Demonic Rewind von Flordelis ([Demonic Reverie]) ================================================================================ Kapitel 9: Auch das noch. ------------------------- Drei Jahre. Seit drei Jahren war Brava nun mit der Aufgabe beschäftigt, herauszufinden, was genau den Lauf des Schicksal geändert hatte, ob es gefährlich war und falls ja, wie es wieder rückgängig zu machen wäre oder ob es genügte, diesen Zeitstrang mit aller Kraft zu unterstützen. Ihre Partnerinnen, Skalia und Yurid, hielten sich dabei auffallend zurück, sprachen immer nur davon, dass es schwer sei, die genaue Quelle ausfindig zu machen. Vielleicht hatte Brava es deswegen im Grunde schon vor einem Jahr aufgegeben und ihr Leben nun einem anderen Zweck gewidmet. Als sie Skalia davon erzählt hatte, war deren einzige Reaktion ein Stirnrunzeln gewesen, begleitet von einem „Pass auf dich auf“, also war es wohl in Ordnung gewesen, sich so zu entscheiden. Ihr jetziger Zweck unterschied sich nicht so sehr von ihrem alten. Sie war nicht mehr darum bemüht, herauszufinden, wer die Veränderung erwirkt hatte, sondern sie beobachtete jemanden, der davon profitiert hatte. Gegen eine Häuserwand lehnend beobachtete sie nun jeden Tag den Blumenladen, in dem er arbeitete. Dabei störte sie nicht einmal die Kälte, der sie nur einen braunen Schal entgegenzusetzen hatte. Aber da sie die meiste Zeit ohnehin nicht in der Realität verbrachte, störte sie sich auch nicht weiter daran. Sie befand sich in einer Blase, die einen Riss in der Wirklichkeit darstellte. Solange sie sich im Inneren befand, war sie unsichtbar für alle anderen, da ihre eigene Zeit solange anhielt – deswegen sah sie auch nicht viel älter aus als damals nach ihrem Erwachen vor acht Jahren. Wenn man von ihrem einst hellbraunem Haar absah, das inzwischen rot-braun war. Der Blumenladen befand sich jedoch in der Realität. Eden Flowers. Vermutlich wusste er selbst nicht mehr so genau, wie er eigentlich auf diesen Namen gekommen war, aber er war einprägsam. Und die Kunden mochten den Laden, dessen Schaufenster schon derart grün im Winter und farbenprächtig mit den schönsten Blumen in den anderen drei Jahreszeiten war. Manchmal entdeckte sie auch Atanas, der mit seinem schulterlangen weißen Haar immer zwischen den Pflanzen hervorstach, wie er mit der Gießkanne oder anderen Utensilien zwischen ihnen umherlief und sich dabei um sie kümmerte. Brava hatte noch nie ein Wort mit Atanas gewechselt, er wusste nicht einmal, dass es sie gab und sie ihn beobachtete. Aber anhand dessen, was sie alles gesehen hatte, konnte sie sich ein wenig ableiten, was er wohl für ein Mensch sein mochte. Ungeachtet all seiner vergangenen Taten und dem Wunsch, die Erde zerstören zu wollen, war Atanas ein höchst sensibler Mann, der immer äußerst sorgsam mit den Pflanzen umging, manchmal kam es ihr sogar so vor, als streiche er über die Blätter und Blüten. Deswegen wuchsen sie in seiner Gegenwart vermutlich auch so gut. Am liebsten hätte sie einmal die Hand ausgestreckt, um vorsichtig über die Pflanzen zu streichen, aber sie war sich nicht sicher, wie diese auf ihre Zeitlosigkeit reagierten, deswegen ließ sie es. Der Laden lief derart erfolgreich, dass Atanas sich einen Mitarbeiter leisten konnte – und bei diesem handelte es sich ausgerechnet um Cathan Lane. Als er das erste Mal aufgetaucht war, hatte Brava befürchtet, er könnte sie entdecken oder zumindest bemerken, dass sie in der Nähe war, als legendärer Dämonenjäger sollte ihm das immerhin möglich sein – aber bei jeder einzelnen Gelegenheit hatte er keine Notiz von ihr genommen, selbst wenn sie so nah wie möglich herangegangen war. Auch an diesem Tag kam Cathan rechtzeitig um zwei Uhr zur Arbeit, um die Nachmittagsschicht zu übernehmen. Ganz genau hatte sie das Muster, nach dem sie sich Nach- und Vormittage aufteilten, nicht verstanden, aber da sie ja ohnehin auf Atanas achten musste, war es auch egal, wann genau er arbeitete. Es dauerte nicht lange, bis Atanas schließlich den Laden verließ und sie sich ihm anschloss. Wie üblich an einem Freitag, führte sein Weg ihn zu einem kleinen Markt, der nicht sonderlich gut besucht war, vermutlich weil er bald geschlossen wurde. Atanas störte sich aber nicht daran, sondern nahm sich die Zeit, das Obst und Gemüse genau zu betrachten, ehe er es kaufte. Das war auch etwas, das sie über ihn gelernt hatte: Er war sehr gewissenhaft, selbst in Situationen, in denen man glauben könnte, er müsste sich beeilen. Genauso redete er aber auch nur das Nötigste. Wirklich mehr als ein paar Worte hatte sie ihn noch nie am Stück sagen gehört. Nicht einmal im Wechsel mit seinen eigenen Kunden. Mit seinen Einkäufen ging er weiter über den Markt, besaß aber keinen Blick mehr für die anderen Dinge, ganz besonders nicht für andere Marktkunden, die an ihm vorbeikamen. Während Brava ihm folgte, versuchte sie, möglichst jeden Kontakt mit anderen zu vermeiden. Es schadete diesen vermutlich nicht, aber sie wollte dennoch kein Risiko eingehen, während sie sich in dieser Blase befand. Wenn man mit der Zeit spielte, konnte immerhin alles mögliche geschehen und sie wollte verhindern, dass sie das auf eine Art kennen lernte, die nur ihrer Nachlässigkeit zu verdanken war. Da sie wusste, dass Atanas auf dem Weg nach Hause war, musste sie ihn auch nicht im Auge behalten und konnte sich gänzlich darauf konzentrieren, den Zivilisten auszuweichen. Dabei konnte sie diese teilweise genauer betrachten, wieder einmal feststellen, dass sie diese Personen öfter zu sehen bekam und man ihr die Jahre inzwischen anzusehen begann. Andere wiederum waren ihr vollkommen fremd. Erst als sie ein Geräusch hörte, das sie an sich biegenden Stahl denken ließ, richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf Atanas. Er lief vollkommen seelenruhig weiter, der eigentliche Grund für dieses Geräusch war auch weiter oben zu verorten: Zwei wolkenkratzergroße dunkelgraue Würmer beugten sich bedrohlich über Atanas, ihre mit Reißzähnen bewehrte Kiefer mahlten bereits in freudiger Erwartung der baldigen Mahlzeit. Aber niemand außer ihr nahm Notiz von diesen Wesen. Brava griff in die Tasche ihres knöchellangen Rocks und zog einen Kompass hervor. Er sah aus wie ein handelsüblicher, recht billiger Kompass, abgesehen von der Tatsache, dass er ein goldenes Glühen verbreitete. Mit ihrer freien Hand griff sie durch das Glas hindurch, als existiere es gar nicht, bekam etwas im Inneren zu fassen und zog es mit einem Ruck heraus. Der silberne Revolver in ihrer Hand glitzerte im einfallenden Sonnenlicht und lenkte die Aufmerksamkeit der Würmer auf Brava, fort von Atanas, der sich immer weiter entfernte. Kaum war er aus ihrem Blickfeld verschwunden, zerbröckelte die Welt, fiel in sich zusammen und legte eine darunter liegende Ebene frei, die kein Mensch kennen dürfte. Auch hier gab es Bauten, die entfernt an Gebäude erinnerten, aber sie waren krumm, wanden sich um eine unsichtbare Achse oder waren zu abstrakten Formen zerplatzt, die in der Realität sofort eingerissen worden wären, an einigen floss eine zähflüssige rote Flüssigkeit herab. Die Marktstände waren fort, die Zivilisten hatten sich dafür in Schatten verwandelt, die nur entfernt an Menschen erinnerten, sofern man ihre Gliedmaßen und ihre Köpfe in die Länge gestreckt hätte. Die Augen waren durch Löcher ersetzt worden, die dennoch zu sehen schienen, jedenfalls folgten sie jeder von Bravas Bewegungen, als sie den Kompass wieder einsteckte. Der orange-farbene Himmel war mit bewegungslosen roten Wolken bedeckt, die nur daran denken ließen, dass möglicherweise Gott – oder an welches Wesen man auch immer glaubte – sich verletzt und anschließend auf einen Teppich geblutet hatte. Das hier war der Limbus – und nur wenige Lebewesen bekamen die zweifelhafte Ehre, ihn einmal in voller Pracht zu erleben. Die Würmer zögerten nicht mehr und stürzten sich gleichermaßen auf sie. Brava gab einen Schuss aus dem Revolver ab, eine gleißend helle goldene Lichtkugel, die auf den rechten Wurm traf. Mit einem lauten Schrei bäumte er sich wieder auf. Brava nutzte den neu geschaffenen Raum, um nach rechts auszuweichen, genau in dem Moment, in dem der linke Wurm auf den Boden traf, genau dort, wo sie gerade eben noch gestanden hatte. Sie hörte das Knirschen des Asphalts, als die Kiefer des Angreifers diesen zermahlten, stellte sich aber lieber gar nicht erst vor, dass sie auch so hätte enden können. Stattdessen legte sie wieder auf den zuvor getroffenen Wurm an und schoss noch einmal. Ähnlich wie bei den Traumbrechern bestanden die Kugeln ihrer Pistolen aus purer Energie, allerdings speisten sie sich nicht aus der Kondition des Trägers, weswegen sie sich nicht zierte, noch mit weiteren Schüssen nachzulegen. Der Wurm gab einen letzten, lauten Schrei von sich, ehe er stürzte, sich aber in unzählige Funken auflöste, bevor er auf dem Boden aufschlug. Diese wiederum schwebten in den unheilvollen Himmel, lösten sich aber schon nach wenigen hundert Metern bereits auf. Der andere Feind war aber immer noch aktiv und versuchte noch einmal, sie mit dem Maul zu erwischen. Erneut wich sie mit einem Sprung zur Seite aus, glitt dabei durch einen der Schatten, ein Schauer fuhr ihren Rücken hinab. Der Wurm traf wieder auf dem Boden auf, zerfetzte dabei einige der Schatten, die im Weg standen und einen gequälten – und dennoch hohlen – Laut von sich gaben, ehe sie sich auflösten. Brava wollte wieder schießen, aber da bohrte sich der Wurm bereits mühelos in den Boden. Allerdings konnte sie ihm auch nicht folgen, denn hinter ihm schloss sich das entstandene Loch bereits wieder. Sie spürte allerdings, dass er noch immer in der Nähe war, unter ihr, dass er dort das Erdreich aufwühlte und nach einem Weg suchte, sie von dort anzugreifen. Brava blieb so ruhig wie möglich stehen und zielte auf eine nicht weit entfernte Straßenlaterne. Auch diese war durch den Wechsel in den Limbus nur noch entfernt als eine solche erkennbar. Das einstmals graue Metall hatte sich schwarz verfärbt, sich verformt, bis die gerade Stange fast schon eine Fünf bildete. Brava schoss auf die Laterne, worauf das bereits in Mitleidenschaft gezogene Material endgültig nachgab und zu Boden stürzte. Der Aufprall ließ den Untergrund vibrieren und wirbelte eine abnormal große Staubwolke auf, die Schatten gaben einen erstaunten und gleichzeitig verwirrten Laut von sich. Aber es erreichte den gewünschten Effekt: Der Wurm brach aus dem Boden hervor, zermalmte die Straßenlaterne und mehrere der Schatten – und bot ein ideales Ziel für Brava. Sie legte erneut an, konzentrierte sich, bis erst der Revolver und dann auch sie in einem goldenen Glanz zu leuchten begannen. Als sie diesmal abdrückte, warf der heftige Rückstoß sie fast zu Boden. Eine riesige Kugel, fast so hell wie die Sonne, dass es schmerzte, sie anzusehen, raste auf den Wurm zu – und zerfetzte diesen beim ersten Kontakt. Ihm blieb nicht einmal mehr die Gelegenheit, noch einen Ton von sich zu geben. Brava atmete auf und steckte den Revolver ein, kaum dass sich die Kugel auch selbst aufgelöst hatte. Nachdem sie diese Bedrohung beseitigt hatte, sollte sie … Ihr Gedanke blieb unvollendet, da die Schatten sich wieder ihr zuwandten. Die leeren Augenlöcher waren auf sie gerichtet, sie erzeugten ein Gefühl der Unsicherheit und Anspannung in ihrem Inneren, das sie sich nicht erklären konnte. Bislang waren sie nicht aggressiv gewesen – aber kaum dachte sie das, schien jeder Schatten von einem roten Schimmer umgeben zu sein. Die Augenlöcher verformten sich zu wütenden Schlitzen, die bislang weichen Konturen wurden gezackt, wie der Rückenkamm eines Drachen. „Auch das noch“, stieß sie frustriert aus, die ersten Worte seit einer langen Zeit. Sie rannte los, in dieselbe Richtung, in die Atanas vorhin gelaufen war. Der allgemeine Schrei der Schatten erschütterte Mark und Bein, aber sie blieb nicht stehen, sondern rannte immer weiter, zog nicht einmal wieder ihre Waffe, um sich zu verteidigen. Die Wesen streckten sich, um sie zu erreichten, krachten aber nur in den Boden, den sie gerade hinter sich gelassen hatte. Sie spürte, wie er hinter ihr zerbröckelte, in eine unendliche Schwärze fiel, aber darum kümmerte sie sich nicht. Ihr Blick galt nur dem sanften Leuchten vor ihr, das ihr verriet, dass es sich um einen Ausgang aus dem Limbus handelte. Sie wich Schatten aus, die einen Angriff von vorne oder von der Seite wagten. Nur noch wenige Schritte bis sie ankäme. Der Boden unter ihr bebte, bekam Risse, er stürzte gleich mit ihr in den Abgrund. Ihr blieb nur eine einzige Wahl. Sie sammelte ihre letzte Kraft – und sprang. Das Licht des Portals blendete sie, sie schloss die Augen, erwartete den Schmerz, wenn sie gegen irgendetwas prallte oder ein Angriff sie doch noch treffen könnte. Aber stattdessen spürte sie einen kalten Wind auf ihrem Gesicht, hörte wieder ganz normale Verkehrsgeräusche. Und als sie die Augen öffnete, stellte sie fest, dass sie sich wieder in der Realität befand. Sie atmete erleichtert auf, stützte sich mit den Händen auf ihre Knie – und bemerkte dann die verwirrten Blicke der Passanten um sie herum. Mit einem verlegenen Lächeln richtete sie sich wieder auf, wenigstens war aber Atanas nicht zu entdecken, obwohl diese Straßenecke zu seinem Heimweg zählte, so konnte er sie auch nicht sehen und vielleicht misstrauisch werden. Mit hastigen Schritten ging sie weiter, bevor jemand sie ansprechen und sie etwas fragen konnte, worauf sie keine unverfängliche Antwort wüsste. Die sie umgebenden Menschen verloren schnell das Interesse an ihr und widmeten sich wieder ihren eigenen Problemen. Nur einer zwischen ihnen beobachtete sie weiterhin, sie spürte seinen Blick in ihrem Rücken, wollte sich aber nicht umdrehen. Sie wusste ohnehin ganz genau, wer er war, auch wenn sie ihn gerade eben nicht hatte sehen können. Aber sie war überzeugt, dass er dafür verantwortlich gewesen war, dass der Limbus erst Atanas und dann sie angegriffen hatte – und er war gleichzeitig der Vollstrecker des Weltenwächters. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)