Gegen die Schwerkraft von mickii-K ================================================================================ Kapitel 4: ----------- Der Duft von süßlichem Gebäck und frischem Kaffee erfüllte die Luft. Ich mochte ihn sehr. Es hatte etwas Gemütliches, Entspannendes an sich. Nachdenklich nippte ich an meinem Milchkaffee und sah zu den Gästen. Ich saß ganz hinten im Raum und hatte alles im Blick. Eine Gruppe von Freundinnen saß auf der anderen Seite des Kaffees. Sie waren laut und lachten die ganze Zeit über, während sie von ihren Kindern erzählten. Da war auch noch ein junges Paar, das beim Fenster saß. Es sah sich verträumt an und kicherte die ganze Zeit dümmlich. Im Ernst! Die meiste Zeit über verstand ich nicht, was so lustig an seinen Erzählungen sein sollte. Doch die Frau lachte ständig. Verhielt man sich so, wenn man verliebt war? Es wirkte auf mich genauso, wie es Nina beschrieben hatte. Sie sah nichts außer ihm und er nahm nur sie wahr. Wie sich so etwas anfühlte? Embrys Lächeln erschien vor meinen Augen. Wie er mich ebenso verträumt ansah, mit dieser unglaublichen Wärme. Ich schüttelte leicht den Kopf. Embry war bestimmt nicht in mich verliebt, außer er hätte Tomaten im Kopf und das hatte er nicht. Nein! Nur zu gut konnte ich mich an die braunen Augen, mit feinen karamellfarbenen Tupfern, erinnern. Sie waren wunderschön und hatten mich in irgendeinen Bann gezogen. Einen Bann, der mich nicht mehr losließ. Ich seufzte. Gefühle, wie dieses warme flattern in meinem Herzen, waren mir neu. Sie machten mir Angst. War ich wirklich so ein naives Dummchen, das sich in den erst besten Mann verliebte, der nett zu einem war? Das konnte nicht möglich sein. Wo war mein Misstrauen fremden Menschen gegenüber geblieben? Warum sollte Embry anders sein, als die Menschen zuvor? Warum sollte er sich nicht einen Spaß erlauben? Einen kleinen Flirt mit einem armseligen Mädchen. Vielleicht sah er das als eine Nettigkeit an? Überfordert von all meinen Gedanken und Gefühlen, setzte ich mir meine Kopfhörer auf und blätterte in meinem Literaturbuch. Wir schrieben nächste Woche einen Test über die Literatur Europas. Ich war nicht gut darin. Sprachen waren nie so meins gewesen. Zu den Klängen von lauten Gitarrenriffs, fing ich an zu lernen. Eine riesige, rostbraune Hand wedelte vor meinem Buch, weshalb ich erschrocken zusammenzuckte. Ohne aufzusehen, wusste ich, um wen es sich handelte, denn ich hatte das Gefühl, dass sein Duft den ganzen Raum ausfüllte. Herb nach Wald und Moos. Mein Herz fing an, wild gegen meine Brust zu schlagen und das ganze Blut in meinen Kopf zu pumpen. Nervös biss ich mir auf die Lippen. „Hallo Ana“, er nahm meine Kopfhörer und beugte sich zu meinem Gesicht hinunter. Panisch rutschte ich mit meinem Sessel nach hinten und legte mir eine Hand auf die Brust. Für einen kurzen Moment hatte ich gedacht, dass er mich küssen würde. Ich verlor nun endgültig meinen Verstand. Ich sah zu Embry, der mich verwirrt, mit den Kopfhörern in den Händen, anstarrte. „Ha – Hallo“, erwiderte ich und deutete auf den Platz mir gegenüber. „Setz dich.“ „Wartest du schon lange hier?“, fragte mich Embry, während er sich setzte und seinen Kopf mit der rechten Hand abstützte. Ein Blick zur Uhr an der Wand verriet mir, dass ich schon länger hier war, als ursprünglich geplant. Ich schüttelte den Kopf. „Nein. Nicht so lange“, murmelte ich leise. Nachdem sich mein Herz beruhigt hatte, rutschte ich wieder an den Tisch. „Macht es dir etwas aus, wenn ich diese Passage noch erledige?“, ich deutete auf den letzten Absatz. Er schüttelte grinsend den Kopf. „Dass ich wirklich einmal jemandem begegne, der in seiner Freizeit lernt.“ Ich sah zu ihm. „Ich nehme an, du warst kein guter Schüler?“ „Naja … es hat gereicht“, verlegen lächelte er mir zu. Erneut flatterte mein Herz freudig auf, als ich in seine Augen sah. Sie waren schöner, als ich sie in Erinnerung hatte. Schnell schüttelte ich den Kopf und sah wieder ins Buch. „Ich … Ich lerne gern. Anfangs … nicht so. Die Schule finde ich schrecklich. Aber die Freude von meinem Vater, wenn ich … wenn ich gute Noten bekam … macht mich glücklich … motiviert mich.“, fing ich an zu reden, weil mir die Stille unangenehm war. Er antwortete mir nicht, weshalb ich kurz zu ihm sah. Embry lächelte nur. Es war ein verträumtes Lächeln, das mich an das Pärchen vorhin erinnerte. Ein Lächeln, das mir den Atem raubte. „Du bist eine gute Tochter. Er muss der glücklichste Mensch auf Erden sein“, sagte er mit einer solch zärtlichen Stimme, dass ich eine Gänsehaut bekam. Aus seinem Munde klang es so echt, als würde ich tatsächlich eine gute Tochter sein. Als wäre mein Vater tatsächlich der glücklichste Mensch auf Erden. Doch ich kannte die bittere Wahrheit. Ich wusste, dass ich nichts dergleichen war. Dass ich nur die fehlende zur Schau Stellung meiner Dankbarkeit und Liebe, mit Noten zum Ausdruck brachte. Ich antwortete nicht darauf und fing an eine kleine Zusammenfassung des Absatzes in meinen Block zu notieren. Während ich schrieb, kam die Kellnerin und er bestellte sich einen schwarzen Kaffee und einen Apfelstrudel, der ihm von Sandy empfohlen wurde. Und obwohl Sandy eine durchaus schöne Frau war, die seinem Alter entsprach und die sich nicht genierte mit ihm zu flirten, beachtete er sie kaum. Nachdenklich biss ich auf meinen Kugelschreiber herum. Warum machte mich das so unsagbar glücklich? Ich seufzte und schlug mein Buch einen Tick zu laut zu. „Genug für heute?“ Während ich meine Tasche packte, sah ich zu ihm. Er sah mich schmunzelnd an. Erneut beschleunigte mein Herz das Tempo. Ich nickte ihm nur schweigend zu. „Ist etwas mit deiner rechten Hand? Ich mein, du trägst ständig einen Handschuh und schreibst auch mit links“, fragte er mich unverblümt. Ich konnte in seinen Augen keine bösartigen Absichten erkennen. Doch er war genauso feinfühlig, wie Nina. Sie hatte mir damals sogar meinen Handschuh ausgezogen, als ich nicht geantwortet hatte. Dass sie damals nicht schreiend davongelaufen war, rechnete ich ihr immer noch hoch an. Nein. Nina war nicht davongerannt, aber sie hatte auch nichts Tröstendes gesagt. Sie hatte mich nur blöd gefragt, ob ich noch Schmerzen hätte, da meine Hand schrecklich aussah. Eine glatte Untertreibung, aber ich war nicht darauf eingegangen und hatte nur ihre Frage verneint. Ich hatte keine Schmerzen, konnte aber meine Hand nicht mehr richtig bewegen, da die Nerven zu beschädigt waren. Deswegen wurde auch mein linker Arm zum Rechten und ich lernte das Schreiben neu. „Ich bin Linkshänderin … Es ist nur … nur ein hässlicher Pigmentfleck … ich mag ihn nicht so“, erklärte ich ihm, während ich versuchte, gelassen zu wirken. Dieses Mal schien er mir die Lüge sogar abzukaufen. „Kann ich mir gar nicht vorstellen. Meine linke Hand ist für gar nichts zu gebrauchen. Ist bei dir wahrscheinlich auch bei der rechten so?“, grinste er. Ich nickte ihm zu. Er hatte recht, meine rechte Hand war zu nichts gut. Ich konnte gerade einmal ein Tablett tragen und grobe Arbeiten mit ihr erledigen. „So … Hier bitteschön. Einmal einen Kaffee, schwarz und einen Apfelstrudel nach europäischer Art“, sie lächelte ihn verführerisch an. Ich arbeitete nicht mit Sandy und kannte sie daher kaum, aber ich mochte ihre aufdringliche Art nicht. Irgendetwas an ihr störte mich. „Dankeschön“, antwortete Embry begeistert und strahlte das Stück Kuchen an. Sandy schnalzte abfällig mit der Zunge. Ich sah überrascht zu ihr. Sie hatte sich ihre Haare rot gefärbt und in einem hohen Zopf zusammengebunden. Von ihrer Statur her ähnelte sie Nina, war aber um einiges kleiner. „Wenn Sie noch etwas brauchen, rufen Sie mich einfach“, säuselte sie und verdrehte die Augen, als er ihr überhaupt keine Beachtung schenkte. Ich fand ihre Reaktion komisch. Sehr sogar! Embry hatte allen Anschein nach Nichts von Sandys Annährungsversuchen mitbekommen, denn er stach mit der Gabel in den Apfelstrudel hinein und verdrehte genussvoll die Augen. „Mann ist der Lecker!“, strahlte er mich an. Belustigt fing ich an zu kichern. Seine Reaktion hatte wirklich nichts Erwachsenes an sich. Es entsprach eher dem Niveau eines Kindes, das zum ersten Mal Schokolade aß. „Was denn?“, Belustigung schwang in seiner Stimme mit. Ich versuchte meine Gedanken zu ordnen, um ihm antworten zu können, als es mir dämmerte. Ich hatte tatsächlich gekichert. Er hatte mich tatsächlich dazu gebracht. Zu etwas, zu dem ich schon seit Jahren nicht mehr imstande war. Ich hatte vor langer Zeit die Hoffnung aufgegeben, dass ich jemals wieder grinsen – geschweige denn lachen oder kichern – würde. Wie konnte das passieren? Wann hatte sich bei mir der Schalter umgelegt? Ich sah zu Embry, der mich verwirrt anstarrte. Was geschah nur mit mir? „Ana? Alles in Ordnung?“, er schien sichtlich beunruhigt über meinen Stimmungswechsel zu sein. Sein Blick drang zu mir durch und ging mitten ins Herz. Am liebsten hätte ich sein Gesicht in meine Hände genommen, um ihn zu beruhigen. Ich wollte ihn nicht so sehen. Energisch schüttelte ich mit dem Kopf. Ich sollte schleunigst von ihm weg, bevor ich meinen Verstand verlor. „Ich … ich muss los … es ist spät“, murmelte ich, während ich mir meine Jacke anzog und die Umhängetasche über die Schulter warf. „W-Was? Ana … Hey warte“, rief er mir hinterher, als ich aus dem Kaffee stürmte. Aus dem Augenwinkel konnte ich erkennen, dass er aufgesprungen war und in seine Hosentasche griff. Vermutlich, um seine Bestellung zu bezahlen. Ich musste mich beeilen. Er durfte mich nicht einholen. Keuchend lehnte ich mich an die Wand eines hohen Gartenzaunes. Ich hatte mich in einer Gasse versteckt. Ich würde eine Zeit hier warten und dann nach Hause gehen. Wegrennen hatte keinen Sinn. Ich war nicht gut im Sport und er hatte deutlich längere Beine. Embry hätte mich bestimmt schnell eingeholt. Plötzlich ergriff jemand meine rechte Hand. Erschrocken versuchte ich mich zu entziehen, prallte aber gegen eine heiße Wand. „Ana. Was sollte das?“ Panisch drückte ich mich von ihm weg, weshalb er mich sofort losließ. „Ach ja. Nicht berühren. Vergessen … Sorry“, er lächelte, doch es erreichte seine Augen nicht. Eher wirkte er so, als hätte ich ihn geschlagen. Mein Magen zog sich bei seinem Blick zusammen. Ich wollte ihm nicht wehtun. „Ana … Warum bist du weggerannt?“, bohrte er erneut nach. Sein Blick war von Trauer getränkt. Was sollte ich darauf sagen? Ihm sagen, dass er mich überforderte? Dass ich mit meinen Gefühlen nicht klarkam? Dass es mir mein Herz zerriss, wenn ich diesen traurigen Blick sah? Dass ich mich elend fühlte, weil ich der Grund dafür war? Ich wollte das alles nicht. Er brachte mich aus dem Konzept und ich kannte ihn erst einen Tag. Wobei von Kennen kaum die Rede sein konnte. Schweigend sah ich hinunter zu meinen schwarzen Convers. Embry seufzte laut auf und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Ich schielte kurz hoch zu ihm und erstarrte. Er sah süß aus mit zerzausten Haaren. Deutlich jünger. Die Frage, wie sich seine Haare wohl anfühlten, schwirrte mir im Kopf herum. Fassungslos schüttelte ich meinen Kopf. Ich wollte doch damit aufhören! „Ana … Ana was ist los?“ Verwirrt sah ich ihn an. Seine Stimme klang so ernst. Ich schluckte und ging noch einen Schritt zurück. Ich hätte nicht kommen dürfen. Er war gefährlich. Durch Embry drohte meine Welt aus den Fugen zu geraten. Ich hätte Nina schicken sollen, um ihm seine Weste zu geben. Die Pulloverweste! „Em-Embry … Deine Jacke. Hier ich habe sie auch gewaschen“, murmelte ich, während ich die Jacke aus meiner Tasche holte. Er sah mich entrüstet an. Wahrscheinlich empfand er den Themenwechsel für unhöflich. Ich konnte es ihm nicht verübeln. Just in dem Moment flogen die kleinen Zettel aus der Tasche, die mir meine Mitschüler in den Spind eingeworfen hatten. „Großartig“, murmelte ich und ging in die Hocke, um sie aufzuklauben. Ich hätte die Briefchen im Spind lassen sollen. Als ich nach einem der Zettel greifen wollte, hatte ihn Embry schon aufgehoben. Ich seufzte leise. „Lass das bitte. Ich mach das schon“, meinte ich und sammelte die restlichen Zettel ein. „Stirb Freak?“, las er laut vor. Nachdenklich sah ich zu ihm und nahm ihm den Zettel aus der Hand. Ich hatte nicht gewollt, dass er sie weder sah noch las. Was würde er nun von mir denken? „Amüsant, nicht?“, kommentierte ich die Botschaft meiner Mitschüler und drückte ihm die Jacke in die Hand. Embry biss seine Zähne zusammen. In seinen Augen flackerte der Zorn auf, aber auch Schmerz. Es verwirrte mich, dass er sich die bescheuerte Aussage so zu Herzen nahm, wo es ihn doch gar nicht betraf. „Warum tun sie so etwas?“ Er hatte seine Hände zu Fäusten geballt und schien innerlich zu brodeln. Irgendwie war ich glücklich darüber, dass es ihn so aus der Fassung brachte. So als würde ich ihm etwas bedeuten. Kurz überlegte ich, was ich tun sollte. Ich war noch nie mit einer derartigen Situation konfrontiert gewesen. Zögernd hob ich meine linke Hand und strich ihm über seinen Arm. Anders als ich war er dem Körperkontakt nicht abgeneigt und vielleicht beruhigte ihn das. Überrascht versteifte sich seine Armmuskulatur bei der Berührung, entspannte sich aber sofort. Wieder fiel mir auf, wie unnatürlich heiß er war. Embry lächelte mir liebevoll zu, doch ich konnte erkennen, dass er auf eine Antwort wartete. Ich seufzte und zog meine Hand wieder zurück. „Keine Ahnung? Wirklich. Weil es vielleicht zutrifft?“ Letzteres war an mich selbst gerichtet, doch er schien es zu hören. „Was meinst du damit? Auf mich wirkst du nicht wie ein Monster … im Gegenteil … Du“, fing er an, doch ich schüttelte nur mit dem Kopf. „Lass gut sein, Embry. Monster hin oder her … ich hab einen riesen Hunger! Ich werde mich jetzt auf den Weg nach Hause machen. Mein Vater müsste auch bald daheim sein“, warf ich ein und lächelte ihn schief an. Ich wollte weg von ihm. In seiner Gegenwart war ich nicht ich selbst. Sein Blick war unergründlich. „Okay ... Ich begleite dich sicher nach Hause“, nickte er und lächelte mich leicht an. Ich protestierte nicht dagegen, denn er wirkte zu entschlossen, um ihn von dieser Idee abbringen zu können. Wir gingen schweigend nebeneinander her. Embry hatte kein Wort gesagt, weshalb ich ihm dankbar war. Ich war in seiner Gegenwart einfach nicht mehr ich selbst. Er löste in mir so viele Gefühle aus, dass ich nicht mehr wusste, wohin mit all den Empfindungen. Es war fast so, als würde mein einst zu Eis gewordenes Herz, von einer unglaublichen Wärme umhüllt. Er war wie Nina. Embry riss meine selbst gezimmerten Mauern nieder und drang einfach zu mir durch. Ob ich es wollte oder nicht, stand gar nicht zur Debatte. Ich verstand diese Gefühle nicht. Wie konnte ich einen Menschen schon nach einem Tag mögen? Ich wusste nicht einmal, was seine Lieblingsfarbe war, oder was er gerne aß. „Sag mal … Was ist denn eigentlich deine Lieblingsfarbe?“, schoss mir die Frage aus dem Mund. Verwirrt blieb er stehen und fing an zu lachen. „Was ist bloß los mit dir? Du verhältst dich komisch Ana. Hast du Fieber?“, er legte seine Hand auf meine Stirn und betrachte mich mit einer gespielten Ernsthaftigkeit. „Nein … Fieber hast du keines“, lächelte er mich schief an. Fassungslos starrte ich ihn an. „Fieber? Ich? So heiß, wie du bist, solltest du dich lieber, um dich selbst sorgen!“, rief ich besorgt und machte es ihm nach. Er war wirklich brennend heiß. Dass er da noch normal auf den Beinen stehen konnte, war unglaublich. „So? Du findest mich heiß?“ In seinen Augen war deutlich der Schalk zu erkennen. Ich schnalzte nur mit der Zunge und ging weiter ohne ihm darauf zu antwortet. Er machte sich über mich lustig. Natürlich tat er das! Wer würde sich nicht über einen Idioten, wie mich lustig machen? Als ich seine Schritte hinter mir hörte, schlug mein Herz laut gegen die Brust. Ich hatte das Gefühl, die Kontrolle über alles zu verlieren. Embry warf mich total aus der Bahn. Er war wie eine monströse Welle, die mich einfach mit sich riss. Nervös biss ich mir auf die Lippen. Was sollte ich bloß tun? Das hier war alles nicht normal. Embry war nicht normal. Er hatte so hohes Fieber, das er nicht mehr klar denken konnte. Das musste es sein! Denn niemand bei klarem Verstand würde sich so wechselhaft wie er verhalten. Niemand, der bei Sinnen war, würde sich mit mir abgeben. „Das ergibt Sinn“, dachte ich laut nach. So blöde Märchen, von denen Nina sprach, gab es nicht. Warum vergaß ich das immer, sobald ich ihn sah? „Was ergibt Sinn Ana?“, in seiner Stimme schwang Verwirrung mit. Ich blieb stehen und sah ihn mit schmalen Augen an. Er war definitiv schön. So schön, dass es mir nicht leicht fiel, meinen Blick von seinem Gesicht abzuwenden. Sein Körper war muskulös, aber nicht stämmig. Eher so wie bei einer Wildkatze. Schlank und kräftig. Als ich ihm wieder ins Gesicht sah, grinste er verschmitzt. „Was soll das denn werden?“ „Embry … was führst du im Schilde?“, fragte ich ihn direkt. Ich war noch nie der Typ gewesen, der gerne um den heißen Brei redete. „W-Was meinst du?“ Meine Frage schien ihn sichtlich zu überrumpeln. Ich seufzte nur und ging weiter. Es war leichter für mich meine Gedanken zu ordnen, wenn ich in Bewegung war. „Hör zu. Ich verstehe es, wenn du deinen Spaß haben willst. Dich wegen gestern rächen möchtest oder einfach nur eine Wette verloren hast. Aber … bitte nicht mit mir.“ Ich blieb kurz stehen, und sah über die Schulter zu ihm. Er starrte mich mit hochgezogenen Augenbrauen an, als wäre ich von allen guten Geistern verlassen. Das war ich auch. Wegen ihm. Und ich musste schnell wieder in meine Normalität zurück. „Embry, sieh dich doch an. Du bist … einfach nur … wow … und ich … ich weiß, wie ich aussehe. Bitte sei ehrlich zu mir. Ich möchte nicht verarscht werden“, flehte ich ihn an. Ich musste es endlich von meiner Seele runterreden und irgendwie, dachte ich mir, dass jetzt der beste Augenblick war. Als ich mich zu ihm umdrehte, stand er ein paar Schritte von mir entfernt. Ich konnte seinen Gesichtsausdruck nicht interpretieren. Kurz flackerte in seinen Augen die Wut auf. Genau wie vorhin, als der den bescheuerten Brief meiner Mitschüler gelesen hatte. „Ich habe keine Wette verloren, noch möchte ich mich an dir rächen … für was denn überhaupt? Ich kann es dir auch nicht richtig erklären … aber bitte zweifle nicht an meiner Ehrlichkeit. Das mein ich ernst“, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Seine Stimme war heiser und er schien wirklich unter meinen Worten zu leiden. Mal wieder hatte ich es geschafft, ihn zu verletzten. Mein Herz zog schmerzhaft zusammen, als ich die Verzweiflung in seinen Augen sah. Irgendwo in meinem Inneren beschloss ich, ihm zu vertrauen. Ich wollte daran glauben, dass auch mir ein wenig Glück im Leben zustand. Dass er wirklich nichts im Schilde führte. Ohne es innerlich auszudiskutieren, ging ich auf ihn zu und umarmte ihn. Es war meine erste Umarmung seit Jahren und es fühlte sich verdammt gut an. Embry selbst schien diese Reaktion von mir genauso wenig erwartet zu haben, wie ich, denn er stand zuerst, wie versteinert, da, bis er meine Umarmung erwiderte. Seine Umarmung war heiß, doch irgendwie total angenehm. Es war, als würde auch die letzte Zelle in meinem Körper von seiner unmenschlichen Hitze erwärmt werden. Das einzige was mir in diesem Moment durch den Kopf ging, war eine kleine Passage aus meinem Literaturbuch. Das Herz hat seine Gründe, die der Verstand nicht kennt. - Pascal Blaise   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)