Wie auf Schwingen von Ikeuchi_Aya ================================================================================ Kapitel 1: ----------- „Shouyou, bring nachher frischen Tofu mit!“, erklang die helle Stimme seiner Mutter aus dem Wohnzimmer. Währenddessen band sich ein dreizehnjähriger Junge, Frischling der Yukigaoka-Mittelschule, in der Vorzone des Hauses die Schnürsenkel zu. Somit nur ein hektisches „Mach ich“ zurückrufend, fluchte er innerlich, dass er mal wieder zu spät dran war. „Und achte wirklich darauf, dass sie dir keinen alten andrehen!“ „Ja, ja!“ Gerade hatte er ganz andere Sorgen, als sich um den Tofu zu scheren. In zwanzig Minuten sollte er nämlich bereits am Treffpunkt sein. Wenn er noch länger trödelte, hätte er nicht einmal mehr eine Viertelstunde. Eile hin oder her – seine Antworten waren der Mutter dann aber wohl doch ein bisschen zu lapidar dahergesprochen. Denn bevor sich der Junge von der Stufe, auf welche er saß, erheben konnte, erfuhr er einen Schlag auf den Hinterkopf, so dass er vorüber taumelte. Er wandte den Kopf über die Schulter und rieb sich dabei die wachsene Beule. Verdutzt über diesen plötzlichen Denkanstoß dreinschauend, stand seine Mutter nun mehr direkt hinter ihm. Die Arme vor der Brust verschränkt, hielt sie die Tatwaffe – eine zusammengerollte Zeitung – in der Hand. „Du weißt genau, was ja, ja bedeutet!“, sprach sie mit strengem Unterton. Shoyou schluckte mit zusammengebissenen Zähnen und wagte es sich nicht, ihr in irgendeiner Form zuzustimmen oder gar zu widersprechen. Es war eine dieser gefährlichen Situationen, in denen Schweigen Gold war – das hatte er in seinem bisher noch jungen Leben recht schnell gelernt. Die beiden guckten einander einfach nur in die Augen, blinzelten nicht einmal. Seine kleine Schwester Natsu hatte sich bei dem nun mehr aufgetretenen Schweigen ihrer beiden anderen Familienmitglieder herangeschlichen und stand um die Ecke an der Wand versteckt, nur neugierig den Kopf hervorlugend. Schließlich gab ihre Mutter mit einem resignierenden Seufzer auf und ließ ihre gestrafften Schulter sinken, „Los, ab mit dir!“ Er war entlassen. Bis über beide Ohren grinsend, rief der Wuschelkopf ein gut gelauntes „Bis später!“ und machte sich mit großem Sprung dran, das Haus zu verlassen.   Noch nie war er einer der ganz frühen Truppe gewesen, aber in letzter Zeit hatten sich die Verspätungen gehäuft und somit war sein Fahrrad Transportmittel Nummer Eins geworden, wenn der Junge irgendwohin wollte – sei es nun zur Schule oder eben wie jetzt, um seine Freunde zu treffen. Anders als an den Wochentagen führte er natürlich nicht seine Schultasche mit sich. Die wichtigsten Habseligkeiten hatte er in den Taschen seiner Weste und seiner Hose gepackt, in der linken Hand hielt er einen Baseballschläger, welcher locker seiner Schulter auflag und an dem ein Stoffbündel mit den Snacks für den Tag hing. Einhändig radelte Shouyou flink aus seiner Wohnsiedlung hinaus, Richtung Innenstadt, was eine kleine Abkürzung darstellte. Es war zwar bereits Frühling, doch war es zu dieser Zeit noch recht frisch, so dass er sich nach dem Aufstehen in seinen Lieblingspullover geworfen hatte. Wenn er ausatmete, konnte er sogar noch die eigen verbrauchte Luft vor sich wirbeln sehen. Allerdings war dafür das Wetter hervorragend für ihre Unternehmung: Die Sonne schien, blauer Himmel und keine Wolke weit und breit. Also wären ein paar Grade kälter verziehen. Hinata Shouyous Grinsen wurde noch ein Ticken breiter, als er bereits die Ladenzone erreichte, in der offiziell keine Radfahrer erlaubt waren. Zu dieser Uhrzeit kontrollierte niemand und er konnte unbesorgt weiter zum Flussufer radeln. Seit drei Jahren war es schon ihr Stammtreffpunkt und sie fanden sich jeden Sonntag ein, um erst eine Runde Baseball zu spielen und sich im Anschluss zusammenzusetzen, die mitgebrachten Snacks zu vernaschen und Limos oder Eistees aus den Getränkeautomaten unweit des Spielfeldes zu ziehen... Einfach nur ein bisschen Blödsinn treiben. Nichts besonderes, aber es bereitete ihnen allen Spaß und vor allem war es die einzige Möglichkeit, dass sie sich in der bekannten Konstellation zusammenfanden. Seine Freunde besuchten alle unterschiedliche weiterführende Schulen, sahen sich somit nicht mehr jeden Tag. Es gab immer viel zu erzählen, wenn sie sich dann am Wochenende trafen: Da war zum Beispiel Kenji, welcher als einziger eine teure Privatschule besuchte und es sogar geschafft hatte, in einen der fortgeschrittenen Kurse zu gelangen. Er war somit auch ihr Nachhilfelehrer, wenn sie mal etwas nicht verstanden – das war schon zu Grundschulzeiten so gewesen und hatte sich nicht geändert. Oder Ijima, den sie nie bei seinem langen Vornamen nannten: Er musste sogar komplett in eine andere Stadt pendeln. Die Fußgängerzone passierend, öffneten die Läden gerade erst ihre Pforten. Es war zehn Uhr, nur eine Handvoll Menschen hatten sich bereits zum Einkauen aufbequemt. So wie jeden Sonntag. Doch gab es dieses Mal ein kleines Detail, dass das weitere Leben des Jungen verändern sollte. Ein winziges Detail, welches er nicht einmal wahrgenommen hätte, würde er nicht automatisch auf ein Wort reagieren, welches sich bei ihm eingebrannt hatte: „Der Kleine ist wirklich ein Gigant!“ Der orangehaarige Wuschelkopf griff augenblicklich in die Bremsen und sah verwundert zu seiner Linken. Er hatte vor dem Elektronikgeschäft gehalten, welches gerade einen brandneuen Flachbildfernseher vor der Ladenfläche ausgestellt hielt. Zwei, drei Männer hatten sich um den Bildschirm positioniert, um diesen eingängig zu studieren und damit die Qualität des Gerätes einzuschätzen. Es lief eine Sportsendung, eine Liveübertragung. Ein besseres Testbild konnte es also gar nicht geben. Hinata selbst achtete aber gar nicht auf Schärfe, Farben oder sonstige wichtige Details. Seine Augen und Ohren hatten sich ganz und gar auf den Inhalt konzentriert: Die Kamerafahrt wechselte zu einem Standbild, welches herangezoomt wurde. In den Fokus geriet nun mehr ein Junge in schwarzer Uniform, auf dessen Rücken eine weiße große 10 prangte. Der Spieler mit den ebenso kurzen schwarzen Haaren rannte der Kamera davon, Richtung Netz. Hinatas Blick wechselte kurz von dem Jungen zu dem Spielstand in der linken oberen Ecke: 17:22, erster Satz. Karasuno, zu denen der Spieler gehörte, führte. Wieder zurück zu diesem, der absprang und so hoch in die Luft schoss, um den Ball zu erreichen. In dem Moment, in dem seine Füße den Boden verließen, schien sich auch Hinatas Herz von dessen gewohnter Stelle zum Hals zu bewegen – der kräftige und schnelle Schlagen dröhnte lauter in seinen Ohren als zuvor. Ganz im Takt des klatschenden Publikums bei der Fernsehübertragung. Schwer schluckend, als sich sein Körper damit wieder beruhigen könnend, konnte er seinen Blick nicht von der Mattscheibe nehmen. Die im Gegensatz zu all den anderen so kleine Nummer Zehn stieg immer noch hinaus, sogar noch höher als der aufstrebende Block der generischen Mannschaft. Mit unbändiger Kraft schlug er den Ball, welcher nun einen perfekten Winkel erreicht hatte, über die weiße Oberkante des Netzes und schmetterte ihn dabei in die hinterste Ecke des Spielfeldes. Vorbei an alles und jeden, der sich in den Weg stellen wollte. Erst als das Leder auf dem Boden aufschlug und noch weiter wegsprang, erlosch auch der Moment der Aufregung und allesamt schienen gleichzeitig aufzuatmen. Während jene allerdings vor Freude über den erneuten Punkt Karasunos jubelten, lief dem orangehaarigen Jungen ein Schauer über den Rücken. „Unglaublich“, brachte er nur tonlos hervor, konnte immer noch nicht einmal mit der Wimper zucken. Das war... mehr als unglaublich gewesen. Wie die Flügel einer schwarzen Krähe... als hätten diese den Spieler mit der Nummer Zehn das Fliegen beigebracht. Höher und immer höher hinaus. Alles überschauen, alles überblicken, alles überragen. Die Schwingen ausbreiten und mit einem einzigen Flügelschlag für ein paar Sekunden fliegen. „Einfach... cool.“ Selbst, als man bereits eine Überblende auf die motivierende Mannschaftsumarmung nach Punktgewinn lief und sich die Spieler in die nächste Aufstellung rotierten, war er noch nicht von seinem Platz gewichen. Der Junge mit dem Strubbelhaar spürte, wie seine Hände zitterten, wie es bis in seine Fingerspitzen kribbelte. Denn da war noch etwas anderes, was ihn bewegte: der aufkeimende Gedanke, wie es wäre, selbst an der Stelle der Nummer Zehn zu stehen. Dass er, Hinata Shouyou, so hoch springen könnte wie kein anderer und genau dasselbe erlebte wie der kleine Gigant. „Shou-chan, was stehst du hier rum? Beeil dich, sonst schnappen sie uns das Feld weg!“ Mit einem Mal aus seinen Tagträumen gerissen, löste er nur der plötzlichen Unterbrechung wegen, seinen Blick vom Fernseher und richtete diesen zu seiner Rechten, wo jetzt ein Junge seines Alters stand, ebenso auf dem Fahrrad. Der andere Junge verzog verdrießlich das Gesicht als Hinata immer noch nicht reagierte, „Komm jetzt! So ein Ding kannst du dir eh nicht leisten!“ „H-Hey, warte, Kisuke!“, rief der Angesprochene noch, doch war sein Kumpel bereits fünf Meter weitergeradelt, weil er nicht noch mehr Zeit verplempern wollte. Hinata blieb nichts anderes übrig als zu folgen und trat wieder in die Pedale.   Der Tag verging wie im Flug – Zunächst die Wiedersehensfreude vor dem Baseballfeld und dann ihre übliche kleine Partie. Es war kein ernsthaftes Match, sie spielten nur zum Spaß. Genau deswegen lachte die Gruppe auch mehr als alles andere, veranstaltete Unfug und schäkerte herum, wie sie es in ihren Mittelschulen nicht tun würden, da sie immerhin cool sein wollten. Trotzdem kamen hier und da ein paar gute Spielzüge zustande und am Ende waren die Jungs und Hinata sogar richtig eifrig bei der Sache. Zum frühen Nachmittag hin suchten sie dann das Weite und ließen sich auf das Gras am Flussufer nieder. Die mitgebrachten Decken ausbreitend und die Snacks in die Mitte ihres kleinen Kreises schüttend, kamen zwei von ihnen mit den aus dem Automaten gezogenen Getränken nach und verteilten diese. Wie es sich Hinata bereits ausgemalt hatte, gab es selbst heute eine ganze Menge zu erzählen. Pendelgeschichten, die sich meist zur Rushhour auf dem Hinweg zur Schule ergaben. Clubaktivitäten, da die meisten bereits einer Nachmittagsaktivität zugehörig waren. „Ich bin im Fußballclub. Die sind ganz schön streng, aber auch vollkommen okay!“, erzählte Mizuo und streckte sich etwas mehr im Gras aus. „Welche Position hast du denn?“, fragte ein anderer aufgeregt, da er ebenso im Fußballclub seiner Schule war und nun natürlich näheres wissen wollte. Daraufhin wurde es ganz ruhig und Mizuo lachte schließlich verräterisch: „Noch... bin ich eher der Balljunge.“ Die anderen seufzten resignierend über ihren Draufgänger, denn das war typisch für ihn: Machte eine Riesengeschichte aus Dingen, die noch gar nicht geschehen waren. Manche Dinge änderten sich eben nie. „Und du Shou-chan? Was machst du?“ Die Aufmerksamkeit richtete sich nun nach einiger Zeit wieder auf den Orangehaarigen, welcher gerade an dem Strohhalm seines Trinkpäckchens zog. Die Schultern sinken lassend, als ihm bewusst wurde, dass er von allen angestarrt wurde, setzte er das Getränk ab. „Ich... habe mich noch nicht entschieden.“ „Dann tritt doch auch dem Fußballclub bei! Vielleicht können wir irgendwann alle mal gegeneinander spielen! Bei Turnieren oder so!“, schlug Mizuo vor und sorgte für zustimmendes Nicken beim Rest – selbst bei denen, die keine Sport-AG besuchten. „Hm...“ Unschlüssig nahm Hinata wieder den Strohhalm zwischen die Lippen, zog daran, so dass ein schlürfendes Geräusch entstand, und blickte zum Himmel auf. Zwar hatte er nichts gegen dieses Spiel, bei dem zwanzig Spieler dem Leder hinterherrannten, aber es hatte ihn auch nie wirklich vom Hocker gerissen. Und andere Teamsportarten wie Basketball waren für ihn nicht geeignet – er wurde ja nicht einmal aufgenommen, solange er nicht die 1,80m Grenze erreichte! Allerdings... waren alle anderen AGs wie die Computer-AG oder Biologie noch weniger für den Wirbelwind geeignet. Er fühlte sich schon in der Schule nicht besonders ausgelastet, wenn er den ganzen Unterricht über auf seinen Stuhl sitzen musste. Wenn der Schultag also vorbei war, auch noch freiwillig in einem Klassenraum herumsitzen zu müssen... Nein, lieber nicht! Und es war ja auch nicht so, als hätte Hinata keine Idee. Gut, der Einfall war ihm erst jetzt gekommen, aber... es war immerhin etwas. Besser als gar nichts. „Naja... ich hab überlegt... vielleicht... wäre Volleyball ja ganz gut“, murmelte er seine Gedanken gerade heraus. Sehr vorsichtig, weil er nicht einmal wusste, ob die Yukigaoka-Mittelschule überhaupt einen Volleyballclub besaß? Natürlich waren auch ihm an seinem ersten Tag einige Flyer in die Hand gedrückt worden. Die Vorsteher der verschiedenen Nachmittagsaktivitäten versuchten so neue Mitglieder anzuwerben, aber in der Fülle dieser Aktion hatte Hinata letzten Endes gar keinen dieser Flugzettel näher betrachtet. Jetzt ärgerte er sich ein bisschen darüber. Wieder kehrte Stille ein. Dieses Mal allerdings folgte kein Seufzen, sondern ein Prusten, gefolgt von einem Lachen. Und sobald einer begonnen hatte, fielen die anderen ebenso ein und schienen sich gar nicht mehr beruhigen zu können. „Das ist doch total der Mädchensport!“, gackerte einer, gefolgt von Mizuo, „Da stehst du doch mehr rum als alles andere!“ Kisuke schwieg sich aus, trug aber ein breites Grinsen auf den Lippen. Nun verstand er, warum Hinata wie gebannt auf den Fernseher gestarrt hatte – er war tatsächlich von dem Spiel begeistert gewesen! „Das stimmt doch gar nicht!!“, konnte sich das Hinata nicht länger gefallen lassen, war aufgesprungen und hatte lautstark dagegen protestiert, „Ihr habt ja keine Ahnung! Volleyball ist kein Mädchensport!!“ Ein drittes Mal schwiegen sie - Die Jungs um ihn herum guckten ihren Freund wie eine sonderliche Erscheinung an. Nur, um... noch lauter als zuvor zu lachen. „Du verteidigst das ja so, als wär's deine Freundin!“, kicherte nun sogar Eiji, der sonst immer der ruhigste in der Truppe war. Hinata schwieg, behielt aber die Hände zu Fäusten geballt. Seine Lippen pressten sich aufeinander und er suchte vehement in seinem Kopf nach einer passenden Antwort, aber doch gab es keine Worte für das, was er beim Anblick dieses einen Spielzuges empfunden hatte. Er konnte nicht ergründen, was bei ihm solch ein Herzklopfen verursachte. Es war... einfach dagewesen. Mit einem Schlag. Wie eine Grippe, die einen ganz plötzlich erwischt. Doch... das... traf es ganz gut. Aber was brachte es ihm, es seinen Freunden zu erzählen? Es hatte keinen Sinn mit den anderen darüber zu diskutieren – nicht, solange Hinata für sich selbst nicht genau ergründen konnte, warum er sich damit angesteckt hatte. So würden sie ihn nur weiter belächeln und in ihrer Meinung festgefahren bleiben... Nachgebend senkte er den Kopf und ließ ebenso die Schultern sinken. Hinata bückte sich, sammelte seine Sachen zusammen und nahm ebenso seinen Baseballschläger in die Hand. Als ihr Kumpel nun jedoch auch noch sein Fahrrad anschob und sich mit einem Bein über den Sattel schwang, hörten sie auf. „O-Oi, Shou-chan!“, rief Kisuke erschrocken über diese Reaktion, „Das war doch nur Spaß!“ Der Angesprochene, welcher bereits einen Meter vorgerollt war, hielt noch einmal an. Nachdem er sich gesammelt hatte, einmal tief durchatmete, drehte er schließlich den Kopf über die Schulter und zwang sich zu einem Grinsen, „Tut mir leid, ich muss los. Meine Mutter will noch Tofu zum Abendessen haben!“ Unter den immer noch überraschten und geschockten Blicken der anderen radelte er davon, der langsam untergehenden Sonne entgegen, welche dem Himmel bereits ein orangerotes Aussehen schenkte.   An diesem Abend war Hinata ungewöhnlich still. Normalerweise kannte es seine Mutter nicht anders von ihm, dass er noch aufgedrehter als am Morgen war, aber dieses Mal bereitete ihr sein Schweigen regelrechte Sorgenfalten auf der Stirn. Seine kleine Schwester Natsu hingegen bemerkte nichts von all dem und schnatterte aufgeregt, dass sie morgen in der Schule ein Vorsingen hätte, sie aber bereits von Halsweh vom vielen Üben geplagt war. Ihr zwar zuhörend und auch antwortend, konnte die Mutter allerdings nicht den Blick von ihrem ältesten Sprössling lassen, der lustlos seinen angebratenen Tofu aß und keinerlei Motivation zeigte, sich zu beteiligen. Schließlich stand er nach dem Essen auf und räumte den Tisch ab, um das benutzte Geschirr zu spielen. Auch das passte nicht zu ihm, wo sie ihn sonst doch immer dran erinnern musste, dass er sich in den Haushalt einzubringen hatte. Und auch der Junge selbst merkte, dass etwas bei ihm nicht stimmig war. Dass sich etwas verändert hatte. Es lag nicht nur an der Volleyballsache, für die ihn die anderen ausgelacht hatten. Das war ärgerlich gewesen und wenn er daran dachte, wurde er immer noch sauer, aber es war nicht das Hauptproblem. Damit wäre er klargekommen. Je länger hingegen über die Situation von heute Nachmittag nachdachte, je mehr er über die allgemeinen letzten Treffen nachdachte, desto mehr machte sich in ihm das Gefühl breit, dass es vielleicht auch gar nicht nur er selbst war, sondern ebenso die anderen, die sich veränderten. Seit sie auf die weiterführenden Schulen gingen, konnten sie weniger Zeit miteinander verbringen. Das war normal. Dass sie auch nicht mehr alles voneinander wussten und erfuhren, war auch normal. Ebenso, dass man sich einen anderen Freundeskreis außerhalb des alten aufbaute. Aber... war Mizuo schon immer so angeberisch gewesen? Hatte Kisuke schon immer so hinter vorgehaltener Land gelacht? Und war Kenji, ihr Oberstreber, im Grunde schon immer der größte Draufgänger von ihnen allen gewesen? Wieso fielen ihm jetzt so viele negative Eigenschaften seiner eigentlich besten Freunde auf? Es irritierte Hinata zutiefst und unweigerlich kam ihm die Frage auf, wie er wohl von den anderen betrachtet wurde? Als durchgeknallter Junge, der einen Mädchensport machen wollte? Der verträumt durch die Gegend lief und keinen Plan hatte? ... Hatten sie ihn eigentlich schon immer wegen solchen fixen Ideen ausgelacht? Hinata stellte den frisch abgewaschenen Teller mit etwas zu viel Elan auf die Abtropfunterlage, so dass ein lautes Klong entstand. Seine Wangen glühten und sein ganzer Kopf stach sich farblich mit seinen Haaren. Nein, er war wirklich sauer darüber. So sauer, dass ihm sogar die Tränen aufstiegen und sich in seinen Augenwinkeln sammelten. Sie sollten nicht lachen. Es war ihm ernst. Es war ihm wirklich ernst und er wollte es durchziehen. Warum unterstützten sie ihn dann nicht dabei? Nur weil es kein Fußball war? Machte das so einen Unterschied? Deswegen war er doch nicht weniger begeistert bei der Sache? Und wieso verurteilten sie den Sport, wenn sie ihn selbst nicht einmal ausprobiert hatten? Ja, gut, vielleicht gefiel es ihm dann ebenso wenig, aber das konnte er jetzt doch noch nicht sagen Vielleicht... war es also gar nicht so schlecht, dass sie nach und nach verschiedene Wege gingen? Vielleicht war es sogar ganz gut... „Shouyou, ist alles in Ordnung?“, musste seine Mutter nun doch einfach nachhaken, als sie dazukam, um mit dem Abtrocknen anzufangen, ihren Sohn sich allerdings verkrampft an der Spüle stehend sah, der sich mit dem Handrücken heftig über die Augen wischte. „Ja, klar“, gab er von sich. Er drehte sich zu ihr herum und grinste sein übliches Grinsen. Doch wäre eine Mutter wohl nicht solche, wenn sie es nicht spüren würde, dass etwas mit ihrem Nachwuchs nicht stimmte. Und so wie ihr Sohn gerade die Zähne aufeinander biss, war ganz und gar nichts wirklich in Ordnung. „Du bist heute viel schweigsamer als sonst. Ist etwas vorgefallen?“ Hinata verweilte einen Moment in seiner Starre, hatte zumindest aber wieder das seltsame Grinsen in seinem Gesicht verloren, und blickte dann auf seine Hand, deren Innenfläche er zu sich drehte. Etwas vorgefallen... konnte man so sagen. „Ja... ist es“, erklärte er murmelnd, wenn auch mehr zu sich als zu seiner Mutter, „Ich habe sowas noch nie vorher gespürt. Mein Herz hat wie verrückt geschlagen! Mir war total warm und ich konnte gar nicht mehr wegsehen!!“ Nun mehr sprach er doch deutlich lebhafter, freudiger und schien mit jedem Wort ergriffener. Sobald er daran dachte, waren die Erinnerungen an heute Morgen wieder ganz klar vor seinen Augen. Als würde er ein zweites Mal vor diesem Fernseher stehen und miterleben, wie sich die schwarzen Schwingen der Nummer Zehn über alle anderen erhob und das Spielfeld zu seinem Jagdgebiet machten. „So etwas... habe ich wirklich noch nie... erlebt...“ Wieder wurde Hinata stumm, schien sich ein zweites Mal seiner Gefühle zu vergegenwärtigen. Aber anders als zuvor, konnte er diese nicht kontrollieren oder zumindest soweit beherrschen, dass er nur die guten unverfänglichen zuließ. Die Ereignisse des heutigen Tages hatten ihn überwältigt, hatten ihn gleichzeitig so viel Gutes als auch Schlechtes fühlen lassen, dass er gar nicht wusste, wo er mit all diesen Emotionen hinsollte. Und damit war seine einzige Möglichkeit, es hinauszulassen. Wieder stahlen sich die Tränen in seine Augen, aber nun mehr auch über seine Wangen und rollten einfach hinab, zu seinem Kinn, tropften schließlich zu Boden. Seine Mutter, welche die ganze Zeit über aufmerksam zugehört hatte, schenkte ihrem Jungen nun ein mitfühlendes Lächeln und legte den Arm um seine Schulter. Ihn behutsam an sich drückend, sagte sie nichts, sondern blieb einfach nur eine Weile bei ihm. Und während jeder der beiden in seinen Gedanken schwebte, kam die kleine Natsu angerannt, die mal wieder gelauscht hatte, und konnte sich nicht verkneifen laut trällernd zu rufen „Verliebt! Verliebt! Verliehiiebt!Shouyou ist verliiiiebt“ Sie führte einen regelrechten Freudentanz auf und war kaum zu bändigen, aber sobald Hinatas Schwester von ihrer Mutter einmal strengeren Tones zurechtgewiesen wurde, schwieg sie. Oder hörte zumindest mit dem Singen auf. Ein kleines triumphierendes Lächeln zeigte sich aber auf ihrem Gesicht, als sie sah, dass ihr großer Bruder tatsächlich noch einen Ticken röter im Gesicht wurde. Dass er dies aber mehr aus Ärger als aus Richtigkeit ihrer Vermutung wurde, erriet sie nicht. Dennoch warf der Junge nun auch einen Blick zu seiner Mutter – was dachte sie? War sie auch Natsus Meinung? Schwer zu sagen... Sie war so mitfühlend wie immer, wenn es einen von ihnen beiden schlechtging, aber... wenn er ihr länger in die Augen sah... „So ein Blödsinn!“ Und damit stapfte Hinata davon, vorbei an seiner Mutter und vorbei an Natsu, in sein Zimmer. Das konnte doch nicht wahr sein! Jetzt dachten beide wirklich, dass er heulte, weil er... verliebt war?! Er schloss hinter sich leise die Tür und blieb an dieser angelehnt stehen. So ein Schwachsinn... so ein absoluter Blödsinn! Aber je länger er diesen Gedanken mit sich herumtrug, desto amüsanter fand er es. Sogar so sehr, dass er leise kichern musste. Verliebt... Na gut, vielleicht war er es ja doch irgendwo. Aber nicht in eins dieser gackernden Hühner, die alle nur nervten, sondern in etwas weitaus schöneres: in die Idee fliegen zu können und die Spannung des Spiels zu fühlen, dass er bereits beim Zuschauen empfunden hatte. Jede einzelne Zelle seines Körpers dazu anzuregen, sich auf den Ball zu konzentrieren und sich ganz und gar darin zu verlieren. Über das Netz hinauszuragen und die andere Seite des Spielfeldes sehen zu können. Die eigenen Schwingen zu entfalten. Wenn das unter verliebt zählte... dann war er es gerne. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)