Medicine von cielsmelancholy ================================================================================ Kapitel 1: Medicine ------------------- Die Kopfhörer in den Ohren. Das war alles, was ich brauchte. Das war alles, was ich hatte. Ich atmete tief durch und drückte 'play'. Die Stimmen um mich herum wurden leiser, bis sich die Münder der anderen nur noch stumm bewegten. Ich sah sie euphorisch reden und lachen, hörte jedoch keinen Ton, wollte ich auch nicht. Für einen winzigen Moment nur schloss ich nochmal die Augen, ehe ich langsam einen Fuß vor den anderen setzte und durch den, für mich, viel zu überfüllten Gang lief. Doch durch die Musik erschien mir alles viel weiter weg und war erträglicher, obwohl ich die durchdringenden Blicke deutlich spüren konnte. Vielleicht bildete ich sie mir aber auch einfach nur ein. Kurz bevor ich mein Schließfach erreichte, wurde ich angerempelt. Ich betete innerlich dafür, dass ich einfach weitergehen konnte, doch dem war natürlich nicht so. Grob wurde ich am Arm gepackt und herumgedreht. Billys gehässige Visage sprang mich regelrecht an. Völlig übertrieben verzog sich sein Gesicht, hektisch öffnete und schloss sich sein Mund, was an einigen Stellen fast synchron zu dem Song war, den ich gerade hörte, auch wenn sein aggressiver Ausdruck nicht dazu passte. Automatisch fasziniert verglich ich Lippenbewegungen mit Musik und die Zeit schien sich irgendwie zu verlangsamen. Aber nur bis zu dem Moment, an dem mich Billy fest an den Schultern packte und nach hinten warf. Ein kurzer, stechender Schmerz durchfuhr meinen Kopf, als ich gegen die Schließfächer knallte. Doch das war nicht mal das Schlimmste. Ich verlor einen meiner Kopfhörer und musste mich nun vollends mit der Realität – in dem Fall Billy – konfrontieren. Seine Worte und meine Musik vermischten sich konfus. „Du kleines Arschloch. Du denkst wohl...“ »You could still be what you want to be.« „Und dein beschissener Bruder soll...“ »...when I met you.« Mein Blick huschte zu einem der beiden Freunde neben Billy. Ezra. »You've got a warm heart, you've got a beautiful brain.« Ezras Blick war angestrengt, doch er versuchte nur ernst, fast desinteressiert zu wirken. »But it's disintegrating.« „Guck mich gefälligst an, wenn...“ In dem Moment, als ich wieder zu Billy schaute, spürte ich nur wie er seinen Fuß in meinen Bauch rammte. Mir stoppte für einen Augenblick der Atem und ich hatte das Gefühl, mich übergeben zu müssen, doch dem war zum Glück nicht so. Ich nahm Billys schallendes Gelächter wahr. Sein anderer Kumpel, Peter, stimmte mit ein und als Billy Ezra einen auffordernden Blick zuwarf, stimmte auch dieser mit ein, verstummte aber schnell wieder, als sie gingen. Kurz ließ ich meinen Blick durch den Flur streifen. Alle glotzten mich nur an und fingen dann nebenbei an zu tuscheln. Wortlos rappelte ich mich auf, darum bemüht, keinen auch nur winzigen Schmerzenslaut von mir zu geben. Ich war nicht schwach, und sie sollten nicht denken, ich wäre es. Ich nahm den Kopfhörer, der raus gefallen war, und steckte ihn mir wieder ins Ohr. Tschüss, Welt. Schnell, aber nicht zu schnell, verstaute ich einige Bücher in meinem Schließfach und verschwand dann. Tief atmete ich durch, als ich das Gebäude verlassen hatte und hielt mir kurz den Bauch. „Ts, der tritt wie 'ne Pussy“, schoss es mir durch den Kopf und ich streifte mir die Kapuze meines Hoodies über. Es war gerade Frühling geworden, dennoch wehte ein recht frischer Wind. Nichtsdestotrotz ging ich nicht gleich nach hause, tat ich fast nie. Ich benutzte schon lange nicht mehr den Schulbus. Auch wenn es mich eine geschlagene dreiviertel Stunde Zeit kostete, bis ich zu Hause war, zumindest, wenn ich mich beeilte und keinen Abstecher machte. Doch mein Weg führte mich durch den Stadtpark und dort konnte ich nicht einfach weitergehen, ohne einen bestimmten Ort zu besuchen und wenn es nur für fünf Minuten war. Klischeehafterweise war dies die abgeschiedenste Ecke vom Park, welche durch Büsche und Bäume vom Rest abgegrenzt war. Zur anderen Seite hin führte ein steiler Hügel bergab und für den Auf -und Abstieg war einfach jeder zu faul. Verständlicherweise. Ich kämpfte mich durch die Büsche und ließ meinen Rucksack ins Gras fallen, ehe ich mich dazu gesellte. Mit einem tiefen Seufzer ließ ich mich nach hinten fallen, die Arme nach rechts und links ausgebreitet. Mein Blick war starr Richtung Himmel gerichtet, welcher, bis auf vereinzelte Schleierwolken, hellblau war. »We watched the fires together, shared our quarters for a while.« Ungewollt schossen mir Tränen in die Augen, welche ich aber gekonnt zurückhalten konnte. Ich machte die Musik etwas leiser und schloss meine Augen. Weit entfernt hörte ich ein mir vertrautes Lachen. Doch ich wusste, dass es nur in meinem Kopf war. »This has been a day to die on, now the day is almost over.« „Hey, John.“ Das war nicht in meinem Kopf. Das war Ezras Stimme. Ich öffnete meine Augen, nahm die Kopfhörer raus und sah ihn an, in der Hoffnung, dass meine Augen nicht mehr allzu wässrig waren. Ezra setzte sich neben mich ins Gras und blickte schuldbewusst nach unten. „Du weißt, dass...also ich mein, wegen vorhin. Du weißt, dass es mir leid tut, oder?“ Langsam setzte ich mich auf und wanderte mit meinem Blick über's Gras. „Ich weiß“, entgegnete ich knapp und spielte etwas nervös mit den Fingern meiner rechten Hand, ehe ich anfing, Grashalme auszureißen. „Ich wünschte, ich könnte... Ich mein...“ Ezra seufzte und ich hörte die Verzweiflung in seiner Stimme. „Ich weiß“, meinte ich nur wieder. Ich spürte seinen frustrierten Blick regelrecht auf mir ruhen, dann jedoch spürte ich auch seine Hand auf meiner Wange, was mein Herz nach wie vor schneller schlagen ließ. Vorsichtig sah ich ihn an und für einen kurzen Moment trafen sich einfach nur unsere Blicke, ehe er sich vorbeugte und mich küsste. „Ich liebe dich.“ Ezra sagte es so leise, dass ich es kaum verstand. So, wie er es immer tat. „Ich weiß“, erwiderte ich abermals und musste nun leicht grinsen. Er tat es mir gleich und zeigte mir dann seinen schönsten Finger. „Wie geht’s deinem Bauch?“, fragte er, nachdem wir uns beide ins Gras gelegt hatten und ich meinen Kopf auf seinen ausgestreckten Arm gebettet hatte. „Pff, du meinst wegen dem Babykick? Den hab ich doch kaum bemerkt.“ Stimmte nicht ganz. Aber so schlimm war es tatsächlich nicht, da hatte ich schon anderes erlebt. „Ich mein's ernst. Sag mir, wenn's dir schlecht geht, ok?“ Die Sorge in seiner Stimme war nicht zu überhören. Langsam neigte ich meinen Kopf zur Seite und blickte ihm direkt in die Augen. „Klar.“ Ich sagte es ehrlich, meinte es eigentlich auch so. Doch was würde es jetzt bringen, wenn ich ihm sagen würde, dass die Scheiße ganz schön weh tat. Nicht dieser beschissene Tritt. Oder diese grenzdebilen Worte Billys. Nein. Einfach alles. Ezra, wie er daneben stand und zuschaute. Wie er daneben stand und nichts tat. Und wie er daneben stand und mitlachte. Ich war ihm deswegen nicht böse. Ich wusste, wie wichtig ihm diese Sache war. Wie wichtig es seiner Familie war. Ich wusste, dass es ihm leid tat. Mein Blick wanderte wieder gen Himmel und Ezra legte seinen Arm fester um mich und zog mich näher an sich ran. Wortlos. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)