Ein würdiger Traum von Sharry (Der Preis des Vertrauens) ================================================================================ Kapitel 13 - Der Neuling ------------------------ Kapitel 13 – Der Neuling -Mihawk- „Du lebst ja tatsächlich noch, Lorenor Zorro!“ Er wirbelte herum. Der Name des Piraten rang in seinen Ohren wie ein lautes Alarmsignal. Wer hatte ihn enttarnt? Vor ihnen stand ein junger Mann, möglicherweise nur vier bis fünf Jahre älter als der verwunschene Grünschopf an seiner Seite. Der Neuankömmling hatte eine muskulöse, schokobraune Hand nach dem Mädchen in Weiß ausgestreckt. Seine braunen Augen lugten neugierig zwischen schwarzen Locken hervor und die vollen Lippen waren zu einem breiten Grinsen verzogen. Er trug seltsam eng anliegende Klamotten, wie sie Sportler manchmal trugen. Eine Kappe war tief ins Gesicht gezogen. „Wer bist du?“, fragte Dulacre kühl. Noch war er sich nicht sicher, ob sein Gegenüber wirklich ein Feind war und da sie mitten auf dem Markplatz standen, wäre es von Vorteil, wenn sie das vorliegende Problem ohne viel Aufsehen lösen könnten. Der Jüngling lachte leise: „Sieh einer an. Der junge Mihawk Dulacre ist ein richtiger Mann geworden. Aber in der Wahl deiner Freunde hast du dich kein Stück verbessert.“ Der kleine Seitenhieb brachte ihn nicht wirklich aus der Ruhe. „Du sprichst ganz schön unhöflich mit einem der sieben Samurai. Wer glaubst du, wer du bist?“ Seine Worte waren entspannt, doch ein kleiner, drohender Unterton hatte sich eingeschlichen. Wieder lachte der Dunkelhäutige, doch das Mädchen sprach zuerst: „Wie machst du das?“, fragte Lorenor beinahe heiser. Etwas verwirrt blickte Falkenauge zu seiner Begleitung hinab, dieser starrte den Fremden entsetzt an. „Was bist du?“ Erneut lachte der andere. „Deine Frage, Lorenor Zorro, sollte doch eher lauten; was sind wir?“ Es war offensichtlich, dass den scharfen, gelben Augen des Samurais etwas entging, was die beiden anderen ohne Probleme wahrnahmen, aber was? „Als ich hörte, dass Mihawk Junior mit einem hübschen Mädchen im Schlepptau nach Banri gefragt hat, bin ich wirklich neugierig geworden, und das Bild in der Zeitung hat mir dann auch noch den Mund wässrig gemacht. Deswegen wollte ich dich mal in Natura sehen, aber ich kann meinen eigenen Augen kaum glauben.“ Das Grinsen wurde noch breiter. „Was geht hier vor?“, versuchte Mihawk es erneut, erfolglos. „Dulacre“, flüsterte die junge Frau atemlos, „Wie sah dieser Banri aus?“ Nun war er richtig verwirrt. Es passierte selten, dass seine Strategien nicht aufgingen, noch seltener passierte es, dass er komplizierten Gedankengängen nicht folgen konnte. Aber es war ihm noch nie passiert, dass er absolut keine Ahnung hatte, was hier vor sich ging. „Mihawk!“, knurrte Lorenor erneut. Dieser schüttelte den Kopf. „Ich verstehe nicht, wovon du redest, aber wie dem auch sei, Banri hatte rotes, schütteres Haar mit einer Halbglatze. Er war so durchschnittlich groß mit breiten Schultern und einem Bierbauch. Er wirkte etwas teigig. Wieso?“ „Er ist es.“ Die Stimme des Mädchens war nur ein Hauch. Der Samurai verstand kein Wort. „Was redest du denn da? Du hast doch selbst gehört, dass er gestorben ist.“ „Ja, das stimmt“, bestärkte ihn ausgerechnet der Fremde, „Vor zwölf Jahren. Ein ganz furchtbarer Unfall, ganz furchtbar. Ich hab gehört, er wollte einem Freund bei der Überfahrt von Baumwolldecken helfen, welche sich wohl entzündet haben. Das komplette Schiff ist verbrannt, ehe es sinken konnte. Ein ganz furchtbarer Tod“, sagte Schokolippe ernst, ehe er wieder grinste, „Allerdings weiß ich das nur von den Eingeborenen, ich selber wohne ja erst seit sieben Jahren hier.“ Das alles machte für Dulacre überhaupt keinen Sinn, doch sein Wildfang schien genau zu wissen, was hier vor sich ging. Wie ein Wirbelsturm rauschte das Mädchen zum muskulösen Fremden, packte ihn am Kragen und zog ihn zu sich herunter. Der weiße Hut segelte sanft zu Boden. „Ich will jetzt wissen, wie du das machst, Banri!“ Die zarte Stimme klang bedrohlicher als eine Waffe an der Schläfe. „Lass ihn los!“, zischte Mihawk und verfluchte das unbeherrschte Verhalten des anderen, doch dieser ignorierte ihn getrost. „Jetzt beruhige dich, Lorenor Zorro“, sagte der angebliche Banri, „Dann wäre ich möglicherweise sogar bereit dir deine Fragen zu beantworten. Wenn du mich loslässt, versteht sich.“ Augenblicklich lösten sich die kleinen Hände vom verknitterten Kragen. „Na dann, schieß los!“, knurrte das Mädchen, immer noch zum Mord bereit. Der Fremde sah sich langsam um, ehe er sich umwandte. „Nicht hier, folge mir!“ Und dann schritt er von dannen. Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern verfolgte der Grünschopf ihn. „Jetzt warte mal“, mahnte Mihawk und packte den Jungspund an der Schulter, „Das könnte eine Falle sein.“ Die grünen Augen sahen ihn wild an. „Und wenn schon!“, dann folgte das Mädchen dem Schwarzen. Leise vor sich hin fluchend, hob Dulacre den Hut auf und folgte seinem Schützling. Was hatte er sich da nur ins Haus geholt? Vor einem großen Gebäude am Ende des Marktplatzes blieben sie stehen. „Wenn du mir bitte folgen würdest“, bat der Fremde und öffnete die Tür. Sowohl Lorenor, als auch Mihawk machten Anstalten, das Haus zu betreten, doch der junge Mann stellte sich in den Weg. „Ahahah.“  Tadelnd erhob er den Zeigefinger. „Lorenor Zorro ja, Mihawk Junior ähm, nein.“ „Was?“, entkam es dem Samurai atemlos. Dann wandte er sich der jungen Frau zu. „Hör zu, es wäre kopflos ihm jetzt einfach Folge zu leisten. Ich bin wirklich dagegen. Das ist doch ganz offensichtlich eine Falle.“ Es überraschte ihn, wie klar diese grünen Augen ihn ansahen. „Ich weiß. Aber dennoch muss ich es versuchen. Das hier ist meine einzige Chance!“ Der Pirat griff nach seiner Hand, sein Blick immer noch todernst. „Vertrau mir“, wiederholte er die Worte des Samurais von vor wenigen Minuten, jedoch viel ernster als dieser sie gemeint hatte. Dulacre seufzte. Ja, seit dem Vorabend hatte sich wirklich viel verändert, zumindest für ihn. Sich ergebend stülpte er den Hut wieder über die grünen Haare. „Wenn du in einer Stunde nicht raus bist, sprenge ich das Haus in die Luft.“ Erst später, nachdem die Tür hinter der zierlichen Silhouette zugefallen war, merkte er, wie verzweifelt sich diese Worte angehört hatten. Ratlos stand er vor dem großen Gebäude. Und was jetzt? -Zorro- Der Flur war dunkel, doch das Zimmer, welches er danach betrat war hell erleuchtet. Zorro fand, dass es absolut kitschig eingerichtet war und dabei sah es auch noch ziemlich altertümlich aus. „Setz dich, setz dich“, sagte der Mann hinter ihm. „Möchtest du was trinken?“ Der Pirat schüttelte den Kopf und ließ sich auf dem, am wenigsten dekorierten, Stuhl nieder. Da es hier unglaublich warm war, zog er ziemlich zügig den Mantel aus. „Willkommen in meinem Haus. Ich bin hier eingezogen, nachdem der alte Banri und seine Frau verstorben sind.“ Mit einem breiten Grinsen, warf sich sein Gegenüber auf das Sofa. „Ein bisschen viel rosa, aber ansonsten ganz nett hier, findest du nicht?“ „Hören wir auf mit den Spielchen. Du bist Banri, ganz egal, wie du dich jetzt auch nennen magst“, murrte Zorro und beobachtete den anderen dabei, wie er eine Flasche Cola öffnete. „Toutaku heiße ich. Nett, dass du fragst“, antwortete der andere und grinste unbeirrt weiter, ehe er einen großen Schluck seines Getränks nahm. „Ich wusste, dass es irgendwann soweit sein würde“, sagte er schließlich deutlich ruhiger und ohne dieses gespielte Grinsen. Zorro hob eine Augenbraue an. „Das was so sein würde?“ „Na, dass ich einen Neuling treffen würde. Jemanden der keine Ahnung hat, was mit ihm passiert ist. Als ich in der Zeitung von deinem Tod gelesen habe, hab ich mir nicht wirklich was dabei gedacht. Ein gemeiner Pirat weniger auf der Welt. Aber anscheinend habe ich mich da geirrt.“ Nach außen hin war Zorro die Ernsthaftigkeit in Person, hatte den kühlen Blick auf seinen Gastgeber gerichtet und wartete beinahe entspannt ab. Doch innerlich bebte er, sein Herz raste, nur mit immenser Körperbeherrschung schaffte er es, nicht zu schwitzen. Das war in diesem Körper um ein vielfaches schwerer, doch Angstschweiß war eine Schwäche, die er sich nicht eingestehen wollte. „Ein Neuling?“, fragte er stattdessen, „Soll das heißen, es gibt mehr von…von uns?“ „Ich habe mittlerweile vier andere getroffen und bin mir ziemlich sicher, dass auch mein Großvater zu uns gehörte und dann natürlich noch dich heute.“ Mit zittrigen Händen nahm der Grünschopf den Hut ab und fuhr sich durchs Haar. „Also verstehe ich das richtig, es gibt auf der Welt einige Menschen, denen sowas wie uns wiederfahren ist?“ „Oh je, wir gehören wohl zu der richtig hellen Sorte“, lachte der Mann ironisch, „Genauso ist es. Und irgendwann lernt man jemanden kennen, der noch nicht weiß, was mit ihm passiert ist und es liegt an uns, einander zu helfen. Ich sag dir ganz ehrlich, ich halte nicht viel von Piraten, und dass deine Crew dich zurückgelassen hat gönne ich dir von ganzem Herzen, aber der Rest. Nein, das wünsche ich niemandem. Wir sind jetzt auf der anderen Seite und hier sind wir alle gleich.“ Zorro sah den anderen an. Sah den wabernden Schatten, der hinter dem dunkelhäutigen Jungen immer wieder klarer wurde und dann wieder verschwamm. „Ist allen das Gleiche passiert wie uns?“, fragte er, ohne den Worten des anderen große Beachtung zu schenken. „Na, so ziemlich. Im letzten kommt es drauf an, dass von unseren ursprünglichen Körpern nichts mehr übrig bleibt. Das geht auf verschiedenen Wegen.“ Der andere zuckte mit den Achseln und trank einen weiteren Schluck. „Warum ausgerechnet wir?“, fragte Zorro, mehr sich selbst, als den Mann, der möglicherweise die Antwort kannte. „Das kann ich dir auch nicht so genau sagen. Vermutlich haben wir besondere Vorfahren oder haben alle den gleichen blöden Fehler in unserem Leben gemacht, aus denen wir lernen sollen. Wer weiß das schon. Im Grunde ist das doch auch egal, wichtig ist nur, dass wir eine zweite Chance bekommen haben.“ Die lockere Art des anderen sollte ihn beruhigen, ihn entspannen, aber in Wahrheit machte es ihn nur noch nervöser. „Das heißt also, du kannst meine wahre Gestalt sehen, so wie ich deine?“ Sein Gegenüber nickte. „Und gibt es eine Möglichkeit, meinen alten Körper zurückzubekommen?“ Endlich stellte er die Frage laut, die ihn nun schon seit Tagen beschäftigte und vielleicht gab es sogar eine Antwort. Banri, oder Toutaku oder wie auch immer er hieß, schluckte schwer, ehe er sich ernst vorlehnte. „Okay, Lorenor Zorro, jetzt hör‘ mir mal ganz genau zu. Wenn du willst, sag ich dir alles was ich weiß. Und ich hab über die vergangenen zwölf Jahre echt schon eine Menge gelernt und das ein oder andere Wissen bringe ich noch aus meinem alten Leben mit. Aber zwei Dinge. Zum einen: Nur du kannst dir selbst helfen. Zum anderen: Niemand darf hiervon je was erfahren!“ Auch der Pirat beugte sich nun vor, folgte jedem Wort des anderen auf geheime Informationen hin. „Wieso? Mihawk weiß doch schon wer ich bin.“ Der Junge machte eine wegwerfende Handbewegung. „Natürlich. Es ist fast unmöglich sein anderes Gesicht vor allen Menschen ein Leben lang zu bewahren. Das Mädchen, was ihr in der Bibliothek kennengelernt habt, sie ist meine, also Banris, Tochter. Ich habe extra gewartet bis meine Frau verstorben ist, ehe ich wiederkam, aber meine Kleine hat keine zwei Wochen gebraucht um herauszufinden wer ich bin. Aber das wie und das warum, wenn du das jemanden verrätst ist es nicht nur unmöglich für dich, deine alte Gestalt wieder zu erlangen, du bringst uns alle anderen auch noch in Gefahr.“ Zorro stutzte: „Wieso das denn?“ „Was glaubst du, wie lange die Marine es zulässt, dass Wiederauferstandene wild durch die Gegend laufen? Natürlich wollen sie wissen, warum wir wieder am Leben sind und dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis wir uns alle in Laboren wiederfinden. Dass dein Tod für Schlagzeilen gesorgt hat und du nun kaum eine Woche später als Lady Loreen wieder in der Zeitung stehst, ist schon unpassend genug. Wenn die Leute die richtigen Schlüsse ziehen, wird es wirklich gefährlich für uns alle.“ Er seufzte. „Außerdem wird es für dich so schon schwierig genug, deine andere Gestalt zu erreichen. Wenn die Leute um dich herum die ganze Wahrheit erfahren, wird es unmöglich, weil sie dir falsche Ideen in den Kopf setzen, was du zu tun haben könntest und damit deinen Weg behindern werden.“ Langsam atmete das Mädchen ein und aus. „Das heißt, es gibt also eine Möglichkeit, dass ich wieder ich werde?“ Er konnte sich ein erleichtertes Lächeln nicht verkneifen. „Ist das alles, was du dir gemerkt hast?“ rief der andere aufgebracht und warf ein Kissen nach ihm. „Und was heißt hier wieder ich? Es ist nicht so, dass du im falschen Körper steckst, du bist jetzt genauso sehr Loreen wie Zorro, kapiert?“ „Nein.“ „Oh je, ich glaube, wir haben noch einen langen Tag vor uns“, seufzte sein Gastgeber. „Also gut“, sagte Zorro nach einer Weile bestimmt, „Ich gebe dir mein Wort darauf, dass die zwischen uns gewechselten Worte niemand anderes zu hören bekommt, außer jemand, der so ist, wie wir. Sag mir, was ich wissen muss! Zeig mir, wie ich wieder Lorenor Zorro werde!“ Der Schokobär schüttelte den Kopf. „Nur, um das Klar zu stellen: Ich kann dir alles sagen, ich kann dir zeigen, wie ich wieder Banri werde. Aber wie du deine andere Gestalt wieder erlangst, das kannst nur du herausfinden.“ „Aber…“ „Kein Aber, es ist nun mal bei jedem von uns anders. Jeder von uns muss was anderes lernen und erst wenn wir das verstanden haben, können wir wählen, wer wir sind. Ich kenne eine Dame, die schon vor 30 Jahren gestorben ist und immer noch nicht in der Lage ist, die Gestalt zu wechseln. Aber kommt Zeit kommt Rat…“ Erneut lächelte er, dann nahm er Zorros zierliche Frauenhand in seine. „Davon solltest du dich aber jetzt nicht entmutigen lassen. Du lebst und das aus einem bestimmten und nur dir erkennbaren Grund. Diesen musst du finden. Und da alle Wiedergeborenen sind wie eine große, über die ganze Welt verstreute Familie, bist du auf deinem Weg nicht allein. Wir sollten uns jetzt also mit den Details befassen, ehe dein komischer Babysitter wirklich auf die Idee kommt, das Haus in die Luft zu jagen.“ -Mihawk- Mürrisch starrte er auf seine halbleere Kaffeetasse. Die Sonne hatte den Zenit längst passiert und der Tag schritt allmählich voran. Eine Stunde lang hatte er den Markt durchforstet, hatte unnötigen Krimskrams gekauft und sich selbst dafür gescholten, dass er sich so um den anderen sorgte. Nach dieser Stunde hatte er geschlagene zehn Minuten vor der Eingangstür gestanden und sie niedergestarrt. Mit jedem Herzschlag hatte er sich geschworen, jetzt seine Warnung in die Tat umzusetzen, ohne es schlussendlich zu tun. Vom Inneren des Gebäudes hatte er nichts, aber absolut gar nichts spüren können, das auch nur irgendwie mit Gefahr zu tun hatte. Er würde sich nicht die Blöße geben, reinzustürmen, während die beiden seltsamen Gestalten eine Tasse Tee tranken. So weit war es noch nicht mit ihm gekommen. Erneut hatte er eine Runde über den Markt gedreht, war nervigen Reportern ausgewichen, die, aus welchen scheinheiligen Gründen auch immer, mit ihm reden wollten und hatte dann zufällig den Bürgermeister Sarues getroffen und sich mit ihm unterhalten. Er hatte ihm nach den Todesumständen des alten Banris gefragt und wer der dunkelhäutige Junge gewesen sei. Toutaku war sein Name, ein absoluter Musterbürger. Im Gegensatz zum alten, kratzbürstigen Bibliothekar Banri konnte er mit Büchern nicht viel anfangen und blieb auch dem Trinken fern. Als Hinzugezogener hatte er einen leichten Akzent aber die Leute mochten ihn. Er arbeitete hart und kümmerte sich seit seiner Ankunft wohlwollend um die Tochter Banris, die kurz nach dessen Tod auch noch den ihrer Mutter ganz alleine verkraften musste. Der Bürgermeister bedankte sich bei ihm für sein beherztes Eingreifen während der Versammlung am Vortag und fragte ihn nach Lady Loreen. Die Erklärung, sie hätten sich für eine ausschweifende Einkaufstour getrennt, nahm er mit einem zittrigen Lachen hin. Sie unterhielten sich noch über einige andere Belanglosigkeiten, der mögliche Bau des Seezuges, wie es Kanan ging, der jährliche Marineball und darüber, dass die Zeitung ein paar schöne Schnappschüsse von der Versammlung veröffentlicht hatte. Diese ärgerten den Samurai unglaublich. Denn natürlich wurde dort auch hinterfragt, wer die Neue an seiner Seite war. Außerdem hielt er es nicht für so sonderlich klug, wenn die Aufmerksamkeit der ganzen Welt durch solchen Klatsch und Tratsch auf dem verzauberten Piraten lag. Seine Hintergrundgeschichte war ja doch ein bisschen dünn, schließlich hatte Lady Loreen noch nicht einmal einen Nachnamen. Nachdem er sich von dem Bürgermeister verabschiedet hatte, war er erneut über den Marktplatz geeilt, hatte erneut unnütz Geld ausgegeben, ehe er sich schließlich in einem alten Café, schräg gegenüber dem verdächtigen Haus niedergelassen hatte. Mittlerweile hatte er bereits die dritte Tasse bestellt und ärgerte sich über alles und jeden. Lorenor, Toutaku/Banri, sich selbst, die Leute auf Sarue, ja sogar über die verdammten Einkäufe, die er getätigt hatte. Was war nur los mit ihm? Dieser Kerl, der seiner Schwester so ähnlich war, nun in diesem schwächlichen Körper, der den Schutz anderer brauchte. Ein Schwertkämpfer mit viel Talent und Ehrgeiz, dem aber ganz grundlegende Eigenschaften eines guten Kämpfers fehlten. Sein damaliger Meister mochte ihn viel gelehrt haben, mochte das Potential in ihm gesehen haben, aber er war nicht in der Lage gewesen, diese vielen kleinen Risse unter der Oberfläche zu flicken. Nun waren sie alle aufgerissen. Und er, Dulacre, musste nun zusehen, wie er das wieder repariert bekam. Warum tat er sich das an? Warum wollte er dem anderen helfen? Weil er mein Freund ist! Überrascht hob der Samurai den Kopf; war das die Stimme seines Kindheitsfreundes gewesen? Natürlich, aber nur in seinem Kopf, nur in seinen Gedanken. Damals, als er die Marine verlassen hatte, war Jirou mit ihm gegangen, gegen all seine eigenen Ansichten und Prioritäten. Jirou hatte ihn begleitet, hatte mit ihm eine starke, wirklich tolle Crew aufgebaut, hatte ihn immer unterstützt und auf die Frage, warum er alles aufgegeben hatte, war seine Antwort immer die gleiche gewesen. Weil er mein Freund ist! So einfach. Kopfschüttelnd leerte er seine Tasse. Das war nun auch schon ewig her. Jirou war mittlerweile ein angesehener Konteradmiral der Marine mit einer lupenreinen Akte. Er selbst war einer der sieben Samurai und gehörte somit zu den legalen Piraten, wie sie im Volksmund ironischer Weise auch hießen. Den Rest seiner ehemaligen Crew hatte er seit jenem Tag auch nicht mehr zu Gesicht bekommen. Er wusste, dass ein paar von ihnen das Freibeuterleben nicht aufgegeben hatten. Manche von ihnen hatten dafür auch büßen müssen. Wieder andere hatten sich in der Welt verstreut und führten jetzt ein mehr oder weniger anständiges Leben. Er hatte versucht, sie alle zu beschützen, nicht nur weil sie seine Crew, seine Untergebenen waren. Nein, sie alle waren Freunde gewesen. Jetzt war nur noch Jirou übrig. Jirou und dieses arrogante Kind von wegen Schwertkämpfer. Die trüben Schatten der Vergangenheit hinter sich lassend, stand Dulacre auf, legte genügend Geld auf den kleinen Tisch und verließ das Café. Er konnte förmlich hören, wie die verbliebenen Gäste und Bedienungen aufatmeten, als hinter ihm die Tür zufiel. Jetzt würde er seinen Wildfang einsammeln gehen. Sie hatten genug Zeit verplempert! Doch weit kam er nicht. Gerade hatte er die Hälfte des Weges zurückgelegt, als sich die Tür von ganz alleine öffnete. Heraus kam der Fremde, wie zuvor breit grinsend, gefolgt von Lady Loreen. Das Mädchen hatte den Kopf gesenkt, das Gesicht war etwas blass und die Augen wirkten seltsam leer und nachdenklich. Ähnlich wie am so weit entfernt scheinenden Morgen. Die Krempe des weißen Huts war leicht zerknittert unter den zittrigen Fingern, der Mantel lag lose auf den Schultern, jeder Schritt war langsam und schwer. „Also, wie gesagt, du solltest dir das jetzt noch mal alles ganz in Ruhe durch den Kopf gehen lassen. Versuch dich selbst nicht unter Druck zu setzen, dann wird’s leichter und wenn was ist, du weißt ja, wo du mich findest“, lachte Toutaku und gab Lorenor einen leichten Klaps auf die Schulter. Der Mantel fiel zu Boden und gab den Blick auf das hellgelbe Kleid mit dem weißen Halstuch frei. Wie einzelne Sonnenstrahlen, wehte der Stoff im Wind. Der Grünschopf schien das alles gar nicht wahrzunehmen. Es war ähnlich, wie damals, als der Junge das erste Mal im Körper des Mädchens zu sich gekommen war. „Hey, was ist los? Geht es dir gut?“ Mit großen Schritten war er herbeigeeilt. Starrte auf die junge Frau hinab. Nur ganz langsam hob sich der Kopf mit der grünen Mähne, als würde das Mädchen ihn zum ersten Mal sehen. „Keinen Stress, Mihawk Junior. Es ist alles in Ordnung“, lachte der Jüngling mit dem breiten Grinsen, beugte sich hinab um den Mantel aufzuheben und legte ihn wieder auf die Schultern des verfluchten Piraten. „Dich habe ich nicht gefragt“, antwortete Dulacre bemüht kontrolliert. Lachend schüttelte der Dunkelhäutige den Kopf. „Das ist ganz normal, mir ging es damals ähnlich. Gib ihm ein bisschen Zeit. Es ist nicht so einfach, mit allem Geschehenen klar zu kommen“, grinste er breit. Der Samurai ignorierte den Redner gekonnt und griff seinen Schützling sanft an den Schultern. „Hey, ist alles okay mit dir?“ Für eine Sekunde reagierte Lorenor überhaupt nicht, dann schien es, als würde er ihn wirklich erkennen. Die Pupillen wurden einen Moment groß und dann klärte sich der Blick langsam. „Hey“, murmelte er ruhig ehe er sich wirklich gefasst hatte. „Ähm, ja, es ist alles in Ordnung.“ „Wirklich?“, hakte der Ältere nach. Der Grünschopf seufzte. „Ja, hör auf mich anzusehen wie ein kleines Kind. Du bist ja schlimmer als Chopper!“ Ja, der nervige Jungspund war wieder zurück. „Ihr solltet jetzt nach Hause gehen“, grinste Toutaku weiterhin. Der Weg über den Marktplatz und die Straße hinunter zum Hafen war ruhig und lang. Nicht weil um sie herum nicht viel Trubel war oder weil der Weg besonders lang war, sondern weil das eingebildete Kind neben ihm sich nicht so verhielt, wie er es gewohnt war. Keine unverschämten Fragen, keine dreisten Kommentare, im Grunde sprach er überhaupt nicht. Während sie auf die Fähre warteten, klammerten sich die dünnen Finger in den weißen Mantel und der Kopf war nachdenklich gesenkt. Lorenor Zorro war in seiner eigenen Welt, weit weg von Sarue und Sasaki, weit weg von Dulacre, vermutlich sogar weit weg von seiner Crew. Als das kleine Schiff anlegte, tummelten sich viele Mitreisende um die ausgeklappte Brücke, trauten sich jedoch nicht an Bord, da der Übergang vom Samurai und seiner Begleitung blockiert wurde. Da der Pirat keine Anstalten machte, sich zu bewegen, musste Falkenauge ihn schließlich auf die Fähre hieven, was sich recht schwierig anstellte, mit all den Taschen und Kartons, die er mit sich rumschleppte. Warum hatte er nur so viel eingekauft? An Bord ging das stille Mädchen wieder ganz zum Ende und setzte sich auf den gleichen Platz wie auch auf der Hinreise. Unzufrieden mit der Situation folgte Falkenauge seiner Begleitung und ließ sich neben ihr nieder. Erst als die Fähre ihren Weg aufgenommen hatte, sah er Lorenor an. „Also? Alles in Ordnung?“ Die grünen Augen sahen kalt zurück, beinahe entnervt. „Das hast du mich schon mal gefragt und ich hab ja gesagt. Wer benutzt jetzt seine grauen Zellen nicht?“ Oh ja, er war wieder da. Überfordert strich sich Falkenauge über den Bart. „Dann mach doch mal endlich den Mund auf und erklär, was passiert ist. Seit du dich mit diesem Toutaku unterhalten hast, hast du wohl deine Fähigkeit zu sprechen verloren.“ Der Pirat rollte mit den Augen. „Jetzt spuck‘s schon aus. Wusste dieser Typ etwas? Was ist mit dir passiert und wie kriegst du deinen alten Körper wieder?“ Der Junge antwortete nicht sofort, sondern sah der Insel beim kleiner werden zu, ehe er seufzte. „Ich kann’s dir nicht sagen.“ „Wie bitte?“, entkam es Dulacre entrüstet, „Wieso das denn?“ Erneut seufzte der Grünschopf. „Es geht dich eigentlich nichts an.“ Wütend holte der Samurai Luft, um dem anderem genau zu erklären, warum ihn das sehr wohl was anging, als Lorenor weiter sprach. „Aber glaub mir einfach, dass ich es dir nicht sagen darf, wenn ich je wieder ich werden möchte.“ Mihawk hielt einen Moment den Atem an, ehe er sich wieder zurücklehnte. „Das heißt also, es gibt einen Weg?“ Und plötzlich lächelte das Mädchen ganz breit. „Ja!“ Ein Fortschritt. „Und du kennst den Weg?“, hakte er nicht überzeugt nach. „Ähm, so halbwegs.“ „Was soll das denn schon wieder heißen? Entweder du weißt, was du tun musst, oder du weißt es nicht! Was kann daran so schwer sein?“ „Naja… es ist kompliziert.“ Der Samurai vergrub sein Gesicht in seinen Händen. „Für dich vielleicht, sag mir, was dieser Banri/Toutaku-Mischling dir erzählt hat und ich erklär es dir.“ „Hast du mir nicht zugehört?“ „Hast du dir nicht zugehört? Du redest wirres Zeug. Wir sollten umkehren und dann befrage ich ihn nochmal. Du hast anscheinend keine Ahnung, wie sowas geht.“ Nun war es der Grünschopf, der ihn entrüstet ansah. „Jetzt halt doch mal die Klappe. Du hast doch keine Ahnung. Ich weiß schon was ich mache. Lass mich doch in Ruhe! Außerdem ist das hier immer noch mein Körper. Ich bin nicht dein Spielzeug!“ Er war aufgesprungen und laut geworden. Das Hintergrundrauschen der anderen Unterhaltungen war verstummt und alle Mitreisenden starrten zu den beiden Schwertkämpfern den Gang hinunter.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)