Ein würdiger Traum von Sharry (Der Preis des Vertrauens) ================================================================================ Kapitel 2 - Das Erwachen ------------------------ Kapitel 2 - Das Erwachen Es war warm. Es war weich. Es war unglaublich gemütlich. Das war das erste, was ihm langsam bewusst wurde, während er nur wehmütig dem Schlaf entglitt. Noch immer hatte er die Augen geschlossen. Er liebte diesen Moment, kurz vor dem Aufwachen. Wenn man wusste, dass ein neuer Tag beginnen würde, aber man diesen Anfang noch ein bisschen hinauszögern konnte. Selten passierte es, dass er in Ruhe ausschlafen konnte. Genau deswegen liebte er diesen Moment. Fast so sehr wie diesen entspannenden Augenblick, kurz bevor man einschlief, wenn das leise rhythmische Atmen der anderen einen beruhigenden Schlafzauber über ihn legte. Aber er wusste, dass er nicht auf der Thousand Sunny geschlafen hatte. Zum einen war es dafür viel zu ruhig und zum anderen schlief er nicht in seiner vertrauten Koje, die er, nur fürs Protokoll, absolut ausreichend fand, sondern in einem so komfortablen Bett, wie er es selten getan hatte. Irgendwie roch es hier nach einem vertrauten Duft. Er wusste nicht genau, was es war. Der Koch hätte es wahrscheinlich sofort erkannt, dieses Kraut, aber es hatte eine beruhigende Wirkung auf ihn. Traurig musste er sich eingestehen, dass er nun wirklich wach war und dass es keinen Sinn mehr machte sich vor dem Tag zu verstecken. Seufzend öffnete er die Augen. Wo zur Hölle war er? Alles was er sah, war eine weiße Decke mit weiß-schimmernden Applikationen, sah ziemlich edel aus. Seine Sicht war vor Schlaftrunkenheit noch sehr verschwommen und seine Sinne waren noch stumpf vor Müdigkeit. Lavendel! Das war es. Vielleicht war er in irgendeinem teuren Nobelhotel. Dabei war er doch pleite. „Ah. Endlich aufgewacht?“, fragte ihn eine unheilvoll bekannte Stimme aus weiter Ferne. Langsam glitt sein Blick in die Richtung der Stimme und sein Kopf kippte leicht zur Seite. Sein Körper fühlte sich fremd an. So schwer und so leicht zugleich. Vielleicht war er unter Drogen gesetzt worden. Wieso sonst hatte er noch nicht bemerkt, dass jemand anderes anwesend war? Eine Sekunde lang betrachtete er den verschwommenen Schemen vor sich, verwundert darüber, dass seine Instinkte ihn nicht schon längst in Alarmbereitschaft gebracht hatten. Dann klärte sich das Bild langsam. Vor ihm saß ein hochgewachsener schwarzhaariger Mann mit weißem Hemd und schwarzer Hose. In seiner Hand hielt er einen schwarzen Block oder so etwas in der Art. Er hatte die Beine überschlagen und balancierte auf dem Knie einen weiteren Ordner. Seine goldgelben Augen durchstachen ihn beinahe neugierig und er strich sich mit langgliedrigen Fingern über seinen Bart. „Du!“, rief er und richtete sich ruckartig auf. Seine Hand suchte fahrig nach seinen Schwertern. „Was machst du hier?“ Verwirrt sah ihn der Samurai an. Wo waren seine Schwerter? „Ähm. Das ist mein Haus.“ Hektisch sah er sich um. Sein Körper war immer noch so schwer, seine Sinne immer noch getrübt. Eilig inspizierte er das Zimmer, in dem er saß. Registrierte den kleinen Schreibtisch, das geöffnete Fenster und noch viel wichtiger, die beiden Türen. Eine von ihnen könnte sein Fluchtweg sein. Aber wo waren seine Schwerter? „Und warum hast du mich hierher gebracht?!“, spukte er aus und unterdrückte den Reiz sich an den Hals zu greifen. Seine Stimme klang krächzend und seltsam hoch, als wäre er krank und heiser, aber er durfte jetzt keine Schwäche zeigen. Die Stirn runzelnd klappte der Schwarzhaarige seine Unterlagen zu und sah ihn durchdringend an. „Was meinen Sie damit?“ „Sie?!“, entkam es ihm noch wütender. „Sag mal. Erkennst du mich noch nicht mal?“, setzte er ruhiger hinterher. Er durfte sich nicht aus der Fassung bringen lassen. Nicht von seinem Feind. Doch dieser sah nun wirklich irritiert aus, dann schüttelte er den Kopf. „Ich glaube nicht, dass wir uns kennen.“ Für einen kleinen Moment setzte sein Herz aus. Verletzt wandte er den Blick ab. Stockend atmete er ein und aus. Es war unmöglich seine Enttäuschung zu verbergen. Er wusste, dass er damals ziemlich schwach gewesen war und kaum einen würdigen Gegner für den besten Schwertkämpfer der Welt dargestellt haben konnte. Aber irgendwie hatte er gehofft, hatte sogar geglaubt, dass der andere etwas in ihm gesehen hatte. Schließlich hatte er doch damals sein Leben verschont. Hatte ihm ein ewiges Zeichen seiner Niederlage zugefügt. Damit er sich jeden Tag daran erinnern würde. Daran erinnern würde, wer er gewesen war und wer er werden könnte. Alleine diese Anerkennung des anderen hatte es ihm ermöglicht, seine eigenen Grenzen wieder und wieder zu überwinden. Hatte ihm Mut gegeben, wenn er sich den nächsten Schritt nicht zugetraut hatte. Hatte ihm Bestätigung gegeben, wenn er an sich selbst gezweifelt hatte. Und nun stellte sich heraus, dass der andere nicht einmal mehr wusste, wer er war? „Du hast unseren Kampf also vergessen?“, fragte er tonlos und ohne seinen Gesprächspartner anzusehen. Wieso traf es ihn so schwer? Wieso war er nicht in der Lage sich zusammenzureißen? Aus dem Augenwinkel konnte er das erneute Kopfschütteln des anderen wahrnehmen. „Es tut mir wirklich leid. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ich mich an einen Gegner wie Sie erinnern würde. Ich denke nicht, dass wir je miteinander gekämpft haben. Vielleicht verwechseln Sie mich.“ Seine Stimme war freundlich, mit einer höflichen Note versehen. Ganz anders als damals. „Dann sag mir, Falkenauge.“, flüsterte er. „Warst es nicht du, der mir diese Verletzung zugefügt hat?!“, zischte er eine Spur zu laut, während er sein Hemd zur Seite gerissen hatte und den oberen Teil seiner Narbe entblößte. Das konnte der andere doch gar nicht vergessen haben. Er wäre damals beinahe gestorben und würde auf ewig die Spur ihres Kampfes tragen. Der Ältere schien jedoch nur leicht zu erröten und wandte den Blick ab. „Ich muss mich erneut entschuldigen, aber…“ Er zögerte einen Moment. „aber ich kann dort keine Wunde erkennen.“ „Willst du mich eigentlich verarschen?!“, brüllte er nun und starrte selbst an sich hinab um sich und den anderen vom Gegenteil zu überzeugen. Aber da war keine Narbe. Nein. Da war keine Narbe. Absolut keine Narbe. „Aber was…?“, flüsterte er. „Was hast du mit mir angestellt?!“ Falkenauge betrachtete ihn nun beunruhigt. „Ich verstehe nicht…“ „Bleib weg von mir!“, unterbrach er diesen, als dieser vorsichtig aufgestanden war und eine Hand nach ihm ausstreckte. Dabei rutschte er ruckartig von ihm weg, ohne allerdings die Größe des Bettes beachtet zu haben. Plötzlich griff seine Hand ins Leere und er verlor den Halt. Polternd stürzte er zu Boden. Stöhnend und fluchend versuchte er sich aus dem Laken zu befreien. „Oh mein Gott. Ist Ihnen etwas…?“ „Bleib mir ja vom Hals, du Mist…“ Wieder blieben ihm die Worte im Halse stecken, als er es endlich geschafft hatte sich auf allen Vieren aufzurichten. Sein Blick war auf ein großes Fenster vor ihm gefallen. Vor ihm kniete ein verstört dreinblickendes Mädchen. Es folgte seinem Blick, während ihr Gesichtsausdruck von verstört zu panisch wechselte. Langsam hob er eine Hand. Das Kind spiegelte seine Bewegung. „Aber das ist doch nicht möglich.“, flüsterte er. Das Mädchen vor ihm wirkte kränklich blass. Dünne, schwache Ärmchen stützten den zierlichen Oberkörper. Das viel zu große Männerhemd bedeckte einen zerbrechlichen, kleinen Körper.  Der Ausschnitt und die geöffneten Knöpfe gaben ihm den Blick auf zwei kleine Brüste und einen ansonsten nackten Körper. Das Gesicht des Mädchens wirkte, bis auf die offensichtliche Angst in den kindlich großen Augen, unschuldig jung. Die grünen Augen waren weit aufgerissen, als hätte es den Tod höchstpersönlich gesehen. Lange ebenso grüne Haare fielen in wilden Wellen über Schultern und Rücken. Zwei Strähnen hingen ihr genau vors Gesicht, versperrten ihr leicht die Sicht.   Fahrig strich er die Haare im Blickfeld zur Seite. Erneut handelte das Mädchen auf der anderen Seite des Fensters simultan. Wie in Trance streckte er seine Hand nach dem Kind aus, sah zu, wie sie höchst verunsichert genau dasselbe tat. Schließlich berührte er das Glas und sah zu ihr auf. Schwer schluckend stellte er das Unvermeidbare fest. Er sah nicht durch ein großes Fenster hindurch, er blickte in einen Spiegel! Fassungslos betrachtete Falkenauge die junge Frau vor sich. Außer seiner Schwester hatte er selten ein Mädchen so fluchen gehört und sie hier benahm sich wirklich eigenartig. Was hatte er sich da ins Haus geholt? Nachdem sie unelegant vom Bett gefallen war, war er sofort zu ihr gestürzt, doch ihr seltsames Verhalten hatte ihn inne halten lassen. Angespannt beobachtete er, wie sie sich selbst, offensichtlich konfus, im Spiegel betrachtete. Er hörte ihr leises, heiseres Flüstern, sah ihren wilden, beinahe irren Blick. Langsam schritt er näher, die Hände beruhigend erhoben, als würde er ein wildes Tier zähmen wollen. Als sie sein Ebenbild in der Reflektion sah, drehte sie sich sprunghaft um und fixierte ihn feindselig. „Was hast du mit mir gemacht?“ Ihre Stimme war nur ein Hauch, als hätte sie Angst etwas zu zerbrechen, wenn sie lauter sprechen würde. Sie war mittlerweile zum Nachttisch gekrabbelt, offenbar fehlte ihr die Kraft aufzustehen. Hilflos sah er zu ihr hinunter. „So glauben Sie mir doch. Ich habe nicht die Spur einer Ahnung woher Sie mich kennen. Ich habe Sie gestern zum ersten Mal in meinem Leben gesehen. Sie lagen bewusstlos im Wald mit nichts an außer diesem… diesem Hemd da.“ Sie schüttelte nur den Kopf und betrachtete ihre zierlichen Hände. Verzweifelt strich er sich durchs Haar. „Hören Sie. Vielleicht sollten wir noch mal von vorne anfangen. Also, wie Sie ja anscheinend wissen, bin ich Mihawk Dulacre, allgemein bekannt unter dem Namen Falkenauge. Und Sie sind…?“ Sie schlug seine Hand kraftlos weg und sah ihn einfach nur an. Kurz biss sie sich wie ein störrisches Kind auf die Unterlippe, dann nickte sie eher zu sich selbst als zu ihm. Klar trafen ihn diese großen grünen Augen und beinahe sanft kamen die Worte über ihre Lippen. „Mein Name ist Lorenor Zorro!“ Für einen Moment stand die Welt still, während Falkenauge die junge Frau am Boden ansah. Ernst blickte sie zurück, ein kleines Funkeln in den Augen, ein spöttisches Grinsen im Gesicht. Dann lachte er laut auf. Hohl und kalt hallte seine Stimme durch den Raum, während sich sein Lächeln in eine Grimasse verwandelte. „Es tut mir leid, meine Verehrteste.“, spukte er jedes Wort vor ihre Füße. „Aber ich kenne Lorenor Zorro. Er ist ein vielversprechender, arroganter, junger Schwertkämpfer und vor allem ist er ein Mann!“   Sie hatte den Mund geöffnet, doch er unterbrach sie mit einer ungehaltenen Handbewegung. „Außerdem…“, fügte er beinahe tonlos hinzu. „ist Lorenor Zorro tot!“ Das Mädchen vor ihm erstarrte mit offenem Mund. Er konnte zusehen, wie ihre großen kindlichen Augen allmählich blass und leer wurden. Für eine Sekunde schien sie in weiter Ferne, während ihr Blick gläsern wurde. „Das Feuer“, flüsterte sie. Doch sie sprach nicht mit ihm. Es schien, als hätte sie ihn ganz vergessen. Doch nur für einen Moment. Bevor er überhaupt realisieren konnte, was gerade in ihr vorging, hatte sie sich ruckartig mit beiden Händen übers Bett geworfen und hechtete auf die Tür zu. Die Beine gaben unter ihr nach und sie konnte sich noch gerade so an der Türklinke festhalten, ehe sie ganz zu Boden stürzte. „Hey, was soll das?“, entkam es ihm verwirrt, während er zu ihr eilte um ihr aufzuhelfen. Doch erneut schlug sie seine Hände weg, klammerte sich an Klinke und Stuhllehne während sie ihren Halt wieder fand. „Ich muss hier weg! Die anderen denken ich bin tot. Ich muss zu ihnen!“ Damit belastete sie prüfend ihre Füße wieder und drückte die Klinke hinunter. „Wie bitte? Wer denn und wohin?“ Hektisch wirbelte sie zu ihm herum, fiel dabei beinahe wieder zu Boden. „Ich muss zu meiner Crew, natürlich! Sie müssen irgendwo in der Nähe der Senichi-Inseln sein. Da muss ich hin.“ Sie wollte sich wieder der Tür zuwenden, doch er griff sie am Handgelenk und hielt sie fest. „Jetzt mal Pause für einen Moment. Die Senichi-Inseln?“ Wütend starrte das Mädchen auf seine Hand, ehe sie ihn mit einem eisigen Blick durchbohrte. Sie zerrte an ihrem Arm, aber natürlich konnte sie sich aus seinem Griff nicht befreien. „Weil der Marinestützpunkt, auf dem wir gefangen waren, dort war. Sie konnten fliehen, aber weit dürften sie noch nicht gekommen sein. Und jetzt lass mich los!“ „Noch eine Frage?“ Kalt traf grün auf gelb, er musste überprüfen, was sie da von sich gab. Konnte es überhaupt möglich sein? Das Gebrabbel des Mädchens machte kaum Sinn, außer wenn sie die Wahrheit sagte. Aber woher sollte sie die Einzelheiten wissen? Woher sollte sie wissen, dass der Zeitungsbericht absoluter Schwachsinn war? „Wie sind die Strohhüte daraus gekommen?“ Einen Moment wurde es ruhig, dann antwortete sie mit belegter Stimme. „Na, weil ich den Stützpunkt in die Luft gejagt habe, einschließlich aller Soldaten, damit meine Freunde abhauen konnten!“ Überrascht starrte er das Mädchen an. Für einen Moment lockerte sich sein Griff, was sie sofort ausnutzte, um sich zu befreien und aus der Tür zu stürzen. Er jedoch betrachtete die Akten auf dem Stuhl. Woher konnte sie das wissen?! Die Zeitung sprach von einem Unfall, den die Strohhutbande zu verantworten hatten um zu fliehen, wobei sie ihren Schwertkämpfer als Abtrünnigen zurück gelassen hatte. Im nächsten Atemzug jagte er ihr hinterher und konnte sie gerade noch auffangen, bevor sie die Treppe hinunter gefallen wäre.  Mit einem Arm hielt er ihre schlanke Taille und schüttelte sie leicht. „Woher wissen Sie das?!“ Seine Stimme war lauter, als es ihm lieb war „Woher wissen Sie die Wahrheit?!“ Sie drückte beide Hände gegen ihn um sich zu befreien, war jedoch viel zu schwach. „Weil ich Lorenor Zorro bin!“ „Das ist unmöglich!“, knurrte er ohne sich von ihren Händen stören zu lassen. „Ist es nicht! Und jetzt lass mich verdammt noch mal runter!“, antwortete sie bissig. „Lorenor Zorro ist tot! Außerdem ist es unmöglich so schnell von den Senichi-Inseln nach hier zu kommen!“ Einen Moment hielt sie inne. „Wie meinst du das?“ Er hielt ihrem harten Blick mühelos stand „Der Ausbruch war vorgestern Abend.“ „Ja und?“ „Selbst das schnellste Marineschiff bräuchte ohne Unterbrechung mindestens einen ganzen Monat!“ Sie erstarrte. „Aber das… aber das ist nicht möglich.“ „Das sag ich doch!“ Und dann riss sie sich los und stolperte die Treppe hinunter. Die letzten Stufen konnte sie sich nicht mehr halten und fiel zu Boden. „Was zur Hölle soll das?!“, rief er ihr hinterher und rannte ebenfalls die Stufen hinab. Was hatte er sich da nur nach Hause geholt? „Das ist mir egal.“, flüsterte das Mädchen und setzte sich zitternd auf. „Und wenn ich die ganze Grand Line überqueren muss, ich finde die anderen.“ Mit verschränkten Armen beobachtete er die Grünhaarige dabei, wie sie sich zitternd am Geländer hochzog und immer noch bebend aufstand. Ihre Knie und Handflächen waren aufgeschürft, doch sie hatte einen verbissenen, unnachgiebigen Ausdruck auf ihrem Gesicht. Sie würde nicht aufgeben. Er musterte sie nachdenklich, konnte sehen, dass sie es kaum bis zur Tür schaffen würde, trotzdem setzte sie schwankend einen Fuß vor den anderen. Kopfschüttelnd ging er ihr hinterher, griff ihr erneut um die Hüfte und hob sie hoch. „Was machst du da?! Lass mich sofort wieder runter! Ich schwör dir, ich bring dich um!“ Mit einem bösen Grinsen ging er wieder die Treppe hoch, sich nebenbei wundernd, wo seine Haushälterin abgeblieben war. „Erstens, von einem halben Hemd lasse ich mir keine Befehle erteilen und Zweitens, das würde ich aber gern mal sehen.“ Entschiedenen Schrittes ging er den Flur zurück und ignorierte gekonnt das sich sträubende Mädchen in seinen Armen. Im Raum angekommen warf er sie beinahe unsanft zurück aufs Bett, schloss die Tür und zog sich den Stuhl heran. Nachdem er die Akten zu Boden geschmissen hatte, drehte er den Stuhl mit der Lehne zum Bett, setzte sich falschrum drauf und stützte die Arme auf der Lehne ab.  Das Mädchen blitzte ihn böse an. „Und jetzt die Wahrheit, kleine Lady.“ Das Mädchen legte den Kopf leicht schräg und die Stirn in Falten, ihr Blick war absolut feindselig. „Glaub du doch, was du willst. Soll mir egal sein, aber ich muss hier weg.“ Doch sie versuchte nicht erneut zu flüchten. Wahrscheinlich war ihr bewusst, dass sie keine Chance gegen ihn hatte. Er schüttelte nur leicht den Kopf. „Mal angenommen du sagst die Wahrheit: Wie willst du, in deiner jetzigen Verfassung, es ganz alleine bis zum untergegangenen Stützpunkt schaffen? Ganz abgesehen davon, dass die Strohhüte bis dahin schon über alle Berge sein werden.“ Sie verschränkte trotzig die Arme. „Das kann dir doch sowas von egal sein. Ich habe nicht um deine Hilfe gebeten, also kann es dir nur recht sein, wenn ich verschwinde!“ Schon wieder. Schon wieder schaffte es diese… dieses Kind ihn zu reizen, ihn aus der Reserve zu locken. Betont langsam atmete er aus. „Du könntest schon ein bisschen Dankbarkeit zeigen. Immerhin habe ich dich gestern mitgenommen, ohne mich wärest du jetzt tot.“ „Sag mal, bist du so dumm oder willst du es einfach nicht begreifen?“ Ihr dreister, verbaler Angriff  trieb ihn nun wirklich zur Weißglut, doch ihre nächsten Worte zerdrückten die Flammen augenblicklich. „Es interessiert mich einen Dreck, was du getan oder nicht getan hast und ob du mich vor dem Tod gerettet hast oder nicht. Ich bin bereits gestorben, kapiert?!“ Mit jedem Wort fing sie mehr an zu zittern. „Und meine Freunde sind in Gefahr, während ich hier bin und sie nicht beschützen  kann. Sie halten mich für tot und im günstigsten Falle ist ihnen noch nicht das gleiche Schicksal widerfahren.“ Er wusste nicht, was er tun sollte. Dieses Mädchen vor ihm, ja dieses Mädchen vor ihm. „Du bist es also wirklich.“, sagte er schlussendlich. Sie stockte ehe sie wegsah. „Du glaubst mir?“ Er betrachtete sie genauer, versuchte das zierliche Ding, welches mit aufgeschürften Händen und einer wilden Mähne in einem viel zu großen Hemd auf dem Bett hockte, mit dem blutenden Schwertkämpfer von damals zu vergleichen, mit dem Schwertkämpfer, der selbst schwer verletzt noch kämpfen wollte, mit dem Schwertkämpfer, der aus Ehre bereit war zu sterben. Der wusste, dass Narben auf dem Rücken eine Schande waren. „Ich bin noch nicht wirklich überzeugt. Aber woher sonst solltest du wissen, was in den Akten steht?“ Verwirrt sahen ihn die grünen Augen an. „Was für Akten?“ „In den Akten, wo die Berichte über den Ausbruch und den Fall der G6 enthalten sind. Natürlich sind die Untersuchungen noch nicht abgeschlossen, aber es ist immer noch besser als alles, was in der Zeitung steht.“ Mit diesen Worten fischte er den Artikel vom Boden und warf ihn dem angeblichen verzauberten Piraten hin. „Was ist mit dir passiert? Wie kommst du hierher?“ Die junge Frau griff zittrig nach der Zeitung. „Ich habe keine Ahnung“, murmelte sie abwesend, während sie hastig die Zeilen vor sich verschlang. „Das stimmt nicht“, flüsterte sie zornig, immer noch den Artikel am Durchlesen. Dann schlug sie die Zeitung auf und überflog eilig den Hauptartikel. Aufgebracht warf sie schließlich das Papier zu Boden. „Das stimmt alles nicht!“, beteuerte sie dem Samurai. „Ich würde nie meine Crew verraten um mich mit diesen Schmuggler-Typen einzulassen. Und sie haben mich nicht zurück gelassen. Ich habe sie weggeschickt!“ Er hörte diese Verzweiflung in der Stimme, eine Verzweiflung die ihm nur zu gut bekannt vorkam. „Ich weiß.“, antwortete er schlicht. Doch das reichte anscheinend aus, um den anderen zu beruhigen. „Woher?“ „Na, aus den Akten.“   Nun fischte er die beiden Akten vom Boden. Nachdem er die ganze Nacht die Unterlagen durchgearbeitet hatte, war er in der frühen Morgenstunde endlich in der Lage gewesen, aus den brüchigen Augenzeugenberichten und technischen Angaben einen verständlichen Zusammenhang zu bilden. Allerdings fehlten noch viele kleinere Details, die das Geschöpf vor ihm vielleicht zur Verfügung stellen konnte. Er ließ sie vor die blutigen Knie des anderen fallen.   „Das sollte man desinfizieren“, murmelte er nur, wurde aber erneut von seinem Gast einfach ignoriert, während das Mädchen die Papiere kurz durchlas. „Woher hat die Marine solche Informationen?“ Der Schwarzhaarige verschränkte ebenfalls die Arme und lehnte sich etwas zurück. „Der Vizeadmiral Hakkai hat überlebt. Er und noch zwei oder drei weitere Soldaten, darunter auch einer von seinen Leutnants. Bis auf Hakkai selber, schweben alle noch in Lebensgefahr von den Verbrennungen. Das ist allerdings der Stand von gestern Abend, vielleicht sind sie mittlerweile alle tot“, fügte er kühl hinzu. Der Strubbelkopf konzentrierte sich immer noch auf die Unterlagen. Dunkle Schatten lagen über dem Gesicht, immer noch zitterte sie. „Ich muss hier weg“, wiederholte sie. „Jetzt warte mal“, seufzte Falkenauge auf und nahm ihr einfach die Unterlagen weg. Als sie danach greifen wollte, packte er beide Handgelenke mit einer Hand und zwang sie dazu, ihn anzusehen. „Ich will erst mal wissen, was mit dir passiert ist und wie du hier hingekommen bist.“ Die Augen seines Gegenübers schimmerten leicht, ansonsten zeigte ihr ausdrucksloses Gesicht keinerlei Emotionen. „Um das ein für alle Mal klar zu stellen. Ich habe keine Ahnung, wo ‚hier‘ ist und wie ich hierhin gekommen bin. Das Letzte, an das ich mich erinnere ist, wie ich im Feuer verbrannt bin und dieser verdammte Turm eingestürzt ist. Und plötzlich bin ich hier und sehe so aus!“ Dabei machte sie eine seltsame Kopfbewegung um auf ihren Körper zu verweisen. „Du hast also keine Ahnung?“, fragte er noch einmal nach. Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Aber das ist unwichtig, ich muss…“ „Was musst du?“, unterbrach er das Mädchen vor sich, ohne sie loszulassen. „Sieh dich doch mal an. Du kannst kaum laufen, geschweige denn dich alleine auf See begeben. Du bist tot, ehe du den Strand erreicht hast. Du wirst es nie im Leben zu deiner Crew schaffen. Und wenn du es doch irgendwie schaffen solltest die Senichi-Inseln und die Überbleibsel der G6 zu erreichen, dann werden die anderen schon längst über alle Berge sein, weil sie nicht wissen, dass du überlebt haben könntest.“ „Und was soll ich deiner Meinung nach tun, oh, du bester Stratege aller Zeiten?!“ Dieser Schimmer in den grünen Augen wurde wilder, als stünde sie kurz davor in Tränen auszubrechen. Auch ihre Stimme wurde ein bisschen höher. „Ich hab doch nichts anderes als meine Freunde. Das hier ist nicht mein Körper, nicht mein Leben. Ich bin gestorben verdammt normal. Ich habe in meinen tollen Fluchtplan nicht mit eingerechnet, dass ich als schwächliches Mädchen im Haus meines Feindes aufwachen würde, okay?“ Er ließ ihre Hände los. Das Mädchen errötete leicht und blickte beschämt zur Seite. Sie schien offensichtlich am Rande eines Nervenzusammenbruchs zu stehen. Was hatte er sich da nur ins Haus geholt? „Verfluchte Scheiße“, flüsterte sie. „Ich hatte mir vorgenommen dich zu besiegen, das nächste Mal wenn ich auf dich treffen sollte. Und nun? Jetzt kann ich noch nicht mal meine Freunde beschützen.“   Immer noch beobachtete er da seinen Fund, während die Räder hinter seiner Stirn arbeiteten. „Du hast sie beschützt“, meinte er schließlich. „Soweit ich weiß, sind sie alle am Leben und wohlauf.“ „Wirklich?“ Er nickte. „Allerdings weiß ich auch nicht mehr als das, was hier in den Akten steht und den Mist aus der Zeitung.“ Als sein Gast immer noch nicht in der Lage war ihn anzusehen, stand er seufzend auf. „Jetzt hör mal gut zu, Lorenor Zorro.“ Endlich galt die Aufmerksamkeit des grünhaarigen Lockenkopfes wieder ihm. „Ich glaube dir.“ Einen Moment zögerte er, ehe er weitersprach, nicht sicher, warum er das überhaupt tat. „Und deswegen machen wir das jetzt so. Du wirst dich jetzt erst mal ausruhen, vielleicht eine Dusche nehmen und diese Schürfungen desinfizieren.“ Dabei winkte er zur hellen Türe auf der anderen Seite des Bettes. „Meine Haushälterin, Frau Bosatsu wird dir was Vernünftiges zum Anziehen besorgen und dir was zu essen machen.“ Der andere wollte ihn unterbrechen, doch das ließ er nicht zu. „Ich werde derweil ins Dorf gehen und Informationen über deine Crew einholen. Wenn wir wissen, wo sie sind, sehen wir weiter. In Ordnung?“ Der Mund des Piratenmädchens stand immer noch offen, doch nach einer Weile nickte sie. „Gut, dann mache ich mich jetzt auf den Weg.“ „Warte.“ Er wandte sich um. „Was ist?“ Das unglückliche Geschöpf auf dem Bett blickte nicht zu ihm auf, sondern knetete die Laken eindringlich. „Wieso tust du das? Du weißt, dass es mein Ziel ist, dich zu besiegen, zu töten, trotzdem hilfst du mir. Warum?“ Er lächelte leicht. „Bild dir darauf nichts ein Lorenor Zorro. Die Ehre meiner Familie gebietet es mir, die Verantwortung zu tragen, die ich übernommen habe. Als ich dich gestern Abend mit in mein Haus genommen habe, wurde ich für dich verantwortlich.“ Langsam hob sein ungebetener Gast den Kopf. „Dann entbinde ich dich hiermit von deiner Verantwortung. Du stehst in keiner Pflicht und ich will nicht noch tiefer in deiner Schuld stehen.“ Ein sanftes Lachen rang sich durch seine Kehle. „Tut mir leid, mein junger Freund. Du bist weder in der Position noch hast du die Wahl. Wenn ich dich in diesem Zustand gehen lassen würde, würde ich meine Ahnen verraten. Allerdings hast du Recht. Du stehst in meiner Schuld.“ Ein böses Grinsen umspielte seine Lippen, als der andere ihn fast etwas geschockt anstarrte. Natürlich waren ihm seine Ahnen vollkommen unwichtig, aber es gab andere, die er nicht verraten wollte.   „Wenn du deine Schuld begleichen willst, Lorenor Zorro, dann erwarte ich bei deiner Ehre als Schwertkämpfer, dass ich dich bei meiner Rückkehr hier wieder antreffe. Ansonsten werde ich dich verfolgen und das beenden, was die Götter anscheinend nicht geschafft haben.“   Er mochte es, dieses perplexe Gesicht. Der andere brachte nicht einmal einen Ton raus. Siegessicher ging er zur Tür. „Ach ja“, fügte er hinzu. „Kanan ist ein guter Mensch. Behandle sie mit Respekt!“ Dann schloss er die Tür. Ein leises Puff hinter ihm, gab ihm zu verstehen, dass sein Gast ein Kissen gegen die Tür geworfen hatte. Mit einem zufriedenen Lächeln ging er den Flur entlang. Dieser Tag versprach interessant zu werden. „Oh, Ihr seid wach?“, hörte er die vertraute Stimme seines ehemaligen Kindermädchens. „Kanan“, begrüßte er sie, während er die Treppe hinunter kam. Sie hing gerade einen langen Mantel neben den seinen und zog sich ihre Schuhe aus. Darunter trug sie ein langes braunes Kleid mit Rüschenkragen. Im Eingang stand ein großer Korb mit Holz. „Unser Gast ist aufgewacht“, sprach er weiter, nahm den Korb und trug ihn zur Feuerstelle im Wohnzimmer. Sie folgte ihm. „Werdet Ihr nun gehen?“ Er nickte. „Ja.“ Dann begann er die Scheite zu stapeln. Ihre helfenden Hände lehnte er ab. „Ich werde wahrscheinlich erst spät heute Abend zurückkommen Bis dahin gebe ich unseren Gast in Ihre Obhut. Sorgen Sie dafür, dass sie was anderes zum Anziehen bekommt und was Ordentliches isst.“ „Natürlich. Es wird mir eine Freude sein, für das Mädchen zu sorgen. Das arme Ding muss ja ganz Schreckliches durchgemacht haben.“ Dem konnte er innerlich zwar nur zustimmen, allerdings war ihm auch nicht der fröhliche Unterton der Haushälterin entgangen die gar nicht so unglücklich wirkte. Er richtete sich auf und reichte ihr den leeren Korb. „Trotz ihrer Größe sollten Sie Umsicht walten lassen. Ich glaube unser neues Haustier ist ein Angstbeißer.“ „Keine Sorge“, strahlte sie und krempelte sich die Ärmel hoch. „Ich habe sieben Kinder großgezogen und eines davon wart Ihr. Mich bringt niemand so schnell aus der Fassung. Ich komme schon klar. Nun geht schon, geht“, drängte sie ihn zur Tür, sodass er sich gerade noch anziehen konnte, ehe sie ihn schon rausgeschmissen hatte. Während er vor seinem eigenen Heim stand, wurde ihm bewusst, dass er noch die Sachen vom Vortag anhatte. Aber nun gut, ändern konnte er das jetzt auch nicht mehr. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)