter. „Jawohl, also lass uns gehen~.“

Während sie losliefen, wagte sie noch einmal einen letzten Blick hinter sich. Dabei schmunzelte sie innerlich. Was für ein Glück, dass Rowan nicht die Federn bemerkt hatte, die noch immer in der Luft schwebten, wo zuvor ihr Refugium gewesen war.



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