Wings of Freedom von Lady-Phantomhive ================================================================================ Prolog: -------- „Und?“ lächelte Erwin. „Wie macht er sich?“ Die schäumende Wut, die Levi spürte, sah man ihm gar nicht an, doch der Kommandant wusste nur zu gut, was sein bester Freund empfand und musste sich das Lachen verkneifen. „Dieses dumme Gör…ist wirklich dumm“ zischte Levi und holte Luft, während Erwin ihm auf die Schulter klopfte. „Hab Geduld…“ sprach Erwin und beide schauten aus dem Fenster um Eren dabei zu beobachten wie er halbwegs versuchte einem bockigem Pferd das Zaumzeug anzulegen. Doch dem Pferd schien es nicht zu gefallen, denn Augenblickich holte er aus und verfehlte den Kadetten um Haaresbreite. „Siehst du, sogar das Pferd hasst ihn“ bestätigte Levi und schüttelte den Kopf. „Willst du mir damit sagen, dass du ihn hasst?“ fragte Erwin gelassen. Levi drehte sich um und nahm auf dem Sessel Platz. „Nein…das tue ich nicht“ war die knappe Antwort und er beliess es auch dabei. Der Kommandant lächelte und schaute wieder auf seine Dokumente herab. „Wir haben dieses Jahr wieder einen ordentlichen Nachschub an Jungkadetten- und Kadettinnen bekommen“ sagte er und seine Stimme klang monoton, was Levi aufhorchen liess. Auch wenn man es ihm nicht ansah, so konnte Levi einen Funken von Schmerz in seinen Augen erkennen. „Du kannst es wohl nicht vergessen, wie?“ bemerkte Levi ohne jegliche Emotionen in seinem Gesicht. „Wie kann man so etwas vergessen, Levi?“ konterte der Kommandant. Der Corporal verschränkte seine Arme und lehnte sich zurück. „Also ich kann es gut.“ Er konnte nur zu gut hören, wie sein Freund tief Luft holte und ihn ansah. „Zumindest kann ich es von der Arbeit trennen“ fügte Levi schnell hinzu. „Es ist ja nicht so, dass man es komplett aus den Erinnerungen streichen könnte…sie hatte immerhin für grossen Trubel gesorgt. Jeden verdammten Tag…“ Erwin hob seine Augenbrauen, als er das leichte Knurren in Levis Stimme erkennen konnte. Seine Gesichtszüge wurden weicher. „Oh ja, das hatte sie und wenn ich Eren sehe, dann sehe ich merkwürdigerweise auch einen Teil von ihr. Seine ganze Art, auch seine leichte Naivität und sein Lachen….diese strahlenden Augen…“ Levis Oberkörper drängte sich leicht zurück und er sah Erwin an, als wäre er komplett verrückt geworden. „Aber nicht, dass du mir über ihn herfällst, nur weil er einer gewissen Person ähnelt.“ Erwin räusperte sich. „Vor deinen Augen? ...Niemals!“ lachte er. „Dummes Pferd!“ schnaubte Eren wütend, liess das Zaumzeug fallen und stapfte wütend davon. Der schwarze Hengst wieherte ihm spöttisch hinterher. „Jaja, mach dich nur lustig über mich“ rief Eren und legte seinen grünen Umhang an. Es dämmerte und er wollte gerade den Stall verlassen, als ihm das braune Pferd des Kommandanten auffiel. Seufzend ging er auf den Hengst zu und berührte vorsichtig und ehrfurchtsvoll seine Nüstern. Das Pferd schnupperte an seinen Händen, neigte den Kopf etwas herab und hin und her, als er schliesslich Erens Hand doch noch erwiderte. Ein strahlendes Lächeln breitete sich auf Erens Lippen aus und er streichelte den Hengst liebevoll „Du bist aber lieb. Kein Wunder, dass der Commander einen Narren an dir gefressen hat. Du bist sicher ein treuer Gefährte von ihm…“ „Oh ja, das ist er, in der Tat“ erklang eine tiefe Stimme. Eren schreckte auf, drehte sich schnell um und blickte in Erwins Gesicht. „Ah…Guten Abend Commander Erwin!“ rief er aus und salutierte streng, wobei Erwin sich ein Lächeln verkneifen musste. „Guten Abend, Kadett Jäger“ sagte er höflich, ging zu seinem Hengst und streichelte ihn ebenfalls sanft. „Bist du fertig mit deiner Arbeit?“ Eren sah ihn an und nickte. „Ja, ich habe alles gewissenhaft erledigt, so wie Captain Levi es wollte.“ „Gut“ antwortete der Kommandant und löste den Strick, das das Pferd davor bewahrte zu flüchten. „Magst du mit mir ausreiten?“ Diese Frage war so simple und doch so merkwürdig, dass Eren ihn erst einmal verwundert anstarrte. „Wie…was? Meint Ihr das ernst?“ Erwin lachte. „Würde ich dir diese Frage stellen, wenn ich es nicht ernst meinen würde?“ fragte er leicht spöttisch und schwang sich auf seinen Hengst. „Na los…hol dir dein Pferd. Ich will dir etwas im Wald zeigen.“ Eren nickte abermals heftig und ging los, was den Kommandanten wieder leicht spöttisch lächeln liess. „Ja, der genau gleiche Gesichtsausdruck…“ Levi sah aus dem Fenster und beobachtete den Moment, als beide schliesslich Seite an Seite das Quartier verliessen und Richtung Wald ritten. „Tss…ob dieses dumme Gör ihn und seine alten Gefühle nachvollziehen kann? Ich bezweifle es ja.“ Impulsiv öffnete er die Schublade von Erwins Schreibtisch und entdeckte ein Buch ohne Titel. Sein kalter Blick wanderte über das alte Cover. „Dein Herz wird sich nie davon lösen können, hab ich Recht, Commander?“ „Wo sind wir hier?“ fragte Eren und sah sich um. „Es ist sehr schön hier, was sind das für Blüten?“ Sein Blick wanderte nach oben. Sie standen mitten im Wald und um sie herum, Bäume, die rosarote Blüten trugen. „Kirschblüten“ antwortete Erwin, der von seinem Hengst herabgestiegen war. Sofort machte es ihm Eren gleich. „Dieser Ort hat eine ganz besondere Bedeutung für meine Einheit und für mich…ja, auch wenn Levi es nicht zugeben würde… er erinnert sich jeden Tag hierher zurück.“ Eren folgte ihm und sah ihn an, während er diese Worte sagte. „Dieser Ort? Was ist hier denn passiert?“ Bevor Erwin jedoch seine Frage beantworten konnte, hatte er sich bereits unter einem Baum ins Gras gesetzt. „Das möchte ich dir gerne erzählen.“ Der junge Kadett blinzelte überrascht und setzte sich neben ihm hin. „Sie möchten mir eine Geschichte erzählen?“ Erwin legte seinen Kopf leicht schief und betrachtete ihn. „Ich kann langsam verstehen warum Levi dich die ganze Zeit dummes Gör nennt.“ Eren schwieg, doch seine Augen verdrehten sich leicht. „Wie dem auch sei…An diesem Ort geschah das grosse Glück und Unglück zugleich. Ich will dir die Geschichte eines Menschen erzählen, den meine Einheit und ich ins Herz geschlossen haben. Ohne diese Person, würden wir wahrscheinlich alle gar nicht mehr leben…“ Eren konnte beobachten, wie sein Blick in die Ferne glitt und seine Worte immer mehr an Gefühlen zunahm. „Es ist die Geschichte eines jungen Mädchens, dessen zahmes Herz durch den Tod verwildert wurde. Ihr Name war Shiori Winter." Kapitel 1: Die Schwerter, die Rosen und die Schwingen der Freiheit ------------------------------------------------------------------ * Fünf Jahre zuvor * „Shiori, die Kisten mit dem Brot für die Kaserne sind da drüben, kannst du sie nachher Adam überreichen?“ rief Frau Adalia. Ein braunhaariges Mädchen mit langen Zöpfen, einer weissen Haube auf dem Kopf und rehbraunen Augen sah zur Türe und strahlte ihre Chefin an. „Ja, natürlich“ erklang ihre glockenhelle Stimmt, die von Freude nur so sprudelte. Ohne das ihr Lächeln aus dem Gesicht verschwand, raffte sie ihren, von Mehl, Zucker und Schokolade, beschmutzen Arbeitsrock und nahm eine Strähne aus dem Gesicht, wobei sie aus Versehen einen Mehlabdruck auf ihre Wange schmierte, den sie nicht bemerkte. Als die Uhr pünktlich 08:00 schlug, erklang das allbekannte Klopfen an der Eingangstüre. Shiori drehte sich um und blickte in das Gesicht eines Jungspunds mit kurzen wuscheligen schwarzen Haaren. Sofort erhellte sich sein Gesicht, als er sie sah. „Guten Morgen, mein Täubchen…“ rief er aus, wobei die anderen weiblichen Bäckerinnen leise zu kichern begannen und Shiori vielsagende Blicke zuwarfen. Doch diese holte nur Luft und runzelte ihre Stirn. Adam lächelte bloss und stütze sich an der Arbeitstheke ab, ohne den Blick von ihr abzuwenden. „Du siehst wieder einmal hinreissend aus“ lachte er, als er den Mehlabdruck auf ihrer Wange bemerkte. „Und mir gefallen deine Zöpfe…“ Mit geröteten Wangen drehte Shiori ihrem Sandkastenfreund den Rücken zu. Ohne seinen schmeichelnden Worten Beachtung zu schenken, ging sie in die Knie und hob die schweren Kisten hoch um sie gleich darauf Adam in die Arme zu drücken, der erst mal leicht zurücktorkelte. „Das hier muss so schnell wie möglich in die Kaserne gebracht werden, denn die Soldaten von der Aufklärungslegion könnten jeden Moment ankommen…“ Adam lächelte. „Freust du dich, deinen Vater wiederzusehen?“ Wie erwartet, wurden Shioris Gesichtszüge sanfter und die Liebe sprach aus ihren Augen. Ein Anblick der sein Herz höher schlagen liess. „Ja…ich habe ihn ein ganzes Jahr lang nicht mehr gesehen. Ich sehne mich nach dem Moment ihn wieder in meine Arme schliessen zu können.“ Er hob seine Augenbrauen. „Ich wünsche du würdest das auch zu mir sagen.“ Shiori presste ihre Lippen zusammen und ballte die Hände zu Fäusten, was Adam zum Lachen brachte. „Nimm einfach die Kisten und verschwinde“ zischte sie mit geröteten Wangen. Adam lächelte sie spöttisch an. „Bekomme ich dafür einen Kuss?“ fragte er leise, doch Shiori schlug mit dem Handtuch auf ihn ein, was ihn nur noch mehr lachen liess. „Scher dich raus und komm bloss nicht nochmal hierher!“ „Schlag mich so viel du willst, früher oder später werde ich dich bändigen!“ rief er noch, bevor er schnell aus der Bäckerei flüchtete und eine völlig geschockte Shiori hinterliess, die erst einmal wie erstarrt dastand. „Hey, Shiori…Du Glückkind“ rief eine junge Frau, die an der Theke stand und das Spektakel betrachtete hatte. „Du solltest in nehmen, er ist so ein witziger Kerl und scheint wirklich in dich verliebt zu sein.“ Shiori seufzte bei ihren Worten. „Adam ist mein Kindheitsfreund…ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen mit ihm zusammen zu sein.“ Völlig angespannt verliess das junge Mädchen den Laden und ging hinab in die Backstube, wo sich ihre Chefin befand, die ebenfalls grinste. „Ich habe alles gehört“ säuselte sie und schob den Teig in den Steinofen. „Adam ist aber wirklich ein guter Mann und eine gute Partie für dich. Er ist fähig dich zu versorgen. Hast du denn nicht vor eines Tages zu heiraten und eine Familie zu gründen?“ Das braunhaarige Mädchen seufzte, musste aber dann doch lächeln. „Ja, das ist der Wunsch meiner Familie, aber ich bin doch erst sechzehn. Ich habe noch etwas Zeit um darüber nachzudenken, Frau Adalia. Ein Mann steht bei mir nicht an erster Stelle…“ Sie nahm ein paar saubere Tücher und legte diese zusammen. „Ihr wisst doch, ich arbeite hart um meine Familie zu versorgen. Sie sollten ein möglichst sorgenfreien Leben haben“ sagte sie und begann zu strahlen. „Ausserdem kehrt doch mein Vater heute zurück.“ Frau Adalia, die Besitzerin der Bäckerei und Shioris Meisterin, lächelte seelig. Das Mädchen war ihr wirklich sehr ans Herz gewachsen. Und sie gönnte ihr das freudige Wiedersehen mit ihrem Vater. Shioris Gedanken waren weit weg. Ihr Vater war schon so lange fort. Mit jedem weiteren Tag wuchsen ihre Sorgen um ihn, denn die Gefahren ausserhalb der Mauer zogen sich ins unermessliche. Frau Adalia seufzte kläglich und wusste genau, an was Shiori sich wieder festhielt. „Fängst du schon wieder damit an? Das Militär ist nichts für so zarte Mädchen wie dich, Liebes. Dort gehen deine talentierten Hände kaputt und deine Kreativität wird verzerrt von der bitteren Wahrheit der Aussenwelt. Ausserdem…bist du doch gar nicht gebaut für den Kampf. Ich hätte grosse Angst um dich…“ Frau Adalias Blick senkte sich traurig und sie setzte sich auf den Schemel hin. Shiori kam auf sie zu, kniete sich nieder und nahm ihre Hand. Auf ihren Lippen ein sanftes Lächeln. „Mir ist bewusst, dass viele dagegen sind, aber es war mein Vater, der mir beigebracht hatte mit einem Schwert zu kämpfen. Er nahm mich sogar auf die Mauer und ich konnte die Welt da draussen sehen. Mein Mutter war schon immer dagegen gewesen, sie wollte aus mir eine gute Hausfrau und Mutter machen.“ Bei ihren eigenen Worten musste sie lachen. „Meine Mutter würde nicht mehr mit mir reden…und meine Geschwister würden es nicht verstehen, wenn ich von Zuhause verschwinden würde…“ „Aber genau deswegen darfst du nicht gehen, Shiori…“ unterbrach die Bäckerin sie besorgt und sah sie verzweifelt an. Das Mädchen hielt inne. Ihr Blick wanderte von ihren Händen zum Tisch hinter dem Schemel, als ihr Herz vor Schreck einen Schlag ausliess. „Shiori!“ rief Frau Adalia erschrocken, als sich das Mädchen losriss und auf den Tisch zu rannte. „Dieser Idiot…“ zischte sie wütend und packte den Wollsack mit den Äpfeln. „…er hat sie doch tatsächlich vergessen! Tut mir leid, Frau Adalia, aber ich muss das hier schnell zur Kaserne bringen.“ Die Bäckerin jedoch konnte sie nicht mehr aufhalten, so schnell war sie verschwunden. Mit schüttelndem Kopf sah sie ihr aus dem Fenster hinterher. „Dieses Kind ist so naiv…Ich hoffe nur, dass sie eines Tages den richtigen Weg einschlagen wird.“ „Verzeihung….Entschuldigen Sie bitte….darf ich kurz durch?!“ rief Shiori und versuchte sich einen Weg zwischen dem Gedränge auf dem Marktplatz zu bannen. Mit dem Sack Äpfel über ihrer rechten Schulter zwängte sie sich durch die Menschenmassen und rannte den Weg hinauf zur Kaserne. Schon von Weitem sah sie einen Soldat winken und begann zu strahlen. Mit allerletzer Kraft kam sie oben an. „Guten Morgen, schon so früh auf?“ lächelte der Torwächter. „Guten Morgen, Thomas, verzeih die Störung aber Adam hat die Äpfel vergessen, deswegen musste ich ihn nachrennen. Gewährst du mir den Eintritt?“ Der blonde Mann lachte. „Ja, ich habe Adam eben gerade gesehen, er hatte irgendwie gute Laune gehabt“ sagte er, während er seinen Männern das Zeichen zur Toröffnung gab. „Er scheint verliebt zu sein. Wer ist denn die Glückliche?“ Bei den Worten errötete Shiori sofort und sah weg. „Das ist seine Sache“ murmelte sie. „Wa…was?“ Shiori drehte sich um und lächelte Thomas an. „Nichts, nichts…vielen Dank. Einen schönen Tag wünsche ich dir, Thomas.“ Mit diesen Worten betrat Shiori die Kaserne und ging, den Blicken einiger Soldaten vermeidend, geradeswegs in den Hintereingang der Küche. „Shiori?“ Ein weisshaariges Mädchen in Kadettenuniform stand vor ihr und sah sie erstaunt an. Sofort wurden Shioris Augen gross und sie liess beinahe den Wollsack mit den Äpfeln fallen. „Sophie…?“ hauchte sie fassungslos und ihr Blick wanderte zur Uniform, die ihr wirklich gut stand. Ehrfurcht blitze in ihren Augen auf. Das Mädchen mit den kurzen weissen Haaren und den wunderschönen grünen Augen, lächelte sie an. „Du…arbeitest immer noch in dieser Bäckerei?“ fragte sie, wobei es wie ein Vorwurf klang. Shiori biss sich die Zähne zusammen und ihre rechte Hand formte sich zu einer Faust. „Ja…“ antwortete sie schlisslich etwas kleinlaut und ein beschämendes Gefühl übermannte sie. Sophie war hübsch und stark. Sie war die Ruhe und Disziplin in Person. Und seit einem Jahr war sie offizielle Soldatin der Mauer Garnison. Vorsichtig legte das weisshaarige Mädchen ihre Hand auf Shioris Kopf und streichelte sie. „Du bist so süss“ begann sie auf einmal zu schwärmen und kicherte leise. Leicht bestürzt über diese Aussage, runzelte Shiori die Stirn. „Ich bin nicht süss“ murrte sie kleinlaut, was Sophie jedoch nur sanft lächeln liess. Ohne ein weiteres Wort darüber zu verlieren legte Shiori den Wollsack ab und streckte sich den Rücken durch. „Sag mal Sophie, wie ist es denn so in deiner Einheit? Wie verlief deine Ausbildung zur Soldatin? Ich habe so viele Fragen an dich“ lächelte sie und wischte sich den Staub von ihrer Arbeitsschürze. Völlig gelassen nahm Sophie einen Apfel und biss kräftig hinein. Beeindruckt von ihrer Ruhe, sah Shiori sie an. „Tja, was soll ich dazu sagen?“ murmelte Sophie. „Es war hart und einige waren emotional so am Ende, dass sie schon mehrmals darüber nachdachten, aufzuhören um ein normales Leben zu führen. Aber, weisst du….was ist ein normales Leben ohne die Hilfe von uns, die die Mauern schützen und die Titanen bekämpfen?“ Abermals wuschelte sie Shiori über den Kopf, die ihre Augen leicht zukniff. „Eines ist sicher…man wird dort erwachsen.“ Ein trauriges, aber auch erfülltes Leuchten blitze in ihren Augen auf, was Shioris Herz höher schlagen liess. Ihre gross gewordenen Augen liessen Sophie leise auflachen. „Willst du immer noch beitreten?“ Eine Gänsehaut breitete sich auf Shioris Armen aus und sie holte Luft. Mit einem Nicken ihrerseits, senkte sich Sophies Blick. „Wenn ich du wäre, würde ich aber nicht.“ Das braunhaarige Mädchen öffnete den Mund und wollte etwas erwidern, aber Sophies ernst gewordener Blick liess sie inne halten. „Dein Charakter wäre nicht stark genug dafür. Sie würden an deinen Grenzen nagen, bis du innerlich zu bluten beginnst und dann würden sie dich für unfähig einstufen, die Ausbildung abzuschliessen…“ „Warum sagst du sowas?“ Shioris leise Frage, liess sie verstummen. Das braunhaarige Mädchen blickte zu ihr auf und Sophie begriff sofort, dass sie einen wunden Punkt berührt hatte. „Alle…sie alle sagen immer und immer wieder das Gleiche. Vielleicht mögen meine Gedanken naiv und dumm sein. Ja, ich könnte wirklich ein friedvolles Leben haben mit einem Mann an meiner Seite. In naher Zukunft würde ich Kinder zur Welt bringen…aber weisst du was Sophie?“ Tränen schwammen in ihren Augen und Sophie sah ihr Herz bluten. „…ich hänge an dem Wunsch, meine Familie zu beschützen. Mag sein, dass mein kleiner Bruder eines Tages in die Fussstapfen meines Vaters treten und die ganze Familie stolz machen wird. Dieser Gedanke ist egoistisch, aber wenn ich es nicht einmal versuchen würde, dann würde ich es mein ganzes Leben lang bereuen.“ Sophie, die ihren Worten Gehör geschenkt hatte, sagte nichts. Dieses Kind, das gerade mal sechzehn Jahre alt war, wollte eine Kämpferin werden? Sie lächelte. „Dein Herz steht in Flammen und schlägt für das Schlachtfeld ausserhalb der schützenden Mauern. Unseren neu ernannten Kommandanten, Erwin Smith, würde das höchst beeindrucken.“ Shiori blinzelte. „Erwin Smith?“ murmelte sie und Sophie nickte einmal. „Er ist gerademal 23 Jahre alt und der jüngste Kommandant seit jeher. Du wirst es am Anfang mit ihm zu tun bekommen, wenn du dich wirklich für das Militär entscheidest.“ Aufmunternd klopfte Sophie ihr auf die Schultern. „Meine Worte haben dich verletzt nicht wahr?“ fragte sie mütterlich und lächelte auf sie herab. „Das tut mir sehr leid. Wenn du das Gefühl hast stark genug zu sein, dann wirst du es ganz sicher schaffen und deine Familie eines Tages stolz machen. Es ist ein einziger Überlebenskampf und wenn du diesen Kampf gewinnst, kannst du absolut alles bezwingen, was dir im Weg steht.“ Shioris Herz begann auf einmal an Tempo zuzulegen und der hoffnungsvolle Schimmer in ihren Augen kehrte zurück. „Gib nicht auf, Shiori“ sagte Sophie, richtete sich auf und salutierte stolz, worauf Shiori wie gelähmt dastand. „Ob du eines Tages das Schwert in den Händen halten wirst, oder die Rose…ja wohlmöglich sogar die Schwingen an deinen zarten Schultern, wird sich zeigen“ sagte sie, zwinkerte ihr zu und rauschte an ihr vorbei. Hinterliess ein junges Mädchen, dessen Blick sich im Horizont ihrer Träume verloren hatte. Kapitel 2: Für dich, für uns, für mich -------------------------------------- „Ob du eines Tages das Schwert in den Händen halten wirst, oder die Rose…ja wohlmöglich sogar die Schwingen an deinen zarten Schultern, wird sich zeigen.“ Mit Sophies Worten im Hinterkopf trat Shiori aus der Küche, direkt in den Gemeinschaftsraum der jungen Kadetten und Kadettinnen. Sie alle hatten ihre Ausbildung erfolgreich abgeschlossen. Schwer schluckend, senkte sie ihren Blick und ihr Herz wurde schwer. Schnellen Schrittes verliess sie den Gemeinschaftsraum und erblickte wieder den Himmel, der in der Morgendämmerung eine unvergleichliche Farbe angenommen hatte. Ihr rasendes Herz hielt sie kaum auf den Beinen und alles drehte sich in ihrem Kopf. War sie enttäuscht von sich selber? Zweifelte sie an sich? Sie biss sich auf die Unterlippe. Furcht. Süsse Furcht schoss durch ihre Venen und vergiftete ihr rotes Blut mit Zweifel und unbegründeten Ängsten. „Seit ich ein kleines Mädchen war, wünschte ich mir Schwingen um davon fliegen zu können“ dachte sie und sah auf. „Über diese hohen Mauern. Ich kann doch nicht tatenlos mit ansehen, wie mein Herz hier verkommt und mein Wille gebrochen wird…nur durch Worte anderer, die mich kaum verstehen.“ Obwohl für sie kaum Hoffnung da war, klammerte sie sich an einem seidenen Faden, der sie davor bewahrte vollkommen aufzugeben. „Ob diese Hände ein Schwert tragen können? Ob sie sich nicht an den Dornen der Rose verletzen würden? Sind meine Schultern stark genug um die schweren Flügel tragen zu können? Oder werde ich unter all dieser Last zusammenbrechen?“ Ihre Finger berührten ihre langen Zöpfe und wanderten zu ihrem Arbeitskleid, dass sie trug. All dies würde sie aufgeben um eine von denen zu werden, die sie aus tiefstem Herzen bewunderte und respektierte. Ja…sogar ihr Dasein als Mädchen… „Seid gegrüsst, Commander Erwin!“ erklang die starke Stimme eines breit gebauten, kurzhaarigen Mannes, der gleich darauf salutierte. Ein junger stattlicher Mann mit blonden, gepflegt zur Seite gekämmten Haaren und blauen Augen, so klar wie reines Licht, kam angeritten und nickte dem Soldaten zu. „Guten Morgen, habt Ihr alles vorbereitet?“ Seine Stimme war die Ruhe selbst, obschon sie laut und deutlich war, mit einer Strenge, die jeden Soldaten, unabhängig von Rang und Alter, aufhorchen lassen würden. „So wie Ihr es befohlen habt, Commander. Die militärische Polizei hat bereits für die Strassensperrung gesorgt, damit die Truppe ohne Zwischenfälle passieren können und die Sanitäter halten sich bereit.“ Erwin nickte einmal zur Bestätigung. „Gut, wir sind gewappnet. Captain Levi und seine Einheit müssten jeden Augenblick da sein“ sagte er, mehr zu sich selbst und stieg von seinem treuen Hengst ab. Seine Adleraugen überblickten die Kaserne, während er seine Reithandschuhe abzog. Mit selbstsicheren Schritten ging er auf den Eingang zu, als sein Blick etwas Liebliches entdeckte. Sofort runzelte er die Stirn. „Was macht dieses Mädchen hier? Hat sie eine Zutrittsbewilligung…sie scheint mir nicht wie eine Soldatin auszusehen“ bemerkte er und schmunzelte kaum wahrnehmbar. „Oh…sie…“ stammelte der Soldat von eben. „Die wenigsten hier kennen sie beim Namen, aber sie ist die Lehrtochter der Bäckerei auf dem Marktplatz. Sie und ein paar andere beliefern uns mit Lebensmitteln und Wasser. Ohne sie wären wir total aufgeschmissen“ lachte er. „Ein überaus fleissiges junges Ding.“ Erwin lächelte. „Jeden Tag? „Naja, sie erscheint nicht jeden Tag…aber regelmässig. Sie bringt die Sachen und verlässt uns ziemlich schnell wieder. Ab und an hilft sie auch in der Küche hier aus.“ „Gut…“ murmelte der junge Kommandant. „Sie scheint mir etwas verträumt zu sein. Aber in den grausamen Zeiten sind Träume ein überaus wertvolles Gut für unsere Seele.“ „Kalt…“ murmelte Shiori und legte die Arme um sich, als sie auf einmal etwas Warmes, Angenehmes um ihre Schultern spürte. Leicht erschrocken drehte sie sich um und erblickte ihren Kindheitsfreund Adam, der auf sie herab lächelte. „Vielen Dank für die Äpfel“ sagte er leise und umarmte sie von hinten. Shiori nickte. „Keine Ursache…Wollen wir zurückgehen?“ Adam nickte und nahm ihre Hand. „Gehen wir doch gleich in die Innenstadt…Du willst doch sicher deinem Vater um den Hals fallen?“ zwinkerte er und brachte sie somit zum Lächeln. „Ja, liebend gerne“ sprach sie sanft und beide liefen Richtung Tor, als auf einmal laute Glockenschläge erklangen. Shioris Herz begann zu rasen und beide sahen sich an. Im Sekundenbruchteil begannen beide zu rennen, durch das offene Tor, hinab in die Stadt, wo sich die Menschenmassen bereits verdoppelt hatten. „I…ich kann nichts sehen…“ rief Shiori mit zitternder Stimme und versuchte auf Zehenspitzen ein Blick auf die kommenden Soldaten zu erhaschen. „Komm mit!“ rief Adam und packte ihre Hand. Schockiert über diese Aktion, riss Shiori die Augen auf und wurde durch die Menschenmasse gezwängt, bis sie an der vordersten Front war. Aufgeregt wanderten ihre Augen hin und her…was sie aber sah brachte ihr Herz zum Stillstand. Die Gesichter der Soldaten waren gezeichnet…von Furcht, Blut, Niederlage und Tod. Shioris Atemzüger verschnellten sich und Schweisstropfen bildeten sich auf ihrer Stirn. „Vater…Vater wo bist du“ dachte sie und Panik breitete sich in ihr aus, als die Karren mit den Verletzten und Toten über die Strasse donnerten. Keine Spur von ihrem Vater auf den hohen Pferden. „Er…wird sicher gleich da sein…“ sagte Adam, doch in seiner Stimme konnte sie die Unsicherheit und die Furcht heraushören, die sein blasses Gesicht nur unterstützten. Als sie schliesslich hier und da Schreie und Schluchzer hören konnte, kamen ihr auch, ganz unbewusst, die Tränen. „Adam…Adam, wo ist er…wo ist mein Vater!“ rief sie panisch und hatte seinen Arm gepackt, doch der junge Mann konnte nicht recht reagieren. Schwer schluckend liess Shiori ihn los und übersprang die Absperrung um auf die Karren, mit den toten Soldaten zuzurennen, was jedoch dazu führte, dass einige Pferde heftig wieherten und stehen blieben. Ohne auf die wütenden Männer zu achten, begann Shiori jede Decke aufzureissen. „Das kann nicht sein…“ dachte sie und Tränen kullerten ihren Wangen herab. „Das…das ist nicht geschehen…Bitte, nicht…“ Als einige Soldaten abgestiegen waren um sie festzunehmen, riss Shiori die letzte Decke auf…und die Welt versank in Finsternis. Ihre Knie gaben nach. Das Bild um sie herum verschwamm im Tränenmeer. Ihr Herz begann zu bluten. Keine einzige Stimme drang zu ihr hindurch und keine Berührung konnte ihr Körper empfangen und ihre verletzte Seele trösten. Er lag da, blutend, aber mit friedlichem Gesichtsausdruck. Shioris zitternde Hand berührte seine kalte Wange und eine Träne fiel auf seine Brust. „Vater…“ flüsterte sie. „Lasst sie…“ erklang eine strenge Stimme, die sie nur gedämpft wahrnahm. Und auch die schnellen Schritte und das laute aufschluchzen ihrer Mutter und ihren kleinen Geschwistern, nahm sie kaum wahr. Sie sass da, mit dem Blick in die Leere gerichtet und hob den Kopf gen Himmel. Erinnerungen überfluteten sie. Erinnerungen, getragen von den unsichtbaren Schwingen, die ihr Vater trug und die nun gebrochen an seinen Seiten herabhingen. Vorsichtig nahm sie seine Hand in ihre. Sie waren kalt und steif. „Warum…? Warum bist du gegangen…du kannst uns doch nicht einfach alleine zurücklassen…“ wimmerte sie und ihre Tränen liefen unaufhörlich, als sie eine warme Hand an ihrer Schulter spürte. „Wir bringen ihn in die Kasere…Sie können mitkommen, wenn Sie wollen“ erklang eine sanfte, ja beinahe väterliche Stimme. Shiori sagte nichts, sah nicht einmal hoch, doch als der Griff an ihrer Schulter sich verstärkte, erhob sie sich und kippte beinahe seitlich weg. Ohne zu Zögern fing Erwin sie auf und eine unbekannte Wärme durchströmte ihren Körper und sie schloss die Augen. Eine verbotene Wärme. Adam ballerte die Faust in die Wand und atmete schwerfällig, während seine Augen rot und feucht wurden. „Wie schrecklich…“ sagte Frau Adalia leise und setzte sich hin. „Sie hatte sich so gefreut ihren Vater wiederzusehen. Ich habe sie noch nie so glücklich erlebt…Ihr armes, schwaches Herzchen…“ „Sie ist nicht schwach…“ knurrte Adam. „Sie blieb immer stark, während ihr Vater da draussen gekämpft hatte. Sie glaubte an ihn und ihre Liebe war bedingungslos.“ Erneut kamen ihm die Tränen. Ein Teil von Shiori starb heute vor seinen Augen. Ein Teil von ihr flog mit ihrem Vater in den Himmel. Der Anblick ihrer leblosen Augen, versetzte ihn erneut in Wut und Zorn. „Ich bin einfach nur da gestanden und konnte nichts tun…ich konnte absolut nichts tun…ich bin so ein Feigling!“ Mit diesen harten Worten fiel er auf die Knie und verdeckte seine Augen, damit niemand seine Tränen sehen konnte. „Ich sollte bei ihr sein, sie trösten und ihre Hand nehmen…“ Frau Adalia stand auf und legte ihre Hand auf seinen Rücken. „Du stehst selber unter Schock. Sieh erst einmal zu wie du dich beruhigen kannst. Shiori und ihre Familie befinden sich jetzt in der Kaserne und dort werden sie versorgt.“ Stunden waren vergangen, aber ihre Mutter wollte den Platz an der Seite ihres Vaters immer noch nicht verlassen. Sie verweilte dort, ohne etwas zu essen, zu trinken oder gar zu schlafen, während ihre kleinen Geschwister, im Tränenmeer eingeschlafen waren. Shiori nahm eine Decke und legte sie über die zierlichen Körper ihrer Geschwister. „Es tut mir so leid…“ flüsterte sie und streichelte die Wangen ihres Bruders. „Aus dir wird ein Soldat“ lächelte sie traurig. „Und aus dir…“ Sie beugte sich herab und gab ihrer Schwester einen sanften Kuss auf die Stirn. „Aus dir wird eine gute Hausfrau und Mutter…Ihr werdet die Familie stolz machen und unsere Blutslinie fortführen.“ Mit diesen flüsternden Worten erhob sie sich und ging langsamen Schrittes auf die Leiche ihres Vaters zu, an der ihre Mutter immer noch verweilte. „Ich war immer deine kleine Kämpferin gewesen, Vater“ dachte sie. „Du hast immer mit mir gespielt und nahmst mich oft in die Kaserne mit um stolz zu sagen, dass ich deine Tochter bin. Mutter war nie davon begeistert…sie hatte Angst, dass mein Herz auf einmal wild werden würde. Aber weisst du was, Vater…“ Sie lächelte und wischte ihre kommenden Tränen weg. „Ja, mein Herz ist wild geworden und meine Hände können ein Schwert halten. Ich will frei sein und das sehen, was du ausserhalb dieser Mauern sahst.“ Ihr Blick glitt von seinem Gesicht, zu seinem grünen Umhang, der achtlos auf einem Schemel lag. Kurzerhand umfasste sie das Stück Stoff und betrachtete die Flügeln, die darauf abgebildet waren. Das Zeichen der Aufklärungseinheit. Ihre Augen schweiften wieder herab zu ihrem Vater. Ehrfurchtsvoll ging sie auf die Knie und gab ihm einen Kuss auf jeder Seite seiner Wangen, ehe sie sich wieder erhob und das Totenzelt verliess. Der kühle Abendwind spielte mit ihren Zöpfen und liess ihre Sinne wiederbeleben. Ihre roten, geschwollenen Augen blickten in den Horizont und ihre Hände ballten sich zu Fäusten. „Vater, ich will dich stolz machen. Ich bin kein kleines Kind mehr. Ich will erwachsen werden und das lernen, was du gelernt hast. Darum bitte ich dich aus tiefstem Herzen…“ Sie fiel abermals auf die Knie und neigte ihren Kopf. „Schenk mir deine Flügel.“ „Erwin, was ist los? Du benimmst dich seltsam ruhig. Dabei bist doch in meiner Anwesenheit immer lockeren Gemüts“ bemerkte Levi und betrachtete seinen besten Freund aus einem Augenwinkel. Erwin sah ihn an und lächelte, bevor sein Blick wieder aus dem Fenster glitt, wo er das Mädchen namens Shiori weiter beobachtete. „Sag mir, Levi, wenn deine Augen etwas sehen was dein Herz vom einen Moment in den nächsten losrasen lässt…wie würdest du reagieren?“ Levi runzelte die Stirn und legte sein Kopf schief. „Ich verstehe die Frage nicht ganz. Also wenn ich ein Titan hinter mir her rennen sehe, reagiere ich…“ „Nein, nein…das meinte ich nicht“ lachte Erwin, was Levi sofort verstummen liess. „Was dann?“ fragte er gelassen und begutachtete die Karte, die vor ihm auf dem Tisch lag. „Es ist nicht wichtig…“ murmelte der Kommandant nach einer Weile als er das Mädchen aus dem Tor raus rennen sah. In ihren Händen, den Umhang ihres verstorbenen Vaters. Keuchend schloss Shiori die Türe ihres Elternhauses auf und blickte umher. Es war dunkel und sie wühlte in den Schubladen nach Kerzen, die sie kurz darauf fand, aufstellte und anzündete. Ein Spiegel, der ihren Anblick hervorzauberte, liess sie erschaudern. Ihre zitternden Finger lösten die weisse Haube, die sogleich auf den Boden fiel. „Vater, du warst der einzige, der meinem Traum Glauben geschenkt hat…“ dachte sie und begann ihre Zöpfe aufzuflechten um ihre braune Haarpracht durch zu bürsten. Mit dem Blick in den Spiegel lächelte sie. „Ich werde mir jetzt diesen Traum erfüllen.“ Die Schere blitzte im Kerzenlicht auf. „Und ich werde das letzte opfern was mir bleibt.“ Ganz bewusst setzte sie die Schere an ihren langen Strähnen an. „Leb wohl…Shiori“ flüsterte sie und mit einem Schnitt war es, als würde sie sich selbst verlassen. Strähne für Strähne fielen herab. Ihre ganze Haarpracht, die ihre Mutter so sehr geliebt hatte, lag nun auf dem Boden und als sie sich wieder im Spiegel betrachtete, sah sie nicht mehr das liebliche, verträumte Mädchen, sondern eine Person, die kämpfen wollte. Sie blinzelte. Ihr Spiegelbild tat es ihr gleich. „Nein, ich bereue es nicht…es tut nicht einmal weh“ dachte sie und entledigte sich ihrer Kleidung. „Für meinen Vater, der sein Leben dem Schlachtfeld geschenkt hatte.“ Sie nahm die Bandagen in ihre Hände. „Für meine Familie, deren Gedanken stets bei ihm gewesen waren.“ Gezielt fixierte sie einen Punkt ihres Körpers und begann das Letzte zu verbergen, was sie als Mädchen verraten würde. „Für mich, in der Hoffnung…eines Tages an deiner Seite aufzuwachen, Vater.“ Kapitel 3: Fester Entschluss ---------------------------- „Dein Name?“ brüllte der Soldat, der am Amateurschreibtisch sass und eine Feder in der Hand hielt. „Lu…Luca Waldmann…“ stammelte Shiori und ihre Stirn glänzte vom Stressschweiss, doch der Soldat schrieb ihren Namen nieder. „Junge, wie alt bist du?“ fragte er weiter ohne sie anzusehen. „Ich bin Sechzehn.“ Er sah auf und betrachtete sie skeptisch von oben bis unten. „Du scheinst mir etwas zierlich zu sein, junger Mann. Bist du dir sicher, dass du dem Militär beitreten willst?“ Shiori holte Luft und sah ihm direkt in die Augen. „Ich habe nie etwas anderes gewollt!“ „Das hört man doch gerne bei Frischfleisch!“ lachte plötzlich eine Stimme laut auf und Shiori zuckte zusammen. Der Soldat, der ihre Identität überprüfte, erschrak sich ebenfalls. Mit runzelnder Stirn blickte er auf und verdrehte kaum merklich die Augen. Auch Shiori wagte einen zögerlichen Blick hinauf und ihre Augen wurden gross. Ein Koloss von Mann stand hinter ihr, mit kurzen schwarzen Haaren und einem stechenden Blick, der unter die Haut ging. Seine gewaltige Hand landete auf ihren schmalen Schultern und sie spürte ein Teil seines Körpergewichts. „Aah!…spinnt der!“ dachte sie und gab sich Mühe nichts anmerken zu lassen. „Dieses Jahr haben wir ganz schön viele Frauen die beitreten…es schadet nicht so einen mutigen Kerl hier dabei zu haben. Hab ich Recht, Kleiner…“ rief der Mann und klopfte ihr so heftig auf den Rücken, das sie vornab zusammenfiel. „Ou...“ hörte Shiori ihn sagen und rieb sich die Stelle, an der er fest zugehauen hatte. Mit schmerzlichem Gesichtsausdruck blickte sie zu Boden. „Du bist wirklich etwas schmächtig, Kleiner…aber keine Sorge, das Training wird aus dir einen richtigen Mann machen“ lächelte er und half ihr auf. Shioris Blick wanderte zu seinem Gesicht, das ziemlich kantig war. Seine Züge jedoch verrieten seine eigentliche Sanftmütigkeit und Shiori verlor schnell ihre Angst. „Könnt ihr zwei Turteltäubchen das auf später verschieben…ich muss hier die Anmeldungen fertig schreiben“ knurrte der Soldat am Schreibtisch, der nervös angefangen hatte mit der Feder zu spielen. Sofort wurden Shiori und der Mann vor ihr knallot. „Ähm…nur zu…“ sagte er etwas verlegen und kratzte sich am Hinterkopf, während Shiori sich wieder dem Amateurschreibtisch zuwandte und die weiteren Fragen beantwortete. „Geschafft…bist du erleichtert?“ Shiori hielt lächelnd ihr Anmeldeformular und die Bestätigungsdokumente in ihren Händen und nickte. „Ich freue mich…nächste Woche geht es los!“ Sie drehte sich um und sah ihn an. „Das werden drei ganz harte Jahre werden, aber ich werde es schaffen.“ Der Mann mit den kurzen schwarzen Haaren nickte. „Schön optimistisch bleiben“ zwinkerte er ihr zu. „Ich habe die Hürde überstanden, an der ich am meisten gezweifelt hatte“ dachte das Mädchen und ihr ganzer Körper begann zu zittern. „Ich trete meine neue Ausbildung an…nicht als Mädchen…sondern als Junge, in der Hoffnung mehr Achtung und Autorität zu bekommen. Ich will nicht, dass die anderen mich als schwach bezeichnen und mir helfen wollen, nur weil ich ein Mädchen bin…“ Und doch, trotz des ersten Erfolges, durchströmte eine neuartige Furcht ihren Körper. „Jetzt beginnt mein Überlebenskampf…“ murmelte sie leise, doch der Mann, der die ganze Zeit über schon in ihrer Nähe war hörte sie und lächelte. „Ja, das ist die Hauptaufgabe eines jeden neuen Kadetten. Ah…übrigens…“ stammelte er und beugte sich leicht zu ihr herab, was Shiori Hitze in den Kopf trieb. „Mein Name ist Antonino Schütze und du bist?“ Zögerlich blickte sie herab. „Ich…ich bin Luca Waldmann. Es freut mich Sie kennenzulernen, Herr Schütze.“ Bei jenen Worten, die so sanft klangen, stutzte Antonino und wich etwas zurück. „Verdammt…ist er wirklich ein Junge?“ dachte er verwirrt und betrachtete seine sanften Gesichtszüge und das kurze, braune Haar, das in der Sonne glänzte. Er besass wirklich einen zierlichen Körper mit schmalen Schultern und schmächtigen Armen. Ihr Hals regte sich elegant der Sonne zu und seine Finger waren lang, wie die einer Frau. „Okay…jetzt fühle ich mich richtig merkwürdig in seiner Nähe“ dachte er und verstand die Welt nicht mehr. „Sie sind doch bereits ein voll ausgebildetes Mitglied. Was machen Sie bei den Anmeldungen der Jungkadetten?“ fragte Shiori und drehte sich zu ihm um. „Ach das…ich bin inoffiziell hier. Ich wollte schauen, was für Neulinge wir bekommen“ lachte er. „Aber das was ich zu sehen bekam ist…vielversprechend.“ „Wegen den Mädchen oder warum sind Sie so verzückt?“ Shiori lächelte ihn an, was Antonino Röte ins Gesicht schiessen liess. „Nein, was denkst du von mir“ lachte er. „Aber weibliche Soldaten sind…wirklich entzückend.“ Antonino sah auf sie herab, was Shiori zum stutzen brachte, aufgrund seines sanften Gesichtsausdruckes. „Wir werden uns wiedersehen, verlass dich darauf. Ich hoffe du bist bis dahin ein starker Soldat geworden.“ Seine Hand landete auf ihren Kopf und wuschelte ihr brüderlich durchs Haar. „Ich werde alles geben“ sagte sie und lächelte wieder, voller Vorfreude. Dieser ausserordentlich freundschaftliche Augenblick wurde jäh zerstört, als eine laute Stimme die neuen Kadetten aufschauen liess. „Alle Jungkadetten, bitte holt euch eure Uniformen ab!“ Antonio klopfte ihr sanft auf den Rücken. „Na los, geh schon und vergiss nicht…“ Er zwinkerte. „Überlebe!“ Shiori Winter, alias Luca Waldmann, strahlte ihn an und salutierte das aller erste Mal mit stolz. „Zu Befehl!“ „Shayna Winter…Sie bringen mich zum Verzweifeln“ seufzte Bäckerin Adalia und stellte das Tablett mit dem Tee auf den Tisch, während Shioris Mutter immer noch leise schluchzte. „Sie müssen Ihre Tochter verstehen, sie ist immerhin kein kleines Kind mehr. Sie wird langsam zu einer jungen Frau…“ Shayna sah auf. Ihre Augen waren rot und geschwollen. „Sie ist seit einer Woche verschollen. Wie kann ich mir da keine Sorgen machen…ich als ihre Mutter!“ Adam, der an der Wand angelehnt dastand, sah herab. „Niemand weiss wo sie ist, ob es ihr gut geht…ob sie überhaupt noch lebt…“ Ein lautes Krachen erklang, als der Stuhl, auf dem eben Shayna noch sass, umkippte und die junge Mutter auf Adam losging. „Du wagst es solche Worte in den Mund zu nehmen, du ungehobelter frecher Bursche. Dabei wollte ich dich meiner Tochter zum Mann geben!“ Adam sah sie geschockt an und Frau Adalia wollte gerade dazwischen gehen, als sich auf einmal die Türe der Bäckerei öffnete und ein junger Mann eintrat. Eingehüllt in nagelneuer Uniform ging er mit selbstsicheren Schritten auf die kleine Versammlung zu, die vor Schock kein Wort mehr herausgebrachten. „Ich fürchte das mit der Heirat muss wohl noch etwas warten“ sagte der junge Mann und trat ins Licht. Es vergingen einige Sekunden bis Shayna schliesslich ihre Fassung verlor und ihre Knie nachgaben. „Shiori…“ flüsterte sie und stille Tränen benetzten den Holzboden. Das Mädchen kam auf sie zu, kniete sich nieder und blickte ihrer Mutter direkt in die Augen, während Shaynas Blick an ihrer Uniform haftete. „Nein Mutter…ab jetzt bin ich Luca Waldmann. Kadett in Ausbildung.“ Ohne Vorwarnung lief Adam auf sie zu, riss sie hoch und packte sie an den Schultern. Er war so schnell, dass sie seine Bewegungen, die von Wut gelenkt wurden, nicht mit verfolgen konnte. „Shiori…“ zischte er, während er sie an der Wand festnagelte. Der Schock vernebelte seinen Blick, der ihre abgeschnittenen Zöpfe bemerkt hatte. „Ist dir klar, dass die Ausbildung ausserhalb der Mauern stattfindet? Was wenn Titanen euch angreifen? Du könntest dein Leben verlieren, Shiori!“ Seine Stimme, die anfangs laut war, verwandelte sich in ein erschreckendes, fassungsloses Flüstern, begleitet von Tränen. Shiori sah ihn an und begann schliesslich sanft zu lächeln. „Ich will das Leben meines Vaters leben…Ich will ihm folgen, Adam…“ „UND WENN DU STIRBST?!“ Shiori zuckte zusammen, blieb jedoch tapfer und sah ihm wieder in die Augen. „Genau das habe ich befürchtet…ich kehre zurück und keiner versteht meine Entscheidung und mein Wunsch“ murmelte sie. „Lass mich los, Adam! Ihr könnt sowieso nichts mehr dagegen machen. Ich bin offiziell als Kadett in Ausbildung eingetragen worden…“ Adam liess sie los und Shiori richtete sich ihre Jacke. „Als Junge?“ fragte er und blinzelte als würde ihm das Bild vor seinen Augen eine Halluzination vorspielen. Eine Weile herrschte Stille. Adam konnte förmlich beobachten wie blass seine Sandkastenfreundin wurde und wie sie mit sich zu kämpfen hatte. „Ich verlange nicht, dass ihr mir verzeiht und verlangt nicht von mir, dass ich mich entschuldige. Von mir aus, könnt ihr so lange schlecht auf mich einreden, wie ihr wollt. Es wird mich nicht davon abbringen weiterzugehen…ganz egal was auf mich zukommen mag.“ Ihre Hände verwandelten sich zu Fäusten und sie hielt ihre Tränen krampfhaft zurück. „Ihr trauert alle und weint. Weint euch die Seele aus dem Leib…das wird ihn nicht zurückbringen. Ich konnte all diese Emotionen nicht mehr ertragen…deshalb rannte ich weg und versteckte mich in der Kaserne.“ Sie holte Luft und versuchte die Fassung zu wahren. „Um meine Traurigkeit zu überwinden will ich das sehen, was mein Vater sah. Nur so kann ich über den Tod meines Vaters hinwegkommen. Nur so habe ich das Gefühl, dass er bei mir ist…und mich beschützt…uns beschützt.“ Ihr kamen die Tränen und sie hielt sich die Hand vor den Augen. „Ich will gewiss nicht sterben. Was bringt es mir? Nur wenn ich lebe, kann ich all diese Emotionen aufnehmen…denn nur so lebt man wirklich.“ Sie nahm die Hand herunter und lächelte wieder. „Ich bitte euch nur um eines...Ab jetzt führe ich das Leben eines Mannes, ich flehe euch deshalb an…verratet mich nicht.“ Mit diesen Worten ging Shiori wieder in die Knie und neigte den Kopf gen Boden. „Was soll ich eurer Meinung nach tun, damit ihr mich nicht verratet?“ Wieder herrschte eine bedrückende Stille. Die Zeit schien stehen zu bleiben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)