Gegen die Schwerkraft von mickii-K ================================================================================ Kapitel 19: Kämpfen ------------------- Embry POV Ich hasse dich, verschwinde! Ich will dich nicht mehr sehen! Du bist an allem Schuld. Geh, Embry! Erschöpft öffnete ich meine Lider und schielte aus dem Fenster. Der Himmel war noch dunkel, doch am Horizont erkannte man, dass die Sonne hinter den dicken Wolken bereits aufging. Ich seufzte lautlos, aber der Druck in meiner Brust wurde nicht weniger. Er verschwand einfach nicht. Müde legte ich mir meinen rechten Arm über die Augen und versuchte gegen aufkommende Tränen anzukämpfen. Seit fast einem Monat lebte ich nun in dieser elenden Hölle. Das Resultat meines Versagens. Es war schrecklich zu wissen, dass man selbst dafür verantwortlich war. Zu wissen, dass man diese Situation hätte verhindern können. Ich lauschte der Stille in meinem Zimmer. Lauschte meinem flachen Atem, der viel zu schnell ging, als mich der Schmerz erneut einholte. Es war unmöglich vor ihm zu flüchten. Selbst im Traum verfolge mich die bittere Realität und ließ mich nicht zur Ruhe kommen. Die angespannte Stille in meinem Zimmer wurde durch den schrillen Ton meines Handyweckers zerrissen. Irgendwie war es grotesk, dass ein Langschläfer, wie ich es einer war, in letzter Zeit immer vor dem Wecker selbst wach wurde. Ich seufzte laut. Es war Zeit dem alltäglichen Leben nachzugehen. Ein verzweifelter Versuch jedem vorzuspielen, dass alles in Ordnung war. Ein Ding der Unmöglichkeit, wo doch meine ganze Welt in Scherben lag. Scherben, die ich nicht aufklauben wollte. Nicht konnte, da es sich so anfühlte, als würde ich mich jedes Mal daran schmerzhaft schneiden, wenn ich versuchte sie wieder zusammenzufügen. Meine Gelenke protestierten laut, als ich aufstand und ins Bad trottete. Ich stützte mich am Waschbecken ab und musterte mich im Spiegel. Meine Haut hatte eine merkwürdige Farbe angenommen. Als würde ich unter der rostbraunen Haut verfaulen. Es passte zu dem, was ich fühlte. Ich war zum Schatten meiner selbst geworden. Ich fuhr mir durch die Haare und verwuschelte sie ein wenig. Einige Strähnen stachen mir dabei in die Augen. Ich sollte zu Emily gehen und sie mir schneiden lassen. Doch ich mied mein neues, altes Rudel. Denn ich riss sie alle mit in dieses elende Loch, dabei reichte es schon, dass ich in dieser Dunkelheit festsaß. Ich wollte sie nicht mit meinen Gedanken und meiner Erscheinung länger quälen, als nötig. Deswegen hatte ich auch Sam gebeten, dass er mich von der Patrouille erlöste. Es wäre das Beste für alle. Ich stieß mich vom Waschbecken ab und stieg unter die Dusche. Wenn ich pünktlich zur Arbeit kommen wollte, musste ich mich beeilen. Diese Beschäftigung hatte nämlich etwas Gutes an sich. Sie lenkte mich von meinem Elend ab. Manchmal schaffte ich es sogar, dass ich alles um mich herum vergaß. Aber nur manchmal … Ich legte meinen Kopf in den Nacken und genoss den kühlen Wasserstrahl, der mir ins Gesicht prasselte. Das kühle Nass schien mich ein wenig entspannen zu können. Doch ich war nichtsdestotrotz unfassbar müde. Jede Zelle in meinem Körper schrie vor Erschöpfung. Wann war es das letzte Mal gewesen, dass ich richtig ausschlafen konnte? Dass ich morgens ohne dieses Gefühl, dass das ganze Gewicht der Welt auf mir Lasten würde, aufwachte? Es schien mir eine Ewigkeit her zu sein, dabei waren es erst 25 Tage. Fünfundzwanzig nie enden wollende Tage. Fünfundzwanzig Tage voller leere. Und heute fing der Sechsundzwanzigste an … Noch ein Tag den ich durchstehen musste. Ein weiterer in dem ich meiner Sehnsucht, sie zu sehen, widerstehen musste. Kurz holten mich die Worte aus meinem Traum ein und ich erschauderte. Warum bloß konnte ich nicht wenigstens in Ruhe schlafen? Selbst dort wurde ich von ihrer Abweisung gequält. Ich hörte, wie mein Wolf ein leises Wimmern von sich gab, dass in der Leere, die ich mit mir trug, widerhallte. Ein Wimmern, dass immer lauter wurde, bis es mir selbst aus der Kehle entrang. Um meine Fassung ringend, ballte ich meine Hände zu Fäusten und versuchte gleichmäßig zu atmen. Bald würde ich keine Kraft mehr haben. Schon bald würde ich komplett durchdrehen. *** Lustlos stocherte ich in den Rühreiern herum. Eine Portion, die bestimmt für eine Großfamilie reichen würde. Eine Portion, die die Leere im Inneren nicht ausfüllen konnte. Ich schmeckte nichts und großartigen Hunger hatte ich schon seit langem nicht mehr. Meine Mutter seufzte schwerfällig und durchbrach somit die angespannte Stille, die in der Küche schwer über unseren Köpfen schwebte. Uns regelrecht erdrückte. Schuldbewusst biss ich mir auf die Lippen und schielte zu ihr. Sie musterte mich mit einem besorgten Ausdruck und als sich unsere Blicke trafen, lächelt sie mich traurig an. „Embry, mein Schatz. Ich weiß, wie du dich fühlst … aber du darfst nicht dein Leben so weiterführen“, murmelte sie und legte ihre Hand auf den Tisch. Ich folgte ihrer stillen Einladung und drückte ihre Hand. Sie hatte keine Ahnung, wie ich mich fühlte, doch das konnte und wollte ich ihr nicht auf den Kopf werfen. Meine Mom war nämlich ein guter Mensch. Vielleicht sogar der beste Mensch, der mir je begegnet war. „Doch. Ich weiß es“, seufzte sie bestimmend. Wahrscheinlich konnte jede Mutter, die Gedanken ihrer Kinder von den Augen ablesen, doch meine war ein Profi darin. Ihr ganzes Leben hat sie nach mir gerichtet, weshalb sie sofort wusste, wenn etwas nicht in Ordnung war. „Weißt du … Damals war ich in deinem Alter gewesen. Gott, ich war so verliebt und so naiv gewesen. Ich hatte deinem Vater mein Herz geschenkt und an jeder Lüge festgehalten, als wäre ich eine Ertrinkende gewesen. Damals, als ich hierherkam, erfuhr ich, dass er eine Familie hatte. Gott, ich habe mich so geschämt und ich fühlte mich so furchtbar einsam. Meine ganze Welt war in tausend Teile zerbrochen. All die Wünsche und Hoffnungen, die ich damals hatte … Ich stand vor dem nichts“, erzählte sie mit heiserer Stimme. Ich wusste mittlerweile, wer dieses Arschloch war, das meine Mutter in Stich gelassen hatte. Denn als ich ihr von meinen neuen Freunden erzählt hatte und Sams Namen erwähnt hatte, war ihr alle Farbe aus dem Gesicht gewichen. Sie hatte zu zittern begonnen und mir gesagt, dass ich mich fern von ihm halten sollte. Da hatte ich es verstanden und ein schwerer Stein war mir vom Herzen gefallen. Es war gut, dass er mein Vater war. Damit konnten wir alle Leben. Ich, meine Brüder und Sam. Wahrscheinlich war es für ihn auch leichter mich zu akzeptieren, da sein – nein – da unser Vater mich genau so wenig beachtete, wie ihn. Nichtsdestotrotz würde ich ihm am liebsten den Hals umdrehen, für all das, was Mutter wegen ihm hat durchmachen müssen. Ich kannte nämlich die lächerlichen Dorfgeschichten. Sie machten mich so unsagbar wütend, doch ich schwieg. Mutter zu liebe. „Embry. Das Leben geht trotzdem weiter, hörst du. Und wenn ihr wirklich für einander bestimmt seid, dann wird alles wieder in Lot kommen. Glaube mir, dass früher oder später alles gut wird, mein Schatz“, sie drückte meine Hand und lächelte mir zu. Ich nickte ihr nur stumm zu. Was konnte ich darauf schon erwidern? Dass ich wusste, dass sie meine Seelenverwandte war? Dass mein Wolf innerlich starb, während ich wie gelähmt dasaß und die Einsamkeit ertrug? Dass ich mich an Mutters Worte klammerte und so sehr daran glaubte, dass sie recht haben könnte? Mehr als alles andere auf dieser Welt wünschte ich mir, dass sie recht hatte. Dass ich Ana wieder in meiner Nähe haben könnte. Wir brauchten sie. Ich würde alles für sie tun, damit sie glücklich war. Ich hatte mir geschworen sie zu lieben, bis sie sich selbst liebte, doch nicht einmal das würde mir gelingen. Rein gar nichts wollte so funktionieren, wie es sollte. Und das hier war kein verrostetes Auto, wo man ein paar Teile auswechselte und alles lief wieder, wie geschmiert. Nein. Das hier, dieses Elend, war mein Leben und ich konnte nichts tun außer auf sie zu warten. „Danke Mom“, murmelte ich heiser. Ich war dankbar dafür, dass sie immer an meiner Seite war. Auch jetzt, wo ich mehr tot, als lebendig durch die Gegend wandelte. *** „Hey Embry!“ Überrascht sah ich über meine Schulter. Leah stand am Garagentor und musterte mich besorgt. Seufzend zog ich einen Lappen aus meiner Hosentasche und wischte mir meine ölverschmieren Finger ab. „Hey Leah. Was gibt’s?“ Ich wollte gerade auf sie zu gehen, als mich eine riesige Hand an der Schulter packte. „Embry mein Junge, du kannst Feierabend machen“, grinste mich Joseph an und sah zu Leah. „Hübsches Mädchen mein Junge“, flüsterte er mir zu. Ich sah den alten, etwas kräftigeren Mann vor mir an, als wäre er von allen guten Geistern verlassen worden. Was sollte diese Anspielung? Entsetzt schüttelte ich nur den Kopf und nickte meinem Chef zu. „Alles klar, Sir. Bis Montag“, erwiderte ich nur. „Leah ich hol nur schnell meine Sachen“, wandte ich mich ihr zu, ehe ich zu meinem Spind ging. Mit einem lauten Quietschen öffnete ich die metallische Tür des Spinds und betrachtete das Foto, was ich angebracht hatte. Es war ein altes Bild von mir und Ana. Wir grinsten stolz gegen die Kamera und entblößten unsere Zahnlücke. Uns beiden fehlte auf diesem Bild der rechte, erste Schneidezahn. Es sah so furchtbar komisch aus, doch ich konnte bei diesem Anblick nicht lachen. Ich wusste auch nicht, warum ich es hier angebracht hatte. Wahrscheinlich weil ich mich selbst damit bestrafen wollte. Oder weil ich mir wünschte, dass es eines Tages wieder so werden würde. Ich hatte keine Ahnung, doch der Schmerz, der mich bei dem Anblick durchflutete, war angenehm. Es war besser, als die Leere, die ich sonst verspürte. Seufzend schüttelte ich den Kopf und zog meinen Overall aus. Als ich mich umgezogen hatte schulterte ich meinen Rucksack, der voller leerer Tupperboxen war, und ging zu Leah, die noch immer draußen wartete. „Auf Wiedersehen“, rief ich meinem Chef zu, der mir nochmals grinsend zu zwinkerte. Schweigend gingen wir den ganzen Weg zu meinem Haus nebeneinander her. Es war merkwürdig, dass mich Leah besuchte, denn wir hatten privat fast kaum etwas miteinander zu tun. Wir beide hatten unseren eigenen Freundeskreis und unseren eigenen Beruf, dem wir nachgingen, sodass es nie dazu kam, dass sich unsere Wege unbeabsichtigt kreuzten. War etwas im Rudel zwischen Sam und ihr vorgefallen, weshalb sie mit jemandem darüber reden wollte? Mit mir konnte sie darüber reden, denn ich würde mich in nächster Zeit nicht in einen Wolf verwandeln und keiner würde dadurch etwas erfahren. Doch auch das war abwegig. Seitdem wir wieder in Sams Rudel waren, war es nie zu Zwischenfällen gekommen. Leah ist erwachsen geworden und hat Sam sogar verziehen. Soweit ich wusste, hatten sie sich sogar vor einem Jahr zusammengesetzt und ausgesprochen, damit Leah endlich nach vorne sehen konnte. Total in meiner Überlegung versunken, merkte ich erst, dass wir Zuhause angekommen waren, als sich Leah auf die Stufen der Veranda setzte und mich zu sich zog. Ohne ein Wort zu sagen, kam ich ihrer Aufforderung nach und setzte mich neben ihr hin. Konzentriert starrte ich den Kies, der einen Pfad von der Straße bis zum Hauseingang bildete, an und wartete darauf, dass sie zum Reden anfing. „Wie geht es dir?“, durchbrach sie die Stille zwischen uns, ohne ihren Blick vom Wald abzuwenden. Also war ich der Grund für ihren Besuch. Ich lachte heiser auf. Es war ein trockenes, verzweifeltes Lachen, dass sich in ein hysterisches verwandelte. Vermutlich wurde ich wahnsinnig. Leah wendete ihren Blick vom Wald ab und sah mich mitfühlend an. Es war ihr Blick, der mich voller Schmerz und Wissen regelrecht durchbohrte, sodass ich innehielt. Mein Lachen verstummte und ein leises Schluchzen war zu hören. Beschämt senkte ich meinen Blick, stemmte meine Ellenbogen gegen meine Knie und vergrub mein Gesicht in meine Hände. Leahs kleine warme Hand strich mir über meinen Rücken. „Embry …“, redete sie ruhig auf mich ein, als ich anfing mich zu schaukeln. Ich konnte nicht mehr. Ich drehte allmählich durch. Diese Leere in mir drohte, mich zu verschlucken. „Ich kann nicht mehr“, murmelte ich, „Leah, ich kann das nicht mehr.“ Ich wusste nicht warum, aber diese Worte gingen mir in ihrer Gegenwart so leicht über die Lippen. Sie wusste, wie es sich anfühlte, wenn man so einsam war. „Embry. Beruhig dich. Du kannst jetzt nicht aufgeben“, lächelte sie und hob meinen Kopf hoch um mich ansehen zu können. Fast schon mütterlich unterzog sie mich einer Musterung und wischte die Tränen von meinem Gesicht. „Embry. Ana würde das bestimmt nicht wollen. Sie ist doch deine Seelenverwandte. Ich wette, wenn sie wüsste, wie sehr du leidest, würde sie ihre Worte zurücknehmen.“ Ich schüttelte nur den Kopf. „Nein. Würde sie nicht. Sie hasst mich“, meine Stimme klang leer. Leah seufzte und fuhr mir durch die Haare, ehe sie mich traurig anlächelte. „Weißt du, ich bin hier, weil ich dir etwas erzählen möchte. Ich glaube, dass du einen Schubs in die richtige Richtung brauchst, Kleiner“, sie lachte leise, als ich bei ihrem Spitznamen für mich abfällig schnaubte. „Damals, als mich Sam verlassen hatte, war ich auch am Boden zerstört. Wusstest du, dass ich immer dachte, er wäre mein Seelenverwandter? Wie lächerlich das jetzt bloß klingt. Als er einfach verschwand und sich von mir distanzierte, hatte ich mich genau so elend gefühlt. Meine ganze Welt wurde in ein Schwarz-Weiß getaucht. Meine Sinne wurden stumpf. Es war schrecklich. So, wie bei dir jetzt … Aber ich bin kein so netter Mensch. Zumindest nicht so wie du. Ich war immer schon ein wenig eigensinnig und kämpferisch. Wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt hatte, würde ich nicht nachgeben … Also habe ich nach ein paar Tagen beschlossen, um ihn zu kämpfen. Ich würde meinen Seelenverwandten nicht einfach so laufen lassen.“ Leah zwinkerte mir bei ihren Worten dabei zu. „Ich hatte wirklich alles versucht. Alles … Bis ich zur Wölfin wurde und erfahren musste, dass er nicht mein Seelenverwandter war. Dass ich niemals eine Chance haben würde.“ Leah wurde plötzlich rot und knetete verlegen ihre Hände. Ich konnte nicht anders, als sie überrascht anzustarren. Wir alle kannten nur ihre verbitterten Gedanken. Wahrscheinlich war sie vor diesem Vorfall ein unglaublich nettes Mädchen gewesen. Zumindest hatte sie davor in der Schule immer viel gelächelt. Ein Lächeln, das, wen ich recht überlegte, ich seit damals nicht mehr auf ihren Lippen gesehen habe. „Was ich damit sagen will, Embry“, sie seufzte schwerfällig, ehe sie wieder zu mir sah. „Im Gegensatz zu meiner Geschichte, ist Ana tatsächlich deine Seelenverwandte. Sie ist der Mensch, der dich anzieht. Du selbst weißt, dass es unmöglich ist, gegen diese Schwerkraft anzukämpfen. Also, warum kämpfst du nicht stattdessen um sie, Embry? Warum zwingst du sie nicht zu ihrem Glück? Ich meine … etwas Besseres, als dich, wird sie niemals finden … und mal ehrlich, was hast du noch zu verlieren?“, sie legte lächelnd ihren Kopf schief und stupste mich mit dem Zeigefinger an die Stirn. War es wirklich so einfach, wie Leah es behauptete? Statt gegen die Schwerkraft zu kämpfen, sollte ich um Ana kämpfen? Gott, ich war ein solcher Idiot! Ein überraschter Laut entwich Leah, als ich sie fest in eine Umarmung zog. Sie war wirklich ein toller Mensch. Hoffentlich würde sie selbst auch einmal wirklich glücklich werden. „Danke Leah!“ Just in dem Moment kam ein kleiner, roter Mini um die Kurve. Ich hielt schützend eine Hand vor die Augen, als das Auto vor mir parkte und mich die Scheinwerfer blendeten. „Embry?“, hörte ich ihre Stimme. Mein Herz setzte einen Schlag aus. Was wollte sie denn hier? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)