Ein würdiger Traum von Sharry (Der Preis des Vertrauens) ================================================================================ Kapitel 23 - Die Schwäche ------------------------- Kapitel 23 – Die Schwäche   -Zorro- „Du siehst furchtbar aus. Wieder eine schlechte Nacht gehabt?“ „Halt einfach mal die Klappe, okay?“ „Meine Güte, wir sind heute aber gereizt, was?“ Wütend blickte Zorro von seinem Frühstück auf und versuchte seinen nervigen Gesprächspartner mit seinen Blicken zu erdolchen. „Du weißt ganz genau, dass Kanan mich bis spät in die Nacht durch den Trainingsraum gejagt hat. Was hast du ihr eigentlich eingeflößt, die ist doch total durchgedreht?!“ Der Samurai lehnte an der Theke und trank seinen morgendlichen Kaffee, während er die Titelseite der Zeitung las. „Ich weiß gar nicht, worüber du dich so aufregst. Ich hab ihr gegenüber nur das ein oder andere erwähnt. Natürlich wäre ich nie auf die Idee gekommen, sie damit zu beauftragen, gegen dich zu kämpfen.“ Falkenauge klang eine Spur zu unbekümmert und ahnungslos, als er die Zeitung aufschlug. „Allerdings sehe ich mich in meiner Vermutung bestätigt, dass deine Fortschritte durch einen echten Kampf viel größer sind als durch das reine Wiederholen von Übungen.“ Irgendwas an dieser Aussage beunruhigte Zorro sehr. „Was soll das bedeuten?“ Der Ältere sah ihn über die neusten Nachrichten hinweg mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Dass ich deinen Trainingsplan anpasse. Ab jetzt wirst du mit Kanan trainieren.“ „Wie bitte? Das kann doch nicht dein Ernst sein?“ Wütend stand er auf. „Sie ist deine Haushaltshilfe und jetzt willst du ihr auch noch mein Training aufbürden. Unser Deal war, dass ich vom besten Schwertkämpfer der Welt unterrichtet werden würde, nicht von seinem ehemaligen Kindermädchen.“ Doch der Samurai machte keine Anstalten zu antworten. Langsam wurde es Zorro wirklich zu bunt. Aufbrausend riss er dem anderen die Zeitung aus der Hand. „Hörst du mir überhaupt zu?!“ Dulacre starrte ihn gefährlich an, so als würde ihm durch den Kopf gehen, wie er ihm das Genick brechen sollte, aber davon ließ der Jüngere sich nicht beeindrucken. Schließlich sah der andere ihn gefühlt alle zwei Minuten so an. „Und wieder einmal befürchte ich, dass du es bist, der nicht zuhört“, antwortete der Schwarzhaarige mit vernichtender Herablassung, kam auf ihn zu und nahm ihm die Zeitung wieder ab, „Sonst hättest du verstanden, was ich gerade gesagt habe. Ich habe nur wenig Zeit um dich soweit zu bringen, dass du als Pirat überleben kannst, obwohl du jetzt eine Frau bist. Im Kampf mit Kanan bist du weiter gekommen, als in allen anderen Unterrichtseinheiten bisher. Warum also regst du dich so unnötig auf?“ Zorro versuchte zu verstehen, was der andere ihm sagte. Es war ein Kompliment, versteckt unter Anschuldigung und dem traurigen Versuch ihn zu erziehen. Leider Gottes übernahm Dulacre auch eine Verantwortung die keiner der beiden ihm je hatte geben wollen. Über die Zeitung hinweg setzten sie ihr Blickduell fort. „Warum kämpfst du dann nicht mit mir? Anstelle mir eine Haushälterin mit einem Schwert vor die Nase zusetzen, da bin ich ja besser dran, wenn ich alleine trainiere!“ „Unterschätze Kanan ja nicht. Für dich mag sie zwar das in die Jahre gekommene Kindermädchen sein, aber merke dir, dass sie aus einer traditionsreichen Familie von Kriegerinnen stammt.“ Das überraschte ihn nun doch. „Wirklich? Sie kann kämpfen?“ „Hast du das denn gestern Abend noch nicht bemerkt? Sie hat zwar kein außerordentliches Talent wie die gerade hier Anwesenden, aber sie ist zumindest Lady Loreen zurzeit noch überlegen.“ Schon wieder, das war eindeutig ein Kompliment, oder? Langsam machte der andere ihm Angst, irgendetwas stimmte überhaupt nicht. Der Samurai schien seine Besorgnis jedoch nicht wahrzunehmen, sondern sprach weiter. „Kanan ist in etwa auf dem Leistungslevel von dem ehemaligen Kopfgeldjäger Killer. Das heißt, dass du sie besiegen musst, um als Loreen auch nur ansatzweise mit Zorro mithalten zu können. Ich erwarte, dass du das hinbekommst bis deine Zeit hier um ist. Und warum schaust du mich jetzt so komisch an?“ Er musste also Kanan besiegen, um laut Falkenauge einen Wert für seine Crew haben zu können. Das war doch etwas, mit dem er arbeiten konnte. Aber… „Wer zum Teufel ist denn Killer?“ Nun sah ihn der andere fassungslos an. „Du willst mir sagen, dass du dich nicht an deinen Kampf mit Jazz Boner erinnern kannst?“ Jazz Boner… Jazz Boner… „Ach du meinst diesen Mr. 1 von der Baroque-Firma? Der war mal Kopfgeldjäger? Schon irgendwie beunruhigend, dass du sogar von diesem Kerl weißt. Warte mal! Kanan soll so stark sein wie dieser Stahl-Typ? Das ist doch nicht dein Ernst?!“ Dieser arrogante Muskelprotz hätte ihn auf Alabasta beinahe getötet, wenn er nicht gelernt hätte zu schneiden ohne zu spalten und nun sollte die mütterliche Kanan diesem ebenbürtig sein? Auf der anderen Seite erinnerte er sich gut genug an den vergangenen Tag, wo die Haushälterin ihn, in beinahe wahnsinnigem Zustand, durch den Schwertkampf fürs Tanzen begeistern wollte. „Durchaus. Natürlich besitzt sie keine Teufelskräfte und kann auch kein Haki anwenden, aber sie ist nicht zu unterschätzen. Im damaligen Kampf gegen den ehemaligen Piratenjäger Killer konntest du dich ja nur knapp und schwer verletzt als Sieger hervortun. Ich gehe davon aus, dass du dich seit dem selbstverständlich auch weiter entwickelt hast.“ „Woher weißt du das alles? Davon stand doch nichts in der Zeitung.“ „Ich informiere mich gründlich über meine Schüler. Aber wie gesagt, wenn du Kanan ohne eigene schwerwiegende Verletzungen besiegen solltest, kann ich dich guten Gewissens wieder zu deiner Crew lassen.“ Zorro verstummte für einen Moment. Erinnerte sich an den damaligen Kampf und an die darauf folgenden, allen voran der Kampf gegen den Samurai Bartholomäus Bär. Seit Alabasta war viel Zeit vergangen und er hatte einiges dazu gelernt, aber jetzt stand er wieder am Anfang. Selbst wenn er in diesem Körper also stark genug sein sollte, um Mr. 1 zu besiegen, so wäre er doch noch lange nicht da, wo er sein musste. Er dachte an den Kampf gegen Enel, an Ecki von der CP9, an den Samurai Ryuma, dessen Schwert er sein eigen nennen durfte. All diese Kämpfe hätte er verloren, gegen Bär hätte er wahrscheinlich nicht einmal den Ursus Shock überstanden, geschweige denn, was danach kam. Und Falkenauge war tatsächlich der Ansicht, dass er in diesem Zustand seiner Crew von Nutzen sein konnte? Nein, es ging dem anderen nicht darum, dass Zorro in den wenigen Tagen seine frühere Stärke zurück erlangen würde, er wusste wohl, dass dies unmöglich war. Dulacre wollte ihn nur soweit bringen, wie irgendwie möglich, damit er auf der Grand Line nicht völlig hilflos war. Es war beschämend. „Schön und gut“, murrte er, „Aber warum kämpfe ich gegen Kanan und nicht gegen dich? Du kannst doch mit Sicherheit auch so abschätzen, wie weit ich bin. Versteh mich nicht falsch. Ich mag Kanan und ich glaube dir, dass sie nicht schlecht ist, aber wir beide wissen, dass nicht schlecht für mich nicht reicht. Du willst mir helfen ein besserer Schwertkämpfer zu werden und jetzt lässt du mich gegen deine Haushälterin kämpfen? Warum willst du mich nicht mehr trainieren?“ Eigentlich hatte er gedacht, dass er den anderen mittlerweile einschätzen konnte, dass er ihn mittlerweile kannte. Wenn Zorro ehrlich war, hatte er sich mit der Zeit an die nervige, zuvorkommende, bevormundende Art des Samurais gewöhnt, hatte sich an den Samurai gewöhnt, als Mitbewohner, Gesprächspartner und auch irgendwo als vielleicht eine Art Freund. Gerade hatte er auch zugegeben, wie wichtig ihm die Zeit mit dem Älteren als Lehrmeister war. Falkenauge war hart, unnachgiebig und forderte viel, aber er war auch ehrlich, gerecht und vor allem unglaublich fähig, was vom besten Schwertkämpfer der Welt auch nicht anders zu erwarten war. Es verletzte ihn ein wenig, dass der andere nun das Training an das ehemalige Kindermädchen abdrücken wollte, welches Zorro eh mittlerweile mehr sah als den griesgrämigen Herrn des Hauses, bei den Tanzstunden, den Anproben, der Arbeit in der Küche. Und obwohl Zorro nie offen zugeben würde, dass ihn das irgendwie traf, schien der Samurai das bemerkt zu haben, denn er lachte leise und legte die Zeitung zur Seite. Ohne jedoch auf Zorros Schwäche einzugehen, lehnte sich Falkenauge wieder an die Küchentheke und verschränkte die Arme. Erst jetzt, als der Ältere ihn mit so nervigen, väterlich wohlwollenden Augen ansah, wurde ihm bewusst, dass er sich gerade freiwillig unter seine Fittiche gestellt hatte. Er verfluchte seine Hilflosigkeit und schob sein Verhalten auf die verdammten weiblichen Hormone. „Lorenor“, fing nun Dulacre an, „Du verstehst mich wieder mal falsch. Natürlich werde ich dich weiterhin trainieren. Kanan hat gar nicht das fachliche Wissen, um Fehler deinerseits zu korrigieren. Sie soll nur deinen Gegner darstellen, da eure derzeitigen Fähigkeiten auf einem ähnlichen Niveau sind. Ich werde derweil anwesend sein und euren Kämpfen beiwohnen.“ Zorro nickte, auch wenn er immer noch das Gefühl hatte, dass der andere ihm etwas vorenthielt. Aber es gab Dinge, wo er nicht nachhaken würde, stattdessen räumte er sein kaum berührtes Frühstück ab. Es wurde still um sie, während er das Besteck abwusch. Zu seiner Überraschung nahm der Herr des Hauses ihm das nasse Silber aus der Hand und trocknete es unaufgefordert ab. „Außerdem“, murmelte der Ältere, ohne seinen Blick zu suchen und offensichtlich mehr zu sich selbst, als zu Zorro, „Ist es so sicherer für dich.“ „Wie meinst du das?“, fragte er ebenso ruhig nach. Dulacre seufzte, dann sah er ihn an, offenbar unzufrieden darüber, dass er sich selbst verraten hatte. „Weich jetzt bloß nicht aus“, knurrte er direkt, da er den Blick des anderen nur zu gut lesen konnte. Der Samurai knurrte zurück, wie ein Tier, dann seufzte er erneut und beobachtete den Teller in seiner langgliedrigen Hand. „Du würdest einen Kampf mit mir nicht überleben.“ Es war keine Warnung, es war die schlichte Wahrheit. Aber eigentlich war es keine Wahrheit, die Zorro jetzt irgendwie schockiert hätte. Natürlich war ihm bewusst, dass der andere deutlich stärker war, als er selbst, jetzt als Frau mehr denn je. Schließlich war Falkenauge der beste aller Schwertkämpfer und er selbst hatte ja noch nicht einmal den Hauch einer Chance gegen Homura, die gegenwärtige Nummer Drei, gehabt. Wenn der Ältere wollte, konnte er Zorro hier und jetzt innerhalb einer Sekunde töten, aber das war ja nichts Neues. „Wenn du jetzt von mir ein bisschen Beweihräucherung haben möchtest, wie toll und stark du doch bist, dann schmink‘ dir das gleich wieder ab. Egal wie tief ich gesunken bin, ich werde dir nicht in deinen Hintern kriechen. Wir beide wissen, dass ich noch, und ich betone noch, kein Gegner für dich bin, aber es gehört normalerweise nicht zu den Aufgaben eines Lehrmeisters seinen Schüler umzubringen.“ „Wie hast du mich gerade genannt?“ „Was?“ „Sag es nochmal: Ich bin dein…“ Fassungslos starrte er den andern an. „Wir haben hier gerade ein ernsthaftes Gespräch, darüber, dass du mich umbringen könntest.“ „Und ich bin gewillt, dir eine Antwort zu geben, wenn du mich nochmal was nennst?“ Er hasste es, wie böse Falkenauge ihn angrinste. Er schürzte die Lippen und stemmte die Hände in die Hüften. „Du Mistkerl! Jetzt sag mir einfach, warum du nicht mit mir kämpfen willst.“ Der andere seufzte. „Ach, Lorenor.“ Nun klang er wieder unglaublich ernst. „Ich brauche keine falschen Komplimente um mein Ego zu stärken. Ich weiß genau, wie gut ich bin und wie gut die anderen sind.“ „Und?“, murrte Zorro, „Das ist jetzt keine Antwort auf meine Frage, sondern nur eine weitere Betonung wie ach so toll du doch bist.“ Dulacre sah ihn kühl an. „Lorenor, du bildest dir ein, dass du mich einschätzen kannst, weil du mir einmal im Kampf gegenüber standest. Dass du meine Stärke einschätzen kannst, da du mich besser kennen gelernt hast und nun auch mit mehr Erfahrung bereits mit Nataku gekämpft hast. Aber ich möchte, dass dir bewusst wird, dass der Unterschied zwischen Nataku und mir ein Vielfaches von dem zwischen dir und ihm beträgt. Nur weil er zu den besseren Schwertkämpfern gehört, heißt das nicht, dass er mir auch nur im Mindesten ebenbürtig ist. Selbst Nataku und Jirou zusammen dürften es schwer mit mir haben.“ Zorro blieb gerade wirklich einen Moment die Spucke weg. Es war, als würde ihm jetzt erst wieder wirklich bewusst werden, mit wem er sich hier unterhielt, mit wem er sich hier so gerne stritt, in wessen Haus er tatsächlich wohnte. Der Mann vor ihm war Mihawk „Falkenauge“ Dulacre, bester Schwertkämpfer der Welt und einer der sieben Samurai. Ja, er wusste, dass sein Gegenüber wohl zu den stärksten Menschen der Welt gehörte, aber er hatte doch gedacht, dass er diese Stärke mit der von Homura vergleichen konnte, zumindest in gewisser Weise. Nun wollte Mihawk ihm tatsächlich weiß machen, dass der Abstand an der Spitze der Schwertkampfmeister so unermesslich groß war? „Ich erzähle dir das hier nicht, um dir zu sagen, wie meintest du das eben, genau, wie ach so toll ich doch bin. Ich sage dir das, um dir bewusst zu machen, dass es niemanden hier gibt, der mich aufhalten könnte, wenn ich die Kontrolle verlieren würde. Kontrolle, ein sehr wichtiger Faktor im Kampf.“ Zorro nickte langsam. Er selbst hatte schon oft bemerkt, wie ungewollte Emotionen einen klaren Verstand vernebeln konnten. Gefühle waren die Feinde der Strategie. Aber Falkenauge war unangefochtener Meister der Taktik, bekannt für seinen kühlen Kopf und seine überlegten Handlungen. Wieso sollte ausgerechnet er während des Trainings die Kontrolle verlieren? Doch dann dämmerte es ihm. Der Moment, als er das Sofa umgerissen hatte, als er aus dem Haus geflohen war, als er die drei Bäume gefällt hatte. Der Streit nach der Versammlung. In diesen Momenten hatte er die Kontrolle für einen winzigen Bruchteil einer Sekunde verloren, und Schuld daran gewesen war immer… „Ich“, murmelte er leise, „Ich bringe dich aus der Fassung.“ Doch diesmal machte er sich nicht über den anderen lustig, diesmal traf diese Erkenntnis ihn unvorbereitet. Der Ältere seufzte: „ Ein Kampf gegen dich, selbst mit nur einem Brieföffner, selbst unbewaffnet, würde auf jeden Fall tödlich für dich ausgehen. Und während ich problemlos eingreifen könnte, wenn der Kampf zwischen dir und Kanan kritisch für einen von euch werden sollte, so gäbe es doch niemanden, der mich aufhalten könnte.“ Auf Zorros Feststellung ging er erst gar nicht ein. Doch die Aussage des Samurais schlug den Piraten tiefer, als er erwartet hätte. „Selbst ein Meister in der Anwendung des Hakis bräuchte vermutlich zu lange, um dich retten zu können.“ Es schien als hätte er da jemanden ganz Bestimmten im Kopf, doch wer blieb Zorro verwehrt. In diesem Moment schlug plötzlich die Küchentür auf und die eben genannte Haushälterin kam hineingeflogen. „Ach, Loreen, hier bist du, Schätzchen“, grüßte sie ihn liebevoll, wieder die gutmütige Mutter in Person und nicht die gefährliche Wilde von der vergangenen Nacht. „Was ist denn, Kanan?“, fragte er sie etwas unhöflicher als beabsichtigt, aber immerhin unterbrach sie gerade ein äußerst interessantes und gewisser Maßen auch intimes Gespräch. Doch sie war die Freude in Person. „Ich wollte dich für die Anprobe abholen kommen. Meine Schwester müsste jeden Moment mit deiner Maske auftauchen und dann möchte ich, dass alles perfekt ist. Also komm schon.“ Seufzend wandte er sich dem Samurai zu, dieser grinste nur: „Keine Sorge, danach bleibt noch genügend Zeit für ein ausschweifendes Training, nicht wahr Kanan?“ Sie erwiderte den funkelnden Blick ihres Arbeitgebers nicht halb so begeistert. „Aber nur, wenn wir vorher auch noch mal die Tänze durchgehen.“ Dann griff sie ohne zu Fragen Zorros Hand und schleifte ihn zur Tür. „Ach Übrigens, Herr“, drehte sie sich noch einmal um, „Euren Anzug habe ich in Euer Ankleidezimmer gehängt, bitte probiert ihn doch einmal an und ruft mich dann.“ -Mihawk- Als die Tür hinter den beiden Frauen zufiel, atmete er erst einmal aus und ließ sich auf den Schemel sinken, auf dem vor wenigen Minuten noch sein Schützling gesessen hatte. Müde fuhr er sich durch die Haare. Diese Unterhaltungen mit dem Piraten laugten ihn aus. Es war, als ob der Jüngere ohne Probleme hinter seine Mauer schlüpfen konnte ohne das überhaupt zu bemerken. Jedes Gespräch mit dem Jüngling war gefährlich für Dulacre, war unbekannt und intensiv. Nur die wenigsten Menschen konnten auf Augenhöhe mit ihm reden und diejenigen, die keine Angst vor ihm hatten waren meist dumm und bereuten dies später, auch wenn es dann bereits zu spät war. Lorenor hingegen hatte sich seinen Respekt erarbeitet, seine Ehrlichkeit und auch sein Vertrauen, ob Dulacre nun wollte oder nicht. Aber es war ungewohnt für ihn, sich mit einem solchen Gegenüber auseinanderzusetzen. Ein Gegenüber mit der Weisheit eines alten Mannes und der Impulsivität eines jungen Kindes. Ohne das er es wollte, verriet er dem Kind Dinge, die er niemanden sagen würde, es war, als wäre es ihm unmöglich etwas vor dem anderen zu verbergen. Wie schaffte Lorenor das nur? Was sollte er nur tun mit diesem Jungen in dem Körper eines Mädchens? Was konnte er tun? Er musste ihn auf jeden Fall beschützen, solange er konnte. Beschützen vor Nataku, vor Eizen, vor allen Anwesenden auf diesem verfluchten Ball. Aber vor allem musste er Lorenor vor sich selbst und auch vor ihm, Dulacre, beschützen. Leider Gottes war diese Aufgabe umständlicher als er es je erwartet hätte. Besonders, da sein Schützling seinen Schutz nur widerwillig annahm und er sich selbst immer wieder hinterfragte, warum er überhaupt so etwas selbstloses, in gewisser Weise auch schwachsinniges, tat. Schließlich wollte Lorenor ihn eines Tages besiegen. Aber soweit war er noch lange nicht, dieser Weg war noch weit und bis dahin würde Dulacre erst einmal auf ihn aufpassen. Aber irgendwann würde der Tag kommen, wo sein Wildfang wieder zu seiner Crew gehen würde. Ihn verlassen würde. Und die Frage war doch eigentlich nicht, ob er Lorenor dann noch beschützen konnte, sondern wer ihn beschützen würde, vor seinen eigenen dunklen Gedanken. Leise vergrub er das Gesicht in seinen Händen. Was war nur aus ihm geworden? Wie konnte ein Mensch ihn so verändern? Was hatte er sich da nur ins Haus geholt? Seufzend stand er auf und verließ den Raum. -Zorro- Wieder mal stand er halb nackt in einem Raum. Wieder mal musste er sich selbst im Spiegel ansehen. Diesen kleinen, zerbrechlichen, schutzbedürftigen Körper eines zierlichen, naiven Mädchens. Trotz all der Zeit, egal wie sehr er sich an diesen Körper gewöhnt hatte, an dieses Spiegelbild, diese riesigen, traurigen Glubschaugen würde er sich nie gewöhnen können. Das gerade geführte Gespräch mit dem Samurai verblasste vor der neusten Herausforderung, doch Zorro war es gleich. All diese klärenden Unterhaltungen empfand er eher als störend und weniger als hilfreich. Er war hier, um besser zu werden und nicht um herauszufinden, warum ausgerechnet er den wunden Punkt in Dulacres armer, so verletzter Seele traf. Sollte der Typ sich doch einen Seelenklempner anschaffen, Hauptsache er konnte Zorro weiter trainieren. „So, mein Kind, hier ist es.“ Kanan kam aus einer angrenzenden Kammer hereingestürmt. In Ihrer Hand hielt sie seinen langen, wallenden Untergang. „Und?“, fragte sie ihn aufgeregt, „Wie findest du es?“ Tja, wie sollte er es finden? Es war ein Kleid, verdammt nochmal. Also, wenn er davon absah, dass es ein Kleid war, wie fand er es? Er hatte keine Ahnung, es hätte genauso gut eine Küchenschürze oder ein Kartoffelsack in seinen Augen sein können. „Ach, du musst es erst mal anziehen, dann kannst du es erst richtig beurteilen“, rettete Kanan ihn zugleich vor einem Urteil. „Kommen Ihre Töchter heute nicht?“, lenkte er das Thema ab, während die Haushälterin ihn in den teuren Stoff kleidete. Sie schüttelte den Kopf. „Mausi ist wieder Mal krank und dementsprechend muss sich Seira alleine um ihr Kleid kümmern.“ „Wieder mal?“, hakte er nach, „Ist Mausi denn öfters krank?“ Kanan nickte nur ohne aufzusehen. „Sie hat kein gutes Immunsystem und liegt alle paar Wochen für ein paar Tage flach, meistens ist es nichts Ernstes, aber sie muss da natürlich etwas vorsichtiger sein.“ Dann sah sie auf. „Aber mach dir keine Sorge, mein Können reicht vollends aus, um aus dir die Schönste auf dem ganzen Ball zu machen.“ „Sie wissen schon, dass Ihre eigene Tochter anwesend sein wird? Und was ist mit Ihrer Schwester, hilft die Ihnen?“ Das ehemalige Kindermädchen lachte beherzt: „ Oh Nein, das wollen wir beide nicht. Meine Schwester bringt die Maske nur mit. Sie selbst ist äußerst untalentiert in solchen Dingen. So, Süße, was denkst du?“ Kanan trat zurück und gab ihm freie Sicht auf den mannshohen Spiegel. Vor ihm stand ein Mädchen in einem Ballkleid. Tja, soweit war er eben doch auch schon, oder nicht? Okay, also wenn er noch mal ignorierte, dass dieses Mädel er selbst war, wenn er davon ausgehen würde, dass er dieses Mädchen auf der Straße sehen würde, was würde er denken? Dass sie eine wilde Nacht hinter sich hatte und gewiss nicht Zuhause geschlafen hatte, wenn sie am helllichten Tage immer noch in so einem Fummel rumlaufen würde. Oder aber er würde vermuten dass sie ein verwöhntes Gör wäre. Dieser Gedanke brachte ihn somit auch nicht weiter. Was würde also der liebestolle Koch denken, wenn er dieser jungen Frau begegnen würde? Ja, er wusste die Antwort. Die Kringelbraue würde sich mit Sicherheit sofort sabbernd über diese Frau hermachen und ihr ewige Liebe schwören. Jedoch wurde ihm wieder bewusst, dass er diese Frau war, also verdrängte er dieses Bild vor seinem inneren Auge so schnell er konnte. „Also?“ Kanan wirkte etwas ungeduldig. „Ich denke, es ist hübsch?“ War das ein passendes Wort? Naja, es war zumindest positiv, oder? „Nur hübsch?! Kind, guck dich doch mal genauer an! Du siehst aus wie eine menschgewordene Göttin, auch wenn wir hier noch ein wenig nachhelfen müssen.“ Mit diesen Worten legte sie ihre Hände an seine kleinen Brüste und drückte das Dekolleté noch etwas nach oben. „Kanan!“, entkam es ihm etwas peinlich berührt, während ihm das Blut in die Wangen schoss. „Loreen, dieser Ball ist unglaublich wichtig. Die ganze Welt schaut auf diesen Abend. Alle werden dich in diesem Kleid sehen und du wirst mit bekannten Persönlichkeiten darin tanzen. Wir müssen all deine Vorzüge auskosten.“ Er wollte wirklich nicht dahin! „Kanan, dieser Ball ist mir sch… sowas von egal, okay? Ich gehe dahin, um Problemen aus dem Weg zu gehen und damit Dulacres Vertragspartner die Klap… sich nicht beschweren können. Alles was ich will, ist diesen verfluchten Abend hinter mich bringen und dann mit dem Training fortfahren.“ „Da bin ich aber beruhigt.“ Eine unbekannte Stimme erklang von der Tür. Dort an die Wand gelehnt stand eine hochgewachsene, schwarzhaarige Schönheit. Die Frau mit den modernen Kurzhaarschnitt, den dunklen Augen und vollen Lippen war eindeutig als Verwandte Kanans anzusehen, auch wenn sie im Gegensatz zum ehemaligen Kindermädchen kein Pfund zu viel auf den Hüften hatte und dies auch bereitwillig in jugendlichen Klamotten zur Schau stellte. Die enge Hose und das bauchfreie Oberteil verrieten gerade genug um einen Mann neugierig werden zu lassen. Und genau wie Kanan wirkte sie alterslos mit dem Körper einer jungen Frau. Sie hatte die Arme verschränkt und schmunzelte leicht. „Als ich gehört habe, dass Falkenauge ein Mädel hat, das ihn auf diesen Lackaffen-Ball begleitet, hab ich mich schon gewundert, was das für ein Prinzesschen sein muss. Aber es scheint so, als würdest du doch nicht zu diesem abgehobenen Teil der Gesellschaft gehören.“ Kanans Schwester stieß sich von der Wand ab und kam auf ihn zu, die Hände auf die Hüften gestemmt, in der einen eine Zigarette in der anderen einen kleinen Korb. „Freut mich, dich kennenzulernen, Loreen.“ Zwei Dinge fielen ihm sofort auf. Sie sprach sehr salopp und umgangssprachlich, ganz anders als die wohlerzogenen Menschen, von denen er in den letzten Tagen umgeben war. Außerdem nannte sie Dulacre Falkenauge, ein Name den hauptsächlich Piraten nutzen. Diese Frau wirkte gefährlich auf ihn und er konnte noch nicht einmal genau sagen, warum. „Loreen, wenn ich dir vorstellen darf: meine, etwas rüpelhaft erzogene, Schwester Shakuyak. Shakuyak, bitte reiß dich etwas zusammen und ich wäre dir sehr dankbar, wenn du hier drinnen nicht rauchen würdest.“ Mit den Augen rollend drückte Shakuyak ihre Zigarette an ihrem eigenen Schuhabsatz aus, bevor sie ihn wieder angrinste. „Du kannst mich aber auch ruhig Shakky nennen. Wenn Kanan sagt, du gehörst zur Familie, dann gehörst du zur Familie.“ Er nickte sachte, ohne etwas zu erwidern. Sie war eindeutig stärker als Kanan und das beunruhigte ihn. Diese Frau wollte man nicht als Feind haben. Doch seine Grübeleien blieben von den anderen beiden unbemerkt, die sich nun unterhielten und den Korb, den Shakky mitgebracht hatte, auf dem kleinen Nähtisch stellten. Vorsichtig zog die augenscheinlich jüngere der beiden Schwestern ein Packet heraus und begann damit, die Verpackung aus Stoff zu lösen. Die Maske in Shakkys Hand erinnerte ihn stark an diejenigen, die die Mitglieder der CP9 beim Überfall auf Eisberg  getragen hatten. Allerdings war sie weder grotesk verformt noch übertrieben bunt. Sie war schlicht und elegant, ähnlich wie das Kleid, das er trug. Selbst er konnte erkennen, dass er mit seinem Kostüm der Mittelpunkt des Abends werden würde, ohne dass es erzwungen aussehen würde. Aber eine Kleinigkeit störte ihn dann doch. „Wie gefällt sie dir?“, fragte Kanan nun erneut. Doch diesmal wusste er, was er wollte. „Sie ist wirklich ein Meisterwerk.“ Kanan grinste selbstgefällig. „Allerdings muss ich Sie um einen Gefallen bitten. Ist es möglich sie noch abzuändern?“ Die Augen der Haushälterin wurden groß. „Ja, grundsätzlich schon, aber was würdest du gerne anders haben?“ Er streckte die Hand nach der Maske aus, die ihm bereitwillig gereicht wurde. „Das hier. Können Sie das hier weg machen?“ Überrascht sah ihn die Ältere an. „Bist du dir sicher, mein Kind? Du weißt doch, was…“ „Ich bin mir über die Bedeutung der Masken durchaus im Klaren. Bitte.“ Sie nickte. „Natürlich, gib mir nur einen Moment Zeit.“ Damit verschwand sie ins Nebenzimmer. „Ach, ist es sowas Ernstes?“ Mit einem Grinsen kam die Verbliebene auf ihn zu und begann Nadeln und Nähte umzustecken, so dass sein Ausschnitt besser zur Geltung kam. Auf ihn wirkte die Schwester Kanans überhaupt nicht unbegabt im Umgang mit Stoff und Nadel. „Auf keinen Fall!“, wiedersprach er, „Ich will nur nicht, dass mich jeder Depp von der Marine oder von sonst wo anspricht.“ Er ließ sie gewähren, während sie, nun leise lachend, weiter an ihm rum zupfte. Er hatte das sichere Gefühl, dass sie mit einer Nadel gefährlicher war, als Kanan mit ihrem scharfen Kurzschwert. „Das kann ich gut verstehen. Auf so eine Veranstaltung würden mich keine zehn Admiräle kriegen.“ „Ach, da scheinen Sie ja aus Ihrer Familie die einzige zu sein. Die anderen Damen haben das Gefühl, dass das hier eine Ehre ist.“ Er konnte einen leichten Piecks spüren. „Hör auf mich zu siezen, so alt bin ich noch nicht.“ Aber sie grinste immer noch. „Ja, ich bin da wohl etwas anders. Ein kühles Bier und eine gute Zigarette ist alles, was der Abend für mich braucht.“ „Da kann ich nur zustimmen. Wobei ich mich auch über eine Flasche Sake nicht beschweren würde.“ Es war wirklich angenehm noch einmal ein normales Gespräch führen zu können. Diese Frau hatte augenscheinlich den gleichen gesellschaftlichen Hintergrund wie er selbst, was die Unterhaltung äußerst einfach gestaltete. Selbst Dulacre, der genau wusste, wer er war, kritisierte immer wieder seine Umgangsformen. Die Schwarzhaarige nickte wohlwollend, ließ von ihm ab und betrachtete ihn aus ein paar Metern Entfernung, offensichtlich zufrieden, mit ihrem Ergebnis. „Du gefällst mir, Loreen.“ Sie grinste ihn an, während sie sich eine erneute Zigarette ansteckte, ließ dabei im Ungewissen, ob sie sein Kleid oder seine Art meinte. „Wenn das hier vorbei ist, solltest du mich mal auf einen Schlummertrunk auf dem Sabaody Archipel besuchen.“ Endlich traf er einen vernünftigen Menschen. „Wohnst du dort?“ Sie nickte. „Ich hab dort eine kleine Bar. Allerdings weiß ich nicht, ob du da alleine auftauchen solltest.“ „Wieso?“ Verwirrt sah er sie an, doch sie grinste unbeirrt weiter und genoss sichtlich ihr Nikotin. „Ach, ich wohne auf Grove 13, das liegt im gesetzeslosen Revier der Insel. Wenn ein hübsches Ding wie du da alleine durch die Gegend läuft, bist du schneller in den Fingern von diesen verdammten Menschenhändlern, als du gucken kannst.“ „Keine Sorge, ich bin nicht so schwach, wie ich wirke“, grinste er zurück. „Das glaub ich dir aufs Wort, Süße. Schließlich wohnst du hier im Haus eines der berüchtigtsten Männer der Welt. Aber ich glaube dir ist nicht bewusst, was sich da alles rumtreibt. Das Sabaody Archipel ist Treffpunkt aller Gesetzeslosen, die in die neue Welt wollen.“ Zorro wurde hellhörig. Diese Frau könnte für seine Crew nützliche Informationen haben. „Jeder, der über die Fischmenscheninsel in die neue Welt gelangen möchte, muss auf dem Sabaody Archipel eine Pause machen um sein Schiff beschichten zu lassen. Dementsprechend gibt es dort unglaublich viele Kriminelle. Vor allem in den letzten Tagen wimmelt es dort nur so von Piraten. Besonders diese ganzen unerzogenen Rookies bereiten mir Kopfzerbrechen.“ Doch sie wirkte überhaupt nicht besorgt, während sie weiter an ihrer Zigarette zog. Im nächsten Moment kam Kanan wieder herein. „Shakuyak, bitte mach die Zigarette aus.“ Mit diesen Worten stellte sie sich hinter Zorro um ihm zu helfen die Maske samt Schleier überzuziehen. Danach zog sie ihm noch dünne Handschuhe über, die nur am Mittelfinger befestigt wurden. „Und, was denkst du?“, fragte sie. „Wie eine hübsche, zerbrechliche Porzellanpuppe. Also genau das, was der Adel sehen will“, antwortete die andere Frau etwas gehässig. Der Pirat sah sich nun selbst im Spiegel wieder an. Ja, diese fremde Frau war wirklich nicht zu unterschätzen, aber er selbst schien auch eine solche Frau darzustellen. Langsam fand er Gefallen an seiner unscheinbaren Hülle. Im Kampf würde ihn jeder unterschätzen. Er war ein verdammter Wolf im Schafspelz und wurde nun auf eine große Weide mit vielen dicken Schafen eingeladen. 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