Wings of Freedom von Lady-Phantomhive ================================================================================ Kapitel 2: Für dich, für uns, für mich -------------------------------------- „Ob du eines Tages das Schwert in den Händen halten wirst, oder die Rose…ja wohlmöglich sogar die Schwingen an deinen zarten Schultern, wird sich zeigen.“ Mit Sophies Worten im Hinterkopf trat Shiori aus der Küche, direkt in den Gemeinschaftsraum der jungen Kadetten und Kadettinnen. Sie alle hatten ihre Ausbildung erfolgreich abgeschlossen. Schwer schluckend, senkte sie ihren Blick und ihr Herz wurde schwer. Schnellen Schrittes verliess sie den Gemeinschaftsraum und erblickte wieder den Himmel, der in der Morgendämmerung eine unvergleichliche Farbe angenommen hatte. Ihr rasendes Herz hielt sie kaum auf den Beinen und alles drehte sich in ihrem Kopf. War sie enttäuscht von sich selber? Zweifelte sie an sich? Sie biss sich auf die Unterlippe. Furcht. Süsse Furcht schoss durch ihre Venen und vergiftete ihr rotes Blut mit Zweifel und unbegründeten Ängsten. „Seit ich ein kleines Mädchen war, wünschte ich mir Schwingen um davon fliegen zu können“ dachte sie und sah auf. „Über diese hohen Mauern. Ich kann doch nicht tatenlos mit ansehen, wie mein Herz hier verkommt und mein Wille gebrochen wird…nur durch Worte anderer, die mich kaum verstehen.“ Obwohl für sie kaum Hoffnung da war, klammerte sie sich an einem seidenen Faden, der sie davor bewahrte vollkommen aufzugeben. „Ob diese Hände ein Schwert tragen können? Ob sie sich nicht an den Dornen der Rose verletzen würden? Sind meine Schultern stark genug um die schweren Flügel tragen zu können? Oder werde ich unter all dieser Last zusammenbrechen?“ Ihre Finger berührten ihre langen Zöpfe und wanderten zu ihrem Arbeitskleid, dass sie trug. All dies würde sie aufgeben um eine von denen zu werden, die sie aus tiefstem Herzen bewunderte und respektierte. Ja…sogar ihr Dasein als Mädchen… „Seid gegrüsst, Commander Erwin!“ erklang die starke Stimme eines breit gebauten, kurzhaarigen Mannes, der gleich darauf salutierte. Ein junger stattlicher Mann mit blonden, gepflegt zur Seite gekämmten Haaren und blauen Augen, so klar wie reines Licht, kam angeritten und nickte dem Soldaten zu. „Guten Morgen, habt Ihr alles vorbereitet?“ Seine Stimme war die Ruhe selbst, obschon sie laut und deutlich war, mit einer Strenge, die jeden Soldaten, unabhängig von Rang und Alter, aufhorchen lassen würden. „So wie Ihr es befohlen habt, Commander. Die militärische Polizei hat bereits für die Strassensperrung gesorgt, damit die Truppe ohne Zwischenfälle passieren können und die Sanitäter halten sich bereit.“ Erwin nickte einmal zur Bestätigung. „Gut, wir sind gewappnet. Captain Levi und seine Einheit müssten jeden Augenblick da sein“ sagte er, mehr zu sich selbst und stieg von seinem treuen Hengst ab. Seine Adleraugen überblickten die Kaserne, während er seine Reithandschuhe abzog. Mit selbstsicheren Schritten ging er auf den Eingang zu, als sein Blick etwas Liebliches entdeckte. Sofort runzelte er die Stirn. „Was macht dieses Mädchen hier? Hat sie eine Zutrittsbewilligung…sie scheint mir nicht wie eine Soldatin auszusehen“ bemerkte er und schmunzelte kaum wahrnehmbar. „Oh…sie…“ stammelte der Soldat von eben. „Die wenigsten hier kennen sie beim Namen, aber sie ist die Lehrtochter der Bäckerei auf dem Marktplatz. Sie und ein paar andere beliefern uns mit Lebensmitteln und Wasser. Ohne sie wären wir total aufgeschmissen“ lachte er. „Ein überaus fleissiges junges Ding.“ Erwin lächelte. „Jeden Tag? „Naja, sie erscheint nicht jeden Tag…aber regelmässig. Sie bringt die Sachen und verlässt uns ziemlich schnell wieder. Ab und an hilft sie auch in der Küche hier aus.“ „Gut…“ murmelte der junge Kommandant. „Sie scheint mir etwas verträumt zu sein. Aber in den grausamen Zeiten sind Träume ein überaus wertvolles Gut für unsere Seele.“ „Kalt…“ murmelte Shiori und legte die Arme um sich, als sie auf einmal etwas Warmes, Angenehmes um ihre Schultern spürte. Leicht erschrocken drehte sie sich um und erblickte ihren Kindheitsfreund Adam, der auf sie herab lächelte. „Vielen Dank für die Äpfel“ sagte er leise und umarmte sie von hinten. Shiori nickte. „Keine Ursache…Wollen wir zurückgehen?“ Adam nickte und nahm ihre Hand. „Gehen wir doch gleich in die Innenstadt…Du willst doch sicher deinem Vater um den Hals fallen?“ zwinkerte er und brachte sie somit zum Lächeln. „Ja, liebend gerne“ sprach sie sanft und beide liefen Richtung Tor, als auf einmal laute Glockenschläge erklangen. Shioris Herz begann zu rasen und beide sahen sich an. Im Sekundenbruchteil begannen beide zu rennen, durch das offene Tor, hinab in die Stadt, wo sich die Menschenmassen bereits verdoppelt hatten. „I…ich kann nichts sehen…“ rief Shiori mit zitternder Stimme und versuchte auf Zehenspitzen ein Blick auf die kommenden Soldaten zu erhaschen. „Komm mit!“ rief Adam und packte ihre Hand. Schockiert über diese Aktion, riss Shiori die Augen auf und wurde durch die Menschenmasse gezwängt, bis sie an der vordersten Front war. Aufgeregt wanderten ihre Augen hin und her…was sie aber sah brachte ihr Herz zum Stillstand. Die Gesichter der Soldaten waren gezeichnet…von Furcht, Blut, Niederlage und Tod. Shioris Atemzüger verschnellten sich und Schweisstropfen bildeten sich auf ihrer Stirn. „Vater…Vater wo bist du“ dachte sie und Panik breitete sich in ihr aus, als die Karren mit den Verletzten und Toten über die Strasse donnerten. Keine Spur von ihrem Vater auf den hohen Pferden. „Er…wird sicher gleich da sein…“ sagte Adam, doch in seiner Stimme konnte sie die Unsicherheit und die Furcht heraushören, die sein blasses Gesicht nur unterstützten. Als sie schliesslich hier und da Schreie und Schluchzer hören konnte, kamen ihr auch, ganz unbewusst, die Tränen. „Adam…Adam, wo ist er…wo ist mein Vater!“ rief sie panisch und hatte seinen Arm gepackt, doch der junge Mann konnte nicht recht reagieren. Schwer schluckend liess Shiori ihn los und übersprang die Absperrung um auf die Karren, mit den toten Soldaten zuzurennen, was jedoch dazu führte, dass einige Pferde heftig wieherten und stehen blieben. Ohne auf die wütenden Männer zu achten, begann Shiori jede Decke aufzureissen. „Das kann nicht sein…“ dachte sie und Tränen kullerten ihren Wangen herab. „Das…das ist nicht geschehen…Bitte, nicht…“ Als einige Soldaten abgestiegen waren um sie festzunehmen, riss Shiori die letzte Decke auf…und die Welt versank in Finsternis. Ihre Knie gaben nach. Das Bild um sie herum verschwamm im Tränenmeer. Ihr Herz begann zu bluten. Keine einzige Stimme drang zu ihr hindurch und keine Berührung konnte ihr Körper empfangen und ihre verletzte Seele trösten. Er lag da, blutend, aber mit friedlichem Gesichtsausdruck. Shioris zitternde Hand berührte seine kalte Wange und eine Träne fiel auf seine Brust. „Vater…“ flüsterte sie. „Lasst sie…“ erklang eine strenge Stimme, die sie nur gedämpft wahrnahm. Und auch die schnellen Schritte und das laute aufschluchzen ihrer Mutter und ihren kleinen Geschwistern, nahm sie kaum wahr. Sie sass da, mit dem Blick in die Leere gerichtet und hob den Kopf gen Himmel. Erinnerungen überfluteten sie. Erinnerungen, getragen von den unsichtbaren Schwingen, die ihr Vater trug und die nun gebrochen an seinen Seiten herabhingen. Vorsichtig nahm sie seine Hand in ihre. Sie waren kalt und steif. „Warum…? Warum bist du gegangen…du kannst uns doch nicht einfach alleine zurücklassen…“ wimmerte sie und ihre Tränen liefen unaufhörlich, als sie eine warme Hand an ihrer Schulter spürte. „Wir bringen ihn in die Kasere…Sie können mitkommen, wenn Sie wollen“ erklang eine sanfte, ja beinahe väterliche Stimme. Shiori sagte nichts, sah nicht einmal hoch, doch als der Griff an ihrer Schulter sich verstärkte, erhob sie sich und kippte beinahe seitlich weg. Ohne zu Zögern fing Erwin sie auf und eine unbekannte Wärme durchströmte ihren Körper und sie schloss die Augen. Eine verbotene Wärme. Adam ballerte die Faust in die Wand und atmete schwerfällig, während seine Augen rot und feucht wurden. „Wie schrecklich…“ sagte Frau Adalia leise und setzte sich hin. „Sie hatte sich so gefreut ihren Vater wiederzusehen. Ich habe sie noch nie so glücklich erlebt…Ihr armes, schwaches Herzchen…“ „Sie ist nicht schwach…“ knurrte Adam. „Sie blieb immer stark, während ihr Vater da draussen gekämpft hatte. Sie glaubte an ihn und ihre Liebe war bedingungslos.“ Erneut kamen ihm die Tränen. Ein Teil von Shiori starb heute vor seinen Augen. Ein Teil von ihr flog mit ihrem Vater in den Himmel. Der Anblick ihrer leblosen Augen, versetzte ihn erneut in Wut und Zorn. „Ich bin einfach nur da gestanden und konnte nichts tun…ich konnte absolut nichts tun…ich bin so ein Feigling!“ Mit diesen harten Worten fiel er auf die Knie und verdeckte seine Augen, damit niemand seine Tränen sehen konnte. „Ich sollte bei ihr sein, sie trösten und ihre Hand nehmen…“ Frau Adalia stand auf und legte ihre Hand auf seinen Rücken. „Du stehst selber unter Schock. Sieh erst einmal zu wie du dich beruhigen kannst. Shiori und ihre Familie befinden sich jetzt in der Kaserne und dort werden sie versorgt.“ Stunden waren vergangen, aber ihre Mutter wollte den Platz an der Seite ihres Vaters immer noch nicht verlassen. Sie verweilte dort, ohne etwas zu essen, zu trinken oder gar zu schlafen, während ihre kleinen Geschwister, im Tränenmeer eingeschlafen waren. Shiori nahm eine Decke und legte sie über die zierlichen Körper ihrer Geschwister. „Es tut mir so leid…“ flüsterte sie und streichelte die Wangen ihres Bruders. „Aus dir wird ein Soldat“ lächelte sie traurig. „Und aus dir…“ Sie beugte sich herab und gab ihrer Schwester einen sanften Kuss auf die Stirn. „Aus dir wird eine gute Hausfrau und Mutter…Ihr werdet die Familie stolz machen und unsere Blutslinie fortführen.“ Mit diesen flüsternden Worten erhob sie sich und ging langsamen Schrittes auf die Leiche ihres Vaters zu, an der ihre Mutter immer noch verweilte. „Ich war immer deine kleine Kämpferin gewesen, Vater“ dachte sie. „Du hast immer mit mir gespielt und nahmst mich oft in die Kaserne mit um stolz zu sagen, dass ich deine Tochter bin. Mutter war nie davon begeistert…sie hatte Angst, dass mein Herz auf einmal wild werden würde. Aber weisst du was, Vater…“ Sie lächelte und wischte ihre kommenden Tränen weg. „Ja, mein Herz ist wild geworden und meine Hände können ein Schwert halten. Ich will frei sein und das sehen, was du ausserhalb dieser Mauern sahst.“ Ihr Blick glitt von seinem Gesicht, zu seinem grünen Umhang, der achtlos auf einem Schemel lag. Kurzerhand umfasste sie das Stück Stoff und betrachtete die Flügeln, die darauf abgebildet waren. Das Zeichen der Aufklärungseinheit. Ihre Augen schweiften wieder herab zu ihrem Vater. Ehrfurchtsvoll ging sie auf die Knie und gab ihm einen Kuss auf jeder Seite seiner Wangen, ehe sie sich wieder erhob und das Totenzelt verliess. Der kühle Abendwind spielte mit ihren Zöpfen und liess ihre Sinne wiederbeleben. Ihre roten, geschwollenen Augen blickten in den Horizont und ihre Hände ballten sich zu Fäusten. „Vater, ich will dich stolz machen. Ich bin kein kleines Kind mehr. Ich will erwachsen werden und das lernen, was du gelernt hast. Darum bitte ich dich aus tiefstem Herzen…“ Sie fiel abermals auf die Knie und neigte ihren Kopf. „Schenk mir deine Flügel.“ „Erwin, was ist los? Du benimmst dich seltsam ruhig. Dabei bist doch in meiner Anwesenheit immer lockeren Gemüts“ bemerkte Levi und betrachtete seinen besten Freund aus einem Augenwinkel. Erwin sah ihn an und lächelte, bevor sein Blick wieder aus dem Fenster glitt, wo er das Mädchen namens Shiori weiter beobachtete. „Sag mir, Levi, wenn deine Augen etwas sehen was dein Herz vom einen Moment in den nächsten losrasen lässt…wie würdest du reagieren?“ Levi runzelte die Stirn und legte sein Kopf schief. „Ich verstehe die Frage nicht ganz. Also wenn ich ein Titan hinter mir her rennen sehe, reagiere ich…“ „Nein, nein…das meinte ich nicht“ lachte Erwin, was Levi sofort verstummen liess. „Was dann?“ fragte er gelassen und begutachtete die Karte, die vor ihm auf dem Tisch lag. „Es ist nicht wichtig…“ murmelte der Kommandant nach einer Weile als er das Mädchen aus dem Tor raus rennen sah. In ihren Händen, den Umhang ihres verstorbenen Vaters. Keuchend schloss Shiori die Türe ihres Elternhauses auf und blickte umher. Es war dunkel und sie wühlte in den Schubladen nach Kerzen, die sie kurz darauf fand, aufstellte und anzündete. Ein Spiegel, der ihren Anblick hervorzauberte, liess sie erschaudern. Ihre zitternden Finger lösten die weisse Haube, die sogleich auf den Boden fiel. „Vater, du warst der einzige, der meinem Traum Glauben geschenkt hat…“ dachte sie und begann ihre Zöpfe aufzuflechten um ihre braune Haarpracht durch zu bürsten. Mit dem Blick in den Spiegel lächelte sie. „Ich werde mir jetzt diesen Traum erfüllen.“ Die Schere blitzte im Kerzenlicht auf. „Und ich werde das letzte opfern was mir bleibt.“ Ganz bewusst setzte sie die Schere an ihren langen Strähnen an. „Leb wohl…Shiori“ flüsterte sie und mit einem Schnitt war es, als würde sie sich selbst verlassen. Strähne für Strähne fielen herab. Ihre ganze Haarpracht, die ihre Mutter so sehr geliebt hatte, lag nun auf dem Boden und als sie sich wieder im Spiegel betrachtete, sah sie nicht mehr das liebliche, verträumte Mädchen, sondern eine Person, die kämpfen wollte. Sie blinzelte. Ihr Spiegelbild tat es ihr gleich. „Nein, ich bereue es nicht…es tut nicht einmal weh“ dachte sie und entledigte sich ihrer Kleidung. „Für meinen Vater, der sein Leben dem Schlachtfeld geschenkt hatte.“ Sie nahm die Bandagen in ihre Hände. „Für meine Familie, deren Gedanken stets bei ihm gewesen waren.“ Gezielt fixierte sie einen Punkt ihres Körpers und begann das Letzte zu verbergen, was sie als Mädchen verraten würde. „Für mich, in der Hoffnung…eines Tages an deiner Seite aufzuwachen, Vater.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)