Gegen die Schwerkraft von mickii-K ================================================================================ Kapitel 5: ----------- „Du hast was?“, fassungslos starrte mich Nina an. Ich seufzte. Sie hatte mich schon den ganzen Tag mit Fragen durchlöchert, doch ich war standhaft geblieben. Bis jetzt. Irgendwann konnte nicht einmal mehr ich sie ignorieren, und das sollte schon was heißen. Dennoch ging es mir gegen den Strich. Sie würde bestimmt nur wieder davon reden, dass alles so romantisch war und er mit Sicherheit mein Seelenverwandter sein musste. „Du hast ihn allen Ernstes umarmt?“, kreischte sie. Ich zischte sie an, und deutete ihr, dass sie leise sein sollte. Die Gäste im Kaffee starrten uns nämlich schon an. „Du hast ihn allen Ernstes umarmt?“, flüsterte sie mir zu. Ich verdrehte meine Augen und kicherte leise. Irgendwie war ihre Reaktion zu komisch. Immer steigerte sie sich in alles hinein, es war witzig ihr dabei zuzusehen. „Kneif mich bitte einmal“, hörte ich sie murmeln, weshalb ich verwirrt innehielt. Was war denn nun schon wieder los? Ich sah mich im Kaffee um, aber es schien nichts zu sein. Ich zuckte mit den Schultern und kam ihrer Aufforderung nach. „Au … sag mal, spinnst du?“, zischte sie und rieb sich die Stelle am Oberarm, wo ich sie gezwickt hatte. „Du sagtest ich …“, fing ich an mich zu verteidigen. „Ich weiß was ich gesagt habe. Mann, das sagt man bloß so“, murrte sie. Ich wusste von diesem Sprichwort, wollte es aber dennoch machen. Als kleine Strafe für ihre unsagbare Neugierde. „Oh“, nickte ich ihr zu, „Verstehe.“ Ich stellte mich absichtlich unwissend. Nina boxte mich auf die Schulter und schnaufte. „Tu nicht so blöd“, grinste mich belustigt an. Ihr schien diese Situation zu gefallen. Das war Mal wieder typisch für sie. „Also zurück zum Thema. Warum hast du ihn umarmt? Ich dachte, so etwas wäre ein No-Go für dich“, schmollend verzog sie ihre Lippen. „Ich durfte dich noch nie umarmen“, ergänzte sie murmelnd. Ich sah sie überrascht an. War sie etwa eifersüchtig auf Embry? Erneut musste ich kichern. Dieser Gedanke war grotesk. Nina war meine Freundin und Embry – Embry war halt einfach nur Embry. Ich konnte es nicht wirklich beschreiben. „Du wirkst so glücklich. Egal was er getan hat, es scheint dir gut zu tun. Ich habe dich noch nie kichern gehört. Und den ganzen Tag wirkst du, wie ausgewechselt“, lächelte sie mich an. Ich schüttelte den Kopf. „Ich bin so wie immer.“ Belustigt hob Nina ihre Augenbrauen an und musterte mich. Ich hatte das Gefühl rot zu werden, weshalb ich wegsah. „Nein. Selbst in der Schule hattest du nicht deinen üblichen ‚Wenn ihr mir zu nahe kommt, reiß ich euch in Stücke‘-Blick aufgesetzt. Es war richtig ungewohnt. Beängstigend“, erklärte sie mir. Ich sah sie verstört an. Sie fand es allen Ernstes beängstigend, wenn ich nicht böse guckte? Nina war wirklich der merkwürdigste Mensch, der mir je begegnet war. Mit Abstand! Die Türglocke läutete mit einem gewohnt hellen Klingeln auf. Ich musste gar nicht zur Tür sehen, um zu wissen, wer gekommen war. Ninas Grinsen sprach Bände. „Hallo Embry“, zwitscherte Nina freudig. „Hi Nina. Ana, hallo“, er grinste uns an. Mein Magen zog sich zusammen, als ich seine Stimme hörte. Sie war so wunderschön tief und triefte vor Wärme. Es musste unsagbar schön sein, wenn man von dieser Wärme ein ganzes Leben lang umgeben war. Seine braunen Augen fixierten mich, weshalb ich schnell wieder wegsah. Die Erinnerung an gestern, war noch immer frisch und ich hatte es noch nicht wirklich verarbeitet, um locker damit umgehen zu können. Ich hörte Nina kichern. „Na Embry. Wie geht’s?“, fing sie ein Gespräch mit ihm an. In diesem Moment deute uns ein Pärchen, das es gerne bezahlen würde. Ich sah fragend zu Nina, die mir mit ihrem Blick signalisierte, dass ich gehen sollte. Ein leiser Seufzer entwich mir, als ich zu den Gästen ging. Nina war wunderbar. Sie konnte so einfach auf Menschen zugehen und mit ihnen reden. Ich nicht und dafür beneidete ich sie. Ich konnte nie auf jemanden offen zugehen. Sobald mir jemand viel zu nahekam, verschloss ich mich. Es war ein selbst generierter Schutzmechanismus meinerseits. Man sagte nicht umsonst, dass die Menschen, die einem Nahe standen, einen am meisten verletzten konnten. Deswegen ließ ich es gar nicht so weit erst kommen. Ich sah kurz zu Embry und Nina. Normalerweise ließ ich es nicht zu. Doch die Zwei waren mühelos über meine Mauern zum Herzen geklettert und waren nun ein Risikofaktor. Eines, das ich bei Embry noch immer versuchte einzuschränken. Als die Gäste bezahlt hatten und ich den Tisch abräumte, hörte ich Nina lachen. Verwirrt sah ich zu ihnen und konnte sehen, wie Embry sich verlegen am Kopf kratzte. Ein merkwürdiges Gefühl breitete sich in mir aus. Es war voller Bitterkeit und Enttäuschung. Ich kannte es nicht und es gefiel mir nicht. Ich schüttelte kurz den Kopf und ging zurück zum Tresen. „Worüber redet ihr?“, fragte ich, während ich das Geschirr in die Spülmaschine legte. „Ach … nicht so wichtig“, kicherte Nina und zwinkerte Embry zu. Dieser grinste sie an. Er schien sich prächtig mit Nina zu amüsieren. Anders als bei mir. Ich brachte ihn immer nur zur Verzweiflung. Erneut sah ich zu Nina. Ich nahm ihr Gespräch gar nicht wahr, sondern beobachtete sie nur. Nina wirkte so fröhlich, nahezu gelassen. Ganz anders als ich, wenn ich mich mit Embry unterhalten wollte. Ich war immer in Gedanken und verwirrt. Um ehrlich zu sein, fand ich Nina passend für Embry. Sie waren vom Aussehen her komplett unterschiedlich und doch beide auf ihre Art wunderschön. Vielleicht sollte ich sie miteinander verkuppeln? Sie waren meine Freunde. Tat man so etwas nicht füreinander? Erneut überkam mich dieses merkwürdige Gefühl. Ich hatte das Gefühl, dass sich mein Magen verknotete und mir wurde unsagbar schlecht. „Naja. Ich muss leider wieder los“, hörte ich Embry sagen. Verwirrt sah ich zwischen ihnen. Warum musste er schon gehen? Weshalb war er überhaupt hier hergekommen, wenn er keine Zeit hatte? „Schade …“, säuselte Nina und schielte zu mir. Ein stiller Aufruf an mich, dass ich auch etwas sagen sollte. „Ist gut“, nickte ich ihm, ohne ihn anzusehen, zu. Erneut brachte mich Embry durcheinander. Erneut wusste ich nicht, was ich in seiner Gegenwart machen sollte. Es war zum Verzweifeln. Als ich Nina damals kennengelernt hatte, waren meine Gefühle nicht so durcheinander gewesen. Ich konnte normal denken und rationale Entscheidungen treffen. „Na dann. Bis morgen“, hörte ich Embry noch sagen. Irgendwie klang er enttäuscht. War es wieder wegen mir? Verzweifelt biss ich mir auf die Lippen und beschloss die Kuchenauslage zu putzen. Vielleicht würde mich so etwas ablenken. Als die Türglocke klingelte, schielte ich kurz zur Nina. Sie hatte ihre Hände in ihre Hüften gestemmt und sah mich wütend an. „Warum bist du immer so unhöflich?“, sie schüttelte fassungslos ihren Kopf. Ich sah sie verwirrt an. Würde ich mein Benehmen wirklich als unhöflich einstufen? Vermutlich. Ich atmete schwerfällig aus und strich mir meine Haare hinters linke Ohr. „Ich weiß nicht“, murmelte ich nur und sah weg. Ich hoffte inständig, dass sie das Thema fallen lassen würde. Nina schnalzte bloß mit der Zunge und ging nach hinten in den Pausenraum. „Wir haben morgen einen Mathetest. Kann ich zu dir kommen? Ich hab noch ein paar Fragen, bei denen du mir helfen musst“, fragte mich Nina, als ich vor meiner Haustür stand. Lächelnd sah ich zu ihr und nickte. „Klar!“ Sie hatte seither nicht von Embry gesprochen, weshalb ich ihr dankbar war. Ihre Kommentare zu Embry fand ich unangenehm, erst recht wenn sie wieder von ihren Romanen sprach und mir weiß machen wollte, dass es so etwas wirklich gab. „Hallo Paps“, grüßte ich meinen Vater, als ich ihn im Wohnzimmer sah. Allem Anschein nach hatte er heute früher nach Hause gehen können. „Yo Paps“, Nina hob ihre Faust, was mein Vater ihr gleich tat, und grüßte ihn. Sie nannte ihn auch Paps, weil sie es komisch fand. Meinen Vater schien es nicht zu stören und um ehrlich zu sein, ich hatte das Gefühl, dass die beiden auf derselben Wellenlänge waren. Ich konnte nie mit meinem Vater so natürlich umgehen, wie sie es tat. Es war, als würde ich aus einem parallelen Universum auf sie blicken. Als wäre ich tatsächlich ein Freak, der nicht in diese Welt passte. Mir hat mein Vater früher wirklich leidgetan. Er hatte sich nach dem Unfall schrecklich gefühlt und als wäre das nicht genug gewesen, hatte er auch noch eine sozial-gestörte Tochter. Deshalb freute ich mich umso mehr, dass es Nina gab. Seit sie hier war, konnte ich mich auch meinen Vater gegenüber immer mehr öffnen. Sie war die einzige Person auf dieser Welt, die zu mir durchdringen konnte. Deshalb war sie so etwas, wie meine kleine Botschafterin an meine Umgebung. „Na wie war euer Tag, Mädels?“, fragte er gelassen. Er saß auf der Couch und sah sich ein aufgenommenes Baseballspiel an. „Gut“, meinte ich und ging in mein Zimmer um mir gemütlichere Klamotten anzuziehen. In meinem Zimmer öffnete ich das Fenster auf Kippe und sah mich um. Es wirkte so unpersönlich und leer. Ich hatte weder Fotos noch andere dekorativen Arrangements aufgestellt. Denn ich war der Überzeugung, dass es nicht zu meinem Leben passte, wenn alles bunt wäre. Das einzig Farbliche in meinem Zimmer waren die unterschiedlichen Grüntöne meiner Bettwäsche, die mich an den Wald erinnerten. Ich liebte den Wald sehr, denn auf eine paradoxe Art und Weise identifizierte ich mich mit ihm. Mit einem übergroßen Sweatshirt und Jogginghose ging ich ins zurück ins Wohnzimmer und sah die zwei liebsten Menschen in meiner Welt lachen. „Was ist denn so lustig?“, fragte ich, während ich in die Küche ging. „Ich hab Paps nur von Frau Miller erzählt. Wie du sie gestern fertiggemacht hast“, kicherte Nina. Ich schmunzelte bei dieser Erinnerung. Ich ging in die Küche und inspizierte den Kühlschrank nach möglichen Zutaten. „Was soll ich uns denn kochen?“, fragte ich. „Wie wär’s mit Pizza? Ihr müsst heute sowieso noch lernen“, schlug mein Vater vor. „Oh ja. Pizza find ich klasse. Ich nehme eine Salami“, stimmte Nina begeistert zu. Ich nickte ihnen seufzend zu und setzte mich zum Esstisch, der mitten im Raum stand. „Spatz, du möchtest eine Thunfischpizza oder?“, fragte mein Vater, während er nach seinem Handy griff, das auf dem Wohnzimmertisch lag. Ich nickte. „Ja. Eine Kleine.“ „Juhu … Pizza“, rief Nina begeistert, als Vater aufgelegt hatte. Dieser lachte nur und schüttelte den Kopf. Ich lächelte ihnen zu. Vater lachte immer, wenn Nina da war. Dafür war ich ihr dankbar. Ihre unbeschwerte Art war das Beste, was uns passieren konnte. „Ach Paps. Hat dir Ana eigentlich von Embry erzählt“, grinste sie meinen Vater an. Mit offenem Mund sah ich zu ihr. Sie konnte doch nicht einfach so über einen Mann mit meinem Vater reden. Neugierde blitzte in seinen Augen auf, als er zu mir blickte. „Nein. Wer ist dieser Embry?“ „Dein zukünftiger Schwiegersohn“, lachte Nina und klopfte ihm auf die Schulter. Mit offenem Mund starrte ich meine Freundin an. Sie hatte nicht mehr alle Tassen im Schrank. „Wirklich?“, skeptisch musterte er Nina. Wahrscheinlich dachte er dasselbe. Keiner, der noch ein Fünkchen Verstand besaß, würde so etwas behaupten. „Aber ja doch. Sie hat ihn gestern sogar umarmt. Kannst du dir das vorstellen. Umarmt!“, verkündete sie entsetzt. Jetzt verstand ich, woher der Wind wehte. Sie verzieh es mir immer noch nicht, dass ich das getan hatte. „Was hat sie? Unmöglich. Sie umarmt ja nicht einmal mich! Und ich bin ihr Vater“, entrüstet sah er zu mir. Fassungslos schüttelte ich den Kopf. Sie machten aus einer Mücke einen Elefanten. Und es war ja nicht so, dass ich es absichtlich getan hatte. Mein Körper hatte sich von selbst bewegt, als ich seinen verzweifelten Gesichtsausdruck gesehen hatte. Ich war Menschen zwar nicht so offen gegenüber, wie Nina, doch ich ertrug es nicht, wenn jemand wegen mir traurig war. Nicht nachdem mir Nina die Augen geöffnet hatte und ich meine Umgebung nun viel deutlicher wahrnahm. „Ja. Heute war er bei uns im Kaffee und sie ist total rot geworden“, hörte ich Nina kichern. „Ist sie das?“ Ungläubig starrte ich die zwei an. Sie diskutierten darüber, ob mich Embry mochte und was es mit meiner plötzlichen Akzeptanz von Körperkontakt auf sich hatte. Schmollend saßen sie da, und überlegten sich eine Strafe für mich, da ich ihnen nie diese Art von Zuneigung entgegenbrachte. Das Ganze war einfach nur lächerlich. Embry war mir nicht einmal ansatzweise so wichtig, wie sie. Ich konnte nicht anders, als lauthals darüber zu lachen. Sie hielten inne mit ihrer hitzigen Diskussion und starrten mich mit offenem Mund an. Schmunzelnd wischte ich mir die Lachtränen weg und sah sie fragend an. „W-Was?“, fragte ich verwirrt. „Du lachst“, murmelte mein Vater und sah mich mit glänzenden Augen an. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)