Ein würdiger Traum von Sharry (Der Preis des Vertrauens) ================================================================================ Kapitel 3 - Die Erkenntnis -------------------------- Kapitel 3 – Die Erkenntnis     Unwohl sah er sich um. Leise, zornige Tränen tropften seine Wangen hinab und er konnte sie einfach nicht aufhalten. Hass und Verzweiflung stiegen in ihm hoch, während die Hilflosigkeit seinen Stolz zerfraß. Was war nur los mit ihm? Wieso konnte er nicht klar denken? Wieso war er nur so aufgewühlt? Vom Bett aus betrachtete er sein Spiegelbild. Er hatte keine Ahnung, was passiert war und wieso er nun aussah, wie er aussah, aber eins war sicher: Der Samurai hatte Recht. In diesem Körper und mit der mangelnden Kraft würde er keine zwei Tage in der Wildnis überleben. Langsam begutachtete er den Raum, in dem er sich aufhielt, versuchte für einen flüchtigen Moment sich zu beruhigen, sich abzulenken. Das Zimmer war fünfeckig und recht großzügig. Zur Rechten des Bettes war die Tür, die zum Flur führte, davor stand der Stuhl auf dem vor kurzen noch der Samurai gesessen hatte. Direkt daneben war ein kleiner Nachttisch mit Lampe und leerer Weinflasche, eine Schande, dass sie leer war. Zwei Fensterseiten gaben Sicht auf die Rückseite des Hauses, den Garten und das angrenzende Meer. Unter einem stand ein kleiner Schreibtisch. Daneben war der mannshohe Spiegel aus dem ihn immer noch diese großen grünen Augen verfolgten. Auf der linken Seite des Bettes war der Zwilling vom Nachttisch, jedoch ohne Weinflasche. Dahinter war eine zweite Tür, die vermutlich zum Badezimmer führte. Zwischen dieser und dem Spiegel stand eine kleine Kommode aus hellem Holz. Der ganze Raum wirkte ziemlich freundlich und einladend durch das viele Licht. Aber auch sehr nobel. Der Pirat fragte sich allmählich, aus was für einer blasierten Familie sein Gastgeber stammte. Doch die kreisenden Gedanken ließen sich nicht ablenken. Er hasste sich für die Hilflosigkeit, die er in sich fühlte, während seine dünnen Ärmchen seine Knie umschlungen und er die Tränen im Hemdsärmel vergrub. Der Körper eines Mädchens. Im Hause des Mannes den er eines Tages besiegen wollte, dessen Titel er haben wollte. Und obwohl er sich ganz genau an die furchtbaren letzten Sekunden seines Lebens erinnerte, atmete er jetzt und sein Herz schlug in dem kleinen Brustkorb. Er verstand die Welt nicht mehr. Mit einem lauten Knall schlug plötzlich die Tür auf und ein Wirbelsturm rauschte hinein. „Och, mein Kind. Du bist wach. Na endlich. Ich habe mir schon solche Sorgen gemacht.“ Der Wirbelsturm entpuppte sich als großgewachsene kräftige Frau.   „Frau Bosatsu?“, fragte er ungewollt zaghaft. Noch im gleichen Moment verfluchte er sein zerbrechliches Stimmchen. Entsetzt blickte sie zu ihm herab. „Aber nein, mein Schätzchen, für dich Kanan.“  Irgendwie erinnerte sie ihn an jemanden. „Und jetzt mach dir keine Sorgen mehr. Du gehst jetzt schön duschen und ich mach dir was zu essen, in Ordnung?“ Eine aufgeregte Röte krabbelte über das Gesicht der Haushälterin und irgendwie musste er an den liebestollen Koch denken. Der verdammte Koch, hoffentlich war er in Ordnung. Er spürte, wie seine winzigen Hände wieder anfingen zu zittern. Bevor er sie in seinem Schoß verstecken konnte, griff die Haushälterin jedoch nach ihnen und betrachtete die leichten Schürfwunden mit einem zornigen Gesichtsausdruck. „Du armes Ding. Du musst ganz Furchtbares durchgemacht haben.“ Langsam strich sie mit einem Finger über seine Wange, berührte die getrockneten Tränenspuren. Er wollte zurückweichen, aber er konnte sich nicht bewegen. Sie lächelte liebevoll, während er hin- und hergerissen war zwischen Flucht und Kampf. Gerade hatte er entschieden, sie mit ein paar passenden Worten in ihre Schranken zu weisen, da sprach sie bereits weiter. „Aber jetzt ist alles gut. Dir wird nichts mehr geschehen. Der Hausherr und ich geben auf dich Acht.“ Und dann nahm sie ihn in den Arm. Sein Atem stockte, als er warm aber stark an die Brust dieser Unbekannten gedrückt wurde. Sein Instinkt wusste sofort, dass es keinen Sinn machen würde sich mit seinen schwächlichen Händen  zu wehren. Diese Frau schien zwar keine Kämpferin zu sein, aber ihr ganzer Körper strotze nur so vor Muskeln und Energie. In hektischen Gedankengängen überlegte er, ob es möglich sein würde, sich zumindest verbal zu wehren. Er wollte diese Berührung nicht, gleichwohl wusste er, dass es nur gut gemeint war. Wie, wenn Chopper sich an ihn klammerte oder Ruffy ihn vor lauter Freude von den Beinen riss. Es war gut gemeint. Die Schwarzhaarige spürte offenbar, dass das Mädchen in ihren Armen erstarrt war, denn sie lehnte sich zurück, behielt ihre Hände aber auf den zerbrechlichen Schultern. „Warum?“, fragte er sie. „Warum was? Mein Kind?“ Ihr Lächeln irritierte ihn. Warum war sie so freundlich zu ihm? Warum hatte sie keine Angst vor ihm? Warum handelte diese fremde Frau so vertraut? „Warum sind Sie so nett zu mir? Ich könnte ein Massenmörder und Verbrecher sein. Ich könnte eine Gefahr für Sie darstellen. Warum helfen Sie mir?“ Sie lachte leise aber herzlich. Dann wurde ihr Blick ernst. „Und selbst wenn, jetzt bist du hier. Die Vergangenheit ist vergangen. Ab jetzt beschützen wir dich.“ Mit diesen Worten richtete sie sich auf. Eine ihm schwach vertraute Wärme berührte sein Innerstes. Nein, sie war nicht ganz so wie der Koch, aber an wen erinnerte sie ihn? Was waren das für Worte? Warum sagte sie so etwas zu ihm? Sie kannte ihn doch nicht! Sie wusste doch nicht wer er war, was er war! „Wie lautet dein Name, meine Süße?“ Der Spitzname brachte ihn aus der Fassung. So wurde er noch nie in seinem Leben betitelt. Seine Augenbraue zuckte kurz. Gereizt antwortete er. „Mein Name ist Loren…“ „Loreen!“ Was für ein schöner Name und so passend“, unterbrach sie ihn, nun wieder breit lächelnd und Liebe ausstrahlend. Er wollte sie korrigieren, doch die Worte sprudelten nur so aus ihrem Mund bevor er seinen überhaupt öffnen konnte. „Nun gut, liebe Loreen, wir sollten den Tag beginnen. Komm, ich helfe dir ins Bad.“ „Nein!“, widersprach er ihr eine Spur zu laut. Auf ihren fast schon geschockten Gesichtsausdruck hin setzte er kleinlaut hinzu. „Nein, nein. Das ist wirklich freundlich von Ihnen, aber ich schaff das schon alleine.“ Diese Frau mit dem breiten Lächeln und den kräftigen Oberarmen machte ihm mehr Angst als die Seehexe von Navigatorin. Sie nickte verständnisvoll, wie eine liebevolle Mutter. „Ich verstehe. Dann lasse ich dich jetzt allein. Aber keine Sorge. Ich bring dir was Richtiges zum Anziehen. Wir wollen ja nicht, dass die Nachbarn auf falsche Gedanken kommen.“ Sie zwinkerte, während sie zur Tür hinaus ging und ergänzte: „Auch wenn wir natürlich gar keine Nachbarn haben.“ Mit einem leisen Klicken schloss sie die Tür. Zurück blieb der verwirrte Pirat. Diese Frau war besonders. Sie war warm und herzlich, gleichzeitig so voller Leben und seine Vergangenheit interessierte sie überhaupt nicht. Außerdem hörte sie nicht zu und schien vor nichts Angst zu haben. Er wusste nur zu gut, an wen sie ihn erinnerte. Er hoffte, dass er am Leben war, dass er wohlauf war. Ab jetzt beschützen wir dich. Kopfschüttelt warf er seine wackeligen Beine über die Bettkannte. In dem Moment wurde die Tür wieder aufgerissen. „Das habe ich ganz vergessen!“, rief die hereineilende Haushälterin panisch. In ihrer hochgerissenen Hand hielt sie eine kleine Sprühflasche sowie weiße Wattebäusche. „Das müssen wir desinfizieren.“ Im nächsten Moment hatte sie schon sein linkes Handgelenk gepackt. „Nein, das ist wirklich nicht-Au!“ Überrascht blickte er auf seine brennende Handfläche. Es tat wirklich weh. Seit wann tat ihm Desinfizieren weh?! „Nichts da, mein Kind. Wenn wir jetzt handeln bist du in ein paar Tagen so gut wie neu. Aber wenn da eine Infektion reinkommt, kann das ganz üble Folgen haben.“ Er hielt still, während sie die Wunden reinigte und beschwerte sich nicht. Dabei sprach sie wie ein Wasserfall. Sie fragte ihn, was er essen wollte und ob er auf irgendetwas allergisch reagierte. Sie erzählte ihm vom Wochenmarkt und dem unhöflichen Fischverkäufer. Sie sprach von ihren häuslichen Pflichten und dass alle ihre Kinder schon vor Jahren ausgezogen waren. Er lauschte ihren Geschichten nur halbherzig, allerdings war ihm nicht entgangen, dass sie ihm keine unangenehmen Fragen stellte und ihre Finger zwar sehr bestimmt aber auch überaus sanft arbeiteten, ähnlich wie es Chopper immer getan hatte. „So, das wäre es dann“, sagte sie lächelnd. Er nickte nur und bedankte sich kleinlaut. Plötzlich schnippte sie ihm leicht gegen die Stirn. „Mach doch nicht so ein Gesicht. Es wird alles gut. Versprochen.“ Er sah sie einfach nur an. Sie verwirrte ihn, aber sie schien auch wirklich liebenswert, wie eine warmherzige Mutter.   Erneut zwinkerte sie und verließ das Zimmer. „Ich bring dir gleich was zum Anziehen, meine Liebe.“ Und schloss die Tür hinter sich. Sein Blick verharrte einen Moment auf der geschlossenen Türe und rutschte dann hinunter zum Kissen, welches er eben aufgebracht nach dem Samurai geworfen hatte. Ein bisschen verzweifelt hielt er sich den schmerzenden Kopf. Er wusste wirklich nicht, was er tun sollte. Irgendwie musste er seinen Crewmitgliedern mitteilen, dass er wohlauf war, dass er lebte. Doch dann betrachtete er seine kleinen aufgeschürften Hände. War er denn wirklich wohlauf? Er wusste, dass Falkenauge Recht hatte. Dieser Körper war zerbrechlich und schwach. Mit diesem Körper würde er seine Freunde nicht beschützen können. Verdammt noch mal! Er würde nicht mal sich selbst beschützen können. Wieso war er am Leben? Wieso war er in diesem verflucht schwächlichen Körper? Wieso war er hier? Es wäre besser gewesen, wenn er einfach gestorben wäre! Wütend schlug er in die Matratze vor sich. Einmal, zwei Mal, immer öfters, doch es brachte nichts, es brachte überhaupt nichts. Er vermisste sie. Er wollte nichts mehr, als jetzt bei ihnen sein und diese Schwäche zuzugeben machte ihn noch wütender. Energisch schüttelte er den Kopf und atmete bestimmt langsam. Er musste sich beruhigen, das wusste er. In seiner jetzigen Situation hatte er keine andere Wahl, als darauf zu warten, dass der Samurai mit neuen Informationen zurückkommen würde. Bis dahin musste er Kräfte sammeln und sich einen Plan überlegen. So wie er es im Gefängnis gemacht hatte. Er konnte das ein zweites Mal schaffen. Leicht schwankend stand er schließlich auf. Seine Beine waren schwer und müde. Jetzt, als das Adrenalin seinen Körper verlassen hatte, merkte er umso deutlicher, wie erschöpft er sich anfühlte. Zittrig ging er ums Bett herum, hielt sich dabei erst am Stuhl und dann am Schreibtisch fest. Er war entsetzt, wie schwach er sich fühlte. Er kannte dieses kraftlose und ausgelaugte Gefühl nicht. Selbst nach einem Kampf, selbst schwer verletzt hatte er sich noch nie so erschlagen gefühlt. Als ob seine Muskeln nur aus dünnen Fäden bestehen würden. Warum war es so anstrengend einen so kleinen Körper zu bewegen? Nach einer gefühlten Ewigkeit hatte er die Badezimmertür erreicht und stürzte hinein. Er war nicht wirklich überrascht, dass dieses Zimmer ebenfalls pompös ausgestattet war. Eine elegant freistehende, cremefarbene Badewanne bildete den luxuriösen Mittelpunkt. Eine Wand wurde vollständig von einem Spiegel ausgefüllt, die anderen zwei von Fenstern. Helle Vorhänge versperrten die Sicht nach draußen, ließen aber das Licht hinein. Ein Teil des Bades war durch Glaswände abgetrennt. Dahinter lag die Dusche, welche genug Platz bot für vier oder fünf Leute. Neben dem Waschbecken war ein weiterer Vorhang zur Seite gezogen, der als Sichtschutz dienen konnte. Selbst die Toilette, im gleichen Stil gehalten wie Badewanne und Wachbecken, wirkte wie ein Möchtegernthron. Von der Decke leuchtete ein fein geschwungener Kronleuchter, welcher sich im weißen Marmor spiegelte. Seine Füße standen auf einem weichen Teppich, doch ansonsten war der Raum kalt, als wäre er lange nicht mehr benutzt worden und das, obwohl frische weiße Handtücher vorrätig waren und es auch hier sanft nach Lavendel roch. Er rümpfte die Nase, sein Gastgeber schien ja ein verheimlichtes Königskind zu sein, aber sein Stil war das ganz und gar nicht. Alles war etwas zu protzig für ihn. Er passte nicht in diese Welt und diese Welt konnte ihm mit all ihrer Angeberei nicht beeindrucken. All dieser falsche Prunk konnte die herzliche Atmosphäre an Bord der Thousand Sunny nicht ersetzen. Er beobachte sein Spiegelbild dabei, wie es das Hemd aufknöpfte, welches dann schließlich zu Boden fiel. Vorsichtig wanderte er seinem Spiegelbild entgegen. Nahm sich erneut die Zeit seinen neuen Körper zu begutachten. Er musste versuchen zu akzeptieren, was geschehen war und das Beste daraus zu machen. Normalerweise fiel ihm sowas immer ziemlich leicht. Normalerweise ärgerte er sich nicht über schlechte Umstände und normalerweise quälte er sich nicht mit Was-wäre-wenn-Fragen. Normalerweise passte er sich einfach der neuen Situation an und ging seinen Weg weiter. Aber das hier war alles andere als normal. Denn egal was bisher geschehen war, auf sich selbst und seinen Körper hatte er sich immer verlassen können. Damit war es nun vorbei. Das war ihm schon das erste Mal bewusst geworden, als er diesen neuen Körper gesehen hatte, aber nun wurde es umso offensichtlicher. In einfachen Worten war er nun eine junge Frau, ein Mädchen, welches er selber als zu jung zum Flirten jedweder Art einschätzen würde. Definitiv wirkte sie viel jünger als er tatsächlich war. Innerlich fluchend korrigierte er sich, er selber wirkte deutlich jünger und war absolut niemand, den man als Bedrohung wahrnehmen würde. Misstrauisch inspizierte er die dünnen Arme und Beine, im Kampf wäre er nicht nur kräftetechnisch unterlegen. Er zog leicht an den langen grünen Haaren, auch die könnten sich in einem Kampf deutlich als Nachteil herausstellen. Dann umfasste er die kleinen Brüste. Obwohl sie eindeutig nicht so groß waren, wie die von Nami oder Robin, war er sich sicher, dass auch sie im Kampf ein Hindernis darstellen würden. Von seinen altvertrauten Narben oder den hart erarbeiteten Schwielen war nichts mehr zu sehen. Ganz im Gegenteil, mit Ausnahme der lächerlichen Schürfwunden, sah kein Zentimeter dieses Körpers so aus, als hätte er jemals arbeiten oder trainieren müssen. Nein, dieser Körper war nicht zum Kampf geeignet. Mit diesem Körper würde er nie der beste Schwertkämpfer der Welt werden können. Als Mädchen werde ich immer schwächer als ein Mann sein. Leise hallten diese Worte in seinem Kopf wieder. Ich wollte immer nur der stärkste Kämpfer der Welt werden, aber ich werde eine Frau. Kraftlos schlug er gegen den Spiegel. Erst jetzt verstand er wirklich ihre Angst, ihre Wut, ihre Trauer. Erst jetzt spürte er dieselbe Hilflosigkeit, während sich langsam wieder diese verfluchten Tränen in seinen Augen ansammelten. Sie hatte Recht, sie hatte damals schon gewusst, was er erst jetzt erkannte. Vergiss es, egal ob Mann oder Frau, für mich wirst du immer eine würdige Gegnerin bleiben.   Ja, das hatte er geglaubt, er hatte das wirklich geglaubt. Aber damals hatte er ja auch nicht erahnen können, wie er sich entwickeln würde, wie stark er werden würde, wie weit er gehen konnte. Doch nun stand er wieder ganz am Anfang und im Gegensatz zu ihr, hatte er nicht seit seiner Kindheit in diesem Körper trainiert. Er war viel zu schwach. Erneut schlug er gegen diesen Spiegel, welcher unter seiner normalen Kraft längst zerbrochen wäre, aber nun tat nur seine Hand weh. Eines Tages, wenn ich dich besiegt habe, werde ich auf gar keinen Fall sagen, dass war nur eine Frau, sondern ich werde stolz auf meine Kampftechnik und meine Geschicklichkeit sein und dafür trainiere ich so hart, Kuina! Langsam blickte er in diese grünen Augen, während einsame Tränen seine Wangen hinunter tropften. Wer war er denn, wenn er nicht Lorenor Zorro, der zukünftige beste Schwertkämpfer der Welt, war, nicht dieser ehemalige Piratenjäger sein konnte? Fluchend versuchte er wiederum diesen verhassten Tränen Einhalt zu gebieten. Lag es daran, dass er nun eine Frau war, dass er sie nicht aufhalten konnte? Weinten Frauen einfach viel schneller als Männer? Das mochte zwar für Nami und auch Vivi stimmen, aber sowohl Kuina als auch Robin hatte er nur ganz selten weinen sehen, nur dann, wenn sie am Rande eines Abgrundes standen. Vielleicht erforderte die Kontrolle über die eigenen Gefühle mehr Disziplin als Frau. Wenn das stimmte, musste er sofort damit anfangen, seinen Geist zu stählern. Bei so vielen Schwächen musste er jede vermeidbare eliminieren. Versprich mir eins, einer von uns beiden wird eines Tages der beste Schwertkämpfer auf der ganzen Welt! Nein! Er hatte nicht jahrelang trainiert, jahrelang gekämpft, jahrelang an ihrem gemeinsamen Traum festgehalten, um nun einfach nur Schwächen auszugleichen. Er hatte Kuina damals gesagt, dass es nicht darauf ankommen würde, ob man ein Mann oder eine Frau war. Jeder hatte die Möglichkeit, sein Ziel zu erreichen. Aber sie war nun tot. Sie konnte ihr Versprechen nicht mehr erfüllen, also hatte er gar keine andere Wahl. Egal ob als Lorenor Zorro oder als großäugiges Mädchen, er würde der beste Schwertkämpfer der Welt werden. Er hatte gar keine andere Wahl und Kuina würde ihn auslachen, wenn er sich von so einer kleinen Hürde aufhalten lassen würde. Er musste weiterkämpfen. Entschieden und von neuer Energie gepackt eilte er zur Dusche. Seine Beine waren immer noch schwer, sodass er sich an der Glaswand abstützen musste. Aber diese Müdigkeit konnte seinen neugewonnenen Mut nicht bremsen. Er würde einen Weg finden und er würde auch wieder zu seiner Crew zurückkommen. Mit neugeschöpfter Kraft drehte er das Wasser auf. Eine halbe Sekunde später rettete er sich mit einem mädchenhaften Schrei vor dem eiskalten Schauer. Ja, irgendwie würde er einen Weg finden müssen, nur nicht jetzt, jetzt musste er nur den Regler wärmer einstellen! Die Sonne schien warm gegen seinen Rücken, während er mit großen Schritten durch das Dorf marschierte. Es schien beinahe wie ein erster Sommertag, fast schon erstaunlich, wenn er bedachte, wie kalt es am vergangenen Abend gewesen war. Den ganzen Weg schon versuchte er sich dieses blöde Grinsen aus dem Gesicht zu wischen. Aber immer wieder, wenn er nicht darüber nachdachte, wenn seine Gedanken zu dem Schwertkämpfer im Mädchenoutfit in seinem Haus wanderten, schlich es sich zurück auf seine Lippen. Dieser Morgen war eindeutig sehr interessant gewesen. Und das Beste an der ganzen Situation, wenn man mal davon absah, dass sein kleiner Lieblingskonkurrent überlebt hatte, war, dass er nichts davon hatte kommen sehen. Es war das erste Mal seit Jahren, dass er den Verlauf eines jeden Tages in seinem Leben nicht genau erahnen konnte. Es war das erste Mal seit langer Zeit, dass eine Person ihn aus dem Konzept brachte. Das letzte Mal, als ihm das passiert war, war auch genau dieser Mistkerl schuld daran gewesen. Sein unbeabsichtigt federnder Gang führte ihm geradewegs in das altbekannte Rathaus. Es war wesentlich mehr los, als am Vortag, was allerdings auch daran liegen konnte, dass er nicht zu so früher Stunde unterwegs war. Viele der Leute, hauptsächlich Frauen im mittleren Alter, beäugten ihn argwöhnisch, doch diese ihm nicht unvertrauten Blicke ließen ihn ziemlich kalt. Von fast schon guter Laune getragen stürmte er erneut in das Büro seines Freundes, nun ja, er versuchte es zumindest. Die Tür war verschlossen. Verwirrt und ein bisschen verärgert ruckelte er an der Klinke, doch die Tür gab nicht nach. Wieso schloss sein Freund ihn aus? „Herr Mihawk? Was tun Sie hier?“ Überrascht drehte er sich um. Vor ihm stand die wirklich sehr attraktive, junge Sekretärin des Bürgermeisters. Ihr üppiger Busen wurde von einem Berg aus Akten zusammengepresst, den sie vor sich hintrug. Ansonsten sah sie, wie am Vortag, makellos aus, mit jeder Haarsträhne am richtigen Platz. Etwas überrumpelt deutete er nur auf die verschlossene Tür hinter sich und murmelte ein paar unzusammenhängende Worte. Diese Frau erinnerte ihn immer wieder an einen gewissen Samurai und das gefiel ihm ganz und gar nicht. Sie nickte nur verständnisvoll. „Es tut mir sehr leid. Herr Konteradmiral Cho ist heute nicht anwesend. Wie Sie wissen, arbeitet er nur an zwei Tagen in der Woche hier. Heute ist er auf dem Stützpunkt Suzuno.“ „Ich muss mit ihm reden“, stellte er ohne weitere Erläuterung fest. „Natürlich, wenn Sie mir folgen würden.“ Sie wartete seine Antwort nicht ab, sondern stolzierte von dannen Ihre hohen Absätze klackten über den gefliesten Boden und ihr gerader Rücken zeigte keine Spur von einer möglichen Last, die sie trug. Mangels einer besseren Idee folgte er ihr. Im Vorzimmer des Bürgermeisters blieb sie schließlich stehen, balancierte die Unterlagen geschickt auf einem Arm und bedeutete ihm zu warten. Kurzfristig verschwand sie im Büro ihres Vorgesetzten, nur um dann wenige Sekunden später ohne den Papierkram aufzutauchen, eifrig ihr Kleid am gerade zupfen. Elegant nahm sie auf ihrem Stuhl Platz, als wäre es ein Thron und setzte ihre Brille wie ein Diadem auf ihre Hochsteckfrisur. Ihre Miene glich immer noch der einer wohlerzogenen Adelsdame, während noch nichteimal die Spur eines Lächelns ihr Gesicht erhellte. „Im Konferenzzimmer befindet sich eine Teleschnecke. Wenn Sie so freundlich wären dort zu warten, werde ich Sie mit Konteradmiral Cho verbinden.“ Dabei machte sie eine höfliche, wenn auch irgendwie herablassende Handbewegung zu seiner Linken. Wie von Zauberhand öffneten sich die Flügeltüren und gaben den Blick auf ein kleines, aber gut hergerichtetes Zimmer frei. Er bedankte sich und folgte ihrer Aufforderung. Hinter ihm schlugen die Türen wieder zu. Irgendwie war sie ihm unheimlich, diese Houran. Sekunden später beschwerte sich eben benannte Teleschnecke auch schon. Die große, braun gemusterte Schnecke stand auf einem kleinen Schreibtisch neben dem Konferenztisch und schrie ihn beinahe flehend an. Sie war deutlich lauter als seine eigene im Büro und außerdem an ein Faxgerät angeschlossen. Mit einem leisen „Gotcha“ nahm er den Hörer ab. „Cho“, kam es trocken von der anderen Seite des Telefonats. „Hey, Jirou, ich bin‘s.“ „Hawky!“, lautete die überraschte Antwort. „Mann, warum bist du immer noch… weißt du was? Ich will es gar nicht wissen. Was ist los?“ Der genervte Gesichtsausdruck seines Kindheitsfreundes wurde überaus passend von der Schnecke wiedergegeben. „Ich brauche deine Hilfe.“ Sein Gesprächspartner seufzte hörbar auf. „Hör mal. Ich weiß nicht ob es dir bewusst ist, aber manche von uns müssen arbeiten, um ihr Geld zu verdienen.“ „Jirou, es ist wirklich wichtig.“ „Hawky, so was kann…“ „Es geht nicht um das von gestern.“ Er biss sich auf die Unterlippe. Er musste vorsichtiger sein, mit dem was er sagte. Ihm war bewusst, dass die meisten Marineferngespräche überwacht wurden und das Codewort Geld bestätigte dies nur. „Ich habe heute absolut keine Zeit für sowas.“ Falkenauge starrte die Teleschnecke an, unsicher wie er reagieren sollte. Sein alter Freund hörte sich wirklich gestresst an. „Oh Gott! Na gut, was willst du?“ Innerlich atmete er auf. „Ich brauche Informationen.“ „Worüber?“ „Die Strohhutbande.“   Der Konteradmiral wurde wieder ruhig, sekundenlang kam kein Ton über die Leitung. „Hallo?“, fragte der Samurai nach. „Hawky. Bist du sicher, dass du das tun willst? Du steigerst dich da in was hinein.“ „Aber…“ „Nein, hör mir zu. Der Kerl ist tot! Ich weiß, dass du in ihm irgendetwas gesehen hast, aber es ist vorbei. Du musst mit dieser Besessenheit aufhören, das habe ich dir damals gesagt, als du mit seinem Steckbrief ankamst und das sage ich dir jetzt nochmal. Es wird dich nicht…“ „Jirou! Es ist alles in Ordnung.“ „Was redest du denn da? Du bist immer noch Zuhause! Du warst die letzten 20 Jahre nie länger als einen Tag da. Und nur wegen einem verdammten Piraten steigerst du dich in etwas herein, das dein Untergang sein könnte!“ „Bist du fertig?“, fragte er sachlich. „Ja, ich glaube schon“, murrte der andere. „Gut, dann hörst du mir mal zu. Alles was ich von dir möchte, sind Informationen über den Verbleib der Strohhüte. Als einer der sieben Samurai muss ich doch meinen Pflichten gegenüber der Marine nachkommen, vor allem wenn es um Piraten geht.“ „Hawky, bist du sicher…?“ „Bitte, tu mir den Gefallen, noch einen Letzten.“ Leise lachte der Mann am anderen Ende der Leitung auf. „Erstens, seit wann scherst du dich um deine Pflichten? Zweitens, du hast mich bestimmt schon hundert Mal um den „letzten Gefallen“ gebeten.“ Falkenauge wusste, dass der andere nachgeben würde, immer, wenn er dies ansprach, knickte er schließlich ein. „Nun gut. Ich hab jetzt echt keine Zeit mehr. Bist du später noch zu Hause?“ „Wenn es sich ergibt.“ „Okay, dann ruf ich dich heute Abend an.“ „Dan… da legt der einfach auf!“   Leise tapsten seine nassen Füße über den kalten Boden bis zum nächsten Stück Teppich. Nach dem warmen Wasser ging es ihm deutlich besser. Sein Körper war nicht mehr so träge, seine Gedanken nicht mehr so verworren. Ja, irgendwie würde er sich mit diesem Körper schon anfreunden. Mit neuer Energie schlang er eines der großen Handtücher um sich.   Doch die blöden nassen Haare waren ihm immer noch im Weg. Konzentriert griff er nach einem zweiten Handtuch und band es sich als eine Art Turban um den Kopf, wie er es manchmal bei Nami und Robin gesehen hatte. Aber irgendwie hatte er den Dreh noch nicht raus. Alle paar Meter zerfiel der Turm auf seinen Kopf wieder in seine Einzelteile. Wütend biss er sich auf die Unterlippe, etwas was er sonst nie tun würde. Genug war genug! Entschieden eilte er zum Waschbecken und zog die Schubladen auf. Doch er fand nicht, wonach er suchte. Seufzend errichtete er sein Kunstwerk erneut und verließ das Badezimmer. An der Kommode angekommen, riss er erneut alle Schubladen auf und durchwühlte deren Inhalte, warf kleine Parfümflaschen um, zerrte ordentlich gefaltete Bettlaken hervor und ließ sie achtlos auf dem Boden liegen. Endlich fand er einen hölzernen Griff und zog die kleine Waffe triumphierend hervor. Doch zu seiner Enttäuschung, war es weder eine Schere, noch ein Briefmesser, sondern nur eine uralte Nagelfeile. Wütend warf er sie gegen die nächstbeste Wand, wo sie stecken blieb. Er musste diese nervigen Haare los werden, so schnell wie möglich und dann musste er sich ein geeignetes Schwert besorgen. Im Zweifel würde das auch anders herum funktionieren. Aber eines war sicher, die Haare mussten ab. Nur weil er jetzt den Körper eines verwöhnten Prinzesschens hatte, musste er noch lange nicht so aussehen. Vernünftige Haare und geeignete Kleidung würden da schon helfen. Das Schlachtfeld an der Kommode ignorierend wandte er sich dem Bett zu. Die Haushälterin hatte Wort gehalten und ihm neue Kleidung hingelegt. Doch es stellte sich als reichlich schwierig heraus diesen verfluchten BH anzuziehen. Im Ausziehen hatte er ja schon seine Erfahrungen gesammelt, aber er hatte keine Ahnung, wie die Frauen dieser Welt diese verflixten Haken schließen konnten. Nach einigen Minuten Gezerre und Gezwicke, wobei das Handtuch schon längst zu Boden gesegelt war und er zweimal beinahe hingefallen war weil er sich in einem der Bettlaken verheddert hatte, schaffte er es endlich und stellte fest, dass dieses kleine Ding überraschend gut saß und ihn kaum in seiner Bewegung einschränkte. Vielleicht würde das in einem Kampf ein kleiner Vorteil sein, dachte er, während er die Arme in alle möglichen Richtungen streckte um sich von der Flexibilität zu überzeugen. Die Unterhose war zum Glück keine Herausforderung, aber irgendwie fand er es sehr seltsam, als er sie anzog, schließlich war da nichts, überhaupt nichts! Schließlich wandte er sich leise seufzend dem Rest zu. Es schien ein blaues T-Shirt mit komischen Halsausschnitt zu sein, aber wo war die Hose? Verwirrt hob er das Hemd hoch. Dann ließ er es fallen und schluckte schwer. Das sollte wohl ein Witz sein? Das konnte diese Frau doch nicht ernst meinen? Nein, das würde er ganz bestimmt nicht anziehen, eher würde er komplett nackt durch die Gegend laufen. In diesem Moment klopfte es an der Tür. „Loreen, Süße. Ich bin’s. Darf ich reinkommen?“, fragte die Haushälterin während sie bereits die Tür öffnete. „Ich wollte nur gerade die schmutzige Wäsche holen kommen. Ach die Unterwäsche steht dir ja ganz prächtig. Da bin ich froh, dass alles passt. Was ist denn hier passiert? Ach, auch egal, viel wichtiger ist, wie sieht es denn mit dem Kleid aus?“ Er öffnete den Mund um ihr ganz genau zu erklären, dass er nie im Leben dieses Ding anziehen würde und dass er im Übrigen nicht Loreen hieß, da rauschte sie schon an ihm vorbei ins Badezimmer und sprach ungehalten weiter. „Ich wusste ja nicht, ob du sowas magst, aber das war heute Morgen das einzige in deiner Größe was ich Zuhause finden konnte. Aber keine Sorge, ich habe meine Tochter schon gebeten ein paar Klamotten von ihren Kindern vorbei zu bringen.“ Schon tauchte sie wieder aus dem anderen Raum auf und begann das Chaos um die Kommode herum zu beseitigen, ohne überhaupt darauf einzugehen. „Die sind ja auch alle schon groß, ich denke, das wird kein Problem darstellen. Soll ich dir beim anziehen helfen?“ Danach zog sie die Nagelfeile aus der Wand  und hob noch das letzte Handtuch vom Boden. „Nein, ich…“ „Na komm, dreh dich um.“ „Aber warten Sie doch einen…“ „Halt bitte für einen Moment still. So, nur noch der Reisverschluss. Perfekt!“ Wehrlos stolperte er ein paar Meter nach vorne und hielt sich am Schreibtisch fest. „Was soll das?“, fragte er fast schon panisch während er das Kleid hinab gestikulierte. Doch sie lächelte ihn nur unglaublich herzlich an. Was tat sie ihm da an?! „Es steht dir so gut, Loreen.“ Leise rannte plötzlich eine Träne ihre Wange hinunter. Etwas überfordert starrte er sie an. Was war denn jetzt kaputt gegangen? Vor einer Sekunde hatte sie noch gelächelt und nun zitterte ihre Unterlippe gefährlich. „Aber, aber Frau Bo..“ „Ich hab doch gesagt, du sollst mich Kanan nennen, sonst fühle ich mich so alt!“, unterbrach sie ihn erneut und wischte sich energisch die Träne weg. „Tut mir leid, mein Kind. Es ist nur… ich freu mich halt so, dass du zu Besuch bist. All diese Jahre war dieses große Haus leer und der Hausherr war immer schlecht gelaunt, wenn er denn mal da war. Aber jetzt bist du da, ein freundlicher kleiner Gast und er lächelt wieder. Ich bin so glücklich.“ Sie nahm ihn in eine feste Umarmung aus der er sich nicht hätte befreien können. Doch er wehrte sich auch nicht. Er hatte irgendwie Mitleid mit dieser Frau. Ihre Einsamkeit war unverkennbar und das, wo sie doch immer so viel Freundlichkeit und Wärme ausstrahlte. Er kannte diese Einsamkeit, kannte diesen Schmerz. Nach wenigen Sekunden hob er widerstrebend seine eigenen Hände und klopfte ihr ein paar Mal auf den Rücken, nicht sicher, wie er auf ihren Gefühlsausbruch reagieren sollte. Sie allerdings griff plötzlich in sein Haar. „Mein Gott, du bist ja noch klatschnass. Am besten flechten wir dein Haar hoch, nicht war meine Hübsche?“   Auf sein wohl argwöhnisches Gesicht lächelte sie sanft herab und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. „Du kannst gar nicht flechten oder?“ Er schüttelte nur stumm den Kopf. Wenn ihm nicht bald etwas einfiel, würde sie ihn vollends entmannen. „Keine Umstände, die sollen eh…“ „Nun gut“, unterbrach sie ihn unbeschwert, ließ von dem Mädchen ab und hob die fallen gelassenen Sachen wieder auf. „Ich hab leider keine Schuhe in deiner Größe gefunden, aber ein paar Haussandalen. Ich hol sie dir schnell und dann gehen wir ins Wohnzimmer und ich kümmere mich für dich. Danach gibt’s essen. Klingt das gut oder was?“ Mit dem Versuch eines sarkastischen Lächelns nickte er und ließ sich von ihr am Handgelenk aus dem Zimmer ziehen. Es machte überhaupt keinen Sinn ihr Wiederworte zu geben, sie hörte ja so oder so nicht zu. Seine kleinen Füße konnten kaum mit ihren großen Schritten mithalten, sodass er immer wieder stolperte, doch sie schien das voller Energie gar nicht wahrzunehmen und stürmte mit ihm im Schlepptau die Treppe hinunter. Dort trennte sie sich kurz von ihm, um die Wäsche wegzubringen, während er sich die Zeit damit vertrieb, die Sandalen anzuziehen. Im nächsten Moment riss sie ihn wieder mit sich, wobei er eine Sandale verlor. „Keine Sorge, die hol ich dir. Setz dich erst mal hin.“ Etwas überrumpelt hockte er sich auf ein großes dunkles Sofa. Gerade vermisste er die Ruhe seiner Dusche. Diese Frau war mit ihren Stimmungsschwankungen eindeutig zu viel für ihn. Das Wohnzimmer selber glich eher einer Bibliothek. Weiches Licht erhellte den Raum, doch der große Kamin selbst war kalt. Sekunden später kam die Haushälterin wieder und zog ihm die Sandale an. „So. Wenn ich das Fräulein bitten dürfte“, sagte sie breit lächelnd und bedeutete ihm mit einer Handbewegung an, sich auf dem Boden niederzulassen. Immer noch verwirrt leistete er ihr folge. Mittlerweile fragte er sich, in was für einem seltsamen Traum er wohl gefangen war. Er fühlte, wie sich die ältere Frau hinter ihn setzte. „Wenn es ziept sag Bescheid“, flüsterte sie beinahe sanft, ehe sie anfing seine Haare zu durchkämmen. Nach einer Weile begann sie wieder ausgelassen zu reden. Sie erklärte ihm, wie er sein Haar anders waschen müsste, da sie noch Reste von Shampoo finden konnte. Sie fragte ihn nach seinen Lieblingsfarben und ob es Klamotten gab, die er gerne trug. Als er ihr antwortete, dass er gute Kampfkleidung brauchte, lachte sie herzhaft. Sie erzählte ihm vom Dorf und von ihren drei Kindern, sowie von den glücklicheren Zeiten der Familie Mihawk. Dann wechselte sie wieder das Thema aufs Kochen und fragte ihn unwichtige Dinge. Er antwortete höflich auf ihre Fragen und entschied sich nicht zu beschweren, während sie sein langes Haar durchkämmte. Irgendwann fragte er sie dummerweise, ob es nicht sinnvoller wäre, die Mähne einfach abzuschneiden. Neben einem leichten Stoß mit der Bürste zwischen die Schulterblätter, konnte er sich eine Schimpfparade abholen, dass tausende Frauen für solche Haare töten würden. Er ließ dies unkommentiert, während sie weiter rummoserte. Natürlich interessierte es ihn einen Dreck, die Haare würden abkommen, egal, ob diese Frau das mochte oder nicht. Er überlegte gerade ihr einfach die Wahrheit zu sagen, es wäre mit Sicherheit lustig ihr Gesicht zu sehen, außerdem hatte er wirklich keine Lust weiterhin ihre Puppe zu spielen, als sie unerwartet das Thema wechselte. „Es ist so lange her, dass ich jemandem die Haare geflochten habe. Ich glaube das letzte Mal bei Sharak. Sie war so ein hübsches Mädchen.“ Ein Kloß hatte sich wieder in ihrem Hals gebildet, dass konnte er ganz deutlich hören, während sie an einzelnen Haarsträhnen zupfte. „Sharak?“, fragte er unüberlegt nach. „Ach, sie war das älteste Kind des Hauses. Aber das ist schon lange Zeit her. Ein wirklich aufgewecktes Mädchen. Du erinnerst mich sehr an sie.“ „Dabei kennen Sie mich kaum“, rutschte es ihm beinahe etwas vorlaut heraus. Doch wieder lachte sie nur. In diesem Moment hörte er vom Flur her das Knarren einer Tür, die dann wieder zuschlug. „Kanan, wo sind Sie? Ich hab ein paar Sachen zu… Oh.“  Im Türrahmen stand der Hausherr höchst persönlich und blickte zu den beiden Frauen hinab. „Stör ich?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)