Demonic Rewind von Flordelis ([Demonic Reverie]) ================================================================================ Kapitel 6: Ich danke dir. ------------------------- Der Kern von Abteracht sah auf den ersten Blick nicht nach einem solchen aus. Dies lag daran, dass er im Inneren eines Baumstammes war, eines Kirschbaumes, um genau zu sein. Der Raum sah mehr nach dem Inneren einer Höhle aus, in der ein grünliches Licht vorherrschte, obwohl es keine offensichtliche Quelle dafür gab. Rosa Kirschblüten fielen zu Boden, ohne dass der Baum an sich etwas von seinem Glanz verlor. Die Wurzeln waren verankert in einem kleinen Gewässer, auf dem Boden, das ebenfalls keinen Ursprung besaß und nicht wie Wasser funktionierte: fiel ein Blütenblatt darauf, entstanden kleine Wellen, aber berührte man es selbst, war es als berühre man Glas, sah man hinein, spiegelte man sich selbst. Welche Magie auch dahinterstecken mochte, Kieran war davon immer wieder fasziniert. Im Inneren des Baumstamms, halb verdeckt durch die Rinde, war der normalerweise farblose Kristall zu sehen, der den eigentlichen Kern Abterachts ausmachte. Seit zwei Jahren war das Innere allerdings von einem rosa Nebel eingenommen, manchmal konnte man Cerises Silhouette darin erkennen, wie sie friedlich schlief, womöglich unwissend, was hier gerade vor sich ging. Sie wurde nicht davon absorbiert, so wie es bei anderen Dämonen der Fall wäre, aber keiner von ihnen kannte den Grund dafür. Man akzeptierte diese Tatsache einfach und war froh darüber, dass Cerise an einem sicheren Ort genesen konnte. Der Kern wurde verehrt wie eine Gottheit, fast noch mehr als der Weltenwächter, einfach nur deswegen, weil es keinen Zweifel an der Existenz dieses Kristalls gab. Man konnte ihn sehen und sogar anfassen, wenn man mutig genug dafür war. Deswegen respektierte auch jeder Jäger, dass nur solche mit einem bestimmten Rang jederzeit Zugang zu diesem Kern besaßen. Kieran allerdings war da anders. Er hasste dieses Ding aus vollem Herzen, denn als er in seiner Verzweiflung von diesem hatte absorbiert werden wollen, wie sie es mit Dämonen manchmal taten, wenn sie nicht vernichtet werden konnten, war er von ihm zurückgewiesen worden. In der gesamten Geschichte Abterachts war das noch nie vorgekommen, weswegen es alle mit Erstaunen – und ihn mit Resignation – zurückgelassen hatte. Wenn nicht einmal der Kern Abterachts, der Lebensspender aller Dämonen in dieser Welt, der ihnen ihr Überleben in einer vollkommen anderen Atmosphäre als Niflheim überhaupt erst ermöglichte, ihn wollte, warum sollte überhaupt irgendjemand ihn dann wollen? Luans Worte hatten ihn dann nur noch darin bestätigt, dass seine gesamte Existenz ein einziger Fehler war – genau wie Ciar immer gesagt hatte. Aber er lebte immer noch. Nicht zuletzt weil Faren oder Aludra immer in seiner Nähe waren. Selbst hier drin. Er warf einen kurzen Blick hinter sich. Neben der Tür, in respektvoller Entfernung, stand eine Frau in einem hellblauen Kleid und einem dunkelblauen schweren Umhang, der ihre zierliche Figur nur noch kindlicher erscheinen ließ. Durch ihre größtenteils dunkle Kleidung und ihre schulterlangen schwarzen Haare verschmolz sie fast mit der Dunkelheit, die sich neben der Tür erstreckte und nicht von dem grünen Licht erreicht wurde. Lediglich ihr großer blauer Hut, an dem eine mindestens ebenso große Seerosen-Blüte angebracht war, die von einem eigentümlichen Glühen begleitet wurde, erhellte die Umgebung ein wenig. Es half nicht viel gegen die Dunkelheit, aber es ermöglichte ihm, ihre goldenen Augen zu erkennen. Sie und Faren waren immer in seiner Nähe und verhinderten, dass er im Kampf starb, egal wie passiv er war oder wie stark der Feind, aber vor allem ließen sie nicht zu, dass er sich selbst etwas antat. In seinen lichten Momenten fand er das gut, denn er wusste, dass er nicht sterben wollte, aber manchmal konnte er nicht anders als daran zu denken und es sich zu wünschen, und in diesen Augenblicken fand er es unfair, dass sie ihm diese Entscheidung nicht selbst überließen. „Warum weist du mich auch zurück?“, fragte er, wieder einmal, ohne eine Antwort zu bekommen, der Kristall blieb stumm, auch Cerise erwachte nicht. Mit einem leisen, fast lautlosen Seufzen, erhob er sich von seinem Platz. Wann immer er aufgewühlt war, ohne jede Hoffnung weiterleben zu können, kam er hierher, setzte sich vor den Baum und starrte den Kristall an. Warum, wusste er selbst nicht genau, aber er hatte das Gefühl, es half ihm, wenn er seine Wut und seinen Frust auf diesen Kristall konzentrierte und dabei von sich selbst ablenkte. Es hielt ihn am Leben – und das war sicher auch das, was Faren sich wünschte. Bei dem Gedanken an ihn musste er wieder an Luans angefangenen Satz denken. „Faren hat-“ Was war mit Faren? Vielleicht sollte er Luan noch einmal danach fragen, wenn er nicht mehr derart emotional aufgewühlt war. Nach einem letzten Blick auf den Kern, bewegte er sich auf die Tür zu, um den Raum zu verlassen. Aludra verschwand in die Dunkelheit, wie so üblich. Sie ließ nicht zu, dass man sich ihr näherte, wie ein scheues Tier ließ sie Nähe nur zu, wenn sie diese selbst suchte. Aber sie beobachtete ihn weiter aus den Schatten heraus, dessen war er sich sicher. Kaum war er aus der Tür getreten, entdeckte er auch schon Faren, der ihn sofort wieder lächelnd ansah. Kieran fühlte sich an den Tag zuvor zurückerinnert, da hatte der andere immerhin auch auf ihn gewartet, vor Parthalans Büro. Vielleicht musste er aber auch nur an Hunde denken, die warteten auch derart treu ergeben auf jene, die sie lieben. „Alles klar, Kieran?“, fragte er bemüht gelassen. „Nicht wirklich“, erwiderte er. Es war sinnlos, ihn anzulügen, also sagte er ihm eben die Wahrheit, damit sie sich den Tanz darum ersparen könnten. Für diesen Tag hatte er jedenfalls genug davon. Faren hob die Hand, zögerte einen Augenblick und legte sie dann auf Kierans Schulter ab, die er vorsichtig drückte. „Du kannst auf mich zählen, egal was passiert. Das weißt du doch, oder?“ Kieran sah ihn schweigend an. Vielleicht war es das, wovon Luan gesprochen hatte. Faren hatte ihn niemals abgewiesen, ihm nie den Rücken zugewandt – aber vielleicht lag das auch nur daran, dass er eine Herausforderung in Kieran sah. Wenn er dem einfach nachgäbe, wäre er doch gelangweilt von ihm, oder? „Was bin ich für dich eigentlich?“, fragte er unwillkürlich. Faren neigte den Kopf. „Warum fragst du das? Ich dachte, du wüsstest es.“ Es war unmöglich, es nicht zu wissen. Selbst Kieran, der eigentlich sehr unbedarft war, bei allem, was Liebe oder andere Gefühle betraf, hatte es gemerkt. Spätestens nachdem Faren ihm nach Abteracht gefolgt war, nach dem Tod seines Vaters Timothy. „Ich weiß es. Aber ich möchte es dennoch gern hören.“ Kieran senkte den Kopf, spürte aber weiterhin Farens Blick auf sich. „Nur einmal, bitte.“ Zuerst antwortete ihm nur Stille, er fürchtete bereits, Faren wolle nicht antworten – doch dann holte der andere tief Luft. „Ich liebe dich, Kieran.“ Es war kein Hauch von Sarkasmus in seiner Stimme wahrzunehmen, wie Kieran zufrieden feststellte. „Ich weiß, dass das total unsinnig erscheinen muss, wenn man meinen alten Ruf und unsere frühere Distanz bedenkt, aber alles an dir fasziniert mich.“ Kieran spürte, wie Faren ihm mit der Hand das linke Auge freilegte, er hob den Kopf wieder, um ihn anzusehen. In dem braunen Auge seines Gegenübers glitzerte etwas, das Kieran auch in Luans Augen zu sehen geglaubt hatte. „Deswegen bist du für mich mehr als nur ein Freund“, fuhr Faren mit fester Stimme fort. „Du bist der einzige, an dessen Seite ich immer sein möchte.“ Worte, die wie Balsam auf seiner Seele ruhten und ihn sanft zu umgarnen versuchten. „Du würdest mich nie verlassen, oder?“ Er hakte nicht nach, woher diese Frage rührte, sondern schüttelte direkt mit dem Kopf. „Niemals. Ich werde immer bei dir bleiben. Selbst wenn du dich entscheidest, die Welt zu zerstören – dann betrachte mich einfach als deinen dir treu ergebenen Sidekick.“ Zwinkernd gab er ihm zu verstehen, dass er das aber auch gar nicht annahm, was Kieran zufrieden stimmte. Aber vielmehr beschäftigten ihn gerade andere Dinge, die er gesagt hatte. Faren wollte ihn niemals allein lassen, selbst wenn er eine solch folgenschwere Entscheidung träfe. Natürlich, er ging nicht davon aus, dass er das jemals täte, aber Kieran war überzeugt, dass er es wirklich ernst meinte. Faren war vollkommen aufrichtig in seiner Liebe zu ihm. Statt darauf zu antworten, trat er nur einen Schritt vor und schlang die Arme um Faren. Er legte den Kopf auf seiner Brust ab, lauschte dem überraschend schnell schlagenden Herz – und atmete erleichtert auf, als Faren die Umarmung erwiderte. „Ich danke dir“, murmelte er kaum hörbar. „Ich danke dir so sehr, Faren.“ Was wäre er denn schon ohne ihn? Ohne jenen, der immer zu ihm gehalten hatte, selbst wenn er dafür von Kieran angefaucht oder schlichtweg ignoriert worden war? Auf jeden Fall wesentlich zerstörter als ohnehin schon, vielleicht sogar bereits vollkommen der Verzweiflung verfallen. Deswegen musste er diese Worte zumindest einmal aussprechen, wenn er schon gerade einen schwachen Moment hatte, der es ihm ermöglichte, so zu sprechen. Ohne dass er sich Gedanken darum machte, dass jemand ihm im Nachhinein einen Strick daraus drehte. Ohne dass er sich fürchten musste, doch noch abgelehnt zu werden. Es war als läge ein Zauber auf ihm, der ihm das gerade alles erlaubte. So sehr ihn das normalerweise stören würde, im Moment war es ihm durchaus willkommen. „Es ist gut“, sagte Faren, während er ihm über den Rücken strich. „Du musst dich nicht bedanken. Ich kann sehen, dass du mir dankbar bist und das genügt mir vollkommen.“ Womit hatte er jemanden wie ihn nur verdient? Er war fast zu verständnisvoll, um wirklich existieren zu können – und doch war es so, auch wenn er nicht immer so wirkte. Wie sollte Kieran sich jemals dafür bei ihm bedanken? Wirklich bedanken? „Du solltest langsam etwas essen.“ Farens Stimme brach den Zauber wieder. „Und dann ins Bett. Du musst dich ausruhen.“ Vorsichtig löste Kieran sich wieder von ihm und trat einen Schritt zurück. Erst als er sich selbst über die nassen Augen fuhr, bemerkte er, dass er wohl geweint haben musste. Aber Faren kommentierte es glücklicherweise nicht weiter, sondern fuhr ihm nur noch einmal durch das Haar. „Also? Wollen wir los? Wenn du willst, bestelle ich uns eine Pizza, das wäre doch auch mal was, oder?“ „Ich habe es nicht so sehr mit Pizza.“ „Lasagne?“ Bislang hatte Kieran nicht viel darüber nachgedacht, aber plötzlich kam ihm eine Lasagne wirklich wie ein überaus köstliches Gericht vor, das er unbedingt mal wieder essen müsste. Am besten zusammen mit Faren. „Das klingt wirklich gut.“ Kieran lächelte dem anderen zu, was diesem ebenfalls eines seiner seltenen ehrlichen Lächeln entlockte. Dann legte Faren seinen Arm um Kierans Schultern und zog ihn mit sich. „Fein, dann gehen wir mal in unser Zimmer. Ich hab auch ein paar schöne neue Filme, die wir uns ansehen könnten. Keine Sorge, keine Horrorfilme, ich weiß ja, dass du die nicht magst.“ Er zwinkerte ihm zu, während sie gemeinsam in Richtung ihres Zimmers davonging. Kieran störte sich nicht im Mindesten daran. Nur für heute, nur diesmal, wollte er sich auch nicht daran stören, sondern die gemeinsame Zeit mit Faren genießen, um ihm zumindest ein wenig das zurückzugeben, was er ihm tagtäglich schenkte: Ruhe und die Kraft, das alles durchzustehen, so gut er nur konnte. Ohne Faren wäre er nicht hier – und allein dafür liebte er ihn. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)