Die Grotten von Necrandolas von -wolfsmoon- ================================================================================ Kapitel 45: Die Vorteile einer Maske ------------------------------------ Als Harry seine Kabine verließ, stand Severus vor dem Waschbecken und sah in den Spiegel, während er sich die Haare kämmte. Er trug nur ein Hemd und eine Jogginghose, da Poppy ihm sowieso gleich wieder den Gips und Verband anlegen würde. Ihre Blicke trafen sich kurz über den Spiegel, ehe Severus sich wieder seiner Arbeit widmete. Etwas unsicher trat Harry neben ihn und fuhr noch einmal mit dem Handtuch durch seine Haare, bevor er es ablegte und seine Bürste heraussuchte. „Deine Haare stehen doch in 10 Minuten sowieso wieder in alle Richtungen ab“, kommentierte der Slytherin das sogleich. „Die Hoffnung stirbt zuletzt“, gab Harry zurück. Er war erleichtert, dass Severus das Gespräch suchte, aber dennoch war die Stimmung seltsam. Der Slytherin sprang ständig hin und her. Im Krankensaal siezte er ihn und wirkte unnahbar, jetzt redete er normal mit ihm und vorhin stand er sogar mit ihm unter der Dusche. Konnte der Kerl sich mal entscheiden? Und dann war da noch das Medaillon. Als Harry fertig mit Kämmen war, nahm er die Kette zur Hand und betrachtete sie. „Was ist so besonders an dem Medaillon?“, fragte er geradeheraus. Ohne von seiner Tätigkeit abzulassen, erklärte Severus: „Es beschützt seinen Träger. Ohne dieses Medaillon hätte ich mehr als nur Knochenbrüche abbekommen, wäre vielleicht sogar vom Erumpent getötet worden. Es hemmt Schmerzen und schränkt den Grad der Verletzungen ein.“ Verstehend nickte Harry abwesend. „Du hast es mir gegeben, damit wir weiterlaufen konnten, nicht wahr?“ „Ich habe es dir gegeben, weil du fast gestorben wärst“, korrigierte Severus ihn und packte seine Bürste weg. Harry warf ihm einen Seitenblick zu, sah noch einmal auf das Medaillon und schob es dann dem anderen zu. „Danke.“ „Wenn du mir jedes Mal einen Knut geben würdest, wenn ich dir den Arsch rette, wäre ich jetzt reich“, antwortete der Slytherin nur trocken und steckte die Kette ein. Grübelnd betrachtete Harry ihn. Wenn er wieder anfangen konnte zu maulen, ging es ihm wohl wieder gut. Während Harry als erstes eine Panikattacke unter der Dusche bekam. „Da ist kein Blut, Harry!“ Woher hatte er gewusst, was er da versucht hatte fortzuwaschen? Hatte er Legilimentik benutzt? „Wieso...“, begann Harry zögernd. „Du hast gesagt... da wäre kein Blut. Woher wusstest du...?“ Er ließ die Frage offen und sah zum anderen, der nur ruhig zurücksah. Leise antwortete dieser: „Ich habe eben viel erlebt.“ Damit brach er den Blickkontakt und packte seine Tasche zusammen, während Harry ihn grübelnd musterte. Hieß das Severus hatte soetwas schon einmal selbst durchlitten? Er hatte auch versucht Blut von seinen Händen zu waschen? Naja, als ehemaliger Todesser, der seine Taten bereute, vielleicht gar nicht so unwahrscheinlich. Schon erstaunlich wie offen Severus das inzwischen zugab. Sie kannten sich mittlerweile sehr gut, vertrauten sich. Aber nun waren sie wieder in Hogwarts. Wie sollte es jetzt weitergehen? Wie sollten sie miteinander umgehen? „Severus... Was... Wie..?“, nahm Harry all seinen Mut zusammen und versuchte seiner Verwirrtheit Ausdruck zu verleihen, doch er wusste nicht wie. „Potter, du weißt schon, dass wir in der Öffentlichkeit so tun müssen, als sei nie etwas gewesen, oder?“, antwortete der Slytherin trotzdem ruhig. Harry warf ihm einen Blick zu und Severus fuhr fort: „Wir sind wieder Schüler und Lehrer. Alle müssen glauben, dass wir immer auf Distanz geblieben sind. Wir siezen uns wieder und ich werde dich im Unterricht behandeln wie immer.“ Schluckend nickte der Gryffindor. So tun, als sei nie etwas gewesen? Klar, damit Severus keine Probleme bekam, mussten sie das wohl tun. „Aber würde es für die anderen nicht auch logisch klingen, dass wir uns in Necrandolas aus der Not heraus vertragen haben?“ „Potter, ich will keine schwammigen Grenzen“, warf der Slytherin ein. „Was in Necrandolas zwischen uns passiert ist, ist Vergangenheit. Wir waren in Lebensgefahr und vollkommen Instinktgesteuert.“ Völlig verdattert starrte Harry den anderen an. Meinte er das jetzt ernst? Wollte er ihm gerade tatsächlich weiß machen, dass ihm das alles nichts bedeutet hatte? Er schob das alles auf die Instinkte? Harry ignorierte den Stich in der Brust und biss sich auf die Lippe. „Du willst dich doch jetzt nicht ernsthaft mit sowas wie Instinkten herausreden“, konnte Harry sich nicht verkneifen. Er wollte, konnte das nicht so hinnehmen. „Potter, führe dich bitte nicht wie ein kleines Mädchen auf“, knurrte der Tränkemeister. „Wir waren wochenlang in Lebensgefahr und hatten nicht geglaubt, dort jemals lebend herauszukommen. Da kommt der Instinkt durch und drängt den Menschen sich fortzupflanzen, bevor er verreckt. Wäre noch eine Frau bei uns gewesen, hätten wir uns wahrscheinlich gegenseitig umgebracht, um sie zu bekommen.“ 'Ausrede.', schoss Harry durch den Kopf. „Glaubst du das tatsächlich selbst, oder...“ „Verdammt, Potter, es ist vorbei! Verstanden? Da war nie was und da wird auch nie etwas sein“, unterbrach Severus den anderen entschlossen und Harry schnürte sich die Brust zu. Severus' Blick wirkte so ernst, dass Harry sich fragte, ob er tatsächlich nicht log. Hatte ihm das zwischen ihnen denn wirklich nichts bedeutet? Der Gryffindor ballte seine Hand zur Faust und versuchte irgendwie diesen Schmerz wegzuatmen. Er durfte Severus nicht sehen lassen, was seine Worte gerade in ihm auslösten. Er musste mit kühlem Kopf an diese Sache herangehen. Also... so tun, als sei nie etwas gewesen, in dem Punkt wären sie sich wohl sogar einig. Immerhin durfte niemand erfahren, was in Necrandolas passiert war... ob es ihnen nun etwas bedeutet hatte oder nicht. Aber wie sollte er das anstellen? In Necrandolas hatte er von Severus eine vollkommen andere Seite kennengelernt. Vielleicht sogar den echten Snape, der hinter der Maske. Wie sollte Harry ihn jemals wieder wie damals behandeln? Ihn jemals wieder so sehen wie früher? Das war doch vollkommen undenkbar. Wie sollte man so tun, als würde man jemanden hassen, den man inzwischen als Freund ansah? Harry schielte zum anderen. Ein Severus Snape bekam sowas hin. Aber der konnte doch nicht einfach davon ausgehen, dass Harry das auch konnte. Während Harry so ins Grübeln fiel, musterte Severus ihn und wartete auf eine Reaktion. „Ist also alles geklärt?“, fragte er abschließend. Langsam nickte der Gryffindor ohne aufzusehen und murmelte dann kühl: „Sicher.“ „Gut.“ Damit packte Severus seine Sachen zusammen und verließ das Bad. Harry rührte sich keinen Zentimeter und starrte finster ins Leere. Das war es jetzt also? Hatte Severus ihm gerade die... 'Freundschaft' gekündigt? Harry sollte alles vergessen? Da sagte Severus ihm, dass ihm die ganzen Küsse nichts bedeutet hatten und er durfte sich seinen Schmerz nicht einmal anmerken lassen? Er sollte Severus wie einen Fremden behandeln? Aber wenn Harry bedachte, was nun auf sie zukam... Sie waren in Hogwarts. Severus war Lehrer und Harry sein Schüler. Alle glaubten, sie würden sich bis aufs Blut hassen. Und vielleicht hatte Severus ja doch Recht. Vielleicht war diese Anziehungskraft nur so extrem gewesen, weil sie sich bei all der Gefahr nach menschlicher Nähe gesehnt hatten. Aber warum tat es dann jetzt so weh? Seine Gefühle loswerdend, schüttelte Harry den Kopf und seufzte schwer. Was erwartete er denn? Dass Snape ihm glücklich um den Hals fiel? Nein, das war vollkommen unrealistisch und kindisch. Der Slytherin hatte Recht, es blieb ihnen nichts anderes übrig, als alles zu vergessen. Mit diesem Entschluss atmete Harry tief ein und straffte sich. Sein Spiegelbild sah ihm entschlossen entgegen... oder sollte es zumindest. Verdammt, er konnte nicht einmal sich selbst täuschen. Genervt seufzte Harry auf, schnappte sich seine Sachen und ging zu seinen Freunden zurück.   Zu seiner Überraschung war auch Luca im Krankenflügel und wippte fröhlich auf dem Stuhl hin und her. Freudestrahlend begrüßte er Harry und fing sogleich an zu erzählen, was der Gryffindor alles verpasst hatte. Lächelnd lauschte Syndia Lucas Erzählungen, während sie an Severus' Bett saß, der endlich eingeschlafen war. Dann stockte Luca und sah verwundert Richtung Tür, die durch die Vorhänge nicht zu sehen war. Fragend sahen die Gryffindors ihn an, bis der Vorhang geteilt wurde und Dumbledore hindurch schritt. Während sich die Mienen von Ron und Hermine aufhellten, wurde Harry mulmig zumute. Das letzte, was er jetzt wollte, war, über Necrandolas zu reden. „Harry, wie geht es dir?“, fragte Dumbledore munter. Harry schluckte, bevor er mit kratziger Stimme sagte: „Gut.“ Der Direktor sah ihn über seine Brille hinweg an und schien ihm nicht ganz zu glauben. „Ich will dir keine Fragen stellen, Harry. Ich wollte nur sehen, wie es euch beiden geht.“ Erleichtert nickte der Gryffindor und Dumbledore drehte sich zu Syndia. „Der neue Zauberstab für Severus ist angekommen.“ „Ah, gut“, seufzte die Hexe erleichtert auf. Sie hätte gerne noch mehr gesagt, aber ihr Blick fiel auf ihre Schüler. Vor Harry war es egal, aber andere Gryffindors mussten nicht unbedingt mitbekommen, wie es um ihren Lehrer stand. Luca hingegen schien so einiges auch ohne Worte zu verstehen und sah von Severus wieder zu Harry, ohne dass man seinen Blick dabei deuten konnte. Irgendwie machte Harry das nervös, so als hätte Luca ihn bei irgendetwas ertappt. Naja, hatte er vielleicht auch. Wie viel konnte Luca wohl allein durch einen Blick auf seine Aura herausfinden? Wenn es denn wirklich nur die Aura war, die der Junge sehen konnte. So ganz glaubte er das nicht. Da war mehr. Das Gespräch zwischen Dumbledore und Syndia nahm der Gryffindor gar nicht mehr wahr, sondern war voll auf Lucas Augen fixiert. Las der Junge ihn etwa gerade? Schließlich seufzte Luca mitleidig auf und Harry runzelte die Stirn. Dann wurde ihm erst bewusst, was das für ein Blick von ihm war. Luca wusste ganz genau, wie es ihm ging. Natürlich wusste er das, er hatte vor einigen Monaten noch selbst hier gelegen, ausgehungert und schwer verletzt. Wie hatte Harry das vergessen können? Bei der Erkenntnis schluckte Harry und seine Augen weiteten sich. Er erinnerte sich plötzlich wieder daran, was Luca für eine Angst gehabt hatte, als er hier im Krankenflügel gelegen hatte. Dass er sich nicht getraut hatte, die Augen zu schließen, da er glaubte, dann wieder im Kerker zu sitzen. Ohne den erschrockenen Blick von Harry zu beachten, sah Luca wieder zu den Professoren. Inzwischen war Madam Pomfrey hinzugekommen und sortierte die Tränke für Severus neu. „Vielleicht funktionieren die ja besser“, sagte sie leise zu Syndia gewandt. „Ich weiß nicht warum sein Körper die anderen nicht annimmt, also muss ich ins Blaue raten.“ „Nährungstränke werden oft von Lamia abgestoßen“, überlegte Syndia laut. „Aber der hier nur, wenn das Gen des Vampirs wirklich durchkommt“, erwiderte Madam Pomfrey. „Dazu müsste er schon Fähigkeiten aufweisen.“ „Er hat das Gehör geerbt“, schaltete sich Harry dazu und wurde verdutzt von der Heilerin und seinen Freunden angesehen. Eine kurze Stille trat ein. Syndia und Dumbledore schienen weniger überrascht zu sein. Die Hexe nickte bestätigend und Dumbledore musterte ihn warm lächelnd. Zögerlich erzählte Harry weiter: „E-Er hat Feinde immer viel früher gehört als ich... und Wasserläufe auch. Er konnte sogar Inferi tief unten in einem See hören.“ Sofort wurde Syndias Blick erschrocken und Dumbledore senkte den seinen. Auch Hermine und Ron wurden blass und rissen die Augen auf. Die Lamia fand als erstes ihre Sprache wieder und fragte schwach: „Ihr musstet gegen Inferi kämpfen?“ „Nun ähm... ja“, zuckte Harry verlegen mit den Schultern. „Aber es... wir hatten schon schlimmere Kreaturen überstanden. Die Inferi haben wir ganz gut weggesteckt.“ Auch wenn das eigentlich beruhigend wirken sollte, bemerkte Harry schnell, dass er genau das Gegenteil erreicht hatte. Hermine sog die Luft ein und Syndia schluckte. Sogar Dumbledore sah wieder auf. Der einzige, der ihn weiterhin bohrend beobachtete, war Luca. Mit ruhiger und gefasster Stimme sagte Poppy: „Harry, vielleicht könnten Sie mir ein paar Auskünfte geben, die Severus mir nicht geben wollte. Ich muss wissen, mit welchen Giften ihr in Berührung kamt und was ihr gegessen habt.“ Alle hingen gebannt an Harrys Lippen, welcher nun zögerte. Gifte? Also auch die Droge? Nein, von der konnte er doch nicht erzählen. Er würde Poppy nicht einmal im Vertrauen erzählen können, was die für Wirkungen hatte. Sein Blick fiel auf Syndia, die daraufhin eine Augenbraue hob. Schnell unterbrach der Gryffindor wieder den Blickkontakt. Verdammt! Bei ihr und Luca musste er doch aufpassen, dass die seine Gedanken nicht hörten! „I-Ich... ich weiß nicht...“, wich Harry aus, ohne jemanden anzusehen. Er versuchte sich auf die anderen Dinge zu konzentrieren, die Madame Pomfrey wissen wollte. Doch sofort schoss ihm der Stachel des Mantikors in den Sinn und es bildete sich ein Knoten in seiner Brust und machte ihm das Atmen schwer. Abwesend sah er auf seine Hände, an denen Severus' Blut noch immer zu kleben schien. „Harry“, murmelte Hermine sanft, setzte sich auf sein Bett und nahm seine Hände in ihre. Damit riss sie den Grünäugigen aus seinen Gedanken und er sah erschrocken auf. Wieder sah er zu Luca herüber, dessen Blick ihn nahezu magisch anzog. Er war der einzige hier, der verstand, was von ihm abverlangt wurde und was für Ängste in ihm tobten. Weiterhin mit sanfter Stimme sagte die Heilerin: „Vielleicht erzählen Sie mir erst einmal, was Sie gegessen haben.“ Harry versuchte all die Blicke auf sich zu ignorieren. Warum starrten sie ihn alle so gierig an? Sie sollten verschwinden! Er wollte seine Ruhe haben! Aber sie würden ihn erst in Ruhe lassen, wenn er eine Antwort geben würde. Doch es fiel ihm schwer, sich an die einzelnen Mahlzeiten zu erinnern. Es war so bedeutungslos gewesen was es war, hauptsache sie hatten überhaupt etwas. „Das letzte Tier weiß ich nicht“, murmelte er vor sich hin. „Das hat Se- Snape alleine getötet. Und bei einem anderen wussten wir nicht, was es ist. Irgendetwas Fledermausartiges, wahrscheinlich schon ausgestorben. Und ein... Quin... irgendwas.“ „Ein Quintaped?“, fragte Syndia verdutzt nach. „Ja genau“, sagte Harry monoton, bemerkte allerdings die Reaktionen der anderen. War das so schlimm? Waren sie angewidert, weil sie Zauberwesen gegessen hatten? Verärgert zog er die Augenbrauen zusammen und sah auf. „Wir konnten froh sein, überhaupt etwas zu Essen zu haben“, knurrte er aufgebracht. „Was habt ihr erwartet? Dass wir uns jeden Tag gemütlich etwas kochen konnten? Wir hätten auch Insekten gegessen, wenn nichts anderes da gewesen wäre!“ „Das wissen wir, Harry“, versuchte Hermine ihn zu besänftigen, doch er fuhr ihr sofort dazwischen. „Gar nichts wisst ihr!“, schrie er sie an. „Ihr wisst einen Scheißdreck wie das ist, fast einen Monat lang in dunklen Tunneln herumzuirren! Jeden Tag dem Verdursten nah zu sein und dabei von Kreaturen gejagt zu werden! Jede Sekunde in Lebensgefahr zu sein, sich mit schweren Verletzungen herumzuschleppen und zu wissen, dass man nicht mehr lange zu leben hat! Zu denken, dass man nie wieder das Tageslicht sehen wird!“ Harry geriet immer mehr in Rage. Inzwischen kam Madam Pomfrey auf ihn zugeeilt und versuchte ihn wieder hinzulegen, doch er dachte gar nicht daran. Wie konnten sie sich einbilden zu glauben ihn zu verstehen?! Doch dann verschwamm seine Sicht und sein Körper wurde taub. Madam Pomfrey hatte ihm einen Zauber auf den Hals gehetzt und völlig benommen sackte er in die Kissen zurück, weder wach noch schlafend, gefangen in einem weißen Nebel, der alles Denken auslöschte. Hermine begann wieder zu weinen und sackte auf ihrem Stuhl zusammen, während sich eine unangenehme Stille ausbreitete. Madam Pomfrey seufzte schwer und sah zum Direktor, der ernst zurücksah. Luca stand betreten neben seiner Mutter, die nachdenklich den Gryffindor musterte. „Er braucht jetzt dringend Ruhe“, legte die Heilerin schließlich fest. „Besucher sind erst Morgen wieder erlaubt.“   Schon nach kurzer Zeit erwachte Harry wieder und fand den Raum leer vor. Nur Severus schlief friedlich in seinem Bett. Das erste, was Harry machte, war nach seinem Zauberstab zu greifen und ihn mit unter die Decke zu nehmen. So fühlte er sich wesentlich sicherer. Die Augen hatten sich inzwischen an die Helligkeit gewöhnt und so waren keine Vorhänge vor den Fenstern, so dass Harry den blauen Himmel bewundern konnte. So wunderschön. Leise stand er auf und ging zum Fenster, um es zu öffnen. Leider konnte man es nur klappen und so musste er sich damit zufrieden geben, sein Gesicht an den Rahmen zu lehnen und so einen frischen Luftzug abzubekommen. Genießerisch schloss er die Augen. Es wurde bereits Abend und der Himmel war am Horizont orange. Auch die Vögel stimmten langsam ihre Abendmelodie an. So blieb der Gryffindor eine ganze Weile stehen und fiel ins Grübeln. Er hatte noch nicht einmal den Krankenflügel verlassen und trotzdem wirkte auf ihn bereits alles verändert. Seltsam fremd. Es war nichts mehr so wie es vor Necrandolas gewesen war. Oder hatte er sich einfach nur verändert? Madam Pomfrey kam durch den Vorhang herein und hatte ein Tablett dabei. Mit einem kurzen Blick zu Harry stellte sie ihm und Severus das Abendessen auf den Nachttisch und verschwand wieder kommentarlos. Also hatte sie jetzt auch beschlossen ihn in Ruhe zu lassen? Hatte sie Angst, dass er bei dem kleinsten Piep in die Luft ging? Seufzend ging Harry zu seinem Bett zurück und schlang das Essen hinunter. Ihm hatte das Essen im Krankenflügel noch nie so gut geschmeckt, auch wenn es seiner Meinung nach unnötig viel gewürzt war. Als es dunkel wurde, erwachte auch der Tränkemeister, was Harry zum Glucksen brachte. Der Vampir erhob sich aus seinem Grab. Als erstes kontrollierte Severus, ob er den Zauberstab bei sich hatte. Dann bemerkte auch er das Essen auf dem Nachttisch und machte sich ein wenig gesitteter darüber her als Harry. Dabei warf er immer wieder skeptische Blicke zum Gryffindor, der versuchte sie zu ignorieren. Schließlich sagte der Tränkemeister: „Keine Lust mehr auf Gesellschaft gehabt?“ Er deutete auf die leeren Stühle neben dem Bett des Gryffindors. Zugleich wunderte er sich, dass auch Syndia fort war. „Ähm...“, rutschte Harry ein wenig peinlich berührt hin und her. „Die haben... mich ruhiggestellt.“ Eine hochgezogene Augenbraue war die einzige Reaktion des anderen, während er ungestört weiteraß. „Was war der Auslöser?“ Harry gab ein Schnauben von sich und wandte den Blick ab. „Es war eigentlich ziemlich banal. Ich glaube der Hauptgrund war, dass sie meinten, sie würden mich verstehen.“ „Das wird keiner je verstehen können“, kam die schlichte Antwort des Slytherins, ohne dass in seiner Stimme irgendeine Emotion hindurchklang. Verstohlen sah Harry zu ihm rüber. Es gab sehr wohl jemanden, der es verstand. „Sie brennen alle darauf zu erfahren, was passiert ist“, flüsterte der Gryffindor schon fast. „Da werden sie nicht die einzigen sein. Die Presse belagert Dumbledore sicherlich schon und der Minister wird sich auch nicht mehr lange hinhalten lassen.“ Angewidert verzog Harry das Gesicht. Der letzte, mit dem er über Necrandolas sprechen wollte, war Scrimgeour. „Als ob du es noch nicht gewohnt seist, ständig in der Zeitung zu landen“, murmelte Snape knurrend, als er den Gesichtsausdruck des anderen sah. „Eine Heldentat mehr oder weniger, was macht das schon für einen Unterschied?“ Verärgert zog der Gryffindor die Augenbrauen zusammen. „Heldentat? Obwohl du dabei warst, reitest du schon wieder auf diesem Bockmist herum? Ohne dich wäre ich da gar nicht herausgekommen. Außerdem werden sie dich auch ausfragen.“ „Für mich werden die sich weniger interessieren“, stellte Severus schlicht fest. „Der große Held muss wieder im Mittelpunkt stehen.“ „Hör auf mit dem Blödsinn!“, beschwerte sich der Grünäugige lauter werdend und konnte es nicht fassen, dass Severus tatsächlich wieder zu alten Gewohnheiten überging. „Lass mich endlich mit deinem blöden Heldengelaber in Ruhe! Du weißt doch inzwischen ganz genau, dass ich nicht so bin, also was soll der Scheiß?!“ Plötzlich kam Madam Pomfrey herbeigeeilt und sah als erstes zu Harry. Offenbar hatte sie ihn gehört und dachte, sie müsse ihn wieder ruhigstellen. „Ist hier alles in Ordnung? Was soll das Geschreie?“ „Es ist alles Bestens!“, antwortete Harry ein wenig zu bissig. „Nur die guten alten Meinungsverschiedenheiten.“ Knurrend sah er zum Slytherin, der Poppy keines Blickes würdigte und noch immer ruhig sagte: „Es geht nicht darum, ob Sie ein Held sind oder nicht, Potter. Die Presse wird Sie so darstellen.“ „Aber da kann ich doch nichts für.“ „Harry, Sie sollten versuchen zu schlafen. Sie waren bereits den ganzen Tag wach und Ihr Körper braucht Ruhe“, schaltete sich wieder die Heilerin ein. „Wenn Sie wollen, gebe ich Ihnen einen Traumlostrank.“ „Das geht auch ohne“, murrte der Gryffindor schlecht gelaunt, schmiss das Kissen vom Bett, das ihn nur zu ersticken drohte, und legte sich hin. Als Madam Pomfrey sich sicher war, dass jetzt Ruhe einkehren würde, verschwand sie wieder hinter dem Vorhang. Sofort warf Harry dem anderen einen beleidigten Blick zu. Er konnte es nicht fassen. Reichte es nicht, dass Severus ihm bereits mit seinen Worten im Bad so einen Tiefschlag verpasst hatte? Musste er ihn jetzt auch noch mit seinen herablassenden Bemerkungen quälen? „Gar nicht müde?“, fragte Snape nach einiger Zeit, ohne von dem leeren Teller aufzusehen, den er zurück auf den Nachttisch stellte. Ohne zu antworten sah Harry ihn an, was Severus dazu brachte eine Augenbraue hochzuziehen. Er sah tatsächlich ziemlich unschuldig drein. Hatte er Harry denn nicht bewusst verbal angegriffen? War das vielleicht gar nicht seine Absicht gewesen und hatte er vielleicht auch gar nicht gemerkt, dass er Harry damit getroffen hatte? Sein Blick jedenfalls zeigte nichts von einem Triumph, tatsächlich schien er ihre Auseinandersetzung gerade sogar schon abgehakt zu haben. Das sorgte dafür, dass auch Harrys Blick wieder milder wurde. „Können wir wirklich einfach so zurück?“, murmelte der Gryffindor. „Als ob wir nie dort gewesen wären?“ „Zumindest müssen wir vor anderen so tun.“ „Die Meinung der anderen ist mir völlig egal.“ „Ach wirklich?“, zog der Slytherin skeptisch die Augenbraue hoch. „Dir ist es egal, wenn sie merken, dass Necrandolas dir den Schlaf raubt? Dass du diese... Austicker hast? Dir ist es egal, wenn sie dich deswegen für verrückt erklären?“ „Das wäre nicht das erste Mal“, konterte Harry schlicht, doch irgendwo musste er Severus Recht geben. Er war nicht besonders scharf darauf, die anderen merken zu lassen, dass er in Zukunft wahrscheinlich Angst im Dunkeln bekommen wird wie ein Fünfjähriger.   Immer wieder warf Severus Harry Seitenblicke zu, der sich unruhig im Bett wälzte. Es war früher Morgen und der Tränkemeister hatte sich ans Fenster gestellt, doch wirklich genießen konnte er den Ausblick nicht, wenn der Gryffindor sich mit Albträumen quälte. Jetzt begann Harry sogar wirres Zeug zu reden und wurde immer lauter. Resigniert seufzend kam Severus zu seinem Bett, keinen Moment zu spät, denn der Gryffindor fing an zu schreien. Sofort griff der Slytherin nach den Armen des anderen, mit denen er wild um sich schlug. „Hey, wach auf! Potter, wach auf!“ Der Vorhang wurde zur Seite gezogen und Mandam Pomfrey sowie ein junger, schlaksiger Mann mit braunen Haaren kamen zum Vorschein. Alarmiert sahen sie zum Gryffindor und eilten herbei. In dem Moment öffnete Harry die Augen und sah zur Heilerin hoch, beruhigte sich dadurch jedoch nicht. „Es ist alles gut...“, begann sie, doch Harry unterbrach sie schreiend. „Nein! Lasst mich!“ „Es ist vorbei, Sie sind in...“ „Nein!“ Immer wieder schlug Harry die Hände der Hexe weg, bis Severus sich das nicht mehr mit ansehen konnte. Vielleicht ein wenig grob schob er die Heilerin zur Seite und griff erneut nach den Handgelenken des Gryffindors. „Jetzt komm endlich wieder runter!“ Wieder versuchte der Grünäugige sich zu befreien, doch Severus ließ nicht locker. „Harry!“, rief er und endlich zeigte der andere eine Reaktion. Er hörte auf zu schreien und sah völlig außer Atem zum anderen hoch. Ganz langsam sah man, wie er realisierte, wo er war. Vorsichtig ließ Severus ihn los und atmete durch. Langsam senkte der Gryffindor den Blick, sah auf seine zitternden Hände und stotterte: „S-Sev... i-ich...“ „Schon gut“, unterbrach der Slytherin ihn. Fahrig strich Harry sich über das Gesicht, teilweise auch, um es zu verbergen. Dann begannen seine Schultern zu beben. Seufzend setzte der Tränkemeister sich auf die Bettkante und nahm den jüngeren in den Arm. Sich versteckend, vergrub Harry sein Gesicht in Severus' Hemd und schluchzte leise, während Severus ihm übers Haar strich. Völlig verdattert und hilflos stand die Medihexe daneben und sah zum jungen Mann neben ihr, von dessen Gesicht man jedoch nichts ablesen konnte. „Ich werde einen Trank zur Beruhigung holen“, sagte sie schließlich und wandte sich bereits ab, doch Severus hielt sie auf. „Nicht nötig“, murrte er. „Er braucht nur Ruhe.“ Auch wenn er die Heilerin nicht anpampen wollte, machte er mit seiner Aussage deutlich, dass sie störte. Poppys Gesichtsausdruck wurde für einen Moment kalt, doch der Fremde drehte sich zu ihr, nickte ihr zu und verschwand wieder hinter dem Vorhang und etwas unsicher folgte Poppy ihm. Severus fragte sich zwar, wer dieser Mann war, zumal er mehr Verständnis zu haben schien, als die Heilerin, doch zur Zeit war Harry wichtiger. Dieser beruhigte sich langsam wieder, genoss es von Severus gehalten zu werden und richtete sich dann wieder auf. Ohne den anderen anzusehen, wischte er sich unwirsch die Tränen weg. Er hatte sich ernsthaft heulend an Snapes Brust geschmissen und das auch noch in Anwesenheit anderer. Wie erbärmlich. „Tut... mir leid“, murmelte er beschämt zur Seite schauend. „Hoffe einfach, dass es irgendwann besser wird“, erwiderte Severus nur, schnappte sich die Gehhilfen und trat wieder ans Fenster heran. Stirnrunzelnd sah Harry zu ihm herüber. „Meinst du etwa, es könnte sein, dass ich diese Träume nie loswerde?“ Den Kopf leicht neigend antwortete der Slytherin: „Manches wird man einfach nicht los.“ Er hatte fast geflüstert und sah dabei so abwesend auf die Ländereien, dass Harry ihn fragend musterte. An was dachte der Tränkemeister, während er das sagte? Spontan fielen Harry mehrere Ereignisse aus Snapes Leben ein, was den Gryffindor traurig werden ließ. Der Gryffindor schälte sich aus der Decke und krabbelte aus dem Bett. Erst jetzt fiel sein Blick auf Severus' Hände, die verbunden waren. Stirnrunzelnd trat er näher und fragte: „Was hast du denn damit angestellt?“ Nur kurz senkte der Slytherin den Blick zu seinen Händen, ehe er wieder nach draußen sah. „Das ist in ein-zwei Stunden wieder verheilt“, versuchte er die Sache abzutun. „Danach habe ich nicht gefragt“, erwiderte Harry mürrisch. Knurrend wandte Severus sich ihm zu und funkelte ihn böse an. „Verdammt, Potter, ich bin eben auch nicht perfekt! Du bist nicht der einzige hier, der...“ Severus brach ab, biss sich auf die Zunge und wandte den Blick wieder ab. Harry spürte, dass es Severus unangenehm war es auszusprechen und so ergänzte er für ihn: „ein bisschen am Rad dreht?“ Die einzige Reaktion war, dass Severus den Kiefer anspannte, was Harry als ja deutete. Stumm trat er dichter neben den anderen, sodass sie sich fast berührten. Harry konnte nicht sagen warum, aber er wusste, dass es ihnen beiden Trost spendete. Und jetzt wusste er auch, warum Severus nach draußen sah: Der Sonnenaufgang. Harry hatte noch nie so etwas wunderschönes gesehen. Nach der unendlichen Dunkelheit von Necrandolas, wirkten diese Farben nun schon fast überirdisch. Und obwohl der Gryffindor wusste, dass die Sonne so früh und um die Jahreszeit noch keine spürbare Kraft entwickelte, glaubte er die Wärme der einzelnen Strahlen zu fühlen. Es war unglaublich, dass sich dieses Ereignis jeden Tag abspielte und er die meisten davon auch noch verschlief. Aber etwas stimmte dennoch nicht. Er spürte die Sonnenstrahlen und sie taten seinem Körper unglaublich gut, als wäre er eine Pflanze. Aber tief in seinem Inneren war es schwarz und die Sonne schaffte es nicht, diese Dunkelheit zu durchdringen. Als würde dort ein Käfig existieren, in dem etwas dunkles, grauenvolles eingesperrt war. Und Harry hatte Angst davor, dass sich der Käfig jemals öffnen könnte. Als ob Severus seine Gedanken gelesen hätte, sagte er: „Der Schatten wird nie ganz verschwinden.“ Harry erlaubte sich einen Seitenblick und seufzte dann: „Mit anderen Worten, wir werden immer einen Dachschaden haben.“ Der Slytherin schnaubte auf, nicht ganz sicher, ob er sich darüber lustig machen oder es für traurig halten sollte. „Die Kunst ist es, die anderen das nicht merken zu lassen.“ Wieder musterte Harry ihn. Sollte er seine Gedanken laut aussprechen oder es sein lassen? Zögerlich fragte er: „Warum klingt es immer so, als hättest du da schon Erfahrung?“ Zuerst kam keine Antwort und der Gryffindor rechnete auch nicht mit einer, doch dann zog der Slytherin eine Augenbraue hoch und wandte sich schließlich dem anderen zu. „Nie gemerkt, dass ich mich anders gebe?“ Seine Maske? Natürlich hatte Harry die bemerkt, wahrscheinlich sogar jeder Schüler. Aber von Syndia wusste Harry, dass Severus diese Maske nicht immer getragen hatte. War sein Vater Schuld? Oder hatte es was mit Lily zu tun? Die Vorfälle mit dem Irrwicht und dem Pogrebin hatte er nicht vergessen. „Natürlich habe ich das gemerkt“, antwortete Harry fast flüsternd und suchte etwas in den Augen des anderen, doch Severus zeigte keine Regung. „Warum musst du dann noch fragen?“, murmelte der Slytherin und wandte sich ab, um zum Bett zurückzugehen. „Ich habe viel gesehen.“ Grübelnd sah Harry aus dem Fenster. Wahrscheinlich war er der erste Mensch, dem Severus gegenüber zugegeben hatte, dass er überhaupt eine Maske trug. Konnte es wirklich sein, dass der Tränkemeister ihm nun endlich vollkommen vertraute? Ein Schmunzeln huschte über Harrys Gesicht. Zusätzlich war er auch noch einer der wenigen Menschen, die hinter die Maske geblickt hatten. Bei dem Gedanken, was Severus ihm aber eigentlich damit sagen wollte, wurde der Gryffindor wieder ernst. Er sollte sich auch eine Maske anschaffen? „Ich werde mich nie verstecken können“, gestand er, ohne sich umzudrehen. „Das weiß ich“, kam die murrende Antwort. „Ich habe dir oft genug gesagt, dass du dein Herz zu sehr auf der Zunge trägst.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)