Die Grotten von Necrandolas von -wolfsmoon- ================================================================================ Kapitel 59: Harte Worte ----------------------- Grummelnd sah Harry nach vorne zum Pult, statt, wie angeordnet, den Text im Buch zusammenzufassen. Im ganzen Raum waren nur kratzende Federn zu hören und alle arbeiteten so hochkonzentriert, dass niemandem die bösen Blicke des Gryffindors auffielen. Opfer dieser Blicke war natürlich nur eine Person: Severus. Seit vier Tagen unterrichtete er wieder und bewies mal wieder, wie erwachsen er doch war... indem er noch immer beleidigt wegen ihrem Streit im Krankenflügel war. Gut, Harry war ihm auch noch nicht wieder ganz wohlgesonnen, aber er war wenigstens nicht so kindisch, den anderen komplett zu ignorieren. Severus zog ihm ja nicht einmal mehr Punkte ab, was argwöhnisch von Harrys Klassenkameraden beobachtet wurde. Ihnen war natürlich aufgefallen, dass Harry seit Necrandolas kein Nachsitzen mehr bei Snape bekam, aber dass er nun auch keine Punkte mehr verlor, schoss den Vogel ab und sorgte für immer mehr Gemurmel. Harry versuchte das so gut wie möglich zu ignorieren, doch irgendwann war seine Geduld am Ende. Besonders die Slytherins regten ihn auf, da ausgerechnet die so dreist waren zu behaupten, Snape würde ihn bevorzugen. Und was tat Severus dagegen? Nichts. Er schien es nichtmal zu bemerken, wenn Harry von Malfoy als 'Snapes ganz persönlicher Liebling' betitelt wurde, und das nur, weil er mal wieder beleidigte Leberwurst spielen musste. Soviel also zur Unauffälligkeit, die Severus doch ach so wichtig gewesen war! Zugegeben, es war auch nicht sonderlich erwachsen von Harry, dass er inzwischen absichtlich Dinge falsch machte, um endlich Nachsitzen zu provozieren, aber selbst das funktionierte nicht. Damit war für Harry die Sache klar: Severus wollte ihm einfach partout kein Nachsitzen geben. Und warum ihn das wütend machte? Wenn Harry ehrlich war, wusste er es selbst nicht so genau. Alles was er wusste war, dass diese Ignoranz schmerzte und seine Wut eine reine Verteidigungsstrategie war. „Potter, sind Sie etwa schon fertig?“, schnarrte die kalte Stimme und Harry spannte den Kiefer an. „Nein, Sir.“ „Und warum starren Sie dann Löcher in die Luft?“, knurrte Severus mit eisigem Blick. „Kreative Denkpause“, antwortete Harry ungerührt. „Wenn es danach ginge, würden Sie den gesamten Tag in der Gegend herumstarren“, entgegnete Severus ebenso glatt. „Einen einfachen Text zusammenzufassen sollte allerdings nicht einmal Sie überfordern, Potter. Viel Kreativität ist bei so etwas nicht gefragt.“ „Wenn ich weiterhin mein Mies halten will, schon. Schließlich muss ich Ihnen dafür irgendwelchen Blödsinn vorlegen können.“ Skeptisch warf Hermine ihrem Freund einen Blick zu. Harry wusste genau, dass sie sich fragte, was diese blöden Antworten sollten, aber dem Gryffindor war einfach gerade danach. Irgendwie musste er seinem Frust ja Luft machen. „Was halten Sie davon, wenn ich Ihren Text bereits jetzt einsammle und ein Troll darunter setze?“, zog der Tränkemeister eine Augenbraue hoch. Gespielt überlegend sah Harry zum anderen und erkannte mit leichter Genugtuung, dass Severus innerlich kochte. Gut, Harrys Spiel hier war nicht unbedingt klug, immerhin untergrub er Severus' Autorität, aber irgendwie musste er es dem anderen ja heimzahlen. Die Geduld des Tränkeprofessors riss endgültig und mit einem kurzen Schwenk seines Zauberstabs, flog Harrys Pergament zum Pult herüber. Ohne den Text auch nur eines Blickes zu würdigen, setzte Severus ein großes T darunter und legte ihn dann beiseite. Als es zur Pause klingelte, war Harry der erste, der aufsprang. Er rechnete fest damit nochmal aufgehalten zu werden, aber zu seinem Ärger passierte nichts. Was musste er denn noch tun, bis Severus reagierte? „Harry, was ist denn nur los mit dir?“, zischte Hermine ihm zu, als sie ihn eingeholt hatte. „Es ist schon schlimm genug, dass Snape so komisch reagiert, dann musst du das nicht noch weiter steigern.“ „Er soll mich endlich wieder normal behandeln!“, wütete Harry los. „Seine beißenden Kommentare und Punkteabzüge sind tausend mal besser als das hier.“ „Aber offensichtlich geht er ja nicht auf dein Spiel ein. Lass den Blödsinn endlich bleiben.“ Knurrend murmelte Harry: „Wir werden schon sehen, ob er drauf eingeht.“   Für die nächste Zaubertrankstunde wollte Harry noch einen draufsetzen. Sie brauten einen recht einfachen Trank, was es ihm noch viel einfacher machte seinen Plan in die Tat umzusetzen, denn nun konnte er seine Fehler genau einplanen. Da er wusste, wie wichtig Severus Trankzutaten waren, ging er mit ihnen so grob wie möglich um. Statt Würfel zu schneiden, hackte er wild drauf los. Statt den Saft auszupressen, löffelte er ihn regelrecht heraus. Als er seine Zutaten schließlich mit so viel Schwung in den Trank warf, dass es nur so spritzte, kam endlich eine Reaktion. „Verdammt, Potter, was soll das werden?!“ „Mein Trank, Sir“, antwortete Harry unschuldig tuend und malträtierte als nächstes die Froschschenkel. „Stellen Sie sich nicht dümmer als Sie sind! Und hören Sei endlich auf dieses Tier erneut ermorden zu wollen!“, kam Severus angezischt und riss dem Gryffindor das Messer aus der Hand. „20 Punkte Abzug von Gryffindor. Sie werden diese Brühe hier entsorgen und von vorne anfangen, verstanden? Und wehe Sie machen auch nur den kleinsten Fehler.“ „Sonst was?“, zischte Harry dem Slytherin leise zu und erdolchte ihn geradezu mit seinem Blick. Hermine hielt die Luft an und stockte in ihrer Arbeit. Den Blickkontakt nicht brechend, stützte Severus sich langsam auf dem Tisch ab und kam gefährlich näher. „Sonst ziehe ich Ihnen so viele Hauspunkte ab, dass man die Rubine am Ende des Schuljahres per Hand abzählen kann“, murrte er mit eisig schneidender Stimme, während sein Blick stahlhart wurde. „Sehr originell“, trieb Harry das Spiel weiter. „Es gab Zeiten, da waren Sie mal kreativer, was die Strafen anging.“ „Sie können auch gerne einen Aufsatz schreiben. Zusätzlich versteht sich.“ Ein humorloses Schmunzeln huschte auf Harrys Gesicht, während er weiterhin den kalten Blick erwiderte. Ein Aufsatz, natürlich. Wieder eine Strafe, bei der er Harry von sich fernhalten konnte. „Ich glaube, Sie werden langsam alt, Professor. Kein Durchhaltevermögen mehr, um Nachsitzen zu verteilen?“ Hermine versetzte Harry geschickt versteckt einen Tritt unterm Tisch, doch Harry biss die Zähne zusammen und versuchte sich den Schmerz nicht anmerken zu lassen. Ihm war bewusst, dass seine Mitschüler sie völlig verständnislos anstarrten und sich auf diese Situation überhaupt keinen Reim machen konnten. Harry konnte die Gerüchteküche praktisch schon brodeln hören, aber das schien die einzige Möglichkeit zu sein, Severus endlich zu seinem alten Ich zurückzuzwingen. „30 Punkte Abzug von Gryffindor!“, donnerte Severus los. „Jetzt sehen Sie zu, dass Sie mit Ihrem Trank anfangen.“ Severus hatte sich gerade weggedreht, als Harry nochmal nachsetzte. Er musste ihn einfach zum explodieren bringen. „Machen Sie es sich doch noch einfacher und bewerten Sie einfach diesen Trank hier. Noch bequemer können Sie es sich nicht mehr machen.“ Sofort schnellte Severus wieder zurück. „Es reicht, Potter!“, rief er ihm wutschnaubend entgegen. „Auf ein Wort!“ Er deutete auf die Tür und ohne zu zögern erhob Harry sich. Kaum hatte er den Klassenraum verlassen, folgte Severus ihm und knallte die Tür hinter ihnen zu. Grob packte er den Gryffindor am Arm und zerrte ihn noch einige Schritte von der Tür weg. „Was soll der Scheiß, Potter?!“ „Das sollte ich eher dich fragen!“, donnerte Harry zurück. „Du ignorierst mich inzwischen so sehr, dass die anderen misstrauisch werden. Was verstehst du bitte unter unauffälligem Verhalten?“ „Das ist auf jeden Fall unauffälliger als das, was du momentan abziehst!“, deutete Severus wütend Richtung Klassenzimmer. „Ich wollte dich damit aus der Reserve locken. Damit du mich endlich wieder normal behandelst und nicht bockiges Kleinkind spielst. Es fällt jedem auf, dass du mir seit Necrandolas kein Nachsitzen mehr gibst.“ „Schonmal auf den Gedanken gekommen, dass ich das absichtlich mache?!“ „Jaa, das machst du, um beleidigte Leberwurst zu spielen!“ „Falsch! Ich mache das, weil ich dich einfach nicht mehr ertragen kann!“ Eine kurze Stille entstand und Harry schluckte. Es war nicht das erste Mal, dass Severus ihm das entgegengeschleudert hatte und es war auch nicht das erste Mal, dass es schmerzte. Wesentlich leiser antwortete Harry bissig: „Ja, ich weiß schon. Ich bin nervig, unausstehlich und meine bloße Existenz ist ein Verbrechen.“ „Endlich hast du es erfasst!“, brachte Severus aufgebracht heraus. Wütend rief Harry zurück: „Wenn es ein Verbrechen ist, dass ich existiere, dann schiebst du damit doch eher meinen Eltern...“ „Deine Eltern waren die ersten, die unter dir zu leiden hatten!!“, rief Severus wutentbrannt aus. Harry blieben die Worte im Halse stecken und er hatte das Gefühl gegen eine Wand zu laufen. Völlig sprachlos starrte er den anderen an, der sich davon nicht in seiner Wut beirren ließ. „Wenn du dran zweifelst, dass du nur Unglück bringst, dann kannst du ja als erstes deine Eltern und diese Flohschleuder von Black fragen!“ Unwillkürlich keuchte Harry auf. Das hatte gesessen. Er atmete möglichst unauffällig ein, um sich zu fangen und sah ratlos in die Augen des anderen, die noch immer so viel Wut versprühten. Es hatte damals also nichts mit der speziellen Situation zu tun gehabt, was Severus da von sich gegeben hatte. Nein, es war seine ehrliche Meinung. Harrys Brust schmerzte, als würde sich Stacheldraht immer weiter zuziehen. Das einzige, was Harry da nun gegen tun konnte, war Gegenangriff. Severus ebenfalls wehtun. Aber wie? Was konnte er sagen, um Severus zu verletzen? Gespielt ratlos zuckte Harry mit den Achseln. „Also schön, ich gebe auf. Eigentlich hatte ich gehofft, mich noch ein wenig mit dir vergnügen zu können, aber langsam ist meine Geduld am Ende.“ Der Blick des Tränkemeisters wechselte zu Verwirrung und Harry fühlte sich immer sicherer. So setzte er mit einem falschen Lächeln hinterher: „Ich bin wohl doch zu sehr daran gewöhnt alles zu bekommen, was ich haben will. Ich hatte gehofft, dich wenigstens noch einmal irgendwie rumzukriegen. In Necrandolas war es schon sehr prickelnd, aber in der Schule ist das nochmal eine ganz andere Art von Gefahr. Aber meine Geduld ist nunmal nicht die größte, wie du weißt. Dann lassen wir die Spielchen eben.“ Erneut zuckte Harry mit den Achseln und setzte sein gesamtes Schauspieltalent ein, um möglichst arrogant zu wirken. „Dann suche ich mir eben ein neues Spielzeug. Es gibt hier ja genügend Schüler, die sich leicht von mir um den Finger wickeln lassen. Vielleicht macht es mit denen ja mehr Spaß.“ Ein seltsamer Schatten schlich über Severus' Augen, welche dieser verengte und den Gryffindor feindselig musterte. „Wenn du unbedingt zur Hure von Hogwarts werden willst, dann tu dir keinen Zwang an“, zischte Severus dunkel. „Solange das nicht meinen Unterricht stört, ist es mir völlig egal. Wäre schließlich nicht der einzige Punkt, in dem du abnormal wärst. Und jetzt sieh zu, dass du wieder reingehst. Ich will einen tadellosen Trank sehen.“ Damit drehte Severus sich um und ging Richtung Tür, während Harry sich auf die Lippe biss. Verdammt, warum musste Severus sich auch immer so im Griff haben? Musste er ihn ernsthaft noch weiter provozieren? Also gut. „Ich? Abnormal? Das sagt mir ausgerechnet jemand, der offensichtlich auf Typen einer anderen Altersklasse steht? War das schon immer so bei dir? Mit wem bist du denn dann ins Bett gehüpft, als du selber noch jung warst? Hast du dir dann ältere gesucht?“ Die Reaktion kam so überraschend schnell, dass Harry nicht reagieren konnte. Blitzschnell hatte Severus sich wieder umgedreht, Harry gepackt und drückte ihn grob an die Wand. Vollkommen überrascht keuchte Harry auf und griff nach der Hand, die sich drohend um seine Kehle schloss. In den Augen des Slytherins stand eiskalte, ungebändigte Wut. „HALT ENDLICH DEIN VERDAMMTES MAUL, POTTER!!“, schrie Severus dem anderen entgegen. „Vögel dich meinetwegen einmal durch die gesamte Schülerschaft, aber lass mich endlich in Ruhe!! Du hörst mir jetzt genau zu!“ Severus Stimme wurde drohend leiser und duldete keinerlei Widerspruch, als er schneidend weitersprach: „Du wirst dich so gut von mir fernhalten, wie es nur möglich ist. Du wirst in meinem Unterricht nicht einen winzigen Mucks von dir geben, keine Tränke versauen und beim Klingeln der erste sein, der mir aus den Augen geht! Außerhalb des Unterrichts will ich nicht einmal den Zipfel deines Mantels sehen, verstanden? Wenn dir deine ach so beliebte Visage lieb ist, wirst du dich nicht mehr bei mir blicken lassen!“ Noch nie hatte Harry in einer Stimme so viel Drohung und Hass gehört. Der kräftige Griff um seinen Hals tat sein übriges. Harry erstarrte zur Salzsäule und ein kalter Schauer kroch ihm über den Rücken. Severus machte ihm tatsächlich Angst. Der Slytherin verzog sein Gesicht. „Du widerst mich an.“ Damit stieß er Harry unsanft Richtung Tür. „Pack deine Sachen und geh für heute. Ich kann dich nicht mehr ertragen.“ Schluckend setzte Harry sich in Bewegung und gab keinen Ton von sich. Severus' Worte schnitten wie ein heißes Messer in sein Fleisch, während Angst seine Flucht beschleunigte. Eilig betrat er das Klassenzimmer, wo er neugierig gemustert wurde. Stumm ging er zu seinem Platz, ignorierte die besorgten Blicke seiner Freunde und packte seine Sachen zusammen. Severus würdigte ihn keines weiteren Blickes, sondern ging zu seinem Pult zurück. Als Harry seine Tasche schulterte, sahen die Schüler irritiert zu Snape, doch dieser sah nicht einmal auf. „Sollten Sie nicht an Ihren Tränken arbeiten?“, schnarrte er kalt und sofort gingen die Köpfe wieder hinunter. „Harry?“, flüsterte Hermine kaum hörbar, doch sie wurde ignoriert. Ohne sich umzusehen, stapfte Harry zur Tür und verließ den Klassenraum.   Endlich war die letzte Unterrichtsstunde vorbei. Syndia hatte heute sogar früher Schluss gemacht und machte sich, wie immer, auf den Weg in die Kerker, um Severus bei seinem Klassenraum abzuholen. Als sie fast da war, klingelte es gerade und die Schüler strömten aus dem Tränkeraum. Irritiert wurden ihre Schritte langsamer, als sie sah, dass Weasley und Granger ohne Harry unterwegs waren und zwischen ihnen eine bedrückende Stimmung herrschte. Mit einem unguten Gefühl kam sie an der Tür an, als Severus den Raum ebenfalls verließ und die Tür schloss. Bei der Stimmung ihres Bruders, blieb sie stehen und erwiderte angespannt den Blick des Slytherins. Sie konnte Severus' Gedanken nicht lesen aufgrund seiner guten Okklumentikkünste, doch seine Ausstrahlung reichte aus, um zu wissen, dass etwas ganz gewaltig nicht stimmte. „Du wirst heute alleine Tee trinken müssen, Syndia“, murrte Severus nur und sah für sich das Gespräch damit als beendet an. Syndia schluckte und beobachtete ihren Bruder ernst. „Was hat Harry dir angetan?“, fragte sie gerade heraus. Es war nicht schwer zu erraten. Eine solche Stimmung konnte nur Harry verursacht haben. „Das geht dich einen feuchten Dreck an“, knurrte der Slytherin nur und ging den Flur hinunter. Kurz sah Syndia ihm irritiert nach, bevor auch sie sich in Bewegung setzte und ihm folgte. „Sev, was ist los?“ „Sagmal bist du taub?“, zischte Severus nur über die Schulter. „Lass mich in Ruhe!“ Syndias einzige Reaktion war, dass ihre Augenbraue nach oben wanderte. Stumm lief sie hinter ihrem Bruder, bis sie sein Büro erreichten. Ohne zu zögern folgte sie ihm und schloss die Tür hinter sich. „Worüber habt ihr euch gestritten?“, fragte sie sachlich nach. Wutschnaubend drehte der Tränkemeister sich zu ihr um. „Verdammt, Syndia! Wie kann man nur so nervig sein?!“ „Ich mache mir Sorgen, das ist alles.“ „Dann mache das in deinem eigenen Büro!“ Eine kurze Stille entstand, in der Syndia ihren Bruder nur musterte. So sehr er auch versuchte sie mit seinem Blick zu erdolchen, erkannte sie sehr wohl den Schmerz dahinter. Und ebenso sah sie, dass die Mauer aus Wut kurz davor war zusammenzustürzen. „Sev“, flüsterte sie sanft und trat langsam auf ihn zu. Doch bevor sie ihn berühren konnte, drehte Severus sich abwehrend von ihr weg. „Ich brauche dein Mitleid nicht“, murmelte er mit schon wesentlich weniger Kraft in der Stimme. Geduldig wartete Syndia darauf, dass Severus sich endgültig beruhigte, der zu einem Schrank ging, um sich daraus ein Glas mit Feuerwhiskey zu holen. Er nahm sogleich einen kräftigen Schluck und atmete durch, um seine verkrampfte Haltung loszuwerden. Alkohol um die Uhrzeit? Harry musste Severus wirklich schwer getroffen haben. Erneut setzte Syndia sich in Bewegung und trat langsam hinter ihren Bruder. Sanft strich sie ihm über den Rücken, bevor sie ihr Kinn an seiner Schulter ablegte. Behutsam flüsterte sie: „Was hat Harry getan, dass er dich so aus der Bahn wirft?“ Aufseufzend grummelte Severus: „Nichts. Er ist einfach nur ein arrogantes Arschloch.“ „Und kannst du das auch genauer definieren?“ Severus löste sich von ihr und setzte sich an seinen Schreibtisch. „Seine Pubertät scheint den Höhepunkt erreicht zu haben, das ist alles. Anders kann ich mir nicht erklären, was dieser ganze Schwachsinn soll.“ „Muss ich dir alles aus der Nase ziehen?“, seufzte Syndia auf und verschränkte die Arme. Nach einem kurzen Blick zu seiner Schwester, setzte Severus fort: „Er ist frech, aufmüpfig, arrogant, tobt sich offenbar bei beiderlei Geschlechtern aus und beschimpft Autoritätspersonen als perverse, alte Säcke. Klingt mir stark nach Pubertät, meinst du nicht auch?“ Skeptisch wanderte erneut die Augenbraue der Hexe nach oben. „Das hat er nicht wirklich zu dir gesagt, oder?“ „Er hat es anders umschrieben aber doch, so hat er es gemeint“, knurrte Severus und nahm erneut einen Schluck aus seinem Glas. Mitleidig seufzte Syndia auf. „Sev, du weißt hoffentlich, dass er das niemals wirklich so meinen...“ „Doch, er hat es so gemeint, Syndia“, unterbrach Severus sie knurrend. „Hör endlich auf ihn dauernd in Schutz zu nehmen!“ „Meinst du nicht, dass nach allem, was in Necrandolas passiert ist, und ja, ich weiß ganz genau was da lief, du genug Beweise dafür haben müsstest, dass Harry ganz anders von dir denkt?“ „Necrandolas ist eine ganz andere Geschichte“, wehrte der Slytherin sofort ab. „Das ist Vergangenheit, verstanden? Inzwischen sieht Potter sich in der Schülerschaft um.“ Skeptisch zog Syndia eine Augenbraue hoch. „Man sieht Harry nie mit irgendjemandem anbandeln und so wie ich ihn einschätze, ist er auch nicht der Typ dafür, sich mal eben zu verlieben.“ „Von verlieben war auch nie die Rede und du bist auch nicht Allwissend.“ „Dann kläre mich doch auf, statt hier nur blöde Sprüche zu bringen.“ „Also schön“, riss Severus der Geduldsfaden und drehte sich mit dem Stuhl so um, dass er Syndia wieder direkt ansehen konnte. „Potter hat mir soeben offenbart, wie langweilig ihm doch sei und dass er diese Langeweile nun mit abwechslungsreicher 'Gesellschaft' vertreiben will.“ Skeptisch sah Syndia zurück und erkannte, wie wieder die Wut in Severus hinaufkroch. „Er sagte, er würde sich jetzt nach neuem 'Spielzeug' umsehen, wo er doch so heiß begehrt ist in Hogwarts“, spie Severus mit tiefer Verachtung in der Stimme aus. Syndia wusste nicht so ganz, was sie von dieser Info halten sollte. Diese Aussage passte überhaupt nicht zu Harry, besonders der Begriff des 'Spielzeugs' nicht. Anscheinend fehlten ihr noch weitere Details, um das ganze zu verstehen, denn das Wort 'neu' war ihr keineswegs entgangen. Warum sollte Harry so etwas zu Severus sagen? „Er wollte dich doch nicht etwa eifersüchtig machen, oder?“ „Und schon wieder eine Ausrede!“, war Severus sofort wieder in Fahrt und sprang aufgebracht auf. „Hör endlich auf dir irgendwelchen Schwachsinn zusammenzureimen!“ „Ich setze nur die Dinge zusammen, die du mir erzählst“, erwiderte Syndia keineswegs eingeschüchtert. „Nein, du drehst dir alles so lange zurecht, bis es in dein Bild passt! Potter hat gesagt, er will sich durch die Schülerschaft vögeln. Wie kannst du da bitteschön auf so etwas dämliches wie Eifersucht kommen?!“ „Ganz einfach!“, rief Syndia nun auch aufgebracht zurück. „Weil Harry sich in dich verliebt hat und einfach nur herausfinden wollte, wie du reagierst.“ Severus lachte humorlos auf. „Komm wieder auf den Boden der Tatsachen, Syndia.“ „Nein, du musst nur endlich aufhören alles zu leugnen. Allein durch die kritische Situation kannst du nicht begründen, was da in Necrandolas zwischen euch gelaufen ist. Aber du hast ja nichts besseres zu tun, als Harry von dir zu stoßen und ihn damit vollkommen im Ungewissen zu lassen.“ „Für Potter war das ganze nur ein Spiel!“, schrie Severus wutschnaubend. „Er hat es mir doch selbst gerade gesagt! Ihm wird das ganze langsam zu langweilig und er sucht sich jetzt Frischfleisch!“ Nun war es an Syndia humorlos zu lachen. „Und das hast du ihm ernsthaft abgekauft? Nur mal angenommen, er hätte wirklich vor, sich 'neu umzusehen', dann bist ganz allein du selbst daran Schuld! Du weist ihn ständig ab, wirfst mit fiesen Kommentaren um dich und merkst nicht einmal, dass du ihm damit wehtust! Mach nur weiter so, dann verlierst du ihn wirklich irgendwann an jemand anderen!“ „Völliger Schwachsinn, du hast doch gar nicht mit angehört, was und wie er es gesagt hat! Hör auf immer nur das Gute in ihm zu sehen!! Er ist ein verdammtes Arschloch, das andere nur zu seinem Vorteil ausnutzt! Er ist arrogant, dickköpfig, neunmalklug, neugierig, dreist...“ „Und trotzdem liebst du ihn“, warf Syndia wieder ruhig ein. Mit dieser Bemerkung brachte sie Severus vollkommen aus seiner Schimpftirade. Verdattert starrte er sie an, bevor er sich wieder fing und auf Abwehr umschaltete. „Wieder legst du dir irgendwelchen Bullshit zurecht. Potter ist mir vollkommen egal!“ Siegessicher verschränkte Syndia die Arme. „Wenn es so wäre, würdest du dich nicht darüber aufregen, dass Harry sich an jemand anderen heranschmeißen will.“ „Falsch!“, warf Severus sofort ein. „Er soll meinetwegen machen was er will. Was mich aufregt ist, dass er behauptet...“ „...dich benutzt zu haben“, ergänzte Syndia sanft und trat langsam auf ihren Bruder zu. „Es verletzt dich, wenn er sagt, du seist nur ein Spielzeug gewesen.“ Sofort verstummte Severus und starrte seine Schwester nur an. Bei ihrem Bruder angekommen, strich Syndia ihm sanft eine Strähne hinters Ohr. Seine Augen waren voller widersprüchlicher Emotionen, die um die Vorherrschaft kämpften. Ihm lagen bereits die nächsten Einwände auf der Zunge, doch er brachte sie einfach nicht heraus. Leise sprach die Hexe weiter: „Meinst du nicht, dass das ebenso ein Zeichen dafür ist, dass Harry dir eben nicht egal ist?“ Ein kurzes Aufblitzen in den schwarzen Tiefen deutete an, dass Severus ihr endlich Recht geben würde, doch diese Schwäche war schnell wieder verschwunden. „So ein Blödsinn“, zischte er scharf und entfernte sich wieder abwehrend von seiner Schwester. „Abgesehen davon spielt das doch überhaupt keine Rolle.“ Erneut drehte er sich zu Syndia um und knurrte: „Es ist egal, was zwischen uns gelaufen ist und es ist erst recht egal, was wer empfindet. Denn es gibt da einen entscheidenden Punkt, den du offenbar liebend gerne ignorierst.“ Er trat einen weiteren Schritt auf sie zu. „Potter. Ist. Mein. Schüler.“ Ungerührt antwortete Syndia: „Glaubst du wirklich, dass dieses ruhige Schulleben noch lange so weitergehen wird? Abgesehen davon, dass das Schuljahr bald vorbei ist, wissen wir beide ganz genau, dass Voldemorts Fokus genau auf dieser Schule liegt. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis das gesamte System zusammenbricht.“ „Gut, wenn du meinst“, zischte Severus schnippisch. „Dann kommen wir eben zum nächsten Punkt: Potter ist viel zu jung.“ „Die Seele kennt kein Alter“, hielt Syndia gegen. „Beziehungsweise euer beider Seelen haben keinen großen Altersunterschied.“ Verärgert donnerte Severus: „Jetzt komme mir bitte nicht mit solch einem Schwachsinn!“ „Das ist kein Schwachsinn“, konterte Syndia. „Und das weißt du ganz genau. Zumindest solltest du das als Lamia wissen.“ „Nur weil man ein Lamia ist, muss man nicht den Glauben der Vampire teilen“, kam als knurrende Antwort. „Wir leben in einem freien Land, ich kann glauben was ich will.“ Seufzend verdrehte Syndia ihre Augen. „Suche dir nur weiter deine Ausreden. Du hast sicherlich noch weitere auf Lager, oder?“ „Eine, die du nie nachvollziehen wirst“, murrte Severus kühl und schenkte sich Feuerwhiskey nach. „Und die wäre?“ „Wir stehen kurz vor einem offenen Krieg gegen den Dunklen Lord.“ Eine Augenbraue hochziehend, dachte Syndia über das Argument nach. „Du meinst... eure Wege könnten sich dadurch trennen.“ „Nicht sie könnten, sondern sie werden“, trank Severus einen Schluck, ohne seinen finsteren Blick von seiner Schwester abzuwenden. „Wir würden uns nur gegenseitig in Gefahr bringen.“ „Aber... ihr seid doch so oder so...“, begann Syndia, doch irgendwie ergaben Severus' Worte für sie keinen Sinn. „Ich sagte doch, du wirst es nicht verstehen“, knurrte der Slytherin und setzte sich wieder auf seinen Schreibtischstuhl. „Und auch wenn du jetzt jedes meiner Argumente niederschmettern willst, es ändert nichts an meiner Meinung. Nach allem, was Potter von sich gegeben hat, hat er bei mir verschissen. Mit dem Kerl bin ich durch. Gewöhne dich daran.“ Arme verschränkend musterte Syndia ihren Bruder voll Sorge und Ratlosigkeit. „Das war's also? Selbst jetzt, wo Harry nicht mehr auf dich warten will, willst du noch immer nicht um ihn kämpfen? Du riskierst es, ihn zu verlieren?“ Eine lange Stille entstand, in der Severus auf sein Glas sah, in dem er den Whisky umherschwenkte. „Ich hatte ihn nie, Syndia, also verliere ich auch nichts.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)