Ein würdiger Traum von Sharry (Der Preis des Vertrauens) ================================================================================ Kapitel 4 - Das Pendant ----------------------- Kapitel 4 – Das Pendant Belustigt konnte er zusehen, wie die blasse Gesichtsfarbe seines Gastes in ein feuriges Rot wechselte, während der kleine Grünschnabel zu flüchten versuchte. Der Pirat scheiterte jedoch kläglich, da er von den starken Unterschenkeln der Haushälterin eingeklemmt wurde, welche immer noch an seinen Haaren rumzupfte. „Aber Loreen, du musst schon still halten, sonst reiß ich dir noch deine schönen Haare aus.“ Erst dann schenkte das ehemalige Kindermädchen ihm ihre Aufmerksamkeit. „Willkommen daheim. Ich hoffe Ihr wart erfolgreich bei was auch immer Ihr getan habt. Falls Ihr hungrig seid. Das Essen von gestern ist im Kühlschrank und wartet nur darauf gegessen zu werden.“ Sein Augenmerk lag aber immer noch auf dem Mädchen. „Loreen?“, entkam es ihm mit einem leichten Grinsen. Sein kleiner Lieblingsfeind blitzte ihn wütend vom Boden aus an. „Natürlich, so heißt sie. Sagt bloß, Ihr habt sie nicht nach ihrem Namen gefragt? Manchmal seid Ihr so unhöflich.“ Das Mädchen zu ihren Füßen hatte versucht sie zu unterbrechen, war aber klanglos gescheitert. Der empörte Gesichtsausdruck erheiterte ihn ungemein. Schmunzelt versuchte er sich das Lachen zu verkneifen. „Grins nicht so, du Idiot!“, fauchte ihn sein Gast an, doch das machte es für ihn nur noch schwerer seine Gesichtszüge zu kontrollieren. „Aber Kind!“, entfuhr es Kanan entsetzt. „Eine Dame benutzt solche Worte nicht!“ „Ich kann noch ganz andere…“ „Kanan“, unterbrach der Herr des Hauses die beiden Frauen. Obwohl er nicht laut sprach brachte sein dunkler Unterton sie zum Verstummen. Eine Sache, die er ebenfalls für sehr angenehm empfand, neben dem zornigen Blick seines Wildfangs. „Ich würde mich gerne mit unserem Gast unterhalten.“ „Natürlich!“, antwortete sie freudestrahlend und rutschte auf dem Sofa zur Seite um ihm Platz zu machen. „Oder wollt Ihr dabei schon was essen?“ Er schüttelte den Kopf. „Kanan, ich würde gerne alleine mit…“ Er unterbrach sich selber und suchte einen Moment nach den passenden Worten. Der andere mochte seine Gründe dafür haben, dass er Kanan nicht die Wahrheit über sich gesagt hatte, er selber fühlte sich jedoch durch diese Maskerade äußerst unterhalten, „mit der jungen Dame sprechen.“ „Oh, aber natürlich.“ „Junge Dame?!“, entkam es dem Mädchen ungehalten, das mit hochrotem Kopf aufsprang. Überrascht sah die Haushälterin zu dem verzauberten Piraten auf, welcher vor Wut schwer atmete. Falkenauge jedoch betrachtete sein Gegenüber unbeeindruckt mit hochgezogenen Augenbrauen. Er versuchte das Bild von Lorenor Zorro mit diesem Mädchen zu vereinbaren. Doch bis auf diese kalten harten Augen hatten diese beiden Menschen wenig gemein. Seine Erinnerungen zeigten ihm einen jungen Krieger, dessen Körper von hartem Training und eisernen Willen gestählt war. Ein junges Talent in der Kunst des Schwertkampfes, dem aber noch die eigene Arroganz im Weg stand. Die junge Frau vor ihm wirkte ganz anders. Dieser zierliche Körper war der einer jungen Dame, die nie hatte arbeiten müssen. Die hochgesteckten Haare gaben dem zarten Gesicht etwas reifes, etwas stolzes, doch ansonsten stand vor ihm ein unschuldiges Kind. Aber wenn er in diese Augen sah, wusste er, dass beide Personen ein und dieselbe waren. „Kanan, wenn Sie so freundlich wären“, wandte er sich nun wieder der anderen Dame zu. Diese war bereits aufgestanden. „Natürlich“, murmelte sie ehe sie ihrem Gast hinunter sah. „Okay, meine Süße. Jetzt siehst du wie eine richtige Dame aus. Ich gehe jetzt in die Küche und wenn was ist, brauchst du mich einfach nur zu rufen.“ Dann beugte sie sich hinab und flüsterte dem Mädchen noch was ins Ohr, worauf dieses doch nur die Stirn in Falten legte. „Nun gut, dann gehe ich mal das Essen aufwärmen.“, trällerte sie ausgelassen und tänzelte am Samurai vorbei. „Benehmt Euch! Sonst werde ich sauer.“ Er verschränkte die Arme. „Keine Sorge, unser Gast kann sich wehren!“ „Ich bin nicht dein Gast!“ „Süß, wie du versuchst bedrohlich auszusehen.“, feixte er böse und ging auf den Piraten zu. Das Mädchen wich keinen Schritt zurück. Lorenor ballte wütend die Fäuste, zum Kampf bereit. Er blickte hinab. „Also, kleine Lady, was mach ich nur mit dir?“ Zu seiner Unterhaltung biss der Angesprochene sich nur zornig auf die Unterlippe ohne etwas zu erwidern. Allerdings rechnete er dem Piraten an, dass er sich ansonsten nicht gerührt hatte und weiterhin beinahe mit Verachtung zu ihm herauf starrte. „Das Kleid steht dir, Loreen.“, kommentierte er dann schließlich schlicht, nachdem sie sich mehrere Sekunden einfach nur gegenüber gestanden hatten und keiner von ihnen klein bei geben wollte. Der andere machte nur eine verwerfliche Geste ohne den Blickkontakt zu unterbrechen. „Klappe! Deine Haushälterin ist nicht in der Lage mal für einen Moment den Mund zu halten!“ Ein Grinsen schlich dem Samurai wieder über die Lippen. „Und trotzdem wiedersprichst du ihr nicht?“ Sein Gegenüber senkte beschämt den Kopf. „Es ist ja nicht so, als ob sie mich zu Wort kommen lassen würde.“ Er lachte leise. „Das stimmt wohl. Es ist schwer sie zu übertönen.“ Das Kind vor ihm verschränkte die Arme. „Also was willst du?“ Es war doch überraschend wie abwertend ein so zartes Stimmchen klingen konnte. Ja, diese Frau war unverkennbar Lorenor Zorro. Ein Wolf im Schafspelz. Gelassen ließ er sich in den ausladenden Sessel, gegenüber dem Sofa, fallen und warf ein Bein über das andere. Dabei ließ er den anderen keine Sekunde aus den Augen und fuhr sich grinsend über den Bart. „Du bist ziemlich vorlaut für einen Gast.“ „Und noch einmal. Ich bin nur noch dein Gast, weil du mich praktisch dazu gezwungen hast hierzubleiben. Ansonsten wäre ich schon längst weg.“ Nach einem Moment der Stille hockte sich das Mädchen ebenfalls auf das Sofa. Falkenauge konnte allerdings ganz genau die angespannte Körperhaltung erkennen. Sein Gast traute ihm ganz und gar nicht. „Du solltest dich erst einmal entspannen, Lorenor. Es ist nicht so, als ob du mit einem Angriff rechnen müsstest.“ Wieder sicherten ihm seine Worte den fixierten Blick des anderen. Er schien wirklich sauer. „Und warum bist du so entspannt? Du weißt genau, dass ich deinen Titel will.“ Ein höhnisches Lachen entkam ungewollt seinen Lippen. „Oh bitte. Als hättest du je eine Gefahr für mich dargestellt.“ Das hatte gesessen. Er konnte sehen, wie seine unbedachten Worte den anderen Schwertkämpfer hart trafen, die Gesichtszüge einen Moment entglitten, ehe sich der andere fangen konnte und den Kopf senkte. Der Samurai ärgerte sich ein bisschen über sich selber. Schon wieder hatte der andere ihn dazu gebracht, dass er Dinge sagte, die er für sich behalten wollte. Und nun saß der andere da wie ein Häufchen Elend. Gut gemacht, wirklich ganz toll hinbekommen. Mit einem leisen Seufzen legte er die Hände auf den Knien ab und lockerte seine Schultern. Er musste sich wirklich zusammenreißen, wenn er in der Nähe des anderen war. „Auf der anderen Seite muss ich ja gestehen, dass du mich doch ein wenig beeindruckt hast.“ Langsam sahen ihn diese grünen Augen an, immer noch lag ein gewisser Trotz in diesem Blick. „Welcher Mann kann schon von sich behaupten, ganz alleine einen gesamten Stützpunkt der Marine zerstört zu haben? Wenn die Marine wüsste, dass du noch am Leben bist, hättest du jetzt gewaltige Feinde.“ Der Angesprochene verschränkte wieder die Arme, doch ein bisschen der Feindseligkeit schien verschwunden zu sein. Sehr gut. Der Taktiker in ihm wusste, dass man nur mit Honig Fliegen fangen konnte. „Die Marine ist schon länger mein Feind. Außerdem war ich nur aufgrund von einigen Zufällen dazu in der Lage. Wäre nicht auch die ganze Schmuggelware auf der Basis gewesen, hätte mein Fluchtversuch nichts gebracht.“ „Mag schon sein.“, murmelte der Ältere und lehnte sich zurück, zufrieden darüber, dass er den anderen in ein Gespräch verwickeln konnte. „Auf der anderen Seite besteht unser ganzes Leben aus seltsamen Zufällen und ungeplanten Umständen. Ansonsten würden wir beide heute wohl nicht hier sitzen.“ Der andere wollte etwas erwidern, doch der Schwarzhaarige sprach ungehindert weiter. „Aber es macht einen guten Strategen aus, solche Unbekannten in einen effizienten Plan mit einzubauen. Und nur ein guter Stratege kann auch ein guter Kämpfer sein. Besonders in der Schwertkunst.“ Zu seiner Überraschung hob das Mädchen nur fragend eine Augenbraue an. „Sag mal. Willst du mir gerade eine Theoriestunde geben? Dann lass es bitte sein. So tief bin ich noch nicht gesunken, dass ich mir von dir Kampftipps abholen muss.“ Für eine Sekunde schloss der Samurai die Augen. Der andere hatte Recht. Was war nur los mit ihm? Er war ins Plaudern gekommen. Er plauderte nie. Es war absolut unnötig und meist nicht zielführend. Wieso sprach er mit dem anderen über sowas? Außerdem lag ihm nichts ferner, als den anderen zu unterweisen. Das würde sowohl gegen seinen Stolz als auch gegen seine Ehre sprechen. Zum Glück schien das auch dem Jungspund bewusst zu sein. „Um noch mal aufs eigentliche Thema zurückzukommen…“, holte ihn die nun etwas gelangweilte Stimme seines Gesprächspartners wieder in die Gegenwart, „Hast du Informationen sammeln können?“ Er öffnete die Augen und sah die junge Frau vor sich an. „Ach ja“, murmelte er nun irgendwie lustlos und erhob sich. Irgendwas hatte ihm seine gute Laune geraubt und er war sich nicht sicher was. Also schleppte er seine schweren Füße in den Flur. „Bleib nur sitzen.“, fügte er hinzu. Aus der Küche konnte er nun wieder die fröhliche Stimme der Haushälterin hören, die anscheinend mehr sang als arbeitete. Ein bisschen verloren saß er nun alleine in dem großen dunklen Raum, während der Samurai in den Flur verschwunden war. Es war wirklich eine seltsame Situation. Zum wiederholten Male an diesem Tag verfolgte er die nicht abwegige Idee, dass er sich vielleicht nur in einem sehr real wirkenden Traum aufhalten könnte. Es war immerhin möglich, dass er durch die Mangelernährung und die entzündete Wunde nun in einem Fiebertraum gefangen war. Tatsächlich fand er diese Überlegung sehr wahrscheinlich. Zumindest wahrscheinlicher, als dass sein wahnwitziger Fluchtplan wirklich aufgehen würde und er danach in dem Körper einer kleinen Madame steckte, welche rein zufällig von seinem größten Konkurrenten der Welt gefunden wurde. Nein, je länger er darüber nachdachte, desto sicherer wurde er. Die Frage war nur, wie er wieder aufwachen würde. Sein Blick lag verstohlen auf dem Türrahmen, während er langsam die Hand hob und sich in den Oberarm zwickte. Es tat weh! Aber das war es dann auch schon. Er war immer noch in diesem Körper, immer noch an diesem Ort. Verdammt!! Wie gern wäre er wieder zurück in der Gefängniszelle. Sein einziger Trost war das Wissen, dass zumindest seine Freunde in Sicherheit waren. Sekunden später tauchte der andere Schwertkämpfer wieder auf, eine schwarze Stofftasche in der einen und die Zeitung in der anderen Hand. „Hier“, knurrte Falkenauge beinahe tonlos. Irgendwie hatte seine komplette Körperhaltung sich innerhalb weniger Augenblicke verändert. Er wirkte nicht mehr ruhig und überheblich, sondern entnervt und gereizt. Jetzt war er ihm auf einmal viel sympathischer. Mit einer groben Handbewegung kippte er die Tasche vor sich auf den Tisch aus. Heraus vielen in etwa ein Dutzend unterschiedlicher Bücher. Verwirrt blickte Zorro zu seinem Gegenüber auf. „Was soll das? Du hast doch gesagt, du wolltest mir Informationen über meine Crew bringen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass noch kein Buch über uns verfasst wurde.“ Jetzt war es an dem Schwarzhaarigen, eine Augenbraue hochzuziehen. Dann warf er ein bisschen zermürbt die Zeitung auf den Bücherhaufen. „Du bist ganz schön undankbar“, wiederholte er gereizt. Das Mädchen grinste. „Es war dein Plan. Gib nicht mir die Schuld dafür.“ Wieder traf grün auf gelb und keiner der beiden wollte nachgeben. „Mann, du kostest einen wirklich ganz schön Nerven.“ „Na, vielleicht wirst du einfach nur alt und bist nicht mehr so viel gewohnt. Du bist ja auch nicht mehr der Jüngste. Wie viele Jahre hast du auf dem Buckel? 50?“ Bevor er überhaupt wusste, was er tat, war er über den Tisch gesprungen. Beide Knie rammte er in die Sofakissen, zur Linken und zur Rechten des zierlichen Körpers. Mit der linken Hand hatte er die Rückenlehne gepackt und mit der Rechten schlug er zu. Das Sofa kippte polternd nach hinten um. Kein Haarbreit war mehr zwischen seiner Faust und dem unschuldig dreinblickenden Gesicht. „Und du nimmst den Mund ziemlich voll für so ein halbes Hemd“, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Nur im letzten Moment hatte er sich davon abhalten können wirklich zuzuschlagen. Ansonsten, da war er sich sicher, wäre sein Gast jetzt tot. „Was ist mit dir passiert?“, fragte die Frau ihn, immer noch mit verschränkten Armen, und schlug die Beine übereinander, welche sanft seinen Oberschenkel streiften. „Was meinst du?“, knurrte er. Einzelne Strähnen hatten sich aus der Flechtfrisur gelöst und standen wild in alle Richtungen ab. Ansonsten war sein Gast die Ruhe selbst. Im Gegensatz zu ihm. Sein Herz raste und er war so wütend, dass er dem anderen am liebsten kräftig durchschütteln wollte. Wie ein Pendel hing seine Kette über der Brust des anderen. Mit dieser Waffe hatte er ihn damals besiegt und weniger Energie aufgebracht als in diesem Augenblick. Dann glitt ein böses Lächeln über die kindlichen Züge. Die Frau unter ihm wirkte plötzlich doch um einiges gefährlicher, als der blutverschmierte Pirat der er eigentlich war. „Ich bringe dich anscheinend wirklich aus der Fassung.“ „Wie bitte?!“, zischte er wütend. Doch leugnen konnte er nicht, was er soeben getan hatte. „Als wir uns auf dem East Blue trafen, warst du die Ruhe weg. Du hast mich belehrt und egal was ich getan habe, ich konnte dich nicht beeindrucken. Noch nicht einmal Ruffy war für dich interessant. Du warst regelrecht gelangweilt. Jede deiner Handlungen war überlegt und sinnvoll. Als Stratege verachtest du kopfloses Handeln und nutzt es zu deinem Vorteil.“ Überrascht legte sich langsam sein Zorn. Der andere schien ihn damals innerhalb weniger Minuten durchschaut zu haben. „Aber sieh dich jetzt mal an. Du bist leicht reizbar und kaum in der Lage, deine Gefühle zu kontrollieren. Ein falsches Wort von mir und du handelst, bevor du denkst. Wo ist der ach so große Schwertkämpfer? Wo ist der Stratege? Ich mag zwar im falschen Körper stecken, aber du bist derjenige, der nicht mehr weiß, wer er ist.“ Er hatte die Hand immer noch erhoben, für eine Ewigkeit starrte er den anderen an. Kühl und klar waren diese grünen Augen. Er hatte keine Angst vor ihm. Weder vor seiner Stärke noch vor seinem Blick. Alle Menschen wichen ihm aus. Selbst Kanan und Jirou beugten sich letzten Endes seinem Willen und sei es nur, um ihn zu beschützen. Er aber war anders. Und irgendwie hatte dieser Mann es geschafft hinter seine Mauer zu schlüpfen. Ein Wort von ihm reichte aus, um die Welt des Samurais auf den Kopf zu stellen. Woher nahm er sich dieses Recht? „Was ist denn hier los?!“ Panisch erklang die Stimme der Haushälterin. „Was tut Ihr?!“ Schon war sie herbei gestürmt. Er selbst ließ seinen Arm sinken und richtete sich auf. „Es ist alles…“ Er wollte gerade seinem Herausforderer die Hand anbieten, als die kräftige Frau ihn energisch zur Seite schubste. „Mein armes Ding! Hast du dir wehgetan?“ Ungestüm zog sie den Piraten an sich. Dieser versuchte vergebens sich zu wehren. „Nein, Kanan. Mir geht es…“ „Und Ihr!“ Sie beachtete ihren Schützling überhaupt nicht, „Ich hab Euch doch gesagt, dass Ihr Euch benehmen sollt. Was ist nur in Euch gefahren?!“ Wie vom Donner gerührt stand er da. Das letzte Mal, dass sie ihn so angeschrien hatte lag schon mindestens drei Jahrzehnte zurück. Plötzlich fühlte er sich wieder wie der kleine Junge, der den Obststand zerstört hatte. Betreten wandte er den Blick ab und richtete das Sofa wieder auf. „Jetzt redet gefälligst!“, fuhr sie ihn fast schon schrill an, „Einen Gast so zu behandeln. Eure Mutter würde sich im Grabe umdrehen, wenn sie sehen würde, wie ihr einziger Sohn mit einer Dame…“ „Kanan.“ Überrascht über die plötzliche Hilfe des anderen hob er langsam den Blick, als die laute Stimme der Haushälterin versagte. Ihr Name war nicht mehr als ein Hauch gewesen. Auch sie wandte den Blick nun vom Hausherrn ab und betrachtete das Mädchen vor ihr. „Regen Sie sich bitte nicht so auf. Es ist alles in Ordnung.“ „Aber, aber…“ Die Stimme der gestandenen Frau wurde zittrig, als würde sie kurz vor den Tränen stehen. „So behandelt ein Ehrenmann einfach keine Dame!“ Einen Herzschlag wurde es ganz still im Raum, als hätte jemand die gesamte Welt einfach angehalten. Dann erhellte ein sanftes Lachen den Raum. Wie gelähmt betrachtete der Samurai die junge Frau, die sein bester Feind war. Er lachte herzlich und hielt sich dabei den Bauch. Die Strähnen grünes Haar, die sich aus der Frisur befreit hatten, hingen ihm wild ins Gesicht und das blaue Kleid formte seltsame knittrige Falten. Aber so wie er lachte, schien er der glücklichste Mensch auf Erden zu sein. „Aber Loreen, was ist denn bitte so witzig?“, erklang die Stimme der Schwarzhaarigen besorgt. „Es ist nichts“, brachte das Mädchen immer noch lachend hervor. Langsam beruhigte der Grünschopf sich, „Es ist nur diese ganze makabre Situation. Meine ganze Welt steht Kopf und der Streit gerade, war das erste Normale, was mir heute passiert ist.“ Wieder lachte das Kind laut auf. Doch Mihawk konnte sehen, wie die Augen eine Spur glasiger wurden, die Stimmt eine Spur zittriger. „Kanan, bitte seien Sie so freundlich, das Esszimmer vorzubereiten.“ Er wusste, dass die Haushälterin widersprechen wollte, aber ein Blick reichte aus um sie zum Gehen zu bewegen. Langsam machte er ein paar Schritte auf den verfluchten Piraten zu, der immer noch lachte, mittlerweile jedoch mit höherer Stimmlage. „Ich bin nicht der einzige, der sich verloren hat, oder?“, fragte er ruhig. Der andere schüttelte den Kopf und rieb sich die Augen, während das Lachen allmählich umschwang. „Es ist nur“, flüsterte Lorenor beinahe, „ich vermisse sie so!“ Und dann glitten die Tränen ungehindert die zarten Wangen hinunter. „Und ich weiß ganz genau, dass selbst wenn ich sie wieder finde“, Falkenauge blickte auf den jungen Schwertkämpfer hinab, der sich verzweifelt versuchte die Tränen aus dem Gesicht zu wischen, „ich werde sie nicht beschützen können. Nicht so.“ Unsicher hob er die Hände. Er war nicht gut mit Gefühlen, weder mit seinen eigenen, noch den von anderen. Er wusste nur, wie man sie gegen den Feind benutzte. „Außerdem muss ich in diesem verdammten Frauenkörper die ganze Zeit heulen. Und das dann auch noch ausgerechnet vor dir! Ich heule sonst nie! Alle diese Gefühle scheinen einfach zu explodieren, wer soll da denn noch klar denken können?!“ Hilflos sah er den anderen an. Er spürte so etwas wie Mitleid in sich aufkeimen. Unbeholfen legte er dem Mädchen eine Hand auf die Schulter. „Sieh es so, Lorenor: Du wolltest mir bis zum nächsten Aufeinandertreffen beweisen wie sehr du dich verändert hast. Und ich gebe zu, mit so einer Veränderung hätte ich nicht gerechnet.“ Eine kleine Faust boxte ihn wütend gegen die Brust. „Das ist nicht lustig, du Mistkerl!“ Reflexartig hielt er die Hand fest und zog sie an sich. Wie seine Mutter es früher bei ihm gemacht hatte, schloss er das Kind in seine Arme ein und legte sein Kinn auf dem bebenden Kopf ab. „Ich weiß.“ Für gut zehn Sekunden regte sich das Mädchen in seinen Armen nicht und er bezweifelte schon, richtig gehandelt zu haben, als er plötzlich spürte wie die Schultern anfingen zu zittern. Dann krallten sich die kleinen Hände in sein Hemd und der Pirat schluchzte laut auf. Er wusste nicht, wie lange er seinen Lieblingsfeind so im Arm hielt. Immer noch weinte er und immer noch bebte der kleine Körper. Was hatte er sich da nur ins Haus geholt? Hätte jemand ihm vor wenigen Tagen erzählt, dass er den weinenden Lorenor Zorro in seinen Händen halten würde, hätte er denjenigen erst ausgelacht und dann sauber geköpft. Doch nun stand er hier und hatte keine Ahnung, was er tun sollte. Heute Morgen hatte er sich noch darauf gefreut, dass er nicht wusste, wie der Tag verlaufen würde. Nun hätte er nur zu gerne eine brauchbare Bedienungsanleitung. Das letzte Mal, dass er jemand Weinenden im Arm gehalten hatte, lag nun auch schon etliche Jahre zurück. Aber damals war er selber auch tot traurig gewesen. Seit diesem Tag hatte er sich vorgenommen, nie mehr unüberlegt zu handeln und das hatte all die Jahre auch gut geklappt, bis heute, naja gestern. Nach langen Minuten, die auch nur wenige Sekunden hätten sein können, löste sich der Grünschopf aus seinen Armen. Mit verweintem Gesicht und beschämt roten Wangen hatte er den Kopf gesenkt. Die Haare standen nun in alle Richtungen ab, die dünnen Arme umschlossen drängend den kleinen Brustkorb. Es war offensichtlich, dass der Pirat um Fassung rang und sich für sein Verhalten gerade selber verachtete. Er kannte diesen Gesichtsausdruck. Milde lächelnd legte er seine Hand auf die grünen Haare. Erschrocken blickte der andere auf. Mit Gedanken bei seiner Mutter suchte er die Worte, die diese wohl damals gesprochen hätte. „Wir gehen jetzt erst mal was essen und danach wenden wir uns wieder dem Geschäftlichen zu.“ Sein junger Gast nickte zaghaft, wohl dankbar, dass er das soeben Geschehene nicht thematisierte. Gemächlich verließen sie das Kaminzimmer. „Ich bin ganz beeindruckt, wie du in der Lage warst, Kanan zu unterbrechen“, versuchte er die Stimmung zu lockern, während er dem Piraten den Weg wies. „Nun ja“, antwortete jener schließlich mit leicht kratziger Stimme, „du hattest ja bereits erwähnt, dass man sie nicht übertönen kann.“ Der Samurai lachte leise. „Und nur so nebenbei.“ Die geröteten Augen sahen ihn von der Seite her an, „Kanan sagt immer, dass Frauen überaus launisch werden können, wenn sie hungrig sind. Daher nimm‘s dir nicht zu schwer und iss demnächst einfach mehr. Wahrscheinlich bist du einfach nur hungrig.“ „Du hast leicht reden“, zischte das Mädchen abwertend. „Du hast dich ja auch gerade nicht absolut lächerlich gemacht.“ Er lachte erneut leise. „Das ist wohl war.“ Damit öffnete er die Tür zum Salon. „Allerdings denke ich, dass du dich unter diesen doch etwas ungewöhnlichen Umständen noch ganz gut gehalten hast.“ Er ignorierte den herablassenden, ärgerlichen Blick gekonnt und bot seinem Gast einen Stuhl an. Auf die großen, beinahe besorgten Augen erwiderte er nur murrend. „Kanan wird mich eigenhändig erwürgen, wenn ich dich nicht wie einen Gast behandle. Also, wenn du so freundlich wärest, meine Dame.“, spukte er die letzte Worte beinahe aus. Eben genannte kam wie aufs Stichwort hineingestürmt. Eine große Platte mit duftendem Gemüse im Arm. Mit einem leisen Seufzer glitt das Mädchen auf den Platz und ließ zu, dass der Samurai, den Stuhl wieder an den Tisch rückte. „Damit ist also eindeutig, wer in diesem Haus die Hosen anhat“, murmelte der Pirat so leise, dass nur der Schwarzhaarige ihn hören konnte, während Kanan sich daran machte das Essen zu verteilen. „Mag sein“, blitzte Falkenauge seinen Wildfang an. „Du jedenfalls nicht!“ und grinste böse. Bevor der Jüngere kontern konnte, war die Haushälterin schon zu ihm gestürmt. „Och nein, Kind. Deine Haare. Warte, das mach ich dir gerade.“ Der Junge in Mädchengestalt beugte sich nach vorne um den flinken Händen zu entgehen. „Das ist wirklich nicht…“ „Red‘ bitte keinen Unsinn, Loreen. Eine Lady muss zu Tisch immer ausgezeichnet aussehen. So bitte, schon fertig.“ Sie lächelte freudestrahlend, „Und nach dem Abendessen bringe ich dir bei, wie man Haare flechtet. Der Zopf steht dir wirklich ausgezeichnet. Findet Ihr nicht auch?“ Der Samurai verschluckte sich fast an seinem Wein, den er dringend brauchte, als er angesprochen wurde. Sein Blick ruhte eine Sekunde auf der jungen Frau. „Ja, sieht wirklich sehr hübsch aus“, murmelte er mehr in sein Glas, als zur Haushälterin. Diese schien jedoch zufrieden mit der Antwort und fuhr damit fort die Teller der Anwesenden zu beladen. Mit einem breiten Grinsen setzte sie sich dem Mädchen mit den grünen Haaren gegenüber, während der Samurai am Kopfende saß. „Ein richtig familiäres Mittagessen. Wie schön!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)