Zodiac von BleedingRose ================================================================================ Prolog: -------- Sommer 1998, le village de étoiles Ruby Peterson Es fällt mir schwer es zu glauben. Ich war immer der Meinung, dass Ileana und ich, das wir uns alles erzählen. Das wir keine Geheimnisse vor einander haben und stets für den anderen einstehen. Wir haben bisher schon vieles gemeinsam gemeistert und nach all dem war ich der festen Überzeugung, dass es nichts gibt, was unsere Freundschaft zerstören kann. Noch nicht mal der Fakt, dass Ileana die Hohepriesterin ihres Zirkels ist und ich nur eine ganz normale Hexe bin, stand unserer Freundschaft je im Weg. Sie war mein Fels in der Brandung und ich der ihre. Ileana hat sich nie für etwas Besseres gehalten. Ganz im Gegenteil. Sie hasst zu sein was sie ist. Wer sie ist. Und wünscht sich nichts sehnlicher, als so zu sein wie ich. Normal. Oft saßen wir zusammen an unserem Lieblingsbaum gelehnt und haben über unsere Zukunft geredet. Darüber was wir gerne machen wollen und was doch niemals passieren wird. Ileana hatte immer schon den Traum gehabt Tierärztin zu werden. Sie liebt Tiere über alles. Was vor allem daran liegt, dass sie mit ihnen besser zurechtkommt als mit Menschen. Ich würde jetzt nicht unbedingt sagen dass sie Menschenscheu ist, aber… Naja. Sie hat halt so ihre Probleme mit ihnen. Ich aber bin da ganz anders. Ich habe gerne viele Menschen um mich. Am glücklichsten bin ich sogar erst dann, wenn ich meine Familie und Freunde um mich habe. Wenn ich weiß das sie glücklich sind. Darum ist es mein größter Traum… so wie Ileana zu sein und irgendwann die Hohepriesterin meines Zirkels zu werden. Denn als solche wäre es meine Aufgabe uns alle zu beschützen. Uns ein glückliches Leben zu ermöglichen. Doch das wird niemals passieren. Manchmal empfinde ich meine einzigartige Fähigkeit, in meinen Träumen die Zukunft vorauszusehen, als Fluch an. Meine Eltern wiederum sahen das ganz anders. Sie waren immer stolz darauf, dass ihre kleine Tochter doch nicht so normal war wie all die anderen. Doch ich kann nicht stolz darauf sein, denn ich verstehe einfach nicht, wieso die meisten sich wünschen meine Fähigkeit zu haben. Ich meine, was soll daran so großartig sein zu sehen was andere nicht sehen. Zu wissen was passiert, bevor es passiert. Meine Eltern konnte ich mit dieser Fähigkeit nicht retten. Und auch Ileana werde ich mit meinem Wissen nicht retten können. Dafür ist es zu spät. Es hat bereits begonnen. Kapitel 1: Die Rückkehr eines Jägers ------------------------------------ Herbst 2015, le village de étoiles Selest Peterson le village de étoiles! Zwei Wochen wohne ich jetzt schon mit meinem Vater, meiner Stiefmutter und meinen Stiefgeschwistern Thea und Maik, in diesem Kaff. Meine Mutter ist hier aufgewachsen und laut meiner Tante, die hier ebenfalls aufwuchs und noch immer hier wohnt, wollte sie niemals von hier fort gehen. Das kann ich ja nicht so richtig glauben. Ich meine, wer lebt schon gerne in einem kleinen Städtchen, welches kaum mehr als Eintausend Einwohner hat? Also ich nicht. Dementsprechend bin ich natürlich auch alles andere als begeistert hier zu sein. Und doch bin ich es. Aber sicher nicht freiwillig. Nein. Ich bin hier, weil ich vor gut einem viertel Jahr, Nacht für Nacht, ein und denselben merkwürdigen Traum hatte. Ich sah mich, wie ich von einem riesigen Ungeheuer verfolgt und zerfleischt wurde. Anfangs habe ich mir nichts daraus gemacht. Für mich war das lediglich ein schlechter Traum. Ein klassischer Albtraum eben. Doch irgendwann kam mir das dann doch merkwürdig und auch ein wenig gruselig vor, und ich erzählte meinem Vater davon. Der wurde augenblicklich bleich im Gesicht und zitterte am ganzen Körper. Ich fragte ihn ob alles mit ihm ok sei oder ob ich einen Arzt rufen soll. In seinem Alter ist schon ein mancher an einem Herzinfarkt gestorben. Noch am selben Abend erzählte mir mein Vater etwas, was ich erst für einen schlechten Scherz hielt. Unsere Familie soll nämlich angeblich aus Hexen bestehen. Wir unterhielten uns stundenlang über meine Mutter und darüber, dass auch sie manchmal solche Träume hatte. Träume die wahr werden und das ich wohl ihre Fähigkeit vererbt bekommen habe. Gott habe ich gelacht. Ich sah meinen Vater an und konnte mich nicht mehr halten. Ich viel rücklings auf mein Bett und hielt mir den Bauch. Minutenlang lag ich so da und sah dabei meinen Vater aus tränenden Augen an. Doch etwas in seinen Augen brachte mich dazu mich zu beruhigen. Ich setzte mich wieder auf und sah meinem Vater in seine Augen. Auch in ihnen standen die Tränen, doch es waren keine Freudentränen. Ich umarmte ihn fest und irgendwann sind wir beide eingeschlafen. Dann verging eine Woche, als mein Vater uns ohne Vorwarnung mitteilte, dass wir Berlin verlassen und in seine alte Heimat ziehen werden. Genauso wie ich, waren auch meine Stiefmutter, sowie Maik und Thea nicht sehr begeistert von der Idee gewesen. Doch mein Vater blieb Stur und deswegen sind wir jetzt hier. In einem kleinen Städtchen, nahe der französischen Grenze. Und das nur wegen mir, und damit sich mein Traum nicht bewahrheitet. Um den nötigen Schutz zu erhalten und auch um mich später selber verteidigen zu können, soll ich von nun an, von zwei Junghexen, im Umgang mit der Magie, unterrichtet werden, und von einem Loup-Garou, was auch immer das sein mag, in Selbstverteidigung. Na wenn das mal kein Grund zur Freude ist. Kennengelernt habe ich die drei sogar auch schon. Sie waren eigentlich ganz nett, doch das wird sich bestimmt noch ändern, denn da ich nicht gerade ein Schnelllerner bin, dürften sie sicher bald genervt von mir sein. Also ich wäre es. Ich bleibe schnaubend stehen und gehe erschöpft in die Hocke. Dann schaue ich mich ein wenig um und stelle fest, dass ich mich mal wieder verlaufen habe. Und das in einer Kleinstadt. Kopfschüttelnd hole ich meine Wasserflasche aus meiner Bauchtasche und nehme einen kräftigen Schluck. Wieso passiert sowas aber auch immer mir. „Guten Morgen Selest.“ Mit meiner Wasserflasche in der Hand erhebe ich mich und sehe Constantin und Jolina, zwei meiner Lehrer, auf mich zu laufen. Ich verstaue mein Trinken wieder in meine Tasche und komme ihnen ein wenig entgegen. „Hallo ihr zwei“, begrüße ich sie und sehe auf meine Armbanduhr. Sie zeigt 6:37 Uhr. „Was macht ihr denn schon so früh hier?“ Zuerst werde ich von Jolina umarmt und dann von Constantin, wobei dieser mich fast zerdrückt. Da weiß wohl einer nicht wo hin mit seiner Kraft. „Hey nicht so fest“, beschwere ich mich leicht schnaubend. Jolina, welche ab und zu noch als Gelegenheitsmodel arbeitet, zieht ihren Freund von mir weg, sodass ich wieder anständig Luft bekomme. „Wir haben ein paar Croissants geholt“, plappert sie fröhlich drauf los und deutet auf die Tüte in Constantins Hand. „Magst du mit uns Frühstücken?“ Ich bin gewillt nein zu sagen, aber die Aussicht meiner Stiefmutter noch ein wenig länger entfliehen zu können, kann ich mir nicht entgehen lassen. Außerdem hat es noch was Positives. Ich muss nachher den Weg nach Hause nicht alleine finden, da sie mich bestimmt dorthin begleiten werden. Wir sind in der kleinen Zweitwohnung meiner Tante, in der derzeit Constantin, Jolina und Kira wohnen angekommen und ich muss gestehen; sie gefällt mir. Sie ist modern eingerichtet und erinnert mich ein wenig an die Wohnung meines besten Freundes Emanuel. Nur das diese Wohnung hier viel aufgeräumter ist als seine. Hier sieht man definitiv an, dass zwei Frauen im Haus mit wohnen und für Ordnung sorgen. Constantin gießt sich gerade die dritte Tasse Kaffee ein, weswegen er sich einen Seitenhieb von Jolina einfängt. Sie meckert ihn voll, dass vielleicht noch andere etwas von dem Kaffee abhaben wollen, zum Beispiel sie, aber davon lässt er sich aber nicht stören. Im Gegenteil, er steckt seiner Freundin die Zunge raus. Wirklich sehr erwachsen von ihm. Ich stehe von meinem Platz auf und gehe ans Fenster, um einen Blick in den kleinen Garten zu werfen, der sich im Innenhof befindet. Mir ist vorhin schon aufgefallen, dass in ihm noch immer alle Blumen blühen, was mich etwas stutzig macht. „Das ist Kiras Garten“, höre ich Jolina sagen. Mit einer dampfenden Tasse Kaffee in der Hand stellt sie sich neben mich und sieht ebenfalls nach draußen. „Ein Zauber liegt über ihn, damit die Blumen das ganze Jahr über blühen können.“ „Fällt ja gar nicht auf“, sage ich und lasse meinen Blick über die Dächer schweifen. Die umliegenden Häuser sind allesamt größer als dieses hier. „Habt ihr denn keine Angst dass das jemand sieht und unangenehme Fragen stellt? In eurer Stadt werden jawohl nicht alle Hexen und so sein, oder?“ „Natürlich nicht“, kichert Jolina. „Die meisten die hier leben sind stink normale Menschen.“ Das war ich bis vor kurzem auch noch, denke ich und lehne mich mit dem Rücken am Fensterglas an. Ich hatte von Magie keine Ahnung gehabt – was ich im Grunde immer noch nicht habe – und führte ein ganz normales und zufriedenes Leben. Daran war auch nichts Verwerfliches. Zwar empfand ich mein Leben manchmal als etwas langweilig und monoton, aber dennoch war ich im Großen und Ganzen völlig zufrieden damit. „Der Mensch sieht nur das was er sehen will“, erklärt Constantin. „Für das meiste was um sie herum passiert, sind sie so ziemlich blind. Vor allem hier.“ „Das mag ja sein, aber nicht alle sind so“, gebe ich zu bedenken. „Es gibt genug Menschen die ihre Augen überall haben und nur darauf warten etwas zu finden, worüber sie tratschen können.“ Bei uns im Viertel war das jedenfalls so. Ich stoße mich vom Fenster ab und setze mich neben Constantin. „Aber sag mal, was meinst du damit, dass die Menschen vor allem hier blind sind?“ „Das könnten wir dir jetzt zwar erklären, aber ich fände es besser, wenn du das nächste Woche, wenn Halloween ist, einfach selber herausfindest. Dann wirst du schon wissen was wir meinen.“ „Jolina hat Recht. Und was Kiras Garten betrifft, darüber brauchst du dir auch keine Gedanken zu machen“, sagt Constantin. „Deine Tante hat den Garten extra noch mit einem Illusionszauber versehen. Sollte also wirklich mal einer genauer hinsehen, dann sieht er den Garten in Jahreszeitgemäßem Zustand.“ Einen Illusionszauber? Hm. Ich würde nur zu gerne wissen wozu ich alles im Stande sein werde. Was für magische Kräfte ich wohl besitzen werde, abgesehen von diesen Träumen. Meine Tante sagte mir, dass mein Vater Jahr für Jahr einen Magiedämmungszauber über mich hat sprechen lassen, welcher meine Zauberkräfte bannt. Der Tod meiner Mutter hatte ihn damals so sehr mitgenommen, dass er das für das Beste hielt. Er wollte nicht, dass ich mein Leben auch wegen der Magie lassen muss, so wie Mom. „Ich sollte so langsam aber sicher wieder nach Hause gehen. Mein Vater macht sich sonst sorgen um mich, wenn ich noch länger weg bleibe.“ „Sollen wir dich vielleicht begleiten?“, fragt mich Constantin. Er ist gerade dabei unser Frühstücksgeschirr in die Spüle zu legen. Vielleicht ist ja er dafür verantwortlich, dass es im ganzen Haus so sauber ist. Wenn ich ihn so beobachte kann das sogar gut möglich sein, denn er verzieht keine Miene. „Gerne.“ Ich lächle Jolina an, die neben mir steht. „Mein Orientierungssinn ist nicht gerade der beste.“ Ich ziehe mir meine Schuhe an und greife dann nach meiner Jacke. „Das haben wir mitbekommen“, schmunzelt sie. „Du bist vorhin ganz schön weit vom Weg abgekommen, meine Liebe. Hast wohl keine Angst vorm großen bösen Wolf, was. Brauchst du aber auch nicht zu haben. Conny ist auch in seiner Wolfsgestalt ein ganz lieber.“ Also scheint ein Loup-Garou sowas wie ein Werwolf zu sein, gut zu wissen. „Na sie hat ja aber noch nicht Derek kennengelernt“, sagt Constantin, der nun auch zu uns stößt und sich seine Jacke schnappt. Doch anstatt sie anzuziehen, schmeißt er sie sich über den linken Arm und hält uns dann die Tür auf. „Bitte die Damen.“ „Ich war vorhin etwas in Gedanken“, rechtfertige ich mich. Ich lege mir meinen Schal um und lasse Jolina dann den Vortritt. Sie drängt sich an Conny vorbei und drückt ihn im Vorbeigehen einen kleinen Kuss auf die Wange. „Danke, Schatz.“ „Schließlich erfahre ich nicht jeden Tag dass ich eine Hexe bin und von irgendeinem Monster gejagt werde.“ Ein zittern jagt durch meinen Körper und ich sehe kurz das Bild dieses Monsters, vor mir aufblitzen. Jolinas Handschuhbedeckte Hand kommt auf meiner Schulter zum Liegen und sie lächelt mich an. Augenblicklich geht es mir wieder besser. „Mach dir keine Sorgen, Selest. Wir werden schon dafür sorgen das sich dein Traum nicht bewahrheitet.“ „Jolina hat Recht. Wir werden nicht zulassen dass dir etwas passiert. Verlass dich drauf.“ Ich hoffe es.   Herbst 2015, le village de étoiles Kira Vaillant Ungeduldig sitze ich im Garten meiner Ziehmutter auf einer Bank und warte darauf dass sie mit ihrer Besprechung fertig ist, und endlich zu mir kommt, um mir zu sagen, warum sie mich hat rufen lassen. In letzter Zeit ist es nicht oft vorgekommen, dass ich zu ihr kommen sollte. Sie weiß ja am besten, was für schmerzhaften Erinnerungen dieser Ort in mir hervorruft. Ihr dürfte es da nicht anders gehen. Nur liebt Antoniella ihren Garten einfach viel zu sehr, als das sie ihn meiden würde. Dennoch ist mir schon aufgefallen, dass sie hier nicht mehr so oft ist wie früher. Ich habe den Garten auch einmal so geliebt wie sie es noch immer tut. Kein Wunder, immerhin wuchs ich hier auf und habe viele schöne Erinnerungen an diesen Ort. Da war die Welt ja auch noch in Ordnung, denke ich und wische mir einmal über meine rechte Wange. Ich sehe auf meine Hand herab, die ein wenig feucht von der leichten Tränenspur ist. Drei Wochen ist nun her, dass ich meine beste Freundin verloren habe. Ihre Leiche wurde nie gefunden, das war auch der Grund warum ich die ersten Tage an Antoniellas Worte, Eileen sei gestorben, gezweifelt habe. Doch letzten Endes musste auch ich mir eingestehen, dass sie Recht hatte. Immerhin ist Antoniella, als Hohepriesterin ihres Zirkels, mit jedem einzelnen Mitglied verbunden und spürt, wenn jemand dem Tode nahe, oder wie in Eileens Fall, sogar gestorben ist. Die nächste Träne die meine Wange herunterläuft, wische ich ebenso weg wie die erste. Ich muss schnellstens aufhören an Eileen zu denken, bevor ich noch richtig mit weinen anfange. „Entschuldige, dass du so lange warten musstest“, ertönt Antoniellas weiche Stimme. Elegant wie immer, schreitet sie die Stufen, die vom Wintergarten in den Garten führt hinunter. Ihre langen schwarzen Haare hat sie zu einem einfachen Pferdeschwanz zusammengebunden und zusätzlich noch mit Blumenspangen verziert. Sie streicht ihr altmodisches Kleid glatt, ehe sie sich neben mich auf die Bank setzt. Derek, ihr Bodyguard, bleibt in einiger Entfernung von uns stehen. Ich schenke meiner Ziehmutter ein zaghaftes Lächeln und versuche so gut es geht den braungebrannten und muskelbeladenen Loup-Garou hinter uns auszublenden. In seiner Gegenwart fühle ich mich immer wie ein kleines Kind, und das, obwohl er gerade mal acht Jahre älter ist als ich. „Fanny sagte es sei wichtig“, fange ich an. Ich mag es nicht wenn Stille zwischen uns herrscht und das, wo ich eigentlich eher ein ruhiger Typ bin und gerne meine Ruhe habe. Aber bei ihr ist das anders. Immerhin kann sie Gedanken lesen und davon macht sie gerne gebrauch. Vor allem bei mir. „Du weißt ja das ich Eileen...“ Ich schließe meine Augen, kaum dass sie ihren Namen erwähnt und atme einmal tief ein, „beim diesjährigen Zirkeltreffen als meine Nachfolgerin benennen wollte.“ Ich nicke leicht. Antoniella dreht sich zu mir um und greift sanft nach meinen Händen. Wie immer sind sie Eiskalt. „Es hätte ihr gefallen wenn ich dich als meine Nachfolgerin benenne. Du hast das Potential dazu.“ Ich löse mich von meiner Ziehmutter und stehe dann abrupt auf. Ein paar Sekunden lang bleibe ich noch stehen um mich zu sammeln, ehe ich leise: „Ich kann das nicht“, flüstere ich und dann fluchtartig den Garten verlasse. Ich renne an den blauen Rosen und den roten chinesischen Nelken, welche sie so sehr liebt vorbei. Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass Derek mir folgt, doch das interessiert mich herzlich wenig. Wie kommt Antoniella nur auf die blöde Idee mich als ihre Nachfolgerin benennen zu wollen? Der Großteil des Zirkels kann mich nicht ausstehen und die die mich halbwegs leiden können, zählen zu meiner sozusagener Familie. Und das sind nun wirklich nicht viele. Wieso also ich? Weil ich Potential habe? So ein Unsinn. Ich benutze ja nicht mal mehr Magie. „Kira warte“, ruft Derek mir hinterher. Da er schneller als ich ist, hat er mich nach wenigen Schritten, leider auch schon eingeholt und hält mich nun am Handgelenk fest. Dieser verdammte Loup-Garou. Ich versuche mich ihm zu entziehen, obwohl das recht wenig Sinn ergibt, da er mir natürlich Kräftemäßig haushoch überlegen ist. „Was denkt sie sich dabei?“, schimpfe ich, nachdem ich mich etwas beruhigt habe – wenn auch nicht ganz. „Ich bin noch nicht mal eine Phönix-Hexe. Ich kann... Das Triumvirat wird das niemals erlauben.“ Und ich will es auch gar nicht. Ich meine… Was habe ich schon davon? Nichts. Jedenfalls nichts außer Scherereien. Und Probleme habe ich weiß Gott schon so genug. Da muss ich mir nicht noch mehr davon aufhalsen. Derek sieht mich mit emotionsloser Miene an. Seine dunkelblauen Augen bohren sich in meine grünen. Nach gefühlten 10 Minuten wende ich meinen Blick gen Boden. „Das haben sie bereits“, klärt er mich ungewohnt sanft auf und lässt mein Handgelenk wieder los. „Beim Zirkeltreffen nächste Woche werden sie es offiziell machen.“ Wirklich? Also damit hätte ich nun nicht gerechnet. Erstens, weil mich, wie bereits erwähnt, so gut wie kein Mitglied der noch vorhandenen Zirkel mag – inklusive des Triumvirats – und Zweitens, weil es noch nie vorgekommen ist, dass ein fremdes Zirkelmitglied, die Nachfolge einer Hohepriesterin angetreten ist. Das ergibt ja auch überhaupt keinen Sinn. Jeder Zirkel verwendet schließlich eine andere Form der Magie und folgt auch anderen Lehren. Die Stonehenge-Hexen beispielsweise mögen keine Loup-Garou in ihrem Zirkel, was ich absolut nicht nachvollziehen kann. Gerade in unserer heutigen Zeit, wo die Übergriffe der Hexenjäger immer häufiger werden, sollte man nicht auf die Stärke der Gestaltwandler verzichten. Doch Xenia, die Hohepriesterin der Stonehenge-Hexen, bleibt, was das betrifft eisern. Was auch immer sie für Gründe dafür haben mag, ich verstehe sie nicht. Ich beschließe mich auf den Heimweg zu machen. Da ich ohne Auto hier bin, dürfte das gut zwei Stunden dauern, was bedeutet, dass ich pünktlich zum Mittag zu Hause sein kann. Hoffentlich hat Constantin war anständiges gekocht. Ich winke Derek zum Abschied zu und bin gerade mal drei Schritte weit gekommen, als er mich erneut am Handgelenk festhält. „Was soll das werden“, fragt er und sieht mich dabei streng an. Ernsthaft. Würde ein Lächeln ihn umbringen? „Ich will nach Hause“, antworte ich ihm monoton. Was soll ich denn sonst tun? Etwa mit ihm eine Runde durch den Wald laufen? Als wenn er gerne Gesellschaft um sich hätte. Das ist mal eine Sache, die er und ich gemeinsam haben. Da fragt man sich doch echt, warum wir beide keine Freunde sind. Eigentlich müssten wir zwei auf einer Wellenläge sein. Wir hassen beide die Gesellschaft von anderen; Grübeln fast den ganzen Tag vor uns hin und sind totale Spaßbremsen – zumindest wenn man Constantins Worten Glauben schenken darf. Wir sind quasi wie füreinander geschaffen und doch können wir uns nicht wirklich leiden. Was wohl auch daran liegt, dass Derek niemanden so wirklich leiden kann, abgesehen von seinem kleinen Bruder natürlich. Bei dem scheint Derek immer wie ausgewechselt zu sein. „Das du nach Hause willst ist mir schon klar, aber warum gehst du in diese Richtung? Mein Auto parkt auf der Südseite des Anwesens. Und jetzt komm endlich.“ Und schon zieht mich Derek hinter sich her. Ich stolpere fast über einen morschen Ast, kann mich aber gerade so noch fangen. Warum kann er aber auch nicht mal etwas vorsichtiger sein. Nicht jeder hat schließlich solch einen ausgeprägten Gleichgewichtssinn wie er. Kann ja auch nicht jeder ein durchtrainierter Loup-Garou sein. „Du willst mich also ernsthaft nach Hause fahren?“, frage ich, obwohl diese Frage genaugenommen sinnlos ist. Was sollte es sonst für einen Grund für ihn geben, mir zu sagen wo sein Auto parkt. Und doch ist die Frage gerechtfertigt, denn Derek hat mich noch nie nach Hause gefahren. Irgendetwas an dem heutigen Tag gefällt mir nicht. Und dabei hat der gerade erst mal angefangen. „Lady Antoniella bat mich, von nun an nicht mehr von deiner Seite zu weichen.“ „Was?“ Ich entziehe mich Dereks eisernen Griff und bleibe abrupt stehen. „Wieso?“ „Ich glaube nicht das ich dir das erkläre muss, Kira.“ Wie nicht anders zu erwarten, motzt Derek mich an – statt mir eine vernünftige Antwort zu geben – und läuft dann einfach weiter. Da mir eh nichts anderes übrigbleibt folge ich ihm. Auch wenn ich keine wirkliche Lust dazu habe. Aber was soll ich machen. Ihm weglaufen geht schlecht, da er mich in weniger als einer Sekunde wieder eingeholt hätte. Ich folge Derek also stumm und überlege, wer dann jetzt an Antoniellas Seite ist, wenn Derek von nun an bei mir ist. Vermutlich wird Xander seinen Platz einnehmen, was mich nicht wundern würde. Immerhin sind er und meine Ziehmutter seit Jahren ein Paar. Ich mag Xander. Zwar wirkt er auf den ersten Blick, durch seine mehr als imposante Gestalt, seiner etwas dunkleren Hautfarbe und dem meist grimmig schauenden Gesichtsausdruck – was Derek eindeutig von ihm hat – sehr gefährlich, doch das täuscht. Xander Morgen ist einer der gutherzigsten Menschen die ich kenne. Eileen und ich haben früher sogar daran gezweifelt, ob er und Derek wirklich miteinander verwandt sind, so unterschiedlich wie sie sind. Doch wenn man sie erst einmal in ihrer Wolfsform gesehen hat, dann ist jeder Zweifel dahin. Die beiden sehen nämlich nicht nur gleich aus, abgesehen von der Größe – Derek ist etwas größer als sein Onkel, sondern sie agieren auch fast identisch. „Mein Onkel passt auf Lady Antoniella auf“, sagt Derek, so als wüsste er dass ich bis eben noch darüber gegrübelt habe, wer seinen Posten übernimmt. „Und jetzt komm endlich. Wir müssen meinen Bruder noch von seinem Unterricht abholen und dann ein paar Sachen von uns daheim holen. Also Trödel bitte nicht rum.“ „Moment mal. Heißt das etwa ihr werdet bei uns wohnen?“ „Ja.“ Das wird ja immer besser. Ich stöhne frustriert auf. Gegen Paul habe ich ja nichts, der ist immerhin noch nett, aber Derek... Ich bin mal sehr gespannt was Constantin dazu zu sagen hat. Immerhin können sich er und Mr. Schweigsam, so gar nicht ausstehen. Und jetzt sollen sie auch noch unter einem Dach zusammen leben. Zwei Loup-Garou. Eigentlich kein Problem, solange sie wenigstens demselben Rudel angehören, doch das ist bei den beiden ebenfalls nicht der Fall, da Derek ein Alpha ist und Constantin ein Rudelloser. Das kann also nur schief gehen.   Herbst 2015, le village de étoiles Selest Peterson Kaum das ich zuhause angekommen bin, höre ich auch schon die Stimme meiner Tante aus dem Wohnzimmer brüllen. So wie es aussieht haben sie und mein Vater mal wieder Streit. Das ist ja nichts Neues. Seit wir hier sind, bekriegen die beiden sich immer nur dann, wenn sie alleine sind. Sobald meine Stiefmutter oder Stiefgeschwister zu Hause sind, verhalten sie sich zivilisiert. Das bedeutet also, dass wir drei alleine sind. Sehr schön. „Ich fühle mich nun mal wesentlich wohler, wenn meine Tochter in meiner Nähe ist“, brüllt mein Vater zurück. Ich lehne mein Ohr an die Wohnzimmertür an, und lausche dem weiteren Streitgespräch. „Das verstehe ich ja, aber du kannst sie nicht beschützen, Daniel. Ohne deine Magie hast du nicht die geringste Chance gegen Lykan. Ich will sie dir ja nicht wegnehmen, Herrgott nochmal.“ Doch das reicht mir nicht. Meiner Neugierde völlig verfallen, blinzle ich durchs Schlüsselloch ins Wohnzimmer. Mein Vater sitzt auf unserem dunkelroten Sofa, während meine Tante mit verschränkten Armen vor ihm steht. „Ich kann sie nicht auch noch verlieren, Sis. Selest ist doch alles was ich noch habe“, sagt mein Vater. Meine Tante hockt sich vor ihn hin und nimmt ihn sachte in den Arm. „Das weiß ich, Daniel. Das weiß ich.“ Wahnsinn. Für so Mitfühlend habe ich meine Tante nicht gehalten. Auf mich hat sie immer solch einen strengen und kalten Eindruck gemacht. Ich öffne die Tür und gehe ohne was zu sagen auf meinen Vater zu. Er sieht mich mit traurigen Augen an, schenkt mir aber dennoch ein kleines Lächeln. „Deine Tante und ich müssen mit dir reden, Liebes.“ Ich nicke und setze mich neben meinen Vater aufs Sofa. Meine Tante setzt sich uns gegenüber, auf den Glastisch. Ich sehe beide nacheinander erwartungsvoll an. „Ich habe deinem Vater eben schon erklärt dass unsere Hohepriesterin es für besser hält – ich bin übrigens derselben Meinung wie sie, wenn du zu Kira und den anderen ziehst.“ Ich will sofort protestieren, doch meine Tante schneidet mir mit einer schnellen Handbewegung das Wort ab. „Es ist nur für so lange, bis du dich selber verteidigen kannst, Liebes. Ende des Jahres verliert der Zauber über dich seine Wirkung und wir können mit deinem Training anfangen. Doch bis es soweit ist, bist du angreifbar.“ Mein Vater greift nach meiner Hand und drückt sie fest. Daraufhin lehne ich mich an seine Schulter an. „Was deine Tante damit sagen will ist, dass ich dich nicht beschützen kann. Nicht so wie die drei das können. Auch wenn es mir absolut nicht gefällt, aber hier bist du nicht sicherer als du es in Berlin wärst. Und ich will das du sicher bist.“ „Das weiß ich doch, Dad. Und es ist ok, wirklich“, schniefe ich und drücke mich enger an ihn. „Wirklich?“ Meine Tante sieht mich überrascht an. „Ja. Es ist ok. Ich meine, ich will schließlich nicht als Futter irgendeines Ungeheuers enden, also… denke ich, ist es wohl ok. Außerdem sind Constantin und Jolina echt nett und Dad ist nicht aus der Welt. Ich kann ihn jederzeit besuchen kommen.“ Mein Vater hält meine Hand noch immer fest umklammert und drückt sich jetzt seinerseits dichter an mich. Dann nimmt er mich richtig in den Arm und flüstert mir ins Ohr. „Ich will das du nicht mehr alleine raus gehst, ok? Nimm immer einen der anderen mit. Versprich es mir, Selest.“ Ich sehe meinen Vater empört an. Wieso verlangt er von mir, dass ich nicht mehr alleine raus gehen soll? In meinem Traum war es doch stockdunkel als ich angegriffen und ermordet wurde. Also kann mir doch Tagsüber nichts Schlimmes passieren. Oder etwa doch? „Ich kann mir denken was dir gerade im Kopf umherschwirrt, Kindchen. In deinen Träumen siehst du zwar was passieren wird, aber nie genau wann.“ „Heißt das“, unterbreche ich meine Tante, „dass es überall passieren kann. Also auch hier… hier bei euch?“ „Nein“, kommt es wie aus der Pistole geschossen, von meiner Tante. „Du warst in deinem Traum alleine als du angegriffen wurdest, nicht wahr?“ Ich nicke. „Also wird es auch nur dann passieren wenn du alleine bist. Und genau deswegen solltest du vermeiden alleine zu sein. Verstehst du das?“ Ich seufze. Na das klingt doch großartig. Ich werde nicht mal mehr alleine aufs Klo gehen dürfen, wenn das so weiter geht. Ich finde es ja schön dass sich meine Familie solche Sorgen um mich macht, aber was ist mit Constantin, Jolina und Kira? Haben sie auch nur einmal an die drei gedacht? Ich kann mir nämlich nicht vorstellen, dass auch nur einer von ihnen es so toll finden wird, mich immer um sich zu haben. Irgendwann will doch jeder einmal seine Ruhe haben. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren stehe ich auf und verlasse das Wohnzimmer. Die besorgten Blicke meines Vaters und meiner Tante spüre ich zwar, aber ich ignoriere sie. Ich muss jetzt erst einmal alleine sein, da es wohl auch das letzte Mal sein wird. „Pack deine Sachen zusammen“, höre ich Fanny mir noch hinterherrufen. „Ich fahre dich gleich rüber.“ Ich antworte ihr nicht. Es ist mittlerweile abends und ich sitze zusammen mit Jolina, Constantin, Kira und mir zwei Unbekannten, im Wohnzimmer. Meine Tante hatte mich, kaum dass ich meine Sachen zusammengepackt hatte, zu ihnen gefahren und allen Anwesenden erklärt, warum ich jetzt bei ihnen wohnen werde. Darüber hinaus haben Jolina, Constantin und ich erfahren dass Derek – das ist der ältere der beiden Neuen – ab jetzt zusammen mit seinem kleinen Bruder Paul, hier ebenfalls wohnen wird. Constantin war alles andere als einverstanden damit gewesen, musste sich dann aber, nach minutenlangem Protest, geschlagen geben. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum er nun am weitesten weg von Derek sitzt. Constantin hat es sich vor dem Kamin, in dem ein warmes und angenehmes Feuer lodert, bequem gemacht. Auf seinem Schoss sitzt Jolina. Ich habe es mir in dem einzigen vorhandenen Sessel bequem gemacht. Mir gegenüber auf der Couch sitzen Kira und Paul, während Derek mit verschränkten Armen, am Türrahmen angelehnt dasteht. „Wenn es stimmt was Fanny uns sagte – und davon gehe ich mal stark von aus – dann wäre es besser wenn Selest erstmal bei einem von uns mit im Zimmer übernachtet“, bricht Constantin die eisige Stimmung im Raum. Seit meine Tante wieder gegangen ist und uns somit allein gelassen hat, hat niemand mehr auch nur ein einziges Wort gesagt. Auch ich nicht, dabei habe ich sehr viele Fragen an meine neuen Mitbewohner. Erste wäre gewesen… Wer ist eigentlich dieser Lykan, von dem vorhin, beim Streit zwischen meinem Vater und meine Tante, die Rede war. „Ich würde sagen wir quartieren sie fürs erste bei Kira ein.“ Jolinas Vorschlag wird von dieser schnaubend zur Kenntnis genommen. Da scheint jemand genauso wenig von begeistert zu sein wie ich. Dabei habe ich generell nichts gegen Kira, überhaupt nichts. Aber von den dreien, also Kira, Jolina und Constantin, komme ich mit ihr halt am wenigsten aus. Ich weiß auch nicht woran das liegt. Vielleicht ja daran, dass Kira immer so etwas Kaltes ausstrahlt. „Warum ausgerechnet bei mir“, beschwert sie sich prompt und sieht Jolina zornig an. „Na weil Constantin und ich uns schon ein Zimmer teilen und Derek und Paul sich ebenfalls. Da bleibst halt nur du übrig, Kira.“ „Und sieh es mal so, du hast dann endlich mal etwas Gesellschaft. Das wird dir gut tun, glaub mir. Einsamkeit steht dir nämlich nicht so gut.“ „Vielleicht will ich keine Gesellschaft haben. Schon einmal daran gedacht?“ Constantin grinst vor sich hin und Kira wirft eines der Kissen nach ihm. Er weicht dem heranfliegenden geschickt aus und versteckt sich dann hinter seiner Freundin. Jolina greift nach dem Kissen und schlägt es Constantin um die Ohren. Der hört augenblicklich auf zu lachen und giftet nun seinerseits seine Freundin an. Das hält allerdings nicht lange und er entschuldigt sich. „Sorry“, sagt er, aber nicht zu Kira, wie ich erwartet habe, sondern zu Jolina, die ihn noch immer finster ansieht. Was ist denn mit denen los. Um die Stimmung um neunzig Grad zu drehen, da ich nicht will dass die drei sich meinetwegen noch richtig in die Wolle bekommen, versuche ich einfach mal das Thema zu wechseln. Und natürlich auch, weil ich mehr über diesen Lykan erfahren will. Wenn ich nämlich mit meiner Vermutung richtig liege, dann scheint es sich bei dem ja um meinem zukünftigen Mörder zu handeln. Ich habe also ein gutes Recht zu erfahren wer oder besser gesagt was er ist. „Sagt mal“, versuche ich vorsichtig ihre aller Aufmerksamkeit zu erlangen. Es scheint zu klappen, denn Jolina und Constantin streiten sich nicht mehr und auch Kira sieht nun zu mir rüber. „Wer ist eigentlich Lykan? Dieser Namen viel vorhin, als meine Tante und mein Vater sich unterhalten haben.“ Oder gestritten. Constantin und Jolina wechseln mit Kira einen seltsamen Blick aus, den ich nicht einordnen kann. Es vergeht fast eine ganze Minute, ehe ich endlich eine Antwort auf meine Frage bekomme. Überraschenderweise ist es aber Derek der mir antwortet. Er kann also doch reden. „Lykan ist der älteste und auch gefährlichste unter den Wolfsmenschen“, erklärt er mir mit seiner rauchigen Stimme. Irgendwie hat sie Ähnlichkeit mit der meines besten Freundes Emanuel. „Jahrhunderte lang hat er Jagd auf junge und noch recht unbeholfene Hexen gemacht.“ „Der Legende nach soll der Loup-Garou, der ihn damals erschaffen hat, sich an den Hexen rächen wollen, weil ihr unsersgleichen früher als Sklaven gehalten habt. Zwar ist sein Erschaffer irgendwann Anfang Fünfzehnhundert gestorben, aber Lykan existiert noch immer. Keiner weiß wieso er noch am Leben ist, aber es geht das Gerücht um, dass er das Herz seiner Opfer isst und dadurch die Unsterblich erlangt hat“, fährt Constantin fort. Mir läuft es eiskalt den Rücken runter. Was ja aber auch kein Wunder ist bei dem was ich eben gehört habe. Zusätzlich wird mir unerträglich heiß und das liegt definitiv nicht am Kaminfeuer. „Soll das heißen, dass er nur hinter mir her ist, weil er mein Herz will?“, stelle ich die Frage aller Fragen. Ich sehe einen nach dem anderen an und erkenne, dass sie ausnahmslos alle denselben Gesichtsausdruck aufgelegt haben. Sie haben Mitleid mit mir – sogar dieser Derek. „So weit wird es gar nicht erst kommen, Selest“, versucht Constantin mich aufzumuntern. Das rechne ich ihm wirklich hoch an, nur leider klappt das nicht vermutlich erhofft. Aber wie soll es das auch, immerhin habe ich gerade erfahren, dass irgend so ein alter und gefährliches Wolf-was-auch-immer-Dingens, mein Herz will. „Conny hat Recht. Wir sind schließlich hier und…“ „Und was Jolina“, schnauze ich sie an, auch wenn es mir sofort leid tut. Immerhin wollen sie mir ja nur helfen. „Derek hat doch eben gesagt, dass dieser Lykan verdammt alt und gefährlich ist. Was bitte schön wollt ihr da gegen ihn ausrichten? Ich meine nichts gegen euch, aber… seht euch doch mal an. Ihr seid selber kaum älter als ich. Paul sogar wesentlich jünger. Wie zum Teufel soll ich da von euch verlangen, dass ihr euer Leben für mich aufs Spiel setzt? Mag ja sein das meine Tante das kann, aber ich kann es nicht. Und ich will es auch nicht.“ „Selest, wir…“ „Lass gut sein, Jolina“, schneide ich ihr das Wort ab. Ich erhebe mich und nehme meine Reisetasche hoch, die noch immer neben dem Sessel auf dem Boden liegt. „Ich muss jetzt ein wenig für mich alleine sein und… ach ich weiß doch auch nicht. Das ist einfach viel zu viel für mich momentan“, schluchze ich. Wie ich es doch hasse so schwach zu wirken. Ich fahre mir mit der freien Hand durch die Haare. Ich versuche meinen schnellschlagenden Puls etwas runterzufahren. „Kann mir einer von euch sagen wo mein Zimmer ist? Ich würde mich gerne hinlegen und ein wenig schlafen.“ „Wendeltreppe hoch und die zweite Tür auf der rechten Seite“, erklärt Kira. Ich bedanke mich bei ihr und gehe sofort nach oben.   Herbst 2015, le village de étoiles Kira Vaillant „Und was machen wir nun“, fragt Jolina. Sie erhebt sich von Connys Schoß und setzt sich in den nun freien Sessel. „Auch wenn ich Selest verstehen kann, so können wir nicht die Gefahr in der sie sich befindet, einfach verleumden. Hast du morgen schon irgendwas Wichtiges vor, Kira?“ „Nein! Wieso, ihr etwa?“ „Naja!“ Constantin kratzt sich am Kopf. „Wir wollten morgen für drei Tage nach Paris fahren. Verlängertes Wochenende, sozusagen.“ „Bitte? Und das wo wir hier gerade alle Hände voll zu tun haben. Spinnt ihr? Das könnt ihr aber getrost vergessen.“ Verlängertes Wochenende, ich fasse es nicht. „Fahrt ruhig“, sagt Derek und stößt sich endlich mal vom Türrahmen ab. Er setzt sich neben Paul aufs Sofa. Meinen giftigen Blick ignoriert er. „Ich bezweifle das in den nächsten Tagen etwas passiert. Und eine großartige Hilfe wirst du darüber hinaus wahrscheinlich eh nicht sein, Constantin. Meinen Segen habt ihr.“ Dereks unterschwelliger Tonfall ist mir nicht entgangen und Conny leider auch nicht. Er erhebt sich, um sich womöglich auf seinen Kontrahenten zu stürzen, doch ich stelle mich Kopfschüttelnd zwischen die beiden Streithähne. Eine heftige Prügelei zwischen beiden können wir beim besten Willen nicht gebrauchen. Ich wende mich an Derek. „Und was machen wir wenn Lykan genau das ausnutzen wird? Dann bist du der einzige der hier wirklich kämpfen kann.“ „Hey“, beschwert sich Paul. „Ich bin auch noch da.“ „Ja. Aber du hast dich erst ein einziges Mal gewandelt und außerdem glaube ich kaum, dass Derek dich gegen Lykan kämpfen lässt, dafür bist du noch viel zu jung.“ „Lass ich ihn wirklich nicht“, bestätigt Derek sofort. „Und was euch betrifft“, wende ich mich an die beiden Verliebten. „Wie kommt ihr nur auf den Gedanken in den Urlaub zu fahren, während ganz offensichtlich Lykan hier umherschleicht? Er hat schon eine von uns getötet, soll Selest jetzt etwa die nächste sein. Wollt ihr das?“ „Natürlich nicht“, sagt Constantin und sieht mich entschuldigend an. „Die Fahrt ist nur schon lange geplant gewesen und… Ich habe Jolina den Parisaufenthalt zum Geburtstag geschenkt. Sie hat sich drauf gefreut. Und ich mich auch, immerhin haben wir schon lange nichts mehr so wirklich alleine unternommen.“ Das ist ja alles schön und gut, aber diese Reise kann man ja nun wirklich verschieben. Ich meine, ich gönne ihnen ja ein wenig Zeit zu zweit, aber nicht gerade jetzt. Jolina und Conny sind beide mit den Geschichten um Lykan aufgewachsen, sie wissen also wie gefährlich er ist. Und wenn er wirklich hinter Selest her sein sollte, dann brauchen wir jeden einzelnen von uns. Falls das überhaupt ausreicht. Ich erhebe mich von Sofa und steuere die Wendeltreppe an. Bevor ich in mein Zimmer rauf gehe um mich schlafen zu legen, drehe ich mich noch einmal zu den anderen um. „Ich kann euch nicht dazu zwingen hierzubleiben“, sage ich an Constantin gewandt. „Aber ich bitte euch darum, morgen nicht zu fahren. Wenn ihr aber unbedingt fahren wollt, dann tut es. Ich nehme es euch nicht übel.“ Wie könnte ich auch. Ich weiß nicht mehr wie oft ich mir schon gewünscht habe von hier wegzukommen und sei es nur für ein paar Tage. Einfach mal was anderes sehen als unsere kleine Stadt und vor allem mal andere Leute kennen zu lernen. Mir ist durchaus klar dass ich als Menschenscheu gelte und generell gesehen diese meide, aber das eine hat mit dem anderen ja nicht unbedingt was zu tun. Ich muss ja nicht mit den Menschen reden, um sie kennen zu lernen. Es würde mir ja schon ausreichen sie einfach nur zu beobachten und zu studieren. Einmal bin ich bisher hier weggekommen. Das war vor vier Jahren, als ich zusammen mit Eileen und Xander an die Ostsee gefahren bin. Viel weiß ich von dem Urlaub nicht mehr, da mittlerweile wieder so vieles um uns herum geschehen ist, aber eins weiß ich noch ganz genau. Ich habe es genossen. Oben angekommen, öffne ich sofort meine Zimmertür und habe meine Hand schon am Lichtschalter, als mir einfällt, dass ja Selest hier ist. Da sie bestimmt schon schläft, nehme ich die Hand dort wieder weg und verlasse mein Zimmer, um erstmal ins Bad zu gehen. Ich putze mir die Zähne und ziehe dann mein Schlafzeug an, welches ordentlich zusammengelegt in deinem der Regale liegt. Sobald alles erledigt ist, gehe ich in mein Zimmer zurück und versuche mich dort blind zu orientieren. Ohne Probleme erreiche ich mein Bett. „Ich hoffe es stört dich nicht wenn ich außen schlafe“, höre ich Selest sagen. Sehen tue ich sie ja nicht. „Ist ok“, antworte ich ihr und krabble an der Wandseite entlang ins Bett. Ich decke mich zu, ziehe meine Beine etwas an meinen Körper und drehe mich zur Wand hin, sodass ich mit dem Rücken zu Selest liege. „Tut mir leid dass ich euch solche Umstände mache“, erklingt nach ca. zehn minütiger Stille, Selest müde Stimme. „Schon ok“, meine ich nur. Sie kann ja im Grunde nichts dafür. Doch warum ist Lykan ausgerechnet hinter ihr her? Klar, sie ist eine unerfahrene Junghexe – die bis vor kurzem nicht mal wusste das sie eine Hexe ist – und damit passt damit klar in sein Beuteschema, aber dennoch. Irgendwas scheint hier faul zu sein, nur was? Was hat Selest nur an sich, dass Lykan es so deutlich auf sie abgesehen hat. Den Erzählungen nach hat er immer nur willkürlich gemordet. Ich werde das Gefühl nicht los, dass man uns irgendwas verschweigt. Vielleicht sollte ich Antoniella morgen mal darauf ansprechen. Ich kenne sie gut genug um zu erkennen wenn sie mir was verschweigt. „Versuche etwas zu schlafen“, rate ich Selest. Ich schließe meine Augen und befinde mich ein paar Minuten später im Land der Träume.   Herbst 2015, le village de étoiles Selest Peterson Kira und ich verlassen gerade den Bäcker, bei dem wir fünf Croissants und sieben helle, sowie drei dunkle Brötchen gekauft haben. Die Verkäuferin war nicht gerade das was man nett nennt, ganz im Gegenteil. Sie war sowas von unfreundlich, das ich kaum Worte dafür finde. Und dabei heißt es immer der Kunde sei König. Aber naja. Vielleicht hängt ihre schlechte Laune aber auch damit zusammen, dass wir es gerade mal kurz nach halb sechs haben. Die gähne laut und halte mir schnell die Hand vor den Mund. „Letzte Nacht habe ich eindeutig zu wenig Schlaf bekommen und dafür viel zu viel nachgedacht“, sage ich laut und eher zu mir selber. Die Sache mit diesem Lykan schwirrt mir noch immer im Gedächtnis rum und ich glaube nicht, dass sich das bald ändern wird. Warum muss der aber auch ausgerechnet hinter mir her sein. Ich habe ihm doch nichts getan. „Glaubst du dass er das Interesse an mir verliert, wenn ihm klar wird, dass er mich nicht alleine antreffen wird.“ Ich weiß nicht wieso ich Kira das frage. Vielleicht weil ich die Stille nicht mehr ertragen kann, die zwischen uns herrscht, oder aber weil es mich wirklich interessiert. „Das glaube ich eher nicht“, antwortet Kira mir, was mich wirklich überrascht. Gestern Abend, bei dem Gespräch mit den anderen, hatte ich das Gefühl das sie mich nicht so wirklich leiden kann und kaum Wert darauf legt, was mit mir passiert. Aber naja. Dass sie mir auf meine Frage antwortet, muss ja nicht zwangsweise bedeuten dass wie beide Freunde werden. Wahrscheinlich antwortet sie mir sogar nur aus reiner Höflichkeit. „Ich weiß zwar nicht warum er es auf dich abgesehen hat, aber ich denke das da mehr dahinter steckt. Irgendwas sagt mir, dass er nicht einfach nur dein Herz will.“ Das hört sich aber nicht gut an und dennoch bestätigt das meine Befürchtungen. „Aber warum, wenn es ihm im Grunde doch nur darum geht. Wieso geht er dann das Risiko ein vielleicht getötet zu werden?“ „Ich glaubt nicht dass er das in Betracht zieht. Falls er überhaupt nachdenken tut. Wolfsmenschen gelten nicht gerade als schlau, musst du wissen. Sobald ein Mensch sich in einen Wolfsmenschen gewandelt hat, übernimmt das Tier die Oberhand. Bei den Loup-Garou ist das wiederum anders. Da harmonieren Tier und Mensch miteinander, meistens jedenfalls. Aber Ausnahmen gibt es ja bekanntlich überall.“ Kira sieht mich entschuldigend an. Wir biegen in eine dunkle Gasse ein, als ich ein langgezogenes Knurren höre. Erschrocken bleibe ich stehen. „Was war das?“, frage ich und schaue zu Kira, die ebenfalls stehengeblieben ist. In ihrem Gesicht steht blankes Entsetzen. „Das war das Knurren eines jagenden Wolfes.“ Oh bitte lass es nicht Lykan sein, bete ich und sehe mich hektisch um. Kira greift nach meinem Arm und zieht mich mit sich. Beinahe wäre ich über meine eigenen Füße gestolpert. Wir beide rennen so schnell wir können. „Ist das…“ „Ich fürchte ja“, beantwortet Kira mir meine unausgesprochene Frage. Sie klingt mehr als gehetzt dabei. „Vielleicht ist es ja Derek. Oder Constantin.“ Kann ja sein, oder nicht? Ich glaube zwar nicht dass es einer von ihnen ist, aber wünschen würde ich es mir. Ich muss an meine Tante denken und daran das sie mir gestern noch sagte, dass Lykan nur dann angreifen wird, wenn ich alleine bin. Da hat sie sich jawohl geirrt. Oh wenn ich die in die Finger kriege, oder auch nur herausfinde dass sie mich mit dieser Äußerung einfach nur beruhigen wollte, dann kann sie aber was erleben. Ich wurde von ihr und meinem Vater, nun wirklich lange genug angelogen. Ich habe ein Recht auf die Wahrheit… und zwar die ganze Wahrheit. „Derek würde sich niemals durch ein Knurren bemerkbar machen, noch nicht einmal wenn er sauer auf mich wäre. Constantin schließe ich auch aus und Paul... der hat seine erste Wandlung zwar erst hinter sich, aber ihn können wir auch ausschließen. Der hat sich unter Kontrolle, darüber hinaus würde Derek ihn nicht alleine nach draußen lassen.“ „Es gibt doch bestimmt noch mehr Loup-Garou, oder? Derek, Constantin, Paul und dieser Lykan werden jawohl nicht die einzigen sein.“ „Lykan ist ein Wolfsmensch und kein Loup-Garou“, berichtigt Kira mich. Wenn ich nicht solch eine heiden Angst hätte, würde ich sie jetzt fragen was es da für einen Unterschied gibt, aber da wir momentan wirklich andere Sorgen haben, lass ich es lieber bleiben. Erneut höre ich dieses gefährlich klingende Knurren, welches jedoch im Gegensatz zu dem vorherigen, diesmal lauter klingt. Und das kann nur eines bedeuten. Lykan ist uns nah. Viel zu nah. Herbst 2015, le village de étoiles Kira Vaillant Noch immer halte ich das Handgelenk von Selest fest umklammert und ziehe sie hinter mir her. Wir hätten durch die Innenstadt zurückgehen sollen und nicht durch die dunklen Seitengassen. Das haben wir nun davon. Sollte Lykan jetzt angreifen, haben wir nicht mal mehr genug Platz um seinen Angriffen auszuweichen. Verdammt aber auch. Wir haben es fast geschafft. Vor uns kann ich schon die Beleuchtung unserer Straße erkennen, als sich mit einmal ein dunkler Schatten vor uns auftut. Selest schriller Schrei lässt mich abrupt inne halten. Einen halben Meter vor uns steht er. Lykan! Zu erkennen ist er an seiner fast 3 Meter hohen Gestalt – wenn er auf seinen Hinterbeinen steht – und an seinem linken fehlenden Auge, welches er vor Jahrhunderten schon, bei einem Kampf mit einem Hexenjäger, verloren hat. Bedrohlich kommt er auf uns zu und fletscht mit seinen blutverschmierten Zähnen. Bevor ich auch nur reagieren kann, macht Lykan einen gewaltigen Satz auf uns zu und drängt uns beide auseinander. Mit einer seiner Pranken schlägt er nach mir und fegt mich gut einen Meter von sich. Hart schlage ich gegen einen Müllcontainer und bleibe etwas benommen liegen. Meine Sicht ist verschwommen und mein Kopf fühlt sich schwer an. Mühsam versuche ich mich aufzusetzen, was mir unter Schmerzen auch gelingt. Ich lehne meinen Rücken an den schwarzen Müllcontainer und hole erst einmal kräftig Luft. Meine Lungen brennen und am liebsten würde ich jetzt meine Augen schließen und schlafen. Doch das kann ich nicht. Ich muss unbedingt wach bleiben und Selest helfen. Ich höre Selests Schrei und blinzle mehrmals, damit sich meine Sicht endlich aufklärt. Wenigstens scheint er sie noch nicht getötet zu haben. Ich erkenne die Umrisse von Selest. Sie liegt mit dem Rücken auf dem kalten Steinboden und sieht mit Angsterfülltem Gesicht in Lykans Fratze. Speichel läuft ihm aus dem Maul, welches plätschernd neben ihr landet. Selest versucht von Lykan wegzukriechen. Doch vergebens. Er greift mit seiner blutverschmierten Pranke nach ihr und hindert sie so daran, weiter von ihm wegzukommen. Er beugt sich zu ihr runter, sodass sein Speichel ihr nun ins Gesicht tropft. Angeekelt dreht sie es von ihm weg. Wut erfasst mich. Wut auf mich selbst, weil ich nichts anderes tun kann als hilflos mit anzusehen, wie Selest von Lykan weiter zu Boden gedrückt wird. Seine Zähne sind ihr ganz nah. Wenn doch nur Jolina hier wäre, dann könnten wir es eventuell mit Lykan aufnehmen, aber ich alleine? Und das auch ohne meine Magie? Seit drei Jahren habe ich sie nun schon nicht mehr benutzt. Habe jegliche Art der Magie verweigert, seit ich erfahren habe, dass meine Eltern wegen ihr gestorben sind. Zwar kenne ich die genauen Umstände nicht – Antoniella ist diesbezüglich mehr als schweigsam – aber fakt ist: Die Magie nahm mir das, was das wichtigste in meinem Leben hätte sein sollen; meine Eltern. Ich befinde mich wirklich in einer Zwickmühle. Wenn ich nichts unternehme, wird Selest sterben. Denn auch wenn Lykan bis jetzt noch nichts weiter getan hat als sie anzustarren und vollzusabbern, bin ich doch der felsenfesten Überzeugung, dass er hier ist um sie zu töten. Und das kann ich nicht zulassen. Doch was soll ich dagegen tun? Ich habe nicht allzu viele Möglichkeiten. Genaugenommen habe ich nur eine. Ich muss ihn von Selest weglocken. Ich rapple mich auf und stütze mich noch eine Sekunde lang am Container ab, ehe ich auf Selest und Lykan zu schwanke. Wie nicht anders erwartet, hat Lykan mich bemerkt, was auch nicht allzu schwer ist, so wie ich vor mich hin keuche. Er lässt tatsächlich von Selest ab und dreht sich zu mir um. Ein tiefes Knurren entweicht seiner Kehle. Er scheint sauer zu sein. Wieder schlägt Lykan mit seiner Pranke nach mir, doch diesmal bin ich vorbereitet. Ich ducke mich unter ihr weg und befinde mich nun zwischen Selest, die immer noch am Boden liegt, und Lykan. Das scheint ihm nicht zu passen. „Geh mir aus dem Weg, Hexe“, höre ich eine dunkle und doch recht klare Stimme. Verdutzt sehe ich mich kurz nach einer weiteren Person um, aber außer uns dreien ist niemand zu sehen. Kann es etwa sein das... Nein. Das ist unmöglich. Wolfsmenschen können in ihrer verwandelten Form nicht sprechen. Zumindest habe ich noch nie davon gehört dass sie dazu imstande sein sollen. Aber andererseits klang es auch eher so, als würde die fremde Stimme telepathisch mit mir kommunizieren. „Ihr wirkt überrascht, Kleines.“ Schon wieder. Lykans sabbernde Fratze verzieht sich zu einem Lächeln. Je näher er mir kommt, desto deutlicher erkenne ich es. Selest, die sich mittlerweile aufgerappelt hat – zitternd spüre ich sie dicht hinter mir stehen – zupft an meinem Ärmel. „Lass uns einfach verschwinden“, flüstert sie mir zu. „Wir sind doch fast zu Hause.“ „Wir wären niemals schnell genug“, flüstere ich zurück. Ich greife mit meiner rechten Hand nach hinten und schiebe Selest weiter weg, da uns Lykan, für meinen Geschmack, viel zu nah ist. Ich kann seinen faulen Atem riechen. „Ich will nur die Phönix hinter dir. Gib sie mir und ich lasse dich am Leben.“ „Vergiss es“, zische ich und gehe weiter auf Abstand. Wenn wir das hier überstehen, dann werde ich in den alten Büchern sämtliche Berichte über Wolfsmenschen noch einmal gründlich durchgehen müssen. Vielleicht finde ich ja irgendwo den Beweis dafür, dass sie tatsächlich telepathische Fähigkeiten haben. „Dummes Kind. Ich habe zwar den Befehl dich am Leben zu lassen, aber davon das du unversehrt bleiben musst war nicht die Rede.“ Was meint er denn damit? Das wird hier ja immer verwirrender. Ehe ich mich weiter mit den beiden Fragen beschäftigen kann, wieso Lykan meinen Tod nicht will, dafür aber unbedingt den von Selest – der Loup-Garou der ihn einst gewandelt hat kann den Befehl nicht gegeben haben, der ist schon lange tot – da springt Lykan auf uns zu. Bevor er uns beide erreicht, schupst Selest mich zur Seite. Und während ich hart mit dem Kopf auf dem Boden aufschlage, knallt Lykans Körper gegen den von Selest und reißt sie so erneut zu Boden. „Du bist genauso dumm“, höre ich erneut diese dunkle und bedrohliche Stimme. „Anstatt dich selber in Sicherheit zu bringen, rettest du die Wicca. Hast du vergessen, dass ich ihren Tod nicht will? Ich will nur deinen.“ Ich sehe gerade so noch wie Lykan sein Maul aufreißt und seine spitzen Zähne zum Vorschein kommen. Selest spitzen Schrei nehme ich kaum mehr wahr, da sich eine Dunkelheit um mich legt und ich das Bewusstsein verliere. Kapitel 2: trügerische Wahrheit ------------------------------- Herbst 2015, Ort unbekannt Selest Peterson Hektisch renne ich durch einen Wald. Ich weiß nicht wo ich bin, geschweige denn wie ich hierhergekommen bin. Alles was ich weiß ist, dass Kira und ich von Lykan angegriffen wurden. Noch immer spüre ich seinen faulen Atem. Angewidert verziehe ich mein Gesicht und wische mir einmal mit der Hand drüber. Blutgeruch steigt mir in die Nase und irgendwas Feuchtes scheint meine Wange runterzulaufen. Ich sehe mir meine Hand an und muss mich beinahe übergeben. Sie ist voller Blut. Ich lasse meinen Blick an mir runtergleiten. Ich trage eine weiße Bluse, auf der sich ein kleiner roter Fleck – es ist Blut – befindet, der immer mehr an Größe gewinnt. Ich reiße mir die Bluse vom Körper. Glücklicherweise trage ich noch ein hauchdünnes Shirt darunter, sodass ich nicht nur mit einem BH bekleidet, durch den Wald rennen muss. Ein eisiger Wind fegt durch die Bäume, zwischen denen ich Schutz suche. Da ich nur noch knapp bekleidet bin, umschlinge ich meinen Körper mit meinen Armen und versuche mich etwas Warm zu reiben. Auch wenn ich dadurch das Blut, das an meinen Händen klebt, auf meine Oberarme schmiere. Das ist mir egal, denn lieber das, als hier draußen zu erfrieren. Um mich herum rascheln die Blätter im Wind, der von Minute zu Minute stärker zu werden scheint. Da ich hier draußen nicht erfrieren will, erhebe ich mich wieder und beschließe lieber weiter zu laufen. Auch wenn ich keine Ahnung habe wohin. Ich habe nicht mal einen Schritt getan, als ich eine leicht verzerrte Stimme wahrnehme und wie angewurzelt stehen bleibe. Irgendetwas an ihrem Klang bewirkt, dass ich mich noch unwohler fühle als ohnehin schon. „Der Plan hat sich geändert. Ich brauche sie lebend. Bringe sie mir.“ „Was wollt ihr von ihr?“ Eine zweite Stimme ist zu hören. Sie klingt rauer und auch wesentlich bedrohlicher als die erste. „Ihre Macht. Hör zu. Wir werden uns erst dann wieder treffen wenn du sie zu mir bringst. Meine Tochter schafft es immer häufiger mich zurückzudrängen. Scheinbar ist ihr Geist stärker als ich zuerst annahm, weswegen wir vorsichtig sein müssen. Ich will nicht riskieren das sie mich bemerkt und dann alles auffliegt.“ „Das ist nicht das erste Mal, das ihr euch geirrt habt, Herrin. Ich wäre heute fast gestorben, bei dem Versuch diese Hexe zu töten. Ihr habt mir nicht gesagt dass sie über solch mächtige Magie verfügt.“ „Ich wusste es nicht. Und glücklicherweise weiß sie das auch nicht. Und genau so soll es bleiben. Niemand darf erfahren, dass die Tochter dieser Verräterin, eine der fünf Zodiac-Hexen ist. Das würde alles ruinieren. Und genau deswegen musst du sie zu mir bringen. Ich will ihre Macht, koste es was es wolle.“ Zodiac? Was ist das denn nun schon wieder. Und von wem ist hier überhaupt die Rede. Mit heute könnte der Angriff auf mich und Kira gemeint sein und… Das würde sogar Sinn ergeben, da ich mir zu 99 Prozent sicher bin, dass es sich bei der zweiten Stimme, um die von Lykan handelt. So klar und deutlich wie ich die in meinem Kopf vernommen habe, erinnert sie mich doch stark an ihn. Ich fasse mir an den Kopf und schließe für einen Moment meine Augen. Wenn ich doch nur wüsste, wie ich hierhergekommen bin. Fragen über Fragen strömen auf mich ein. Wie konnte ich Lykan entkommen, wo er doch schon dabei war mich zu töten? Und ist es Kira gewesen, die Lykans Angriff stoppte und ihn dabei fast tötete? – wer anderes war ja nicht da, also muss es sie gewesen sein. Oder war ich es sogar selber? Ist meine Magie womöglich doch schon jetzt zu mir zurückgekommen, obwohl der Zauber erst Ende des Jahres enden soll? Ich dränge mich dichter an die dicke Eiche hinter mir. Mein Körper zittert nicht mehr und das, wo Lykan doch in unmittelbarer Umgebung zu sein scheint. Hoffentlich riecht er mich nicht, oder findet auf anderen Wege heraus dass ich hier bin. Das wäre nicht sehr vorteilhaft für mich. Es ist fast eine halbe Stunde vergangen, in der ich keine der beiden Stimmen mehr vernommen habe. Zaghaft schiele ich hinter meinem Versteck hervor und blicke mich etwas um. Es ist niemand zu sehen, doch das muss nicht zwangsweise auch bedeuten, dass keiner mehr da ist. Dennoch nehme ich all meinen Mut zusammen und gehe endlich weiter. Ich muss hier weg. Das Knacken des Zweiges, auf den ich eben getreten bin, schallt um mich herum wieder. Lauter als eigentlich üblich, sodass ich erschrocken zusammenzucke. Etwas Hartes legt sich auf meine rechte Schulter und drückt zu. Ich drehe meinen Kopf leicht in diese Richtung. Mein Herz klopft wie wild, als ich die Klauen erkenne, die sich schmerzhaft in mein Fleisch bohrt. Ich schreie laut auf. Selest! Ich höre jemanden meinen Namen rufen, doch dieser jemand scheint sehr weit weg zu sein. Lykans grinsende Fratze drängt sich dicht an mein Ohr, sodass ich ein weiteres Mal, seinen faulen Atmen riechen kann. „Du kannst mir nicht entkommen“, flüstert er und beißt dann zu. Ein spitzer Schrei entweicht meiner Kehle.   Herbst 2015, le village de étoiles Kira Vaillant „Was hat sie nur?“, fragt Constantin und versucht weiterhin Selest aufzuwecken. Seit mehr als zwei Stunden versuchen wir das jetzt schon, aber bisher ohne Erfolg. Kaum das Arashi uns beide gerettet hat, ist sie in Ohnmacht gefallen – was ich gut nachvollziehen kann, immerhin wäre sie beinahe von Lykan getötet wurden. Und seitdem ist sie nicht wieder aufgewacht. Anfangs haben wir das für eine ganz normale Reaktion gehalten, aber mittlerweile sieht es nicht mehr danach aus. Seit Selest Schweißausbrüche hat und wie wild um sich schlägt, ist uns allen dreien klar, dass irgendwas nicht zu stimmen scheint. Ich stehe neben Jolina, die mit besorgter Miene auf Selest blickt. Diese wälzt sich immer noch in meinem Bett hin und her. „Vielleicht hat sie ja einen Albtraum“, sagt Jolina. Das mit dem Traum könnte gut möglich sein, denke ich und krame in meinen Erinnerungen nach. Irgendwann hat Antoniella mir und Eileen mal etwas über die einzigartigen Kräfte mancher Hexen erzählt. Darunter auch, woran man erkennt wann eine Hexe eine Traumvision hat. Und ich glaube sie erwähnte sogar, dass es auch schon vorgekommen ist, dass eine Hexe in ihrer Traumvision gestorben ist. Und wenn genau das jetzt auch mit Selest passiert, dann bedeutet das, dass sie nicht nur in ihrem Traum, sondern auch in der Wirklichkeit stirbt. „Wir müssen sie wachbekommen. Und zwar jetzt“, schreie ich Constantin an. Erschrocken sieht er zu mir auf. „Was denkst du denn was wir hier versuchen.“ „Ich weiß. Aber wenn wir sie nicht wachbekommen, dann stirbt sie.“ Jolina und Constantin sehen mich überrascht an. „Was meinst du damit?“, will Jolina von mir wissen. „Ich meine, dass sie gerade dabei ist in ihrem Traum zu sterben. Wir müssen…“ Ich sehe mich in meinem Zimmer um. „Irgendwo habe ich doch bestimmt… Ah, das dürfte auch gehen.“ Ich hole den kleinen Kerzenständer, der auf meinem Schreibtisch liegt und gehe mit diesem wieder zu Selest. Ohne zu zögern, oder auch Jolina und Constantin mein Vorhaben zu erklären, ramme ich die Spitze, auf die normalerweise eine Kerze gesteckt wird, in Selests Oberarm. Der spitze Schrei den sie daraufhin loslässt, geht beinahe unter ihren anderen Schreien, die wesentlich lauter sind, unter, dennoch ist er gut herauszuhören. Mit einem Ruck setzt sich auf und knallt mit ihren Kopf gegen den von Conny. Beide reiben sich den schmerzenden Schädel. Hektisch sieht sich Selest um und versucht dabei krampfhaft Luft in ihre Lungen zu pumpen. Ich setze mich zu ihr aufs Bett und fasse sie dann bei den Schultern. „Schau mich an, Selest“, bitte ich sie. Es dauert ein paar Sekunden, doch dann tut sie es. Noch immer geht ihre Atmung schwer, doch allmählich beruhigt sie sich. „Was hast du gesehen?“, fragt Jolina sie, woraufhin ich nur mit dem Kopf schüttele. „Jetzt nicht“, sage ich an Jolina gewandt, ehe ich mich wieder auf Selest konzentriere. „Wie geht es dir?“, frage ich sie. „Es geht“, antwortet sie. Ihrer kratzigen Stimme nach zu urteilen, ist das glatt gelogen. Scheinbar will sie keine Schwäche zeigen. Als wenn wie uns was beweisen müsste. „Du kannst uns ruhig die Wahrheit sagen. Wir können verstehen, wenn es dir nicht gut geht. Du bist immerhin knapp einem Mordanschlag entkommen. Und für dich ist das alles noch neu.“ Selest blickt mir in die Augen, wendet sich aber augenblicklich wieder von mir ab. Sie schaut auf ihre Hände und schlägt sie dann vor ihrem Gesicht zusammen. Dann beginnt sie zu weinen. „Ich kann das nicht“, flüstert sie leise, sodass ich sie kaum verstanden hätte. „Warum passiert das ausgerechnet mir. Ich… Ich verstehe das einfach nicht.“ Vorsichtig streiche ich ihr über den Rücken. Constantin und Jolina sind mittlerweile aus meinem Zimmer verschwunden. Haben sich zurückgezogen, damit Selest ein wenig zur Ruhe kommen kann. „Es ist ok. Niemand verlangt von dir, dass du mit all dem klar kommst.“ Es vergehen ein paar Minuten, in denen ich Selest zwar weiterhin über den Rücken streiche, sie aber ansonsten in Ruhe lasse. Ich glaube das kann sie gerade wirklich gebrauchen. Sie braucht niemanden der ihr Fragen stellt, oder sie mit irgendwelchen Fakten konfrontiert. Sie möchte einfach nur das das Gefühl vermittelt bekommen, nicht alleine zu sein. „Ich habe Lykan gesehen“, beginnt Selest ganz von sich aus das Gespräch zu suchen. Ihre Stimme wirkt immer noch etwas brüchig, aber wesentlich besser als vor 10 Minuten. „Er hat mich gebissen und…“ Sie hält inne und fasst sich an ihrer rechten Schulter. „Es war nur ein Traum“, erkläre ich ihr. Ich weiß nicht ob ich ihr erzählen soll was das für ein Traum war, oder ob ich ihr solche Sachen, eher von Fanny erklären lassen sollte. Andererseits… sollte sie schon die Wahrheit wissen und es ist ja nicht so als wüsste sie nicht, dass sie eine Traumseherin ist. „Er fühlte sich so real an“, erwidert sie. Selest steht vom Bett auf und sieht erst einmal an sich runter. „Ich konnte das Gras unter meinen Füßen spüren und… auch der Biss von Lykan kam mir so real vor. Und… das ganze Blut, welches überall an meinem Körper und meinen Sachen war… alles fühlte sich so echt an. Ganz anders als beim ersten Traum den ich bereits von Lykan hatte.“ Selest sieht zu mir und greift nach meinen Schultern. Schmerzhaft drückt sie sie und sieht mich dann flehend an. Ich kann es ihr nicht vorenthalten. „Du bist eine Traumwandlerin, Selest“, komme ich dann mit der Wahrheit heraus. „Du siehst manchmal in deinen Träumen nicht nur die Zukunft, sondern kannst auch durch deine oder andere Träume wandeln. Eigentlich dürfte das aber erst mit Erhalt deiner Kräfte so weit sein. Ich weiß nicht genau wieso du es jetzt schon kannst, aber ich denke das liegt daran, weil du im Zentrum deines Zirkels bist. Alle Kräfte sind hier viel stärker als Außerorts. Wenn du mehr darüber wissen willst musst du allerdings mit deinem Vater reden. In den Büchern, die wir zu lesen bekommen, steht nicht viel über die außergewöhnlichen Kräfte drinnen, vor allem nicht über deine. Die Traumwandlung zählt mit zu den gefährlichsten, da sie ihren Nutzer auch töten können. Darum solltest du auch niemals zwanghaft versuchen, diese spezielle Kraft einzusetzen.“ Selest nickt und ich befreie mich dann erst einmal von ihrem festen Griff. „Und was ist mit den Visionen?“, will sie wissen. „Wie gesagt, kenne ich mich da nicht so gut aus“, gestehe ich ihr. Ich gehe zu meinem Schreibtisch und hole mein weißes Buch hervor. „Jede Hexe sollte ihr eigenes Hexenbuch haben. Das hier ist meines“, sage ich und gebe es ihr. „Deine Mutter müsste eigentlich auch eins gehabt haben, aber ich habe keine Ahnung wo es ist. Du könntest Antoniella mal deswegen fragen, vielleicht weiß sie wo es ist, da es nach dem Tod deiner Mutter an sie gegangen ist.“ „Warum hat mein Dad es nicht? Und was ist mit seinem?“ „Es ging nicht an ihn, weil dein Vater seine Magie vollständig bannen lassen hat. Er hat den Zirkel quasi verlassen und somit kein Recht mehr darauf gehabt. Weder auf das deiner Mutter, noch auf sein eigenes. Beide müssten jetzt eigentlich an dich gehen, da du ja so gut wie dem Zirkel angehörst und das weiße Buch von Generation zu Generation weiter gegeben werden muss.“ Weitere Details nenne ich ihr ab dieser Stelle dann nicht mehr, da es besser ist, wenn ihr alles weitere Fanny erklärt. Außerdem habe ich ja auch kein Recht dazu Selest mehr zu sagen. Zwar komme ich mit Fanny gut zurecht und sie hätte bestimmt auch nicht dagegen wenn ihr ihrer Nichte mehr erzähle, aber wenn sie mich nicht direkt darum bittet, tue ich es lieber nicht. „Wenn du möchtest, kannst du ein wenig durch meines durchstöbern. Es steht noch nicht viel drinnen, da ich es neu anfertigen musste, aber…“ „Wieso hast du nicht das von deinen Eltern?“ Selest hat sich mittlerweile etwas Frisches angezogen. Ich werfe einen Blick in ihren Teil des Kleiderschrankes und bin erstaunt, dass sich dort nur schwarze Sachen befinden. Damit hat sie kein Problem dabei, passende Sachen rauszusuchen, da Farblich eh alles eins ist. Ich drehe mich von der Tür weg, da ich eigentlich gerade dabei war runter zu den anderen zu gehen und sehe wieder zu Selest. Sie ist gerade dabei sich die Haare zu kämmen. „Antoniella vermutet, dass die Bücher meiner Eltern, bei dem Krieg vor 17 Jahren abhandengekommen sein müssen. Bist du fertig?“, frage ich sie. Selest nickt. „Dann lass uns runter zu deiner Tante gehen. Fanny möchte bestimmt wissen was passiert ist. Und ich übrigens auch. Arashi wollte es mir nicht sagen. Vielleicht ist er bei dir ja Redseliger, was dieses Thema angeht. Dieser Kerl kann sonst auch nie die Klappe halten, aber wenn er mal was erzählen soll, macht er es nicht.“ Dieser Depp. Mit Arashi bin ich noch nie sonderlich gut ausgekommen. Zwar ist er der beste Freund von Constantin und war Eileens fester Freund – falls er zu sowas wie Lieben überhaupt fähig ist, bei seinen vielen Frauengeschichten – aber nun ja. Man kann sich ja nicht mit jedem Freund seiner Freunde verstehen. Und schlimm finde ich das auch nicht. Arashi ist mir meistens eh zu anstrengend und außerdem kannte er… „Wer ist denn dieser Arashi?“, unterbricht Selest meine Gedankengänge. Wir gehen die Wendeltreppe nach unten, die die Schlafräume mit dem Rest der Wohnung verbindet und gehen dann ins Wohnzimmer. Ich will Selest gerade erklären wer Arashi ist und das sie in seiner Gegenwart sehr vorsichtig sein soll, als sich das – bei dem Bild was sich uns beiden bietet – wohl von ganz alleine regeln wird. „Was zum…“ Mit offenem Mund beobachtet Selest ihre Tante dabei, wie diese sich bei Arashi für die Rettung von Selest bedankt. Ich wusste ja das sie das vorhatte, aber ich dachte da eher an ein einfaches Dankeschön oder so, aber nicht, dass sie ihn erlaubt, sich von ihr zu ernähren. Erstens ist es ziemlich waghalsig das ausgerechnet hier zu machen, wo Derek jederzeit reinplatze kann – der Vampire, im besonderen Arashi, hasst – und es zweitens, den Vampiren eh verboten ist, sich von einer Hexe zu ernähren. „Tante Fanny!“, schreit Selest und stürmt auf die beiden zu. Selest stürmt sofort vorwärts und will ihre Tante von Arashi wegzerren, doch glücklicherweise schafft Constantin es gerade so noch Selest aufzuhalten, ehe sie auch nur eine Hand an Arashi legen konnte. Denn auch wenn er eigentlich Gut ist, man sollte niemals einen Vampir davon abhalten sich zu nähren. Jedenfalls nicht wenn man nicht den Wunsch hegt zu sterben. Die Instinkte eines sich nährenden Vampirs sind immer in allerhöchster Allarmbereitschaft, um sich falls notwendig, sofort gegen Angreifer währen zu können. Nicht einmal Jolina, Constantin und ich zusammen – auch nicht wenn Derek hier wäre und auf Fanny hätten wir sowieso nicht zählen können – hätten gegen Arashi den Hauch einer Chance gehabt. Dafür ist er viel zu alt und zu mächtig. „Nicht!“ Constantin hält Selest am Arm fest und zieht sie ein paar Schritte zurück, sodass sie genug Abstand zu Arashi hat. „Aber…“ „Einen Vampir darfst du niemals beim essen stören“, erklärt er ihr und hält sie dabei immer noch fest. Wieder einmal bin ich über Constantins gute Reflexe froh. Nicht auszumalen was passiert wäre, wenn Selest,11 Arashi gestört hätte. Was Conny aber für die Zukunft noch in den Griff bekommen sollte ist, erst nachzudenken bevor er was sagt. Immerhin glaube ich kaum, dass das Wort essen, so günstig gewählt war. Einerseits ist es ein sehr unschönes Wort und auf der anderen Seite könnte Selest es falsch verstehen. Schließlich ist Fanny ja nicht Arashis Mittag. Selest wendet sich Constantin ab und sieht völlig sprachlos auf ihre Tante und Arashi. Dieser ist gerade fertig geworden und leckt sich nun genüsslich über die Lippen. Scheinbar hat es ihm geschmeckt. „War das gut. Da hat sich das Retten ja mal richtig gelohnt.“ Arashi erhebt sich und legt einen Arm um Constantins Schulter, der kurz zuvor an seine Seite getreten ist. Arashi grinst seinen besten Freund an. „Tante Fanny!“ Selest hat sich aus ihrer Starre gelöst und setzt sich zu ihrer Tante auf die Couch. Fanny sieht sie aus erschöpften Augen an. „Musstest du gleich so viel trinken?“, frage ich an Arashi gewandt. Er zuckt nur mit den Schultern und sieht sich wieder mal nicht dazu verpflichtet mir zu antworten. Das macht der doch mit Absicht. „Lass gut sein, Kira. Ich habe ihm gestattet so viel zu sich zu nehmen, wie er benötigt. Er hat immerhin dir und Selest das Leben gerettet. Da war das nun wirklich das mindeste was ich für ihn tun konnte.“ „Und was ist mit dem Verbot?“, will Jolina wissen. Sie hat Constantin von Arashi weggezogen und sich mit ihrem Freund zusammen auf ihren Lieblingssessel gesetzt. Arashi setzt sich auf die Sessellehne und schaut Jolina provozierend an. „Wir müssen es ja nicht unbedingt eurer teuren Hohepriesterin erzählen“, rät Arashi mit einem Augenzwinkern. „Außerdem habe ich mir das wirklich…“ „Jaja“, unterbreche ich ihn. „Wir wissen es.“ Mit finsterer Miene sieht Arashi zu mir. Viele junge Hexen – auch manch ältere – hätten sich davon beeindrucken lassen, oder wären gar einschüchtert gewesen, aber ich nicht. So einen Blick bekomme ich von Derek oft genug zu sehen. Dagegen bin ich inzwischen immun. Da Arashi das auch weiß, bedenkt er mich nicht lange mit diesem Blick. Stattdessen beobachtet er kurz Selest, die immer noch die Wunde ihrer Tante begutachtet. „Das heilt wieder“, erklärt er ihr. „Aber mal was anderes…“ Seine immerwährend grinsende Miene verschwindet und wird mit einmal ernst. „Woran kannst du dich alles so erinnern?“ Selest wendet sich Arashi zu und beäugt ihn misstrauisch. Zumindest die ersten Minuten lang. Doch je länger sie sich beide ansehen, desto faszinierter scheint Selest von dem Blutsauger zu werden. Und das ist nicht gut. Ganz und gar nicht gut.   Herbst 2015, le village de étoiles Selest Peterson „Das letzte woran ich mich erinnern kann ist, dass ich Kira zur Seite geschupst habe und dann dieser Lykan auf mich sprang. Ich roch seinen faulen Atem und dachte nur, das war es jetzt mit mir. Jetzt wird er mich töten, doch…“, das hat er nicht. Ich gehe kurz in mich, ehe ich weitererzähle. „Mit einmal fand ich mich in einem Wald wieder. Meine Klamotten waren voller Blut und… nachdem ich ein paar Minuten quer durch den Wald gelaufen bin, konnte ich einem Gespräch von Lykan und einer weiteren Person lauschen.“ „Das meinte ich zwar nicht, aber gut. Erzähl uns halt erst einmal von deiner Traumwandwanderung.“ Dieser Arashi lächelt mich an und zwinkert mir verführerisch zu. Ich drehe mich von ihm weg. „Moment mal“, unterbricht Jolina Arashis Flirterei. Sie sieht zu Constantin, genauso wie alle anderen auch. „Wolfsmenschen können doch nicht sprechen, zumindest habe ich noch nie davon gehört. Das ergibt ja aber auch keinen Sinn, oder?“ Constantin zuckt mit den Achseln und seufzt einmal laut auf. Also wenn er es als Loup-Garou nicht weiß, woher sollten dann die anderen das wissen. „Normalerweise sind die dazu nicht im Stande, aber… wer weiß wozu Lykan, durch den Verzehr eines Hexenherzens, alles fähig ist. Möglich wäre es also schon.“ „Mich würde ja viel mehr interessieren wer diese andere Person war“, sagt Kira und setzt sich neben mich auf die Couch. Sie dreht sich mir zu und sieht mich dabei nachdenklich an. „Vertraust du uns?“ Es überrascht mich dass ausgerechnet Kira mich das fragt. Doch noch mehr überrascht es mich, dass ich ohne zu zögern nicke. Wieso tue ich das? Im Grunde kenne ich hier doch, mit Ausnahme meiner Tante, niemanden wirklich lang genug, um behaupten zu können ihnen zu vertrauen. Und doch tue ich es. Jolina und Constantin waren von Anfang an nett zu mir und haben mich in ihrer Mitte akzeptiert. Kira war bereit mich zu beschützen, ganz gleich was das für sie bedeutet hätte und Arashi… Ich blicke in seine Richtung. Der Vampir steht mit verschränkten Armen neben der Tür und blickt zu mir rüber. Seine dunkelgrünen Augen fixieren mich und es hat ganz den Anschein, als würden sie durch mich hindurchsehen. Er zwinkert mir erneut zu, was mich dazu veranlasst wieder einmal wegzusehen und mich lieber wieder Kira zuzuwenden. „Natürlich vertraue ich euch“, sage ich. „Gut. Und jetzt versuch dich bitte ganz genau an das Gespräch aus deiner Traumwandlung zu erinnern. Schließ dazu deine Augen.“ Eine Sekunde zögere ich, tue aber schließlich wie mir geheißen und schließe meine Augen. Mir ist nicht ganz wohl bei der Sache. Ich kann es nicht wirklich erklären, aber irgendetwas sagt mir, dass das hier eine ganz üble Idee ist. Doch ich brauche ein paar Antworten und um die zu bekommen, bin ich zu allem bereit. „Und was nun?“, will ich wissen. „Konzentriere dich bitte und denke an die Traumbegegnung mit Lykan“, höre ich meine Tante sagen. Sofort spüre ich ihre Anwesenheit genau neben mir. Sie sitzt zu meiner Linken und greift mit ihren Händen nach meinen. Sie drückt sie ganz fest. Und mit einmal durchströmt mich eine unglaubliche Energie. Sie pulsiert in meinem Inneren. Und es fühlt sich einfach großartig an. „Deine Tante verbindet jetzt ihre Magie mit deiner unterdrückten miteinander“, erklärt mir Jolina. „Und sobald dies geschehen ist, werdet ihr beide euch in deinem Traum wiederfinden.“ Was? Nein! Ich öffne meine Augen und will die Verbindung lösen, als sich die komplette Umgebung verändert. Das Wohnzimmer inklusive Kira, Jolina und die anderen verschwimmen vor meinen Augen. Da ich mir nicht sicher bin ob ich mir das hier nur einbilde, schließe ich erneut meine Augen, nur um sie eine paar Sekunden später, aufgrund eines leichtem Händedruck seitens meiner Tante – der mir beteuert, dass alles ok ist – wieder öffne. Ich stehe erneut im Wald. Ich blicke an mir runter und atme erleichtert auf. Es befindet sich kein Blut an meinen Klamotten, nicht so wie heute früh. Ich blicke nach links und sehe meine Tante neben mir stehen. „Versuch dich jetzt bitte ganz genau an den Weg zu erinnern, den du vorhin genommen hast“, bittet sie mich. Ich tue wie mir geheißen, und atme einmal tief Luft ein, um mich konzentrieren zu können. Dann, als ich mir sicher bin, setze ich mich in Bewegung. Herbst 2015, le village de étoiles Kira Vaillant Eine halbe Stunde ist mittlerweile vergangen und noch immer sind Selest und Fanny in diesem Traum. Eigentlich habe ich nicht damit gerechnet, dass es so lange dauern wird, aber da Selest ja noch eine blutige Anfängerin ist, wird das wohl ganz normal sein. Außerdem darf ich nicht vergessen, dass diese Reise für Selest alles andere als einfach ist. Fanny wird es bestimmt nicht einfach haben, ihre Nichte zu überzeugen weiter zu gehen, ganz gleich auf wen sie treffen werden. „Mach dir keine Gedanken um die beiden, Kira.“ Derek legt mir eine Hand auf die Schulter und drückt sie kurz. Er ist vor 10 Minuten ins Wohnzimmer gekommen. Er war zusammen mit seinem Bruder draußen laufen und hat ihn dann zu Vincent gebracht. Wir haben Derek dann in knappen Worten erklärt gehabt was vorgefallen ist. Verständlicherweise war er alles andere als begeistert davon gewesen, dass Lykan uns beide angegriffen hat. Auch von Arashis Anwesenheit war er nicht sehr begeistert, doch er hat es sich diesmal nicht so sehr anmerken lassen wie die male davor. Ich schätze das es heute damit zu tun hatte, dass Arashi mir und Selest das Leben gerettet hat. Es klingelt an der Tür und alle Anwesenden, einschließlich Arashi und Derek, zucken zusammen. Zischend steht Jolina auf und geht Richtung Eingangstür, während ich weiterhin auf Selest und Fanny starre. Es gefällt mir nicht, dass wir Selest dies zumuten müssen, aber wir brauchen Antworten. Jolina kommt zurück ins Wohnzimmer. „Da ist Besuch für dich Kira“, sagt sie und deutet in Richtung Haustür. „Wer ist es?“, fragt Derek überrascht. Jolina wendet sich ihm zu und setzt sich dabei wieder zu Constantin. „Ein junger Polizist. Er untersucht den Mord an Bianca und hat wohl erfahren das Kira und sie nicht sehr gut miteinander auskamen. Jedenfalls will er mit ihr reden und bevor er gleich hier reinkommt und dann Selest und Fanny ihn ihrem Trancezustand sieht, sollte Kira schnell zu ihm gehen.“ Ich seufze leise auf und stehe dann auf. „Das hat mir gerade so noch gefehlt“, beklage ich mich, mache mich aber dennoch auf den Weg zur Tür. Sie steht offen und in der Tür steht ein attraktiver junger Mann, ich schätze ihn so in etwa in Constantins Alter. Ich sehe mir den fremden etwas genauer an. Er hat fransige dunkelbraune, ja fast schon schwarze Haare und dunkelblaue Augen. Er trägt einen schwarzen Anzug mit Krawatte, was an ihm irgendwie lächerlich ausschaut. Häufig scheint er sowas nicht zu tragen. Seine linke Hand liegt locker an seiner Hüfte und mit der rechten Hand telefoniert er. „Ich bin gerade bei… Ja Chef. Ich überprüfe nur noch die Zeugenaussage von Frau Müller und komme dann sofort ins Büro. Nein? Ok…. Wird gemacht Chef. Ich kümmere mich darum.“ Er beendet sein Telefonat und verdreht dabei die Augen. Das Gespräch verlief wohl nicht wirklich zu seiner Zufriedenheit. Er steckt sein Handy wieder weg und wendet sich dann mir zu. „Kira Vaillaint?“, fragt er mich und reicht mir seine linke Hand. Ich nicke bestätigend und lehne dann vorsichtig die Tür an. Die anderen müssen nicht unbedingt mitbekommen worüber wir reden, obwohl Conny, Derek und Arashi eh jedes Wort verstehen. Der junge Polizist nimmt seine Hand wieder zurück und grinst mich kurz an. „Ich bin Kommissar Jäger von der Mordkommission und würde von ihnen… darf ich dich duzen?“ Ich nicke. „Ja, von mir aus.“ „Sehr schön. Also. Ich würde von dir gerne wissen, was du für ein Verhältnis zu Bianca Bayer hattest.“ „Kein sehr gutes“, sage ich die Wahrheit. Warum sollte ich auch Lügen, ich habe schließlich nichts zu verbergen. Ok. Habe ich schon… irgendwie, aber das hat niemanden zu interessieren. Erst recht ihn nicht. „Wir sind nie wirklich gut miteinander klargekommen. Bianca hat mir irgendetwas, was vor vielen Jahren mit unseren Eltern zu tun hatte, sehr übel genommen. Ich kann ihnen aber nicht sagen worum es da ging, da ich es selber nicht weiß.“ „Hm.“ Er holt sich einen kleinen Schreibblock raus und schreibt sich etwas auf. „Also hatte Bianca ein Problem mit dir und du? Hattest du eins mit ihr?“ „Nein. Ich habe sie meistens ignoriert. Oder es zumindest versucht. Wollen sie mir jetzt verraten, warum sie wissen wollen, wie mein Verhältnis zu Bianca war? Sie glauben ja wohl nicht, dass ich sie ermordet habe, oder etwa doch?“ „Nun.“ Er kratzt sich verlegen am Kopf. „Wir müssen jeder Spur nachgehen, das verstehst du sicher.“ Er fängt sich wird wieder und wird ernst. „Woher weißt du das überhaupt, dass Bianca Bayer ermordet wurde? Davon habe ich nichts gesagt.“ „Erstens. Sie fragten mich was ich für ein Verhältnis zu Bianca hatte und Zweitens..., sagten sie dass sie von der Mordkommission sind. Und da ich durchaus in der Lage bin eins uns eins zusammen zu zählen… bedeutet das, dass Bianca tot ist. Außerdem sind sie hier in einer Kleinstadt, hier spricht sich alles schnell rum.“ „Doch woher weißt du dass sie ermordet wurde?“ „Von mir“, höre ich jemanden neben uns sagen. Erschrocken zucke ich zusammen und sehe dann auf. Ich blicke in das freundliche Gesicht eines Mannes mittleren Alters. Als der Fremde allerdings den jungen Polizisten ansieht, verhärten sich seine Gesichtszüge. „Und sie sind?“, will der junge Polizist wissen. Genauso wie ich, doch das werde ich bestimmt nicht laut sagen, wo er mir doch gerade geholfen hat. Auch wenn ich seine Hilfe nicht wirklich gebraucht. Eine zufriedenstellende Antwort hätte ich für den Polizisten bestimmt auch selber gefunden. „Ich bin Dr. Peterson, der hiesige Gerichtsmediziner und sie muss ich nun bitten, keine weiteren Fragen mehr an Kira zu stellen, Kommissar Jäger. Wenn sie noch weitere Fragen haben sollten, so wenden sie sich bitte an Bürgermeisterin Duvall, das ist Kiras Ziehmutter. Auf Wiedersehen.“ Selest Vater schiebt mich sachte in den Flur herein und will gerade die Tür hinter uns schließen, als ich die provozierende Stimme des jungen Polizisten noch einmal höre. „Ich wusste gar nicht dass es hier in eurer Kleinstadt üblich ist, über laufende Ermittlungen zu reden, Dr. Peterson.“ Selest Vater dreht sich um und funkelt sein Gegenüber böse an, doch statt ihm eine Antwort zu geben, schließt er vor dessen Nase die Tür. „Wo ist meine Tochter?“, fragt er mich, kaum dass wir das Wohnzimmer erreicht haben. Sobald er Selest und seine Schwester entdeckt hat, kniet er auch schon vor ihnen. „Was ist mit den beiden“, will er wissen und fühlt vorsichtig Selests Stirn. „Selest ist in ihrem Traum gewandelt, konnte sich aber nicht wirklich mehr an alle Details erinnern. Da anzunehmen ist, dass Lykan mit jemanden zusammenarbeitet – Selest hat so etwas angedeutet – versuchen die beiden nun herauszufinden, wer das sein könnte“, erklärt Arashi. Er hockt sich neben Dr. Peterson. „Keine Angst. Deiner Tochter geht es gut, Daniel.“ Die beiden sehen sich kurz an, bis sich Selests Vater wieder seiner Tochter zuwendet und sie beobachtet. Da ich der Meinung bin, dass Selest genug Leute um sich hat, schleiche ich mich aus dem Zimmer raus. Jolina, Conny und Derek folgen mir. „Ich bin in meinem Zimmer und schlafe etwas“, sage ich zu den dreien und verschwinde dann die Wendeltreppe hoch. Herbst 2015, le village de étoiles Selest Peterson Ich schrecke auf und befinde mich im Wohnzimmer wieder. Doch anders als gedacht, nämlich das Jolina, Conny und Kira bei mir sind, sehe ich meinen Vater und diesen Vampir vor mir. Und kaum das ich mich von meiner Tante gelöst habe, wirft sich mir mein Vater entgegen und erdrückt mich regelrecht. „Jage mir bitte nie wieder solche eine Angst ein, Liebes. Ich habe schon befürchtet dich für immer verloren zu haben. Glücklicherweise war Arashi da und konnte dir und Kira helfen. Nicht auszumalen was passiert wäre, wenn er auch nur eine Sekunde später angekommen wäre.“ Da ich nicht anders kann, schließe auch ich meine Arme um meinen Vater. Es tut gut ihn im Arm zu haben und gleichzeitig von ihm gehalten zu werden. Am sichersten fühle ich mich halt immer noch bei meinem Vater und so wird es wohl auch immer bleiben. Wie sehr ich seine Umarmungen doch vermisst habe, dabei habe ich sie erst gestern zu spüren bekommen. Was so ein angsteinflößender Tag doch bei mir auslösen kann. „Es ist alles ok bei mir, Dad. Kira war ja bei mir und…“ Dieser Vampir – Ich habe seinen Namen vergessen – kam dann auch. Nur leider als schon alles vorbei war und nicht wie er erzählt hatte. „Und darüber bin ich mehr als glücklich“, unterbricht mich mein Dad. Er löst unsere Umarmung und drückt dann kurz die Schulter seiner Schwester, ehe er sich an meinen Retter wendet. „Ich danke dir Arashi.“ Genau! So hieß er. Arashi. „Ich war einfach nur zur richtigen Zeit am richtigen Ort, und darüber hinaus, hat sich Fanny schon ausgiebig bei mir bedankt. Es ist also alles ok.“ Ich verdrehe meine Augen und sehe mich noch einmal nach den anderen um. Vielleicht sind sie ja doch da und ich habe sie nur nicht wirklich wahrgenommen. Doch niemand ist zu sehen. Keine Kira, keine Jolina und auch kein Constantin, dabei hätte ich gerne mit ihnen darüber geredet, was meine Tante und ich eben gesehen haben. Ich muss ehrlich zugeben, ich bin ein wenig verwirrt und kann mir nicht erklären, wieso ich eben auch einen kleinen Einblick vom ersten Angriff Lykans gesehen habe und nicht nur den im Wald, so wie es eigentlich hätte sein sollen. Ich verstehe das nicht. Und was ich auch nicht verstehe ist, wieso meine Tante davon nichts mitbekommen hat, oder etwa doch? Ich wende mich meiner Tante zu, die jetzt auch wieder im Hier zu sein scheint. „Tante Fanny! War ich eigentlich die ganze Zeit über bei dir?“, frage ich sie und bin ehrlich gespannt auf ihre Antwort. „Oder war ich für ein paar Minuten mal weg.“ „Wir waren die ganze Zeit über zusammen, Liebes. Wieso fragst du?“ „Ach, nur so“, sage ich und zucke mit den Schultern. „Ich dachte nur, dass ich kurzzeitig alleine war.“ „Da irrst du dich. Du warst die ganze Zeit über bei mir. Und nun…“ Meine Tante sieht sich wie ich zuvor auch im Wohnzimmer um. „Wo sind die anderen?“, will sie von Arashi wissen. „Kira wollte sich etwas ausruhen und der Rest…“ Arashi schließt für einen Moment seine Augen und öffnet sie sofort wieder. Was war das denn? „Conny und Jolina sind in ihrem Zimmer, oh und Derek ist bei Kira. Er hält ihr gerade einen Vortrag darüber, dass sie sich und Selest in Gefahr gebracht hat, weil sie ohne sein Wissen alleine draußen war. Das arme Ding. Derek ist ziemlich sauer. Aber naja, wo er Recht hat…“ „Aber es war nicht Kira“, beschwere ich mich. „Ich bat sie mit mir zusammen Frühstück holen zu gehen. Ich wollte mich bei ihr, Jolina und Conny für ihre Freundlichkeit bedanken. Und darüber hinaus… Du warst gar nicht dabei als Lykan uns angriff. Kira hat mich beschützt.“ „Moment mal. Was?“ Meine Tante fasst Arashi bei den Schultern und zieht ihn zu sich ran. „Soll das etwa bedeuten dass du uns angelogen hast? Und ich gab dir auch noch mein Blut.“ „Vielleicht habe ich die Wahrheit etwas gedehnt“, rechtfertigt Arashi sich und befreit sich vom Griff meiner Tante. „Ich wollte auch eigentlich nur Selests Geheimnis beschützen.“ Er sieht uns einen nach dem anderen an und bleibt dann mit seinem Blick bei mir heften. „Sie ist immerhin eine Zodiac.“ Also doch. Und das bedeutet… Mein Vater und meine Tante sehen mich geschockt an. Keiner von ihnen sagt ein Wort. Im Gegenteil. Scheinbar hat Arashis Offenbarung sie völlig sprachlos gemacht. Doch was heißt das jetzt für mich? „Aber ich dachte dass das Kira ist“, sagt meine Tante, als sie endlich ihre Sprache wieder erlangt hat. „Wir müssen das auf jeden Fall für uns behalten“, sagt mein Vater in strengem Tonfall. „Niemand darf davon erfahren, auch Lady Antoniella nicht. Vor allem nicht sie.“ Eine Zodiac zu sein scheint nicht allzu was Gutes zu sein. Obwohl… Wenn alle dachten das Kira das ist, dann kann es eigentlich nichts schlechtes sein. Doch warum dürfen die anderen es dann nicht herausfinden? „Was ist denn nun eine Zodiac“, will ich wissen. „Würde mich bitte endlich mal einer von euch aufklären? Und wenn ich wirklich sowas sein soll, heißt das dann, dass Mom eine Verräterin war?“ Diese andere Gestalt hat das immerhin gesagt. „Nein!“, sagt meine Tante bestimmend. „Es gab zwar eine Verräterin, aber deine Mutter war es nicht.“ Wer dann? Ich stehe vor Kiras und meinem Zimmer und hadere mit mir, ob ich eintreten soll. Meine Tante und mein Vater sind wieder gegangen, nachdem sie mich haben schwören lassen mit niemanden zu reden. Und auch Arashi hat sich von dannen gemacht. Keine Ahnung wohin der Vampir verschwunden ist, aber das interessiert mich auch nicht. Vielmehr will ich wissen, ob ich mit meiner Vermutung richtig liege. Da es keinen anderen Weg gibt, lege ich meine Hand auf den Türgriff und drücke ihn langsam runter. „Kira! Ich muss mit dir…“ Reden. Es ist keiner im Zimmer. Komisch. Ich habe sie es doch gar nicht verlassen hören. „Scheinbar keiner da“, kommt es von hinter mir. Ich drehe mich erschrocken um und halte mir die Hand auf die Brust. Mein Herz puckert wie wild. Und das liegt nicht nur daran das Arashi mich erschreckt hat. „Was willst du denn hier?“, frage ich ihn etwas unfreundlich. „Bist du nicht erst vor kurzem von hier verschwunden?“ „Ich bin überall“, scherzt er und deutet mir mit einem Kopfnicken an, dass ich ihm folgen soll. Ich tue es, warum auch immer. Arashi betritt eines der anderen Zimmer und setzt sich dort aufs Bett. Ich steuere die Fensterbank an und lehne mich an sie. Von seinem Posten aus beobachtet Arashi mich wieder einmal, was mich mehr als nervös werden lässt. Zumal er mich auch noch so ansieht, als wäre ich was zu essen. „Sagst du mir jetzt endlich warum ich dir folgen sollte“, frage ich ihn genervt. „Oder willst mich nur weiterhin anstarren. Denn wenn das der Fall sein sollte, dann gehe ich zurück und suche Kira. Ich habe was Wichtiges mit ihr zu bereden.“ Ohne mir zu antworten steht er vom Bett auf und lehnt sich neben mich an die Fensterbank an. Und wieder starrt er mich an. „Wenn du wissen willst, wer mit Verräterin gemeint ist, dann kann ich dir auch weiterhelfen. Dafür brauchst du nun wirklich nicht Kira.“ „Ach ja.“ Ich gehe auf etwas Abstand zu ihm und verschränke dann meine Arme vor meiner Brust. „Vielleicht rede ich aber lieber mit ihr, statt mit dir.“ Arashi schüttelt amüsiert den Kopf. „Du hast ja nicht die geringste Ahnung wie mächtig du einmal werden wirst, Selest. Deine Magie ist stärker als du denkst und sie ist auch stärker als dein Vater, deine Tante und alle anderen hier denken. Bisher war es immer Kira, welche mit zu den mächtigsten Hexen zählte – auch wenn sie selber das nicht weiß – doch mit der heutigen Demonstration deiner Kräfte, hat sich das geändert. Und glaube mir wenn ich sage, dass du gut daran tätest den Rat deiner Familie zu folgen und niemanden davon zu erzählen.“ „Wie genau meinst du das?“, verlange ich zu erfahren. „Und wenn Kira wirklich so mächtig sein soll wie du eben sagtest, wieso hat sie dann nichts unternommen, als Lykan uns beide angriff?“ „Weil Kira seit 3 Jahren ihre Magie nicht mehr anwendet.“ „Warum das denn?“, frage ich verdutzt. Wieso verwendet sie sie nicht mehr. Mit Magie ist das Leben doch viel einfacher, oder? „Ist irgendwas passiert Vielleicht etwas was ich wissen sollte?“ Schließlich kann man nie wissen. „Sagen wir mal so. Sie hat etwas über ihre Eltern erfahren, was sie nicht unbedingt hätte erfahren sollen. Und dann war es noch nicht einmal die ganze Wahrheit.“ „Wäre es dann nicht vielleicht besser ihr die Wahrheit zu sagen?“ Warum nur verschweigen hier alle immer alles Wichtige? Das scheint ja beinahe zwanghaft zu sein. Arashi streicht sich kurz durch seinen Pferdeschwanz und lehnt seinen Kopf dann an der kalten Fensterscheibe an. Von dort aus sieht er mich prüfend an. Was jetzt wohl kommen mag? „Das sie nur so reagiert hat, nachdem sie die harmlose Version erfahren hat, ist ein Glücksfall gewesen. Es hätte auch schlimmer kommen können, das kannst du mir glauben. Es ist besser Kira wendet ihre Magie gar nicht mehr an, als dass sie wie ihre…“ Er bricht mitten im Satz ab – jetzt wo es interessant wurde – und beginnt einen neuen. „Glaube mir wenn ich dir sage, dass es nicht sehr Vorteilhaft wäre ihr die Wahrheit zu sagen. Manch eine Wahrheit, sollte einfach niemals ans Licht kommen.“ „Weil ihre Mutter diese Verräterin war?“, rate ich einfach mal drauf los. „Ich kenne Kira schon ihr Leben lang, Selest. Diese Wahrheit, würde sie niemals verkraften.“ Ich blicke in Arashis schwarzen Augen, die sich mit einmal blutrot färben. „Vielleicht hast du recht“, seufze ich und belasse es dann dabei. Auch wenn glaube das sie alle einen riesen Fehler begehen. Irgendwann wird Kira es herausfinden und dann… da bin ich mir sicher, werden sie ihre Entscheidung bereuen. Arashis Augen haben mich noch immer in ihrem Bann gefangen. Um ihm nicht völlig nachzugeben, versuche ich einfach mal das Thema zu wechseln. „Erkläre mir bitte, warum ich niemanden sagen darf dass ich Kira und mich gerettet habe? Ich verstehe nicht was daran so schlimm sein soll.“ „Du hast ja keine Ahnung“, wispert er und kommt meinem Gesicht dabei immer näher. „Dann erkläre es mir bitte“, wispere auch ich. „Weil dann herauskommt das du eine Zodiac bist. Diese Nachricht würde sich rasend schnell verbreiten und das wiederum würde bedeuten, das nicht nur Lykan mehr nur hinter dir her sein wird, sondern auch andere Hexen und Hexenmeister. Einfach alle, die hinter der unglaublichen Macht der Zodiac-Hexen her sind.“ Das hört sich in der Tat nicht gut an, aber warum ist dann keiner hinter Kira her, wenn doch alle denken das sie… nun ja, eine Zodiac ist. Das frage ich auch Arashi und seine darauffolgende Antwort macht für mich schon fast Sinn. Aber auch nur fast, denn ich glaube kaum, dass Lykans Herrin schwach ist und Angst hat getötet zu werden. „An Kira traut sich so wirklich keiner ran, denn wie bereits gesagt, ist ihre Magie nicht zu verachten. Außerdem wird sie von Antoniella beschützt und…“ Sein Gesicht ist mir jetzt so nah, dass ich seinen heißen Atem auf meiner Haut spüre. Dabei dachte ich immer, dass Vampire keine Wärme besitzen, immerhin sind sie ja tot, „…niemand traut sich mehr gegen das höchste Hexengesetz zu verstoßen. Denn Verrat bedeutet Tod. Und? Willst du immer noch, dass Kira die Wahrheit über ihre Eltern erfährt, jetzt, wo du weißt was Verrätern blüht?“ Ich brauche nicht lange zu überlegen, denn die Antwort auf seine Frage ist ganz klar: Nein! Arashi Lippen liegen hauchzart auf meinen, doch bevor er mich richtig küssen tut, drückt er meinen Kopf sachte zur Seite und beißt dann in meinen freiliegenden Hals. So ein Mistkerl. Augenblicklich breitet sich ein unangenehmer Schmerz in mir aus. Ich bin versucht Arashi von mir zu stoßen. Meine Hände liegen bereits auf seiner Brust, doch ich drücke ihn nicht von mir. Irgendetwas hindert mich daran es zu tun. Der anfängliche Schmerz ist fast vollkommen abgeklungen, auch wenn es sich immer noch merkwürdig anfühlt. Doch irgendetwas scheint anders zu sein, als ich es aus den unzähligen Vampirromanen kenne, die ich schon gelesen habe. Und ich meine nicht den nicht mehr vorhanden Schmerz, sondern irgendwas an der Art, wie es sich anfühlt, von ihm ausgesaugt zu werden. Oder bilde ich es mir vielleicht nur ein, dass etwas anders ist? Gerade als ich versuchen will mit ihm zu reden, und ihn danach zu fragen, warum ich das Gefühl habe dass er mich nicht mehr aussaugt, sondern es sich so anfühlt, als wenn er mir etwas seines Blutes gibt, sehe ich ein Bild meiner Mutter und einer anderen jungen Frau vor Augen aufblitzen. Sommer 1998, le village de étoiles Ruby Peterson Nie hätte ich gedacht, dass Ileana und ich einmal auf unterschiedlichen Seiten stehen würden. Wie konnte es nur soweit kommen? Was ist nur passiert, dass meine beste Freundin sich so verändert hat, und ich es nicht mitbekommen habe? Wann nur begann unsere Freundschaft so schief zu laufen. Ich renne über das brennende Schlachtfeld. Überall liegen Verletzte und sogar Tote herum. Die meisten davon sind Wicca-Hexen und auch etliche von den Wolfsmenschen. Loup-Garous sind glücklicherweise kaum unter den toten zu finden, was auch ganz gut so ist. Sie dürfen wir als Verbündete am allerwenigstens verlieren, da ihre Stärke mit nichts vergleichbar ist, nicht mal mit denen der Vampire. Zwar gibt es unter den Blutsaugern auch Ausnahmen, zum Beispiel den Kishimoto Clan oder den Nikolov Clan, doch das ist nur eine Handvoll. Von Ileana und Alex ist bisher nichts zu sehen und doch weiß ich, dass sie hier sind. Denn auch wenn sich vieles bei ihnen verändert haben scheint, etwas wird sich nie ändern und das ist, dass sie andere ihre Schlacht austragen lassen. Sie müssen hier also irgendwo sein. Und ich hoffe sehr, dass ich sie vor den anderen finde. Wo auch immer ich hinsehe, sehe ich nichts außer Verwüstung und etliche Feuer brennen. Meine Hexenschwestern scheinen es ernst damit zu meinen, diesen Krieg gewinnen zu wollen, was ich ihnen auch nicht verübeln kann. Merkwürdigerweise kann ich nirgends Anzeichen davon finden, dass die Wicca-Hexen ihre Magie anwenden. Zwar gilt ihr Zirkel nicht als der mächtigste, aber dennoch ist ihre Magie nicht gerade schwach, ganz im Gegenteil… Sobald mehre von ihnen ihre Kräfte erst einmal bündeln, können sie gewaltige Unwetter heraufbeschwören, allen voran Ileana und Alex. Kann es vielleicht sein, dass ich irgendetwas übersehen habe? Ist Ileana vielleicht doch nicht hinter den Zodiacs her? Ich glaube Ileanas dunkelroten Haarschopf gesehen zu haben. Dort, wo bis vor kurzem noch unser Friedhof war, doch jetzt nichts weiter mehr als Brandflecken und vereinzelte Flammen zu sehen sind. Glücklicherweise haben Lady Antoniella und Fanny ihn noch vor dem ganzen Chaos hier, mit einem Bannkreis versehen. Ich beschleunige meine Schritte und tatsächlich habe ich mich nicht geirrt. Ileana und Alex stehen auf der einen und Fanny sowie mein Mann Daniel, auf der anderen Seite. Doch keine der beiden Gruppen macht Anstalten die andere angreifen zu wollen. Es besteht also durchaus noch Hoffnung für uns alle. „Ihr solltet lieber aufgeben, Ileana. Noch ist nicht allzu viel passiert und Opfer gibt es auch noch nicht so viele. Euch kann noch verziehen werden“, höre ich Fanny sagen. Und an ihrer nicht aggressiven Stimme erkenne ich, dass sie es auch ernst meint. „Ihr habt ja keine Ahnung was hier wirklich vor sich geht, Fanny“, sagt Alex und stellt sich schützend vor seine Freundin. Ich kann wirklich nicht verstehen wieso sich Ileana in ihrem Zustand, auf solch einen Kampf einlässt. Das ist doch viel zu gefährlich für sie, aber vor allem für ihr Ungeborenes Kind. Endlich habe ich sie erreicht und bevor einer etwas Unüberlegtes tun kann – Fanny sieht mittlerweile sehr Angriffslustig aus – stelle ich mich zwischen die Vier. Ileana sieht mich und schließt für einen Moment ihre Augen. Ihre Hände wandern zu ihrem Bauch und streicheln kurz über diesen. Da hat sich wohl wer gemeldet, und genau das sollte ich ausnutzen. „Denkt doch bitte an eure Kleine“, wende ich mich an sie und Alex. Ich kann und will nicht gegen sie kämpfen müssen. „Lasst uns über alles reden, ich bitte euch.“ Alex schnaubt leise und sieht zu Ileana rüber. Diese schüttelt ihren Kopf und flüstert ihm irgendwas zu, doch ich kann nicht verstehen was sie ihm sagt. „Wir tun das hier, weil wir an unsere Kinder denken, Ruby“, sagt Ileana und schaut mich dabei an. Noch immer hält sie sich ihren runden Bauch. Allzu lange kann es bei ihr nicht mehr sein. Sobald ich weiß, ist der Geburtstermin eh in ein paar Tagen. „Ihr habt ja überhaupt keine Ahnung, was hier wirklich los ist. Ihr werdet von oben bis unten von…“ Bevor Ileana ihren Satz zu Ende sprechen kann und ich endlich erfahre was hier wirklich vor sich geht, da wird sie von einer kleinen Feuerkugel und einer Energiekugel am Rücken getroffen. Sie geht stöhnend zu Boden. Ich will sofort zu ihr rennen und ihr helfen, doch Daniel greift schnell nach mir und zieht mich hinter sich. Ich schätze er geht davon aus das Alex uns als Revanche nun angreifen wird, doch der denkt nicht daran. Im Gegenteil. Er hockt neben der Mutter seines noch ungeborenen Kindes und versucht sie zu heilen. Ich habe diesen Angriff nicht kommen sehen. Wieso auch, immerhin sind außer uns fünfen hier, keiner in unmittelbarer Umgebung gewesen. Von wem stammt also dieser, mehr als hinterhältige Angriff? „Geht es ihr gut“, frage ich an Alex gewandt, doch der beachtet mich nicht. Ich sehe wie er eine Hand auf Ileanas Bauch legt und sie keine Sekunde später auch wieder aufsteht. „Lass uns von hier verschwinden, Schatz.“ Alex greift Ileana unter die Arme und hält sie so aufrecht. Scheinbar scheint es ihr nicht so gut zu gehen, wie es nach einer Heilung eigentlich hätte sein sollen. Und das bedeutet, dass Alex nicht im Vollbesitzt seiner Kräfte ist. „Wir können nicht“, widerspricht ihm Ileana. „Wir können nicht einfach so aufgeben.“ Da Daniel mich noch immer am Handgelenk festhält, versuche ich mich mit etwas mehr Gewalt von ihm zu lösen. Aber ich schaffe es nicht. „Nicht“, kommentiert er meinen Versuch und zieht mich mit sich, immer weiter weg von meiner besten Freundin und seinem besten Freund. „Aber wir müssen ihnen doch helfen, Daniel.“ „Willst du wirklich dabei sein, wenn die drei Hohepriesterinnen sich gegenseitig bekämpfen? Also ich nicht.“ „Aber Ileana ist doch viel zu schwach dafür. Genauso wie Alex. Diesem Angriff werden sie nichts entgegenzusetzen haben. Sie werden sterben, Daniel. Das sind unsere besten Freunde, wir müssen ihnen einfach helfen. Ich bitte dich.“ „Sie haben sich das hier selber zuzuschreiben“, mischt sich Fanny mit ein. Ich sehe meine Schwägerin an und kann nicht verstehen, wie sie so etwas völlig emotionslos sagen kann. Ileana ist auch für sie, einst wie eine kleine Schwester gewesen. „Und wenn du nicht wegen Beihilfe mit verantwortlich gemacht werden willst, dann solltest du endlich aufhören dich um sie zu sorgen.“ „Aber…“ „Nichts aber, Ruby. Du musst dich endlich für eine Seite entscheiden.“ „Meine Schwester hat Recht. Wir müssen uns für eine Seite entscheiden und das ist die unsrige. Ich kann ja verstehen dass das hier nicht einfach für dich ist, für mich ist es das auch nicht, aber wir haben keine andere Wahl.“ Sie haben ja recht, aber trotzdem. „Ileana hat uns eben etwas wichtiges mitteilen wollen, habt ihr das denn nicht mitbekommen. Und gerade als es…“ Ich mache eine kleine Pause und sortiere meine Gedanken. „Als dieser feige Angriff von Lady Antoniella und Lady Xenia kam, da…“ „Sprich nicht weiter“, zischt Fanny und sieht mich verärgert an. „Antoniella und Lady Xenia sind hier nicht diejenigen, die diesen Krieg angezettelt haben. Das sind ganz klar Ileana und Alex gewesen. Also hör endlich auf die beiden ständig in Schutz zu nehmen.“ Wieso versteht mich nur keiner. Darüber hinaus kann ich es nur immer und immer wieder erwähnen, dass ich nicht glaube, dass Ileana und Alex wirklich unsere Feinde sein sollen. Ich habe das ungute Gefühl, dass wir absichtlich auf eine falsche Fährte gelockt werden. Ileanas Worte von eben weisen klar darauf hin. Endlich habe ich es geschafft mich von meinem Mann zu lösen. Sofort renne ich den Weg zurück zu Ileana und Alex, wo ich vermutlich auch auf Lady Antoniella und Lady Xenia treffen werde. Ich bin an der Stelle angekommen, an der wir eben getrennt wurden. „Du hättest nicht zurück kommen sollen“, höre ich Ileanas höhnisch klingende Stimme schräg hinter mir. Sie ist alleine und scheint völlig in Ordnung zu sein. Und wo steckt Alex? Ich sehe mich um, kann ihn aber nicht entdecken. „Er ist nicht hier. Keiner von ihnen, du bist also ganz auf dich allein gestellt.“ „Das bist doch gar nicht du, Ileana“, versuche ich zu ihr durchzudringen. „Das stimmt.“ Sie kichert fies und macht einen Schritt auf mich zu. „Mir wurde gesagt, dass ihr beide mehr als nur Freunde seid und es schwer werden wird, euch gegenseitig auszuspielen. Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, dann war es aber verdammt einfach. Und du willst wirklich ihre Freundin sein? Das ich nicht lache.“ Ihre? Was soll das denn jetzt bedeuten. Ich bin verwirrt über Ileanas Worte und so schüttele ich meinen Kopf. Ich muss wieder einen klaren Kopf bekommen. „Du irrst dich, Ileana“, rufe ich aus. „Ich kenne dich sehr gut und daher weiß ich auch, dass du zu so etwas hier gar nicht fähig bist. Nie hast du dich für die Macht der Zodiacs interessiert und plötzlich… plötzlich sollst du dir ihre Macht unter den Nagel reißen wollen? Das kann ich nicht glauben.“ „Du bist schlauer als ich dachte und darum…“ Ileana lacht, und stürzt sich dann auf mich. Ein stechender Schmerz breitet sich auf meinem Unterleib aus. Ich sehe an mir runter und kann nicht glauben was ich dort sehe. Ein breitklingiger Dolch ragt aus meinem Unterleib heraus und dickflüssiges Blut sickert an der Klinge entlang. Mein weißes Hemd färbt sich dunkelrot und ich merke wie ich immer schwächer werde. „Wieso?“, frage ich an Ileana gewandt. Diese sieht auf mich herab, und grinst mich mit verzehrter Miene an. Ich hatte also doch Recht. Herbst 2015, le village de étoiles Selest Peterson „Es tut mir Leid….“ „Nein“, schreie ich und strecke meine Hände in Richtung meiner Mutter aus. Alles um mich herum verschwindet und wird in stechendes Licht gehüllt. Da es in meinen Augen brennt, kneife ich sie einen Moment zusammen. Ich setze mich aufrecht hin und sehe mich einen Moment lang verwirrt um, ehe ich erkenne, dass ich immer noch in dem Zimmer bin, in welches Arashi mich vorhin geführt hat. Warum ich allerdings im Bett liege und nicht mehr auf dem Fensterbrett sitze, weiß ich nicht. Wie viel Zeit wohl vergangen ist? So ganz kann ich noch nicht realisieren was ich eben gesehen habe. Ist dieser verstörende Traum eben Arashis Werk gewesen? Und wenn ja, wieso hat er das getan. Was wollte er damit bezwecken, etwa das Kira und ich… Kira! Wie soll ich mich ihr gegenüber jetzt verhalten? Ich mache mich etwas größer und sehe aus dem Fenster raus, doch kann ich nicht mehr allzu viel erkennen, da es bereits dunkel ist. Da muss ich wohl ziemlich lange geschlafen haben, da es vorhin noch hell war. Beim genaueren hinschauen erkenne ich, dass es draußen sogar regnet und Kira zusammen mit Derek unter dem Vordach steht und dort mit ihm zu diskutieren scheint. Ich stehe vom Bett auf und verlasse dann das Zimmer. Auf dem Flur höre ich meine Tante und Arashi miteinander reden. Ich schleiche mich an den beiden vorbei und schnappe dabei ein paar Wortfetzen auf. „...irre geworden, Arashi. Was hast du dir nur dabei gedacht?“ „Ich habe mich diesmal wohl von meinem Instinkt leiten lassen. Deine Nichte macht es mir schwer mich in ihrer Gegenwart zu kontrollieren.“ „Dann meide diese in Zukunft.“ Ich kümmere mich nicht weiter um ihr Gezanke und gehe weiter die Treppen nach unten. Im Wohnzimmer sitzen Constantin und Jolina vor dem lodernden Kamin und kuscheln sich aneinander. Auch an den beiden schleiche ich mich vorbei. Draußen angekommen schenke ich Derek ein vorgetäuschtes Lächeln als er an mir vorbei geht und wieder nach drinnen verschwindet. Kira steht noch immer draußen und schaut den Regentropfen zu. Sie scheint so tief in ihren Gedanken zu sein, dass sie mich noch nicht mitbekommen hat. Ich habe also noch Zeit wieder rein zu gehen und das ohne dass sie mich mitbekommt. Je länger ich Kira dabei beobachte wie sie den Regen betrachtet, überkommt mich eine Welle des Zornes. Ich bin traurig, sauer, wütend und… keine Ahnung was noch alles. Das was ich eben in meinem Traum gesehen habe, war diesmal kein Ereignis von der Zukunft, sondern aus der Vergangenheit. Meiner Mutters Vergangenheit. Ich lehne mich an die Hauswand und starre mit wütendem Blick auf Kiras Rücken. „Wie sind deine Eltern eigentlich gestorben“, frage ich ohne Umschweifen. Kira wendet sich mir zu und es dauert etwas, bis sie mir antwortet. „Nimm es mir bitte nicht übel Selest, aber das geht dich nichts an. Außerdem frage ich dich ja auch nicht nach dem Tod deiner Mutter.“ „Kannst du aber ruhig“, antworte ich pampig. Meine Stimme verhärtet sich deutlich, was auch Kira auffällt. Sie zieht eine Augenbrauen nach oben, sagt aber nichts weiter dazu. Also werde ich wohl weiter machen müssen. „Weißt du wie meine Mutter gestorben ist?“, will ich nach einer Schweigeminute von ihr wissen. Kira lehnt sich neben mich an die Hauswand an und starrt wieder in die Dunkelheit hinaus. Es vergehen gut zehn Minuten, bis sie mir antwortet. Nur leider nicht so wie erhofft, oder sollte ich vielleicht sagen, zum Glück? „Nein, aber wieso sollte ich auch.“ Vorhin war ich noch der Meinung, dass es besser wäre Kira nicht die Wahrheit über ihre Eltern zu sagen, doch da wusste ich ja auch noch nicht, dass diese für den Tod meiner Mutter verantwortlich sind. Aber jetzt wo ich es weiß, kann ich Arashi nicht Recht geben, denn diese Wahrheit muss ausgesprochen werden. Ich stelle mich vor Kira und blicke ihr direkt in die Augen. Sie wirken traurig und dabei habe ich ihr noch gar nichts erzählt. Was Derek wohl von ihr wollte? Egal. Im Moment gibt es wichtigeres. Ich hole einmal tief Luft und nehme dann all meinen Mut zusammen. „Weil deine Mutter und…“ Ich zögere die Wahrheit hinaus. Soll ich es wirklich tun? Ja. Ich muss es tun. Für Kira... und auch für mich. Vor allem aber für mich, denn ich muss wissen wie Kira reagiert, damit ich dann für mich entscheiden kann, ob ich ihr weiterhin vertrauen kann oder nicht. Denn wenn ich es nicht kann… dann wird das weitere zusammenwohnen von uns schwer werden. „Sag endlich was los ist, Selest“, drängt mich Kira. Und damit bestätigt sie mich in meinem Vorhaben. Ich werde es ihr jetzt sagen. „Was ist denn nun mit meiner Mutter.“ „Unsere Mütter haben sich gekannt, Kira.“ Wieder mache ich eine kleine Pause. „Und?“ Sie wird ungeduldig. Und ich wütend. Ich drücke Kira dichter an die Hauswand, was sie sich widerstandslos von mir gefallen lässt. Aus mir unerklärbaren Gründen werde ich dadurch nur noch wütender. „Und? Deine Mutter hat meine, nein, nicht nur meine… Sie hat alle Hexen verraten und wofür das Ganze? Um die Macht der Zodiac-Hexen für sich zu haben.“ Meine Stimme wird immer lauter. „Und nachdem sie und dein Vater einen Krieg begonnen haben, hat deine Mutter… hat sie…“ Meine Augen füllen sich mit Tränen und ich kämpfe regelrecht darum, die folgenden Worte laut auszusprechen. „Sie hat meine Mutter kaltblütig umgebracht … sie hat ihre beste Freundin umgebracht.“ Ich habe es gesagt. Ich sehe mir Kiras Reaktion genau an. Sie sieht mich bestürzt an und schnappt hörbar nach Luft. Ihre Augen weiten sich und dann schupst sie mich mit zitternden Händen von sich, sodass wir unsere Positionen nun gewechselt haben. Kira stolpert nach hinten, immer mehr in den Regen hinein. Der Regen wird immer heftiger. Ich kann nicht erkennen ob die Tropfen, die Kiras Wangen hinunterkullern vom Regen stammen, oder ob es sich dabei gar um Tränen handelt. Doch spielt das überhaupt eine Rolle? Ich würde sagen Ja, das tut es. Je länger ich in Kiras entsetztes Gesicht blicke, desto mehr schwindet meine Wut und wird durch mein schlechtes Gewissen ersetzt. Arashi hatte doch Recht gehabt. Ich gehe auf Kira drauf zu und strecke meine Hände nach ihr aus. Doch bevor ich sie erreichen kann, dreht sie sich blitzschnell um und ist dann auch schon in der Dunkelheit verschwunden. Kapitel 3: Die Begegnung ------------------------ Herbst 2015, le village de étoiles Kira Vaillant Das Wetter spiegelt meine Laune bestens wieder. War es vor drei Stunden noch leichter und angenehmer Regen, so fegt jetzt ein regenrechtes Unwetter über unser Dorf hinweg. Es war bestimmt keine Absicht von mir gewesen, aber als Selest mir sagte was meine Mutter getan hat, was meine Eltern getan haben, da ist es einfach passiert. Ich bin sowas von enttäuscht von ihnen. Zwar kannte ich sie nicht, aber dennoch. Wer hört aber auch schon gerne, dass seine Eltern Verräter und die Mutter sogar eine Mörderin ist. Keiner. Doch nicht nur die beiden haben mich enttäuscht, sondern auch Antoniella, Derek – bestimmt wussten auch Jolina und Conny über die Taten meiner Eltern Bescheid. Wieso nur haben sie mir nie die Wahrheit gesagt. Hatten sie etwa Angst ich würde sie wie meine Eltern irgendwann verraten? Wieso sollte ich das tun? Und wieso nur haben meine Eltern das getan? War es wirklich das Verlangen nach Macht, so wie Selest es sagte? Oder gab es gar einen anderen Grund? „Es muss einfach einen gegeben haben.“ Einen triftigen Grund, denn anders kann ich es mir nicht erklären. Ich muss wissen wie es dazu kommen konnte und deshalb werde ich herausfinden wie es zu dem Krieg vor 17 Jahren wirklich gekommen ist. Nur wie mache ich das? Wer kannte meine Eltern gut genug, und wem kann ich überhaupt noch trauen? Früher hätte ich ohne mit der Wimper zu zucken auf Antoniella und Eileen getippt. Doch erstere kommt nun nicht mehr in Frage – da ich ihr jetzt nicht mehr so ohne weiteres vertrauen kann – und letztere ist bereits tot. „Vielleicht kann ich…“ „…erst einmal aus dem Regen raus kommen? Das wäre keine solch schlechte Idee.“ Ich blicke nach oben. Vor mir steht der junge Polizist von heute Nachmittag und hält einen grauen Regenschirm über mich, der dem Sturm wohl nicht mehr allzu lange standhalten wird. Was macht der Kerl, bei solch einem miesen Wetter eigentlich hier draußen? Das wird er sich wohl auch von mir denken, denke ich und überlege mir nebenbei einmal eine Ausrede für ihn. „Oder macht es dir etwa nichts aus, hier draußen in der Kälte und bei dem Sturm, mit nichts an, außer dem dünnen Hemd und einer kurzen Hose, zu sitzen? Das glaube ich ja eher nicht, so durchnässt wie du aussiehst. Was machst du also hier?“ „Nachdenken und Sie?“, frage ich ihn, ohne groß auf seine Frage einzugehen. Mir fällt nämlich sonst nichts Passendes ein. Zwar könnte ich ihm sagen das ich den Regen liebe – was nicht mal gelogen wäre – aber ob er damit zufrieden wäre… Ich blicke am Regenschirm vorbei, den er immer noch über uns hält, und in den dunklen Himmel hinauf. Vielleicht sollte ich als erstes etwas runter kommen, damit sich auch das Wetter wieder etwas legt. Allmählich wird es ziemlich heftig. Die ersten Äste werden bestimmt auch schon von den Bäumen abgebrochen sein. „Ich wollte zu meinem Bruder und ein Feierabendbier trinken“, antwortet er mir und nickt auf das Gebäude, welches sich hinter mir befindet. Ich drehe mich um. La Porte de l'Enfer, lese ich auf einem ovalförmigen Schild. Was für ein Name für eine Bar. „Tun sie sich keinen Zwang an“, sage ich und schaue dann wieder dem Regen zu, und wie er sich seinen Weg durch die Straßen unseres Dorfes bahnt. „Da ich ein Gentleman bin, kann ich dich leider nicht hier al-leine sitzen lassen. Erst recht nicht in den nassen Klamotten. Außerdem habe ich als Polizist ein Helferkomplex, also… Tue mir bitte den Gefallen und lass dir mir von meinem Bruder ein paar trockene Sachen zum Anziehen geben. Danach fahre ich dich auch gerne nach Hause. Zwar ist dieses entzückende Dorf nicht allzu groß, aber so wie du aussiehst, bist du bei einem Fußmarsch von einer guten dreiviertel Stunde halb tot, wenn du daheim an-kommst. Falls du dort überhaupt ankommen tust, schließlich läuft hier immer noch ein Dreifachmörder frei herum.“ Dreifach? Wieso denn dreifach? Hat Lykan etwa noch zwei Hexen umgebracht? Davon hat Derek mir vorhin gar nichts erwähnt, als er mich zur Schnecke gemacht hat, weil ich heute früh mit Selest alleine draußen war. Wer konnte aber auch ahnen, dass Lykan dort auftaucht zumal… Moment mal. Vollmond ist doch erst übermorgen. Lykan hätte also gar nicht auftauchen können, da sich Wolfsmenschen nur an Vollmond, sowie eine Nacht davor, und eine danach wandeln können. Wieso also war er da. Nun, dann gibt es wohl noch ein weiteres Rätsel, welches es zu lösen gilt. Doch nicht für mich, vor-erst jedenfalls nicht. Da mir so langsam aber sicher wirklich mehr als kalt wird, beschließe ich, mit dem jungen Polizisten rein zu gehen – Derek ist glücklicherweise gerade nicht hier und kann mich demnach auch nicht anmeckern. Doch selbst wenn er hier wäre, so bin ich mir ziemlich sicher, würde nicht mal er wollen, dass ich mir hier was weghole. „Trockene Klamotten sind vielleicht wirklich keine schlechte Idee“, wende ich mich an den jungen Mann vor mir. Zwar könnte ich auch blitzschnell dafür sorgen dass der Regen aufhört und die Sonne scheint, aber in seinem Beisein kann ich das unmöglich tun. Polizisten haben schließlich die unschöne Eigenschaft allem unerklärbarem auf dem Grund gehen zu müssen. Und ich kann es mir nicht leisten, dass er herausfindet dass ich eine Hexe bin, zumal das diesjährige Zirkeltreffen ja in knapp einer Woche stattfindet und dann die Gefahr noch größer ist das er was findet, sollte er nur gründlich genug kramen. Und so wie ich ihn einschätze, würde er wirklich was finden. Doch darüber hinaus, wäre ein erneuter Wetterumschwung viel zu auffällig und das nicht nur für ihn. „Daher nehme ich ihr Angebot liebend gerne an“, sage ich zähneklappernd. Puh, irgendwie wird es immer kälter hier und das bedeutet, dass meine Wut noch nicht verraucht ist. Ich erhebe mich und lasse mich dann von dem jungen Polizisten nach drinnen ins Warme geleiten. Dort angekommen reibe ich mit den Händen meine Oberarme entlang, auch wenn das nicht allzu viel bringt, da sie ebenfalls eiskalt und klitschnass sind. „Ian!“, brüllt er in die Bar hinein. Ob das wohl der Name seines Bruders sein wird? Das werde ich wohl gleich erfahren und viel-leicht auch seinen eigenen, da ich ihn nicht unbedingt dauernd den Polizisten nennen will. Es dauert nicht lange und aus einer, hinter ein paar Bierkästen versteckten Tür, tritt ein gutaussehender junger Mann hervor. Er trägt ein schwarzes Hemd, sowie eine schwarze Lederhose. Und seine kurzgeschorenen Haare sind ebenfalls Schwarz. Da kann er sich mit Selest zusammen tun. Bei ihr ist ja von oben bis unten auch nur schwarz zu finden. Ob sie überhaupt anders farbige Klamotten besitzt? Die beiden jungen Männer nicht weiter beachtend, sehe ich mich ein wenig in der Bar um. Hier drinnen sieht es so aus, wie ich mir die Hölle vorstelle – also passt der Name der Bar wirklich aus-gezeichnet. Anstatt Tapete befindet sich Naturstein an den Wänden, verziert mit aufgemaltem Feuerflammen und flüssiger Lava. Und warm wie ich der Hölle ist es hier auch. Das heißt es besteht akute Erkältungsgefahr für mich. Es wird also aller höchste Zeit, dass ich aus den nassen Klamotten raus komme. An der Bar, hinter der sich die beiden Brüder gerade herzlichst umarmen, sitzt ein älterer Mann den ich nicht kenne, zusammen mit dem Sohn unseres hier ansässigen Fleischers. Vor den beiden steht jeweils ein halbleeres Glas Bier, oder wie Constantin jetzt sagen würde, halbvolles. Dieser alte Optimist. Weitere Gäste kann ich bisher nicht erkennen, aber da es noch eine Steintreppe, die nach unten führt, gibt, kann es gut möglich sein, dass dort noch weitere Gäste sind. Andererseits muss die Bar noch recht neu sein, da ich sie nicht kenne und das könnte auch ein Grund dafür sein, dass sie so leer ist. Menschen sind halt Gewohnheitstiere, ganz besonders hier bei uns. Da wird Neues nicht gleich angenommen, sondern erst einmal gemieden. Man kann also nicht sagen, dass die Bar hier einen leichten Einstieg finden wird. Soll aber nicht mein Problem sein. „Wer ist denn diese reizende junge Lady, die du mitgebracht hast, Brüderchen?“ Dieser Ian kommt zu mir und gibt mir einen Handkuss. Ich spüre deutlich dass ich rot werde, was ihn zum Schmunzeln bringt. „Eine Zeugin“, antwortet besagtes Brüderchen und schiebt Ian ein Stückchen von mir. „Ich habe ihr gesagt, dass ich ihr ein paar trockene Klamotten von dir gebe, da sie draußen vor der Bar, halb erfroren und durchnässt auf der Bank saß. Meine Sachen sind ja noch alle in den Umzugskartons. Das geht doch in Ordnung oder?“ Es wundert mich dass er mich als eine Zeugin vorstellt, da es sich bei unserer ersten Begegnung eher so angehört hat, als hielte er mich für eine Verdächtige. „Aber sicher doch“, grinst Ian und winkt mir kurz zu, ehe er sich um seine beiden Gäste kümmert. „Und tut bitte nichts, was ich nicht auch tun würde“, fügt er noch zwinkert hinzu. Nun. Das habe ich jetzt mal wissentlich überhört. Normaler-weise würde ich ja zu ihm zurückgehen und ihm gehörig die Meinung sagen. Ich meine, für wen hält der mich denn, dass der denkt, ich würde über seinen Bruder herfallen. Glücklicherweise aber zieht mich besagter Bruder die Treppen nach unten, so dass ich nicht doch noch in Versuchung komme. „Der ist immer so. Ignoriere ihn einfach, das mache ich meistens auch.“ Das hatte ich eh vor. Viel Zeit mich hier genauer umzusehen habe ich nicht, da ich immer noch hinterher gezogen werde. Das ist ganz schön leicht-sinnig von mir, einfach mit ihm mitzugehen. Eigentlich bin ich ja nicht so und so wurde ich auch nicht erzogen. Antoniella hat mir und Eileen immer gepredigt vorsichtig zu sein, vor allem bei Fremden. Doch bei ihm scheint das was anderes zu sein. Irgend-wie fühle ich mich in seiner Gegenwart gut. „Wieso hat dein Bruder eigentlich ausgerechnet hier seine Bar aufgemacht“, versuche ich ein Gesprächsthema zu finden und dadurch vielleicht meine Verunsicherung nicht allzu stark durch-scheinen zu lassen. Denn auch wenn ich glaube dass dieser Polizist keinerlei Gefahr für mich darstellt, so klingt meine Stimme etwas dünn. „Ian folgte mir hierher, nachdem ich den Job als Polizeianwärter bekommen habe. Er wollte einfach in meiner Nähe sein, da wir uns erst vor kurzem begegnet sind“, sagt er und öffnet eine schwere Eisentür. „Mein Vater hatte mich kurz nach meiner Geburt in die Obhut seiner Schwester gegeben, da er meinen Anblick nicht ertragen konnte. Er gab mir die Schuld am Tod meiner Mutter.“ Da haben wir was gemeinsam, denke ich. Meine Mutter starb auch bei meiner Geburt, falls dieser Teil nicht auch gelogen sein sollte. „Und seit wann habt ihr Kenntnis voneinander?“, frage ich zaghaft nach. Nicht das ihm das Thema unangenehm, oder schmerzhaft ist. „Bei der Beerdigung unseres Vaters.“ Der junge Polizist dreht sich zu mir um und reicht mir dann seine Hand. Wenn er grinst, sieht man erst mal die Ähnlichkeit mit seinem Bruder. Beide haben dann diese Grübchen. „Ich bin übrigens Julian“, stellt er sich mir dann vor. Ich zögere erst, greife aber nach seiner Hand und drücke sie. „Kira.“ „Freut mich, Kira. Na dann…“ Er hält mir die Tür auf. „Willkommen in unserem bescheidenen Zuhause.“ Hier unten sieht es völlig anders aus als oben in der dunklen Bar. Obwohl sich ihre Räumlichkeiten unterhalb befinden, ist es hier sehr hell und wirkt zudem freundlich und einladend. „Hier rechts von dir ist unser Bad, da kannst du gerne erst ein-mal warm duschen gehen. Ich suche dir gleich ein paar Sachen raus die du danach anziehen kannst.“ Nachdem Julian mir noch schnell alles gezeigt und danach die Badezimmertür hinter sich wieder geschlossen hat, ziehe ich mir schleunigst meine nassen Klamotten aus und stelle mich dann unter die schöne heiße Dusche. Das Wasser rieselt angenehm meinen erkalteten Körper hinab und wärmt mich langsam aber sicher wie-der auf. Ich greife nach dem Duschgel und schnuppere erst einmal dran. Es riecht nach Melone. Sommerlich frisch. Ich seife mich damit ein und nach gut fünfzehn Minuten verlasse ich die Dusche wieder und nehme mir einfach eines der weißen Handtücher um mich abzutrocknen. Mein Blick wandert erst zu meinen nassen Klamotten und dann an mir herunter. „Mist“, fluche ich und ärgere mich über meine eigene Dummheit. „Ich hätte ihn gleich um die Sachen von seinem Bruder bitten sollen.“ Jetzt muss ich so raus gehen – wie peinlich. Ich wickle das Handtuch fest um meinen Körper und suche dann meine Sachen zusammen, ehe ich das Badezimmer verlasse. Im Wohnzimmer sitzt Julian auf einem dunkelgrünen Sessel und schaut angestrengt auf ein paar Papiere. „Ähm“, räuspere ich mich. Julian sieht auf und begutachtet mich von Kopf bis Fuß. „Hätten sie vielleicht was zu Anziehen für mich?“ Und klotz bitte nicht so, das ist mir peinlich. „Ja natürlich“, sagt er und steht dann auf. Er verlässt das Wohnzimmer und kommt eine Minute später mit einem schwarzen T-Shirt, einer schwarzen Jogginghose und einem schwarzen Rollkragenpullover wieder. „Ich denke die dürften dir passen.“ Er reicht mir die Sachen und ich nehme sie dankend entgegen. Dann verschwinde ich wieder ins Bad und spüre dabei ganz genau seinen bohrenden Blick auf mich.   Herbst 2015, le village de étoiles Selest Peterson „Habe ich dir nicht gesagt, dass es manchmal besser wäre die Wahrheit nicht auszusprechen?“ Erschrocken zucke ich zusammen. Ich drehe mich nach links und blicke Arashi finster an, der draußen auf dem Fensterbrett sitzt und mich mit verschränkten Armen anstarrt. Ich mache einen Schritt zur Seite, sodass er ins Zimmer eintreten kann. Er setzt sich auf mein Bett, genauer gesagt auf meine Betthälfte und sieht mich weiterhin einfach nur an. Wartet er jetzt etwa auf eine Antwort von mir? Scheint so, denn er hört auch nach fünf Minuten nicht damit auf mich anzustarren. Obwohl er mich diesmal nicht so ansieht, als wenn ich sein Futter wäre, fühle ich mich mehr als unwohl. Und das auch zu recht. Sein durchdringender Blick lässt mich nervös werden. Ich streiche mir mit der Hand durch die Haare und setze mich dann neben Arashi. Rücke aber ein wenig von ihm weg, da ich nicht vorhabe noch einmal von ihm gebissen zu werden. Einmal reicht völlig. „Ist sie wieder da?“, frage ich nach endlosen Minuten. Es ist jetzt immerhin schon mehrere Stunden her, dass Kira verschwunden ist und ich mache mir so langsam wirklich sorgen um sie. Nicht das ihr etwas passiert ist, das könnte ich mir nie… „Ich kann deine Gehirnzellen richtig arbeiten hören, Süße.“ Arashi legt seine warme Hand auf meinen Arm und ein angenehmer Schauer überkommt mich sogleich. Er zieht mich näher zu sich ran… „Kira ist schon ein großes Mädchen, sie kann auf sich aufpassen.“ …und blickt mir dann direkt in die Augen. Ich wende meinen Blick sofort von ihm ab, woraufhin er mich wortlos in seine Arme zieht. „Es tut mir leid!“, flüstere ich an seine Brust gepresst. Arashi so nah zu sein fühlt sich gut so. Bisher war es immer mein Vater gewesen, der mir mit seinen Umarmungen und Küssen, Wärme und Sicherheit gegeben hat. Bei keinem anderen fühle ich mich sonst so geborgen, wieso also bei ihm? Liegt es vielleicht daran das er ein Vampir ist und ich mich deswegen automatisch von ihm angezogen fühle? „Jolina und Conny sind zurückgekommen“, unterbricht Arashi meine Gedankengänge. Sofort löse ich mich von ihm und stehe schwungvoll auf, um nach unten zu den beiden gehen zu können. Hoffentlich gibt es Neuigkeiten über Kira. Und wenn, dann positive. Ich sprinte die Stufen der Wendeltreppe nach unten und stoße sogleich mit Constantin im Flur zusammen. Geistesgegenwärtig halte ich mich am Geländer fest, damit ich nicht auf meinem Hosenboden lande. Kaum das ich mein Gleichgewicht wiedererlangt habe, kralle ich mich in seiner Jacke fest. „Habt ihr sie gefunden?“ Oh bitte sage mir das es ihr gut geht. Jolina erscheint in meinem Blickwinkel und befreit ihren Freund erst einmal von mir. Dann schiebt sie mich in die Küche, wo sie mich auf einen Küchenstuhl setzt und ein Glas Leitungswasser in die Hand drückt. Sie und Constantin setzen sich mir gegenüber. „Bisher leider nein“, sagt Jolina mit brüchiger Stimme. Ihr Blick wirkt traurig und sofort breitet sich dieses Gefühl in mir aus, das mir sagt, dass irgendwas Schreckliches passiert sein muss. „Das hat aber nichts zu bedeuten“, fügt Constantin dem schnell hinzu. „Kira kennt sich hier bestens aus. Sie kennt Schlupfwinkel, von denen nicht mal Derek etwas weiß, also…“ Er bricht seinen Satz ab und blickt dann zu seiner Freundin rüber. Beide seufzen synchron. „Vielleicht solltet ihr jetzt doch Lady Antoniella endlich mal einweihen“, mischt sich Arashi ein. Der Vampir steht hinter meinem Stuhl und umfasst mit seinen Händen meine Schultern. Er übt dabei einen sanften Druck aus, der mich sogleich beruhigt. „Sie hat immerhin Mittel und Wege Kira zu finden.“ „Auf keinen Fall“, ruft Jolina empört auf. Sie sieht Arashi unverständlich an. Genauso wie Constantin. Ich drehe mich kurz zu Arashi um, ehe ich mich wieder auf Constantin und Jolina konzentriere. Wobei geht es hier jetzt? Ich habe das komische Gefühl, dass es wieder einmal etwas gibt, wo-von ich keine Ahnung habe. „Aber wenn sie sie finden kann, dann…“ „Nein!“, unterbricht Jolina diesmal mich sehr schroff. Ich senke meinen Blick. „Derek findet sie auch so. Wir müssen Lady Antoniella hier nicht mit reinziehen.“ „Sie wird es sowieso in einer Stunde erfahren, Jolina“, sagt Arashi mit fester Stimme. „Es ist also besser wenn ihr es ihr vorher sagt. Sie wird euch schon nicht dafür verantwortlich machen.“ „Uns vielleicht nicht, aber Derek und Selest.“ Mich? … Oh, Klar. Natürlich mich, immerhin bin ich ja Schuld daran, dass Kira verschwunden ist. Weil ich nicht nachgedacht habe, bevor ich was gesagt habe. Aber warum sollte sie Derek die Schuld geben? Er war ja schließlich nicht da.“ „Genau deswegen.“ Ich drehe mich überrascht zu Arashi um und sehe ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen an. „Derek hätte eigentlich in Kiras Nähe sein sollen. Er war es aber nicht und darum wird sie ihm auch die Schuld geben“, erklärt er mir. „Kannst du meine Gedanken hören?“ Er grinst mich an, sagt aber kein Ton. Das heißt dann wohl: Ja! Tja. Dann werde ich in Zukunft wohl aufpassen was ich denke, wenn er in meiner Nähe ist. Der Typ wird mir immer gruseliger. „Gut zu wissen“, wispere ich und löse mich von ihm. „Aber wenn ich es ihr erkläre, dann wird sie es doch bestimmt verstehen“, lenke ich somit das Thema wieder auf diese Lady Antoniella zurück. „Du kennst sie nicht, Selest“, sagt Jolina. „Kira ist ihr Ein und Alles. Sie wird nicht erfreut darüber sein, dass sie verschwunden ist. Und auch nicht darüber, dass sie nun die Wahrheit kennt. Die ganzen Jahre über, hat unsere Hohepriesterin, alles dafür getan, damit Kira das über ihre Eltern nicht herausfindet. Und dann kommst du, und zag… Erst wird sie deinetwegen von Lykan verletzt und dann erfährt sie auch noch die Wahrheit über ihre Eltern. Und all das…“ „…ist meine Schuld“, vollende ich ihren Satz. „Sie wird mich bestimmt hassen. Genauso wie Kira das wohl tut. Ich mache einfach alles kaputt.“ „Das ist nicht wahr“, sagt Constantin und schenkt mir ein kleines Lächeln. „Irgendwo ist sie selber daran schuld. Sie hätte wissen müssen, dass Kira irgendwann die Wahrheit herausfindet.“ „Aber warum hat sie es ihr denn nicht gesagt?“, will ich wissen. Ich nehme einen Schluck von dem Wasser, welches ich von Jolina bekommen habe. „Wenn wir das nur wüssten“, seufzt Constantin. Er sieht zu Jolina rüber. „Arashi hat Recht, wir müssen es ihr sagen.“ „Ich weiß“, seufzt sie. „Doch wer soll ihr diese Nachricht überbringen?“ „Ich mache das!“ Ich habe es ja auch zu verantworten, also sollte ich auch diejenige sein, die es Lady Antoniella sagt. Und gleichzeitig werde ich für Derek ein gutes Wort einlegen. Er kann nämlich nichts dafür. „Bist du dir sicher?“, fragt mich Arashi. „Sie kann ziemlich angsteinflößend sein, vor allem für jemanden, der sie nicht kennt. „Ja!“, sage ich erneut, diesmal aber mit etwas mehr Nachdruck. „Wo finde ich sie?“ Ich sehe einen nach dem anderen an. „Wir müssen sowieso gleich zu ihr gehen, also… Wir zeigen dir den Weg.“ „Auch wenn ihr nicht hättet zu ihr gehen müssen, hätte einer von euch beiden ihr den Weg zeigen müssen“, sagt Arashi. Sein Tonfall zeigt deutlich, dass er irgendwas an seinen Worten witzig findet. Am liebsten würde ich ihm sein grinsen aus dem Gesicht schlagen. „Immerhin hat sie einen grausiegen Orientierungssinn.“ „Das ist nicht witzig“, meckere ich ihn an. Wie kann er nur in solch einer Situation Witze reißen. Der hat sie doch nicht mehr alle. „Aber warum müsst ihr denn zu ihr? Ich habe doch gesagt, dass ich es ihr sagen werde.“ „Naja.“ Constantin kratzt sich am Kopf. „Weil gleich die Totenfeier für Bianca und ihre Eltern ist. Und alle Hexen die im Dorf sind, beziehungsweise sich gerade in der Nähe zum Dorf aufhalten, sollten dann anwesend sein, um den Toten ihr Bedauern auszudrücken.“ „Oder ihnen den nötigen Respekt zollen, sollten sie zum Bei-spiel bei der Verteidigung ihrer Hohepriesterin oder ähnlichem, ihr Leben gelassen haben.“ „Heißt das, dass ich ein paar neue Mitglieder unseres Zirkels kennenlernen werde?“ Eigentlich wäre das etwas positives, doch wenn man bedenkt warum ich zu unserer Hohepriesterin will, löst es bei mir gerade das genaue Gegenteil davon aus. Vielleicht hätte ich mich doch nicht freiwillig melden sollen. „Viele werden nicht da sein“, sagt Jolina und steht auf. Constantin tut es ihr gleich. Doch während Jolina zu mir kommt und mich von meinem Stuhl hochzieht, geht Constantin in den Flur raus. Arashi folgt ihm. „Lady Antoniella wird nicht gesagt haben, dass die drei von Lykan getötet wurden. Also gibt es keinen wirklichen Grund, der Totenfeier beizuwohnen.“ „Was wird sie ihnen denn sonst gesagt haben?“, will ich wissen. Es war ja nun mal Lykan, der sie alle drei… Moment mal. Seit wann sind es denn drei Opfer? „Wieso hat mir niemand was gesagt?“, verlange ich empört zu erfahren. Von Bianca habe ich auch nur durch Zufall erfahren. Und ich dachte echt, dass ich jetzt zu ihnen gehöre und es darum keine Geheimnisse mehr gibt. Da habe ich mich wohl getäuscht. „Wir wollten dich nicht beunruhigen“, gesteht mir Jolina. Sie schiebt mich aus der Küche raus. Im Flur reicht mir Constantin meine Jacke, welche ich mir auch sogleich anziehe. Draußen stürmt es zwar nicht mehr, aber es ist immer noch verdammt kalt. „Und wir wussten nicht wie du darauf reagieren würdest. Lykan ist schließlich nur deinetwegen im Dorf. Autsch.“ Constantin reibt sich den Arm. „Wieso schlägst du mich, Schatz?“ "Idiot!“, schimpft sie ihn und schüttelt ihren Kopf. Dann wendet sie sich mir wieder zu. „Denk jetzt bitte nicht, dass es deine Schuld ist, Selest, denn das ist es definitiv nicht.“ „Das habe ich damit ja auch nicht sagen wollen“, rechtfertigt Constantin seine eben gesagten Worte. Doch niemand hört ihm zu. „Nur weil Lykan deinen Tod will, heißt das nicht, dass er andere Hexen, die seinen Weg kreuzen, auch verschont. Der Hass auf uns Hexen ist so tief in ihm verankert…“ „Aber wenn ich nicht hergezogen wäre, dann wäre er auch nicht hier aufgetaucht“, unterbreche ich Jolina. Es ist also doch meine Schuld. „Hör auf sowas zu denken“, sagt Arashi. Bis eben lehnte er noch an der Tür. Jetzt aber steht er vor mir und sieht mich wieder einmal eindringlich an. So langsam wird das lästig. „Wenn du nicht hierhergezogen wärst, dann wäre Lykan eben in Berlin auf-getaucht und hätte dort fröhlich vor sich hin gemordet. Und dort gäbe es wesentlich mehr Opfer als hier.“ Beruhigen tut mich das jetzt nicht, falls es das überhaupt sollte, denn im Grunde bedeutet das ja nur, dass solange ich lebe, Lykan weiterhin morden wird. „Vielleicht wäre es besser wenn…“ Ein brennender Schmerz breitet sich auf meiner Wange aus. Ich halte meine Hand dran und blicke Jolina verwirrt an, da sie mir eben heftig eine verpasst hat. „Ich kann vielleicht keine Gedanken wie Arashi oder Lady Antoniella lesen, aber ich glaube ganz genau zu wissen, was du gera-de sagen wolltest. Und glaube mir, es wäre mit Sicherheit nicht besser, also wage es dich auch nur daran zu denken. Verstanden?“ Um Jolina wieder milde zu stimmen, nicke ich ihr bestätigend zu, woraufhin sie erleichtert seufzt. „Na jetzt geht schon los, bevor ihr noch zu spät kommt und alle den Zorn eurer Hohepriesterin auf euch zieht.“ Arashi drängt sich zwischen uns. „Kommst du denn nicht mit?“, will ich von ihm wissen. Er schüttelt seinen Kopf, beugt sich zu mir und haucht mir einen seichten Kuss auf die Lippen. „Nein. Ich werde in der Zeit eurer Abwesenheit, ein wenig versuchen dem guten Derek zu helfen. Loup-Garou sind zwar super Fährtenleser, aber auch sie sind nicht unfehlbar.“ „Danke“, wispere ich und lecke mir einmal über die Lippen. Dann drehe ich mich um und verlasse mit wackeligen Beinen die Wohnung. Als ich an Constantin und Jolina vorbeitorkle, kann ich ihr unterdrücktes Grinsen deutlich erkennen. „Was gibt es denn da zu lachen, hä?“, keife ich sie beide an, und schon können sie nicht mehr an sich halten und lachen laut drauf los. Es hat noch eine ganze Weile gedauert, bis die beiden Lachhälse sich wieder eingekriegt und endlich mit dem lachen aufgehört haben. Ich weiß gar nicht was sie so lustig daran fanden, dass Arashi mich ungefragt geküsst hat. Oh, wenn ich zu dem Zeitpunkt nur nicht so überrascht davon gewesen wäre, dann hätte ich diesem Idioten, für diese Frechheit, eine verpasst, so dass er die Engelchen hätte singen hören. Dann, und auch wirklich nur dann, hätten Jolina und Constantin was zu lachen gehabt. Also wirklich. Was hat der Kerl sich aber auch dabei gedacht, mich einfach so… einfach so… Ach verdammt. Ich muss ihn endlich aus meinen Gedanken raus kriegen. Ich kenne ihn schließlich kaum. Alles was ich von ihm weiß ist, dass er ein Vampir ist, dass er sich ohne vorher zu fragen mein Blut genommen hat, und dass er ein richtiger Spaßvogel zu sein scheint. Alles in allem, also wirklich kein guter Um-gang für mich. Wie bestellt und nicht abgeholt stehe ich in dem riesigen Foyer von Lady Antoniellas wunderschönem Anwesen und trete von einem Bein aufs andere. Jolina und Constantin haben mich hier abgestellt und sind nach draußen in den Garten gegangen. Von meiner Position aus kann ich sie bestens erkennen. Sie stehen zusammen mit meiner Tante zwischen ein paar Pflanzen und unter-halten sich angestrengt. Und das tun sie jetzt schon seit mehr als einer viertel Stunde. Was gibt es da nur so lange zu bereden. Ich bin gewillt näher ran zu gehen um zu lauschen, doch aufgrund dessen, das ich derzeit schon genug Ärger habe, tue ich es nicht. Stattdessen werde ich weiterhin schön brav hier stehen bleiben und… Jetzt sehen sie mich an. Wieso sehen sie mich an? Sie reden hoffentlich nicht über mich. „Du bist wirklich das Ebenbild deiner Mutter.“ Erschrocken drehe ich mich um. Oberhalb des östlichen Treppenaufgangs, steht eine in eleganter Robe gekleidete Frau, die mir ihren rechten Arm entgegenstreckt. „Komm her mein Kind, und lass mich dich etwas genauer ansehen.“ Sie hat sich mir zwar nicht vorgestellt, aber ich glaube mal, dass das Lady Antoniella sein wird, die Hohepriesterin unseres Zirkels und gleichzeitig Kiras Ziehmutter. Na dann, auf in den Kampf, spreche ich mir selber Mut zu. Hohen Hauptes schreite ich zu ihr nach oben. „Ich bin Selest. Selest Peterson“, stelle ich mich ihr dann vor. Zwar weiß sie wer ich bin, wenn sie schon sagt, dass ich das Ebenbild meiner Mutter bin, aber dennoch… Ich will wenigstens versuchen einen Plus-punkt zu ergattern, bevor ich ihr gleich sage, was ich getan habe. „Es freut mich dich kennen zu lernen, Selest. Ich bin Lady Antoniella, die Hohepriesterin unseres Zirkels.“ Sie reicht mir ihre Hand, die ich nach kurzem Zögern, zaghaft ergreife. „Willkommen bei den Phönix-Hexen.“ „Danke. Ähm… Ich muss.“ Oh weh. Wie soll ich ihr das nur mit Kira beibringen? „Nur keine Panik, Liebes“, sagt sie lächelnd und entlässt meine Hand aus ihrem festen Griff. „Deine Tante ist noch etwas beschäftigt, wieso kommt du nicht mit mir? Wir können nebenan ins Wohnzimmer gehen und uns dort etwas unterhalten. Möchtest du vielleicht was trinken?“ Ich nicke und folge ihr dann. Also auf den ersten Blick macht sie einen wirklich netten Eindruck. Vielleicht habe ich ja Glück, und sie nimmt es mir Kiras Verschwinden nicht allzu böse, oder aber sie sagt, dass sie sie finden kann. Das wäre dann noch besser. Wir haben das Wohnzimmer erreicht. Es ist ziemlich groß und wunderschön eingerichtet. An den Wänden hängen vereinzelte Bilder, die Lady Antoniella, zusammen mit zwei kleinen Kindern zeigt, bei der es sich bei der einen wohl um Kira handelt und die andere… „Die blonde der beiden ist meine Enkelin Eileen. Leider weilt sie nicht mehr unter uns, und die andere ist Kira. Sag…“ Sie bittet mir einen Sitzplatz auf ihrer schwarzen Ledercouch an, den ich dankend annehme. „…wie kommst du eigentlich mit ihr zurecht? Hoffentlich gut. Das Kind hat leider nicht allzu viele Freunde und ist meistens für sich alleine. Seit Eileen tot ist, zieht sich auch immer mehr zurück. Noch nicht mal ich komme mehr an sie ran.“ Das habe ich auch schon mitbekommen, also das sie meistens für sich ist. Und, dass sie sich so wirklich keinem anvertraut. Was ich übrigens sehr schade finde. „Sie ist nett, aber… allzu viel habe ich bisher leider noch nicht mit ihr zu tun gehabt.“ Und das werde ich wohl auch in Zukunft nicht. „Aber sie hat mich vor Lykan gerettet, also… schulde ich ihr was.“ „Ja. Davon habe ich gehört“, sagt Lady Antoniella. Es klopft an der Tür und eine junge Zigeunerin betritt mit einem Tablett auf dem Arm das Zimmer. Sie kommt zu uns, stellt wortlos zwei Gläser Saft vor uns ab und verschwindet dann, mit einem Knicks in Richtung Lady Antoniella, wieder. „Das war Vanessa, meine Haushälterin“, klärt sie mich auf. „Leider ist sie seit ihrer Geburt stumm.“ „Oh. Das tut mir leid.“ Ich kann es mir gar nicht vorstellen, so zu leben, ohne eine Stimme zu haben. „Ist sie auch eine…“ „Ob sie auch eine Hexe ist? Ja. Sie gehörte einst dem Zirkel der Wicca-Hexen an. Ich nahm sie auf nachdem… Bist du mit unserer Geschichte vertraut?“ „Wenn sie den Krieg vor 17 Jahren meinen, dann ja. Ein bisschen was weiß ich bereits, nur nicht, wieso es dazu kam und auch nicht, wie genau er geendet hat. Alles was ich weiß ist, dass unser Zirkel und der der Stonehenge-Hexen gesiegt haben, und der Zirkel der Wicca-Hexen fast komplett ausgelöscht wurde. Was ich mich aber frage ich, wieso sind ein paar von ihnen verschont wurden?“ Und was ist jetzt genau mit den anderen passiert? Das Kiras Eltern wegen ihres Verrates, mit ihren Leben bezahlen mussten, ist mir klar, auch wenn ich das als Strafe ganz schön hart finde. Es hätte doch bestimmt auch gereicht, ihnen einfach ihre Kräfte zu nehmen, oder sowas in der Art. „Unsere Gesetze sind hart, Liebes. Aber es ist nun mal das Gesetz, dass Verräter mit ihrem Leben bezahlen müssen. Wir haben dieses Gesetz zwar nicht gemacht, aber wir leben seit Generationen damit. Es schützt uns davor, unsere Kräfte zu missbrauchen.“ Ich nehme einen kräftigen Schluck von meinem Orangensaft. Er schmeckt etwas bitter, was ich mir aber nicht anmerken lasse. Ich muss immerhin weiterhin Pluspunkte sammeln, bevor ich mir gleich eine ganze Menge Minuspunkte einhandeln werde. Ich stelle das halbleere Glas wieder auf den Tisch zurück und nehme dann all meinen Mut zusammen. Ich muss es ihr jetzt sagen, bevor sie es doch noch von wem anderes erfährt. „Ich muss ihnen was wichtiges sagen“, unterbreche ich sie bei ihrer Erklärung. Lady Antoniella hält inne und sieht mich nun direkt an. So schaffe ich das doch nie. Ich senke meinen Blick und ziehe dann scharf Luft ein. „Ich weiß was mit Kiras Eltern passiert ist und…“ Ich hebe meinen Blick und blicke direkt in Lady Antoniellas entsetztes Gesicht. Sie ahnt also, was ich gleich sagen wer-de. „Ich war so wütend und gleichzeitig auch verletzt, dass ich Kira davon berichtet habe, das ihre Mutter meine getötet hat. Es tut mir wirklich leid. Ich wollte das nicht, aber es ist einfach passiert. Ich fühle mich deswegen auch wirklich mies, weil Kira danach weggelaufen ist und Derek… Ihn trifft keine Schuld daran, also bitte seien sie nicht sauer auf ihn. Er hat Kira die ganze Nacht über gesucht, zusammen mit Constantin und Jolina, doch… bisher lei-der ohne Erfolg. Sogar jetzt ist er noch draußen und sucht nach ihr. Er gibt nicht auf.“ Ich mache eine Pause und sehe mir das Gesicht meiner Gegenüber genau an. Es ist mittlerweile kalkweiß. Lady Antoniella steht schwungvoll auf, wobei sie ihr volles Glas Saft umkippt. Der Inhalt tropft auf den weißen Teppich und verfärbt ihn sogleich orange. Dann brüllt sie los. „Xander!“, schreit sie immer wieder ein und denselben Namen. Es dauert auch nicht lange und ein gut gebauter Mann erscheint im Wohnzimmer. Allerdings nicht alleine. Meine Tante, Jolina und Constantin sind ebenfalls gekommen und stehen mitten im Zimmer. „Was ist los, Liebes“, will der Neue von Lady Antoniella wissen. Seine imposante Gestalt ähnelt stark der von Derek. Dann handelt es sich bei ihm hier, wohl um seinen Onkel. „Kira ist weggelaufen. Ich will dass du sie findest und hierher zurückbringst. Es war ein Fehler gewesen, sie hier ausziehen zu lassen. Mach dich sofort auf den Weg und nimm den Rest von Dereks Rudel mit.“ „Ist gut. Doch Paul würde ich lieber hier lassen, Antoniella. Der Junge ist noch zu jung und unerfahren, er würde uns keine Hilfe sein.“ „Selbstverständlich“, sagt sie und endlich klingt ihre Stimme wieder normal. Ja fast schon sanft. Sie gibt Dereks Onkel einen Kuss auf die Wange, der dann auch prompt wieder verschwindet. Dann wendet sie sich an mich. „Sag mir ganz genau was du weißt und lasse kein Detail aus, hörst du?“ Völlig eingeschüchtert nicke ich und fange sofort an zu erzählen. Ich erzähle ihr von Arashi und das er mich gebissen hat, als ich dann die Traumvision mit meiner Mutter und Kiras Mutter hatte. Das ich gesehen habe wie die beiden sich unterhalten haben, aber ich erzähle ihr nicht, dass meine Mutter das Gefühl hatte, dass man Kiras Eltern wohl als Sündenböcke benutzen wollte. Erst wenn ich mir hundertprozentig sicher sein kann, dass meine Mutter sich in ihrem Gefühl getäuscht hat, dass Kiras Eltern nur benutzt wurden, werde ich das preisgeben. Ich will hier immerhin niemandem falsche Hoffnungen machen, allen voran Kira nicht. Es kann ja auch sehr gut sein, dass es einfach nur Wunschdenken meiner Mutter war, das ihre beste Freundin unschuldig gewesen ist. Und das heißt, dass ich irgendwie beweisen muss, dass meine Mutter richtig lag. Was ich Lady Antoniella aber noch erzählte war, dass ich sah, wie Kiras Mom meine ermordet hat. Ohne Gefühl und auch ohne mit der Wimper zu zucken. Ich lasse mir diese Begegnung noch einmal durch den Kopf gehen. Denke an das, was Kiras Mutter zu meiner sagte, kurz bevor sie sie ermordet hat. Und kaum das ich diese Worte noch ein-mal höre, ganz leise aus meinem Unterbewusstsein heraus… » Mir wurde gesagt, dass ihr beide mehr als nur Freunde seid und es schwer werden wird, euch gegenseitig auszuspielen. … Und du willst wirklich ihre Freundin sein? Das ich nicht lache. « …wird mir sofort klar, dass es nicht Kiras Mutter war, die meine ermordet hat, sondern nur jemand, der wie sie aussah. Und das heißt… Ja was heißt das jetzt eigentlich. Bedeutet das, dass jemand aus ihrem eigenen Zirkel sie hereingelegt hat, oder war es sogar einer aus den anderen beiden Zirkeln. Und wenn ja, wer kommt für sowas überhaupt in Frage. Wer profitierte einst davon, dass Kiras Eltern als Verräter hingerichtet wurden? Jolina und Constantin waren damals noch zu jung, die brauche ich also nicht nach möglichen Verdächtigen zu fragen, aber meine Tante und meinen Vater schon. Nur werde ich das nicht. Sie glaubten ja schon vor 17 Jahren daran dass Kiras Eltern böse waren, sie werden mir also nicht unbedingt eine große Hilfe sein und außerdem bestünde bei ihnen noch der Verdacht, dass sie es Lady Antoniella sagen wer-den, und ich will eigentlich nicht, dass sie davon erfährt, immerhin kann man schon sagen, dass sie vom Tod der beiden am meisten profitierte. Ich blicke Kiras Ziehmutter in die Augen. Die Augen so sagt man ja, sollen ja das Fenster zur Seele sein. Und wie ich ihr mutig entgegenblicke, so sehe ich keinerlei Angst in ihren Augen, was eigentlich der Fall hätte sein müssen, sondern etwas anderes spie-gelt sich in ihnen wieder. Etwas für mich undefinierbares. „Die anderen sind da“, höre ich meine Tante sagen. Völlig aus dem Konzept gekommen, wende ich mich Lady Antoniella ab und Fanny zu. Meine Tante steht immer noch neben Jolina und Constantin. „Es wird Zeit für die Totenfeier“, fügt sie noch hinzu und verlässt dann das Zimmer. Jolina und Constantin folgen meiner Tante zügig, werfen mir vorher aber noch einen entschuldigenden Blick zu. Und damit bin ich, mit Lady Antoniella – die meinen beiden Mitbewohnern hinterhersieht, alleine. Vor meiner kleinen Beichte war das ok, aber jetzt fühle ich mich alles andere als Wohl. Ich beschließe den dreien hinterher zu gehen. Ich setze mich in Bewegung, will das Zimmer ebenfalls verlassen, als ich allerdings von Lady Antoniella am Arm gepackt werde. Schmerzhaft verziehe ich das Gesicht, was sie dazu veranlasst ihren festen Griff etwas zu lockern. „Entschuldige! Und danke, dass du mir die Wahrheit gesagt hast“, sagt sie zu mir. Ihre Stimme klingt zwar freundlich, aber ich glaube kaum dass es auch so gemeint ist. Doch das lasse ich mir nicht anmerken. „Es tut mir wirklich leid“, murmle ich stattdessen. „Ich wollte das alles wirklich nicht. Und ich hoffe sehr, dass Kira bald gefunden wird.“ Dann nicke ich Lady Antoniella kurz zu, ehe ich mich schleunigst auf mache den Raum zu verlassen, und somit nicht mehr mit ihr alleine bin. Kaum das ich wieder unten im Foyer angekommen bin, sehe ich auch schon ein paar neue Gesichter das Anwesen betreten. Und wie mir Jolina vorhin schon prophezeit hat, sind es wirklich nicht viele, die der Totenfeier beiwohnen werden. Irgendwie traurig wenn man bedenkt, dass Bianca und ihre Eltern kaum jemanden was bedeutet zu haben scheinen. Unter den Neuankömmlingen befindet sich auch mein Vater. Ich renne zu ihm und umarme ihn stürmisch. Sofort drücke er mich dicht an sich und schlingt seine Arme um mich. „Dad!“ Ich sehe zu ihm auf. „Was machst du denn hier?“ „Ich kannte die Bayers sehr gut, allen voran Juliane. Zusammen mit deiner Mutter haben wir damals unsere Ausbildung begonnen.“ „Oh. Das tut mir leid, Dad.“ Wir beide gehen Hand in Hand in den Garten raus. Auch die anderen folgen uns, nachdem sie sich ausgiebig begrüßt haben. Scheinbar haben sie sich schon lange nicht mehr gesehen. „Wie läuft so eine Hexen-Totenfeier eigentlich ab. Ist es wie bei normalen Menschen?“, will ich wissen. „Nein. Bei uns gibt es genaugenommen kein Grab für jeden Toten. Die Körper der Verstorbenen werden verbrannt, damit die Asche im Zentrum des Zirkels beigesetzt werden kann.“ „Aber was ist mit Moms Grab? Sie hatte doch eines, in Berlin Mitte.“ „Ja. Aber das war nur ein provisorisches. Ich habe es damals anfertigen lassen, kurz bevor ich mit dir dort hingezogen bin. Sozusagen zur Tarnung.“ „Verstehe.“ Ich hake mich bei meinem Vater unter und wende meinen Blick wieder nach vorne. „Und was passiert mit Hexen die, nun ja, die Verräter waren? Kommen sie auch hierher“, frage ich und zeige mit einer kurzen Handbewegung in Richtung des riesigen Holzscheits, der vor uns aufgebaut wurde. Auf diesem liegen zwei, in weiße Laken eingehüllte Körper. Schnell wende ich meinen Blick von diesem Anblick ab. Der Gedanke, dass diese Familie nur sterben musste weil ich hierher gezogen bin, schleicht sich in mein Herz. Ich bekomme mal wieder ein schlechtes Gewissen und am liebsten würde ich jetzt von hier weg laufen. Doch das kann ich nicht bringen, nicht wenn mein Vater und auch meine Tante hier sind. „Nun. Wenn eine Hexe oder ein Hexenmeister stirbt“, beginnt mein Vater damit meine Frage zu beantworten, „dann, und so glaubten schon unsere Vorfahren, wird sozusagen ihre Seele zu unseren Ahnen geleitet, damit der Weg für ihre Wiedergeburt geebnet werden kann. Und nur Mitgliedern des Zirkels, wird diese große Ehre zuteil. Um also deine eigentliche Frage zu beantworten: Nein. Verräter werden direkt nach ihrer Verurteilung aus dem Zirkel verbannt und haben somit kein Anrecht darauf, in den Kreis unserer Ahnen aufgenommen zu werden.“ Also auch wenn ich beweisen kann das Kiras Eltern unschuldig waren, ist es für sie unmöglich, wiedergeboren zu werden. Welch eine Ungerechtigkeit. Fanny, Jolina und Constantin stellen sich Wortlos neben meinen Vater und mich. Und auch die anderen, nehmen so langsam einen Platz um die zwei Toten ein. Dann betritt Lady Antoniella, in einem neuen schwarzen Gewandt den Platz. Und mit ihr zusammen macht es genau 9 Leute, die sich hier versammelt haben. Das sind nun wirklich nicht gerade viele. „Wir haben uns heute hier versammelt“, beginnt Lady Antoniella mit lauter Stimme zu uns allen zu sprechen, „um zwei Mitgliedern unseres Zirkels die letzte Ehre zu erweisen. Bianca Bayer, eine noch sehr junge, aber dennoch talentierte Hexenschwester, sowie ihre Mutter Juliane, mussten ihr Leben lassen, nachdem sie von einem Wolfsmenschen angegriffen wurden. Und auch von Vincent, welcher ein liebevoller Vater und Ehemann war, müssen wir uns verabschieden. Da auch er, bei dem Versuch seine Familie zu beschützen, ums Leben kam.“ „Warum liegen dort nur zwei Leichen?“, frage ich meinen Vater. „Pst“, zischt mir meine Tante zu und sieht mich streng an, ehe sie sich wieder unserer Hohepriesterin und ihrer Rede zuwendet. Ich beiße mir ertappt auf die Lippen. „Wir werden euch nie vergessen!“ Lady Antoniella kniet sich vor dem Holzscheit, führt ihre Hände zu ihrem Mund und berührt eine Sekunde später dann den Holzscheit, der daraufhin zu brennen beginnt. Es dauert nicht lange und ein großes Feuer lodert mitten in ihrem Garten, welches mich stark an ein Osterfeuer erinnert. Und wenn der Grund dieses Feuers nicht so traurig wäre, dann würde ich glatt sagen, dass es wunderschön aussieht. Alle Anwesenden treten einer nach dem anderen an die Stelle, an der Lady Antoniella das Feuer entfacht hat und kniet sich ebenfalls dorthin. Dann spricht jeder ein kurzes Wort des Bedauerns aus und macht auch schon dem nächsten Platz. Das geht so lange, bis nur noch eine übrig ist. Ich. Da ich unschlüssig bin was ich jetzt tun soll, drehe ich mich zu meinem Vater um, doch leider ist er gerade dabei sich mit Lady Antoniella zu unterhalten. Auch meine Tante, sowie Jolina und Constantin sind in ein Gespräch vertieft, also kann ich auch keinen der Drei um Rat fragen. Was soll ich jetzt nur tun? Ich kannte ja weder Bianca, noch ihre Mutter, also wäre alles was ich ihnen sagen könnte… „Es tut mir leid“, bricht es völlig unerwartet aus mir heraus. Ich knie mich, wie die anderen zuvor auch, vor dem noch immer brennenden Holzscheit und lege meine Hände auf dem Boden ab und bette meinen Kopf auf sie. Zwar möchte ich weder Bianca, noch ihrer Mutter oder ihrem Vater – auch wenn der nicht mit auf dem Holzscheit lag – mein Bedauern aussprechen, sondern ich möchte sie um Verzeihung bitten. „Ich habe das alles wirklich nicht gewollt“, schluchze ich. „Alles was ich wollte, war meiner eigenen Ermordung zu entgehen und vielleicht noch den Geburtsort meiner Eltern kennenlernen. Ich hatte ja keine Ahnung, dass er jeden umbringt, dem er begegnet. Wirklich. Ich habe das nicht gewollt.“ Ich spüre eine kalte Hand auf meiner Schulter. Ich hebe meinen Kopf und wende ihn nach links. Hinter all den Tränen die meine Wange herunterkullern, kann ich nicht richtig erkennen wer das ist, der hier neben mir hockt und mich zu trösten versucht. Alles was ich erkennen kann ist, dass es sich um eine recht junge Frau handeln muss. Die kalte Hand verschwindet von meiner Schulter und wischt ein paar meiner Tränen weg, sodass mein Blick wieder etwas klarer wird und ich die Person genau erkennen kann. Ich spüre ihre kalten Finger und doch ist es unmöglich dass sie echt ist, denn die junge Frau, sieht aus wie ich. „Mom!?“   Herbst 2015, Siebenbürgen Selest Peterson „Und du bist dir wirklich sicher, dass du dir das alles nicht nur eingebildet hast?“ Arashi sieht zu mir rüber, während er mit dem geliehenen schwarzen Audi über die Straßen prescht. Wenn ich vorher gewusst hätte dass er solch einen gefährlichen Fahrstil hat, wäre ich gefahren. „Du warst immerhin aufgewühlt und…“ „Ich habe mir das nicht eingebildet“, erkläre ich ihm jetzt schon zum gefühlt einhundertsten Mal. „Ich habe ihre Hand deutlich gespürt, genauso wie ihren kalten Atem, als sie mir diesen Namen ins Ohr geflüstert hat.“ Ich kralle mich an meinem Sicherheitsgurt fest und bete zu Gott, dass dieser Verrückte neben mir dran denkt, dass ich, im Gegensatz zu ihm, noch nicht tot bin. Und auch noch nicht sterben will. „Kannst du nicht etwas langsamer fahren?“ „Könnte ich schon, will ich aber nicht.“ Tolle Antwort. „Ok. Was kannst du mir alles über ihn erzählen? Gibt es irgendwas Wichtiges zu beachten, wenn ich mit ihm rede?“ „Ich kann dir eine ganze Menge über ihn erzählen, aber wenn ich das tue, dann sitzen wir noch in einem Jahr hier im Auto und reden nur über ihn. Das wichtigste was du über meinen Vater wissen musst ist, dass er dir nicht aus reiner Freundlichkeit helfen wird, falls er das überhaupt tut.“ „Wäre ja auch zu schön“, murmle ich. „Er wird eine Gegenleistung von dir verlangen und in der Regel ist es ein Schlückchen Blut.“ „Gut zu wissen. Ähm, aber sag mal. Wie kann er eigentlich dein Vater sein? Vampire können doch keine Kinder bekommen, oder?“ „Können sie nicht, nein!“ „Wieso nennst du ihn dann deinen Vater?“ „Nun, wenn es dich wirklich interessiert… Meine Mutter war damals noch kein Vampir, als sie und mein Vater sich lieben lernten. Es vergingen fast zwei Jahre, als mein Vater meiner Mutter endlich den Vorschlag machte, sie zu verwandeln. Natürlich wollte meine Mutter für immer an seiner Seite sein und wusste, dass dies der einzige Weg war, doch wollte sie auch immer Kinder bekommen. Und sobald sie ein Vampir ist, würde sich dieser Wunsch niemals erfüllen. Also suchte mein Vater Rat bei einer Hexe. Von ihr erfuhr er, dass sie in der Lage sei, meiner Mutter diesen Wunsch zu erfüllen, alles was sie dazu bräuchte wäre Blut von den beiden. Sie willigten ein, und einen Monat später, war meine Mutter tatsächlich schwanger.“ „Wow! Deine Eltern müssen sich wirklich geliebt haben, hm.“ „Das tun sie heute auch noch. Und zwar so sehr wie am ersten Tag.“ Arashi bringt das Auto zum Stillstand und dreht sich zu mir um. „Nachdem ich dann geboren wurde, verwandelte mein Vater meine Mutter dann in einen Vampir.“ „Und wie wurdest du geboren?“, will ich wissen. „Ich wurde natürlich als Mensch geboren. Und da man als Vampir nur sehr langsam altert, haben meine Eltern beschlossen mich auch erst einmal als Menschen großzuziehen. Das ging aber auch nur, weil meine Mutter sich sehr gut unter Kontrolle hatte. Neugeborene Vampire sind eigentlich immer sehr gefährlich für die Menschen, weil sie ihren Blutdurst noch nicht unter Kontrolle haben, aber meine Mom hatte nie Probleme damit gehabt. Sie war eben schon immer außergewöhnlich.“ „Und als du dann alt genug warst, wer hat dich da zu einem Vampir gemacht? War es deine Mutter?“ „Nein! Das war mein Vater! Jeder gewandelte Vampir bekommt immer einen Teil der Macht seines Erschaffers mit, und da mein Vater ein paar sehr mächtige und auch alte Vampire als Feinde hat… Nun, du kannst es dir bestimmt denken.“ Ich nicke verstehend. Oh ja, ich kann es mir in der Tat denken. Es ist doch immer dasselbe. Wenn man an seinen eigentlichen Feind nicht ran kommt, sucht man sich halt jemanden aus, der demjenigen nahe steht. Und in der Regel ist das ein Familienmitglied. Und da Arashis Vater älter ist als seine Mutter und damit vermutlich auch stärker, fiel die Wahl, der ihren Sohn zum Vampir macht, klar auf seinen Vater. Ich folge Arashis Beispiel und steige aus dem Auto aus. Ich strecke mich ausgiebig und blicke mich dann in der Gegend um. Wir befinden uns irgendwo in der Walachei, abseits jeglicher Zivilisation. Überall ist nichts weiter außer grün zu sehen, abgesehen von einer uralten Ruine, die auf einem Hügel, hoch oben, zu sehen ist. Arashi stellt sich neben mich und breitet mit einem breiten Grinsen im Gesicht seine Arme aus. „Willkommen auf Burg Poenari! Kapitel 4: Im Reich der Vampire ------------------------------- Herbst 2015, Siebenbürgen Selest Peterson Vorhin war ich ja noch der Meinung am Arsch der Welt zu sein, ohne jegliche Zivilisation in der Nähe, doch wenn ich mir das Burginnere so ansehe, dann muss ich mein vorhin getroffenes Urteil revidieren. Hier ist richtig was los. Die unterschiedlichsten Menschen sind hier anzutreffen und doch haben sie alle eines gemeinsam. Sie wandeln auf den Spuren von Vlad III. Typisch Touristen eben. Arashi drängt sich an allen vorbei, immer darauf bedacht meine Hand nicht los zu lassen, die er mit der Begründung gegriffen hat, er will nur dafür sorgen das ich nicht verloren gehe – so ein Lügenbold. Natürlich habe ich das grinsen in seinem Gesicht gesehen, als er meine Hand ergriff und mich dann mit sich zog. Ich entschuldige mich schnell bei einer etwas älteren Dame, der ich eben auf den Fuß getreten bin und auch bei einer jungen Frau mit Kinderwagen, die ich mit meinem Ellenbogen angerempelt habe, als Arashi und ich auch schon hinter einer Tür, mit der Aufschrift: Nur für Personal, verschwunden sind. Ich seufze erleichtert auf. „Was ist das denn für eine Menschenansammlung gewesen?“, frage ich meinen Begleiter, der gerade dabei ist seine Klamotten glatt zu streichen. Er sieht mich belustigt an und marschiert dann Seelenruhig weiter. Ich folge ihm grummelnd. Was anderes bleibt mir ja aber auch nicht übrig. „Meine Mom hat einen Teil der Burg als Hotel umfunktioniert. Sie hat immer gerne was zu tun und sie hat gerne Menschen um sich“, erklärt er mir. Wir betreten einen alten Fahrstuhl und fahren mit ihm mehrere Etagen nach unten. Als er seine Türen öffnet, staune ich nicht schlecht, bei dem Bild welches sich mir hier unten bietet. Vor uns erstreckt sich ein Gang, der keinerlei Ähnlichkeit mehr zu oben aufweist. Kahle Wände, bis auf die Fackeln, die alle zwei Meter an der Wand hängen und ein mehr als unangenehmer Geruch, liegt in der Luft. „Was riecht denn hier so bestialisch?“, frage ich, obwohl ich die Antwort nicht wirklich wissen will. „Das ist der Geruch von Blut“, sagt Arashi achselzuckend und zieht mich dann wieder einmal hinter sich her. Genau das konnte ich mir nämlich denken. Die Frage ist jetzt nur, wessen Blut ist es? Je weiter wir gehen, desto unangenehmer wird der Geruch für mich. Ich halte mir die Nase zu und hoffe inständig, dass ich das hier überleben werde. Eigentlich habe ich ja kein Problem mit Blut. Ganz im Gegenteil, ich habe sogar Hunger bekommen, als ich mal einen Einführungskurs in der Gerichtsmedizin besucht habe und wir bei einer Obduktion zusehen durften. Aber das hier ist dann doch etwas anderes. Und beängstigender. Während wir jetzt schon seit gut einer viertel Stunde diesen trostlosen Gang entlanggehen, habe ich festgestellt, dass die Fackeln nicht das einzige sind, was es hier zu sehen gibt. Alle paar Meter sind wir an dicken Eisentüren vorbeigekommen, hinter die ich nur zu gerne geschaut hätte. Also wenn Fackeln und Türen alles ist was es hier unten zu sehen gibt, dann bin ich ehrlich gesagt, etwas enttäuscht. Hier sieht es so trostlos aus, dass ich mir nicht mal vorstellen kann, wie hier irgendjemand, überhaupt wohnen kann. Ich rümpfe meine Nase – dieser eklige Geruch wird immer schlechter zu ignorieren – und puste eine Haarsträhne weg, die mir ihm Gesicht hing. Mein Magen rebelliert und ich fühle mich mehr als unwohl. Ich könnte kotzen. Arashi sieht mich besorgt an und legt eine seiner kalten Hände auf meine Stirn. „Wir sollten dich erst einmal zu meiner Mutter bringen“, sagt er mit besorgter Stimme. „Ich hätte nicht gedacht, dass dir der Geruch so viel ausmachen würde. Die anderen Menschen sind nicht so empfindlich wie du. Du bist doch wohl nicht schwanger?“ Ich klotze ihn empört an. „Bitte was hast du eben gesagt? Schwanger! Ich! Der spinnt ja wohl. Ich reiße mich von ihm los und gehe dann einfach weiter. Wie kommt der Idiot nur auf solch eine komische Idee. Also wirklich. „Du läufst in die falsche Richtung“, höre ich ihn belustigt sagen. Ich drehe mich nach hinten zu ihm um und will ihn gerade anmeckern, als ich den Grund seines Einwurfs erkenne. Wir befinden uns nicht mehr in diesem langweiligen Gang, sondern ich stehe inmitten einer riesigen Höhle, deren Wände bestimmt an die 20 bis 30 Meter hoch sind, ehe sie die Decke erreichen. Ich drehe mich im Urzeigersinn und stelle fest, dass es mir hier eigentlich gefällt, zumindest ist es schöner als dieser langweilige Gang. Wenn nur dieser infernale Geruch nicht wäre. Die Wände dieser Höhle, in der ich immer noch wie angewurzelt stehe und mich umsehe, erinnern mich ein wenig an ein Gefängnis, da sie kahl sind und das pure Gestein zu sehen ist. Also nicht unbedingt eine Besserung zu eben. Außerdem ist es hier kälter und dunkler und auch die Luft ist feuchter als vorher, und von weiter weg hört man Wasser, tropfend auf den Boden fallen. Je länger ich hier verweile, desto beängstigender fühlt sich diese Trostlosigkeit hier an, sodass ich am liebsten davon laufen würde, um wieder das Tageslicht sehen zu können. Außerdem mischt sich hier unten noch ein weiterer Geruch mit ein. Es riecht zusätzlich noch nach vermoderten Wasser, als wäre mein Brechreiz nicht so schon kurz davor auszubrechen. In der Dunkelheit kann ich schemenhaft eine Person ausmachen, die immer näher zu kommen scheint. Ich dränge mich dichter an meinen Begleiter, der sofort seine Arme um mich legt. Ich fühle mich sicherer, aber gleichzeitig auch angreifbarer. Vielleicht hätte ich doch einen der anderen, am liebsten Jolina, mitnehmen sollen. „Du brauchst keine Angst zu haben, das ist nur meine Mom die da kommt.“ Puh. Irgendwie beruhigt mich das ungemein, auch wenn seine Mom ja auch eine Vampirin ist und man bei denen nie wissen kann, ob die nicht plötzlich Appetit bekommen. Doch ich bin eigentlich ganz zuverlässig. Ich löse mich sachte von Arashi und trete ein paar Schritte zur Seite, da ich mich in seiner Gegenwart merkwürdig fühle und ich Angst habe, dass ich ihn gleich anspringe. Er hat einfach diese Ausstrahlung auf mich, die ich anziehend finde. Und ich glaube nicht dass das einen guten ersten Eindruck macht, wenn ich ihn, vor den Augen seiner Mom, anspringe. Oh weh. Ich brauche ganz dringend Abstand von ihm. „Und wann lerne ich deinen Vater kennen?“, will ich wissen. Schließlich bin ich nur seinetwegen hier, also weil meine Mom meinte, dass ich mit ihm reden soll. Weil er eben die Antworten hat, die ich suche. „Du musst dich leider noch einen Augenblick gedulden, Liebes.“ Arashis Mom steht jetzt direkt vor mir und lächelt mich an. Und es ist ein ehrliches Lächeln, welches sie mir da entgegenbringt. „Mein Mann ist gerade in einer sehr wichtigen Besprechung.“ Ich nicke verstehend. Arashis Mom sieht wirklich hübsch aus. Aber das muss sie ja, bei dem Sohnemann. Ich erwidere das Lächeln und sehe dann ein wenig verwirrt – seine Mom sieht mich so merkwürdig an – zu Arashi rüber. Der schüttelt nur kurz mit dem Kopf und widmet sich dann seiner Mutter zu. „Wer ist bei ihm?“, will er wissen. „Zarjo. Und worüber sie reden kannst du dir bestimmt denken, mein Sohn. Es ist immer das gleiche mit den beiden.“ Zarjo. Das ist ein eher ungewöhnlicher Name, wie ich finde. Wer das wohl sein mag? Ich frage nicht nach, muss ja nicht alles wissen. „Na prima. Dann wird Vater nach dem Gespräch ja wunderbare Laune habe“, seufzt Arashi. „Vielleicht sollten wir das Treffen lieber auf morgen verschieben?“ Schweigen. Ein wenig durcheinander sehe ich Arashi an. „Ach du meinst mich.“ Er nickt mir zu und ich überlege kurz. „Was? Nein. So viel Zeit habe ich nicht. Außerdem hat mir meine Mom gesagt, dass ich heute mit deinen Vater reden muss. Bitte, Arashi.“ Ich sehe ihn flehend an. Er seufzt. „Ok. Aber sage hinterher nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.“ „Jaja.“ „Hihi. Ihr beide scheint euch ja prächtig zu verstehen. Arashi. Bitte gehe zu deinem Vater und versuche ihn bei Laune zu halten. Ich werde deine kleine Freundin derweil hier herumführen. Geh!“ Arashi setzt sich sofort in Bewegung und ich sehe ihm hinterher. Es dauert nicht lange, dann ist er auch schon aus meinem Blickfeld verschwunden. Er kann mich doch nicht alleine lassen. Zwar glaube ich nicht dass seine Mutter über mich herfallen wird, aber… „Nur keine Angst, ich beiße nicht!“, sagt sie und klopft mir freundschaftlich auf die Schulter. Bestimmt hat sie meine Unsicherheit vernommen und versucht es mir so angenehm wie möglich zu machen. Gefällt mir. „Na komm. Gehen wir in meine Räumlichkeiten, dort kannst du dich etwas ausruhen. Es wird noch etwas dauern, bis du auf meinen Mann triffst.“ Arashis Mom ist jetzt schon seit gut einer halben Stunde verschwunden. Kurz nachdem sie mich in ihre Räumlichkeiten gebracht hat, kam ein junger Mann hinein – er sah jedenfalls jung aus, aber bei den Blutsaugern weiß man ja nie – und sagte ihr, dass sie dringend Oben gebraucht wird. Sie entschuldigte sich bei mir und wies mich, bevor sie ging noch an, den Raum nicht ohne Arashi oder sie zu verlassen. Ich sehe mich in dem großräumigen Zimmer etwas um. Schon beim herein kommen habe ich gesehen, dass auf den Kommoden und auch an den Wänden Bilder hängen. Und da ich schon immer neugierig war, außerdem, was soll ich hier drin auch sonst machen, beschließe ich, mir die Bilder etwas genauer anzusehen. Vielleicht sehe ich ja ein früheres Bild von Arashi, als er noch ein kleiner Gnom war. Auf dem ersten Bild ist Arashis Mom zu sehen, zusammen mit einem verdammt gutaussehenden jungen Mann, der mich an Arashi selbst erinnert. Er hat genauso wie er, schwarze lange Haare, die zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden sind. Sowas wie Frieseure scheinen die in dieser Familie wohl nicht zu kennen. Ich betrachte das nächste Bild und auf diesem sehe ich Arashis Mom, den jungen Mann von eben – ich schätze mal das wird sein Vater sein – und ihn höchstpersönlich. Alle drei Lachen sie in die Kamera hinein und sehen sehr glücklich aus. Auf dem nächsten Bild sind Arashi und zwei junge Mädchen zu sehen. Ich schaue mir dieses Bild etwas genauer an. Die beiden Mädels sind zwar wesentlich jünger als Arashi, aber dennoch, mein Herz beginnt zu rasen, und ich merke ganz deutlich, wie sich ein kleines bisschen Eifersucht in mein Herz schleicht. Dabei habe ich gar kein Anrecht auf den Vampir. Und kennen tue ich ihn auch nicht wirklich. Irgendwie ist das merkwürdig. Ich empfinde etwas für Arashi. Etwas, was ich nicht mal wirklich beschreiben kann, und das, obwohl ich ihn gerade mal 24 Stunden lang kenne. Und in diesen Stunden, hat er sich nicht gerade Gentlemen like verhalten. Er hat mich immerhin ohne meine Einwilligung vorher einzuholen gebissen – und das war definit nicht das schönste Gefühl. Kann es vielleicht sein…. Immerhin fühle ich mich erst seit er mich gebissen hat, in seiner Gegenwart wie ein kleines verliebtes Schulmädchen. Irgendwie unsicher. Und dabei habe ich sonst nie Probleme mich mit dem anderen Geschlecht zu unterhalten. Das liegt definitiv an ihm. Diesem… Bevor ich mein gesamtes Repertoire an Schimpfwörter loslassen kann – öffnet sich mit Schwung die Tür zum Zimmer und eines der beiden Mädchen, von dem dritten Bild welches ich mir eben angesehen habe, kommt herein. Ich sehe sie mir von oben bis unten genau an. Sie sieht aus wie auf dem Bild. Sie trägt ein lilafarbenes Kleid – meiner Meinung nach, ist es viel zu altmodisch und steht ihr überhaupt nicht. Ihre Haare sind pechschwarz und relativ kurzgeschnitten, was ihr wiederum ausgezeichnet zu Gesicht steht. Aber das kann auch an der Art und Weise liegen, wie sie gestylt sind. Irgendwie so Fransig. „Hey!“, begrüße ich sie. Sie aber antwortet mir nicht, setzt sich stattdessen elegant auf die Tischkante, überschlägt ihre Beine und beobachtet nun mich. Ihr mehr als stechender Blick lässt mich nervös werden. „Du bist also Selest, ja.“ Die Stimme der Kleinen Vampirin – was soll sie sonst sein – schmerzt in meinen Ohren. So quickig und… irgendwie unecht. „Hm!“ Sie steht auf und kommt auf mich zu. Da ich ein ungutes Gefühl bei ihr habe, gehe ich ein paar Schritte rückwärts, bis ich an der Wand angekommen bin und nicht mehr weiter kann. Die mir noch immer unbekannte Vampirin steht nun direkt vor mir und kommt meinem Gesicht, mit ihren spitzen Zähnen, gefährlich nahe. Ich drehe mein Gesicht zur Seite, was nicht unbedingt meine beste Idee gewesen zu sein scheint, denn jetzt spüre ich den frisch nach Apfelsinen riechenden Atem, an meinem Hals. Ich kneife meine Augen zusammen und warte auf den Schmerz. Doch der bleibt aus. „Hast du Angst?“ Und wie, doch das werde ich bestimmt nicht freiwillig zugeben. Ich schüttele also meinen Kopf und öffne meine Augen wieder, um ihr genau das zu beweisen. „Nein!“, sage ich, doch anhand meiner brüchigen Stimmlage, kann man ganz genau erkennen, dass das gelogen ist. Verdammt aber auch. Dieses kleine Biest grinst mich an. „Solltest du aber“, sagt sie und rammt ihre Zähne in meinen Hals. Erschrocken schreie ich laut auf. Herbst 2015, Siebenbürgen Kira Vaillant „Ayaka!“ Erschrocken über das was ich hier zu sehen bekomme, rufe ich den Name einer meiner wenigen Freundinnen und renne zu ihr. Zu ihr und Selest. Was macht sie überhaupt hier? Sie dürfte gar nicht hier sein. Für sie ist es hier viel zu gefährlich… und wo zum Teufel steckt Arashi? Wenn er sie schon zur Hochburg der Vampire mitbringt, dann sollte er gefälligst auch in ihrer Nähe sein. Bei Ayaka und Selest, die kaum mehr bei Bewusstsein ist, angekommen, stoße ich Ayaka von ihr weg. Selest fällt zu Boden, doch ich schaffe es gerade noch rechtzeitig ihren Sturz etwas zu mildern, und so liegt sie nun in meinen Armen. Ich überprüfe ihren Puls, und stelle entsetzt fest, dass er sehr niedrig ist. Viel zu niedrig. „Verdammt!“, zische ich und tätschle ihr sachte die Wange. Doch sie reagiert nicht. „Komm schon, Selest. Wach auf!“ Hinter mir spüre ich eine fremde Aura. Ich drehe mich um und blicke in eine entstellte Fratze. Akaya greift nach mir und schleudert mich an die gegenüberliegende Wand. Ich muss wohl ein paar Sekunden lang weggetreten gewesen sein, denn mittlerweile hat sich Ayaka wieder an Selests Hals festgebissen. Ich hole mit meiner rechten Hand aus und schleudere die junge Vampirin, mit Hilfe meiner Magie weg von ihrem Opfer. Dann rapple ich mich wieder auf, und konzentriere mich auf eine der Fackeln, die rechts und links neben der Eisentür hängen. Das Feuer der Fackel lodert stark auf und keine Sekunde später ist es erloschen, nur um sich in Kreisform um Ayaka zu schlängeln. Sie sitzt in der Falle. Da vor allem junge Vampire, Angst vor Feuer haben, geht Ayaka laut kreischend in die Hocke und krümmt sich dort zusammen. Das ist meine Chance, mich wieder um Selest zu kümmern, diesmal aber ohne Behinderung durch eine verrückt gewordene Ayaka. Bei meiner verletzten Zimmermitbewohnerin angekommen, setze ich mich zu ihr, indem ich in die Hocke gehe und mich mit den Knien am Boden abstütze. Dann bette ich Selest Kopf auf eben diese und tätschle ihr immer wieder an die Wange, bis sie endlich ein Lebenszeichen von sich gibt. Sie stöhnt leise auf und fast mit ihrer linken Hand an ihren Hals. Nicht“, sage ich und nehme sachte ihre Hand von ihrem verletzten Hals. Sie sollte nun wirklich nicht in ihrer Wunde herumfuschen. „Bleib liegen und versuche erst einmal einen klaren Kopf zu bekommen“, füge ich dem noch hinzu, da sie gerade dabei war sich aufzurichten, oder besser gesagt, zu versuchen sich aufzurichten. Bei dem Blutverlust den sie erlitten hat, dürfte sie dafür nicht wirklich die Kraft haben. Ich nehme Selest Hände in meine und versuche ihr so, etwas von meiner Magie zu geben. Vielleicht hilft ihr das, schneller wieder Herrin ihrer Sinner zu werden. Mit Schwung geht die schwere Eisentür auf und Arashi stürmt, inklusiver seiner Eltern und Akaya, ins Zimmer. Während Arashi und Akisa zu Selest und mir kommen, stürmen die anderen beiden zu der, immer noch im Flammenkäfig gefangenen Ayaka. Sie schreit nicht mehr, sondern liegt schwer atmend auf dem kühlen Boden und versucht so, der Hitze zu entkommen. „Kira!“ Ich blicke zu Akito und nicke ihm zu. Ich lasse die Feuerwand wieder verschwinden, damit er und Akaya sich um Ayaka kümmern können. Akito nimmt seine Tochter auf den Arm und verlässt dann mit ihr und ihrer Zwillingsschwester die Räumlichkeiten seiner Frau. Beim Vorbeigehen flüstert mir Akaya noch ein zaghaftes Danke zu, ehe sie ihrem Vater nach draußen folgt. Ich widme mich wieder Selest zu. Arashi hat sie mir mittlerweile aus den Armen gerissen und besieht sich nun ihre Verletzung an. Er atmet erleichtert aus, nachdem er sie sich mehrere Minuten lang angesehen hat. „Ich bringe sie in mein Zimmer und werde ihr dann etwas von meinem Blut geben, damit sie schnell wieder auf die Beine kommt“, sagt er und hievt sie auf seine Arme. „Das hätte einfach nicht passieren dürfen“, murmelt er, während er mit der verletzten Selest nun ebenfalls das Zimmer seiner Mutter verlässt. Damit bin ich mit Akisa alleine, die mich traurig und zugleich dankbar mustert. Wir beide schweigen eine Weile, ehe Akisa die Ruhe bricht. „Was ist hier drinnen passiert?“ Ich lehne mich an die Wand hinter mir an und schließe für einen Moment meine Augen. Da ich selber nicht weiß, was hier genau vorgefallen ist und warum Ayaka Selest angegriffen hat, zucke ich nur mit den Achseln. „Ich habe dein Zimmer betreten, und da sah ich, wie Ayaka sich an Selest festgebissen hat. Ich kann dir nicht sagen wieso sie das gemacht hat. Ich kann es mir auch nicht wirklich erklären. Ich meine, klar… Die Zwillinge sind erst seit fünf Jahren Vampire, aber sie haben sich doch eigentlich gut unter Kontrolle.“ Mit hochgezogener Augenbraue sehe ich Akisa an und erkenne an ihrem nachdenklichen Blick, dass es irgendetwas gibt, was sie mir verschweigt. Ehe ich aber nachfragen kann was los ist, fängt sie von sich aus an zu erzählen. „Ayaka hat seit mehreren Wochen immer mal wieder Aussetzer“, flüstert Akisa und steht dann auf. Sie geht zu einem ihrer Schränke und holt etwas aus ihnen heraus. Wieder bei mir angekommen kann ich erkennen, dass es sich um eine Art Stein handelt, der in einem Tuch eingewickelt ist. Obwohl der Stein dunkelbraun, ja fast schon schwarz ist, leuchtet er ab und zu dunkellila auf. „Ich habe ihn gestern Früh in ihrem Zimmer gefunden, er war zwischen ihren Sachen versteckt.“ „Was ist damit?“, frage ich und nehme ihr den Stein aus der Hand. Ich drehe ihn mehrmals, kann aber nichts Ungewöhnliches erkennen, bis auf, dass er ab und zu seine Farbe minimal verändert. „Das ist ein Dolerit. Und irgendwas stimmt damit nicht, das habe ich sofort gespürt, als ich ihn in der Hand hielt. Deshalb habe ich ihn ja auch dieses Tuch eingewickelt.“ Akisa nimmt mir den Stein wieder aus der Hand und wickelt ihn augenblicklich wieder in das Tuch ein. „Kannst du irgendwie herausfinden ob ich mit meiner Vermutung richtig liege?“, bittet sie mich und reicht mir den eingewickelten Stein wieder. „Ich weiß nicht“, sage ich und stehe endlich mal auf. Ich gehe ans andere Ende des Zimmers und lege den Dolerit auf dem Tisch ab, der glücklicherweise ganz geblieben ist. „Sowas habe ich bisher noch nicht gemacht, aber ich kann es versuchen. Kannst du in der Zeit bitte zu Arashi gehen und nach Selest sehen. Es kann sein das ich ihre Hilfe hierbei brauche.“ Akisa nickt mir zu und verlässt dann ihr Zimmer. Und ich widme mich wieder dem Gestein. Ich wickle ihn wieder aus dem Tuch aus und nehme ihn erneut in die Hand. Ich umfasse ihn mit beiden Händen, schließe meine Augen und konzentriere mich voll und ganz auf den Stein. Es vergehen endlos lange Minuten, aber nichts Ungewöhnliches ist zu spüren. Ich will schon frustriert aufhören, als ich eine leise und unheimlich klingende Stimme höre. Leider kann ich nicht verstehen was sie sagt, da die Stimme in einer mir unbekannte Sprache spricht. Dennoch lausche ich weiterhin den Worten. Die Stimme wird immer lauter, ja fast schon penetrant und spricht dabei immer und immer wieder dieselben Worte. Ganz wie ein Mantra. Ich bin so auf die Stimme konzentriert, dass ich fast nicht den Rauchschwaden bemerke, der sich um den Stein schlängelt. Sofort lasse ich den Stein fallen und nehme das Tuch in die Hand, welches ich sofort um den Dolerit wickle. Die Rauchschwaden verschwinden so schnell und heimlich wieder, wie sie gekommen sind. Akisa hatte recht gehabt. Ich stürme aus dem Zimmer raus, darauf bedacht, den Stein nicht zu berühren und renne den Gang nach links entlang. Unterwegs treffe ich auf den jungen Vampir, der mich vorhin zu Akisa ins Zimmer geschickt hat. Von ihm erfahre ich, dass sie, Akito und Arashi im Thronsaal sind. Ich renne also den Weg wieder zurück. Im Thronsaal angekommen – der so trostlos wie eh und je ist – sehe ich Selest, die auf einem der schwarzen Marmorstühle sitzt. Hinter ihr hat sich Arashi aufgestellt und beide sehen schweigend der Diskussion zu, die sich zwischen Akisa und Akito abspielt. „Du hattest recht gehabt“, unterbreche ich die beiden und lege den Stein auf der Lehne des Throns ab. Dann packe ich ihn aus dem Tuch aus und nehme ihn, wie eben in Akisas Zimmer, wieder in beide Hände. „Was hast du herausgefunden?“ Akisa gesellt sich zu mir und sieht mir dabei zu, wie ich mich auf den Stein in meinen Händen konzentriere. Auch Akito, Arashi und Selest stellen sich zu uns. Es vergehen wieder ein paar Minuten, bevor endlich das Mantra einsetzt. „Hört ihr das?“, frage ich in die Runde. Selest ist die erste, die scheinbar die fremden Worte vernimmt. „Was ist das für eine Sprache?“, will sie wissen. Ich schüttle den Kopf. „Ich weiß es nicht“, sage ich und drehe mich den drei Vampiren zu. „Hört ihr es auch?“ „Ja!“ „Und? Habt ihr irgendeine Ahnung, was das für eine Sprache sein könnte? Ich kenne sie nicht!“ „Nein, leider nicht“, sagt Akisa und will mir gerade den Stein aus der Hand nehmen, als sich die Rauchschwaden bilden und den Stein umschlängeln. Erschrocken weicht sie einen Schritt zurück. „Was ist das denn jetzt?“ „Ich habe keine Ahnung. Aber was auch immer es ist, es ist definitiv nichts Gutes.“ Ich lege den Stein wieder auf die Lehne und wickle das Tuch drum. Dann wende ich mich an Akito, der mir viel zu ruhig ist. „Wisst ihr was es ist?“ Akito sieht mich an, ehe er nickt. „Ich habe diese Sprache schon ewig nicht mehr gehört. Vor gut 1000 Jahren ist sie eigentlich mit Acha, der ersten Hohepriesterin der Stonehenge-Hexen gestorben. Nach ihr hat niemand mehr diese Sprache gesprochen, da sie großes Unheil verbringen kann.“ „Wie kann denn eine Sprache Unheil bringen?“, fragt Selest nach und wendet sich dabei an mich. „Das darfst du mich nicht fragen“, sage ich achselzuckend. „An sich kann das eine einfache Sprache natürlich nicht. Es kommt immer auf denjenigen an, der sie spricht, aber Acha war eine paranoide und rachsüchtige Hexe, die darüber hinaus auch noch verdammt mächtig war. Um ihre Feinde auszulöschen, ohne selber einen Finger dabei krumm zu machen, entwickelte sie eine Sprache, die denjenigen der sie über mehrere Tage hinweg vernimmt, unter ihre Kontrolle stellt, ohne dass der das überhaupt mitbekommt“, erklärt uns Akito. „Und was heißt das jetzt genau?“, will Selest wissen und sieht uns einen nach dem anderen an. „Wenn diese Acha doch tot ist – das nehme ich zumindest an – und niemand mehr ihre geheime Sprache spricht, wieso…“ Sie zeigt auf den Dolerit, „ist sie dann in diesem Stein drin. Beherbergt er etwa ihre Seele, oder sowas in der Art?“ „Das glaube ich nicht. Vielmehr bin ich der Meinung dass irgendwer, und damit meine ich die Unbekannte aus deiner Traumvision, die alte Sprache Achas gelernt hat und diesen Stein hier als Werkzeug benutzt, um dich zu töten. Lykan hat ja versagt gehabt.“ „Ok aber, woher sollte sie überhaupt wissen das ich hier bin?“, fragt mich Selest. „Außer Arashi wusste niemand das ich hierher will. Also was ist es.“ Ich seufze laut auf. „Ich weiß es nicht. Außerdem war das ja auch nur eine vage Vermutung“, sage ich frustriert. Und warum mache ich mir überhaupt deswegen eine Platte. Im Grunde müsste es mir egal sein, was mit Selest passiert. Ich bin nicht für sie verantwortlich und darüber hinaus habe ich andere Prioritäten. Für ihre Probleme habe ich nun wirklich keine Zeit. Schließlich bin ich nur hier, weil Akito mit meinen Eltern befreundet war und mir hoffentlich Antworten auf die Frage geben kann, wieso es meine Eltern nach der Macht der Zodiac-Hexen verlangte. „Beruhige dich, Kira“, sagt Akisa und legt mir eine Hand auf die Schulter. „Niemand verlangt von dir, dass du alle Antworten hast. Und Selest hat das bestimmt auch nicht so gemeint wie es klang, nicht wahr?“ „Natürlich nicht“, sagt sie wie aus der Pistole geschossen. Sie kommt zu mir und umarmt mich dann ohne weitere Worte zu verlieren. „Und es tut mir wirklich leid, was ich vorgestern zu dir gesagt habe. Ich hatte nicht nachgedacht und habe dir dann Sachen an den Kopf geworfen, die nicht schön waren.“ Sie löst sich wieder von mir, bleibt aber noch dicht bei mir stehen. „Ich habe mir Sorgen um dich gemacht. Das haben wir alle… sogar Derek. Der sucht wahrscheinlich immer noch in den Wäldern nach dir.“ Ja klar. Als wenn Derek sich um jemand anderes als Paul sorgen macht. Der kennt doch nur seinen Bruder und sonst niemanden. Arashi stellt sich zu Selest und mir. Stellt sich praktisch zwischen uns. Er legt einen Arm um Selest, die das widerstandlos mit sich geschehen lässt. Läuft da was zwischen den beiden? „Es könnte ja sein, dass das gestern bei der Zeremonie gar nicht deine Mutter war. Das wäre zumindest eine Erklärung dafür, wie jemand wissen konnte dass du hier bist. Sie hat dich immerhin hiergeführt.“ „Nein! Das glaube ich nicht. Ich kenne doch meine Mutter.“ Selest schient ziemlich empört über Arashis Worte zu sein. Sie schupst ihn von sich und bringt so Abstand zwischen sich und ihn. „Du warst 1 Jahr alt als deine Mutter starb, also bitte verzeihe mir, wenn ich an deiner Aussage – Ich kenne doch meine Mutter – Zweifel habe. Und außerdem hast du nur ihren Geist gesehen. Den kann auch eine andere Hexe herbeigerufen haben. So schwer ist das nicht.“ Ich gebe es ungern zu, aber da hat Arashi Recht. Den Geist einer Hexe heraufzubeschwören ist alles andere als schwer. „Wie geht es eigentlich Ayaka?“, frage ich Akisa. Hoffentlich ist ihre Besessenheit, oder wie auch immer man ihren Zustand nennen kann, nicht von Dauer. Das wäre alles andere als schön. „Das wird schon wieder“, ist alles was mir Akisa sagt. Auch wenn ich gerne mehr über Ayakas Zustand gewusst hätte, kann ich verstehen, wieso sie mir keine Details nennt. Auch in unserem Zirkel gibt es Geheimnisse, die Andere nicht erfahren dürfen. Und so akzeptiere ich Akisas mehr als dürftige Aussage. „Sie ist ein taffes Mädchen. Dennoch finde ich es besser, wenn wir diesen verdammten Stein zerstören. So als Absicherung.“ Kaum ausgesprochen, zückt Akito sein Tsurugi, ein gerades Schwert mit einer symmetrischen, zweischneidigen Klinge und zentrierter Spitze, welches er immer mit sich führt und lässt es auf den Dolerit niedersausen. Doch anders als gewollt, bricht er nicht entzwei. Dafür aber wird Akito von einer Druckwelle erfasst und quer durch den Thronsaal geschleudert. Akisa und Arashi schaffen es gerade noch rechtzeitig in Deckung zu gehen, und letztgenannter reist mich und Selest mit sich zu Boden. Nachdem die Schreckenssekunde vergangen ist, rennt Akisa sofort zu ihrem Mann, während Arashi Selest und mir wieder auf die Beine hilft. Kaum das ich wieder stehe, blicke ich kurz zu Akisa und Akito. Scheinbar hat der selbsternannte König der Vampire sich eine Verletzung zugezogen, da er noch immer auf dem Boden liegt. Doch Sorgen muss ich mir um ihn nun wirklich keine machen. Er ist immerhin ein ziemlich robuster Mann. Den haut so schnell nichts um. „Ok. Das bringt dann also schon einmal nichts“, sage ich und klopfe mir den Dreck von den Klamotten. Noch immer habe ich es nicht geschafft mich umzuziehen was heißt, dass ich die Klamotten von Ian anhabe. Ich sollte also unbedingt aufpassen das sie nicht kaputt gehen, denn erklären wie es dazu kam, will ich nicht. „Vielleicht sollten wir es mit einem Zauber versuchen“, gibt Selest zu Besten. Ich sehe zu ihr rüber. „Ich meine natürlich du… vielleicht solltest du es mit einem Zauber versuchen“, stottert sie und reibt sich dabei den Kopf. „Das würde für alle Anwesenden vermutlich schlimmere Konsequenzen mit sich ziehen, als eine kleine Beule.“ Mir ist natürlich nicht entfallen, dass Selest mit dem Kopf auf dem Boden aufgeschlagen ist. „Mir geht es gut“, sagt sie daraufhin, verzieht aber das Gesicht vor Schmerzen. „Natürlich. Falls du deinen Stolz dann heruntergeschluckt hast, kannst du ja immer noch Arashi fragen, der hilft dir bestimmt, die Schmerzen zu vergessen.“ „Wie meinst du denn das jetzt?“ Als wenn sie nicht ganz genau wüsste wie ich das meine. So wie die beiden sich die ganze Zeit angesehen haben ist es jawohl klar, dass zwischen ihnen was läuft. Ich mag ja vielleicht keine Ahnung von Liebe und dem ganzen Zeugs haben, aber Blind bin ich deswegen noch lange nicht. „Streitet euch nicht“, versucht Arashi zwischen Selest und mir zu vermitteln. Na warte Freundchen, du kommst auch noch dran. Ich wende mich an den Lustmolch und stemme meine Arme in die Seiten, ehe ich mich auf die Zehnspitzen stelle und ihn mit böse funkelnden Augen ansehe. Für einen Japaner ist dieser Mistkerl erstaunlich groß. „Was hast du dir überhaupt dabei gedacht mit Selest hierher zu kommen, hä. Nur weil sie mit deinem Vater reden wollte? Der muss spätestens morgen eh beim Zirkeltreffen erscheinen und da hätte Selest immer noch mit ihm reden können. Also was ist deine Ausrede?“ Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie Akito und Akisa sich wieder zu uns gesellen. Doch anstatt zu fragen ob mit Akito alles ok ist, warte ich ungeduldig auf eine plausible Erklärung von Arashi. Selest sollte immerhin nicht irgendwo herumstreunen, sondern im Schutze des Zirkels, bei uns zuhause sein. „Diesmal bin ich völlig unschuldig“, schwört mir Arashi. „Ich habe sie ja noch darum gebeten wenigstens Jolina mitzunehmen, aber nein… Madam wollte nicht.“ „Was sagst du dazu?“ Ich drehe mich Selest zu, die nur stumm zwischen Arashi und mich, hin und her sieht. Sie zuckt etwas zusammen, nachdem ich sie angesprochen habe. „Ähm… Ja. Er hat schon recht damit. Naja ich, ich weiß halt nicht wem ich überhaupt trauen kann.“ „Was soll das denn jetzt heißen? Wieso… Doch nicht etwa weil meine Mom deine…“ „Nein das ist es nicht. Vielmehr...“ Selest blickt gen Boden und schabt mit ihrem rechten Fuß auf dem Boden rum. Dabei wirbelt sie etwas Dreck auf. „Ich glaube nicht dass deine Mom meine umgebracht hat.“ Bitte was? „Klärt das bitte später Mädels“, unterbricht uns Akito. „Wir sollten jetzt erst einmal herausfinden, wer versucht diese junge Dame hier umzubringen und für diese Tat meine Tochter missbraucht hat. Normalerweise mische ich mich ja nicht in die Angelegenheiten von euch Hexen ein, doch wenn man schon meine Familie mit hineinzieht, dann soll es so sein. Arashi!“ Akito legt seinem Sohn eine Hand auf die Schulter und sieht ihm dabei in die Augen. „Ich überlasse dir die Recherche. Finde heraus wer deiner Schwester das angetan hat und wie man sie vom Einfluss dieses verdammten Steins befreien kann.“ „Jawohl Vater!“ Arashi geht zum Thron. Das heißt dann also, dass es Ayaka nicht wirklich gut geht. Ich hoffe nur, dass diese Stimme ihr nur gesagt hat Selest zu töten. Nicht das Akaya auch in Gefahr ist, nur weil sie bei ihrer Schwester geblieben ist. „Wo ist er“, höre ich Arashi rufen. „Wo ist dieser verdammte Stein!?“ Herbst 2015, Siebenbürgen Selest Peterson Wir sitzen jetzt schon seit mehreren Stunden in Arashis Zimmer und überlegen uns was wir machen können. Wie wir herausfinden können, wer Ayaka diesen Stein gegeben hat und sie so dazu trieb, mich umzubringen. Arashi sitzt auf seinem Bett, Kira und ich haben es uns davor auf dem Boden gemütlich gemacht. Jeder von uns hat ein Glas Saft in der Hand, welche aber noch unberührt sind. Das kann doch alles nicht wahr sein, denke ich und seufze laut auf. Wieso nur muss ausgerechnet mir das passieren? Ich habe doch nun wirklich niemanden was getan, wieso also will man meinen Tod. Nur weil ich eine Zodiac sein soll? Apropos Zodiac… „Ähm Arashi.“ Ich sehe zu ihm auf und schlucke einen Klos hinunter, der sich mittlerweile gebildet hat. Er sieht mich erwartend an. „Wie sicher können wir uns eigentlich sein, dass deine Schwester mich überhaupt umbringen wollte? Ich meine, diese Unbekannte aus meiner Vision sagte doch, dass sie mich lebend braucht, um halt an die Macht der Zodiac ran zu kommen. Also kann es dann nicht vielleicht eher so sein, dass…“ „Moment mal. Bitte was?“ Kira sieht mich erschrocken an. „Du bist eine Zodiac? Seit wann?“ Ich wende mich Kira ab und Arashi zu. Dieser schüttelt mit dem Kopf und schlägt seine Augen nieder. „So viel dazu, dass du das bitte für dich behältst.“ „Sorry!“ „Ja schon gut. Kira ist nicht deine Feindin, also ist es bei ihr nicht so schlimm.“ Arashi steht von seinem Bett auf und setzt sich zu Kira und mir nach unten auf den weichen Fußboden. „Behalte dieses Wissen bitte für dich, Kira“, bittet er sie und macht eine kurze Pause, ehe er fortfährt. „Aber ja, es stimmt. Selest ist eine Zodiac. Sie war es auch, die Lykan vertrieben hat, als er euch beide angegriffen hat und nicht ich. Ich sagte euch nur dass ich es war, um sie zu schützen. Um ihr Geheimnis zu schützen. Außer uns dreien, Fanny und Daniel weiß es niemand. Und das soll auch bitte so bleiben. Du kannst dir ja bestimmt denken was alles passieren würde, wenn herauskommt, dass Selest eine Zodiac ist. Dann wäre sie vor niemanden mehr sicher.“ Kira sieht uns beide mit offenen Mund an, nickt dann aber zaghaft und fährt sich einmal mit der Hand durch die Haare. Puh, da habe ich wohl noch mal Glück gehabt. „Das wirft dann aber wirklich ein ganz anderes Licht auf die Sache mit Ayaka. Wenn das wirklich wahr ist, dass Selest eine Zodiac ist und diese Unbekannte nun deshalb hinter ihr her ist, dann sollte sie sie wirklich nicht umbringen, sondern nur lahm legen. Das bedeutet aber auch, dass es hier unten irgendeinen Verräter gibt, oder halt noch einen weiteren, der manipuliert wurde. Ich glaube jedenfalls nicht, dass Ayaka die einzige ist. Ich meine, wie hätte sie Selest denn hier rausbekommen sollen, ohne dass jemand was mitbekommt.“ „Das stimmt. Dann werde ich meinen Vater bitten das ganze Heim, nach weiteren Doleriten durchsuchen zu lassen. Wer weiß, vielleicht liegst du mit deiner Vermutung ja richtig, Kira.“ Arashi erhebt sich wieder und geht dann aus seinem Zimmer raus. Das ist die Gelegenheit für mich, mich mit Kira auszusprechen. Ich hadere mit mir. Bin mir nicht wirklich sicher was ich zu Kira sagen soll. Ob es überhaupt etwas gibt, was ich ihr sagen kann, außer, dass es mir leid tut. Und genau das habe ich ihr ja auch schon gesagt. Doch reicht das aus? Reicht es zu jemanden zu sagen ´es tut mir leid´, wenn man jemanden Dinge an den Kopf geknallt hat, für die derjenige eigentlich nichts kann? Ich weiß es nicht. Doch wenn ich es nicht wenigstens versuche, kann ich es auch nicht herausfinden. Ich straffe meine Schultern und hole einmal kräftig Luft. Dann nehme ich all meinen Mut zusammen und spreche Kira an, die immer noch mit starrem Blick auf den Doleriten schaut. „Ähm, Kira!“ Sie zuckt leicht zusammen. „Wegen dem was ich vorgestern zu dir gesagt habe… Es tut mir wirklich leid. Ich wollte dir das eigentlich nicht alles an den Kopf knallen, aber irgendwie ist es mit mir durchgegangen. Ich habe nicht nachgedacht und… und… Ich weiß, ein einfaches Sorry, wird es nicht ungeschehen machen, was ich gesagt habe, aber ich hoffe, dass du mir irgendwann verzeihen kannst. Es tut mir wirklich leid.“ Kira sieht mich mit undefinierbarem Blick an. Ich kann nicht sagen was sie gerade denkt und ob sie bereit ist mir zu verzeihen. Irgendwann zu verzeihen. Es vergehen fast fünf Minuten, ehe ich ein Lebenszeichen von ihr erhalte. Kira steht auf, läuft zu dem einzigen Fenster hier im Zimmer und sieht nach draußen. „Dir muss überhaupt nichts leidtun“, sagt sie mit brüchiger Stimme. „Ich kann verstehen dass du so reagiert hast, immerhin ist meine Mutter dafür verantwortlich, dass du deine nie kennenlernen konntest. Weil sie sie umgebracht hat.“ Kira dreht sich um, lehnt sich an die kalte Steinmauer an und schließt dann ihre Augen. „Ich kann nicht verstehen wie jemand seine beste Freundin umbringen kann. Wie man auch nur daran denken kann. Ich könnte Eileen sowas niemals antun, zumindest dachte ich das immer. Aber was ist… was ist wenn ich so bin wie meine Mutter? Wenn ich auch zu solch einer Tat fähig bin?“ Ich stehe blitzschnell auf. Überlege nicht lange, als mich meine Beine zu Kira bringen und ich sie ohne ein Wort zu verlieren umarme. „Das bist du nicht“, sage ich und drücke sie dabei dichter an mich. Ich spüre wie Kira ihre Arme um mich legt und ihr Körper zu beben beginnt. „Ich kenne dich zwar noch nicht so lange, aber glaube mir wenn ich dir sage, dass ich der Felsenfesten Überzeugung bin, dass du zu so etwas niemals fähig wärst.“ Und deine Mutter es auch nicht war, füge ich in Gedanken hinzu. „Danke!“, flüstert Kira leise, so dass ich es beinahe nicht verstanden hätte. Wir lösen uns nicht voneinander, sondern bleiben noch eine kleine Weile so stehen. Bis wir vom Quietschen der Tür, so dermaßen erschrocken zusammenzucken, dass wir uns vor Schreck loslassen. „Wegen mir müsst ihr nicht aufhören“, vernehmen wir Arashis lästige und amüsant klingende Stimme. Noch nie hat mich sein Erscheinen mehr gestört als jetzt. „Du bist ja nur neidisch“, sagt Kira zu dem Störenfried und nickt mir dankend zu. Ich gebe ihr kurz zu verstehen, dass sie mir deswegen nicht danken muss, ehe ich mich Arashi zuwende, auch wenn er es nicht verdient hat. „Was hat dein Vater gesagt?“ Arashi setzt sich auf den Boden und sieht Kira und mich von dort unten an. Nach kurzem Zögern setze ich mich zu dem Vampir, genauso wie Kira. „Mein Vater lässt die ganze Burg durchsuchen, genauso wie das Hotel oben. Wir können nicht ausschließen, dass, wer auch immer unsere Gegnerin ist, nicht auch einen der Touristen manipuliert hat. Mein Vater denkt, dass sie sich eher einen außenstehenden untertan gemacht hat, immerhin werden die Touristen nicht durchsucht, wenn sie das Hotel verlassen. Anders als unsere Vampire, wenn sie die Burg verlassen.“ „Ihr durchsucht eure eigenen Leute?“, frage ich verwirrt nach. Also das nenne ich mal einen Vertrauensbeweis. „Mich würde das stören, ganz ehrlich.“ „So ist das nicht gemeint“, sagt Kira. „Natürlich werden sie nicht im klassischen Sinne durchsucht. Es ist vielmehr so, dass niemand ohne Akitos ausdrücklichen Befehl, die Hochburg verlassen darf. Also nicht die Burg an sich, sondern Siebenbürgen. Und sollte das doch jemand tun, dass wird derjenige von den Wachen aufgehalten.“ „Wachen? Was für Wachen?“ „Wir leben in sehr gefährlichen Zeiten, Selest.“ Arashi schnappt sich meine Hand und zieht mich nach oben. Dann führt er mich zum Fenster, aus dem vorhin schon Kira hinausgesehen hat. „Sieh genau hin“, flüstert er in mein Ohr und stellt sich ganz dicht hinter mich. Seine starken Arme umschlingen meinen Körper, „und schließe deine Augen.“ „Ich dachte ich soll hinsehen?“, meckere ich und ernte dafür ein strenges Pst von Kira. Unsere Blicke kreuzen sich. „Du musst langsam anfangen wie eine Hexe zu denken, Selest, und nicht wie ein Mensch. Verlasse dich auf deine Sinne und du wirst anfangen die Dinge so zu sehen, wie sie wirklich sind.“ Was soll das denn jetzt wieder heißen? Und wie soll ich etwas sehen, wenn ich meine Augen schließe, das geht doch nicht. „Du denkst zu viel nach, Selest. Und jetzt schließe deine Augen, und konzentriere dich. Genauso, wie vor zwei Tagen, als du mit deine Tante eine Traumreise gemacht hast. Nur lass dich diesmal von Arashis Magie leiten.“ Ich soll dem vertrauen? Das letzte Mal als ich das tat, endete es damit, dass er mich ausgesaugt hat und ich ohnmächtig wurde. Und darauf kann ich ehrlich gesagt verzichten. Da es mich aber durchaus interessiert, was Kira mit den Worten ´Du wirst anfangen die Dinge so zu sehen, wie sie wirklich sind`, gemeint hat, tue ich wie mir geheißen und schließe meine Augen. Ich versuche mich zu konzentrieren, was mir aber nur schwerlich gelingt, da ich irgendwie von der Nähe zu dem Vampir abgelenkt bin. Was muss der aber auch solch eine Anziehung auf mich haben. Nach einem weiteren Anschiss von Kira, ich solle mich gefälligst zusammenreißen und das hier ernst nehmen, versuche ich es erneut. So stelle ich mir einfach vor es wäre mein Vater, der mich hier umarmt und nicht Arashi. Und tatsächlich…, ich spüre eine fremde Magie, wie sie meinen Körper durchströmt und mich sogar noch innerlich erwärmt. Dann öffne ich meine Augen wieder. Eben sah ich draußen nichts anderes außer Bäume und sehr, sehr viel Grün. Jetzt aber… ist von all dem nicht mehr viel zu sehen. Anstatt all dem Grün, sehe ich alte Ruinen, von denen einige zerfallen aussehen und andere wiederum völlig intakt zu sein scheinen, so als würde jemand in ihnen hausen. Was vermutlich auch der Fall sein wird. Es juckt mich dort hinaus zu gehen und mir alles ganz genau anzusehen. Ich lasse meinen Blick weiter durch die dunkle Nacht wandern. Der Mond steht hoch oben und beleuchtet das Tal, auf welches ich gerade blicke. Dieser Anblick sieht einfach atemberaubend schön aus. Ich zucke zusammen und verliere eine Millisekunde lang mein Gleichgewicht, als vor mir völlig unerwartet, ein in schwarzer Lederkluft gekleideter junger Mann erscheint, der dazu auch noch bis auf die Zähnen bewaffnet ist. Und als reichte es nicht nur aus, dass ich mich an Arashi festklammere, nein, mir erfuhr auch noch ein spitzer Schrei, so sehr habe ich mich erschrocken gehabt. Natürlich findet dieser Trottel das alles sehr amüsant. Er drückt mir einen Kuss auf die Wange und legt sein Kinn auf meinem Kopf ab, sodass ich regelrecht in seinen Armen gefangen bin und mich kaum mehr bewegen kann. „Gibt es schon Neuigkeiten bezüglich dieses verdammten Steines?“ „Ja mein Herr. Ihr Vater wünscht euch, Kira und die andere junge Hexe sofort zu sehen.“ „In Ordnung. Sag ihm das wir kommen.“ „Jawohl mein Herr.“ So schnell wie der andere junge Vampir erschienen ist, ist er auch wieder verschwunden. Und ich löse mich endlich aus Arashis Umklammerung. Dann schnappe ich hörbar nach Luft, da es mir so vorkommt, als hätte ich die ganze Zeit lang die Luft angehalten, die er mich im Arm hielt. Und kaum das ich wieder ordentlich Luft bekomme und sich auch mein Herzschlag so gut es geht normalisiert hat, steuere ich die Tür an. Kira folgt mir, dicht gefolgt von einem grinsenden Arashi. Was findet der denn jetzt wieder so witzig? „Und ich sage dir du irrst dich, wenn du denkst dass Zarjos Jüngster hinter dem Anschlag steckt, Vater. Das ist totaler Blödsinn. Denn auch wenn wir kein gutes Verhältnis mehr zum Nikolov Clan haben, würde Zarjo solch eine Maßnahme nicht billigen.“ Vater und Sohn stehen sich im Thronsaal gegenüber und diskutieren jetzt schon eine gute Stunde darüber, wer von ihnen Recht hat. Kira hat sich bisher noch nicht zu den Streitereien der beiden geäußert, genauso wie ich. Aber bei mir liegt es eher daran, dass ich kein Wort verstehe, von dem was sie labern. Das einzige was ich mitbekommen habe ist, dass Akito wohl glaubt, dass der jüngste Sohn seines Widersachers, diesen Doleriten - Stein in die Burg geschmuggelt und Ayaka untergejubelt haben muss. Schließlich soll dieser Typ vor ca. zwei Wochen hier in der Burg gewesen sein, um die Nachricht zu überbringen, dass sein Vater Zarjo, eine Audienz beim König wünscht. Doch Arashi ist davon wohl nicht überzeugt. Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, dann würde ich auch eher Arashi zustimmen – aber nicht wegen des mehr als zutreffenden Faktes, dass ich in ihn verschossen bin – sondern weil Arashi mit seiner Begründung einfach richtig liegt. Denn auch diese uns immer noch Unbekannte, die hinter mir her ist, konnte nicht schon vor zwei Wochen wissen dass ich hierher kommen würde. Doch davon wollte Akito absolut nichts wissen und so kommt es, dass beide immer noch hier stehen und sich gegenseitig anschreien. Und das gefällt mir gar nicht. Ich mag es nicht wenn sich andere meinetwegen in die Wolle bekommen. Da bekomme ich immer so ein schlechtes Gewissen. „Gibt es denn eine Chance herauszufinden ob ihr Recht habt, König Akito“, versuche ich die beiden Streithähne auf was wesentliche zurückzuführen, nämlich einen weiteren Komplizen zu entlarven, falls es solch einen überhaupt gibt. Die beiden aber lassen sich nicht beirren und streiten munter weiter, weswegen ich dieselbe Frage an Kira stelle. „Die gäbe es in der Tat“, sagt Kira und verschränkt ihre Arme. Sie überlegt kurz. „Doch das zu beweisen dürfte nicht so einfach werden.“ „Wieso nicht“, will ich wissen. „Nun ja. Ioan ist eigentlich nur noch in einer Blutbar, unten im Dorf anzutreffen. Das ist glücklicherweise einer der wenigen Orte an denen Menschen kaum anzutreffen sind, da dieser Ort eine mehr als dunkle und gefährliche Aura ausstrahlt. Und auch wenn Menschen nicht die Fähigkeit haben, solch eine Aura zu erspüren, so spüren sie dennoch etwas. Stell es dir so in etwa vor wie… nun ja, ein schlechtes Gefühl eben. Du hast doch bestimmt schon mal solch ein Gefühl verspürt, oder?“ Ich überlege kurz. „Hm.“ Ja, das habe ich. Vor ein paar Monaten sogar erst. Mein bester Freund, Emanuel, wollte mit mir und zwei weiteren meiner Freunde zu irgendeinem Gothic-Treffen, in der Nähe von Berlin gehen, welches von einer kleinen Gruppe privat veranstaltet wurde. Zuerst wollte ich auch hingehen, doch schon als er mir davon erzählte, hatte ich ein flaues Gefühl im Magen. Und als ich dann auch noch in der Nacht zuvor einen merkwürdigen Traum hatte... Ich träumte von eben dieser Veranstaltung und das ich dort wieder von diesem Monster, von Lykan angegriffen werde, nur das diesmal nicht ich sterbe, sondern Emanuel. …Da war es für mich klar, zu dem Treffen werde ich nicht gehen. Und so sagte ich ab und überredete auch Emanuel dazu, nicht zu dem Treffen zu gehen. Scheinbar war es eine gute Entscheidung gewesen. „Doch trotz dieses Gefühls der androhenden Gefahr, treibt es immer wieder ein paar Menschen in die Bar.“ „Und liege ich richtig in der Annahme, dass ich in diese Bar gehen soll und…“ Ja, und was eigentlich? Dort nach einem weiteren Dolerit suchen? Womöglich alleine. „Das wäre eine Möglichkeit, aber…“ „Vergesst das mal ganz schnell wieder, ihr beiden“, unterbricht uns Arashi. So wie es aussieht, sind er und sein Vater fertig mit Diskutieren. Arashi steht mit verschränkten Armen vor uns, von seinem Vater ist nichts mehr zu sehen, und funkelt uns aus seinen schwarzen Augen, finster an. „Wie kannst du nur solch einen Vorschlag machen, Kira. Du weißt ganz genau wie gefährlich dieser Ort ist und dann willst du Selest alleine dort rein schicken? Du spinnst doch.“ „Hey!“ Wie redet der denn mit Kira. Zumal sie ja nicht sagte, ich solle das machen, sondern einfach nur auf meine Frage geantwortet hat, anders wie sein Vater und er selber. Die beiden fanden es ja angebrachter zu diskutieren, anstatt Vorschläge zu machen. „Du weißt doch gar nicht warum Kira das vorschlug, also halt mal schön den Ball flach“, meckere ich ihn an und bohre meinen Zeigefinger tief in seine Brust. „Ich wollte lediglich wissen ob es eine Möglichkeit gibt, den Verdacht deines Vaters zu überprüfen. Niemand hat davon gesprochen, dass wir das wirklich durchziehen. Obwohl ich schon dafür wäre. Immerhin geht es hier um mein Leben.“ „Und das wird schneller verwirkt sein als du denkst, wenn du in die Blutbar der Zarjos gehst. Darüber hinaus werden sie meinen Duft an dir wahrnehmen und sofort wissen, dass du zu mir gehörst.“ „Nicht wenn ich einen Zauber über Selest lege, der für ca. eine Stunde alle fremden Gerüche von ihr nimmt“, sagt Kira. Arashi und Kira sehen sich beide in die Augen, tragen einen regelrechtes Blickduell aus, welches scheinbar Kira gewonnen hat, denn der Vampir schnaubt nur verächtlich und dreht sich dann beleidigt von ihr weg. Und der soll wirklich älter sein als wir beide zusammen? So verhalten tut er sich definitiv nicht. „Macht doch was ihr wollt“, zischt er und spielt weiterhin die beleidigte Leberwurst. Wenn er meint dass er das tun muss, soll er doch. Mir egal. Er wird uns eh folgen, also was soll ich mich groß aufregen. „Doch jammert hinterher nicht rum und hofft erst recht nicht, dass ich euch erneut retten komme. Denn das werde ich nicht. Nicht diesmal.“ „Wann hast du uns jemals schon gerettet“, will ich von ihm wissen. Immerhin war ich es, die Kira und auch mir selber das Leben gerettet hat. Also soll er mal schön die Klappe halten. „Dich vielleicht nicht, aber dafür Kira umso öfters. Nicht wahr?“ Arashi sieht mit schelmischen Blick zu Kira rüber, die ihn aber ignorieren tut. Gut so. Aber nichts desto trotz, würde es mich schon irgendwie interessieren, wobei Arashi ihr mal geholfen hat. „Los, gib es zu. Sag es ihr“, drängt er sie. Doch Kira bleibt stur. Und bevor Arashi ihr noch weiterhin auf den Senkel geht, gehe ich vorsichtshalber mal dazwischen. „Wir haben wirklich besseres zu tun, als uns deine Heldentaten anzuhören, also hör auf Kira zu nerven, und lasst uns irgendetwas unternehmen. Ich will endlich wissen wer mir nach dem Leben trachtet.“ Arashi zwinkert mir zu und schiebt mich aus dem Thronsaal seines Vaters raus. Kira folgt uns Kopfschüttelnd. „Na dann, legen wir los, bevor du noch einen weiteren Wutanfall bekommt“, erwidert Arashi daraufhin und grinst mich wie ein Honigkuchenpferd an. Sieh an, sieh an, da hat sich jemand aber schnell wieder erholt, denke ich und lasse mich immer noch von Arashi weiter vor sich her schubsen. Also manchmal frage ich mich wirklich, wie ein Mensch nur unter solch starken Stimmungsschwankungen leiden kann. Der ist echt anstrengend der Kerl. Kira läuft neben uns und liest dabei in einem kleinen Buch. Wo hat sie das denn her? Hatte sie es schon die ganze Zeit über bei sich, oder… Ne, das wäre mir aufgefallen. „Was ist das?“, frage ich und deute auf das Buch in ihrer Hand. Kira sieht zu mir auf und schaut mich komisch an. Was habe ich denn jetzt wieder falsches gesagt. „Das ist Kiras weißes Buch“, antwortet Arashi und sofort fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Ja klar. Kira hat es mir doch vor ein paar Tagen schon einmal gezeigt gehabt, kurz nachdem ich diese Traumbegegnung mit Lykan hatte, wo er sich zuvor mit der Unbekannten Frau getroffen hatte. Darauf hätte ich auch selber kommen können. Andererseits habe ich auch eine gute Ausrede dafür, wieso ich es nicht mehr wusste, bei dem was inzwischen schon alles passiert ist. Da kann man sich ja nun wirklich nicht mehr an alles erinnern. Arashi lässt von mir ab und bleibt dann vor einer Steinwand stehen. Was hat der denn jetzt wieder vor? „Seine Bedeutung erklären wir dir aber ein andermal, jetzt ist erst mal wichtig, dass Kira dich mit einem Tarnzauber bedeckt, damit wir endlich anfangen können. Ich will das ganze so schnell es geht hinter mich bringen“, sagt er und wie von Zauberhand, öffnet sich ein kleiner Spalt in der Wand. Ein Geheimgang. Cool. Herbst 2015, Siebenbürgen Kira Vaillant Wir haben vor gut einer halben Stunde die Hochburg der Vampire verlassen und sind auf dem Weg zur Blutbar. Der Tarnzauber ist griffbereit und kurz bevor wir unser Ziel erreicht haben, werde ich ihn bei Selest anwenden. Allerdings werde ich ihn etwas abändern, sodass Selest dann nicht mehr nur von fremden Gerüchen befreit sein wird, sondern dann selber eine vampirische Aura ausstrahlt. Das wird ihr dort drinnen sehr von Nutzen sein. Zumindest hoffe ich es. Mein Handy vibriert. Ich hole es aus der Hosentasche raus und schaue aufs Display. Der Name Julian, blinkt mir entgegen. Ich überlege ob ich rangehen soll oder nicht. Doch dann fällt mir ein, dass er hier ja noch immer irgendwo auf mich wartet. Verdammt. Eigentlich hatte ich ja nur vor gehabt mit Akito zu reden und dann gleich wieder abzuhauen. Ich wusste doch, dass es ein Fehler war Julian klein beizugeben, als er darauf bestand auf mich zu warten. Ich nehme das Telefonat entgegen. „Ja!“ Arashi wirft mir von der Seite einen undefinierbaren Blick zu, den ich aber ignoriere. Spätestens wenn er dem Gespräch lauscht, weiß er von dem jungen Polizisten. „Was heißt hier ja“, schallt es ein klein wenig aggressiv aus meinem Handy heraus. „Wo steckst du Kira. Ich warte hier schon seit gut vier Stunden in der Lobby auf dich. So langsam aber sicher mache ich mir sorgen um dich.“ „Ich…“ Verdammt. Was soll ich ihm denn jetzt sagen? Ich brauche eine gute Ausrede, eine, die er mir ohne Zweifel zu haben abkauft, obwohl… Eigentlich müsste ich ihm überhaupt nichts sagen. Er wollte schließlich mit mir mitkommen und auf mich warten. Ich hatte ihn zu nichts gezwungen. „Tut mir leid dass ich mich noch nicht gemeldet habe. Ne Freundin von mir braucht meine Hilfe. Du kannst also ruhig wieder nach Hause fahren. Dein Chef wird sich bestimmt schon fragen wo du bleibst. Tut mir Leid wegen der Umstände die ich dir bereitet habe. Und was die Klamotten deines Bruders angeht…“ Arashis Augen werden Groß. „…die bringe ich ihm demnächst vorbei, ok.“ „Nein nicht, ok. Wo bist du Kira, ich komme zu dir.“ „Das brauchst du nicht.“ „Und ob. Diese Gegend hier ist nicht die Beste. Immer wieder verschwinden hier Touristen und ich will nicht das du bald zu ihnen zählst, also sag mir verdammt noch einmal wo du bist, bevor ich dein Handy orten lasse.“ Das ist Erpressung. „Pst!“ Ich remple Arashi mit meinem Ellenbogen an, da er mich immer wieder dazu drängt das Telefonat zu beenden. Ich muss mich konzentrieren und überlegen, wie ich das jetzt am besten mache. Ich kann Julian schließlich schlecht weitere vier Stunden in der Hotellobby auf mich warten lassen. Das gehört sich einfach nicht. Doch mitnehmen kann ich ihn auch nicht. Das wäre viel zu gefährlich, obwohl… „Bleib kurz dran, ok?“ Ich stecke mein Handy wieder in die Hosentasche, dann wende ich mich an Arashi. „Sag mal. Wenn ein Polizist in die Blutbar kommt, dann werden die Vampire doch nichts unternehmen, oder? Verschwundene Touristen sind ja eine Sache, aber wenn ein Polizist verschwindet… dieses Risiko werden sie doch bestimmt nicht eingehen, oder?“ „Kommt drauf an. Worauf willst du hinaus? Und wer zum Henker ist dieser Kerl da am Telefon?“ „Das ist Julian. Du weißt schon der Polizist, der wegen Biancas Tod ermittelt. Ich bin mit ihm zusammen hierhergekommen und er wollte unbedingt auf mich warten. Der Kerl hat leider einen sehr ausgeprägten Helferkomplex, den haben wohl alle Polizisten. Er wollte mich hier nicht alleine hinschicken, und jetzt wartet er in der Lobby eures Hotels auf mich. Ich kann ihn da nicht noch länger auf mich warten lassen, zumal wir ja nicht mal wissen wie lange wir brauchen werden, um den Verdacht deines Vaters zu überprüfen. Also dachte ich mir, wenn er schon mal hier ist, dann können wir das für uns nutzen. Ich treffe mich mit ihm in der Bar und kann gleichzeitig Selest im Auge behalten, nicht das unser Plan doch schief geht und sie auffliegt. Das dürfte doch sicherlich auch in deinem Interesse sein, oder?“ Die ganze Zeit über wie ich geredet habe, hat Arashi mir stillschweigend zugehört. Zwar zuckten immer mal wieder seine Augenbrauen nach oben und er ließ ein nachdenkliches Hm verlauten, doch unterbrochen hat er mich diesmal nicht. Jetzt sieht er abwechselnd zu Selest und mir, bleibt dann bei ihr hängen. „Ok. Sag ihm er soll dich dort treffen, aber Kira…“ Er hält mich an Arm fest. „Sobald das erledigt ist, schickst du ihn weg, verstanden!“ „Das hatte ich eh vorgehabt“, sage ich seufzend und hole dann mein Handy wieder hervor. „Bist du noch dran“, frage ich an Julian gerichtet. „Ja“, antwortet er mir und jetzt klingt seine Stimme auch wieder freundlicher. „Triff mich in der Bar Bloody Mary“, sage ich und lege dann auf, ohne ihm irgendeine Erklärung zu geben, oder ihm zu sagen wo er die Bar findet. Doch allzu schwer den Weg bis dorthin zu finden, wird es schon nicht werden. Und wenn doch…, mir egal. Ich stecke mein Handy weg und hole stattdessen mein weißes Buch wieder hervor. Ich lese mir den Zauber noch einmal kurz durch, und als ich mir sicher bin ihn verinnerlicht zu haben, schließe ich das Buch wieder und verstaue es in der Innentasche meiner Jacke. Dann wende ich mich Selest zu. Wir drei stehen in einiger Entfernung zu Bar. Selest sieht sehr nervös aus, was ich ihr nicht mal verübeln kann. Immerhin wird sie gleich ganz alleine in eine Bar voller Vampire gehen. Doch lange wird das nicht so bleiben, da ich ihr bald folgen werde. Wir sollten nur nicht gemeinsam hereingehen, da das viel zu auffällig wäre und ich das Glück nun wirklich nicht herausfordern will. „Versuche bitte so ruhig wie nur möglich zu bleiben“, erklärt Arashi, der nervösen Selest. Er fasst sie bei der Schulter und sieht ihr direkt in die Augen. Ich wende meinen Blick von den beiden ab und gehe noch dazu ein paar Schritte von ihnen weg. Dann setze ich mich auf einen abgeschlagenen Baumstupf. Ich schließe meine Augen und versuche mich völlig ruhig auf die Aura von Selest zu konzentrieren. Das jetzt ist das erste Mal, dass ich eine Aura verändere und auch wenn ich eigentlich immer recht gut im Erlernen von neuen Zaubern war, so bin ich doch etwas angespannt. Es hängt immerhin einiges von dem Zauber ab und somit auch von mir. Meine Magie fließt durch meinen Körper. Ich spüre sie so deutlich wie schon lange nicht mehr, was daran liegt, dass ich diese Art der Magie seit drei Jahren nicht mehr ausgeführt habe. Und das lässt mich, ich muss es ehrlich zugeben, regelrecht nervös werden. Fehler darf ich mir hier nicht erlauben. Aber wie pflegte Eileen früher immer zu sagen. Mit dem Umgang unserer Magie ist es wie mit dem Fahrradfahren. Beides verlernst du nie wieder, sobald du es erst einmal kannst. Stimmt zwar irgendwo, aber Fehler sind auch schon den erfahrensten Hexen passiert. Kaum das sich meine Magie an einem Punkt in mir gesammelt hat und ich mir sicher bin sie dort auch halten zu können, stehe ich wieder auf und gehe zu den beiden Verliebten zurück. Die stehen sich immer noch gegenüber und halten mittlerweile Händchen. Ich gönne ihnen ja wirklich diese kleine Zweisamkeit, aber da ich nicht weiß wie lange ich meine Magie so konzentriert und gebündelt aufrechterhalten kann, dränge ich mich zwischen die beiden und greife meinerseits nach Selest Hände. Verdutzt sieht sie mich an. „Ich versuche jetzt meine Magie mit deiner zu verbinden“, erkläre ich ihr mein Eingreifen, „und sobald das geschehen ist, kannst du ungefähr für zwei Stunden, auf die meine Zugreifen und so deine Aura unterdrücken.“ „Und wie mache ich das jetzt?“, will sie wissen und sieht mich ein wenig ängstlich an. Ich hoffe wirklich das sie das noch in den Griff bekommt, denn so nervös wie sie noch ist, wird sie in der Bar sofort auffallen. „Ich habe sowas noch nie gemacht.“ „Ich werde dir dabei helfen“, sagt Arashi. Der Vampir stellt sich hinter Selest, so wie er es in seinem Zimmer, als sie das erste Mal den Blick der Hexen genutzt hat, auch schon getan hat. Er schlingt seine Arme um ihren Körper. „Hörst du mich“, fragt er sie. „Ja“, antwortet Selest. Arashi schüttelt seinen Kopf. „Denk deine Antwort und sprich sie nicht aus.“ Es vergehen knapp zehn Minuten, bis es Selest dann mal gelungen ist Arashi in Gedanken zu antworten. Um ehrlich zu sein hätte ich gedacht, dass sie dafür länger braucht. Da scheint jemand ein Naturtalent zu sein, zumindest was das Gedankenspiel angeht. Doch wenn man es ganz genau nimmt, ist das auch eines der einfachsten Zauber überhaupt. Da gibt es viel schwierigere, doch für den Anfang, macht sie sich ganz gut. „Und wie soll mir das in der Bar helfen?“, fragt Selest. Arashi und ich lachen kurz auf. „Du kannst wieder normal mit uns reden. Diese Art der Kommunikation nutzen wir eigentlich nur, wenn wir nicht wollen dass unsere Gespräche belauscht werden. Und um deine Frage zu beantworten. Jetzt da du meine Gedanken hören kannst – also nur wenn ich will dass du das tust – bist du sozusagen auch mit meiner Magie verbunden.“ „Es gibt nicht viele Hexe, die ihre Magie auf diese Art mit einer anderen teilt. Es hat zwar etliche Vorteile, doch leider auch ein paar lästige Nachteile. Doch keine Sorge, du kannst jederzeit eine solche Verbindung wieder trennen. Also solltest du irgendwelche Bedenken haben…“ „Was für Nachteile wären das denn?“, unterbricht sie mich. „Nachteil Nummer Eins wäre der, dass du jetzt sowohl auf meine als auch auf Arashis Magie jederzeit zugreifen kannst. Im Endeffekt bedeutet das, dass alles was wir können, du auch kannst. So zum Beispiel deine Aura zu verändern. Demnach ist es nicht mal so schlecht, dass Arashi dir seine Magie zur Verfügung gestellt hat. Vampire besitzen zwar nur sehr wenig Magie, aber dafür sind sie die unangefochtenen Meister der Tarnung. Für ein Kind der Nacht ist es eine Kleinigkeit die Aura so zu verändern, dass man sie nicht mehr wahrnimmt.“ „Das klingt für mich aber nicht wie ein Nachteil“, sagt Selest und hält sich die Hand auf die Brust. „Oh Gott, mein Herz schlägt noch immer ganz wild. Werden die das nicht hören?“ „Werden sie und darum musst du dich jetzt auch mal langsam wieder beruhigen. Du bist ja nicht alleine. Kira wird ebenfalls in der Bar sein und ich bin hier draußen und… beobachte alles aus der Ferne. Sollte also etwas schiefgehen, greifen wir beide sofort ein. Du bekommst das schon hin, Selest.“ „Na wenn du das sagst.“ Glücklicherweise hat Selest nicht mitbekommen, dass Arashi eben etwas in seiner kleinen Ansprache gehakt hat. Und das ist auch ganz gut so. Denn wenn wir Glück haben, trennt Selest nach diesem Einsatz unsere Verbindung und bekommt so nie heraus, was es wirklich bedeutet, seine Magie mit jemand anderem zu verbinden. Herbst 2015, Siebenbürgen Selest Peterson Ich hätte niemals den Vorschlag unterbreiten dürfen hier alleine in die Bar rein zu spazieren. Von Kira fehlt nämlich immer noch jede Spur. Und das lässt mich wieder nervös werden. Mein Herzschlag beschleunigt sich wieder und auch Arashis wohlklingende Worte, können daran nichts ändern. „Du brauchst keine Angst zu haben, Selest. Kira kommt gleich rein und ich habe von hier draußen ein Auge auf dich.“ „Ich weiß“, murmle ich und bemerke zu spät, dass ich es laut ausgesprochen habe. Der Vampir neben mir am Tresen wendet seinen Kopf in meine Richtung und mustert mich von oben bis unten. Sein vielsagender Blick lässt mich noch nervöser werden. So wies aussieht, bin ich gerade eben als seine Mahlzeit auserkoren worden. „Was weißt du, Süße?“ Der Vampir lehnt sich dicht zu mir und legt einen seiner Arme um mich. Sein kalter Atem streift meine Wange und ich muss mich regelrecht anstrengen, um nicht kreischend davonzulaufen. Wieso nur habe ich mich freiwillig hierfür gemeldet. „Verlasse die Theke und suche nach dem Stein, Selest. Und reiße dich zusammen, ja. Das hier ist immerhin dein Vorschlag gewesen.“ „Ist ja gut“, denke ich und streife dann langsam, und mit einem Lächeln im Gesicht den Arm des Vampires von meinen zitternden Oberschenkeln. „Entschuldigen Sie, aber ich bin bereits vergeben. Und so sehr mich ihr Angebot auch schmeichelt, aber ich bin meinem Verlobten treu“, hauche ich in sein Ohr und stehe dann vom Hocker auf. Aus den Augenwinkeln erkenne ich, dass meine Abfuhr dem Vampir ganz und gar nicht gefällt. „Nicht schlecht. Ich wusste gar nicht, dass du Verlobt bist, Selest. Das hättest du mir wirklich sagen sollen, dann hätte ich dich nicht gebissen.“ Arashis fröhlich klingende Stimme versuche ich so gut es geht auszublenden. Ich habe jetzt wirklich nicht den Nerv, um mich mit ihm zu streiten. „Du weißt wirklich wie man die Träume eines Kerls zu platzen bringt. Das hätte ich wirklich nicht von dir gedacht.“ „Halt die Klappe, Arashi“, fauche ich in Gedanken. „Sag mir lieber ob du schon die Gegenwart des Steins gespürt hast.“ Es vergehen fast zwei Minuten, bis ich Arashis Stimme wieder in meinem Kopf höre. „Wie kommst du darauf, dass ich die Gegenwart des Steins spüren kann“, will er von mir wissen. Ich zucke mit den Achseln – obwohl er das ja nicht sehen kann – und blicke mich dann weiter in der Bar um. Überall sehe ich Vampire, zumindest gehe ich davon aus das es welche sind. Man sieht es ihnen ja leider nicht an der Nasenspitze an das sie Vampire sind. Schade eigentlich. Die meisten Vampire sitzen an runden Tischen und unterhalten sich. Neben mir steht ein junges Pärchen auf und verzieht sich hinter einen dunklen Vorhang. Und der Vampir der bis eben noch an der Bar neben mir saß läuft jetzt mit drei anderen Vampiren die kleine Treppe hinauf, die hinter dem Tresen ist. Ich blicke ihm hinterher, wende dann aber schleunigst meinen Blick von ihm, als er in meine Richtung blickt. Hoffentlich hat er nicht mitbekommen, dass ich ihn beobachtet habe. „Hat er. Und jetzt verrate mir wie du auf die Idee kommst…“ „Würdet ihr euren Streit bitte auf später verschieben“, vernehme ich verärgerte Stimme von Kira war. Ich schaue zur Eingangstür. Sie kommt zusammen mit einem gutaussehenden jungen Mann herein und steuert sofort den Tresen an. Beide setzen sich auf die Plätze, wo der aufdringliche Vampir und ich bis eben noch saßen. „Wir haben nicht viel Zeit, bis Ioan Arashis Anwesenheit draußen bemerkt“, fährt Kira fort. „Also beeilt euch endlich.“ „Jaja!“ Ich nicke Kira kurz zu und suche dann einfach weiter. So gut es geht versuche ich zu verdrängen, dass ich in einer Bar für Vampire bin und konzentriere mich ganz auf den Stein. Ich kann es mir nicht erklären, aber ich bin der felsenfesten Überzeugung, dass er hier irgendwo ist. Nur wo? „Kann ich dich was fragen, Arashi?“ „Klar.“ „Ähm also…“ Wie sage ich das nur. Immerhin ist es ja auch nur eine Theorie von mir und ich will nicht das Arashi mich für bescheuert hält oder so. Andererseits habe ich keine Ahnung wie Magie funktioniert und… nun ja. Geht man aber davon aus das ich eine Zodiac bin, dann kann’s ja sein das es doch mehr ist, als nur eine simple Theorie von mir. Wer weiß schon wozu ich als Zodiac alles in der Lage bin, außer einem verrückten Wolfsmenschen zu verjagen. „Hast du es dir jetzt anders überlegt, oder fragst du mich endlich was du mich fragen willst?“ „Sorry. War nur eben in Gedanken“, entschuldige ich die lange Wartezeit. Aber Moment Mal. „Hast du den Wirrwarr in meinen Gedanken eben mitbekommen?“ „Nein!“ „Gut.“ Ich hole einmal kurz Luft, und fange dann an mich zu erklären. „Nun ja die Sache ist die. Ich weiß nicht woher ich diese Ahnung habe, falls es denn eine ist und nicht nur ein dummer Gedanke von mir, aber… Mir ist vorhin in den Sinn gekommen, dass du die Gegenwart des Steins spüren kannst.“ „Deswegen hast du mich danach gefragt“, sagt Arashi. Mehr aber zu sich selbst als zu mir, wie ich glaube. Da kann er seine Gedanken wohl doch nicht so gut vor mir verbergen, wie vor einer halben Stunde noch behauptet. Oder aber ich bin besser als er dachte. Was irgendwie cool wäre. „Ist das denn möglich? Kira was meinst du?“, wende ich mich an sie. Und diesmal ist sie es, die lange für eine Antwort braucht. „Möglich wäre es. Das würde dann bedeuten, dass die beiden Steine irgendwie zusammenhängen.“ „Sie sind von ein und derselben Person weitergeben wurden, würde ich sagen. Oder? Ich meine, diese Unbekannte Frau – die meinen Tod will, ach ne, jetzt scheinbar nicht mehr, weil ich ja eine Zodiac bin – hat ihn doch Ayaka und wie es scheint auch Ioan gegeben. Hängt bestimmt damit zusammen.“ „Nein! Die Steine müssen anders zusammen gehören.“ „Vielleicht kann ich euch da weiterhelfen“, vernehme ich eine düstere Stimme hinter mir. Ich drehe mich um. Auf den oberen Stufen der Treppe steht ein Vampir, vollkommen in schwarz gekleidet. Hinter ihm stehen drei weitere, dieser Typ von der Bar ist einer von ihnen – mit verzehrten Gesichtern. So sehen Vampire also aus wenn sie in ihrem… nun ja, Vampir-Modus sind. Ich drehe mich einmal im Kreis. Alle Vampire die bis eben noch an ihren Tischen saßen, sind mittlerweile aufgestanden und haben sich um mich gestellt. Verdammt. Ich war wohl so in Gedanken vertieft gewesen, dass ich das nicht mitbekommen habe. Dieser Vampir von der Treppe, der eben gesprochen hat und bei dem es sich wohl um diesem Ioan handelt, kommt mit geschmeidigen Schritten nach unten. Sein blutrünstiger Blick haftet an mir. Ängstlich schließe ich meine Augen – so nach dem Motto: Sehe ich dich nicht, siehst du mich auch nicht. „Ich gebe dir eine Minute um hierher zu kommen, Arashi, oder ich bringe deine kleine Hexenfreundin um.“ Und bei diesen Worten ist es vorbei mit der Starre, die sich um meinen Körper gelegt hat. Ich drehe mich rasch um und will losrennen – raus aus dieser Blutbar, als ich plötzlich von hinten gepackt und an einen kalten Körper gedrückt werde. „Du gehst nirgendswo hin, Kleines.“ Erschrocken zucke ich zusammen, als ich die kalte Hand von Ioan an meiner Wange fühle. Es ist dieselbe Stelle, die der andere Vampir vorhin mit seinem Atem gestreift hat. Augenblicklich läuft es mir eiskalt den Rücken herunter. „Nur keine Angst, Süße. Ich habe nicht vor dich zu töten. Dafür bist du wertvoll“, haucht er in mein Ohr. „Lass sie in Frieden“, sagt Kira. Ich bin so abgelenkt von Ioan und den ganzen anderen Vampiren um mich herum gewesen, dass ich nicht mitbekommen habe dass sie und dieser junge Polizist mittlerweile neben mir stehen. Auch die beiden werden von zwei Muskelbepackten Vampiren festgehalten. Ioan wendet sich grinsend an Kira. „Leider gilt das nicht für dich, Kleines“, sagt er und leckt sich dabei über die Lippen. „Das Blut von euch Hexen ist etwas ganz besonderes. Meine Brüder und Schwestern werden mir unendlich dankbar sein, wenn ich ihnen solch einen Leckerbissen wie euch überlasse.“ Der junge Polizist versucht sich gegen seinen Angreifer zu währen, doch dem scheint dieser Versuch nicht im Geringsten zu stören. „Was wollt ihr von uns?“, fragt er und zum ersten Mal höre ich seine Stimme. Und ich muss sagen, sie passt zu ihm. Sanft und doch in gewisser Weise bestimmend. Und das wundert mich irgendwie, denn auch ihm dürfte wohl aufgefallen sein, dass die Leute hier in der Bar nicht normal sind. Es sei denn er sieht die verzerrten Gesichtszüge der Barbesucher nicht. Oder aber… „Von euch will ich gar nichts, mein Guter“, antwortet Ioan dem jungen Polizisten – Ich glaube Kira nannte ihn Julian. „Und doch werde ich euch nicht laufen lassen. Dafür habt ihr viel zu viel gesehen. Doch wenn ihr keinerlei Schwierigkeiten macht, dann überlege ich mir vielleicht, euch zu einem von uns zu machen. Ihr scheint stark zu sein, junger Freund.“ „Ich bin gewiss nicht euer Freund“, antwortet Julian und kassiert daraufhin eine Kopfnuss seines Bewachers. Julian lässt sich das allerdings nicht gefallen und wirft seinen Kopf nach hinten und trifft seinen Bewacher völlig unvorbereitet. Die Nase des Vampirs fängt an zu bluten. Sofort eilt ein anderer Vampir hervor und greift nach Julians Arme, um ihn so in Schach zu halten. Ioan beobachtet die Szenerie freudig. „Ich hatte Recht was euch betrifft, mein Freund!“ Er betont das Wort Freund extra und wendet sich dann schmunzelnd an seinen verletzten Vampirbruder. „Alles ok bei dir?“, fragt er ihn mit fester Stimme. Der Verletzte nickt und macht einen Schritt auf Julian zu – wohl um sich für die blutige Nase zu rächen –, da stellt sich ihm aber plötzlich Ioan in den Weg. „Gut!“ Mit einer schnellen Handbewegung, trennt er ihm den Kopf vom Rumpf. Der Vampir ist tot. Vor Schreck ziehe ich scharf die Luft ein und drehe meinen Kopf, völlig angewidert von Ioan weg. „Er war schwach“, kommentiert Ioan seine Tat. Er wischt sich seine blutige Hand an einer Serviette ab, die ihm von einer älteren Vampirin gereicht wird. „Und solche Vampire kann ich nicht gebrauchen. Also dann, wo waren wir doch gleich noch einmal stehen geblieben? Ach ja. Ich habe euch ein Angebot gemacht, mein junger Freund. Also… wie sieht es aus? Wollt ihr?“ „Das dürft ihr nicht machen“, schreit Kira und verzieht das Gesicht vor Schmerz, als der Typ der sie festhält seinen Druck verstärkt. Doch hindert das Kira nicht daran weiter zu reden. „Es ist gegen das Gesetzt, Menschen zu wandeln und das wisst ihr.“ „Das stimmt“, antwortet Ioan. „Doch dummerweise wird es keine Überlebenden geben, die uns verpetzen können. Und darüber hinaus, unterstehen mein Vater und ich nicht euren dummen Gesetzen, Hexe. Wir sind nämlich nicht solche Luschen wie König Akito und seine Anhänger.“ „Damit werdet ihr nicht durchkommen“, mische ich mich mit ein. Mir ist nämlich durchaus aufgefallen, dass die eine Minute die Ioan Arashi gegeben hat um hier aufzutauchen, schon längst vorbei ist. Wo also steckt dieser Mistkerl nur. Ioan vollführt mit seiner Hand irgendein Zeichen und keine Sekunde später tritt einer der umherstehenden Vampire hervor und greift nach meinen Armen. Ich werde von Kira und Julian getrennt. „Lass mich los“, schreie ich. Auch von Kira höre ich Worte des Protestes, doch es ist zwecklos. Dieser Vampir schiebt mich vor sich her, in Richtung der schwarzen Vorhänge, wo vorhin das junge Pärchen entschwunden ist. Und bevor ich ebenfalls dort hinter verschwinde, höre ich Kira schreien. Ihr Schrei fährt mir durch Mark und Bein. Lass mich los, schreie ich meinen Bewacher in Gedanken an und kaum das ich es gedacht habe, lässt der wirklich von mir ab. Ich habe nicht die geringste Ahnung wie ich das gemacht habe, aber das interessiert mich im Moment auch nicht. Ich verpasse dem Vampir einen festen Tritt in seine Kronjuwelen und beobachte mit Freude, wie der daraufhin zu Boden geht. Dann drehe ich mich um und befinde mich einer Horde geschockter Vampire gegenüber. Auch Ioan sieht mich unglaubwürdig an. Leider erholt er sich schnell wieder und greift seinerseits nach Kira, die erschöpft und Blutend – dort wo sie gebissen wurde – in den Armen des Vampirs liegt. Ioan zieht sie zu sich und versenkt nun selber seine Zähne in ihren Hals. „Wenn du einen Krieg mit den Phönix-Hexen anfangen willst, dann mach weiter. Töte sie“, erklingt Arashis feste Stimme. Endlich, seufze ich. Erleichtert schaue ich in die Richtung, aus der ich Arashis Stimme vernommen habe. Auch alle anderen herumstehenden Vampire blicken in diese Richtung. Und kaum das sie Arashi und seine acht Begleiter – darunter Akito und Akaya – erblicken, treten sie stillschweigend, mehrere Schritte zurück. Arashi geht mit langsamen und irgendwie auch gefährlich wirkenden Schritten auf Ioan zu. An seiner Seite, seine Schwester und sein Vater. Die anderen bleiben in einiger Entfernung stehen und lassen die feindlichen Vampire nicht aus den Augen. Ioan lässt Kira achtlos auf den Boden fallen und stürmt dann ohne Vorwarnung auf Arashi drauf zu. Kapitel 5: Der Wahrheit so nah ------------------------------ Herbst 2015, Siebenbürgen Selest Peterson Es geht alles so schnell. Die Vampire die bis eben noch den engsten Kreis um Ioan gebildet hatten, stürmen mit ihm los, und stürzen sich auf Akaya und Akito. Der Rest der Barbesucher macht keinerlei Anstalten sich einzumischen, was ich einerseits komisch finde, doch auf der anderen Seite wiederum gut heiße. Mit nur den paar Vampiren die Arashi mitgebracht hat, kann er schließlich unmöglich alle siegreich bekämpfen. Ioan und Arashi sind in ihrem ganz persönlichen Kampf verwickelt. Ihrer beider Bewegungen sind so schnell, dass ich kaum etwas sehen kann. Nur schemenhaft kann ich erkennen, dass Ioan, dadurch das er etwas kleiner und auch wendiger ist als Arashi, ein paar Schläge mehr austeilt. Komm schon Arashi, lass den Kerl nicht gewinnen. Ich sehe mich nach Kira um. Die hätte ich beinahe vergessen, so gefesselt war ich von dem Kampf der beiden Vampire. Ich kämpfe mich durch die herumstehenden Vampire durch – glücklicherweise beachten sie mich überhaupt nicht, sondern starren nur die Wächter an. Immer mal wieder werfe ich einen Blick auf Arashi zurück. Hoffentlich schafft er es diesen arroganten Mistkerl zu besiegen. In Reichweite der Tür kann ich den dunkelbraunen Haarschopf von Julian ausmachen. In seinen Armen liegt Kira, und bewegt sich nicht. Ein letztes Mal schaue ich zu Arashi – ich kann mich einfach nicht entscheiden, wem meine Aufmerksamkeit mehr gehören soll. Ihm oder Kira. Doch da Kira ja diejenige ist die verletzt wurde, entscheide ich mich für sie. Außerdem… so wie ich das sehe, hat Arashi alles recht gut im Griff. Arashi verpasst Ioan einen gekonnten Schlag, woraufhin der benommen zu Boden geht. Dann schaut Arashi zu mir und für einen kurzen Augenblick treffen sich unsere Blicke. „Bring Kira hier raus und wartet weiter abseits auf mich. Ich bringe das hier nur noch schnell zu Ende. Und jetzt geh, Selest“, höre ich Arashis Stimme in meinem Kopf. Telepathisch sende ich ihm zurück dass ich verstanden habe. „Beeil dich bitte, ich glaube Kira braucht deine Hilfe.“ „Ich mache so schnell ich kann. Und jetzt hau ab.“ „Ok.“ Ich bin bei Julian angekommen und helfe ihm die Tür zu öffnen, damit er Kira endlich nach draußen – und damit in Sicherheit – bringen kann. Nachdem das geschafft ist, laufen wir einfach drauf los und entfernen uns immer weiter von der Bar – und damit auch von Arashi. Nachdem wir ein Plätzchen gefunden haben, welches gut einen halben Kilometer von der Bar entfernt ist und uns als sicher erscheint, lassen wir uns entkräftet auf dem Rasen nieder. Julian lehnt Kiras Körper sachte an einem Baum an und setzt sich neben sie. Ich platziere mich ihnen gegenüber, schließe dann erst einmal erschöpft meine Augen, und atme tief durch. Ich werde nie wieder diese Bar betreten, seufze ich. Und lasse mich ins Gras fallen. Julian starrt mich an, das spüre ich ganz deutlich, auch wenn ich es nicht sehe. Lange wird er bestimmt nicht warten, bis er mich mit allerlei Fragen durchlöchern wird. Nur ob ich die Richtige bin um ihm irgendwas zu erklären, das bezweifle ich. Ich habe ja selber keine Ahnung was da gerade wirklich passiert ist. Es dauert exakt eine Minute, dann bricht der junge Polizist die wohltuende Ruhe. „Hast du mir vielleicht irgendwas zu sagen?“, will er von mir wissen. Er sitzt jetzt neben mir und nicht mehr neben Kira. „Was zum Teufel war das für eine Bar? Und was habt ihr“, er zeigt auf Kira und sieht dann mich wieder an, „mit diesen Leuten zu tun? Und komme mir ja nicht mit irgendwelchen Ausreden. Ich bin Polizist und erkenne ganz genau, wenn man mich anlügt. Also? Ich höre.“ Und schon verfluche ich meinen Entschluss, nicht bei Arashi geblieben zu sein. Herbst 2015, le village de étoiles Kira Vaillant Ich öffne meine Augen und stöhne erst einmal vor Schmerzen auf. Mein Hals tut weh und wie von alleine wandert meine Hand zu der Wunde, die mir dieser verdammte Vampir beigebracht hat. Sie ist kaum mehr zu spüren, doch die Schmerzen sind dennoch da. Ich habe keine Ahnung wie lange ich weg gewesen bin, und genauso wenig weiß ich, wie ich wieder nach Hause gekommen bin. Zumal ich hier erst einmal nicht wieder hin wollte. Noch immer liegt mir Antoniellas Verrat in den Knochen. Ich kann nicht vergessen das sie mich mein ganzes Leben lang belogen hat, was den Tod meiner Eltern angeht und überhaupt. Mir sagte sie, dass der Großteil an Mitglieder meines Zirkels, beim großen Krieg vor 17 Jahren umgekommen sei, nicht aber, dass die anderen Zirkel sie für ihre Taten bestraft haben. Ich nehme mir vor Selest deswegen zu fragen, denn merkwürdigerweise hat sie was den großen Krieg angeht, mehr Ahnung als ich. Und von irgendwem muss sie ja erfahren haben, dass meine Mom ihre umgebracht hat. Obwohl das ja auch nicht mehr stimmen soll. Ich schwinge meine Beine aus dem Bett und will gerade aufstehen, als die Tür zu meinem Zimmer leise geöffnet wird. Ich stocke in meinem Vorhaben. Selest steckt vorsichtig ihren Kopf durch die Tür und kaum das sie sieht wie ich versuche aufzustehen, ist sie auch schon bei mir. „Was machst du denn da“, sagt sie wenig erfreut und stürmt zu mir. Sie drückt mich wieder zurück ins Bett. „Meine Tante sagte, dass du im Bett bleiben sollst. Sie hat deine Wunde zwar so gut sie konnte geheilt, aber irgendwas war wohl mit dem Blut von Ioan nicht in Ordnung, weswegen du immer noch recht starke Schmerzen verspüren tust. Also leg dich wieder hin und versuche dich so wenig wie möglich zu bewegen. Dann erzähle ich dir auch was passiert ist, nachdem Arashi, sein Vater und Akaya mit den anderen reingekommen sind.“ Da ich zu schwach zum Protestieren bin, tue ich mal ausnahmsweise das, was von mir verlangt wird. Ich lege mich also brav wieder hin, ziehe die Zudecke bis an mein Kinn und warte darauf, dass Selest sich einen Stuhl an mein Bett stellt und mit erzählen beginnt. Ich bin nämlich in der Tat neugierig. Doch als erstes will ich etwas anderes von ihr wissen, nämlich warum Antoniella nicht an meiner Seite ist. „Wieso bin ich hier bei deiner Tante? Ehrlich gesagt habe ich schon fast damit gerechnet bei meiner Ziehmutter aufzuwachen, oder wenigstens bei uns in der WG.“ Selest lehnt sich in ihrem Stuhl zurück und schaut mich eine Sekunde lang schweigend an. „Ich bat Arashi darum dich erst einmal zu meiner Tante zu bringen, weil ich irgendwie das Gefühl verspürt habe, dass du deine Ziehmutter erst einmal nicht sehen willst. Keine Ahnung wieso, aber…“ „Sie hat mich mein ganzes Leben lang belogen, deshalb“, sage ich und unterbreche Selest in ihrer Erzählung. „Das weiß ich doch. Ich meine, ich habe keine Ahnung, woher dieser Verdacht kam. Fragen konnte ich dich ja nicht, da du Ohnmächtig warst, aber dennoch konnte ich irgendwie deine Gedanken hören. Kann man überhaupt Denken, wenn man Ohnmächtig ist? Na ja. Ist ja auch egal. Jedenfalls bat ich also Arashi dich hierher zu bringen und meiner Tante musste ich das Versprechen abnehmen, dass sie Lady Antoniella nichts sagt, nicht so lange du es nicht möchtest. Gefiel ihr überhaupt nicht, aber Letzten Endes tat sie mir diesen kleinen Gefallen. Deinem Polizistenfreund geht es übrigens gut, nur für den Fall das du dir sorgen um ihn machst“, sagt sie Augenzwinkernd. Wieso sollte ich mir sorgen um ihn machen? Aber es ist dennoch gut zu wissen dass es ihm gut geht. Immerhin ist es meine Schuld dass er erst in dieses Dilemma rein gekommen ist. Ich hätte ihn einfach nicht mit in die Blutbar kommen lassen. Das war mehr als Unverantwortlich von mir. “Gut! Und ich mache mir keine Sorgen um ihn. Vielmehr mache ich mir Vorwürfe. Ihm hätte sonst was passieren können.“ „Ist ihm aber nicht. Und dank ihm gibt es jetzt einen Vampir weniger, ist doch auch schon mal was, oder? Auch wenn ich niemals damit gerechnet hätte, dass dieser Ioan seinen Kumpel umbringt. Ein paar Minuten vorher sagt er noch sie sind seine Brüder und Schwestern und dann… zag. Bringt er einen von ihnen um und das nur, weil der sich von einem Menschen hat überrumpeln lassen hat.“ „So ist Ioan nun mal. Die ganze Familie ist so. Aber nun erzähle doch bitte, was passiert ist und wie wir unbeschadet aus der ganzen Sache raus gekommen sind.“ Wobei unbeschadet nicht ganz zutrifft. Ich berühre sachte meine Wunde am Hals, nehme aber sofort die Hand wieder weg, als sie erneut zu schmerzen anfängt. „An was erinnerst du dich?“, fragt Selest und setzt sich um. Sie nimmt die Beine hoch und sitzt nun im Schneidersitz auf dem Stuhl. Also bequem ist was anderes. „Nicht mehr an viel. Ich weiß eigentlich nur noch, dass Ioan dich hat wegbringen lassen und einer seiner Vampire mich dann gebissen hatte. Mehr ist da nicht.“ Und das ärgert mich gewaltig. „Nun gut. Viel ist ja auch nicht passiert. Wie gesagt kamen dann ja Arashi, Akaya und ihr Vater rein, zusammen mit noch ein paar ihrer Vampire und Ioan stürzte sich sofort auf unseren Lieblingsvampir, nachdem er dich gebissen hatte. Die beiden haben dann einen kleinen Kampf ausgefochten, den Arashi gewonnen hat. Frag mich aber bitte nicht wie er das geschafft hat, denn das weiß ich nicht, da ich mich zusammen mit Julian um dich gekümmert habe. Wir haben uns etwas abseits der Bar dann einen Platz zum Rasten gesucht und gewartet bis Arashi endlich auftauchte. Sein Vater und seine Schwester haben sich übrigens um die Verräter und um Ioan gekümmert.“ Hoffentlich sehen wir den nie wieder. „Und als Arashi dann endlich bei uns auftauchte, brachte er uns raus aus Siebenbürgen. Und ja… jetzt sind wir hier.“ Ich habe Selest Erzählung ruhig zugehört und nur ab und zu genickt. Das was sie eben sagte hört sich schon einmal ganz gut an, nur… Ich kann mir nicht vorstellen, dass Julian nicht nachgehakt hat. Grübelnd schaue ich auf die Zudecke. „Was ist los?“, will Selest wissen. „Tut die Wunde sehr weh? Tante Fanny schaut schon in ihren Büchern nach ob sie was findet was dir helfen kann.“ „Nein das ist es nicht“, antworte ich und blicke sachte zu Selest auf. „Ich ähm…“ Wie soll ich es nur formulieren, ohne dass sie gleich die falschen Schlüsse zieht? „Du willst wissen was mit Julian ist, richtig“, fragt sie und sieht mich mit einem wissenden Blick an. Verdammt – da hat sie voll ins Schwarze getroffen. „Nun. In der Zeit als wir beide auf Arashi gewartet haben, durchlöcherte er mich mit einigen Fragen. Ein paar sehr unschönen Fragen. Er wollte wissen was das für eine Bar war und was wir mit den Leuten dort zu schaffen hatten. Ich sagte ihm die Wahrheit, denn ob du es glaubst oder nicht, ich hatte bei ihm das Gefühl, dass er alles andere nicht geglaubt hätte. Er sah mich eh die ganze Zeit so komisch an.“ „Das ist gar nicht gut“, flüstere ich. „Ach, so schlimm war es nun auch wieder nicht. Ich glaube als Polizist hat man einfach nur einen sehr guten Riecher. Kein Wunder, bei dem was die alles so für Märchen aufgetischt bekommen.“ „Das meine ich nicht, Selest.“ „Nicht?“ „Nein. Sondern das er die Wahrheit über uns kennt. Kein außenstehender darf von unserer Existenz erfahren.“ „Ich schätze ihn nicht so ein, als dass er gleich zur Presse rennt und einen Artikel über uns veröffentlicht. Immerhin nahm er das alles recht locker auf. Und er hörte auch nicht auf sich um dich zu kümmern, nicht mal als er dann die Wahrheit kannte. Er wollte gar nicht mehr von deiner Seite weichen und es kostete Arashi etliches an Überredungskünste, um ihn davon zu überzeugen nach Hause zu gehen und nicht mit uns mitzukommen. Wir mussten ihm sogar versprechen ihn zu informieren wenn du wieder fit bist. Ich glaube er steht auf dich, Kira.“ „Blödsinn“, sage ich und drehe mich von Selest weg. Nicht das sie… „Das kannst du dir sparen. Ich habe die Röte in deinem Gesicht schön längst gesehen.“ Großartig. „Dafür brauchst du dich nun wirklich nicht zu schämen. Er scheint ja nett zu sein und ich finde ihr passt super zusammen.“ Selest macht eine kurze Pause. Und genau die nutze ich, um mich wieder in ihre Richtung zu legen. „Kannst du mir ein Glas Wasser aus der Küche holen?“, frage ich und setze mich etwas auf. „Klar. Aber du bleibst brav im Bett, verstanden?“ „Jawohl, Mami“, kommentiere ich und ernte ein fröhliches Lachen von Selest. Dann verschwindet sie aus dem Zimmer. Und sofort nutze die Zeit ihrer Abwesenheit und mache genau das, was ich eigentlich nicht tun soll. Ich versuche erneut aufzustehen. Ich finde es recht merkwürdig dass es mir so schlecht geht. Ich bin schließlich nicht das erste Mal von einem Vampir gebissen wurden. Das kann mir einfach nicht vorstellen, dass es daran liegen soll, dass irgendwas mit Ioans Blut nicht stimmte. Was verschweigen sie mir nur noch alles? Erst das mit meinen Eltern und mit meinem Zirkel. Und jetzt… So langsam aber sicher komme ich mir wirklich verarscht vor. Und genau aus diesem Grund muss ich mich jetzt auch auf mein Vorhaben, hier zu verschwinden, konzentrieren. Denn auch wenn Fanny es Selest versprochen hat, so glaube ich nicht, dass sie Antoniella nicht Bescheid bereits gegeben hat. Ich schwinge wieder einmal mein rechtes Bein über die Bettkante und hole dann das linke nach. Bis hierhin ging schon einmal alles gut. Also stemme ich meine Hände auf die Lehne und drücke mich dann nach oben. „Super!“ Zumindest stehe ich schon einmal. „Was wird das hier?“, kommt es von der Zimmertür her. Schuldbewusst blicke ich in die Richtung. Fanny steht in der Tür. „Ich wollte versuchen aufzustehen“, antworte ich und setze vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Zwar habe ich immer noch leichte Schmerzen, aber die sind erträglich. „Ihr tut ja gerade so, als wenn ich sterbenskrank wäre. Ich wurde nur von einem Vampir gebissen. Ist doch nichts Dramatisches.“ Nicht wahr? Oder gibt es etwas was du mir erzählen willst? Ich glaube nicht. „Das denkst aber auch nur du“, vernehme ich eine zweite Stimme. Diesmal eine männliche und wem die gehört, weiß ich ganz genau. Ich setze mich auf die Bettkante. „Was machst du hier, Derek?“, frage ich. Statt mir aber zu antworten, macht er nur zwei große Schritte und schon ist er an meiner Seite. Er sieht sich meinen Hals an, ehe er sich vor mich kniet und mich bei den Schultern packt. „Was hast du dir nur dabei gedacht wegzulaufen, Kira“, will er wissen. Erstaunlicherweise scheint er nicht sauer zu sein, ganz im Gegenteil. Er hört sich besorgt an. „Wieso bist du nicht zu mir gekommen, oder hast mit Constantin und Jolina geredet? Wieso?“ Wieso wohl? Weil ich mit jemanden reden wollte der mir nicht so nahe steht und von dem ich vielleicht die Antworten bekomme, die ich haben wollte. Außerdem haben mich Conny, Jolina und Derek ja auch belogen, genauso wie Antoniella. Und wenn ich auf sie sauer bin, dann muss ich es auch auf die drei sein. „Weil ihr mich belogen habt“, antworte ich Derek auf seine Frage. Verdutzt weiten sich seine Augen. „Und jetzt streite das ja nicht ab. Ihr habt alle gewusst was wirklich mit meinen Eltern passiert ist. Und ihr schimpft euch meine Freunde? Das ich nicht lache. Solche Freunde wie euch brauche ich nun wirklich nicht, Derek.“ „Es tut mir leid“, sagt er und schlägt für eine winzige Sekunde seine Augen nieder. „Genauso wie Constantin und Jolina. Aber keiner von uns durfte mit dir darüber reden. Lady Antoniella hat es uns allen ausdrücklich verboten. Und du weißt wie sie werden kann, Kira.“ „Na prima“, sage ich und verschränke die Arme vor die Brust. „Sei ihnen nicht mehr böse, Kira. Im Grunde wollten wir dich alle nur beschützen.“ „Bitte? Ihr wolltet mich beschützen? Wovor denn, Fanny hm…“ Sie sieht mich aus traurigen Augen an, sagt aber kein Wort. „Etwa davor, dass ich, wenn ich die Wahrheit erfahre, auch wie meine Eltern euren Zirkel verrate? Das ich gegen euch kämpfe? Wieso hat mich Antoniella überhaupt zu sich genommen, hm? Ich bin immerhin die Tochter zweier Verräter. Mörder von so vielen Hexen, Vampiren und Loup-Garou. Wieso habt ihr mich nicht auch getötet, so wie den Großteil meines Zirkels? Wieso?“ Ich habe mich jetzt so in Rage geredet, dass ich nicht mal mitbekommen habe, dass ich mit weinen angefangen habe. Dass die Tränenspur meine Wangen herunterläuft und sich sogar schon eine kleine Pfütze auf meinem Schoß gebildet hat. Ich spüre ein paar Arme, die mich sanft an einen warmen Körper drücken. Dann schaue ich auf, um zu sehen wer mich zu trösten versucht, und kaum das ich in Selests mitfühlendes Gesicht blicke, bricht es völlig aus mir raus. Ich klammere mich an ihr fest und lasse mich einfach nur von ihr halten. Herbst 2015, le village de étoiles Selest Peterson „Wie geht es ihr?“, fragt mich meine Tante, kaum dass ich ihr Wohnzimmer betrete. Ich setze mich neben sie auf die Couch und warte noch einen Moment. „Was denkst du denn?“, sage ich nur und schaue meine Tante nicht mal an. Auch ich bin etwas enttäuscht von ihr, denn auch sie hat Kira all die Jahre über belogen. Vermutlich hat sie nie auch nur einen einzigen Gedanken daran verschwendet wie Kira sich fühlen wird, sollte sie je die Wahrheit erfahren. Also braucht sie jetzt nicht so tun als täte es ihr leid. Ich darf mir zwar auch keinen Orden verleihen, da meine Reaktion, nachdem ich die Wahrheit über meine Mom und Kiras erfahren habe, auch nicht gerade die Beste war, aber wenigstens habe ich mit Kira geredet. Gut. Ich tat es, weil ich sauer war und irgendwem die Schuld geben wollte, aber dennoch… Gott. Selbst Arashi hat es gewusst und auch er hat Kira nie die Wahrheit gesagt. Er war ja sogar noch der Meinung, dass sie es niemals hätte erfahren dürfen. Da frage ich mich wirklich wieso. Ob es eventuell doch einen wirklich guten Grund für die Verschwiegenheit gibt?, oder wollten sie alle einfach nur nicht dass Kira erfährt was man mit ihren Eltern gemacht hat? Immerhin wurden sie hingerichtet. Ich kann schon verstehen dass man das nicht unbedingt sagen will, aber wenn es nun mal geschehen ist… Und außerdem haben sie damals ja das Urteil gefällt, also müssen sie jetzt auch damit leben. Zumindest ist das meine Meinung dazu. „Kira ist fix und fertig. Ich weiß wirklich nicht, wie sie ihre Gefühle die letzten Tage über so gut verdrängt hatte.“ Ich sehe erst meine Tante, dann Derek und zum Schluss Arashi an. Anstandshalber war er vorhin nicht mit in Kiras Zimmer drin und hat es sich lieber hier unter bequem gemacht. Was wir oben besprochen haben hat er ja eh mitbekommen, mit seinen super Vampirohren. „Du verstehst das nicht, Selest“, sagt meine Tante und legt einen Arm um mich. Ich bin gewillt ihn abzuschütteln, lasse es dann aber bleiben. „Wir wollten sie wirklich nur be…“ Ich schneide meiner Tante das Wort ab. „Ich bitte dich“, sage ich empört. „Das ihr sie nur beschützen wolltet, war doch nichts weiter als eine bequeme Ausrede dafür, dass ihr euch nicht getraut habt. Ihr wolltet euch einfach nur nicht mit ihr auseinandersetzen. Ich meine wer weiß, vielleicht hat Kira Recht mit dem was sie eben sagte, und ihr habt einfach nur Angst gehabt, dass sie euch irgendwann den Rücken zukehrt. Vielleicht sogar ihren Zirkel neu aufblühen lässt – falls so etwas überhaupt geht.“ Oder aber… und das könnte auch gut möglich sein. Ich würde sogar so weit gehen und behaupten, dass das exakt der Grund ist, weswegen sie Kira nichts erzählt haben. Nämlich weil sie ja dachten, Kira sei eine Zodiac. Und so wie ich das mitbekommen habe, scheinen alle sehr viel Respekt vor diesen Hexen zu haben. Sie sollen immerhin mächtiger sein als andere Hexen. Und da kann ich mir schon vorstellen, dass die Vorstellung, die Tochter zweier Verräter soll eine Zodiac sein, kaum für allgemeine Begeisterung sorgt. „Das stimmt nicht“, protestiert meine Tante sogleich. „Das war nicht einfach nur eine Ausrede von uns.“ „Das würde ich jetzt nicht so sagen, Fanny“, schnaubt Arashi. „Ihr habt immerhin schon mehr als einmal geäußert, dass ihr Kira nicht als Zirkelmitglied verlieren wollt. Und auch wenn jetzt herausgekommen ist das sie doch keine Zodiac ist, ist sie immer noch mächtiger als andere. Und sobald ihr erst einmal jemand gezeigt hat, wie sie ihre Kräfte richtig einsetzen kann… ich glaube weiter brauche ich nicht zu sprechen. Wir wissen immerhin alle, zu was Kira fähig sein kann. Nehmen wir beispielsweise nur mal die Nacht, in der Kira von Selest die Wahrheit erfahren hatte. Das Unwetter was ihre Gefühlsregung widerspiegelte war jawohl mehr als eindeutig.“ Echt jetzt? Das war Kira? Wow. Also damit hätte ich wirklich nicht gerechnet. Wir Hexen können das Wetter beeinflussen? Das ist gleichermaßen cool wie beängstigend. „Wie hat sie das gemacht?“, frage ich an Arashi gewandt. Kann ich das auch lernen? „Und wenn das mit Kira wirklich stimmt, wieso hat sie dann nichts in der Blutbar unternommen?“ Irgendwie ist das komisch. Ich höre jetzt schon zum zweiten Mal, dass Kira verdammt mächtig sein soll, aber jedes Mal wenn sie eine Gelegenheit bekommt das zu zeigen, tut sie es nicht. „Weil sie eigentlich aufgehört hatte ihre Magie zu wirken, das sagte ich dir doch bereits.“ Stimmt! Da war mal was. „Außerdem hat Antoniella ihr nie gezeigt wie sie ihre Magie richtig einsetzen kann. Wie denn auch. Sie gehört ja geburtsmäßig einem anderen Zirkel an und die wenigen Wiccas die es heute noch gibt, dürfen und können ihre Magie nicht mehr anwenden. Das ist Teil ihrer Strafe. Das es Kira allerdings geschafft hat solch ein Unwetter hervorzurufen, zeigt eindeutig, dass sie die Tochter ihrer Eltern ist. Und das ist beängstigend.“ „Ich bitte dich“, fahre ich meine Tante an. „Ihr glaubt doch wohl nicht wirklich, dass Kira einen neuen Krieg anfangen wird, oder?“ Fannys Gesichtsmimik verrät mir nicht, was sie gerade denkt. Doch die Tatsache, dass meine Tante das von mir gesagte nicht widerlegt, spricht auch so für sich. Erbost stehe ich auf und funkle sie aus bösen Augen an. „Ich glaub das nicht.“ „Beruhige dich bitte, Selest“, meldet sich endlich mal Derek zu Wort. Die ganze Zeit über hat er uns drei nur beobachtet. Doch auch wenn Derek sich nun mit ins Gespräch einbringt, so glaube ich nicht, dass er mir gleich sagen wird, dass es keinen Grund zur Sorge gibt. So wie ich den Loup-Garou nämlich einschätze, tut er alles was Lady Antoniella ihm sagt. „Ich will mich aber nicht beruhigen“, fauche ich ihn an. Dann wende ich mich blitzschnell meiner Tante zu, da ich irgendwie – keine Ahnung warum, denn ich bin ja nicht mit der Magie meiner Tante verbunden – ihre Gedanken hören kann. „Ob es nun ein Versehen war oder nicht spielt jetzt eh keinen Unterschied mehr, denn…“ „Sage mir bitte, dass ihr nicht plant ihr ihre Kräfte zu nehmen?“, kommt es wie aus der Pistole geschossen von mir. Meine Tante sieht mich verwundert an und ihre Mimik verändert sich augenblicklich. Ich habe also Recht mit meiner Vermutung. „Das könnt ihr doch nicht machen“, sage ich empört. „Das geht nun wirklich zu weit, Fanny“, pflichtet Arashi mir bei. „Kira hat immerhin nichts Unrechtes getan, also dürft ihr…“ „Als wenn wir das wollen würden, Arashi“, unterbricht Derek ihn. „Aber das Triumvirat ist nun mal der Meinung dass Kira zu mächtig ist, um sie unkontrolliert ihre Magie einsetzen lassen zu können.“ „Aber das tut sie doch nicht“, sage ich. „Ich meine, sie benutzt sie doch nicht mal.“ „Das spielt keine Rolle.“ „Wieso nicht? Tante Fanny?“ Doch meine Tante schweigt. Und genau diese Tatsache, verheißt nichts Gutes. „Ich glaube du weißt wieso“, antwortet sie mir dann doch und steht ohne ein weiteres Wort zu verlieren auf. Sie haben es bereits getan! Meine Tante verlässt das Wohnzimmer und geht in Richtung Flur. Derek folgt ihr wie ein Schatten, wirft Arashi vorher aber noch einen merkwürdigen Blick zu. Wofür der wohl war? „Wir müssen gehen“, sagt Arashi zu mir und greift nach meiner Hand. Hastig zieht er mich mit sich, in Richtung des Zimmers, wo Kira liegt und sich ausruht. „Antoniella wird gleich hier sein und Kira dann…“ „…mit zu sich nehmen, oder?“ Er nickt. „Wir müssen uns einen Ort suchen an dem wir Kira fürs erste verstecken können. Ich kann einfach nicht glauben das sie ihr das wirklich angetan haben“, brummt er Kopfschüttelnd. „Ich auch nicht“, sage ich. „Gibt es einen Weg ihr ihre Kräfte wieder zu geben?“ Irgendwie glaube ich nämlich nicht, dass sie Kiras Kräfte nur gebannt haben, so wie mein Vater es bei mir getan hat. Arashi öffnet die Zimmertür und steuert sofort das Bett an, wo Kira glücklicherweise noch liegt und schläft. Ich folge ihm. Er hebt Kira sachte hoch. „Erstmal verschwinden wir von hier und dann kümmern wir uns um Kiras Kräfte.“ Arashi dreht mir einen Rücken zu. Was soll das denn werden? „Klettere auf meinen Rücken, Selest. Ich kann euch leider nicht beide tragen. Die Zeit wird knapp. Ich kann Antoniellas Magie bereits deutlich spüren. Sie ist in der Nähe.“ Sie ist bereits hier? Das ist gar nicht gut. Genauso wie Arashis Vorschlag, ich solle auf seinen Rücken klettern. Das kann nicht sein Ernst sein, doch allen Anschein ist dem so, denn er dreht seinen Kopf zu mir rum und deutet nickend auf seinen Rücken. Zaghaft klettere ich auf ihn drauf und klammere mich regelrecht an seinem Hals fest. Arashi steuert das Fenster an. „Du willst aus dem Fenster springen? Spinnst du“ „Einen anderen Weg gibt es nicht. Halt dich gut fest“, sagt er und schon spüre ich die kalte Oktoberluft. Wir befinden uns jetzt bei Julian zu Hause, was mich bei unserer Ankunft dort etwas gewundert hat. Doch nach näherem Überlegen stellte ich fest, dass es keinen anderen Ort gibt, an dem wir Kira fürs erste verstecken können. Vielleicht gibt es ja aber eine Möglichkeit diesen Ort zu schützen. Die Frage ist nur, wer soll das machen. Ich etwa? Als wenn ich wüsste wie so etwas geht. Julian ist noch immer bei Kira. Kaum das wir mit ihr bei ihm aufgetaucht sind, hat er zugestimmt, dass wir sie erstmals hier bei ihm lassen. Er stellte auch keine Fragen, sondern nahm Arashi Kira wortlos ab und brachte sie in sein Schlafzimmer. Und so sitzen der Vampir und ich nun auf seinem Sofa und überlegen wie wir weiter vorgehen. Hoffentlich fällt Arashi was ein, denn ich habe nicht die geringste Ahnung. „Was werden wir jetzt machen?“, frage ich und lege meinen Kopf in den Nacken. Ich fühle mich so nutzlos. Ich will Kira unbedingt helfen, doch ich weiß nicht wie. Alles was ich tun könnte wäre, für sie da zu sein, doch das reicht bei weitem nichts aus. „Ich denke ich hab es“, sagt Arashi und so schnelle ich vor und sehe ihn erwartungsvoll an. „Als erstes werden wir nach einer alten Freundin von Ileana suchen. Sie wird wissen wie wir Kira ihre Magie wieder geben können. Soweit ich weiß war diese Hexe, vor dem großen Krieg, die Bewahrerin der Erinnerungen der Wiccas. Und wenn das wirklich stimmt, dann kann sie uns auch noch weitere nützliche Informationen geben.“ „Wie zum Beispiel, warum Kiras Eltern den Krieg begonnen haben?“, rate ich. Dieses Geheimnis gilt es schließlich auch noch zu lüften. „Ganz recht“, sagt Arashi und nickt mir zu. „Aber erstmals müssen wir die besagte Hexe finden.“ „Ähm…“ Ich kratze mich verlegen am Hinterkopf. „Ich hätte da mal eine kurze Frage an dich. Wieso… Also… nun ja.“ „Hör auf zu stottern, Selest. Sag mir einfach, was du zu sagen hast.“ „Jaja. Es ist nur. Wieso glaubst du dass diese Hexe noch lebt? Ich dachte, dass die Wiccas hingerichtet wurden, also die, die den Krieg damals überlebt haben.“ „Nicht alle wurden getötet. Ein paar von ihnen sind vorher schon zu den anderen beiden Zirkeln übergelaufen, oder sie haben aufgegeben, noch bevor der Sieger des Krieges feststand. Und dann gibt es noch die Wiccas, die am Leben gelassen wurden, weil sie für das Triumvirat noch wichtig sein könnten.“ „So was wie Kriegsgefangene?“ „Ganz recht. Ok. Ich würde sagen wir mischen uns heute Abend erst einmal unter die Leute und versuchen in Antoniellas Villa einzusteigen. Glücklicherweise ist sie unterwegs.“ „Unter die Leute mischen? Ist heute irgendwas los in der Stadt?“ „Heute ist Halloween, meine Liebe“, sagt er mit einem Schmunzeln im Gesicht. „Und das nutzt das Triumvirat aus, um das alljährliche Zirkeltreffen abzuhalten. Das ist also unsere beste Gelegenheit, unbemerkt bei Antoniella nach Hinweisen zu suchen. Denn auch wenn sie nach Kira sucht und am liebsten alles andere stehen und liegen lassen würde, als Hohepriesterin ist es ihre Pflicht, beim Zirkeltreffen anwesend zu sein. Der Großteil der Mitglieder muss dort sein.“ Ich stehe vom Sofa auf und gehe nervös im Wohnzimmer auf und ab. „Also werden wir bei Lady Antoniella in die Villa einsteigen? Habe ich das richtig verstanden?“ Mir ist nicht wohl dabei. Und ich will mir ehrlich gesagt nicht mal vorstellen was passiert, wenn wir erwischt werden. „Genau das werden wir tun“, sagt Arashi und klopft mir auf die Schulter. „Nur keine Sorge. Ich bin ja bei dir, da wird dir schon nichts passieren.“ Das beruhigt mich nicht im Geringsten. Lady Antoniella ist schließlich nicht irgendwer. Sie ist die Hohepriesterin meines Zirkels und dazu eine angsteinflößende Frau. Mir lief es bei unserer ersten Begegnung schon eiskalt den Rücken runter. Was natürlich auch daran lag, dass ich ihr damals vorhatte ihr zu sagen dass es meine Schuld war, dass Kira abgehauen ist. Und nun ist sie wieder nicht da wo sie sein sollte. Und wieder einmal ist es meine Schuld – wobei ich diesmal nicht alleine Schuld trage. Doch das wird in Lady Antoniellas Augen mit Sicherheit keinen Unterschied machen. Bei der bin ich jetzt völlig unten durch. „Werden wir überhaupt eine Chance haben, das unbemerkt durchzuziehen? Ich kann mir immerhin sehr gut vorstellen, dass sie irgendwelche Vorkehrungen getroffen hat. Wie sieht es außerdem mit diesem einen Loup-Garou Typen aus, den ich vor ein paar Tagen bei ihr zu Hause traf. Dereks Onkel, wenn ich mich richtig erinnere. Wird er an ihrer Seite sein, oder wird sie ihn erneut mit der Suche nach Kira beauftragen?“ „Xander wird an Antoniellas Seite sein, also nur keine Panik. Vermutlich wird sie Dereks Rudel mit der Suche nach Kira beauftragen, doch die auszutricksen ist nun wirklich keine Kunst. Mit deiner Hilfe wird das sogar ein Kinderspiel werden.“ „Ähm… Und wie soll ich dir dabei helfen? Ich habe meine Magie noch nicht und selbst wenn, wüsste ich nicht wie ich das anstellen sollte.“ „Du unterschätzt dich, Selest. Außerdem… hast du denn schon wieder vergessen, dass Kira und ich unsere Magie mit deiner verbunden haben? Und da du diese Verbundenheit noch nicht gelöst hast…“ Stimmt! Da war was! „Jetzt wo du es sagst, wie geht dieses Lösen eigentlich? Also nicht das ich das wollen würde. Es scheint ja ziemlich viele Vorteile zu haben. Aber so interessehalber.“ „Es hat auch viele Vorteile. Und Nachteile, wie bereits erwähnt. Übrigens finde ich, dass du sie kennen solltest, bevor du dich entschließt weiterhin mit Kira und mir verbunden zu sein.“ „Ok.“ Es scheint wirklich wichtig zu sein, ansonsten würde Arashi nicht mit mir darüber reden wollen. „Dann schieß mal los. Obwohl ihr mir ja bereits sagtet, was es für Nachteile haben soll. Auch wenn ich das nicht als ein solches empfunden habe. Ich meine, was soll schon schlimmes dabei sein, wenn ihr auf meine, und ich auch eure Magie zugreifen kann.“ „Kira könnte dir das vermutlich besser erklären als ich, aber da sie gerade nicht zugegen ist… Also hör zu. Wenn eine Hexe ihre Magie mit der einer anderen verbunden hat, dann sind sie nicht nur magisch, sondern auch seelisch miteinander verbunden. Und das bedeutet, wenn einer der Paktpartner stirbt, dann stirbt auch der andere.“ OK! Jetzt hört sich das dann doch nicht mehr so gut an. „Ist das… Also ist das schon einmal passiert?“ „Mehr als einmal sogar“, sagt Arashi und drückt mich zurück aufs Sofa. „Noch vor dem großen Krieg war das fast gang und gebe, dass Hexen ihre Magie mit der einer anderen Hexe verbunden haben. Meistens taten das die Hohepriesterinnen mit ihren Nachfolgerinnen, um ihnen so besser beibringen zu können, was sie später alles tun müssen, um ihren Zirkel zu beschützen. Doch nachdem das mit den Wiccas war, wurden sich viele der wahren Gefahr einer solchen Verbundenheit erst bewusst und heute tut es so gut wie niemand mehr. Nicht mal mehr die Hohepriesterinnen. Antoniella wird das in der jetzigen Situation bestimmt wurmen, denn wenn sie ihre Magie mit der von Kira verbunden hätte, dann wüsste sie jetzt, wo sie ist.“ „Moment mal, warte“, bitte ich Arashi. So richtig verstehe ich das nicht. „Kira wurde doch ihrer Magie beraubt, wie wäre es dann denn für Lady Antoniella möglich sie hier zu finden? Und apropos Magie beraubt, wann haben sie das überhaupt angestellt? Die einzigen die in der Nähe von Kira waren, waren doch nur ich, Derek und meine Tante.“ Arashi wendet sich mir ab und beantwortet mir diese Frage nicht. Das muss er aber auch nicht, denn ich glaube ich weiß, wer das tat. „Meine Tante! Richtig?“ Ich warte bis sich Arashi mir wieder zugewandt hat. „Warum hat sie das nur getan?“ Die Tür zu Julians Schlafzimmer öffnet sich und der Hausherr tritt aus ihr heraus. Er setzt sich neben mich aufs Sofa und lehnt sich in die Kissen zurück. „Wenn ihr wollt könnt ihr jetzt los. Ich werde solange auf Kira aufpassen und ihr erklären was passiert ist und warum sie jetzt bei mir ist. Habt ihr ein Handy? Dann schreibe ich euch wenn sie wach ist.“ „Das haben wir, aber es wäre besser wenn du uns das nicht sagst. Falls die anderen uns erwischen ist es besser, wenn sie keinen Hinweis auf Kiras Aufenthaltsort bekommen. So können wir sie besser beschützen.“ Arashi steht auf und reicht mir dann seine Hand. Ich greife nach ihr. „Lass uns gehen. Es gibt noch einiges vorzubereiten“, sagt er zu mir und so lasse ich mich von ihm hochziehen. Wir sind gerade dabei Julians Wohnung zu verlassen, passieren den kleinen Gang der nach oben in die Bar seines Bruders führt, als er uns noch einmal zurückruft. Wir drehen uns um. Julian steht lässig in seiner Eingangstür. „Wäre es irgendwie möglich diesen Ort hier zu schützen? Ich meine, das Dorf ist ja nicht all zu groß und früher oder später werden sie vermutlich auch hier nachschauen kommen. Ich kenne mich in eurer Welt zwar nicht aus, aber Hexen sind doch bestimmt in der Lage sich unbemerkt irgendwo umzusehen, oder?“ Ich schaue Arashi fragend an. Der runzelt die Stirn und schaut dann mich an. „Das ist eine gute Idee. Selest?“ „Was?“, will ich von Arashi wissen. „Denkst du ich weiß wie man so etwas anstellt, nur weil ich eine Zodiac bin? Huhu… ich bin eine blutjunge Anfängerin, ich weiß nicht wie man einen Ort vor neugierigen Blicken sichert.“ Also wirklich. Wieso nur glaubt er andauernd, dass ich mich mit Magie und alles was dazugehört auskenne? Das ist echt lästig. Arashi seufzt. „Du bist wirklich ein Hoffnungsloser Fall, Süße“, sagt er dann und schmunzelt leicht. „Streng dein hübsches Köpfchen an, dann kommst du selber drauf.“ „Ist das dein Ernst?“ Ich schaue Arashi ungeduldig an. „Ach du liebe Güte. Es wird wirklich Zeit das Kira wieder wohlauf ist. Dann kann sie sich mit dir herumschlagen“, sagt er leicht säuerlich. „Meckern! Das ist alles was du kannst, oder? Als wenn es meine Schuld wäre, dass ich keine Ahnung von all dem habe. Also wirklich.“ Ich verschränke die Arme vor der Brust und spiele kurz die beleidigte Leberwurst. „Aber da du ja alles weißt, erkläre mir doch bitte, wie ich den Schutz von Julians Wohnung und damit auch Kiras, bewerkstelligen kann.“ „Kira weiß es.“ „Die können wir aber nicht fragen“, pampe ich zurück. „Leute!“, mischt sich Julian in unser kleines Geplänkel ein. „Könnt ihr diesen Ort jetzt sichern oder nicht? Denn wenn ihr euch weiter streitet, wird es egal sein, da sie Kira dann vermutlich schon längst hier gefunden haben. Also?“ Perplex starren wir Julian an. Da hat es uns beide wohl die Sprache verschlagen, was ich bei Arashi noch nie gesehen habe. Eigentlich hat der Vampir immer auf alles eine Antwort parat. Aber gut zu wissen, dass man auch ihn aus der Fassung bringen kann. Das muss ich mir merken. „Da Kira weiß wie das geht, weißt auch du das. Nutze also ihr Wissen.“ Stimmt ja, ich bin ja immer noch mit ihr verbunden. Um nicht noch mehr Zeit zu vergeuden versuche ich genau das zu tun, was Arashi eben sagte. Und so konzentriere ich mich, wie so oft in den letzten zwei Wochen auch schon, auf die Magie in meinem Inneren. Kaum das mir das gelungen ist, suche ich nicht nach Kiras Magie in mir, sondern nach einem Zugang zu ihrem Wissen. Ich habe es gefunden. Farbige Linien und merkwürdige Symbole leuchten vor meinem inneren Auge auf. Dann formt sich aus den farbigen Linien die Silhouette von Kira. Sie deutet auf eines der unzähligen Symbole. Und da weiß ich auch schon, wie ich diesen Ort hier sichern kann. Ich öffne meine Augen wieder, die ich vorher geschlossen hatte und gehe in die Hocke. Auf den Steinboden zeichne ich dann dieses merkwürdige Symbol, welches, als ich damit fertig bin, aufleuchtet und sich dann auf die komplette Wohnung ausbreitet. Ich stehe wieder auf und blicke Arashi an. „Nicht schlecht“, pfeift er und nickt mir anerkennend zu. „Wer hätte gedacht das du das so schnell hinbekommst. Also ich nicht.“ „Nett“, ist alles was ich dazu zu sagen habe. Wie hätte ich auch glauben können, dass er mich mal loben würde. Dieser elende… Ich verabschiede mich mit einem kurzen Wink von Kiras Polizistenfreund und ziehe nun meinerseits, einen vollkommen überrumpelten Arashi hinter mir her. „Glaubst du dass wir das wirklich schaffen?“, frage ich, als wir das Anwesen von Lady Antoniella erreicht haben. Es liegt völlig im Dunkeln, denn wie von Arashi bereits prophezeit, scheint wirklich niemand hier zu sein. Noch nicht einmal Dereks Rudel. Die sind wahrscheinlich auch beim Zirkeltreffen, denke ich mir, immerhin gehören ja auch sie zum Zirkel. Als wir von Julian los sind, dachte ich, dass es ein schwieriger Weg bis hierher werden wird, immerhin ist Halloween und das bedeutet in diesem Dorf hier, dass alle Dorfbewohner auf den Straßen sind und feiern. Und die wissen hier wirklich wie man feiert. Die Straßen waren nur matt beleuchtet. Das reichte aber auch vollkommen aus, denn jedes einzelne Haus war über und über mit Kreaturen der Nacht – Hexen, Teufel, Geister und anderem Grusel verziert und damit jeder der vorbeiging es bewundern konnte, wurden sie noch etwa beleuchtet. Doch all das machten sie nicht für die anderen Dorfbewohner, sondern für die vielen Gäste, die nicht nur aus dieser Gegend, sondern aus der ganzen Welt hierherkommen, um mit ihnen Halloween zu feiern. Und am liebsten, wäre auch ich dort geblieben. Arashi öffnet eines der obersten Fenster in Lady Antoniellas Villa und winkt mich zu sich hoch. Ich zögere kurz, entscheide mich aber dann dafür seiner Aufforderung Folge zu leisten. Ganz alleine bleibe ich nämlich nicht da unten stehen. So klettere ich also erst auf das Vordach und lasse mich dann von ihm ins offene Fenster hieven. Das wäre dann also schon einmal geschafft. Wir stehen in einer kleinen Kammer. „Ich kann dein Herzschlag hören, Selest“, sagt Arashi belustigt und legt eine seiner Hände auf eben dieses. „Es springt dir bald aus der Brust, wenn du dich nicht langsam mal beruhigen tust. Außerdem machst du mich ganz wuschig damit, also höre auf, ja. Es ist niemand hier. Alle sind sie beim Zirkeltreffen und das bedeutet, dass wir freie Hand haben. Und dennoch bedeutet das nicht, dass wir trödeln können, also folge mir endlich.“ Arashi dreht sich um und öffnet die Tür. Dann schlüpft er durch eben diese und ich folge ihm. Mal wieder. Wir gehen einen langen Gang lang, der völlig im Dunkeln liegt. Noch nicht einmal der Mond scheint hinein, sodass ich ängstlich nach Arashis Hand greife. Mir ist wirklich nicht wohl bei der ganzen Sache hier. Doch ich darf keinen Rückzieher machen. Ich muss das hier für Kira durchstehen. „Wieso glaubst du eigentlich, dass wir hier einen Hinweis auf den Aufenthaltsort dieser Wicca-Hexe finden? Ich kann mir nicht vorstellen, dass Lady Antoniella hier irgendwo einen Zettel rumliegen hat, auf dem steht, wo wir sie zu finden haben. Zumal ich ja noch nicht einmal weiß, wie diese Hexe heißt. Du?“ „Nein. Aber wenn wir einen Hinweis darauf finden, dann hier.“ „Weißt du überhaupt wo wir hingehen? Ich kann nicht mal sehen wo wir jetzt sind.“ „Wir kommen gleich zur großen Treppe. Ich war schon ein paarmal hier, also keine Sorge. Wir werden uns schon nicht verlaufen.“ Ich höre wie er verächtlich schnaubt. „Du bist echt ein Angsthase, Selest.“ Na danke auch. Als wenn es was schlechtes wäre, eine gesunde Portion Angst zu haben. Außerdem bewahrt einen die Angst davor dumme Sachen zu machen. So wie dass was du hier gerade tust? Du brichst in die Villa deiner Hohepriesterin ein. Du hast quasi ihre Ziehtochter entführt und versteckst sie vor ihr. Du tust eine Reihe dummer Sachen. Ich schüttele mich und versuche so mein schlechtes Gewissen zu verdrängen. Ich weiß doch selber dass ich hier gerade eine Dummheit begehe. Eine verdammt große sogar. Aber was tut man nicht alles für seine Freunde. Richtig so. Du tust das alles hier für Kira und... auch ein kleines bisschen für dich. Sobald ihr diese besagte Hexe gefunden habt, kannst du sie auch wegen deiner Mutter ausfragen. Sie wird sie bestimmt gekannt haben und wenn nicht, dann erfährst du vielleicht etwas über den Krieg und wie es dazu kam, dass die Wiccas ihn begonnen haben. Das wäre doch auch schon mal was. Mein Gewissen kann sich scheinbar nicht entscheiden was es will. Mir sagen dass ich das richtige tue, oder alles falsch mache, was man nur falsch machen kann. Ich komme mir vor, als sitzt auf der rechten Schulter mein Engel-Ich und auf der linken mein Teufel-Ich. Und beide versuchen mich zu überzeugen, dass sie Recht haben. „Ich mag die Villa nicht“, sage ich und drücke mich dichter an Arashi. Soll er mich doch für einen Angsthasen halten. Ist mir egal. „Schon bei meinem ersten Besuch hier habe ich mich mehr als unwohl gefühlt. Es ist, als wenn das ganze Gebäude einen beobachtet. Gruselig.“ „Den Effekt hat es auf alle. Auch ich bekam so etwas wie eine Gänsehaut, als ich hier das erste Mal war.“ Wie beruhigend. „Wir werden als erstes in ihrer Bibliothek nachsehen und wenn wir dort nicht finden, schauen wir in ihrem Büro nach.“ Arashi öffnet erneut eine Tür und kaum das wir durch sie durchgegangen sind, glaube ich meinen Augen nicht zu trauen. „Wow!“ Also die Bibliothek von Alexandria ist nichts, gegen das was wir hier gerade zu sehen bekommen. Die Alte wohlgemerkt. Vor uns erstreckt sich ein endloser Saal, schätzungsweise größer als hundert Fußballplätze – da kein Ende in Sicht zu sein scheint. Egal wo ich hinsehe – nach rechts, nach links, nach oben, nach… unten? Ich gehe in die Hocke und blinzele ein-, zweimal. Es ist keine Einbildung. Ich stehe auf einem Glasboden, unter dem sich ein weiterer solcher Saal wie dieser hier befindet. Und auch der ist voll mit alten Büchern. Es ist einfach Atemberaubend hier – und Hoffnungslos. „Wie groß ist diese Bibliothek“, will ich wissen. „Und wie sollen wir hier einen Hinweis finden. Es würde wahrscheinlich tausend Jahre dauern, wenn nicht sogar noch länger, bis wir hier alles durchsucht haben.“ „Du wirst staunen wenn ich dir sage, dass man mit Magie alles erreichen kann. Ich habe Kira mal dabei beobachtet, wie sie hierher kam und dann auch schon von irgendwoher ein Buch angeflogen kam und genau in ihren Händen landete. Ach wie wäre es nur schön, wenn auch du eine Hexe wärst. Ach nein warte…“ Seine Worte strotzen nur so voller Ironie, „du bist ja eine.“ Ich boxe ihn leicht gegen die Schulter. Muss dann aber lächeln. „Ich hab‘s ja kapiert“, sage ich resignierend. Ich muss mich halt noch daran gewöhnen. „Doch auch wenn Kira dir so schön demonstriert hat wie man in dieser riesig großen Bibliothek was finden kann, bin ich mir sicher dass es bei ihr nur funktionierte, weil sie genau wusste wonach sie suchte.“ Und wir wissen das leider nicht. Arashi gibt mir keine Antwort, schüttelt nur mit dem Kopf und seufzt laut. „Du machst mich echt fertig, Süße“, denkt er. „Doch leider glaube ich dass du recht hast. Doch wir dürfen nicht aufgeben.“ „Wieso unterhalten wir uns per Gedanken?“ Und wieso tue ich es ihm nach? „Weil mir die Worte fehlten“, offenbart er mir. Er greift nach meiner Hand und führt mich immer tiefer in die Unweiten dieser Bücheransammlung hinein. Ich glaube wir haben jetzt schon über anderthalb Stunden nach irgendeinem hilfreichen Hinweis gesucht. Doch bisher fanden wir nichts außer alte und eingestaubte Bücher. Es ist frustrierend und das, obwohl es irgendwie vorhersehbar war. Unsere Suche ist nämlich gleichzusetzen mit der, nach der besagten Stecknadel im Neuhaufen. Sinnlos. Wenigstens folgt uns ein zauberhaftes Licht – das nenne ich mal 'nen Lichtblick. Und da Arashi deswegen nicht beunruhigt ist, bin ich es auch nicht. „Ich habe was“, höre ich Arashi neben mir sagen. Er zieht einen dicken Wälzer aus einem der Regale hervor und pustet als erstes den ganzen Dreck vom Einband. Ein dunkelgrauer Einband, verziert mit einem verschnörkelten Pentagramm kommt zum Vorschein. „Was ist das für ein Buch“, frage ich und nehme es ihm aus der Hand. Meine Finger streifen zögernd über das Pentagramm, es ist in den Buchdeckel eingraviert. Sofort fühle ich eine warme und wohltuende Magiewelle meinen Körper durchfluten. Und wie von Zauberhand, öffnet sich das Buch. „Was ist jetzt passiert?“ „Dieses Buch öffnet sich nur für Wicca-Hexen, oder für Hexen die unsereins wohlgesonnen sind“, vernehme ich eine freundlich klingende Stimme in meinem Kopf. Ich drehe mich um, kann aber niemanden erkennen. “Wer bist du? Und wo bist du?“, frage ich zurück. Ich zupfe an Arashis Ärmel, doch der rührt sich nicht. Arashi steht unbeweglich neben mir. „Hab keine Angst, Selest. Ich habe deinem Freund nichts getan und will auch dir nichts Böses. Ich bin hier um euch zu helfen.“ „Ach ja“, schreie ich in die Dunkelheit herein. Wieso nur kann ich das nicht so richtig glauben. Herbst 2015, le village de étoiles Kira Vaillant Blinzelnd versuche ich mich zu orientieren und so herauszufinden wo ich hier bin. Irgendwie kommt mir dieser Ort bekannt vor, aber ich komme einfach nicht drauf woher. Dabei sollte das so schwer ja nicht sein, da ich noch nicht an so vielen unterschiedlichen Orten war. Ich stehe vom Bett auf und schaue mich dann noch einmal im Raum um. Auf einem Stuhl neben dem Bett in dem ich bis eben noch schlief liegen ein Pullover und eine Hose. Ich ziehe sie über und als ich mich so betrachte, fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Ich bin bei Julian zu Hause. Wie bin ich zu ihm gekommen? Und wieso bin ich bei ihm? Ich beschließe das Schlafzimmer zu verlassen und mich auf die Suche nach dem Polizisten zu machen. Ich wollte mich ja eh noch bei ihm entschuldigen. Wegen mir weiß er jetzt, dass es Hexen und Vampire gibt und meinetwegen wäre er beinahe verwandelt wurden. Ich hätte ihn einfach nicht mit in die Bar nehmen sollen. Zwar konnte ich nicht wissen das unser Plan so nach hinten losgehen würde, dennoch war es unverantwortlich von mir, einen Menschen mit in eine Bar voller Vampire zu nehmen. Sachte drücke ich die Klinke runter und öffne einen Spalt weit die Tür, zögere dann aber sie ganz auf zu machen, als ich zwei vertraute Stimmen höre. Julian und Ian. „Bist du des Wahnsinns, Kleiner? Hör verdammt noch mal auf deine Zeit zu vergeuden und erledige endlich deinen Job. Je eher du ihn nämlich erledigst, desto schneller komme auch ich hier wieder weg. Dieser Ort macht mich nämlich wahnsinnig.“ Also so schlimm ist unser Dorf nun auch wieder nicht, denke ich und beobachte die Brüder weiterhin. Irgendwas stimmt mit den beiden nicht, ich komme nur nicht drauf was es ist. Am meisten aber stört mich Ian, mit seiner ganzen Art und überhaupt… Ich glaube er ist solch ein Mensch, der nach außen hin freundlich und nett tut, aber in Wirklichkeit ein richtiges Ekel ist. Ich weiß also schon, warum ich ihn vom ersten Moment an nicht leiden konnte. Er kam mir da schon so falsch und hinterhältig vor. Ian setzt sich neben seinen Bruder aufs Sofa und legt den Kopf in den Nacken. Dann ist ein paar Sekunden lang ruhe, bis er wieder zu reden, bzw. meckern beginnt. Er setzt sich aufrecht hin und blickt zu seinem Bruder rüber, der nur starr ins lodernde Feuer des Kamins blickt. „Verrate mir bitte, wie es dazu kommen konnte. Ich will einfach nur verstehen warum du solch eine Dummheit begehst. Du weißt selber wie wichtig dein Auftrag ist, von daher kapiere ich einfach nicht wie du…“ Ich schließe sachte wieder die Tür und setze mich aufs Bett zurück. Dort bleibe ich eine ganze Weile lang sitzen und überlege, was ich als nächstes machen soll. Eigentlich wollte ich ja erfahren warum ich hier bin und wem ich es zu verdanken habe, dass ich hier bin. Die Antwort auf die erste Frage kann ich mir zwar schon selber denken, aber es kann ja nicht schaden sie von Julian persönlich zu hören. Doch so lange sein merkwürdiger Bruder da ist, will ich nicht wirklich nach draußen gehen. Doch kann ich nicht auch einfach hier sitzen bleiben. Vielleicht sollte ich… Eine Hand legt sich plötzlich auf meine Schulter und ich zucke erschrocken zusammen. Ich war so sehr in Gedanken, dass ich nicht mitbekommen habe, dass jemand zu mir reingekommen ist. „Entschuldige“, höre ich Julian sagen. Er setzt sich neben mich aufs Bett. „Wie geht es dir?“ Ich drehe meinen Kopf in seine Richtung und blicke ihn an. „Gut“, antworte ich, auch wenn es nicht ganz der Wahrheit entspricht. Denn merkwürdigerweise habe ich immer noch leichte Schmerzen. „Wirklich? Nun, das freut mich. Ich habe mir Sorgen gemacht, als Selest und Arashi mit dir hier bei mir auftauchten und mich baten so lange auf dich aufzupassen, wie sie nicht hier sind. Sie wollten mir nicht sagen was passiert ist, nur, dass es wichtig ist, dich eine Weile woanders unterzubringen.“ Ich nicke. „Und wo sind die beiden hin?“ „Das haben sie mir nicht gesagt. Alles was ich weiß ist, dass es was mit dir und einer gewissen Antoniella zu tun haben muss.“ Erneut nicke ich. Zu was anderem bin ich irgendwie nicht fähig. Ich weiß auch nicht was mit mir los ist. Irgendwie fühle ich mich… unvollständig. „Ich muss gehen“, sage ich nach einer Weile des Schweigens. Ich muss wenigstens mit Jolina und Constantin reden, wenn schon nicht mit meiner Ziehmutter. Zwar haben die beiden mich auch belogen, aber bei ihnen würde ich es wenigstens noch glauben wenn sie sagen, sie haben es nur getan, weil Antoniella es ihnen befohlen hat. Ich stehe vom Bett auf und bin schon an der Tür angekommen, habe sie sogar schon ein kleines bisschen geöffnet, da wird sie allerdings wieder zugeschlagen. Julians Hand liegt fest auf der meinen. „Das ist keine so gute Idee, Kira“, sagt er mit weicher Stimme. Ich spüre seinen warmen Atem an meinem Hals. „Ich habe es ihm versprochen.“ „Wem hast du was versprochen?“, will ich etwas verunsichert wissen. „Arashi! Und das ich dich beschützen werde“, sagt er. Ich drehe mich so gut es geht zu ihm um und hebe etwas meinen Kopf an, da er gut ein paar Zentimeter größer ist als ich, und blicke in seine dunklen Augen. Voller Wärme und auch ein wenig Traurigkeit, blicken sie mich an. „Wieso?“ Warum musste er ihm das Versprechen? Ich kann immerhin sehr gut auf mich selber aufpassen. „Weil dir etwas genommen wurde“, haucht er. Unsere Gesichter sind sehr nah beieinander, sodass ich seinen Atem jetzt nicht mehr an meinem Hals spüren kann, sondern an meiner Wange. Julians Finger wandern über mein Gesicht und streicheln dabei dachte über meine Wangen. Ich spüre dass ich rot anlaufe. „Was machst du nur mit mir“, flüstert er in mein Ohr. Komisch, denke ich nur. Dasselbe habe ich gerade eben auch gedacht. Und was meint er mit: Weil mir etwas genommen wurde? Sofort beginnt es in meinem Kopf zu arbeiten. Der Überfall von Ioan. Meine Wunde am Hals die nicht heilen will. Selest und Arashi bringen mich aus dem Haus von Fanny weg, weil irgendwas mit Antoniella ist. Mein Körper, der noch immer nicht ganz auf der Höhe zu sein scheint. Was geht hier nur vor sich. Und was um Himmelswillen habe ich verpasst? Zaghaft berühre ich noch einmal mit meiner freien Hand die kleine Wunde an meinem Hals. Dabei höre ich immer und immer wieder Julians Worte. Das ich dich beschützen werde... Weil dir etwas genommen wurde… Ich scheine wie auf dem Schlauch zu stehen, denn ich komme einfach nicht dahinter. Was haben diese Worte nur zu bedeuten. Das ich dich beschützen werde... Vor wem oder was muss ich denn beschützt werden? Ich habe schließlich keine Feinde. Naja, bis halt auf die, die jede Hexe hat – die Hexenjäger, doch die haben sich schon lange nicht mehr blicken lassen. Weil dir etwas genommen wurde… Auch diese Worte ergeben keinen Sinn. Mir wurde nichts genommen. Bis halt auf meine Eltern und nun ja, meine Kindheit – wenn man es genau nimmt. Doch ansonsten… Meine Gedanken wandern noch einmal zurück zu unserem Besuch in der Blutbar: Bloody Mary! Normalerweise hätte ich Ioans Anwesenheit dort spüren sollen, oder wenigstens seine bösen Absichten erkennen. Und dann ist da noch die Tatsache, dass er mich so einfach überrumpeln und beißen konnte. Und der Biss… Noch nie hat mich ein Vampirbiss so aus den Latschen gehauen wie der von Ioan. Ich bin immerhin eine Hexe und wir werden von unserer Magie… Oh mein Gott. Ich drücke mich dichter an die Tür in meinen Rücken ran. Und wie von selbst gleitet meine Hand vom Türgriff. Dann rutsche ich an der Tür herunter. Meine Atmung geht stoßweise. Mir ist, als wenn irgendwas mir die Luft wegschnürt, so sehr schmerzt es beim ein- und ausatmen. „Meine Magie“, flüstere ich und kralle meine rechte Hand in den Pullover den ich trage – genau an die Stelle, unter der sich mein Herz befindet. Es schlägt wie wild und unkontrolliert. Julian hockt sich vor mich hin. Meine Magie ist weg. Herbst 2015, le village de étoiles Selest Peterson Ich glaube einfach nicht dass ich das hier wirklich mache. Das ich einer fremden Stimme folge, und das auch noch alleine. Arashi steht ja immer noch unbeweglich in der unterirdischen Bibliothek rum und spielt Statue. Warum nur hat sie das mit ihm gemacht? Und warum will sie mir helfen. Und wer zum Teufel ist Sie? Ich beeile mich der Stimme weiter zu folgen, wobei das nicht ganz stimmt, denn einer Stimme kann man ja nur bedingt folgen. Also sollte ich lieber sagen ich folge einem Licht, welches die Stimme heraufbeschworen hat. Sie führt mich weit weg von Arashi und hinauf bis in den einzig vorhandenen Turm der Villa. Ich stehe inmitten eines kleinen Raumes. Es ist so winzig, dass gerade einmal Platz für ein Bett und ein Schrank ist. Noch nicht einmal ein richtiges Fenster hat dieser Raum, einzig, ein zu groß geratenes Guckloch ist vorhanden, durch das nur spärlich etwas Mondlicht, ins Zimmer fällt. „Wir sind da“, sagt die Stimme und schon verschwindet das Licht und an dessen Stelle erscheint eine junge Frau… die mir bekannt vorkommt. „Vanessa!“ Ich glaube das war ihr Name. Sie nickt und streckt ihre rechte Hand nach mir aus, ganz so, wie Lady Antoniella es bei unserer ersten Begegnung auch schon getan hat. Und doch strahlt Vanessa eine ganz andere Aura als sie aus – eine, die mich ihr vollkommen vertrauen lässt. Ich gehe zu Antoniellas Haushälterin und greife nach ihrer Hand, die sie mir freundlich entgegenstreckt. Sogleich strömt eine unglaubliche Wärme durch meinen Körper – es ist dieselbe, wie die die ich spürte, als ich dieses Wicca-Buch berührt habe. Und genau diese Tatsache lässt in mir Erleichterung zurück. Vielleicht haben wir ja doch mal Glück, wo uns schon die ganze Zeit über das Pech zu verfolgen scheint. Aber wie heißt es doch so schön: Auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn. Wo wir nun schon einmal dabei sind etwas Glück zu haben, werde ich Vanessa einfach mal nach dem fragen, weswegen Arashi und ich überhaupt erst hierhergekommen sind. Nämlich nach der Wicca-Hexe, die die Bewahrerin der Erinnerungen ihres Zirkels sein soll. „Arashi und ich sind auf der Suche nach einer ganz bestimmten Wicca-Hexe“, sage ich gehetzt. Ich will den Vampir nicht so lange alleine lassen – und ich fühle mich in seiner Nähe sicherer, auch wenn keine Gefahr von Vanessa ausgeht. Doch man weiß ja nie. Noch immer hält Vanessa meine Hand fest und sie macht auch keine Anstalten als wolle sie sie wieder loszulassen. Im Gegenteil, ihr Händedruck immer fester. „Was wollt ihr von ihr?“, fragt sie mich. Ihre Stimme klingt jetzt lauter in meinen Gedanken. Vermutlich weil ich ihr hier, im Gegensatz zur Bibliothek unten, so nah bin. „Wir wollen sie Fragen ob sie weiß, wie wir Kira ihre Magie wieder geben können. Meine Tante hat ihr nämlich, in Lady Antoniellas Auftrag wohlgemerkt, ihre Magie genommen. Aus irgendeinen Grund denken sie das Kira sie verraten wird, doch da irren sie sich. Kira ist eine der freundlichsten und mitfühlendsten Menschen die ich kenne. Sie würde ihre Freunde… nein nicht nur ihre Freunde sondern alle… Sie würde sie niemals verraten.“ Ich mache eine kleine Pause, um einmal kräftig Luft zu holen. Dann fahre ich weiter fort. „Und dann wollten wir sie noch fragen, ob sie weiß, wieso Kiras Eltern diesen Krieg begonnen haben. Wobei ich eher glaube, dass sie hereingelegt wurden. Und dann ist da noch die Tatsache mit meiner Mom. Angeblich soll Ileana, also Kiras Mom, meine umgebracht haben. Ich meine ich habe es gesehen, aber… ich glaube nicht dass das wirklich sie war. Vielmehr bin ich davon überzeugt, dass Kiras Eltern hereingelegt wurden.“ Vanessa drückt meine Hand noch einmal fest, ehe sie sie loslässt. Sie dreht sich um und holt unter ihrem Kopfkissen ein altes und abgenutztes Buch hervor, welches sie mir reicht. Fragend blicke ich sie an. Doch Vanessa drückt es mir Wortlos gegen die Brust und so nehme ich es entgegen. Und kaum das ich es berühre, verändert es sich. Aus dem alten und zerfledderten Buch wird ein vollkommen intaktes, welches nicht nur mit einem goldenen Rand, sondern auch noch mit demselben Pentagramm verziert ist, wie das Buch aus der Bibliothek. „Was ist das für ein Buch“, frage ich zaghaft nach. Es sieht unheimlich wertvoll aus. Vanessa setzt sich auf ihr Bett und schaut aus dem kleinen Fenster heraus. Sie schweigt. „Erinnerungen“, sagt sie dann schließlich mit brüchiger und so leiser Stimme, dass ich sie beinahe nicht verstanden hätte. „In diesem Buch befinden sich die Erinnerungen aller Wicca-Hexen.“ Wow! Das bedeutet dann also… „Endlich habe ich es gefunden!“ Vanessa springt erschrocken von ihrem Bett auf und schiebt mich hinter sich. Keine Sekunde später wird die Tür zu ihrer kleinen Kammer aus den Angeln gerissen und eine mehr als angsteinflößende Lady Antoniella steht vor uns. Grinsend sieht sie erst ihre Haushälterin und dann mich an. „Was geht hier vor sich“, rufe ich panisch und will mich an Vanessa vorbeidrängen, doch sie lässt mich nicht. „Es tut mir leid“, höre ich sie sagen. „Du musst dieses Buch unbedingt Kira geben. Dann begibt euch gemeinsam auf die Reise in unsere Erinnerungen. Kira muss wissen was passiert ist. Ihr müsst Sie aufhalten.“ Hinter mir öffnet sich eine Art Portal und Vanessa gibt mir einen kräftigen schups. Doch bevor ich dadurch falle, werde ich von einer unsichtbaren Macht aufgehalten. „So nicht meine Liebe“, höre ich Lady Antoniella an Vanessa gewandt sagen. „Und du Selest, sei vernünftig und gebe mir das Buch der Erinnerungen. Du kannst damit eh nichts anfangen.“ „Ihr aber auch nicht“, sagt Vanessa und sieht ihre Herrin trotzig an. „Dieses Buch ist nicht für euch bestimmt, sondern einzig und allein für Kira.“ „Das mag jetzt noch stimmen“, sagt sie gehässig. Sie flüstert irgendwelche unverständlichen Wörter und unter Vanessa öffnet sich ein schwarzes Loch, durch das sie fällt. „Nein!“, schreie ich und lasse mich an den Rand des schwarzen Lochs fallen. Mit zitternden Knien sehe ich nach unten in die Dunkelheit. „Wieso habt ihr das getan?“ Ich blicke hasserfüllt zu Lady Antoniella hoch und sie… sie blickt herablassend auf mich nieder. In meinem Inneren tobt eine unsägliche Wut. „Ich habe Vanessa nur am Leben gelassen, weil ich von ihr wissen wollte wo sich das Buch der Erinnerungen befindet“, offenbart sie mir. „Genauso wie ich dich erstmals noch am Leben lassen werde, doch das hängt ganz davon ab wie kooperativ du dich verhältst, also…“ Sie geht zu mir in die Hocke. Ich drücke das Buch ganz fest an meine Brust, doch Lady Antoniella hat scheinbar noch nicht vor es mir wegzunehmen. Stattdessen legt sie ihre kalten Hände an meine Wangen und sofort durchfährt meinen Körper ein unbeschreiblicher Schmerz. Und so schreie ich mir die Seele aus den Leib. „Sage mir wo ich Kira finde und die Schmerzen hören augenblicklich auf.“ Obwohl die Schmerzen schlimmer sind als alles was ich bisher gespürt habe, schüttele ich mutig den Kopf. „Das werde ich euch niemals sagen. Also bitte, tut euch keinen Zwang an und macht weiter. Ich werde Kira nicht verraten.“ Verächtlich schnaubt Lady Antoniella, nimmt dann ihre Hände von meinem Gesicht und überraschenderweise hören die unerträglichen Schmerzen auf. Sie steht wieder auf und blickt abermals auf mich herab. Keuchend falle ich auf den Boden. Das schwarze Loch ist schon längst wieder verschwunden. „Du bist genauso wie sie“, zischt sie. „Loyal bis zum bitteren Ende, hm. Aber gut. Es gibt noch andere Mittel und Wege dich zum Reden zu bringen.“ Wieder hockt sie sich zu mir runter. Ich drücke mich an die Wand hinter mich, kann aber nicht weit genug wegrutschen und so kommt Lady Antoniella mit ihrem Gesicht meinen ganz nahe. „So wie es scheint hängst du nicht sehr an deinem Leben, aber wie sieht es mit… seinem aus?“ Sie legt ihre Finger an mein Kinn und dreht mein Gesicht in Richtung Tür. Ein schwarzer Wolf steht dort – mit gefletschten Zähnen an denen Blut klebt. Und zu seinen Füßen liegt Arashi. Auf einen Wink Lady Antoniellas hin versenkt der Wolf seine Zähne in Arashis Arm. „Hört auf“, schreie ich und die ersten Tränen lösen sich aus meinen Augen. „Tut ihm nicht weh. Bitte.“ „Wusste ich es doch.“ Lady Antoniella lässt mein Kinn wieder los, entfernt sich aber dennoch nicht von mir. Dann gibt sie dem Wolf erneut ein Zeichen und der lässt knurrend von Arashi ab. Arashi windet sich unter Schmerzen, versucht dennoch sich aufzurichten. Allerdings kommt er nicht weit, denn der Wolf legt eine seiner großen Pranken auf seine Brust und hält ihn so am Boden fest. „Arashi!“, flüstere ich seinen Namen. Ich strecke meinen Arm  nach ihm aus, will ihn berühren und wissen ob es ihm gut geht, doch ich erreiche ihn nicht. Es fehlen nur paar Millimeter. „Das ist wirklich rührend“, haucht Lady Antoniella in mein Ohr. „Und, wie sieht es jetzt aus. Verrätst du mir den Aufenthalt von Kira, oder soll Derek noch ein bisschen weiter mit deinem Freund spielen? Ich bin mir sicher ihm würde es gefallen. Er konnte Vampire noch nie leiden.“ Derek? Mit aus schreckgeweihten Augen sehe ich zu dem schwarzen Wolf. Noch immer hält er Arashi am Boden und knurrt ihn immer wieder an, sobald der Vampir sich bewegt. Und was mache ich… Ich kann nichts machen, denn ich bin wie paralysiert. Gelähmt durch den Verrat von Derek. Ich kann einfach nicht glauben dass er das sein soll. Das gerade er Kira so verraten kann, wo er doch eigentlich für ihren Schutz verantwortlich ist. Was soll ich nur tun? Wenn ich nichts sage, werden sie Arashi weiter wehtun, ihn eventuell auch töten. Doch wenn ich etwas sage, dann verrate ich Kira und wer weiß was sie mit ihr vorhaben. „Entscheide dich, Selest“, säuselt Lady Antoniella. „Derek wird langsam ungeduldig. Für einen Loup-Garou wie ihm, ist es keine Selbstverständlichkeit einen verletzten Vampir unberührt zu lassen. Wenn du also wirklich nicht willst dass deinem Freund noch mehr Verletzungen beigebracht werden, oder schlimmer noch, er sogar getötet wird, solltest du jetzt reden. Und falls du dir Gedanken um Kira machst, dann sei versichert. Ich will sie nicht töten und ihr auch sonst nichts tun. Ich will nur das was alle wollen. Macht!“ Und kaum das sie das Wort Macht ausgesprochen hat – mit einer anderen Stimme als zuvor – erkenne ich das Unfassbare. Es ist dieselbe Stimme wie die, die ich in meiner Traumreise gehört habe. Wegen der ich zuvor unzählige schlaflose Nächte hatte. „Ihr seid das also“, flüstere ich. „Ihr seid Lykans Herrin.“ Kapitel 6: Schmerzhafter Verrat ------------------------------- Herbst 2015, le village de étoiles Selest Peterson Letztendlich habe ich mich für Arashi entschieden. Viel Zeit hatte ich aber auch nicht gehabt, ich musste mich schnell zwischen ihm und Kira entscheiden. Und da Arashi schon recht schwer verletzt war und Antoniella damit drohte ihm weitere Schmerzen zufügen zu lassen, viel meine Entscheidung halt auf ihn. Ich konnte den Gedanken einfach nicht ertragen, dass er meinetwegen weiter leiden muss. Dafür ist er mir mittlerweile viel zu sehr ans Herz gewachsen, auch wenn er mir öfters auf die Nerven geht. Ich hoffe nur, dass es Kira gut geht und sie wenigstens durch meinen Schutzzauber vor Antoniella sicher ist. Denn auch sie möchte ich nicht wirklich als Freundin verlieren. Außerdem hat sie so schon genug durchmachen müssen. Genauso viel wie ich. Ich lehne mit meinem Rücken an der kalten Steinmauer unserer Zelle und streiche gedankenverloren mit einer Hand über Arashis Kopf, der in meinem Schoß gebettet ist. Dabei habe ich meine Augen geschlossen. Und während ich hier so sitze, muss ich an ein ganz bestimmtes Bild denken, was mir einfach nicht mehr aus dem Kopf gehen will. Und das hat mit Derek zutun. Nachdem ich nämlich Antoniella verraten habe wo sie Kira finden kann, hat sie Arashi und mich, von diesem verdammten Flohtaxi nach unten in ihren Keller bringen lassen. Und kaum das Derek wieder gegangen ist, schaute er mich mit einem merkwürdigen Blick an. Und genau dieser Blick, lässt mich nicht mehr los. Derek sah mich an, als würde er all das, was er Arashi angetan hat und auch dass er uns nach unten in Antoniellas private Gefängniszelle bringen sollte, nicht gerne macht. Und jetzt frage ich mich natürlich, ob ich mir das nicht vielleicht nur eingebildet habe. Das ich einfach nur nicht wahrhaben will, dass Derek zu sowas imstande ist und uns so verrät. Denn auch wenn er meistens miesgelaunt und recht Wortkarg war, so war ich immer der Meinung, dass sein Herz am richtigen Fleckchen säße. Wieso zum Teufel also, hat er uns verraten? „Worüber denkst du jetzt schon wieder nach, Selest?“ Arashis Stimme ist hauchdünn, was vermutlich daran liegt, dass es ihm immer noch nicht besser geht. „Und sag jetzt bitte nicht an nichts, denn das kaufe ich dir nicht ab. Du denkst unentwegt an irgendwelche Sachen.“ Ich öffne meine Augen und kann erkennen, dass Arashi zu mir aufschaut. Ich höre mit meinen Streicheleinheiten auf, woraufhin ich ein brummen von ihm ernte. „Ich muss irgendwie an Derek denken“, sage ich dann mit brüchiger Stimme. „Oder besser gesagt an seinem Blick, mit dem er mich bedacht hatte, kurz nachdem er uns hier einsperrte. Irgendwie wirkte er, als würde er gegen seinen Willen handeln.“ Ich seufze und beginne wieder damit durch Arashis Haare zu streichen. „Ich habe mir das doch bestimmt nur eingebildet, oder? Ich meine, als wir oben in Vanessas Zimmer waren und er dich gebissen hatte, da kam es mir so vor, als wenn er sich darüber freut, dich angreifen zu dürfen.“ „Das Gefühl hatte ich auch“, ächzt er und erhebt sich vorsichtig. Arashi lehnt sich neben mich an die Wand an, was zur Folge hat, dass meine Hand von seinem Kopf rutscht. „Doch wer weiß, vielleicht hast du recht und Derek tut das alles nicht freiwillig. Ich kenne ihn schließlich schon länger als du und bisher war er immer jemand, der sich für die Schwachen eingesetzt hatte. Er ist durch und durch ein Mann der Ehre. Und das er jemandem tritt der schon am Boden liegt, passt einfach nicht zu ihm.“ „Und warum hilft er dann Antoniella? Doch wohl nicht weil sie seine Hohepriesterin ist und er ihr gehorchen muss, oder? Er ist doch ein freier Mann.“ Irgendwie ergibt das alles keinen Sinn. Oder zumindest erschließt sich mir keiner. Ich reibe mir die Oberarme und klappere etwas mit den Zähnen. In unserer Zelle ist es eiskalt, dreckig, modrig – einfach nur verdammt ungemütlich. Ach, und Dunkel ist es auch noch. Und ich mag keine Dunkelheit. Ich dränge mich dichter an Arashi an, der augenblicklich einen Arm um meinen Oberkörper schlingt und mich zusätzlich so noch dichter an sich zieht. Er spendet mir wärme, von der er mehr als genug hat. Ich lege meinen Kopf auf seine Schulter ab und spüre ganz deutlich, wie die Kälte meinen Körper verlässt. „Ob es Kira gut geht?“, frage ich schließlich und schließe erschöpft meine Augen. „Ich frage mich echt, was Antoniella von ihr will… und auch, wozu sie das Buch der Erinnerungen braucht. Vanessa sagte ja das sie es nicht benutzen kann.“ Ich ärgere mich immer noch, dass es Antoniella gelungen ist mir das Buch abzunehmen, kurz nachdem ich Kira an sie verraten hatte. Sie riss es mir regelrecht aus den Händen. „Ich weiß nicht warum sie hinter dem Buch her war, aber was ich weiß ist, dass du dir um Kira erst einmal keine Gedanken machen musst. Antoniella hat sie schon immer wie ein rohes Ei behandelt. Außerdem braucht sie Kira.“ „Ich weiß. Aber das muss dennoch nichts zu bedeuten haben“, sage ich. „Mich braucht sie ja auch noch – oder besser sie will mich wegen meiner Zodiac-Magie – und jetzt siehe nur wo ich bin“, füge ich dem noch hinzu. „Ja. Aber du bist auch nicht ihre Ziehtochter. Glaube mir, Antoniella hat einen Narren an Kira gefressen.“ „Na wenn du meinst“, seufze ich. Ich öffne meine Augen erneut und stelle mich dann vorsichtig auf. Glücklicherweise bin ich nur 1,69m groß. Denn wenn ich auch nur vier Zentimeter größer wäre, so wie Arashi, dann könnte ich hier unten nicht mehr aufrecht stehen. Unsere Zelle ist aber auch sowas von klein. „Wir müssen hier weg“, sage ich bestimmend und sehe mich um. Leider kann ich wegen der Dunkelheit nicht viel erkennen. Doch davon werde ich mich nicht aufhalten lassen. Ich will hier immerhin weg sein, falls Antoniella wieder zurückkommt und das wird sie mit Sicherheit tun. Wer weiß was die olle Hexe mit Arashi vorhat. Und wie genau sie sich meine Zodiac-Macht unter den Nagel reißen will. „Ich glaube kaum dass das so einfach werden wird. Antoniella überlässt nichts dem Zufall.“ „Du kannst gerne hier bleiben“, kontere ich. Als wenn es mich interessiert ob es einfach wird. Schließlich wird im Leben auch niemandem etwas geschenkt. Wenn man etwas will, dann muss man dafür kämpfen. Und genau das werde ich machen. „Glaubst du Kira wusste wie man Feuer macht?“, frage ich und reibe mir erneut die kalten Oberarme. Dann könnte ich mich ein wenig am Feuer aufwärmen und auf der anderen Seite, würden wir dann auch endlich mal was sehen. Hier unten ist es echt stockdunkel. Arashi hat mir noch keine Antwort auf meine Frage gegeben und falls er das doch noch tun wird, so hoffe ich, dass er sich wenigstens in unserer jetzigen Situation, einen seiner so gern benutzten dämlichen Kommentare erspart. Und ich möchte auch nicht, dass er mir angeberisch erklärt, dass ich ja mit Kira verbunden bin. Denn das weiß ich selber. Ich will einfach nur von ihm wissen ob es überhaupt Sinn ergibt, in Kiras Gedanken nach einem Feuerzauber oder so zu suchen. „Einfacher wäre es wenn du bereits über deine Magie verfügen würdest“, sagt er. „Phönix-Hexen sind nämlich so etwas wie Experten, wenn es darum geht ein Feuer entstehen zu lassen.“ Wow! Ich fasse es nicht. Er verzichtet tatsächlich auf einen überflüssigen Kommentar. Das ist ungewöhnlich. Ich schiele kurz in seine Richtung. Doch statt ihn darauf anzusprechen, entscheide ich mich lieber dafür, auf sein gesagten einzugehen. „Hm. Wie schade das heute nicht schon Valentinstag ist“, murmle ich. „Dann wäre das kein Problem.“ Dann wäre dieser dämliche Zauber meines Vaters nämlich futsch und ich könnte endlich meine Zirkelmagie benutzen – oder zumindest erst einmal anfangen sie zu erlernen. „Du hast am 14. Februar Geburtstag?“ Ich höre Unglauben aus Arashis Stimme heraus. Genervt rolle ich mit den Augen. „Ist das etwa ein Problem für dich?“, will ich wissen. Als wenn es ein Verbrechen wäre an diesem Tag Geburtstag zu haben. „Wann hast du eigentlich?“ Über so etwas Banales haben wir noch gar nicht gesprochen. „Heute!“ „Echt?“ Ich pflanze mich wieder neben ihn hin und schaue Arashi an. Auf ein Nicken seinerseits antworte ich nur: „Na dann. Alles Gute zum Geburtstag, altes Haus. Und wie alt ist der Herr geworden?“ Ich bin ja gar nicht neugierig. „Ich bin stolze 105 Jahre alt“, sagt er. Und so wie er klingt, ist er stolz auf sein Alter. Ich lasse einen leisen Pfiff los. „Respekt.“ Das muss man erst einmal hinbekommen. An seinem eigenen Geburtstag in so einem Loch festzustecken. Das nenne ich mal einen wahrlich miesen Geburtstag. „Bereust du es schon, mit mir hierhergekommen zu sein?“ „Es hätte mich schlimmer treffen können. Wenigstens ist die Gesellschaft angenehm. Doch um jetzt auf das Feuer machen zurückzukommen“, sagt er. „Kira konnte es auch recht gut. Als sie noch klein war, ist es ihr mehr als einmal passiert, dass sie eines ausversehen entfacht hat. Meistens passierte es wenn sie sauer war. Oder aber sie hat ein Tornado verursacht.“ Ist ja krass. Doch irgendwo auch gefährlich würde ich meinen. Aber ich schätze das Arashi nicht umsonst erwähnt hat das es passierte als Kira noch klein war. Jetzt kann sie ihre Kräfte bestimmt besser kontrollieren… Meine Gedanken machen eine kleine Pause… konnte, meine ich. Ein Seufzer entfährt mir, als ich erneut an Kira denke und daran, das Antoniella sie vermutlich schon gefunden hat. Hoffentlich hat die alte Hexe mich nicht angelogen, als sie meinte, dass sie ihr nichts tun will. Sachte dreht Arashi mein Gesicht näher zu sich. Liebevoll blickt er mir in die Augen. „Mach dir keine Sorgen, Selest. Kira geht es gut. Du wüsstest es wenn es nicht so wäre. Genauso wie ich.“ „Weil wir noch miteinander verbunden sind?“ „Ja.“ Von einen auf den anderen Moment wird Arashis Blick ganz traurig. Und ich weiß ganz genau was er gerade denkt und mir gleich sagen wird. Doch er irrt sich. „Nein!“, rufe ich empört, als Arashi den Mund aufmachen will und komme ihm so zuvor. „Ich werde uns auf keinen Fall trennen. Wahrscheinlich ist diese Verbundenheit sogar das Einzige, was Kira und auch mich schützt. Und auch das du mit uns beiden verbunden bist ist…“ Ich mache eine kleine Pause, als mir ein Gedanke kommt. Wieso ist mir das bloß nicht schon vor Stunden eingefallen. Das hätte Arashi einiges an Schmerzen ersparen können. „Das können wir gegen Antoniella verwenden“, rufe ich hellauf begeistert. „Sie wird dir nicht mehr wehtun, wenn sie erst erfährt, dass alles was dir schadet, auch Kira schadet. Das wäre doch ein super Test, oder? Ich meine, wenn sie dir was tut dann wissen wir, dass es ihr egal ist ob Kira auch was abbekommt.“ „Deine Idee ist eigentlich nicht schlecht, doch wird das so leider nicht funktionieren“, unterbricht mich Arashi. „Denn solange Kira durch Antoniellas Taten nicht getötet wird, wird es ihr egal sein was mit ihr passiert, solange sie nur das bekommt was sie will.“ „Aber Antoniella sagte doch das sie Kira nichts tun will. Und du sagtest auch das…“ „Nein-nein. Sie will sie nicht töten. Und das ist ein unterschied, meine Liebe. Außerdem kann Antoniella – auch wenn nicht so gut wie deine Tante – jede nicht tödliche Verletzung heilen.“ Verdammt. Dann können wir uns darauf wohl doch nicht verlassen. Und ich dachte schon wir hätten wenigstens einen Trumpf in der Hand. So ein Pech aber auch. Das heißt dann aber auch, dass wir uns erstrecht darauf konzentrieren müssen, so schnell wie nur möglichst, von hier zu verschwinden. Immerhin will ich nicht daran schuld sein, das Kira und Arashi leiden müssen, nur weil Antoniella keinen anderen Weg sieht als über die beiden an mich, und damit auch an ihre Ziele zu kommen. Ich befühle den Boden unserer Zelle. Vielleicht finde ich ja irgendetwas das uns… „Ha“, rufe ich und halte mein Fundstück in die Höhe. Es ist ein abgebrochener Zweig, zumindest fühlt es sich so an. „Was hast du damit vor?“ „Ich brauche etwas womit ich ein Feuer entfachen kann“, erwidere ich und schließe meine Augen. Es wird mal wieder Zeit das ich mir erneut Kiras Wissen über die Magie zu nutzen mache. Ich hole einmal tief Luft und konzentriere mich während ich ausatme. Dann warte ich auf einen passenden Geistesblitz. Es vergeht eine Minute. Dann eine weitere… und schließlich sind es sogar fünf Minuten, doch nichts passiert. Merkwürdig. Gefrustet öffne ich meine Augen und verziehe leicht den Mund, dann schmeiße ich den Zweig wütend zur Seite. „Es funktioniert nicht“, sage ich frustriert. „Ich finde einfach keinen Zugang zu Kiras Magie.“ „Das ist merkwürdig“, wispert Arashi. Ich kratze mich am Hinterkopf, als mir mal wieder ein Geistesblitz kommt – das mir die aber auch nicht früher einfallen können. „Sag mal Arashi. Meine Tante hat doch Kira ihre Magie genommen, richtig?“ Ich warte keine Antwort ab, sondern, rede einfach weiter. „Wie kann es da eigentlich sein dass ich Kiras Magie nutzen kann? Das müsste doch eigentlich nicht möglich sein.“ Was es im Moment auch nicht ist. „Das ist ganz einfach zu erklären, Selest. Seit Kira ihre Magie nicht mehr hat, hast du nicht darauf, sondern auf ihr Wissen zugegriffen. Denn auch wenn eine Hexe oder ein Hexenmeister keinen Zugriff mehr zur Magie hat, so ist deren Wissen darüber, dennoch vorhanden.“ Das ergibt Sinn, doch wieso kann ich dann nicht mehr auf ihr Wissen zugreifen? Bei Julian zu Hause und oben in Antoniellas Bibliothek hat es noch funktioniert. Also muss irgendwas in der Zeit danach passiert sein. Oh nein! „Kira!“, rufe ich erschrocken und drehe mich ängstlich zu Arashi um. „Glaubst du…“ Ich kann diesen Gedanken das ihr was passiert ist, einfach nicht aussprechen. „Nur keine Sorge… Obwohl, wenn du wirklich keinen Zugriff mehr zu ihrem Wissen hast, dann kann das nur eines von drei möglichen Ursachen haben.“ „Und was für welche? Es ist doch hoffentlich nichts allzu schlimmes.“ „Wie man es nimmt“, druckst er herum und zögert so die Wahrheit aus irgendeinem Grund heraus. Ungeduldig schabe ich mit meinen Füßen auf dem staubigen Boden entlang und wirble etwas Staub auf. „Grund Nummer 1 könnte der sein, dass sie von einem verdammt mächtigen Schutzschild umgeben ist, der keine andere Magie durchlässt. Und wenn wir Glück haben – oder besser gesagt wenn Kira Glück hat, dann ist das, doch das glaube ich ehrlich gesagt nicht. Viel mehr glaube ich, dass sich Kira aus irgendeinem Grund in der Anderwelt befindet.“ Er lässt seine Faust auf den dreckigen Boden niedersausen. „Verdammt, Antoniella!“ Ängstlich sehe ich zu ihm. „Was ist denn die Anderwelt?“, will ich wissen, auch wenn mir die Antwort jetzt schon nicht gefallen will. Immerhin spricht Arashis Reaktion Bände. So sauer habe ich ihn noch nie erlebt. „Die Anderwelt ist eine Paralleldimension zu der unseren. Und leider ist es auch, seit mehr als 50 Jahren, die Heimat einer der gefährlichsten Hexenjägerfamilien. Das sie ausgerechnet mit dem Kynigós Clan zusammenarbeitet… Was denkt sie sich nur dabei.“ Jetzt gibt es also auch noch Hexenjäger, denke ich. Als wenn Vampire, Loup-Garou und Wolfsmenschen nicht schon schlimm genug wären. Apropos Wolfsmenschen. „Ich weiß jetzt übrigens wer die Unbekannte aus meiner Traumreise ist“, sage ich und suche mal wieder Augenkontakt mit Arashi. Bei all meiner Sorge um den Vampir und auch um Kira, hätte ich das Wichtigste beinahe vergessen zu erwähnen. Erwartungsvoll sieht Arashi mich an. „Wer?“ „Du wirst es mir nicht glauben, aber es ist Antoniella.“ Und ich hatte Recht, er glaubt es mir nicht. Mit großen Augen sieht er mich an. „Ja! Du hast richtig gehört.“ „Bist du dir sicher?“ „Ja! Ich habe sie an ihrer Stimme erkannt. Oder besser gesagt daran, wie sie das Wort Macht ausgesprochen hatte. Was mich aber verwundert hat ist die Tatsache, dass es eine vollkommen andere Stimmfarbe als ihre eigentlich war. Kann sowas überhaupt vorkommen?“ „Ich gehe mal nicht davon aus, dass Antoniella in der Lage ist ihre Stimme so zu verändern, wie es beispielsweise Komödianten können. Also wird sie wohl eine weitere Persönlichkeit besitzen. Was dann allerdings auch bedeuten würde, dass irgendwer Antoniellas Körper besetzt hat. Du musst wissen, den Körper einer anderen Hexe zu besessen ist eine selten praktizierte Kunst und nicht wirklich zu empfehlen. So etwas zu tun, erfordert den Einsatz von sehr viel Magie. Außerdem kann es passieren, dass man sich selber mit diesem verbotenen Zauber vernichtet. Denn je nachdem wer stärker ist, nach und nach, verschwindet eine der beiden Seelen für immer.“ Huhu. Das jagt mir einen Schauer über den Rücken. „Ähm, willst du damit sagen, dass Antoniella vermutlich gar nicht mehr Antoniella ist…, sondern wer anderes?“ „Im schlimmsten Falle? Ja! Das kann es bedeuten.“ „Also wissen wir doch nicht wer wirklich hinter mir her ist. Großartig.“ Frustriert brumme ich vor mich hin. „Und wer kann deiner Meinung nach ihren Körper übernommen haben?“ „Keine Ahnung. Zumindest erklärt das aber einiges“, flüstert Arashi in seinen nicht vorhandenen Bart. „Schon vor dem Krieg vor 17 Jahren kam es immer mal wieder vor, dass sie binnen Sekunden wie ausgewechselt war. Es passierte immer häufiger bis…“ Er macht eine Pause. „Bis was?“, frage ich nach. Arashi umklammert sein Kinn und denkt kurz nach. „Nun ja… bis sie Kira schließlich bei sich aufnahm“, erklärt er. „Von da an benahm sie sich wieder ganz wie die Alte.“ Hm. Schon merkwürdig. Ich weiß auch nicht, aber je mehr ich von Antoniella – oder der Person die in ihr steckt – erfahre, umso unsympathischer wird sie mir. Und nur der Gedanke daran, von der Frau großgezogen wurden zu sein, jagt mir eine weitere Gänsehaut über den Rücken. Herbst 2015, le village de étoiles Kira Vaillant Ich bin mehr als überrascht Antoniella hier zu sehen. Sie trat eben zusammen mit Derek und Xander aus einem schwarzen Portal heraus und starrt nun auf Julian und mich herab. Böse betrachtet sie uns, die wir immer noch am Boden vor der Eingangstür der Wohnung sitzen. Sobald der erste Schock überwunden ist, stehe ich abrupt auf und renne zu meine Ziehmutter. Ich kralle mich in ihrem schwarzen Overall fest. „Wieso hast du das getan?“, schreie ich sie an. „Wieso hast du mir meine Magie nehmen lassen?“ Wer sonst außer ihr, sollte das veranlasst haben. Antoniella sieht mich mit starrer Miene an und nimmt dann sachte meine Hände zwischen ihre. „Das ist alles zu deinem Besten, Kira“, erwidert sie ganz ohne Emotionen in der Stimme. „Ich beschütze dich nur vor dir selbst. Immerhin hast du deine Kräfte nicht wirklich mehr unter Kontrolle. Dein kleiner Ausbruch vor ein paar Tagen hat das bestens bewiesen.“ Antoniella schiebt mich zu Derek, der mich sofort am Oberarm packt und festhält. Meinen wütenden Blick ignoriert er. Er schaut mich nicht mal an. Also wende ich auch meinen Blick von ihm an und sehe wieder zu Antoniella zurück. Sie schreitet mit selbstsicheren Schritten auf Julian zu, der an seiner Tür angelehnt steht und sich nicht rührt. Seelenruhig steht er da und wartet darauf das Antoniella zu ihm kommt. Kurz vor ihm bleibt sie stehen und mustert ihn feindselig, von oben bis unten. „Was mache ich nur mit dir“, zischt sie ihm bedrohlich entgegen. „Von Ioan habe ich erfahren dass du Mut besitzt. Dass du einen seiner Vampire angegriffen hast und er dich wahrlich gerne in seinen Reihen hätte, aber…“ Antoniella dreht ihren Kopf in meine Richtung. „Du hättest ihn nicht mit in Selest kleine Wahrheitsfindung mit reinziehen dürfen, Liebes. Das war ein großer Fehler.“ Antoniellas Blick bohrt sich in den meinen. Ihrer verfinstert sich bedrohlich und mit einem boshaften Lächeln, wendet sie sich wieder voll und ganz Julian zu. Diesen Blick habe ich schon einmal bei ihr gesehen. Das ist allerdings schon 10 Jahre her. Damals haben Eileen und ich hinter der Villa gespielt, als wir plötzlich von einem jungen Hexenjäger angegriffen wurden. Er wollte uns töten, doch glücklicherweise hat Antoniella das mitbekommen und kam uns zu Hilfe. Sie stellte sich vor uns und sah den menschlichen Hexenjäger mit genau diesem wahnsinnigen Blick an, mit dem sie jetzt auch Julian bedenkt. Und dieser Blick von ihr versprach damals schon endlose Qualen, denn nicht mal eine Sekunde später, verbrannte sie den Hexenjäger bei lebendigen Leibe und erfreute sich regelrecht an dessen Schreie. „Das darfst du nicht machen“, schreie ich Antoniella entgegen und versuche mich aus Dereks Griff zu befreien, doch es ist zwecklos. Er lässt nicht locker. „Xander“, versuche ich mein Glück nun bei ihm. Antoniella reagiert ja nicht auf mich. „Ich bitte dich. Halte sie auf.“ Doch auch er rührt sich nicht und steht bloß stocksteif da. Was ist nur los mit ihnen? Beide Loup-Garou verhalten sich so vollkommen untypisch. „Tut mir leid, Kira, aber es muss leider sein“, sagt Antoniella und streckt ihre Hände seitlich aus, mit den Handflächen nach oben. Erste Flammen bilden sich in ihnen. Gleich wird es so weit sein, denke ich. Erneut versuche ich mich aus Dereks Griff zu lösen. „Verdammt Julian. Hau endlich ab“, schreie ich ihm entgegen. Sieht er denn nicht, dass er hier in Gefahr ist? Scheinbar kennt der Kerl wirklich keinerlei Angst. Er reagiert nicht einmal auf die bedrohlich wirkenden Flammen, die immer größer werden und den gesamten Raum aufheizen. Es wird nicht mehr lange dauern und Julian wird von den Phönix-Flammen verschluckt werden. Wenn ich doch nur meine Magie noch hätte. Dann könnte ich es problemlos mit Antoniella aufnehmen. Zwar ist sie eine Hohepriesterin, doch wenn ich wütend genug bin – und das bin ich – dann hat noch nicht einmal so ein mächtiges Zirkeloberhaupt wie sie es ist, eine Chance gegen mich – oder gegen Selest, doch auch die ist leider nicht hier. Wo sie wohl steckt? Jahrelang habe ich meine angeborene Zirkelmagie trainiert, habe sämtliche Bücher über die Wicca-Hexen durchgelesen die ich finden konnte und habe alles ausprobiert, was dort drin stand. Natürlich immer nur dann, wenn keiner in der Villa war, allen voran Antoniella nicht, da ich ganz genau wusste das sie mein Selbststudium nicht gutheißen würde. Sie wollte schließlich nie dass ich mich mit meinem Zirkel auseinandersetze und jetzt weiß ich auch wieso. Weil sie tief in ihrem Inneren Angst hatte – Angst, dass ich sie eines Tages übertreffen könnte. Ich habe lange an mir selbst gearbeitet. Habe bis spät in die Nacht damit verbracht besser zu werden, bis es mir schließlich gelang meine Magie zu kontrollieren. Nur manchmal, wenn ich mehr als traurig, wütend oder unsicher war, brach meine Magie unkontrolliert aus mir heraus. So auch vor wenigen Tagen, als ich von Selest die angebliche Wahrheit über meine Eltern erfuhr. Wenn ich nämlich all das zusammennehme und auch die Tatsache, dass meine Ziehmutter mir gestern Nacht klamm und heimlich meine Magie nahm, dann kommt der Gedanke in mir auf, dass Antoniella vielleicht doch von meinem Training erfuhr. Das würde dann auch erklären, warum sie nicht böse oder gar entsetzt darüber war, als ich ihr vor drei Jahren sagte, dass ich meine Magie nicht mehr anwenden werde. Doch wieso sollte sie glauben dass ich sie übertreffen will oder mich gar gegen sie stelle? Ich verstehe das nicht. Habe ich ihr jemals einen Grund zu dieser Sorge gegeben? Ich glaube nicht. Doch das sollte erst einmal nicht weiter meine Gedanken beherrschen. Vielmehr sollte ich mich darauf konzentrieren sie aufzuhalten, damit sie Julian nicht tötet. „Komm zur Vernunft, Antoniella. Das kannst du nicht tun“, bitte ich sie. Doch scheinbar hört sie mich nicht. Die Phönix-Flammen haben sie vollständig umhüllt und tanzen ruhig um ihre Herrin herum. Glücklicherweise hat sie sie noch nicht auf Julian gehetzt. Es besteht also doch noch Hoffnung für ihn, auch wenn sie hauchdünn zu sein scheint. Dann, ganz plötzlich, werden die Flammen unruhiger und es sieht fast so aus, als würden sie mit Julian spielen. Als würden sie nur darauf lauern, ihn endlich verbrennen zu dürfen. Ich kann es kaum glauben, denn normalerweise sind die Phönix-Flammen das Symbol des Phönix-Zirkels – und dazu da, die Phönix-Hexen zu verteidigen und sie zu beschützen. Für einen solch offen angelegten Angriff sind sie nicht bekannt. Ein weiteres Mal noch versuche ich mich aus Dereks Griff zu befreien und sammle all meine verbliebenen Kraftreserven zusammen. Und tatsächlich… ich schaffe es mich loszureißen, und das scheinbar im richtigen Moment, denn die Flammen vollführen noch einen letzten Tanz um Antoniella herum. Dann greifen sie auf Julian über. Todesmutig springe ich dazwischen. Unter Schmerzen öffne ich meine Augen und versuche mich langsam zu orientieren. Mein Blick ist total verschleiert und ich kann nicht wirklich was erkennen. Ich weiß noch dass ich mich vor Julian gestellt habe und somit die Flammen mich und nicht ihn berührt haben. Doch was ist danach passiert? Hat Antoniella sie vielleicht zurückgerufen? Oder bin ich gar tot? Um Gewissheit zu bekommen was passiert ist, hole ich erst einmal kräftig Luft und kneife meine Augen mehrmals zusammen. Ich versuche so einen klaren Blick zu bekommen. Und kaum das ich endlich was erkennen kann, traue ich meinen Augen nicht. Julian hockt neben mir und weißes Licht umhüllt meinen Körper. Er heilt mich. Wieso kann er das? „Was?“, bringe ich trotz seiner Heilung quälend und unter Schmerzen hervor. Julian öffnet seine Augen und lächelt mich traurig an. „Das hättest du nicht tun sollen, Kira“, sagt er mit gequälter Stimme. Dabei könnte er ruhig etwas dankbarer sein, immerhin habe ich ihm das Leben gerettet. Ich dränge meine Gedanken rund um Julian zur Seite und denke lieber erst einmal nicht darüber nach, wieso er heilen kann. Sachte drehe ich meinen Kopf von der einen zur anderen Seite. Derek und Xander liegen beide – in ihrer Wolfsform – an der Stelle, wo sie bis vor kurzem noch gestanden haben. So wie es aussieht, hat irgendwas sie dazu gebracht, sich verwandeln zu müssen. Was ist nur vorgefallen während ich weg war. Und wo steckt überhaupt Antoniella? Ich sehe mich weiter um und kaum das ich meine Ziehmutter gefunden habe, höre ich auch schon eine mir bekannte und gleichzeitig verhasste Stimme. Es ist die von… „Was hast du dir nur dabei gedacht, dich ohne deine Magie vor die todbringenden Flammen zu stellen, Schätzchen?“ … Ian. Julians idiotischem, großen Bruder. Was zum Henker macht der hier? … Und woher weiß er das mit meiner Magie? Ich kneife mir sachte in den Arm, es tut weh – also ist es kein Traum – Schade. Nachdem das also geklärt ist, auch wenn hier absolut nichts einen Sinn ergibt, hefte ich meinen Blick auf Ian und damit auch auf Antoniella. Beide stehen sich gegenüber und während meine Ziehmutter Ian wütend anfunkelt, lächelt er ihr provozierend zu. Trottel. Ich starte einen Versuch mich aufzusetzen, doch Julian drückt mich sofort wieder runter. „Das ist keine so gute Idee“, sagt er und blickt immer noch so traurig drein. Irritiert blicke ich zu ihm auf, doch da fährt er schon fort. „Die Flammen haben dich übel erwischt. Nur etwas länger, und du wärst tot gewesen. Glücklicherweise ist aber Ian hier aufgetaucht und hat ohne zu zögern den Feuerteufel angegriffen, sodass die Flammen fürs erste wieder verschwunden sind.“ Na toll. Also verdanke ich mein Leben nicht nur Julian, sondern auch Ian? – Großartig, einfach großartig. Julian will mir helfen mich aufzusetzen, doch ich schlage seine helfende Hand weg. Ich will seine Hilfe nicht. Mag vielleicht ein wenig egoistisch rüber kommen, nachdem er mich schon geheilt hat, aber ich habe gute Gründe dafür. Enttäuscht steht Julian auf und stellt sich neben seinen Bruder, der nur wenige Schritte von uns entfernt steht. „Nun nimm es nicht so schwer, Brüderchen“, sagt Ian und zwinkert mir kurz zu. „Junge Hexen sind immer schon eigensinnig gewesen. Lass ihr noch etwas Zeit, sie wird schon noch begreifen, dass wir ihr gerade das Leben gerettet haben. Außerdem haben wir jetzt erstmal etwas Wichtigeres zu tun, als deiner Angebeteten irgendwas zu erklären. Die Gute hier vor uns hat nämlich vor, erneut ihre niedlichen kleinen Flammen zu rufen und uns mit deren Hilfe zu verbrennen.“ Völlig sprachlos blicke ich zu Ian. Der hat sie doch nicht mehr alle, denke ich. Wie kann er nur so über Antoniella reden. Meine Ziehmutter sieht das übrigens ganz genauso, denn sie funkelt ihn mehr als sauer an. Keine Sekunde später macht sie dann auch das, was Ian eben gesagt hatte. Sie ruft erneut ihre Flammen zu sich, die sie ohne große Umschweife, komplett umhüllen. Das ist schlecht. „Verschwindet von dort“, schreie ich den beiden zu. „In ihrem jetzigen Zustand ist sie unberechenbar. Ian quietscht vergnügt auf. „Wow. Macht sie sich ernsthaft um uns beide sorgen? Dabei kam es mir bei unserem ersten Zusammentreffen schon so vor, als könne sie mich nicht wirklich leiden.“ Wo er Recht hat. „Na egal. Um uns braucht sie sich keine Sorgen zu machen. Wir haben unsere Magie ja noch. Also lass uns das hier schnell noch zu Ende bringen und dann schleunigst von hier verschwinden. Mir fehlt unser zu Hause.“ Antoniellas Flammen greifen unkontrolliert auf alles über. Sie verschlingen das grüne Sofa, den gleichfarbigen Sessel und gehen auch auf die Kommoden und den Tisch über. Sie vernichten einfach alles was ihnen in den Weg kommt – doch glücklicherweise machen sie um die beiden ohnmächtigen Loup-Garou, Xander und Derek, einen großen Bogen. Doch vor Julian und dessen unsympathischen Bruder werden sie keinen Halt machen, ganz im Gegenteil – sie suchen sich bereits erbarmungslos einen Weg zu ihnen, bereit, die beiden endlich zu verschlingen. Ich krieche auf beide drauf zu, zum Aufstehen fehlt mir, trotz Julians Heilung, eindeutig die Kraft. Auch Julian und Ian entfachen ein Feuer, wenn auch wesentlich kleiner als das der Phönix-Flammen von Antoniella. Und auch farblich unterscheidet es sich. Denn es ist nicht rot, sondern schwarz. Ich habe es doch geahnt. Jetzt ergibt Julians trauriger Blick, den er mir zugeworfen hatte, nachdem ich wieder zu mir kam, auch einen Sinn, Vermutlich wollte er nicht, dass ich herausfinde was er und sein Bruder sind. „Ihr seid Hexenjäger“, wispere ich mehr zu mir selber, als zu den beiden. Dennoch haben sie mich verstanden. „Schlau ist sie ja“, scherzt Ian, während er seine schwarzen Flammen spielerisch um die Phönix-Flammen tanzen lässt. „Auch wenn es ganz schön gedauert hat, bis sie hinter unser kleines Geheimnis gekommen ist.“ Julian verpasst seinem großen Bruder einen Stoß in die Rippen, der sich daraufhin mit einem schiefgrinsenden Sorry bei ihm entschuldigt und sich dann wieder voll und ganz auf den kleinen Kampf mit Antoniella konzentriert. Merkwürdigerweise war die bisher sehr ruhig, fast schon zu ruhig. Sie hat kein einziges Wort gesprochen, seit ich wieder zu mir gekommen bin und das finde ich besorgniserregend. „Es macht wirklich Spaß mich mit ihnen zu messen, aber wir sollten diese kleine Scharade hier und jetzt beenden und endlich ernst machen. Kira, mein Brüderchen und ich haben noch eine wichtige Verabredung mit unserem Vater.“ Vater? Ich dachte der ist tot? Ians schwarze Flammen ziehen sich plötzlich zurück, doch keine Sekunde später legen sie sich wie ein dunkler Schatten um uns alle. Herbst 2015, Anderwelt Kira Vaillant Als ich das nächste Mal meine Augen öffne, liege ich in einem fremden Bett – mal wieder – und fluche als erstes vor mich hin. Das ist jetzt schon das zweite Mal, innerhalb von wenigen Minuten, dass ich scheinbar das Bewusstsein verloren habe. Das sollte echt nicht zur Gewohnheit werden. Ich streife die Zudecke von mir uns stehe auf. Bei Julian zu Hause bin ich nicht mehr, doch wo bin ich dann? Ich durchquere das große Zimmer, in dem nur das Bett und ein Schrank stehen. Ich steure die schwer aussehende Holztür an und greife nach der Klinke, drücke sie leise nach unten. Mit einem unüberhörbaren quietschen öffne ich die Tür. Mist, dabei wollte ich doch leise sein. Ich trete aus dem Zimmer heraus und vor mir erstreckt sich ein langer Gang, der mich ein bisschen an die Unterkunft der Vampire erinnert, auch wenn dieser Gang hier mehr altertümlicher ist. Ich höre Schritte die näher kommen, also laufe ich schnell wieder zurück und lege mich wieder ins Bett und decke mich bis oben hin zu. Draußen im Gang gab es leider keinen Ort an dem ich mich hätte verstecken können. Also bleibt mir nichts anderes übrig als abzuwarten, ob derjenige dessen Schritte ich vernommen habe zu mir will. Ich stelle mich schlafend. Die Tür öffnet sich mit einem quietschen – die sollte mal geölt werden – und schwere Schritte nähern sich dem Bett. Sachte wird meine Zudecke etwas nach unten gezogen, sodass mein Kopf unter ihr hervorkommt. „Na sieh mal einer an“, höre ich Ians belustigende Stimme. Er zieht die schützende Decke noch ein Stückchen weiter weg. „Ich weiß bereits, dass du wach bist, Kira“, sagt er und tätschelt meine Wange. Er setzt sich neben mich. Was soll ich jetzt nur machen? Natürlich könnte ich so tun als würde ich erst jetzt aufwachen, doch bezweifle ich, dass das viel bringt, zumal Ian ja eben schon sagte, dass er weiß das ich wach bin. Obwohl ich weiß wozu er fähig ist – und ich auch weiß dass ich ohne meine Magie nichts gegen ihn ausrichten kann – entscheide ich mich dazu auf Angriff zu gehen. Ich nehme all meinen Mut zusammen, drehe mich Blitzschnell auf die Seite, und schubse Ian mit einer kraftvollen Handbewegung von mir. Dann stehe ich genauso schnell auf und laufe einfach drauf los. Vielleicht finde ich ja draußen irgendwo ein Versteck. Ian ist mitten in den Schrank geknallt und bleibt dort zum Glück für mich, benommen liegen. Leider hält dieser Zustand nicht lang genug an – wäre ja auch zu schön gewesen. Kaum das meine Hand die Klinke berührt und sich sogar die Tür einen Spalt weit geöffnet hat, ist Ian leider auch schon wieder an meiner Seite und knallt die Tür mit einem kräftigen Handschlag wieder zu. „Das war nun wirklich nicht nötig“, flüstert er mir ins Ohr. Ich spüre seinen festen Griff um meine Taille, der sich noch einmal verstärkt. Er dreht mich um, sodass ich mit dem Rücken an der Tür lehne und in zwei wütende und eiskalte Augen blicke. An Ians linker Schläfe rinnt ein frischer dünner Blutstrom, was mich mit leichter Freude erfüllt. Er wischt etwas von dem Blut weg und sieht sich dann seine blutige Hand an. „Ich hoffe es tut weh“, zische ich ihm entgegen und versuche seinem Griff zu entkommen. Was leider zwecklos ist, da Ian wesentlich stärker ist als ich. Das nervt. „Nicht so sehr wie dir dein Herz wehtut.“ Er macht eine kleine Pause. „Habe ich nicht Recht?“, will er hämisch grinsend wissen. Darauf werde ich bestimmt nicht antworten. Vielmehr versuche ich noch einmal seinem festen Griff zu entkommen, aber wieder nichts. Ich schaffe es nicht mal auch nur ein Stückchen von ihm loszukommen. Das ist echt frustrierend. Erst Derek und jetzt auch noch Ian – ich komme mir einfach nur schwach vor. „Was wollt ihr von mir“, frage ich, um nicht weiterhin an meine missliche Lage zu denken. „Ihr und euer toter Vater.“ „Willst du jetzt ernsthaft über meinen Vater reden, Kira?“, fragt mich Ian mit belustigt klingender Stimme. „Da habe ich dich wohl völlig falsch eingeschätzt.“ „Tue ja nicht so als würdest du mich kennen, Ian.“ „Oh, aber das tue ich. Ich weiß alles über dich, Kira und weißt du auch warum?“ Er lässt von mir ab und geht zwei Schritte zurück. Erleichtert atme ich auf und will noch mehr Abstand zwischen uns beide bringen, aber ich kann nicht. So sehr ich mich auch anstrenge, meine Beine bewegen sich nicht. Ian setzt sich auf Julians Bett und lächelt mich von dort aus an. „Interessiert mich nicht“, antworte ich frustriert und versuche erneut mich zu bewegen. Doch keine Chance. „Weil mein liebes Brüderchen uns über alles informiert hat, auch über euren kleinen Ausflug in die Bloody Mary. Er hat uns über jede noch so kleine Kleinigkeit informiert“, sagt Ian immer noch vor sich hin lächelnd und dabei meine Worte ignorierend. Er streicht mit seiner Hand über das Laken und sieht mich dabei mit einem Blick an, dem ich am liebsten ausweichen würde, wenn ich denn könnte. Doch das kann ich nicht. Wieso nur kann ich es nicht? Ich habe Ian keine Magie wirken sehen, aber er ist doch ein Hexenmeister. Nein, korrigiere ich mich selber – er ist ein Hexenjäger. „Es gibt nichts was Julian dir und eurem Vater über uns erzählt haben könnte, weil es nämlich kein uns gibt. Verstanden!“ Recht empört und leicht angeekelt, wegen Ians Behauptung, verziehe ich kurz das Gesicht. „Und selbst wenn, es ist nichts interessantes zwischen deinem verlogenen Bruder und mir passiert. Vor allem nicht das, was du eben angedeutet hast.“ Pfft, so weit käme es noch, dass ich mit dem was anfange. „Na wenn du das sagst“, belächelt er meine Aussage. „Jetzt aber mal Hand aufs Herz, Kiralein. Hast du wirklich geglaubt, dass mein Bruder sich mit dir angefreundet hat, weil er dich mag? Er tut es zwar mittlerweile und das nicht zu knapp…, doch spielt das leider keine Rolle. Im Grunde bist du nichts weiter als ein Auftrag. Unser Vater wollte, dass Julian sich mit dir anfreundet, damit wir es später leichter haben dich zu uns zu holen. Zum Ende hin ist es leider anders gekommen als von uns geplant, doch auch das spielt keine Rolle – du bist ja jetzt hier und die Umstände wie es dazu kam, interessieren niemanden. Jetzt mache nicht solch ein Gesicht“, unterbricht er seine kleine Rede. Emotionslos sehe ich zu ihm. „Ich kann ja verstehen dass das alles etwas zu viel für dich ist und wenn ich ehrlich bin, dann tust du mir schon leid. Ich meine, jahrelang warst du alleine, hattest zwar deine beiden Freunde, deine Ziehmutter sowie deren Enkelin, dennoch fühltest du dich immer einsam. Bis du dann, nach Jahren, endlich jemanden kennengelernt hast. Jemanden, bei dem du dich geborgen und verstanden fühltest – und da war es egal, dass du denjenigen kaum kanntest. Deiner kleinen Freundin erging es ja nicht anders. Auch sie kannte unseren Vampirprinzen nicht wirklich, doch wenn das Herz ruft, dann schaltet sich der Verstand aus. Du hättest wissen müssen, dass es irgendwo einen Haken gibt, Kira. Es gibt bei dir ja immer einen, nicht wahr? Du hast noch nie jemandem vertraut, der nicht zu deiner Familie gehört hat. Doch die Zweifel traten in den Hintergrund. Dein Herz schrie nach Liebe und Zuneigung. Und so warst du einfach nur froh jemanden bei dir zu haben. Jemanden, der einfach nur für dich da war und bei dem du dich frei fühltest. Dem du sogar bereit warst dein, über die Jahre hinweg, verschlossenes Herz zu schenken.“ Er macht erneut eine kurze Pause, die er dazu nutzt wieder aufzustehen. „Und nun... puff, ist all das weg. Du erfährst die niederschmetternde Wahrheit, dass mein Bruder dich im Grunde nur ausgenutzt hat.“ Ian kommt auf mich zu. Sachte und fast schon liebevoll, streicht er meine Tränen weg. „Das schmerzt, hm?“ Ich habe gar nicht mitbekommen das ich zu weinen begonnen habe. Und dann auch noch vor Julians Bruder. Julian! Wie konnte ich mich nur so in ihm täuschen. Ich habe ihm vertraut und war, wie Ian es so schön gesagt hat, wirklich kurz davor, diesem verlogenen Mistkerl mein Herz zu schenken. Wie Dumm ich doch war. Ich hätte es wirklich besser wissen müssen. „Komm mit. Lass uns in unsere Küche gehen und Kaffee kochen und für deinen Tee, Wasser aufsetzen. Julian wird auch gleich da sein. Er ist nur noch bei unserem Vater und berichtet ihm was vorgefallen ist.“ Ian drückt mich ein Stück zur Seite und verlässt dann das Zimmer. Und was mache ich... ich laufe ihm tatsächlich hinterher, auch wenn alles in mir schreit wegzurennen. Was zum Teufel ist nur mit mir los. Wenn ich laufen will, kann ich es nicht. Und wenn ich nicht will, kann ich es. Wie macht Ian das nur. Ohne also eine andere Wahl zu haben, folge ich Ian in die Küche, die nur zwei Räume weiter ist. Auf einen Wink von Ian hin, setze ich mich auf einen der Stühle. Und da ich eh nichts anders tun kann, sehe ich Ian dabei zu, wie er die Kaffeemaschine anstellt und den Wasserkessel auf eine lodernde Flamme stellt. Dann kramt er in den Schränken rum und holt drei Tassen heraus, die er auf den Tisch stellt. Dabei zwinkert er mir zu. „Was für einen Tee willst du?“ Wenn er glaubt ich ihm darauf antworte, dann kennt er mich wohl doch nicht so gut wie er denkt. Dieser Idiot. Ich konnte ihn von Anfang an nicht leiden. Zwar hatte ich kaum was mit ihm zu tun, aber die beiden Mal haben mir auch ehrlich gesagt gereicht – wobei ich ihn beim zweiten Mal, ja nicht mal gesprochen, sondern ihn nur mit Julian gesehen habe. Doch auch wenn Ian, bei unserer ersten Begegnung, genauso charmant wie sein kleiner Bruder war, so strahlten seine bernsteinfarbenen Augen etwas kalt aus und jagten mir einen Schauer über den Rücken. Auf der Fahrt nach Siebenbürgen erzählte Julian mir viel von sich und seinem Bruder. Der Tod ihres Vaters brachte die beiden jungen Männer zusammen, nachdem Julian Jahre lang von seiner Tante großgezogen wurde. Sie wurden unzertrennlich – darum ist Ian auch hierher ins Dorf gezogen, um in der Nähe seines Bruders sein zu können. In Julians Augen war Ian der perfekte große Bruder. Ich habe nicht wirklich verstanden wieso das so war, wieso er ihn so vergöttert hat und erst recht nicht, was so besonders an Ian sein sollte. Jetzt weiß ich, dass all das eine Lüge war. Ich hätte wirklich früher dahinter kommen sollen. Julian stellte Ian einfach zu gut, zu perfekt dar. Ich hätte wirklich auf mein Bauchgefühl hören sollen, welches mir sagte, dass mit Ian etwas nicht stimmt – und mit Julian. „Worüber hat dein Bruder mich noch alles belogen?“, frage ich Ian, nach minutenlangem Schweigen. „Euer Vater scheint ja auf wundersame Weise von den Toten wieder auferstanden zu sein. Was ist mit eurer Mutter?“ Ian nimmt sich einen Stuhl, platziert ihn vor meinen und setzt sich rücklings drauf. Seine Arme liegen verschränkt auf der Stuhllehne. Und seine sonst so kalten Augen blicken mich nun traurig an. Das ist das erste Mal dass er mich so ansieht. „Sie starb wirklich, kurz nach Julians Geburt“, sagt er mit brüchiger Stimme. „Und auch das unser Vater ihn dafür verantwortlich gemacht und weggegeben hat, ist wahr. Jahre später – nachdem Vater von einer Wahrsagerin unsere Zukunft vorhergesagt bekommen hat – holte er Julian wieder zu uns zurück. Das ist jetzt knapp 2 Jahr her.“ „Und wieder wurde eine seiner Lügen aufgedeckt. Und… Wie sah diese Zukunft aus? Erfuhr euer Vater das sein Jüngster ihm große Dienste erweisen würde“, frage ich schnippisch. Ich würde nur zu gerne wissen was die Wahrsagerin gesehen hat. „Das, meine Liebe, erfährst du noch früh genug“, sagt Ian. Das traurige in seinen Augen verschwindet und das schelmische kehrt zu ihnen zurück. Das Pfeifen des Wasserkessels lässt mich zusammenzucken. „Oh, dein Wasser ist fertig.“ Ian steht auf und nimmt den Kessel von der Flamme, die sofort ausgeht. Wie schade dass er sich nicht verbrennt hat, denke ich und wende meinen Blick von Ian ab. Ich höre wie er den Kessel neben mir abstellt und dann wieder irgendwo rumkramt. „Also wir haben: Apfel, 7 Kräuter und Roibusch Kaminabend – mmh Orange, Zimt und Marzipan.“ Er sieht zu mir. „Den nehmen wir. Ist zwar noch nicht Winter, aber egal… er wird dir trotzdem schmecken.“ „Was soll der ganze Aufwand?“ Meine Geduld ist so langsam aber wirklich zu Ende. „Was denn? Du trinkst doch Tee.“ „Du weißt genau, dass ich das nicht meine“, schnauze ich ihn an. Bevor er antworten kann, betritt ein großgewachsener und braungebrannter Mann die Küche. Er beäugt mich, lässt mich aber dann links liegen und geht zu Ian. „Hallo Gabriel“, begrüßt Ian den Neuankömmling und umarmt ihn flüchtig. Wer ist das denn jetzt nun wieder. „Was macht sie hier“, fragt besagter Gabriel und deutet auf mich. „Kira?“ Er nickt und nimmt sich eine Tasse Kaffee. „Wir warten zusammen auf unseren kleinen Bruder.“ Auf ihren Bruder? Echt jetzt? Dieser Gabriel ist Ians und Julians Bruder? Also ähnlich sehen die drei sich nicht gerade. Obwohl… eine kleine Ähnlichkeit zu Julian ist schon vorhanden. Nur dass Julian nicht so braungebrannt und auch noch nicht so alt wie dieser Gabriel ist. Ich seufze innerlich. Wieso nur muss es jetzt noch einen Bruder geben? Als wenn zwei von deren Sorte nicht schon reichen würden. Zumal ich eh der Meinung bin, dass drei Brüder, zwei zu viel sind. Ich höre erneut Schritte. Ian vernimmt sie auch und verlässt kurz die Küche. „Hey Brüderchen“, höre ich Ian sagen. Hoffentlich kommt nicht noch ein Vierter. Wobei ich Julian auch nicht sehen will. „Schläft Kira noch?“ Ah. Es ist Julian. Seufzend verdrehe ich meine Augen. Mir bleibt aber auch gar nichts erspart. „Nicht mehr, nein. Wir beide sitzen in der Küche und haben uns bis eben nett unterhalten. Komm rein, Gabriel ist auch da.“ Was heißt hier nett unterhalten? Der spinnt doch, denke ich verächtlich. Ians dunkelblonder Haarschopf erscheint vor mir. Er lächelt mich an und wendet sich dann seinem großen Bruder zu. Nicht dauert nicht lange, da erscheint auch Julian in der Küche. Hoffentlich glaubt der nicht dass ich mit ihm reden werde. Denn das werde ich nicht. Auf gar keinen Fall. Ich schenke Julian einen hasserfüllten Blick. Er schluckt und an seinem Blick erkenne ich, dass er sich mehr unwohl fühlt. Dabei hat er keinen Grund dazu, anders als ich. „Kira!“ Er flüstert meinen Namen und will mir einen Kuss auf die Wange geben. Ich wende mich aber von ihm ab, woraufhin er die Augen niederschlägt. Er seufzt traurig und wendet sich dann seinen beiden Brüdern zu. „Das sie so reagiert war ja wohl zu erwarten, Mann. Hättest du mal lieber auf mich gehört als ich dir sagte, dass du dich nicht zu sehr auf sie einlassen sollst. Aber du wolltest ja nicht auf deinen großen und weisen Bruder hören“, sagt Ian gut gelaunt. Er geht zur Kaffeemaschine, stellt sie aus und gießt sich dann was von dem widerlichen Gebräu ein, was sich Kaffee schimpft. Irgendwie habe ich das Gefühl das sich Ian gerade Pudelwohl fühlt. Wahrscheinlich genießt er das hier regelrecht. Scheißkerl. „Was hast du ihr erzählt?“ Angst schwingt in Julians Stimme mit. Ha, da geht ihm wohl der Arsch auf Grundeis. Gut so. Julian wartet keine Antwort von Ian ab. Er geht vor mir in die Hocke und legt seine Hände auf meine Oberarme. „Kira, ich...“ Ich fege sie weg. „Fass mich bloß nicht an, du, du... verdammter Mistkerl, du.“ Erschrocken zuckt Julian zurück. Das ist das erste Mal das er mich wütend erlebt. „Kira“, versucht er es erneut. „Ich weiß wie ich heiße.“ Ich bin sauer und das kann er ruhig wissen. „Und, hat es dir Spaß gemacht mir die letzten Tage über was vorzumachen? Mich anzulügen und mein Vertrauen zu gewinnen? Dein Daddy wird bestimmt mächtig stolz auf dich sein, weil du geschafft hast, was niemand vor dir geschafft hat. Weißt du überhaupt warum ich so verschlossen bin? Warum ich kaum jemanden an mich ran lasse? Weil ich in meinem Leben schon viel zu oft verlassen wurde. Das passiert nämlich wenn du jemanden an dich ran lässt. Entweder sie verlassen oder sie verletzen dich. Und das einzige was bleibt ist die Leere in deinem Herzen. Ich dachte wirklich du wärst anders, nein, ich wünschte mir du wärst anders. Aber wieder einmal hat sich bewahrheitet was ich immer schon wusste. Ich bin alleine.“ „Das stimmt nicht, ich... Anfangs ja, das gebe ich zu, da habe ich dir was vorgemacht. Mein Vater wollte dass ich dein Vertrauen gewinne, damit du dich uns freiwillig anschließt. Das würde alles einfacher machen, sagte er und ich... ich wollte ihn stolz machen. Wollte dass er nicht bereute mich wieder zu sich genommen zu haben. Doch je mehr Zeit ich mit dir verbrachte, desto unsicherer wurde ich. Ich zögerte das unausweichliche hinaus und...“ „Bist du des Wahnsinns, Kleiner?“, höre ich Ians Worte, laut in meinem Kopf widerhallen. „Oh ja, das tat er wirklich.“ „Hör verdammt noch mal auf deine Zeit zu vergeuden und erledige endlich deinen Job.“ Das hat er vor einigen Stunden zu Julian gesagt. Also hat er das damit gemeint. Doch was bedeutet das jetzt für ihn und mich? Vertrauen kann ich ihm nicht mehr, aber… „Ich weiß auch nicht aber, dann ist es einfach passiert. Ich habe mich in dich verliebt, Kira.“ Er sieht mir direkt in die Augen. „Bitte, das musst du mir glauben. Ich wollte dir nie wehtun.“ „Doch das hast du“, flüstere ich. „Und bei all deinen Lügen, Julian, wieso sollte ich dir da noch vertrauen? Wie könnte ich da noch irgendetwas, von dem was du sagst, glauben“, frage ich mit gequälter Stimme. „Weil es die Wahrheit ist“, haucht er so leise das ich ihn kaum verstanden habe. Er umschlingt meinen Körper und legt dann seinen Kopf in meinen Schoß. „Ich liebe dich.“ Wir bleiben eine ganze Weile so sitzen – ich kann ja eh nicht aufstehen, selbst wenn ich wollen würde – und genießen den kurzen Moment der Zweisamkeit. Es wird wahrscheinlich das letzte Mal sein, dass wir beide uns so nahe sein werden. Und auch wenn es eigentlich falsch sein müsste, fühlt es sich in diesem Moment richtig an. Vereinzelte Tränen lösen sich aus meinen Augen und fallen auf Julians dunkelbraunen Haarschopf. „Gott ist das rührend“, unterbricht uns Ian. Ich hebe meinen Kopf und funkle ihn wütend an. Gabriel, der noch immer neben ihm steht, mustert mich argwöhnisch. „Ich bin ja nur ungern der Spielverderber“, fährt Ian ungeniert fort, „aber wir sollten mal so langsam in die Gänge kommen. Vater ist so schon auf Hundertachtzig, weil sein Plan schiefgegangen ist und Kira nun die Wahrheit weiß. Wir sollten ihn nicht noch zusätzlich reizen, indem wir ihn jetzt warten lassen. Also. Hopp, hopp. Auf mit euch.“ Ich hasse diesen Kerl. Herbst 2015, le village de étoiles Selest Peterson Es hat einfach keinen Sinn weiter nach einem Weg zu suchen, damit wir hier rauskommen. Wir haben wirklich schon alles nur denkbar Mögliche versucht, aber nichts... Ich habe sogar noch einmal den Zugang zu Kiras Wissen gesucht, aber wie schon beim ersten Mal, zeigte sich auch diesmal keine Wirkung. Und auf meine Zodiac-Magie kann ich auch nicht zugreifen, was echt blöd ist. Ich meine, wozu habe ich sie, wenn ich sie nicht dann einsetzen kann, wenn ich will und vor allem wenn ich sie brauche. Gut. Die zwei male als ich sie einsetzte rettete sie mir und Kira das Leben, aber ich konnte sie nicht kontrollieren. Und es wäre schon schön, wenn ich das könnte. Arashi versucht sich wieder an den Gitterstäben des kleinen Fensters, welches unsere einzige Lichtquelle ist. Der Mond scheint hindurch. Ein lautes Fluchen lässt mich aufhorchen. Auch Arashi hält in seiner Bewegung inne. Er stellt sich neben mich und hält den Kopf ein wenig schräg, da Arashi einen Zentimeter zu groß für unsere Zelle ist. Eine wutentbrannte Antoniella tritt vor unsere Unterkunft. „Was hast du getan?“, verlangt Arashi ohne unverzüglich von ihr zu wissen. „Was trieb dich nur dazu mit den Hexenjägern gemeinsame Sache zu machen? Sag es mir.“ Antoniella atmet einmal tief ein und wieder aus, doch so wirklich gebracht hat es nichts. Sie schaut noch immer äußerst sauer drein. Heißt das vielleicht… „Du hast Kira nicht gefunden, richtig“, gebe ich meine Vermutung preis. „Dann ist sie also in Sicherheit.“ Das freut mich. „In Sicherheit?“, schnaubt Antoniella. Ihr wütendes Gesicht verzieht sich zu einer Grimasse. Dann kommt sie langsam immer näher und… „Was?“ Ist das einzige was ich herausbekomme. Antoniellas Körper wird zu schwarzem Rauch, der durch die Gitterstäbe hindurch, zu uns in die Zelle steigt. Vor Arashi und mir materialisiert sie sich wieder und steht nun in voller Größe vor uns. Doch ist sie umringt von lodernden Flammen. „Kannst du sie angreifen?“, frage ich Arashi. „Nein. In ihrer jetzigen Form ist viel zu mächtig. Was auch immer bei Julian zu Hause passiert ist, es hat sie verändert.“ „Ihr irrt euch. Kira ist alles andere als in Sicherheit“, zischt Antoniella mir entgegen. „Vielmehr ist es eure Schuld, dass sie nun in den Händen des Kynigós Clans ist. Ihr habt sie bei einem Hexenjäger versteckt.“ Arashi und ich blicken uns erschrocken an. „Wir haben sie doch bei Julian gelassen“, sage ich irritiert. „Arashi?“ Hilfesuchend blicke ich ihn an. „Verdammt!“ Er ballt seine Hände zu Fäusten. „Doch keine Angst. Kira wird schon bald zu uns zurückkehren. Oder besser gesagt, sie wird zu euch zurückkehren.“ „Und wie soll sie das machen?“, zischt Arashi. Er steht kurz davor auf sie loszugehen und das, obwohl er mir eben noch sagte, dass er nichts gegen sie ausrichten kann. „Wenn es stimmt was du sagst und Kostja sie jetzt hat, dann wird er sie wohl kaum freiwillig wieder gehen lassen.“ „Von freiwillig war keine Rede, mein Lieber.“ Sie macht einen weiteren Schritt auf uns zu. Arashi will mich gerade hinter sich schieben, da bricht er plötzlich, unter großen Schmerzen, auf dem Boden zusammen. „Was hast du mit ihm gemacht?“, schreie ich. Panisch will ich mich neben ihn knien, doch da stellt sich Antoniella mir in den Weg. Versperrt mir so die Sicht auf Arashi. „Mache dir lieber sorgen um dich, Selest. Denn du wirst mir gleich helfen Kira zu mir zu holen. Und glaube mir…“ „Das werde ich ganz bestimmt nicht machen“, unterbreche ich sie. „Was wollen sie überhaupt von ihr?“ „Und ob du das wirst“, zischt sie gehässig und ballt nun ihrerseits ihre rechte Hand zur Faust. Und in genau dem Moment breitet sich, tief in meinem Innern, ein unerträglicher Schmerz aus. Keuchend gehe nun auch ich zu Boden. Antoniella hockt sich zu mir und streicht mir mit ihrer Flammenhand eine verschwitzte Strähne aus der Stirn. Es brennt, dort wo sie mich berührt. Krampfhaft versuche ich nach Luft zu schnappen, doch die Schmerzen verhindern das. „Und weißt du auch warum?“ Ich schüttle den Kopf, denn ich will es nicht wissen. „Glücklicherweise seid ihr miteinander verbunden und das bedeutet..., dass Kira alles spürt, was auch du spürst.“ Oh bitte nicht. Ich kann mir ganz genau vorstellen was Antoniella mit diesen Worten meint. Und darum ist es für mich auch nicht überraschend, dass die Schmerzen, die sie mir noch immer zufügt, stärker werden. Gequält schreie ich auf. In Antoniellas Augen kann ich erkennen, dass sie Freude daran hat mich leiden zu sehen. Wie kann man nur so eiskalt sein. „Kira wird nicht lange brauchen um zu begreifen, dass du in Schwierigkeiten steckst. Und da ich weiß wie Kira ist, wenn andere ihretwegen in Gefahr sind…, weiß ich, dass sie kommen wird um euch zu retten.“ „Wie…?“ Ich schaffe es nicht weiterzusprechen, da mir der unerträgliche Schmerz den ich verspüre, immer noch die Luft abzuschnüren scheint. „Du fragst dich wie sie das machen soll? Ganz einfach. Ich werde ihr ihre Magie wieder geben. Und sobald sie sie hat, wird sie durchaus in der Lage sein, sich diese Hexenjäger vom Hals zu halten. Auch wenn es sich bei ihnen um den Kynigós Clan handelt.“ Sie macht eine kleine Pause ehe sie fortfährt. „Es ist nur von Vorteil für mich, dass Kostja denkt, das Kira eine Zodiac ist. Er weiß nicht, dass er mit ihr die falsche Hexe hat.“ Antoniella erhebt sich wieder und geht in unserer kleinen Zelle auf und ab. Nach gut fünf Minuten des Schweigens, wirbelt sie zu uns herum. „Das ist es“, ruft sie freudestrahlend heraus und blickt auf Arashi und mich herab. „Oder aber... Ich werde dem guten alten Kostja einen Tausch anbieten den er nicht abschlagen kann.“ Ihr Gesicht ziert ein unheimliches Grinsen, welches in mir ein ganz mieses Gefühl hervorruft. Was hat sie vor? Kapitel 7: vertrauter Feind --------------------------- Herbst 2015, le village de étoiles Selest Peterson Ich weiß nicht wie lange genau Antoniella mich gequält hatte. Doch was ich weiß ist, dass es lange genug war und ich kurz davor war sie anzuflehen damit aufzuhören. Ich habe die Schmerzen einfach nicht mehr ausgehalten, denn sie waren unerträglich und ich glaube auch nicht, dass ich jemals schlimmere Schmerzen verspürt hatte, noch nicht einmal in meinen Träumen, in denen Lykan mich nächtelang getötet hatte. Denn auch wenn es nur Träume waren, Träume die irgendwann noch wahr werden sollen, spürte ich alles so, als würde es gerade wirklich passieren. Doch es waren nur Vorahnungen. Es war… oder es ist noch immer, mein Schicksal. Ein unausweichliches Schicksal. In der ganzen Zeit in der Antoniella mich gequält hatte, lies sie Arashi in Frieden. Mein erster Gedanke war: zum Glück, doch dann wurde mir ja bewusst, dass er auch mit mir verbunden ist und daher dieselben Schmerzen spürt wie ich. Was mich aber stutzig machte war – und das tut es noch immer – dass es keinerlei Anzeichen dafür gab. Arashi lag einfach nur auf seinem Platz, an dem er auch jetzt noch liegt, und rührte sich nicht. Nicht ein einziges Mal. Hoffentlich ist er noch am Leben. Wäre er tot, könnte ich mir das niemals verzeihen. Antoniella steht mit dem Rücken zu mir und murmelt irgendwelche seltsamen Worte vor sich her. Ich verstehe zwar kein Wort, doch weiß ich dennoch ganz genau was das für eine Sprache ist, auch wenn es einige Zeit dauerte, bis ich es herausfand. Es ist die alte und unheilbringende Sprache der Stonehenge-Hohepriesterin Acha. Unter starken Schmerzen versuche ich meine Hand nach Arashi auszustrecken. Ich mache mir wirklich sorgen um ihn, und daher muss ich es einfach wissen. Ich muss wissen, ob er noch am Leben ist. Sanft streicht meine Hand seinen Rücken entlang und zu meiner großen Erleichterung spüre ich, wie sein Körper leicht zittert. Zwar bedeutet das gleichzeitig auch, dass Arashi genauso wie ich noch Schmerzen verspürt, doch zumindest lebt er. Und das ist schon einmal viel wert. Ich robbe näher an ihn ran. „Arashi!“, wispere ich seinen Namen. „Kannst du mich hören?“ Ich bekomme keine Reaktion. Wie sehr wünsche ich mir, dass er mir jetzt einen seiner blöden Kommentare entgegenschmettert, so wie er es sonst auch immer getan hat und mich damit meistens zur Weißglut trieb. Ich würde wirklich alles dafür tun, seine spottende Stimme zu hören. Ich streiche meinem Lieblingsvampir durch die Haare und träume leicht vor mich hin. Eine fremde Stimme dringt an mein Ohr und sofort stoppe ich in meinem Tun. Ich drehe meinen Kopf leicht zur Seite und hebe ihn an. Neben mir steht ein hochgewachsener Mann, der mich interessiert mustert. Wer ist das? Und seit wann ist der hier? „Ist sie das?“, will von Antoniella wissen, die neben ihm steht. Sie nickt. „Ja. Das ist Selest, und sie ist die wahre Zodiac“, kommentiert sie und grinst mich dabei diabolisch an. „Also was ist jetzt, Kostja. Sind wir im Geschäft?“ Der grauhaarige und bärtige alte Mann hockt sich zu mir runter. Er nimmt mein Gesicht in beide Hände und dreht und zerrt es, wie es ihm gefällt. Das tut weh, verdammt. Zischend beiße ich meine Zähne zusammen. Jetzt nur keine Schwäche zeigen. Nicht, wo ich sogar bei Antoniella hart geblieben bin. „Wie kommt es das ihr sie eintauschen wollt, Edema?“ Hä. Wieso denn jetzt Edema? Ich verstehe gar nichts mehr. „Ich dachte auch ihr seid hinter der Macht der Zodiacs her. Und da wollt ihr sie mir wirklich überlassen? Das passt so gar nicht zu euch, meine Liebe. Was hat deine Ziehtochter, was diese Zodiac hier nicht hat?“ Dieser Kostja lässt mein Gesicht wieder los und steht dann auf. Er klopft sich den Staub von den dunklen Klamotten. „Wieso wollt ihr sie so unbedingt wieder haben? Sagt es mir. Es interessiert mich wirklich, da es euch ja egal zu sein schien, dass sie durch deine Folter an der Kleinen hier, ebenfalls starke Schmerzen erlitt.“ „Das geht euch nichts an, Kostja. Also entweder wir tauschen jetzt, oder ihr verschwindet wieder. Doch bevor ihr euch entscheidet… Sagt euren zwei jüngsten missratenen Söhnen, dass ich sie das nächste Mal töten werde, wenn wir uns noch einmal sehen. Denn niemand geht so mit mir um, wie sie es getan haben. Und darüber hinaus sollte dein Jüngster achtgeben, denn ich mag es nicht wie er Kira angesehen hat.“ „Der Junge ist eben verliebt. Und übrigens… Er kümmert sich gerade rührend um deine Ziehtochter. Und auch wenn es ihr anfangs nicht passte, so scheint sie mittlerweile nichts mehr gegen seine Heilungsversuche zu haben. Wenn du mich fragst, dann sieht es ganz so aus, als sei sie auch in ihn ver…“, sagt Kostja, kommt allerdings nicht weit, da Antoniella ihn völlig unerwartet angreift. Ihr Körper ist wieder von diesen Flammen umgeben, mit denen sie nun ihren Gast beschießt. Doch ihr Angriff zeigt bei dem Alten absolut keine Wirkung, da er von irgendeinem schwarzen Rauch umgeben ist, der ihn vor ihren lodernden Flammen schützt. Antoniellas Blick verfinstert sich, als ihr wohl klar wird, dass sie diesem Kostja nichts anhaben kann. „Du hast nachgelassen, meine Liebe“, verhöhnt er sie. „Kann es vielleicht sein, dass die Seele deiner Tochter stärker ist als die deine?“ Was meint er damit? Oh. Ich weiß. Arashi hat mir ja erklärt, dass er denkt, dass Antoniella wohl eine weitere Seele in sich hat. So wie es aussieht stimmt es, und ihr Körper ist von dieser Edema, ihrer eigenen Mutter, besetzt wurden. Allerdings weiß ich nicht ob das gute, oder schlechte Nachrichten sind. Doch bei unserem Glück… Ich wende meinen Blick von den beiden kämpfenden ab und kümmere mich wieder um Arashi. Ich berühre ihn erneut ganz sachte, und diesmal reagiert er. Er hebt seinen Kopf und blickt mir tief in die Augen. „Du musst… von hier… von hier verschwinden“, bringt er unter Anstrengung hervor. Wieso geht es ihm nur so sehr viel schlechter als mir? „Kümmere dich… nicht um… um mich. Du musst…“, dann bricht er wieder zusammen. Erschrocken reiße ich meine Augen aus. „Arashi?“ Mach jetzt bloß keinen Scheiß. „Arashi!!!“ Diese Verdammte… Ich balle meine Hände zu Fäusten und richte all meinen Hass auf Antoniella. Alles was in den letzten Tagen und Wochen, fast schon Monaten – wenn man meine Albträume mit dazurechnet – passiert ist, ist ihre Schuld. Und dafür wird sie büßen. Mein Blick bohrt sich in ihre Flammengestalt. Und wie ich sie hasserfüllt anstarre wünsche ich mir, dass sie von ihrer eigenen Medizin mal kosten kann. Dass sie dieselben Schmerzen verspürt, die sie mir, Arashi und auch Kira zugefügt hatte. Ohne irgendwelche Anzeichen davon, dass Kostja sie mit irgendeiner Art von Magie angegriffen hätte, geht Antoniella schreiend zu Boden. Sie liegt in ihrer normalen Gestalt – nicht mehr von den Flammen umgeben – wie ein Häufchen Elend, auf dem dreckigen Zellenboden. Kann es vielleicht sein… „War… war ich das?“, murmle ich und starre ungläubig auf meine Hände. Sie stehen in Flammen, doch es tut nicht weh. „Nicht schlecht“, höre ich Kostja sagen. Ich blicke in seine Richtung. Er kommt auf mich zu und hockt sich wieder zu mir. „Du scheinst ein Naturtalent zu sein“, sagt er lächelnd. Er blickt nochmal zu Antoniella, die allmählich wieder zu Kräften kommt. „Es gibt jetzt zwei Möglichkeiten die du tun kannst, kleine Hexe“, fährt er an mich gerichtet fort. „Die Erste wäre, dass du freiwillig mit mir mitkommst und die Zweite… nun, du kannst selbstverständlich auch hier bleiben und darauf warten dass Edema wieder bei Kräften ist.“ Er lässt eine kleine Pause. „Also… was darf es sein?“ Ich verstehe nicht wieso er mir die Wahl lässt, wo er doch auch hinter mir her zu sein scheint. Und so schwach wie ich bin, könnte er mich einfach mit sich nehmen und mir dann, bei sich zu Hause, meine Zodiac-Kräfte rauben. Doch warum tut er es nicht? Wieso lässt er mir die Wahl? Aber egal warum. Schlimmer als hier, kann es mir bei ihm nicht ergehen. Und von mir aus kann er sich auch meine Zodiac-Kräfte nehmen, denn so langsam habe ich die Schnauze voll davon, dass jeder ihretwegen hinter mir her ist. Ich will sie gar nicht mehr. „Ich komme mit euch“, hauche ich. „Doch habe ich vorher noch eine Bitte an euch… nehmt auch Arashi mit. Er braucht unbedingt Hilfe.“ Auf ein widerwilliges nicken von ihm hin – begeistert von meiner Bitte ist er nicht gerade – greife ich nach der mir angebotenen Hand und lasse mich, von dem sich ausbreitenden Schatten, der immer noch wie ein Schutzschild um Kostja liegt, verschlingen. Dann wird alles ganz schwarz. Herbst 2015, Anderwelt Selest Peterson Ich schlage meine Augen auf und fasse mir als erstes an den schmerzenden Kopf. Irgend so ein Idiot bohrt in meinem Schädel und verursacht so starke Kopfschmerzen. Ich setze mich aufrecht hin und versuche einen klaren Gedanken zu fassen. Ich weiß ganz genau was mit mir passiert ist und auch, dass dieser Kostja, wer auch immer der alte Mann sein mag, mich mit sich nahm. Mir sogar die Wahl lies. Mir tut alles weh, dennoch setze ich mich aufrecht hin. Ich sehe mich in dem Zimmer um, in dem ich eben aufgewacht bin und springe dann, wie von einer Tarantel gestochen auf, als ich in dem Bett neben mir Arashi liegen sehe. Sanft berühre ich sein Gesicht. „Arashi“, rufe ich seinen Namen, in der Hoffnung dass er mir antwortet und mir bestätigt, dass alles gut ist. Dass es ihm gut geht und wir jetzt in Sicherheit sind. Doch nichts dergleichen passiert. „Er wird wieder“, vernehme ich Julians Stimme hinter mir. Erschrocken drehe ich mich um und haste dann zu ihm. Ich greife nach dem Kragen seines schwarzen Umhangs und ziehe ihn dicht zu mir. „Du hast ihn, wenn auch unbewusst, mit deiner Zodiac-Kraft geschützt.“ „Du hast uns reingelegt“, schreie ich ihn an, ohne mir Gedanken über sein eben gesagtes zu machen. „Verdammt! Wir haben dir vertraut!“ Und nicht nur wir. Kira auch. Ich sehe mich in dem Zimmer um. Doch außer mir, Arashi und Julian ist niemand hier. „Wo ist Kira?“, verlange ich zu erfahren. Hoffentlich geht es ihr gut. Julian löst sachte meine Hände von seinem Kragen und setzt sich dann auf das Bett, in dem ich bis eben noch gelegen habe. Seufzend fährt er sich mit einer Hand durch die Haare, ehe er mich ansieht. „Kira ist in meinem Zimmer. Ihr geht es soweit gut, sie ist nur noch ein wenig ausgelaugt. Antoniellas, nein, Edemas Angriff auf dich, hat ihr ziemlich zugesetzt und ich konnte ihr leider nicht ganz so helfen wie ich es gerne gewollt hätte. Wenn du möchtest, bringe ich dich zu ihr.“ Hm… Ich würde schon ganz gerne sehen ob das was Julian mir eben sagte auch wahr ist, aber ich will Arashi nicht alleine lasse. Wer weiß wer hier noch alles ist, außer Julian und dem alten Mann, der mich und Arashi hierher brachte. „Kannst du Kira nicht herbringen?“ „Du brauchst dir wegen Arashi keine Sorgen machen. Niemand wird ihm hier was tun. Denn auch wenn du mir nicht glauben wirst, aber wir sind nicht die Bösen.“ „Vielleicht. Aber die Guten seid ihr auch nicht“, sage ich mit ernster Miene. Immerhin sind sie Hexenjäger und was jagen sie… Hexen. Und ich bin eine, genauso wie Kira. „Also verzeih, wenn ich dir nicht wirklich glauben schenken kann. Du hast uns schließlich schon einmal angelogen.“ „Ich weiß.“ Julian schlägt die Augen nieder, dann steht er auf. „Und das tut mir wirklich leid, aber… Ich hatte einen Auftrag zu erledigen und egal ob du es mir nun glaubst oder nicht, ich will Kira und auch euch beiden, wirklich nichts Böses. Also entweder du kommst jetzt mit und überzeugst dich, dass es Kira gut geht, oder du wirst sie halt erst später sehen. Ist mir ehrlich gesagt egal wofür du dich entscheidest, obwohl… wenn ich du wäre, würde ich jetzt gleich gehen, da ich dir nicht wirklich versprechen kann, dass du Kira wirklich später noch einmal sehen wirst.“ Was? „Wie meinst du das?“ Ich gehe zwei Schritte auf ihn zu, bleibe dann aber stehen. Ich will ihm nicht allzu nah kommen. „Was habt ihr mit ihr vor?“ „Nichts. Aber mit dir…, so leid es mir tut.“ Ja klar. Als wenn. „Also was darf es sein. Kommst du mit oder nicht. Ich habe noch was anderes zu tun, als hier mit dir zu diskutieren.“ Also ich muss schon sagen… Julian war mir definitiv sympathischer, als ich noch nicht wusste dass er ein Hexenjäger ist und ich ihn stattdessen nur für einen einfachen Polizisten gehalten habe, der doch recht starkes Interesse an Kira hatte. Doch jetzt, jetzt wirkt er anders. Irgendwie… bedrohlicher. Ich werfe noch einmal einen Blick auf Arashi. Er liegt friedlich schlafend im Bett und sein Brustkorb hebt und senkt sich in regelmäßigen Abständen. Ihm scheint es wirklich gut zu gehen und deshalb… „Ich komme mit dir“, sage ich an Julian gewandt und gehe langsam an ihm vorbei. „Doch wehe dir, du hast schon wieder gelogen, dann kannst du was erleben.“ Auch wenn ich nicht wirklich weiß was ich dann tun werde. Aber mir wird dann schon was einfallen. Ich warte bis Julian an mir vorbeigegangen ist und folge ihm dann aus dem Zimmer raus und einen langen Gang entlang. Der erinnert mich an den vom Unterschlupf der Vampire, auch wenn dieser hier, ein wenig einladender aussieht. Aber auch nur ein wenig. Wir biegen um eine Ecke und gelangen zu einem riesigen Foyer, indem endlich mal jemand anderes zu sehen ist. Ob das alles Hexenjäger sind? „Bleib bitte in meiner Nähe, Selest“, spricht Julian mich unerwartet an. Dabei sind wir bestimmt schon gute fünf Minuten unterwegs, in denen er nicht mit mir gesprochen hatte. „Sind das hier alles Hexenjäger?“ Ich schaue mich vorsichtig um. Rechts von mir, an einer freistehenden Wand angelehnt, steht ein kleiner, dafür aber recht gut ernährter junger Mann und starrt mich an. Sein durchbohrender Blick folgt mir und scheint sich gar nicht mehr von mir lösen zu wollen. Er holt ein scharf aussehendes Messer aus seiner Hosentasche raus und spielt damit rum. Schnell schaue ich weg und gehe zügig vorwärts. Verhöhnende Gelächter dringen an mein Ohr, und das von allen Seiten. Schnaubend schüttle ich meinen Kopf. Schön, dass ich für deren Unterhaltung sorgen kann. Das mache ich doch immer wieder gerne. Ich laufe jetzt neben Julian her und nicht mehr hinter ihm. Wenn ich mich entscheiden müsste zwischen seiner Gegenwart und der der anderen hier, dann bin ich definitiv für seine. Zwar ist er auch ein Hexenjäger, doch habe ich bei ihm noch nie das Gefühl gehabt, er wolle mich umbringen. Auch jetzt nicht. „Solange du bei mir oder meinen Brüdern bist, hast du vor den anderen nichts zu befürchten“, sagt Julian. Falls er mich mit diesen Worten aufmuntern wollte, dann sei ihm versichert, es ist ihm nicht gelungen. Und das wird es so schnell wohl auch nicht. „Wie weit ist es noch?“, frage ich und versuche mich abzulenken. Nur nicht an die anderen denken... an die Verrückten da hinten. „So groß kann euer Unterschlupf doch nicht sein, dass wir hier Kilometerweit laufen müssen.“ Julian bleibt vor einer massiven Holztür stehen. „Wir sind ja schon da!“, sagt er und lässt mir den Vortritt. Ich mache einen Schritt nach vorne und drücke die Türklinke nach unten. Herbst 2015, Anderwelt Kira Vaillant Ich versuche so gut es geht meine Gedanken zu ordnen und endlich zu begreifen, was vorhin passiert ist. Doch dank der unerträglichen Kopfschmerzen, die ich noch immer habe – trotz der Heilung durch Julian – kann ich mich so gut wie nicht konzentrieren. Mir ist zwar durchaus klar dass die Schmerzen, die ich verspürt habe kurz nachdem Ian, Julian, meine Wenigkeit und der dritte Bruder, die kleine Küche verlassen haben um zu deren Vater zu gehen, nicht die meinen waren sondern die von Selest, doch wem verdankt Selest ihre Schmerzen? Von Julian habe ich erfahren, dass sie es nicht wahren, doch wer war es dann? Antoniella? Doch warum sollte sie das tun? Eigentlich kann es nur sie gewesen sein, doch was für einen Grund soll sie haben Selest, und damit auch Arashi und mir das an zu tun? Sie hat sich vorhin in Julian Wohnung zwar wirklich sehr merkwürdig verhalten – so völlig untypisch – dennoch… ich kann nicht glauben, dass sie ein Mitglied ihres eigenen Zirkels, solche Qualen bereitet. Ich höre Stimmen vor meinem Zimmer. Eine davon kann ich als Julians identifizieren, und die andere… „So groß kann euer Unterschlupf doch nicht sein, dass wir hier Kilometerweit laufen müssen“, höre ich Selest genervt sagen. Ja so kenne ich sie. Doch was macht sie hier? Was wollen Julian und seine Familie von ihr? Doch nicht etwa… „Wir sind ja schon da!“, antwortet Julian ihr und keine fünf Sekunde später, wird die Tür geöffnet. Ich stehe vom Bett auf und halte mich einen Augenblick an einem der beiden vorderen Bettpfosten fest. Mir ist noch immer ein wenig schwindlig, aber das hindert mich nicht daran, Selest entgegen zu gehen. Ich bleibe vor ihr stehen und schaue sie mir genau an. Ich kann keine erkennbare Verletzungen bei ihr erkennen, was mich erleichtert aufatmen lässt. Dann gehe ich an ihr vorbei, und stelle mich mit den Händen in den Hüften gestemmt vor Julian hin. Aus finsteren Augen sehe ich ihn an. „Was macht Selest hier?“, frage ich ihn, obwohl ich tief in meinem Inneren die Antwort bereits weiß. Und die gefällt mir gar nicht. Julian lässt sich von meinem Blick nicht aus der Ruhe bringen. Lässig steht er immer noch im Türrahmen und starrt mich an. Wir liefern uns ein kleines Blickduell. „Du weißt doch was wir von ihr wollen, Kira. Wieso willst du dass ich es da noch laut ausspreche?“ „Vielleicht weil ich hoffte dass es nicht wahr ist. Dass ihr ihr das nicht antun werdet. Aber was rede ich da. Ihr seid Hexenjäger und euer einziger Daseinszweck ist es, unsereins zu jagen und zu töten. Dabei besteht deine Familie selber aus Hexenmeistern. Irgendwie ist das Paradox, oder wie siehst du das?“ Ich warte keine Antwort von ihm ab, da sie mir um ehrlich zu sein egal ist, und drehe mich von ihm weg um zu Selest zurückzugehen. Doch da hält Julian mich am Handgelenk fest. „Mein Vater hat guten Grund dazu Hexen zu jagen, Kira. Wenn du nur wüsstest was sein ehemaliger Zirkel ihm angetan hat, dann würdest du es verstehen.“ Bitte was? „Nur weil irgendwer deinem Vater mal was getan hat, jagt deine Familie jetzt unschuldige Hexen und tötet sie?“ Selest wütende Stimme lässt Julian kurz zusammenzucken. „Das ist ja wohl eine billige Ausrede dafür, dass ihr Gefallen daran gefunden habt anderen Schmerzen zuzufügen. Ihr seid nicht besser als Antoniella oder Edema, oder wer auch immer sie gerade ist. Wahrscheinlich hat dein Vater mich nur deswegen mitgenommen, weil er es nicht Antoniella vorbehalten lassen wollte mich zu töten, sondern es selber machen will. Jetzt verstehe ich auch, was du vorhin meintest als du sagtest, dass ihr mir was antun wollt. Warum habt ihr es nicht gleich getan, hm? Warum hat dein Vater mich nicht vor Ort getötet? Sag es mir?“ Selest steht mittlerweile vor Julian, löst seinen Griff von meinem Handgelenk und drückt ihn gegen den Türrahmen. In ihren Augen glänzt es verräterisch. Ich bin etwas erschrocken. Aber nicht weil Selest Julian bedrängt, sondern wegen dem, was Selest eben gesagt hat. Edema! Antoniellas Mutter! Jetzt wird mir so einiges klar. Ihr Verhalten in Julians Wohnung und auch ihr Verhalten vor Jahren, als sie diesen jungen Hexenjäger getötet hatte. Das war sie schon Edema gewesen. Nur seit wann hat Antoniellas Mutter den Körper ihrer Tochter übernommen? An dem Tag an dem sie angeblich starb? Oder später? Ich glaube eher, dass es später war, denn warum sollte Edema mich bei sich aufnehmen? Es muss also später passiert sein, doch warum? Warum hat Edema diesen Schritt gewählt? Ich fasse Selest bei der Schulter und ziehe sie sanft von dem verdutzt schauenden Julian weg. „Wir sollten uns darauf konzentrieren von hier zu verschwinden“, sage ich, blicke aber nicht sie, sondern Julian an. Und an seinem Gesichtsausdruck erkenne ich, dass er uns nicht verfolgen wird. War das vielleicht sein Plan gewesen? Hatte er etwa vorgehabt uns gehen zu lassen. Sich damit gegen seine Familie zu stellen? Bevor ich ihm diese Frage stellen kann – ich hätte die Antwort darauf liebend gerne gehört – vernehme ich allerdings eine Stimme, die ich hoffte so schnell nicht wieder zu hören. Ian. „Ihr wollt uns jetzt schon verlassen?“, trieft der Sarkasmus nur so aus seiner Stimme heraus. „Also das finde ich wirklich sehr schade. Wir haben uns doch noch nicht alle kennengelernt.“ „Ian“, sagt Julian, doch der ignoriert seinen Bruder, schiebt ihn ins Zimmer rein und schließt dann die Tür von Innen, sodass wir mit ihm eingeschlossen sind. „Bruder! Bitte nicht.“ Selest stellt sich neben mich, so dass sie die beiden Brüder gut im Blick hat. Mit finsterer Miene ist sie bereit, diesmal Ian die Meinung zu sagen. Das sollte sie wirklich nicht tun. „Ob es euch gefällt das wir gehen oder nicht, interessiert uns nicht im Geringsten. Und nun rate ich dir, dass du gefälligst wieder die Tür auf machst, denn du willst bestimmt nicht, dass ich es selber mache. Dein Vater weiß mittlerweile wozu ich fähig bin. Wenn ihr es aber nicht glaubt, dann fragt von mir aus Edema oder Antoniella, wie ihr die kleine Kostprobe meiner Zodiac-Magie gefallen hat. Ich aber glaube nicht, dass sie das gerne noch einmal widerholen will.“ Woher nimmt sie nur den Mut, so mit Ian zu reden? Vermutlich weil sie ihn noch nicht kennt. Doch das kann sich ganz leicht ändern und so wie Ian aussieht, ist er auch kurz davor es ihr zu zeigen. „Selest nicht“, versuche ich sie zu beruhen, doch sie schüttelt meine Hand einfach ab. „Ich bitte dich Kira“, sagt sie. „Du willst dich doch nicht weiterhin von dem Mistkerl hier festhalten lassen, oder? Wir können von hier verschwinden, glaube mir. Wir müssen nur noch Arashi abholen, doch…“ „Ich unterbreche dich wirklich nur ungern, kleine Hexe“, sagt Ian belustigt. „Dann tue es auch nicht“, faucht Selest Ian an. „…doch gibt es einen kleinen Fehler in deinem Plan.“ „Ach ja.“ „Ja. Aber bevor ich ihn dir erläutere, lass dir von mir zuvor noch sagen, dass ich sehr wohl weiß, wozu du in der Lage bist. Glücklicherweise – und das kannst du mir nun glauben – hast du keine Ahnung davon, wozu du wirklich alles in der Lage bist, doch ich weiß es schon. Immerhin bin ich selber ein Zodiac und als solcher… viel erfahrener als du.“ Noch während Ian das sagt, bestätigt er damit meinen leisen Verdacht. Ich wusste es. Die Magie die er gegen mich anwandte, mit der er meinen Körper unbeweglich machte, war zu mächtig, als das es ein einfacher Zauber hätte sein können. Wie konnte ich nur so dumm sein. „Wieso bringt ihr es nicht einfach hinter euch“, fahre ich Ian an. Er dreht sich zu seinem Bruder zu. „Julian ist noch nicht bereit dazu, die Zodiac-Magie deiner kleinen Freundin mit der großen Klappe… nichts für ungut“, fügt er dem hinzu, als Selest protestierend den Mund öffnet um zu widersprechen, „in sich aufzunehmen. Wobei ich mittlerweile glaube, dass er sie auch gar nicht mehr haben will. Tse, tse, tse… Wozu Liebe einen alles bringen kann, und das, obwohl es eine unerfüllte Liebe ist und wohl auch bleiben wird. Naja egal. Glücklicherweise ist unser Bruder Gabriel dazu bereit – in beiderlei Hinsicht – und darum hat Vater beschlossen, dass er die Zodiac-Macht von Selest in sich aufzunehmen wird. Aus diesem Grund bin ich ja auch hier. Ich soll euch beide zu ihm bringen – Ja Brüderchen, Kira auch. Keine Ahnung warum, aber ich werde Vaters Befehle bestimmt nicht in Frage stellen.“ Natürlich nicht, denn dafür fehlt diesem Mistkerl definitiv das Rückgrat. „Wenn es euch nur darum geht, dann bitte… ihr könnt sie gerne haben. Ich habe sie ja nie gewollt“, sagt Selest und mit diesen Worten geht sie an Ian vorbei und in Richtung Tür. Sie bleibt davor stehen, dreht sich ein wenig zur Seite und sieht die beiden Brüder ungeduldig an. „Was ist? Wenn wir zu eurem Vater sollen, dann müsst ihr schon die Tür öffnen. Es sei denn der alte Mann kommt zu uns, doch das hörte sich eben nicht so an.“ So wie ich das sehe, wurde Selest, von ihrem Vater und Tante Fanny, nie darüber aufgeklärt, was es für eine Zodiac bedeutet, wenn sie ihrer Kräfte beraubt wird. Wobei beraubt wird nicht wirklich zutreffend ist, da eine Zodiac die Zustimmung für den Machttransfer geben muss. Ohne den, funktioniert der Zauber nicht. „Wirklich? Du willst sie einfach so aufgeben? Ach schade! Ich habe wirklich gehofft, dass wir ein wenig Action geboten bekommen, aber gut. Man kann eben nicht alles haben.“ Dieser Mistkerl. „Du bist echt das letzte Ian“, schnauze ich ihn an. Wie kann man nur so Böse sein. Ich verstehe es einfach nicht. „Da will ich wirklich nicht wissen wie du an deine Magie gekommen bist.“ Ich wünsche wirklich, dass Ian das bekommt was er verdient, auch wenn er Julians Bruder ist. „Das ist alles eine Frage der Übung“, sagt Ian und zwinkert mir kurz zu. Dann dreht er sich um und öffnet die Tür. Doch keiner von uns bewegt sich. Auch Selest nicht, die es eben kaum abwarten konnte, dass Ian die Tür wieder entriegelt. Mit hochgezogener Augenbraue sieht Ian vor allem Selest an. „Was ist los?“, fragt er. „Willst du jetzt doch nicht mehr?“ Selest funkelt ihn böse an. „Was passiert mit mir, wenn ich euch meine Zodiac-Magie gebe?“ Ich tausche einen Blick mit Julian aus und bitte ihn stumm, Selest zu helfen. Er darf nicht zulassen, dass sie ihr Leben opfert und dass nur, damit sein anderer Bruder an ihre Zodiac-Magie kommt. Wozu sammelt seine Familie überhaupt die Zodiacs? Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie sie nur wollen, um stärker zu werden. Irgendeinen anderen Grund muss es dafür noch geben und wenn wir den erst einmal wissen, können wir verhandeln. „Wozu wollt ihr sie?“, frage ich die beiden Brüder. Es ist Ian, der mir antwortet, auch wenn sie nicht so ausfällt, wie ich es mir erhofft hatte. „Das hat dich nicht zu interessieren, Kira. Und nun kommt endlich. Wir haben schon genug Zeit vergeudet.“ Wieso konnte ich mir das nicht denken. Es wäre ja auch zu schön gewesen die Wahrheit zu erfahren. „Ich gehe nicht, bevor ihr mir nicht gesagt habt, was mit mir passiert, nachdem ich euch meine Zodiac-Magie gegeben habe“, sagt Selest und stemmt die Hände in die Hüften. Es vergehen gut zwei Minuten, doch Selest erhält keine Antwort. „Ach wisst ihr was? Vergesst es einfach. Ich werde sie euch nicht überlassen und zusammen mit Kira und Arashi von hier verschwinden. Dankt euren Vater von mir dass er mich von Antoniella befreit hat. Ciao.“ Sie winkt Ian und Julian zum Abschied zu und greift dann nach meinem Handgelenk. Selest zieht mich hinter sich her, doch weit kommt sie nicht mit mir. Ian stellt sich uns beiden in den Weg. Sein durchdringender Blick trifft auf den von Selest. „Tut mir wirklich leid, aber das kann ich leider nicht zulassen“, haucht er gefährlich neben Selests Ohr, so dass ich es auch hören kann. Dabei wandert sein Blick zu seinem Bruder. „So wie es aussieht, bekomme ich wohl doch noch etwas Action geboten“, kichert Ian. „Dabei hat Vater sich so sehr gewünscht, dass also ohne großartige Probleme von statten gehen wird. Naja. Wie vorhin schon erwähnt, man kann eben nicht alles haben. Und im Grunde ist es ja auch egal, denn wir bekommen eh das was wir wollen. Also…“ Ian entfernt sich wieder von uns beiden und geht in den Flur hinaus. Dort dreht er sich noch einmal um und starrt Selest direkt in die Augen, „wollen wir dann?“, sagt er und verschwindet aus meiner Sicht. Ich starre Selest an, die sich gerade in Bewegung setzt. An ihrem ungläubigen Gesichtsausdruck erkenne ich, dass es ihr genauso geht, wie mir vor ein paar Stunden. Der eigene Körper bewegt sich, obwohl man es nicht will. „Was passiert mit mir“, will Selest wissen. Sie dreht ihren Kopf in meine Richtung und sieht mich ängstlich an. „Was hat der Kerl mit mir gemacht?“ „Julian?“, schreie ich mit einem bittenden Unterton seinen Namen. Ich gehe zu ihm und rüttle ihn stark. „Du musst was unternehmen. Ich bitte dich.“ Er reagiert nicht auf mich. Er dreht nur seinen Kopf zur Seite, sodass er mich nicht ansehen muss. Wütend und ein wenig auch enttäuscht, balle ich meine rechte Hand zur Faust. „Wieso stehst du hier einfach nur rum und tust nichts?“, will ich von ihm wissen, doch wieder ich erhalte keine Antwort. Mein ganzer Körper zittert vor Wut und so haue ich Julian eine runter. „Du bist genauso ein Mistkerl wie dein Bruder“, schreie ich ihn dazu noch an und renne dann hinter Ian und Selest hinterher. Julians gehauchtes und traurig klingendes Kira, ignoriere ich wissentlich. Soll er doch bleiben wo der Pfeffer wächst. Dieser Feigling. Wenn Julian mir nicht hilft, dann muss ich Selest eben alleine retten. Ich werde jedenfalls nicht zulassen, dass sie stirbt. Doch das wird sie, sobald es Ian und dem Rest des Kynigós-Clans gelungen ist, ihr ihre Zodiac-Magie zu entreißen. Auch wenn ich nicht weiß wie sie es anstellen wollen, Selest dazu zu bringen. Ich renne jetzt bestimmt schon seit einer guten halben Stunden in diesem verdammten Versteck der Hexenjäger herum, habe aber Selest und Ian noch nicht gefunden. Und da ich noch immer nicht meine Magie wieder habe, kann ich auch keinen Suchzauber anwenden, um zumindest Selest zu finden. Das ist echt frustrierend. Ich fühle mich so hilflos und weiß einfach nicht was ich machen soll. Doch irgendetwas muss ich machen. Aber Kopflos hier weiter herumzurennen ist definitiv nicht die Lösung. Es ist eh ein Wunder, dass ich bisher noch keinem anderen Hexenjäger begegnet bin. Doch so wie ich mein Glück einschätze, was in letzter Zeit nicht wirklich mehr vorhanden zu sein scheint – falls es das jemals überhaupt war – werde ich bald auf welche treffen. Immerhin ist das hier ihr Hauptversteck und da sollte es ja eigentlich nur so von ihnen wimmeln. Doch wer bin ich, dass ich das Glück herausfordere. Ich biege um eine weitere Ecke und… als gibt es irgendwo jemanden der einen Schalter gedrückt hat – stehen zwei junge Männer vor mir. Und kaum das sie mich mitbekommen haben, grinsen sie sich gegenseitig an und holen jeweils ein scharfaussehendes, gezacktes Messer hinter ihrem Rücken hervor. „Na wen haben wir denn da?“, sagt der größere und bulligere von beiden. „Sieht so aus, als hätte sich ein kleines Vögelchen hier rein verirrt.“ Er macht einen Schritt auf mich drauf zu. Da ich nicht gewillt bin mich von einem der beiden abstechen zu lassen, drehe ich mich wieder um, doch ich komme nicht weit, denn auch hinter mir, steht ein Hexenjäger. Und der ist gut zwei Meter groß. Ich sitze in der Falle. Tief seufzend blicke ich nach oben an die heruntergekommene Decke. War das wirklich nötig? denke ich und verteufle dabei das Schicksal. Manchmal glaube ich wirklich, dass ich andauernd von einer Scheiße in die andere renne und jedes Mal scheint es schlimmer zu werden. „Du willst uns doch wohl nicht schon verlassen, oder Kleines“, spricht der dritte im Bunde, der, der jetzt vor mir steht, mich mit süffisanter Stimme an. Am liebsten würde ich dem… „Das finden wir wirklich traurig.“ Verdammte Edema. Warum nur musste sie mir auch meine Magie nehmen. Also eins weiß ich, wenn ich jetzt hier sterben sollte, dann werde ich die alte Hexe später heimsuchen kommen. „Lasst mich in Frieden“, sage ich hastig. Eigentlich hatte ich ja vorgehabt mir meine Angst nicht anmerken zu lassen, doch macht meine Stimme da leider nicht mit. Verräterin! „Oh wie süß. Die kleine Hexe denkt sie kann uns mit Worten daran hindern sie umzubringen“, lacht einer der beiden hinter mir. „Was ist… willst du dich nicht verteidigen?“ Würde ich gerne machen, wenn ich denn nur könnte. Ich drehe mich erneut um, so dass ich nun die ersten beiden Hexenjäger wieder ansehe. Bisher habe ich nur bei ihnen eine Waffe gesehen. Der große bullige macht einen weiteren Schritt auf mich zu. Dabei leckt er sein Messer ab, und grinst mich merkwürdig an. Igitt! Ich versuche mich an die vielen Trainingsstunden mit Derek zu erinnern und verfluche diesmal mich, dass ich sie nie wirklich ernst genommen habe. Denn das beherrschen von zumindest etwas Selbstverteidigung, würde sich hier sicher gut machen. Da ich kaum eine Chance gegen alle drei habe, tue ich das, was wohl jede junge Frau in solch einer Situation machen würde. Ich drehe mich wieder einmal blitzschnell um, sodass ich die zwei Hexenjäger in meinem Rücken und nur den einen vor mir habe. Dann renne ich auf ihn zu und ramme ihm mein Knie in die für Männer schmerzhafte Zone. Mit einem jaulen geht der hochgewachsene Hexenjäger zu Boden und ich renne schleunigst an ihm vorbei. Und ohne mich umzudrehen, renne und renne ich einfach weiter. Die lauten Rufen der anderen beiden Hexenjäger und auch ihre dumpfen Schritte, verfolgen mich. Verdammt! Wie soll ich die nur abschütteln? Ich versuche mir irgendwie den Weg zu merken, den ich gelaufen bin. Doch nachdem ich die zehnte Abzweigung genommen habe, habe ich völlig die Orientierung verloren. Also nicht das ich zuvor wusste wo ich bin, doch… Etwas greift nach mir und ich höre jemanden nach mir rufen. Ich wüsste nur zu gerne wer das ist, doch unterdrücke ich den Drang nachzusehen und renne lieber einfach weiter. Erneut biege ich um eine Ecke. Erschrocken bleibe ich stehen – mir stehen vier Hexenjäger und eine Hexenjägerin gegenüber. Glücklicherweise haben sie mir den Rücken zugewandt. Dennoch bin ich völlig starr vor Schreck. Wenn ich auch nur das kleinste Geräusch von mir gebe, werden sie sich umdrehen und sich auf mich stürzen. Bevor ich irgendetwas machen kann, greift erneut jemand nach mir. Erschrocken quietsche ich auf, da legt sich plötzlich eine große Hand auf meinen Mund und lässt mich so verstummen. Ängstlich kneife ich meine Augen zu und warte auf mein Ende. Ich werde ruppig zurückgezogen und spüre eine kalte Wand in meinem Rücken. Noch immer liegt die Hand auf meinem Mund und so bin ich gezwungen durch meine Nase Luft zu holen. „Pst! Keine Angst Kira, ich bin es nur“, wird mir ins Ohr gehaucht. Und kaum das ich die mir vertraute Stimme vernehme, öffne ich wieder meine Augen und starre nun meinen Retter ungläubig an. Einen meiner Retter, denn es sind zwei. Die warme Hand verschwindet von meinem Mund. „Was machst du hier?“, will ich wissen. Obwohl… eigentlich ist es egal warum er hier ist, denn wichtig ist nur, dass er hier ist. Und obwohl das unter normalen Umständen niemals vorgekommen wäre, schlinge ich meine Arme um den muskulösen Körper vor mir. In meinem ganzen Leben war ich noch nie so glücklich ihn zu sehen. „Danke… Derek!“ Herbst 2015, Anderwelt Selest Peterson Ich liege auf einer Art Altar und kann mich noch immer nicht bewegen. Was auch immer Julians Bruder mit mir gemacht hat, blockiert mich vollkommen und das gefällt mir überhaupt nicht. Mich würde wirklich interessieren wie er das gemacht hat und auch, wie lange dieser Zustand meines Körpers noch andauern wird. Doch das ist nicht alles. Ich will auch wissen was man jetzt mit mir vorhat, wo Kira ist und ob es ihr gut geht. Doch vor allem interessiert mich, was mit mir passiert, nachdem man mir meine Zodiac-Magie entnommen hat. Wenn ich nur daran denke wie Kira vorhin reagiert hat, dann kann ich mit Bestimmtheit sagen, dass es definitiv nichts Gutes sein – nur was wird passieren? Nur ein paar Meter von mir entfernt steht Julians Bruder, dieser Ian, zusammen mit dem alten Mann, der Arashi und mich aus Antoniellas Fängen befreit hatte, und einem dritten – bei dem es sich wohl um diesen Gabriel handeln wird. Zumindest wenn es stimmt, dass der meine Magie bekommen soll. Die drei unterhalten sich, doch leider kann ich nicht hören um was es geht – dafür stehen sie zu weit von mir entfernt. Doch was ich mitbekomme ist, dass der Alte mit irgendwas unzufrieden ist, denn seine Stimme wird immer mal wieder lauter. Doch leider nicht laut genug, als dass ich was verstehen kann. Und auch das stört mich. Ich würde wirklich nur zu gerne wissen warum sie noch nicht mit dem Ritual begonnen haben, wo sie es doch vor kurzem noch so eilig hatten. Wie gerne würde ich jetzt in Arashis Armen liegen und mich von ihm halten lassen. Ich kann nur hoffen, dass Julian mich nicht angelogen hat, als er sagte, dass sie ihm nichts tun werden, da sie nicht die Bösen sind. Doch das ist schwer zu glauben ist. Denn wenn sie die Guten wären, dann würde sich mich, Kira und auch Arashi gehen lassen. „Mach dir keine Gedanken um deinen Vampirfreund“, höre ich den alten Mann sagen. Da ich mich nicht bewegen kann, kann ich auch nicht erkennen, ob nur er neben mir steht, oder noch wer anderes. „Sobald er wieder vollkommen genesen ist, schicken wir ihn zurück zu seiner Familie. Ich habe gewiss nicht vor einen Krieg mit dem Vampiren anzufangen. Doch falls du jetzt denkst das sie einen Vergeltungsschlag unternehmen werden, kaum dass wir ihren Vampirprinzen wieder zu ihnen geschickt haben lass dir von mir sagen, dass das nicht passieren wird. Denn genauso wie wir keinen Krieg mit ihnen wollen, wollen sie keinen mit uns. Ein eventueller Sieg, würde die Verluste niemals auswiegen.“ Na toll. Und warum sagt er mir das jetzt? Am liebsten würde ich ihm jetzt alle möglichen Worte an den Kopf werfen, doch genauso wie sich mein Körper nicht mehr bewegt, bekomme ich auch keinen Ton mehr raus. Ich weiß nicht mal, seit wann das so ist, dabei habe ich Ian und auch dem Alten, eine ganze Menge zu sagen. „Wir können sie nirgends finden Vater“, vernehme ich die Stimme von diesem Gabriel. Er klingt irgendwie ängstlich. Ein gefährliches Zischen verlässt die zusammengepressten Lippen des alten Mannes. Die Kerzen die um mich herum aufgestellt sind fangen plötzlich Feuer. „Dann sucht gefälligst weiter. Wir müssen einen von beiden hier haben, ansonsten können wir das Ritual nicht vollführen.“ Das sind interessante Neuigkeiten. Und ich wette, dass sie damit Kira und Arashi gemeint haben. Gut so. Doch was heißt das jetzt für mich? Werden sie mich weiterhin hier liegen lassen, mit nichts weiter an als dem dünnen Nachthemd, welches ich zuvor anziehen musste? Das können sie doch nicht machen. Ich friere ja jetzt schon. Das wutverzerrte Gesicht des alten Mannes drängt sich in mein Blickfeld. Er steht mit seinem Oberkörper gebeugt über mir und funkelt mich an. Man könnte glatt meinen, dass er sauer auf mich ist, so wie er mich ansieht, dabei kann ich doch nichts dafür, dass Kira und Arashi es gelungen ist zu fliehen oder sich zumindest zu verstecken. „Ohne meine Erlaubnis kann niemand die Anderwelt verlassen, also hoffe nicht darauf, dass deine kleine Hexenfreundin und dein Vampir es hier raus geschafft haben und Hilfe holen können. Es wird nur noch eine Frage der Zeit sein, bis wir sie haben.“ Ihr werdet sie niemals finden. Kira und Arashi sind viel zu clever für euch. Das, und noch sehr viel mehr liegt mir auf der Zunge, doch noch immer verlässt kein einziger Ton meine Lippen. Schade eigentlich. Ich hätte nur zu gerne gesehen wie der Alte dann reagiert hätte. Obwohl… wenn ich genau darüber nachdenke, dann vielleicht lieber doch nicht. Ich spüre eine mehr als dunkle Präsenz hinter mir. Ein regelrechter Schauer durchfährt meinen Körper und lässt ihn unkontrolliert zittern. Und genau diese Reaktion meines Körpers, scheint den alten Mann zu amüsieren, denn ich kann ihn lautstark kichern hören. Besteht denn wirklich die ganze Familie nur aus Psychopathen? Scheinbar ja. „Hihi. Wie es scheint, hast du meinen neuen Gast schon spüren können, hm? Na, willst du wissen wer es ist? Ich verrate nur so viel… er hat dich vermisst.“ Dieser Arsch! Natürlich weiß ich bereits, um wen es sich handelt, immerhin werde ich diese Präsenz niemals wieder vergessen können. Doch was macht er hier? Und wenn er hier ist, heißt das dann, dass auch Edema hier ist? Immerhin gehört Lykan ja zu ihr und… Jemand beugt sich über mich, doch es ist nicht der alte Mann und es ist auch nicht Julian, oder einer seiner Brüder. Es ist auch nicht, Edema, die sich ja den Körper ihrer Tochter, Lady Antoniella angeeignet hat. Es ist eine junge Frau, die mir irgendwie bekannt vorkommt. Irgendwo habe ich sie schon einmal gesehen, nur wo… Ich versuche mich an alles zu erinnern, was mir in den letzten Tagen so passiert ist. Und auch an die Leute, denen ich in der Heimat meiner Eltern begegnet bin, doch zu keinem passt das makellose Gesicht, welches diabolisch grinsend auf mich herabblickt. Woher zum Teufel kenne ich sie nur? Die blonden Haare der jungen Frau kitzeln über mein Gesicht. Ich bin gewillt sie weg zu pusten, doch auch das funktioniert nicht. Das ist ja sowas von erniedrigend. Hier völlig unbeweglich liegen zu müssen, nicht zu wissen was als nächstes passiert und sich dann auch noch von irgendwelchen fremden Männern und jetzt auch noch von einer Frau, anglotzen lassen zu müssen. Die sollten sich hier alle mal ein paar anständige Hobbys zulegen. „Das ist sie also, ja?“, sagt die mir immer noch unbekannte junge Frau. Warum nur will es mir nicht einfallen woher ich sie kenne. „Mein Ersatz.“ Ersatz? Was meint sie denn damit? „Ja. Doch lass uns jetzt bitte zum Geschäftlichen kommen.“ „Soll mir recht sein. Ihr erlaubt mir also Selest zu töten und als Gegenleistung, verrate ich euch alles über Edemas Pläne.“ Bitte was? Wieso will die mich töten? Ich meine, ich habe der doch gar nichts getan. Denke ich zumindest. „Das klingt fair.“ „Ach und noch etwas. Kira und Arashi bleiben möglichst unverletzt, verstanden?“ „Auch das dürfte kein Problem sein, obwohl… ich dem nicht ganz zustimmen kann. Es liegt ganz alleine bei Selest, ob und wie weit wir, zumindest bei einem von beiden gehen müssen. Je nachdem wie kooperativ sie sich zeigt.“ „Wenn das so ist, dann bleibt mir wohl nichts anders übrig als zu hoffen, dass Selest die richtige Entscheidung trifft. Gut. Doch eine Sache wäre da noch. Es gibt da einen Fluch, Einzelheiten dazu bekommt ihr später, den ich gerne aufgehoben haben möchte. Edema schafft es nicht, doch sie sagte mir, dass sie wüsste, dass eure Familie prädestiniert ist, Flüche aller Art zu brechen.“ „Das ist wahr. Wenn das dann alles wäre… dann sind wir im Geschäft, Eileen.“ Sagte er eben Eileen? Der Name kommt mir so bekannt vor. Ist das nicht… Oh-mein-Gott. Aber natürlich. Jetzt weiß ich auch woher ich dieses Gesicht kenne. Das war auf einem der Bilder, welche die Wände in Lady Antoniellas Wohnzimmer schmücken. Eileen! Das ist ihre Enkelin und… Oh nicht doch. Kira bleibt aber auch wirklich gar nichts erspart. „Hihi! Dem entsetzen Blick eures Gastes nach zu urteilen, weiß sie wer ich bin. Gut, wirklich sehr gut. Das vereinfacht alles ein wenig.“ Soso, tut es das, ja. Schön für sie. Und sagt sie auch was sie damit meint? … Nein, natürlich nicht. Wieder beugt sich Eileen, Kiras beste Freundin und die alle für tot halten, über mich. „Du glaubst du weißt wer ich bin? Nichts weißt du“, zischt sie mir ins Ohr. „Absolut gar nichts.“ Noch immer zittert mein Körper, was daran liegt, dass ich noch immer Lykans Anwesenheit spüre. Er ist mir ganz nah, fast schon wieder zu nah – so wie in jener Nacht – doch kann ich ihn nicht sehen. Wie ist das möglich? Kann es vielleicht sein, dass mir mein Unterbewusstsein einen mehr als makabren Streich spielt? Doch wieso sollte ich mir das selber antun? Oder aber… sie sind es. Natürlich. Wer sollte es sonst sein. Ich versuche meinen Körper dazu zu bringen sich zu entspannen, doch es will mir partout nicht gelingen. Obwohl ich mir ziemlich sicher bin das Lykan nicht hier ist, nicht hier sein kann – doch noch immer spüre ich seine Gegenwart viel zu deutlich. Und so habe ich leider auch keinen Erfolg dabei, mich und vor allem meinen zitternden Körper wieder unter Kontrolle zu bekommen. Es gibt wirklich nicht einen einzigen Zentimeter in meinem Körper, der mir noch gehorcht. Noch nicht mal mehr mein Verstand ist auf meiner Seite. Denn der scheint mich gerade am meisten zu quälen. Wieso nur ist alles und jeder gegen mich? Was habe ich nur getan, dass das Schicksal so grausam zu mir ist. Erst sind es die wochenlangen Albträume, in denen ich von einem Monster ermordet werde. Danach die unglaubwürdige Wahrheit, dass ich eine Hexe bin, und in meinen Träumen die Zukunft vorhersehen kann. Dann bin ich für das Verschwinden von Kira verantwortlich und zu guter Letzt… soll ich auch noch eine Zodiac sein, eine der mächtiges Hexen überhaupt. Dabei habe ich all das nie gewollt. Doch wie heißt es so schön… Kleine Sünden bestraft der liebe Gott sofort. Wahrscheinlich habe ich viel zu oft über mein langweiliges Leben gemeckert und mir dabei gewünscht, dass es etwas aufregender wird. Dabei habe ich all das hier… was in den letzten Tagen mit mir passiert ist… niemals gewollt. „Ach sieh mal einer an, wen wir endlich gefunden haben.“ Die Stimme von dem Alten reißt mich aus meinen Gedanken. Ich versuche meinen Kopf zu drehen, doch wie zu erwarten passiert nichts. Ich kann also nicht sehen, was die Stimme des alten Mannes wieder so erfreut klingen lässt. Doch ich kann es mir eh denken. Sie haben sie gefunden. „Selest!“, höre ich Arashi nach mir rufen. Sofort beginnt mein Herz wie wild zu klopfen. Na wenigstens funktioniert das noch. „Was habt ihr mit ihr gemacht“, höre ich eine zweite Stimme. Sie gehört… Das kann nicht sein. Derek? Was macht der hier? Und wenn er hier ist, heißt das dann, dass auch Edema hier ist. Das kann nicht sein. Niemals würde Arashi zusammen mit Derek und Edema hier erscheinen. Nicht nachdem was die beiden uns angetan haben. Was sie ihm angetan haben. „Endlich können wir beginnen“, ertönt wieder die fröhliche, und dennoch ungeduldige Stimme des alten Mannes. Auch wenn ich nicht weiß was jetzt mit mir passieren wird und auch nicht, warum Arashi zusammen mit Derek hier ist... so bin ich doch sehr erleichtert, dass ich Kira noch nicht gehört habe. Das heißt dann hoffentlich, dass zumindest sie in Sicherheit ist, oder sich versteckt hält. Beides wäre vollkommen in Ordnung für mich, denn da sie ja derzeit keine Magie einsetzen kann, könnte sie hier eh nichts tun. Das Gesicht des alten Mannes erscheint wieder über mir. Genauso wie das von Ian. Beide starren mich eine kurze Zeit lang an, ehe Julians Bruder das Wort an mich richtet. „Wie du gerade mitbekommen hast, haben wir deinen blutsaugenden Freund hier bei uns. Es liegt jetzt also an dir, ob wir ihn töten werden oder ob du stirbst.“ Bitte was? Ich starre Ian mit weitgeöffneten Augen und offen stehenden Mund an. Das meint er doch wohl nicht ernst. Das kann er nicht ernst meinen. Am liebsten würde ich ihm jetzt was entgegenschmettern. Ihn anschreien und gegen die nächstbeste Wand schmettern, so erschüttert bin ich von dem was er mir eben angeboten hat. Doch außer einem Röcheln bekomme ich nichts raus. „Wenn sie ihn wirklich lieben würde, dann würde sie sich für ihn opfern“, sagt Eileen, die links neben mir steht und auf mich herabsieht. „Welches Leben ist dir mehr wert. Deines? Oder das von Arashi?“ „Tu das nicht“, schreit Arashi. „Lass dich nicht auf ihre Spielchen drauf ein, Selest.“ Hat er Eileen noch nicht gesehen, oder ist es ihm egal, dass seine Ex-Freundin wieder unter den Lebenden wandelt? Oh Gott. In meinem Kopf geht absolut nichts mehr. Ich bin verwirrt, verängstigt, wütend und erschüttert gleichermaßen. Was soll ich nur tun? Ich kann doch Arashi nicht sterben lassen, aber… ich selber will auch nicht sterben. Doch welche Wahl habe ich? „Selest!“ „Ich gebe dir zwei Minuten Zeit dich zu entscheiden. Hast du es bis dahin noch nicht getan, so lass dir von mir gesagt sein, dass es außer Arashi noch weitere Personen gibt, mit deren Leben wir dir drohen werden.“ Nein! Prompt muss ich an meinen Vater denken. An meine Tante und – auch wenn ich mit ihnen nicht so gut auskomme – an Laura, Thea und Maik. An meine Familie. Sie werden sie alle töten. Und nicht nur sie. Sie werden mir solange einen Menschen nach dem anderen nehmen, bis ich… „Wenn ich du wäre, dann würde ich mich mit deiner Entscheidung beeilen. Denn nachdem was ich alles über Kostja und seinen drei Söhnen gehört habe, machen sie keine halben Sachen. Vor allem nicht bei so etwas Großem wie dem hier.“ Sie tippt mir auf die Brust, genau an die Stelle, wo sich mein viel zu schnell schlagendes Herz befindet. „Wenn sie also sagen sie wollen dein Herz, dann werden sie es auch bekommen. Die Frage ist jetzt nur noch wie viel Blut sie bis dahin vergießen müssen. Wie viele Leben du bereit bist zu opfern. Für dich zu opfern.“ Sie hat gut reden… und doch hat sie recht. Mit allem was sie eben gesagt hat. Ich kann das wirklich nicht verantworten. Ich kann nicht jeden Menschen an dem mir was liegt in Gefahr bringen und das nur, weil ich noch nicht bereit bin zu sterben. Es liegt nun also ganz allein bei mir dafür zu sorgen, dass niemanden was passiert. Das meine Familie und auch meine Freunde… dass wenigstens sie überleben. Mein Entschluss steht fest. Ich werde es machen. Herbst 2015, Anderwelt Kira Vaillant Noch lebt Selest. Die Frage ist nur wie lange dieser Zustand noch anhalten wird. Sobald Arashi und Derek geschnappt werden, haben Kostja und seine Söhne ein Druckmittel in der Hand. Und mit Arashi sogar ein sehr gutes. So wie ich Selest einschätze, wird sie niemals zulassen dass sie Arashi töten, dafür bedeutet er ihr viel zu viel. Und auch wenn das nicht der Fall wäre, würde sie ihr Leben niemals als wertvoller erachten als seins. Selest ist also völlig zurecht eine Zodiac. Zwar weiß ich nicht allzu viel über diesen besonderen und äußerst mächtigen Zirkel, denn er hat mich nie so wirklich interessiert. Doch das was ich weiß ist, dass eine Zodiac ein reines Herz besitzen soll. Das ist der erste und auch wichtigste Punkt in meinem Verdacht, dass Ian sich seine Zodiac-Macht durch Gewalt und vermutlich auch noch anderen Gräueltaten, angeeignet haben muss. So jemand wie er, kann niemals ein Zodiac sein. Denn sein Herz ist weit davon entfernt, ein reines zu sein. Ich kauere jetzt schon gut eine Stunde in dem kleinen Zimmer, in welches Derek und Arashi mich gebracht haben, nachdem sie die sechs Hexenjäger getötet haben – die taten mir schon beinahe leid, da sie keinen der beiden haben kommen sehen. Und so langsam aber sicher, bekomme ich Platzangst. Was aber kein Wunder ist, da man sich hier drinnen gerade so im Kreis drehen kann. Wieso musste es aber auch unbedingt die Abstellkammer sein? Hier drinnen wird dich erstmals keiner so schnell vermuten. Wir holen nur schnell Selest und dann kommen wir zurück dich abholen. Das waren Arashis und Dereks Worte gewesen. Und wenn sie sich in dem Moment nicht so gut angehört hätten, dann hätte ich das für eine Schnapsidee gehalten. Denn genau das ist es. Es bringt schließlich überhaupt nichts Selest zu finden, da wir ohne die Hilfe eines Hexenjägers nicht aus der Anderwelt rauskommen. Da frage ich mich doch, wie es Derek gelungen ist hier rein zu kommen? „Ob er womöglich Hilfe hatte?“ Vielleicht war es… Nein, das kann nicht sein. Julian hatte die ganze Zeit über die Gelegenheit gehabt Selest und mir zu helfen, doch er tat es nicht. Er hat lieber tatenlos zugesehen, wie Ian Selest paralysiert und so ihren Körper sich zu Eigen gemacht hat. Niemals im Leben hat er also Derek hierhergeholt. Denn das würde bedeuten, dass er sich gegen seine eigene Familie stellen würde und dafür fehlt ihm einfach der Mut. Irgendwo kann ich ihn ja verstehen. Dieser Gedanke schleicht schon die ganze Zeit lang in meinem Kopf rum. Denn wenn es wirklich stimmt was Ian mir gesagt hat, dann war Julian all die Jahre lang von seiner Familie getrennt gewesen. Es ist also kein Wunder, das er nun an ihrer Seite steht, wo er sie endlich um sich hat. Im Grunde ist er einfach nur ein Junge, der seinen Vater stolz machen will. „Wieso nur kann ich ihn nicht hassen?“ Ich will ihn hassen. Wegen dem was er getan und auch nicht getan hat. Weil er mir die letzten Tage lang was vorgemacht hat. Weil er mich angelogen und ausspioniert hat. Doch ich kann es einfach nicht. Ich kann ihn nicht hassen. Ich muss was unternehmen. Hier weiterhin drin zu sitzen und mir Gedanken über diesen Mistkerl zu machen – zugegeben einem recht gutaussehenden und wenn er will auch charmantem Mistkerl – so muss ich hier raus. Selest zu finden, genauso wie Arashi und Derek, hat erst einmal höchste Priorität. Ich stehe auf und will gerade zur Türklinke greifen, als sich in meiner Brust etwas verkrampft. Es ist nur ein dumpfer und nur von kurzer Dauer anhaltender Schmerz, dennoch reicht es um zu erkennen, dass er von Arashi stammt. Er ist also verletzt wurden. Und das bedeutet, dass sie ihn erwischt haben. Es wird also wirklich höchste Zeit das ich was unternehme. Auch wenn ich nicht weiß was ich tun kann, so ganz ohne meine magischen Fähigkeiten. Doch was wäre ich für ein Mensch, wenn ich nichts unternehmen würde? Und darüber hinaus, würde Selest mir auch helfen, genauso wie Arashi – Derek sowieso, das steht außer Frage. „Hoffentlich bist wenigstens du noch in Freiheit, Derek“, hauche ich und verlasse dann mein vorzeitiges Versteck. Sachte blicke ich um die Ecke und als ich niemanden sehe, setze ich mich in Bewegung. Herbst 2015, Anderwelt Selest Peterson Jetzt ist es gleich soweit. Ich werde sterben und doch fühle ich keine Angst. Denn zu wissen das ich mit meinem Leben Arashis Leben rette und auch das meiner ganzen Familie, macht es erträglicher. Außerdem… tief in meinem Inneren weiß ich, dass ich das richtige tue. Dass das hier mein Schicksal ist. Ich muss an meinen Traum denken. Daran wie ich mich in einer dunklen Höhle befand und unfähig war mich zu bewegen. Wie ich ein bedrohlich klingendes Knurren vernahm und dann auch schon der Schmerz kam. Er war so real. Und auch nachdem ich wieder aufgewacht war, hatte ich immer noch das Gefühl gehabt, dass die Klauen die nach mir gegriffen hatten, noch immer an mir zu spüren sind. Da ich anfangs, nachdem der Alte wieder bei mir war und mich nach meiner Entscheidung gefragt hatte, noch etwas Angst vor dem kommenden hatte, hatte ich meine Augen fest zugekniffen. Doch jetzt öffne ich sie und versuche so voller Entschlossenheit, mich meinem Schicksal zu beugen. Und wer weiß. Vielleich spüre ich ja gleich, da mein Körper noch immer wie paralysiert ist, absolut keinen Schmerz. Immerhin habe ich auch nicht den von Arashi gespürt, als dieser Gabriel ihn, bis zur Bewusstlosigkeit, quer durch die Gruft geschleudert hatte, um mir deutlich zu machen dass sie wirklich nicht scherzen. Dass das ganze total unnötig war, weil ich mich eh schon entschieden hatte, hat den Alten, ich glaube er heißt Kostja, nicht im Geringsten interessiert. Also hatte Julian definitiv gelogen gehabt. Seine Familie gehört nämlich nicht mal ansatzweise zu den Guten. Ich habe wirklich gehofft, dass zumindest Arashis Gesicht das letzte sein wird, welches ich zu sehen bekomme. Doch leider ist dem nicht so, denn statt seinen schwarzen Iriden, starren mich die grünen von Eileen an. Ihre Mundwinkel ziehen sich nach oben. Na wenigstens hat einer von uns seinen Spaß hierbei. „Ich danke dir“, haucht sie mir ins Ohr. „Ich hätte wirklich nicht gerne dabei zugesehen, wie sie meinen geliebten Arashi töten, oder gar Kira. Die beiden sind nämlich meine Familie… und nicht deine.“ Darum geht es ihr also? Sie hasst mich, weil mich was mit Arashi verbindet und auch, weil Kira und ich, weil wir uns so gut verstehen? Das ist doch wirklich unfassbar. Ich meine, all das hätte vermeidbar sein können, wenn sie sich nicht dazu entschieden hätte ihren Tod vorzutäuschen. Weiß sie eigentlich was sie Kira damit angetan hat? Und ich glaube – auch wenn Arashi das niemals zugeben würde – das auch er sie vermisst hatte. Eileen hebt ihren Kopf leicht an und dreht ihn zur Seite. „Tue mir einen Gefallen, Ian, und gebe Selest zumindest ihre Stimme wieder. Ich würde nämlich zu gerne wissen…“ Sie dreht sich wieder mir zu, „was sie gleich zu sagen hat.“ Oh das kannst du auch, du Biest. Ich habe dir nämlich eine ganze Menge zu sagen. Das heißt wenn ich es schaffe den Mut dazu aufzubringen. „Schon erledigt“, höre ich Ian sagen. Na endlich. Ich würde nur zu gerne wissen wie er das macht. Immerhin habe ich keinerlei Zauber gespürt, auch nicht, als er vor kurzem meinen Körper paralysiert hatte. „Danke schön“, sagt Eileen. Dann verschwindet sie aus meinem Blickfeld und sofort scheint die Hölle loszubrechen. Ich vernehme Schreie von fünf verschiedenen Personen. Eine davon war definitiv Ian und die anderen gehörten vermutlich Kostja, Gabriel und Derek – der die ganze Zeit lang überaus still war. Nur wer Person Nummer fünf war, kann ich nicht sagen. „Was ist passiert?“, will ich wissen. Ich versuche erneut mich zu bewegen, doch wie auch wie Male davor, rührt sich bei mir überhaupt nichts. Das ist irgendwie frustrierend. „Was zum Teufel tust du?“ „Ich tue nichts“, sagt Eileen und erscheint wieder über mir. „Nun ja, so ganz stimmt das natürlich nicht. Ich helfe sozusagen dem Schicksal ein wenig nach. Und zwar deinem Schicksal.“ Ich spüre Eileens Arme und wie sie sich um meinem Oberkörper legen. Dann hilft sie mir mich aufzusetzen. Und was ich da zu sehen bekomme, lässt mir den Atem stocken. Die Gruft ist völlig zerstört. Überall liegen zerbröckelte Steine von den Decken und Wänden herum und die meisten der Fackeln, die den Raum zuvor noch erhellt hatten, sind erloschen. Ich durchsuche die Gruft und als ich die regungslosen Körper von Derek und Ian sehe, schlage ich mir vor Schreck die Hände vors Gesicht. Ihre Körper liegen zum Teil unter den heruntergestürzten Trümmern vergraben. Da ich vor allem wissen will was mit Arashi passiert ist – der war ja vorher schon verletzt gewesen – suche ich weiter alles mit meinen Augen ab. Eileen sagte mir ja, das ihr Arashi noch immer was bedeutet, also wird sie doch hoffentlich ihn irgendwie geschützt haben. Es dauert nicht lange und ich habe Kostja und dessen Sohn Gabriel gefunden. Und genauso wie auch Derek und Ian, sind sie unter einigen Trümmern begraben. Doch von Arashi fehlt jede Spur. Ich weiß nicht genau wie ich dieses Gefühl beschreiben soll, welches mich plötzlich überkommt. Doch die einzig noch intakte Fackel, die der hier vorherrschenden Dunkelheit zumindest ein wenig Licht spendet, verpasst der Atmosphäre einen mehr als düsteren Touch. Und genau das alles hier… die zerstörte und finstere Umgebung, kommt mir erschreckend bekannt vor. „Kann es etwa sein das…“, flüstere ich mir selber zu, ohne den Satz zu Ende zusprechen. Sofort wende ich mich Eileen zu, die mich diabolisch angrinst. Wo versteckt er sich. „Du fragst dich wo Lykan ist, nicht wahr? Du weißt also schon einmal, dass das hier der Ort ist, an dem du durch seine Hand, oder besser gesagt, durch seine Klauen sterben wirst. Gut. Dann kann ich zumindest diesen Teil auslassen.“ Eileen setzt sich neben mich auf den Altar und lässt ihre Beine, fröhlich vor sich hin pfeifend, baumeln. Für sie scheint dass alles hier das pure Vergnügen zu sein. Und dabei hielt ich schon Ian für einen Psychopathen. „Warum tust du das alles hier?“ „Weil ich finde, dass du die Wahrheit verdient, Selest.“ „Dann sag mir endlich was du zu sagen hast und lass Lykan dann seine Arbeit machen“, brumme ich. „Der brennt doch bestimmt schon sehnsüchtig darauf, seine Klauen in meine Brust zu rammen und mir mein Herz zu entreißen.“ „Nicht so eilig. Zu Lykan kommen wir noch früh genug.“ Irgendwie hat das alles auch was Gutes. Sobald ich nämlich durch Lykan zerfetzt wurde, steht meine Chance sehr gut, dass ich endlich mit meiner Mutter wiedervereint werde. Und wenn es soweit ist, kann sie mir verraten was in jener Schlacht wirklich passiert ist. Auch wenn mir dieses Wissen dann nicht mehr allzu viel bringt, weil ich ja dann tot bin. Doch wer weiß. Vielleicht komme ich ja als rachsüchtiger Geist wieder zurück und kann mich so an jenen rächen, die für ihren Tod und den von Kiras Eltern wirklich verantwortlich sind. „Geduld war noch nie eines meiner Stärken“, murmle ich. „Das ist mir bekannt. Also dann… wollen wir mal. Ach ja. Vermutlich wirst du Zweifel an dem haben, was ich dir gleich sagen werde, doch kannst du mir ruhig glauben wenn ich dir sage, dass alles der Wahrheit entspricht. Nun, am besten beginnen wir bei deinen Träumen oder besser gesagt Albträumen.“ Eileen wirft mir einen letzten Blick zu und fängt dann an zu erzählen. „Die verdankst du übrigens Edema. Sie ist nämlich einer Meisterin der Illusionen, die einen wirklich alles nur erdenklich Mögliche sehen lassen kann. Anfangs war es ihr Plan gewesen deinen Vater hierherzulocken, weil sie dachte, dass vielleicht er die Zodiac-Magie deiner Mutter bekommen hat – ja du hast richtig gehört. Deine Mutter war eine Zodiac, doch wusste sie das selber nicht. Tja, und nach dem fehlgeschlagenen Anschlag auf dich, wusste Edema dann, dass du sie bekommen hast. Und von diesem Moment an versuchte sie alles, um dich von deiner unglaublichen Macht zu befreien. Ich meine du bist eine Anfängerin Selest, ein Niemand und… nimm es mir bitte nicht krumm, aber ich konnte dich von Anfang an nicht leiden. Nicht nur das du mir meinen Arashi weggeschnappt hast, nein, du hast dich auch noch zwischen Kira und mich gedrängt. Du hast mich sozusagen, bei den einzigen zwei Menschen die mir etwas bedeuten, ersetzt. Doch ernsthaft, wer konnte schon damit rechnen, dass Kira sich ausgerechnet mit dir anfreunden würde, wo sie normalerweise doch so misstrauisch Fremden gegenüber ist. Und auch Arashis Zuneigung zu dir, war nun wirklich nicht vorhersehbar gewesen. Erst recht nicht, dass er es anscheint ernst mit dir zu meinen scheint. Doch keine Sorge, dass bekomme ich wieder hin. Er war schon früher verrückt nach mir, er wird dich also ganz schnell wieder vergessen.“ Eileen macht eine kleine Pause und die nutze ich sogleich mal aus. „Und Kira wird glücklich sein, wenn sie sieht dass ich doch noch am Leben bin. Ich bedeute ihr mehr als du es jemals tun würdest. Wir sind immerhin zusammen aufgewachsen. Sowas verbindet.“ „Wenn es wirklich stimmt was du sagst, dann verdanke ich es Edema und auch dir, dass ich Kira und Arashi überhaupt erst kennenlernen durfte. Und ganz ehrlich… du hast die beiden verlassen, indem du deinen Tod vorgetäuscht hast. Also gib nicht mir Schuld dafür, dass die beiden dich ersetzt haben. Ich meine, hast du wirklich gedacht, dass Arashi sich nicht wieder neu verlieben wird? Oder das Kira für immer alleine bleiben will? Wenn ja, dann bist du dümmer als ich…“ Weiter komme ich nicht, denn völlig unerwartet werde ich grob von Eileen an den Schultern gepackt und wieder mit meinem Rücken nach unten auf den kalten Altar gedrückt. Eileens wutverzerrtes Gesicht kommt meinem ganz nah. Dann verändert sich ihres plötzlich. Die Haut an ihren Wangen platzt auf und ihr Mund verformt sich. Er wird spitz und… überall in ihrem Gesicht und an ihren Händen wachsen Haare. Meine Augen weiten sich und können kaum glauben was sie sehen. Eileen verwandelt sich vor meinen Augen in einen Wolfsmenschen, aber nicht in irgendeinen. „Glaubst du wirklich, dass ich das hier wollte?“, höre ich die belustigte Stimme von Eileen, gemischt von der Lykans, in meinem Kopf. Und wieder benetzt der Sabber des Wolfsmenschen mein Gesicht. Angewidert drehe ich es zur Seite und schließe dabei meine Augen. „Dass ich freiwillig die einzigen beiden Menschen verlassen wollte, die mir was bedeutet haben? Ganz bestimmt nicht. Doch hat die gute alte Edema nicht nach meiner Meinung gefragt. Sie brauchte schnellst möglichst einen geeigneten Wirt für Lykan und den fand sie in mir.“ „Und warum hilfst du Edema dann jetzt? Wenn du das doch alles gar nicht wolltest, müsstest du dann nicht eigentlich gegen Edema sein und uns helfen sie aufzuhalten?“ „Oh glaube mir, mit dem Gedanken habe ich anfangs gespielt. Doch leider ist es nicht so einfach wie du denkst, Liebes. Edema hat Lykan nämlich mit Hilfe ihres eigenen Blutes quasi wieder zum Leben erweckt und das bedeutet, dass sollte sie sterben… Lykan ebenfalls stirbt.“ Während des Redens hat sich Eileen wieder von Lykans Aussehen getrennt und steht wieder in ihrer eigenen Gestalt über mich gebeugt. „Und ich mit ihm. Du siehst also, ich habe ein persönliches Interesse daran, dass Edema Erfolg hat. Genauso wie ich ein Interesse daran habe, dass du aus meinem Leben und damit auch aus Arashis und Kiras verschwindest. Übrigens… Ich habe deine Verbundenheit mit den beiden schon längst gelöst. Ich kann dich also jederzeit töten, daran solltest du denken, wenn du mich mal wieder wütend machen willst.“ Darum habe ich also nichts gespürt gehabt, als sie Arashi verletzt haben. Ein sanftes Lächeln huscht über mein Gesicht, was Eileen natürlich nicht verborgen bleibt. „Findest du das lustig?“ Ich antworte ihr nicht. „Na auch egal. Mir ist nur wichtig das weder er, noch Kira deinetwegen leiden müssen.“ Sie setzt sich wieder seelenruhig neben mich. „Es dauert nicht mehr lange, dann erhalte ich von Edema die Erlaubnis dich töten zu dürfen. Darauf freue ich mich am meisten, weißt du. Genauso wie Lykan es nicht mehr abwarten kann, dich zerfetzen zu dürfen, auch wenn er dein Herz an Edema abtreten muss. Doch das braucht sie nun mal, um an deine Zodiac-Magie zu kommen. Du solltest mir dankbar sein.“ „Ach ja. Wieso sollte ich?“ Glücklicherweise ist sie nicht mehr Lykan. Das macht es einfacher für mich. „Na weil ich dafür gesorgt habe, dass Arashi und Kira nicht mehr deine Schmerzen spüren müssen.“ Ach so. Das meint sie. „Wie Edel von dir“, erwidere ich schnippig. „Und du hast übrigens recht. Ich bin dir dankbar dafür, denn ich hätte nicht gewusst wie man unsere Verbindung trennen kann.“ Eileen lächelt mich kurz an, dann springt sie vom Altar runter und steigt elegant über die Trümmer hinweg. Ich kann nicht erkennen was sie macht, doch plötzlich höre ich, wie sie jemandem eine schallende Ohrfeige verpasst. Vielleicht Derek? Ich vernehme ein Stöhnen, es klingt ganz nach Derek. Dann höre ich Schritte, die näher kommen. Eileen beugt sich wieder über mich. „Ich werde dich kurz alleine lassen. Sei so lieb und rühre dich nicht vom Fleck, ja?“ Ha-ha, als wenn ich das könnte. Dumme Kuh. Eileen tätschelt mir die Wange und verschwindet dann wieder. Gut so. Denn lange hätte ich ihr Gesicht bestimmt nicht mehr ertragen können. Herbst 2015, Anderwelt Kira Vaillant Ich drücke mich so dicht es geht, mit dem Rücken an die Wand, sodass man meinen könnte, ich versuche mit ihr zu verschmelzen. Dabei zittere ich am ganzen Körper und das, obwohl mir eigentlich heiß ist. Doch nachdem was ich eben alles mit angehört und auch wen ich gesehen habe, ist das kein Wunder. „Sie lebt…“, flüstere ich. Und sie ist auf Edemas Seite, Antoniellas Mutter. Ich kann es noch immer nicht fassen. Wie konnte Eileen sowas nur tun? Wieso hat sie Arashi und mir das angetan, wenn wir ihr doch so viel bedeuten? Das ergibt doch keinen Sinn. Du darfst jetzt nicht zusammenbrechen Kira, ermahne ich mich selber. Reiß dich zusammen und kümmere dich erst einmal um Selest, die braucht jetzt deine Hilfe. Ich stoße mich von der Wand ab und umgreife, mit immer noch immer zitternden Händen, den Griff des Dolches, den ich nach der Explosion einem der bewusstlosen Hexenjäger abgenommen habe. Glücklicherweise habe ich, außer einem länglichen Schnitt am linken Unterarm und einer kleinen Beule am Kopf nichts weiter abbekommen. Da hat es die Hexenjäger übler erwischt, doch wenn ich ehrlich bin, dann haben sie es auch verdient. Ich hoffe nur, dass es Julian gut geht. Eileens Magie muss in den letzten Monaten ziemlich zugenommen haben, denn auch wenn ich nicht gesehen habe wie sie das gemacht hat, so bin ich mir ziemlich sicher, dass der Einsturz des Hexenjägerversteckes ihr Verdienst ist. Vermutlich wurden ihre Kräfte von Edema verstärkt. Wieso nur konnte die alte Hexe nicht wirklich tot sein. So etwas zu sagen ist zwar nicht gerade die feine englische Art, aber das was ich alles über sie schon gehört habe… mit Antoniellas Mutter ist wirklich nicht gut Kirschen essen. Und wenn ich alles was Eileen zu Selest gesagt hat glauben darf, dann wird ihr Ruf, Edema wirklich nicht gerecht. Auf dem Weg von meinem Versteck bis hierher, bin ich an einigen bewusstlosen und auch toten Hexenjägern vorbeigekommen. Die explosive Magie von Eileen muss sie ziemlich überrascht haben, denn andernfalls würden, zumindest die Hexen und Hexenmeister unter ihnen, nicht mehr am Boden liegen. Ich bin nur etwas überrascht, dass auch das Oberhaupt des Kynigós Clans, Kostja, sowie Ian, noch immer Bewusstlos sind. Ihre Magie sollte eigentlich stark genug sein, das sie solch einem Angriff standhalten können. Immerhin zählen die Kynigós Hexer, zu den Mächtigsten unter uns. Mich würde wirklich interessieren, zu welchem Zirkel sie einst gehört haben. Ich steige über die Trümmer der Gruft hinweg und nähere mich dem Altar, auf dem Selest noch immer liegt. Wieso sie freiwillig dort liegen bleibt, obwohl sie jetzt, wo Eileen ja auf der Suche nach irgendwas ist das Weite suchen könnte, ist mir echt ein Rätsel. Denkt sie eventuelle noch, dass sie immer noch unter Ians Zauber steht? Eine Erklärung wäre es zumindest. „Selest!“ rufe ich sie leise bei ihrem Namen. Ich möchte so wenig wie möglich Aufsehen erregen. Nicht das Eileen noch irgendwo hier in der Nähe ist und mich hört. „Kira?“ Selest Stimme klingt überrascht. Ich stehe genau vor dem Altar und schaue auf Selest runter. Den Dolch stecke ich hinter meinen Rücken in den Bund meiner Hose. Dann greife ich nach Selests rechtem Arm und ziehe sie sachte nach oben. „Was machst du noch immer hier?“, will ich von ihr wissen. „Wartest du etwa allen Ernstes darauf das Eileen wieder kommt und dich dann töten kann? Wir müssen hier weg.“ „Ich kann nicht weg“, sagt Selest ängstlich. Nach einer weiteren Begegnung mit Lykan war das zu erwarten. Zu wissen, dass man sich an dem Ort befindet an dem man sterben wird und auch, das der zukünftige Mörder hier ist, das stelle ich mir schrecklich vor. Und genau deswegen müssen wir von hier verschwinden. Denn heute wird auf keinen Fall der Tag sein, an dem Selest sterben wird. Das lasse ich nicht zu. „Und ob du das kannst. Ian kann nämlich nur dann jemanden Manipulieren, wenn er selber bei Bewusstsein ist und das ist er ja glücklicherweise gerade nicht“, erkläre ich ihr. „Das heißt also, dass er derzeit keinerlei Kontrolle über dich hat. Und jetzt beweg dich endlich. Wir müssen von hier verschwinden.“ „Bitte was?“ Selest lässt sich von mir aufhelfen. „Na toll. Und ich lasse mich hier von deiner psychotischen Freundin vollquatschen. Wieso wollen eigentlich alle deine angeblichen Verwandten und Freunde meinen Tod? Abgesehen von Constantin und Jolina.“ Zumindest bis jetzt. „Es tut mir leid“, sage ich wahrheitsgemäß. Ich kann nur hoffen, dass sie nicht auch noch denkt, dass ich ebenfalls ihren Tod will. Denn den will ich definitiv nicht. „Dir muss es nicht leid tun“, sagt Selest und streckt sich ausgiebig. „Du kannst ja nichts dafür, dass sie so sind wie sie sind. Weißt du vielleicht wo Arashi steckt?“ „Nein, ich…“ „Ich bin hier!“ Fast gleichzeitig drehen Selest und ich und um. Arashi steht am Eingang zur Gruft, doch er ist nicht alleine. Hinter ihm steht Eileen, und die sieht alles andere als freundlich aus. Sie schiebt Arashi zur Seite und kommt mit wütenden Gesichtsausdruck auf uns beide drauf zu. Dabei fixiert sie vor allem Selest. „Habe ich dich nicht darum gebeten das du brav hier bleibst“, verlangt sie regelrecht von Selest zu wissen. Die zuckt erschrocken neben mir zusammen. „Ich war doch relativ freundlich zu dir, oder etwa nicht?“ Ich hoffe das soll keine Fangfrage sein. „Ich werde bestimmt nicht still liegen bleiben und darauf warten dass du mich umbringst, Eileen.“ Ich werfe Selest einen Seitenblick zu. Ihr Blick wandert zu Arashi. „Was hast du mit ihm gemacht?“ Das würde ich auch ganz gerne wissen. Hat sie ihn etwa manipuliert? Das würde zu Eileen passen, sie war ja früher auch schon so, dass sie sich all das genommen hat, was sie haben wollte. Und gerade Arashi wollte sie schon immer. „Ich habe dir doch gesagt, dass ich mir zurückholen werde was mir gehört?“, säuselt Eileen und stellt sich so vor Arashi, dass Selest ihn nicht mehr richtig ansehen kann. „Und genau das habe ich bei Arashi gemacht, oder besser gesagt, Edema hat es für mich getan. Seit sie die Macht zweier Zodiac besitzt, ist sie mächtiger als vorher. Ach übrigens… Hallo Kira! Freust du dich mich zu sehen? Ich habe dich vermisst!“ Eileen wendet sich jetzt voll und ganz mir zu. Unter normalen Umständen wäre ich jetzt zu ihr gerannt und hätte sie umarmt, denn ich habe sie in der Tat sehr vermisst. Doch ich tue es nicht. Ich stehe einfach nur stocksteif da und weiß nicht was ich tun soll. Wenn ich doch nur meine Magie hätte. Ohne sie fühle ich mich so hilflos… und irgendwie auch leer. Ich sehe das Eileen enttäuscht ist weil ich ihre Freude nicht teile, doch darauf kann ich keine Rücksicht nehmen. Ich bin nun mal nicht der Mensch, der vorgibt etwas zu sein, was er nicht ist. Und das weiß sie eigentlich auch. „Das ist wirklich schade, aber ich kann es verstehen.“ Eileen kommt näher, und so schiebe ich Selest mit mir weiter nach hinten. Ich will so viel Abstand wie nur möglich zwischen uns haben. „Ich hätte dich wirklich nicht alleine lassen sollen, Kira.“ „Aber das hast du.“ „Ja! Doch ganz bestimmt nicht freiwillig. Nachdem Edema, Lykan und mich hat eins werden lassen, stellte ich für dich eine Gefahr dar. Und da ich nie vorhatte dir wehzutun…“ Ich schnaube verächtlich. „Ist das derzeit einer der Lieblingssätze von euch Verrätern?“, will ich erbost wissen. „Erst Julian und jetzt auch noch du. Ich fasse es nicht. Glaubt ihr wirklich, dass ich das auch nur einem von euch abkaufe? Ganz bestimmt nicht. Ihr habt eure Entscheidung getroffen, also steht auch dazu.“ „Ich weiß nicht was du damit meinst, und ich weiß auch nicht wer dieser Julian ist“ Echt? Hm. Ist ja komisch, „aber ich wollte wirklich immer nur das Beste für dich, Kira.“ „Es ist mir egal was du wolltest. Das interessiert mich nicht, Eileen, aber wenn es wirklich stimmt was du eben sagtest, dann beweise es mir und lass Selest und mich gehen.“ Eileen scheint wirklich über meine Bitte nachzudenken, doch dann schüttelt sie doch mit dem Kopf. Ihre blonden Haare fallen ihr ins Gesicht und bedecken es, sodass ich ihren Blick nicht sehen kann. Dabei würde ich nur zu gerne in ihre Augen sehen, um zu erkennen, wie sie wirklich darüber denkt. „Das kann ich leider nicht machen. Aber ich kann dir versprechen, dass Edema niemanden aus unserem Zirkel etwas tun wird“, sagt sie und kommt mir und Selest immer näher. Arashi folgt ihr wie ein Schatten. „Sie will wirklich nur Selests Herz und das der letzten beiden Zodiacs plus Ians. Und wenn sie das geschafft hat, dann will sie unserer Welt den Frieden bringen. Sie wird die drei Zirkel zu einem vereinen. Sie will…“ „Edema will sich die Macht der Zodiacs unter den Nagel reißen, um die mächtigste aller Hexen zu werden. Genau das will sie. Sie will das Herz einer Freundin von mir. Du… willst Selest das Herz rausreißen.“ Böse funkle ich sie an. „Und dafür verabscheue ich dich aus tiefsten Herzen.“ „Sag das nicht, Kira. Bitte!“ Eileen streckt ihre Hand nach mir aus, sie steht jetzt einen halben Meter vor mir, doch ich greife nach hinten an den Bund meiner Hose und hole den Dolch hervor. Mit ihm verschaffe ich mir wieder etwas Abstand zu Eileen. Sie bleibt erschrocken stehen. „Wir wissen beiden dass du mich nicht angreifen wirst, Kira. Du kannst keiner Fliege was zu leide tun, das war schon immer so.“ „Wenn ich du wäre, dann würde ich mich nicht darauf verlassen, Eileen. Es ist viel passiert in den letzten Tagen, und das hat mich verändert. Ich bin nicht mehr das kleine Mädchen, was sich von anderen manipulieren lässt. Ich habe endlich meinen eigenen Willen.“ „Ich weiß. Doch bitte, nimm den Dolch runter. Du kannst mir nichts anhaben.“ „Was sollen wir jetzt tun?“, flüstert Selest mir leise ins Ohr. Ihre Stimme zittert vor Angst. „Du musst deine Kräfte einsetzen“, flüstere ich ebenso leise zurück. „Lass dich von deiner Wut leiten und richte sie gegen Eileen. Die Wut ist ein starker Katalysator.“ „Ich kann es zumindest versuchen.“ Ich spüre wie Selest sich hinter mir verspannt. Also so wird das nie was werden. Sie muss erst ihre Angst besiegen, bevor sie ihre Zodiac-Kräfte richtig und kontrolliert einsetzen kann. Um Eileen nicht eine Möglichkeit zu geben uns überrascht angreifen zu können, schenke ich ihr wieder meine vollste Aufmerksamkeit. Ich muss sie davon abhalten sich auf Selest zu konzentrieren. Gerade noch rechtzeitig sehe ich, wie Eileen wieder einen Schritt auf uns zumacht. „Komm nicht näher oder ich steche zu“, drohe ich ihr, doch wie zu erwarten, lässt sie sich davon nicht abhalten erneut einen Schritt auf mich zuzumachen. „Ich denke nicht dass du das tun wirst“, erwidert Eileen und greift nach meiner Hand, die den Dolch festhält. „Aber das wusstest du selber. Du warst schon immer viel zu schwach und gutherzig. Genau darum konnte dir auch jeder was vormachen.“ Eileen zieht mich zu sich heran, was ich widerstandlos geschehen lasse. Sie hat Recht. Ich bin wirklich schwach, egal ob mit, oder ohne meine Magie. Ich reagiere viel zu spät. Eileen hat mich mit dem Rücken zu sich gedreht. Der Dolch den ich bis eben noch fest umklammert hielt, liegt nun hauchdünn an meinem Hals. Ich ziehe scharf Luft ein. Panisch schaut Selest zu mir und Eileen. Um sie herum lodert eine klitzekleine Flamme. Hätte ich es doch nur noch ein bisschen länger geschafft Eileen auf Abstand zu halten, dann… „Lass es bleiben, Selest“, weist Eileen sie an und reißt mich so aus meinen Gedanken. „Du schaffst es eh nicht euch hier rauszuholen. Und mit dieser kleinen Flamme erst recht nicht. Und du willst eine Phönix-Hexe sein? Das ich nicht lache. Und jetzt tue mir den Gefallen, und gehe rüber zu Arashi, ja. Und das möglichst ohne etwas Dummes anzustellen. Denn ich breche wirklich nur ungern mein Wort.“ Zur Bestätigung drückt sie die Klinge des Dolches etwas tiefer in mein Fleisch. Ein kleiner Blutstropfen läuft meinen Hals hinunter. „Hör bitte auf!“, fleht Selest Eileen an. „Gut!“ Eileen lacht hämisch. „Edema wird hocherfreut über meinen Erfolg sein.“ Noch immer hält Eileen mir den Dolch an den Hals, sodass ich nichts weiter tun kann, als hilflos mit anzusehen, wie Selest resignierend zu Arashi geht. Er dreht sie mit dem Rücken zu sich und flüstert Selest irgendwas ins Ohr. „Versuche sie etwas hinzuhalten, Kira“, höre ich die Stimme von Arashi in meinem Kopf. Er geleitet Selest in Richtung des Altars, der im Gegensatz zum Rest der Gruft, nicht von der Explosion beschädigt wurde. Ich wusste doch, dass er sich nicht von Eileen, oder Edema, manipulieren lässt. Die angeborene Macht seines Vaters schützt ihn einfach zu gut vor fremden Einflüssen. Gut geschauspielert, wirklich. Zumal es Eileen ihm abgekauft hat. Ich könnte ihn echt abknutschen. Oder auch nicht. Das sollte ich lieber Selest überlassen. „Was hast du jetzt vor?“, will ich von Eileen wissen. „Willst du mich etwa auch mit Hilfe eines Zaubers dazu bringen, dass ich wieder mit dir befreundet bin? Willst du allen Ernstes den Rest deines Lebens mit solch einer Lüge leben? Ich glaube nicht.“ „Ich will vor allem eines, Kira. Am Leben bleiben. Nur deswegen tue ich das hier. Und was wir jetzt machen? Ganz einfach. Wir warten auf Edema. Es dürfte nicht mehr lange dauern, bis sie den Eingang zur Anderwelt gefunden hat.“ „Du warst schon immer egoistisch, Eileen. Dennoch war ich gerne mit dir befreundet. Du warst meine beste Freundin, und ich liebte dich wie eine Schwester. Ich hätte mein Leben für dich gegeben, und du… Würdest du das auch für mich tun?“ Eileens Hand die den Dolch führt zittert und so nutze ich die Gelegenheit und greife nach ihrem Arm. Ich umklammere ihn fest, bücke mich minimal nach vorne und schleudere Eileen so über meinen Rücken drüber, von mir weg. Der Dolch fällt klirrend auf den Boden. Derek wäre bestimmt stolz auf mich. Ich sollte jetzt eigentlich zu Arashi und Selest rennen, doch stattdessen beobachte ich wie Eileen sich langsam wieder aufrappelt. Der Blick mit dem sie mich ansieht, könnte psychopatischer nicht sein. Und dann geht es ganz schnell. Eileen verwandelt sich vollständig in Lykan. „Das hättest du nicht tun dürfen, kleine Hexe“, knurrt er mich an und springt auch schon auf mich drauf zu. Doch bevor er mich erreicht, prallt ein schwarzer Wolf mit ihm zusammen und wirft Lykan durch diese Wucht zu Boden. Der schwarze Wolf stellt sich beschützend vor mich und knurrt Lykan mit gefletschten Zähnen an. Herbst 2015, Anderwelt Selest Peterson Noch immer stehen sich der schwarze Wolf und Lykan gegenüber. Doch während der Wolf noch immer mit seinen Zähnen fletscht, umkreist Lykan ihn und Kira. Der schwarze Wolf folgt Lykans Bewegungen und lässt ihn nicht aus den Augen, bis er völlig unerwartet zum Sprung ansetzt und sich auf Lykan stürzt. Dann geht alles so schnell, dass ich Schwierigkeiten habe dem Kampf zu folgen. Die beiden Wölfe liefern sich einen gnadenlosen Kampf. Kira stellt sich neben mich und Arashi, als ein schwaches wimmern und kurz darauf ein ängstlich klingendes Heulen zu vernehmen ist. Zu dritt sehen wir das große Knäuel an, welches Lykan und der schwarze Wolf gebildet haben. Es ist einfach nicht zu erkennen wo Lykan anfängt und der schwarze Wolf aufhört, so sehr sind sie in einander verkeilt. Das einzige was man zweifelsfrei erkennen kann ist, dass Lykan die Oberhand hat, was keinen von uns freut. „Können wir irgendwas tun um dem schwarzen Wolf zu helfen?“, stelle ich meine Frage an Kira und Arashi zugleich. Es ist mir egal wer von beiden mir antwortet, auch wenn ich nicht glaube dass es Kira sein wird. Noch immer ist ihr Blick an die beiden kämpfenden Wölfe geheftet. Ich blicke zu Arashi rüber. An seiner angespannten Körperhaltung erkenne ich, dass er sich am liebsten in den Kampf mit einmischen würde. Doch ich bin froh dass er es nicht tut. „Wenn wir uns jetzt einmischen, dann besteht die Gefahr, dass nicht nur Lykan uns angreift, sondern auch Derek.“ Was? Soll das etwa heißen, dass der schwarze Wolf dort Derek ist? Und ich dachte er ist auf Edemas Seite. Obwohl es mich schon gewundert hatte, dass er zusammen mit Arashi von Kostja gefangen gehalten wurde. Also entweder ist es Edema und Eileen egal, wenn ihre Krieger verletzt oder gar getötet werden, oder aber, Derek stand nie unter Edemas Kontrolle und sie sah so einen Weg ihn los zu werden. Jetzt frage ich mich aber, wieso er Arashi letztens verletzt hatte. Hat sie ihn eventuell mit irgendwas in der Hand gehabt? „Genauso wie man niemals einen Vampir beim Essen stören darf, sollte man sich auch niemals zwischen zwei kämpfende Wölfe stellen. In solch einem Moment, hat mehr das Tier die Kontrolle, als der Mensch“, erklärt mir Kira, dem Geschehen vor uns immer noch zugewandt. Und das liegt, so denke ich, mehr an Derek als an Lykan bzw. Eileen. Wieder ist ein fiepen zu hören und diesmal so laut, dass es mir in der Seele wehtut. Das große schwarze Knäuel löst sich auf und es ist Lykan, der sich zu seiner vollen Größe aufbaut. Sofort stürzt sich Arashi auf ihn. Ich blicke zu Kira rüber, die mit tränenden Augen auf die schwarze Fellkugel, auf Derek, blickt. Sie stürmt vorwärts, an seine Seite. Ich renne ihr hinterher. Neben dem verletzten schwarzen Wolf kommen wir beiden zum Stehen. Dann geht Kira in die Hocke, streichelt dem wimmernden schwarzen Wolf den Kopf. Er hebt ihn und schleckt Kira mit seiner Zunge über die Wange, leckt so ihre Tränen weg. Ich kann da nicht länger hinsehen. Auch wenn ich nicht viel Ahnung von dieser Welt habe, so kann ich mir durchaus denken, was gerade zwischen Kira und Derek passiert. Wieso der schwarze Wolf sich so verhält und wieso Kira leise weint. Derek wird sterben … Und das ist meine Schuld. Ich entferne mich von den beiden. Stolpere fast schon rückwärts und lasse mich dann, in einiger Entfernung zu Kira und Derek, auf den kalten Boden fallen. Dann lasse ich auch meinen Tränen ihren Lauf. Am anderen Ende der Gruft sind Lykan und Arashi immer noch am Kämpfen. Ich kann jede ihrer Bewegungen genau erkennen, was wohl daran liegt, dass der Kampf mit Derek, Lykan ziemlich zugesetzt hat. Arashi verpasst Lykan gerade einen Tritt, der den Wolfsmenschen gut einen halben Meter durch die Gruft schleudert. Doch lässt er ihm keine Zeit sich zu erholen. Arashi stürzt sich wieder auf ihn und holt erneut aus… „Arashi stopp“, höre ich Kira schreien. Ich blicke zu ihr, genauso wie Arashi. Kira hockt noch immer neben dem schwarzen Wolf, dessen schwerer Kopf auf ihrem Schoss gebettet ist. Mit tränenüberströmten Gesicht starrt Kira auf Lykan. Ohne seinen Blick von Lykan zu nehmen – um bereit zu sein, falls er angreifen sollte, wendet sich Arashi an Kira. „Ich weiß sie ist deine beste Freundin, Kira“, sagt er, „aber wir müssen es hier und jetzt beenden. Du weißt was sonst mit Selest passieren wird. So lange Eileen lebt, so lange wird Selests Leben in Gefahr sein.“ Sachte hebt Kira den Kopf des Wolfes an, dessen Brust sich langsam hebt und senkt. Sie gibt ihm einen Kuss auf dessen Nasenspitze und lässt ihn dann sachte zu Boden gleiten. Sie steht auf. „Kira?“ Was hat sie vor? Ich beobachte Kira dabei, wie sie mit langsamen Schritten und zitterndes Knien auf Arashi und Lykan drauf zu läuft. Einen halben Meter vor ihnen bleibt sie einen Moment stehen und bückt sich nach unten. Sie hebt den Dolch auf, welchen Eileen vorhin hat fallen lassen. Mit starrer Miene setzt sie ihren Weg weiter fort, bis sie genau vor Arashi und Lykan steht. Sie wird doch wohl nicht? Lykan wird von Arashi am Boden gehalten. Zwar versucht er dessen Fuß, mit dem Arashi seinem Brustkorb unten hält, beiseite zu drücken, doch so wie es aussieht, scheint Lykan die Kraft verlassen zu haben. Kein Wunder, da er ja erst mit Derek und dann gleich mit Arashi gekämpft hat. Das stelle ich mir schon recht ansträngend vor. Kira geht, jetzt am ganzen Körper zitternd, vor Lykan in die Hocke und wird nicht eine Sekunde lang dabei von Arashi aus den Augen gelassen. Er würde sofort eingreife, falls Lykan eine Gefahr für sie darstellt, da bin ich mir sicher. „Das hier muss ich erledigen“, flüstert Kira. Noch immer kullern Tränen ihr Gesicht herunter. Lykan bäumt sich auf, doch er greift nicht an, sondern verwandelt sich wieder in Eileen zurück. Sie ist kaum wieder zu erkennen. Ihr Körper ist übersäht mit blutenden Wunden und Hämatomen. Außerdem scheint ihr linker Arm gebrochen zu sein, von ihren beiden Beinen kaum zu schweigen. Ich wende meinen Kopf leicht angewidert ab. Das ist wahrlich kein schöner Anblick. „Kira!“ Ich höre Eileens flehende Stimme. Sie weiß ganz genau, dass das hier ihr Ende sein wird und versucht es jetzt wohl mit der Mitleidsnummer. Doch ich bezweifle, dass sie damit Erfolg haben wird. Ihre Zeit ist abgelaufen. „Kira?“ Ich gehe zwei Schritte auf sie zu, bleibe dann wieder stehen. Kira wendet ihr Gesicht in meine Richtung. „Du solltest das nicht tun müssen“, sage ich ihr. Eileen ist immerhin ihre beste Freundin. Und niemand sollte gezwungen sein, eine solche zu töten. „Überlasse das einfach mir, Kira“, sagt Arashi und streckt ihr seine Hand entgegen. „Ich bringe das zu ende.“ „Nein!“ Kira wendet sich mir mit eiserner Miene wieder ab und blickt zu Eileen runter. Die liegt mittlerweile mehr als das sie sitzt und atmet stockend ein und aus. Arashi und ich, wir blicken uns an und schließen fast synchron unsere Augen. Wir beide würden Kira am liebsten diese Bürde abnehmen, doch wir wissen, dass sie das nicht zulassen wird. Sie hat ihre Entscheidung getroffen. Ich vernehme einen spitzen Schrei – es ist Eileens. Wie von selbst öffnen sich meine Augen und ich sehe gerade so noch, wie Kiras Hand, die den Dolch fest umklammert hält, nach vorne schnellt. Eileens Kopf sackt nach unten. Die Klinge des Dolches hat ihr Herz durchbohrt. Eileen ist tot. Nein, nicht Eileen – die starb wahrscheinlich in dem Moment, als Edema Lykan und sie miteinander verschmolz. Es ist Lykan, der hier und jetzt sein Ende fand. Kira hat mit dieser Tat mein Schicksal verändert – und dafür bin ich ihr dankbar. Kapitel 8: Das Buch der Erinnerungen ------------------------------------ Herbst 2015, Anderwelt Selest Peterson „Wir müssen noch immer einen Weg hier raus finden“, sage ich schwer atmend. Ich bleibe stehen und gehe etwas in die Hocke. Wir sind jetzt bestimmt schon seit gut anderthalb Stunden hier unterwegs und suchen nach einem Ausgang. Arashi lehnt sich gegen die Mauer zu meiner Rechten und Kira setzt sich auf den Boden. „Wahrscheinlich brauchen wir dafür einen Kynigós. Kostja wird diesen Ort hier so verzaubert haben, dass Außenstehende weder rein noch raus können. Zumindest nicht ohne sein Einverständnis“, sagt Arashi und sieht dabei zu mir. Er sieht mehr als entkräftet aus. Der Kampf mit Lykan muss ihn ziemlich zugesetzt haben. Lykan! Ich wende mich von Arashi ab und sehe stattdessen zu Kira. Seit sie Lykan in Eileens Körper getötet hatte, hat sie kein Wort mehr geredet. Sie erhob sich einfach nur und ging dann aus diesen Altarraum raus. Und Arashi und ich folgten ihr, denn alleine lassen, wollten wir sie nicht. „Was ist eigentlich mit Julian?“, frage ich. Sofort blickt Kira auf, doch sagen tut sie immer noch nichts. „Was soll mit ihm sein?“, will Arashi wissen und wendet seinen Blick seufzend von Kira ab. „Nun. Er ist ein Kynigós und du sagtest…“ „Ich glaube nicht dass er uns helfen wird“, unterbricht Arashi mich. „Immerhin ist es sein Verdienst, das wir alle hier sind.“ Eigentlich ist es nur seine Schuld das Kira hier ist. Aber das sage ich ihm wohl lieber nicht. Wir haben immerhin wichtigeres zu besprechen. „Als wenn uns ein Vater oder sein Bruder helfen würden“, gebe ich stattdessen von mir. „Da werden wir bei Julian vermutlich mehr Glück haben.“ Arashi lässt sich von der Wand runtergleiten und sitzt jetzt direkt neben Kira auf dem Boden. Er legt seinen Kopf in den Nacken und stöhnt leise. „Was ist los?“ „Nichts!“, sagt er. Und doch weiß ich dass er lügt. „Du brauchst Blut, richtig?“ Arashi nickt nach einer gefühlten Ewigkeit. „Ja!“ Ich erhebe mich und lasse mich dann vor ihm nieder. Einmal hole ich kurz Luft, ehe ich ihm mein rechtes Handgelenk hinhalte. Es wäre nicht das erste Mal, dass er von mir trinkt. Und darüber hinaus, hat Arashi schon genug für mich getan. Jetzt kann ich mich bei ihm revanchieren. „Trink!“ Arashi schüttelt den Kopf. „Nein!“ „Doch“, sage ich mit Nachdruck. Allgegenwertig greife ich nach einem Stein – Es liegen ja mehr als genug davon hier rum – und drücke ihn tief in mein Fleisch. Sofort sickert etwas Blut aus der Wunde und ich halte sie Arashi unter die Nase. „Das solltest du wirklich nicht tun“, wispert er. Er hält sich zurück, das sehe ich, doch lange wird er dem Drang zu trinken nicht standhalten. „Und Kira hätte ihre beste Freundin nicht töten sollen“, gebe ich schnippig zurück. „Du siehst also, wir alle müssen Opfer bringen. Und jetzt trink endlich, damit wir endlich von hier weg können.“ Ich bin diese ewigen Diskussionen leid. Arashi blickt mir tief in die Augen und greift dann widerwillig, aber dennoch fest, nach meinem Handgelenk. Er schnuppert an der frischen Wunde – ohne den Blick von mir zu wenden. Er öffnet langsam seinen Mund, fährt seine Schneidezähne aus und beißt dann kräftig zu. Schmerzhaft verziehe ich mein Gesicht. Das letzte Mal als ich ihm mein Blut gab, da hat es nicht so wehgetan. Zumindest bilde ich mir das ein. Ich versuche nicht laut aufzuschreien – sein Biss tut mittlerweile höllisch weh – und konzentriere mich daher nur auf meine Atmung. Ich werde das durchstehen. „Es reicht!“, höre ich Kira leise flüstern. Sie fast Arashi auf die Schulter und will ihn von mich ziehen, doch Arashis Knurren lässt sie zurückweichen. War nicht eigentlich sie es, die damals, als Arashi von meiner Tante trank, dass man einen Vampir beim Essen nicht stören darf? Oh nein, das war Constantin. Wie es ihm und Jolina wohl gerade geht? Ich habe die beiden seit Tagen nicht mehr gesehen. Hoffentlich geht es ihnen gut. Ich spüre wie mich meine Kraft verlässt. Meine Augenlider werden schwer und schon wird alles schwarz um mich herum. Das letzte was ich mitbekomme ist, dass Arashi meinen Namen ruft. Unter Schmerzen stöhne ich auf und öffne dann meine schweren Augen. Es kostet mich einiges an Kraft um sie ganz zu öffnen, dennoch gelingt es mir. Arashis tiefroten Augen ist das erste was ich sehe. Daran könnte ich mich glatt gewöhnen. „Mach vorsichtig“, sagt er, als ich mich aufrichten will. Er stützt meinen Rücken mit seinen Händen und hilft mir so mich richtig hinzusetzen. „Was ist passiert?“, frage ich. Ich blicke auf mein Handgelenk, welches ich Arashi angeboten hatte. Die Wunde hat sich mittlerweile vollständig wieder geschlossen. „Hat Kira dich von mir weggezerrt, oder…“, ist es dir gelungen dem Blutrausch – indem du dich ganz offenbar befunden hattest – standzuhalten? Ich spreche es nicht laut aus, denn ich will Arashi keine Vorwürfe machen. Immerhin war ich es, die ihm sagte er solle von mir trinken. „Weder noch“, antwortet mir Arashi. Seine Stimme hat einen merkwürdigen Unterton, der mich stutzen lässt. „Was ist passiert? Und wo ist Kira?“ Ich sehe einmal nach rechts und einmal nach links. Wir befinden uns wieder in diesem Altarraum, in dem Eileen mir das Herz entreißen wollte. „Antoniella, oder besser gesagt Edema ist passiert“, kommt er endlich mit der Wahrheit heraus. „Sie hatte es geschafft ein Portal in die Anderwelt zu erschaffen. Mit ihrer letzten verbliebenen Kraft muss Eileen ihr wohl so eine Art Hinweis geschickt haben, in welcher Dimension sich die Anderwelt befindet. Dieses hinterhältige Miststück“, fügt er leise knurrend noch hinzu. Ich kann es ihm nicht verübeln. „Redet man so über seine Ex“, vernehme ich plötzlich die mir vertraute Stimme von meiner Tante. Sofort blicke ich auf und in die Richtung, aus der ich meine Tante vermute. Nanu. Wo kommen die denn alle auf einmal her? Rings um uns herum stehen an die dreißig, wenn nicht sogar noch mehr, Frauen und Männer. Und bis auf meine Tante und mein Vater… „Dad!“, rufe ich nach ihm und rappe mich auf. Bevor Arashi die Gelegenheit hat mich aufzuhalten, renne ich auch schon zu meinem Vater und umarme ihn stürmisch. „Bin ich froh dass du hier bist“, sage ich und drücke mich dichter an ihn. Doch statt wie sonst auch, umarmt er mich nicht, sondern stößt mich von sich. Perplex starre ich ihn und auch meine Tante – die sich neben ihn gestellt hat – an. Beide sehen mich mit so viel Hass in den Augen an, dass ich erschrocken zurückweiche. Was ist mit ihnen? „Sie stehen unter dem Einfluss von Edema“, sagt Arashi. Er stellt sich neben mich. „Und zwar sie alle.“ Dann greift er unter mein Kinn und dreht meinen Kopf sachte nach rechts. Unter den ganzen Leuten, die um uns herum stehen, ist auch Jolina. Sie hält sich mit den übrigen jungen unter ihnen – das sind… ich zähle kurz nach… sieben – an der Hand und zusammen sprechen sie so eine Art Zauberformel. Ich verstehe kein einziges Wort, da sie mehr als leise dabei sind. Im Grunde also, sehe ich nur, wie sich ihre Lippen bewegen. „Was machen die da?“, will ich von Arashi wissen. Ich ziehe meine Augenbrauen nach oben und runzle die Stirn. Und wie zum Teufel ist es Edema gelungen die Kontrolle über all diese Hexen zu erlangen? Muss man dafür nicht verdammt stark sein und sehr viel magische Kraft besitzen? „Sie besitzt die Kräfte von zwei Zodiac-Hexen“, sagt Arashi. „Darüber hinaus ist sie auch noch die Hohepriesterin deines Zirkels und wenn man das zusammenfügt, dann kann man schon sagen, dass sie mächtig ist. Verdammt mächtig sogar.“ „Doch lass mich raten…“ Ich sehe Arashi wieder einmal in die Augen – was ich in letzter Zeit ziemlich häufig tue, wenn ich mal darüber nachdenke, „die reicht ihr nicht aus. Sie will noch mächtiger werden und sucht deshalb nach den anderen drei Zodiac-Kräften?“ Das es machen Leuten aber auch immer wieder nach solch großer Macht strebt. Kann man nicht einfach mal mit dem zufrieden sein was man hat? Das tue ich doch… Nein. Das tat ich auch nicht. Ich hasste mein langweiliges Leben und wünschte mir so sehr, dass es aufregender sein würde. Doch jetzt wo es das ist, wünsche ich mir nichts weiter, als dass es wieder so wie früher wäre. Auch wenn ich Arashi und auch Kira, genauso wie Jolina und Constantin vermissen würde. Tja… Wie vorhin schon gesagt, hat alles seinen Preis. Nichts bekommt man umsonst. „Edema wird erst zufrieden sein, wenn sie alle fünf Zodiac-Kräfte in sich vereint, da hast du vollkommen recht. Und so wie es aussieht, wird sie bald herausfinden, wer die oder der letzte Zodiac ist. Und wir können nichts tun um sie aufzuhalten.“ Arashi ballt seine Hände zu Fäusten und schlägt dann mit seiner rechten an die Mauer neben uns. Erde bröckelt beim Einschlag seiner Hand und hinterlässt so eine Kuhle an der Wand. „Wieso glaubst du dass sie bald auch die Letzte bekommt? Und wo steckt Edema überhaupt? Hast du nicht gesagt, dass ich es ihr zu verdanken habe, dass du mich nicht restlos ausgesaugt hast?“ Arashi Augen werden groß als er meine Worte vernimmt. Oh Mist… Das habe ich doch gar nicht sagen wollen. Entschuldigend ziehe ich meine Schultern etwas hoch und mache ein geknicktes Gesicht. Er soll wissen dass ich es ihm nicht krumm nehme. Ich nahm an das Arashi mir sofort erklären würde was er meinte, doch das tut er nicht. Stattdessen dreht er sich weg von mir und starrt in die entgegengesetzte Richtung. Was ist denn jetzt los? Er wird doch wohl nicht beleidigt sein? Nein, so sieht er nicht aus, vielmehr macht er den Eindruck, dass er sich nicht traut mir die Wahrheit zu erzählen. Also muss es wohl etwas nicht so gutes sein. Verdammt! Ich strecke sachte meine Hand nach Arashi aus, ziehe sie aber sofort wieder zurück. Dafür mache ich zwei große Schritte und stehe so direkt hinter ihm. Wortlos schlinge ich meine Arme um seinen Unterleib und drücke mich dicht an ihn. Mehrere Minuten bleiben wir so schweigend stehen. Es tut gut ihm so nah sein zu können. „Du erinnerst dich an das Buch der Erinnerungen“, unterbricht Arashis Stimme die Ruhe zwischen uns. Ich nicke, was er spürt und so fährt er fort. „Es ist eines von drei heiligen Relikten des Wicca-Zirkels. Frage mich bitte nicht nach den anderen zweien, ich weiß auch nur von dem hier. Jedenfalls kann die Hohepriesterin der Wiccas, indem sie ihren Geist in das Buch projiziert, als stumme Beobachterin, in die Vergangenheit reisen.“ „Und das hat Edema getan?“ Diesmal ist es Arashi der nickt. „Genau!“ „Aber wie? Du sagtest doch dass das nur die Hohepriesterin der Wiccas kann und Edema… Moment mal.“ Ich löse mich ruckartig von Arashi. Er dreht sich mir wieder zu und sieht mich traurig an. „Deswegen hat sie Kira ihrer Macht beraubt? Um sie für sich selbst nutzen zu können?“, rate ich. „Nein! Denn es sind nicht die Kräfte, die eine Hexe an einen Zirkel bindet, sondern es ist ihr Blut“, flüstert Arashi. Beinahe hätte ich ihn nicht verstanden, da der Singsang von Jolina und den anderen lauter geworden ist, da nun auch die anderen mit eingestimmt haben. Was will er mir damit sagen? Doch nicht etwas das Kira tot ist? Nein, das hätte Edema niemals getan. Oder doch? Ich sehe mich nach meinem Dad und meiner Tante um. Die beiden sind die einzigen, die sich nicht an den Händen halten und dem Singsang mit einstimmen. Sie beobachten mich und Arashi. Vermutlich sollen sie eingreifen, falls wir irgendwas unternehmen. Die anderen von Edemas Marionetten sind ja beschäftigt und irgendwas sagt mir, dass sie mit dem Singsang nicht aufhören dürfen, solange sich Edema in diesem Relikt befindet. Und das heißt dann wohl auch, dass Kira wirklich noch lebt und Edema sie nicht geopfert hat, um so an ihr Blut zu kommen. Wenigstens eine gute Nachricht. „Also müssen wir nur noch einen Weg finden meine Tante und meinen Dad auszuschalten, um Edema zu töten“, rate ich einfach mal wild drauf los. Diese Gleichgültigkeit, mit der ich Edemas Tod in Kauf nehme, macht mir zwar ein klein wenig Angst, doch weiß ich auch, dass das unsere einzige Chance ist, um sie aufzuhalten. Von Angesicht zu Angesicht, kann keiner von uns was ausrichten. Ich am aller wenigsten. „Leider ist das nicht so einfach“, sagt Arashi. Wieder klingt seine Stimme traurig. Ich überlege was der Grund dafür sein kann, doch egal wie lange ich überlege und hoffe das es etwas anderes sein muss, komme ich immer wieder zu derselben Erkenntnis. Edema hat sich mit Kira verbunden und das heißt… das sollten wir sie töten, Kira ebenfalls sterben wird. Hört das denn niemals auf? Herbst 2015, Ort unbekannt Kira Vaillant „Wieso glaubt ihr ausgerechnet hier, die letzte noch verbliebene Zodiac-Kraft zu finden“, versuche ich Edema die Wahrheit zu entlocken. Das Buch der Erinnerungen zeigt schließlich nur die Vergangenheit der Wiccas und es ist ja nicht gesagt, dass es ausgerechnet eine Wicca-Hexe sein muss, nach der Edema so krampfhaft sucht. Genauso gut könnte sie auch zum Stonehenge-Zirkel gehören. Das wäre sogar fast anzunehmen, da mit Edema, Selest und Vanessa, schon die Wicca- und Phönix-Hexen Zodiacs haben. Und ich bezweifle, dass Ian ursprünglich dem Stonehenge-Zirkel angehört. Den Eindruck, dass er mit der Natur im Einklang ist, hat er auf mich nicht gemacht. Vielmehr habe ich den Verdacht, dass der Kynigós-Clan einst den Wiccas angehört hat. Ausgerechnet meinem Zirkel. Wieder mal ist das Schicksal also nicht auf meiner Seite. Wie vorhersehbar. „Ich weiß es einfach“, bekomme ich von Edema doch tatsächlich eine Antwort. Das ist, seit wir hier drin sind – was mir fast schon wie eine Ewigkeit vorkommt – das erste Mal, dass sie mit mir redet. „Ich spüre es ganz deutlich.“ „Also ich spüre nichts“, sage ich, während ich mich von Edema immer tiefer ins Innere des Reliktes ziehen lasse. Als wenn sie Angst hätte, dass ich ihr hier davonlaufen würde. Rechts und links von mir ziehen Bilder der Vergangenheit meines Zirkels an mir vorbei. Sogar Vanessa war schon zu sehen, die mit einer blonden jungen Frau einen Zauber vollführt hatte. Leider konnte ich nicht erkennen um was für einen es sich gehandelt hatte da die Erinnerung viel zu schnell wieder weg war. Fast so schnell, wie sie erschienen ist. „Wir sind fast da. Nur noch ein Stückchen und…“ Ich will Edema geredet danach fragen was sie meint, als ich es auch schon selber sehen kann. War bis eben noch alles steril und leer – abgesehen von den einzelnen Bildern der Vergangenheit – hat sich unsere Umgebung jetzt vollständig verändert. Wir stehen inmitten eines Schlachtfeldes. Doch nicht irgendeinem Schlachtfeldes, sondern dem, von vor 17 Jahren. Wir befinden uns mitten drin, im den Krieg, den angeblich meine Eltern begonnen haben sollen. Warum sind wir hier? „Sieh genau hin, Kira“, sagt Edema und zieht mich näher zu sich ran. Sie zeigt mit ausgestrecktem Finger in die Ferne. Ich muss mich richtig anstrengen um zu sehen, was Edema mir zeigen will. Doch sobald ich es erfasst habe, werden meine Augen groß. Zwei Frauen stehen sich gegenüber. Eine mit dunkelrotem Haar und eine mit schwarzem. Sie sehen aus wie… „Sind das…“ Ich bin unfähig die Worte auszusprechen, die mir auf der Zunge liegen. Viel zu sehr bin ich von dem gefesselt, was sich vor meinen Augen abspielt. „Ganz Recht“, säuselt Edema mir ins Ohr. Sie umgreift mein Kinn und zieht es wieder in die Richtung, von der ich mich gerade eben erst abgewandt habe. „Sieh hin, Kindchen. Sieh, wie deine Mutter ihre beste Freundin ermordet.“ Gehässiges Lachen folgt Edemas Worten. Ich löse mich von Edemas Griff und will zu meiner Mutter rennen, will sie daran hindern den größten Fehler ihres Lebens zu machen, doch Edema ist leider schneller. Sie greift wieder nach meinem rechten Arm und hält mich so eisern an Ort und Stelle. „Wieso tut ihr das?“, will ich wispernd von ihr wissen. „Ich dachte ihr habt es so eilig herauszufinden, wer die letzte Zodiac-Kraft in sich hat?“ „Alles zu seiner Zeit, Liebes“, haucht sie mir ins Ohr und drängt mich weiter dazu, dem grausamen Spiel vor uns, zuzusehen. „Ich habe bereits einen Verdacht um wen es sich handelt. Doch um ihn bestätigt zu wissen, müssen wir hier weiter zusehen.“ „Ihr seid grausam“, zische ich und kneife meine Augen zusammen, in genau dem Moment, als sich meine Mom auf Selests stürzt. Ich vernehme Rubys überraschten Schrei, als sich die Klinge die meine Mutter führt, tief in ihren Unterleib bohrt. Der Schrei klingt so nah, obwohl sich das Geschehen nicht direkt vor uns abspielt. Vermutlich habe ich das Edema zu verdanken. „Es ist gleich vorbei“, flüstert Edema und zieht mich wieder mit sich. Je näher wir meiner Mom und Selests Mom kommen, desto mehr wehre ich mich gegen Edemas festen Griff. Ich will da nicht näher ran. Doch es bringt nichts, denn Edema ist einfach stärker als ich. Mir bleibt also nichts anderes übrig, als hinter ihr hinterher zu stolpern. Glücklicherweise war auch dieses Schauspiel, das von meiner Mom und Ruby, Moms bester Freundin, schnell wieder vorbei. Zwar nicht schnell genug, denn ich habe mehr gesehen als ich eigentlich wollte, doch Gott sei Dank verschwand es, noch bevor Edema und ich dort waren. Leider aber folgten weitere solcher Bilder. Und jedes davon, war grausamer als das davor. So sah ich wie jungen Hexen, Loup-Garous und auch einige Vampire, ihr Leben lassen mussten. Doch seltsamerweise starben sie nicht weil die Hexen meines Zirkels sie aus reiner Bosheit angriffen, sondern weil sie sich mit tödlicher Magie, gegen diese verteidigen mussten. Da frage ich mich doch echt, ob mein Zirkel diesen Krieg wirklich angefangen hat. So wie sich mir das hier zeigt, hat es eher den Anschein, als wollen die anderen diesen Krieg. Doch kann ich mich da auch täuschen. „Ist das nicht ein herrliches Bild“, fragt mich Edema. Ich hoffe sie erwartet keine Antwort von mir. Denn ich kann dem Bild, welches sich uns gerade präsentiert, nichts Herrliches abgewinnen. Eine junge Hexe, ich schätze sie auf mein Alter, liegt Blutüberströmt auf dem Boden. Ihr Stab, der in zwei Teile zerbrochen ist, liegt neben ihr. Ihre zitternden Hände greifen nach ihm, doch da wird sie von einer großen Feuerkugel getroffen. Vor meinen Augen verbrennt die junge Hexe, begleitet von einem unerschütterlichen Schrei, der mir durch Mark und Bein geht. Ich verstehe das nicht. Diese junge Hexe war eindeutig eine Stonehenge-Hexe und diese Feuerkugel… auch wenn wir Wiccas über die Naturgewalten gebieten, wären wir niemals in der Lage eine solche Feuerkugel zu erschaffen, und das heißt, dass sie Feuerkugel von einer Phönix-Hexe stammen musste. Doch wieso sollte eine Phönix… Das ergibt doch gar keinen Sinn. Alles Lügen. Mein ganzes Leben war eine einzige Lüge und selbst jetzt, stellt sich das, was für lange Zeit im Dunkeln lag, und sich seit ein paar Tagen als die Wahrheit kristallisierte, als weitere Lüge heraus. Denn es waren weder meine Eltern, noch mein Zirkel, die diesen Krieg gewollt haben. Es waren aber auch nicht die Phönix-Hexen, sondern einzig und alleine Edema. Edema und ihre Anhänger. Nur Gott alleine weiß, wie lange sie diesen Krieg schon geplant hatte. „Ich habe oft in Erinnerungen geschwelgt, Kira. Habe an all das Chaos und den Schmerz gedacht, den meine treuen Anhänger und ich verursacht haben. Und jetzt all das noch einmal zu sehen, nein, nicht nur zu sehen, sogar erneut dabei sein zu können, das ist etwas ganz besonderes für mich. Dein Zirkel ist etwas Besonderes.“ Die Bilder um uns herum verändern sich erneut, nachdem der Schmerzens- und Todesschrei der jungen Hexen endlich abgeklungen ist. Und das was sich jetzt vor uns als nächstes Bild der Vergangenheit materialisiert, könnte persönlicher gar nicht sein. Wir stehen in einem kleinen Verlies, und vor uns hocken, auf dem dreckigen Boden, meine Mom und mein Dad. Der Kopf meiner Mom ruht auf Dads Schultern. Beide sehen sehr mittgenommen aus. „Das ist eines meiner liebsten Erinnerungen“, sagt Edema und zieht mich näher an meine Eltern ran. Und wäre das hier keine Erinnerung, sondern real, dann könnte ich sie berühren. Das erste Mal in meinem noch recht jungen Leben. „Das hier ist das letzte Mal, dass deine Eltern sich sehen. Sie wissen es in diesem Moment vielleicht noch nicht, doch ahnen tun sie es. Immerhin kennen sie unsere Gesetze nur zu gut. Sie wissen, was mit Verrätern passiert. Oh. Ist das nicht herzallerliebst?“ Meine Mom greift nach der Hand von meinem Dad und führt sie zusammen zu ihrem Bauch. Sofort schleicht sich ein Lächeln auf ihrer beider Gesichter und Mom drückt sich noch dichter an Dad. Liebevoll sehen sie sich in die Augen. „Unser Kind ist ziemlich aktiv“, höre ich meinen Dad flüstern. Seine Stimme klingt rau, vermutlich haben er und meine Mom lange nichts mehr zu trinken bekommen. „Sie ist eine Kämpferin, Alex. Was also auch immer Antoniella – nein Edema – was auch immer sie plant, Kira wird die Wahrheit herausfinden. Sie und die kleine Selest, sie werden unseren Zirkel wieder aufbauen.“ „Mom!“, schluchze ich und strecke meine Hände nach ihr aus. Federleicht liegt sie auf ihrer Wange. „Du wirst sie besiegen, mein kleiner Liebling“, sagt meine Mom und es hat fast den Anschein, als würde sie ihre Wange gegen meine Hand schmiegen. „Ich weiß dass du es kannst!“ „Das reicht“, zischt Edema, reißt mich von meiner Mom und dann immer weiter von meinen Eltern weg. Wir durchdringen die Stäbe des Verlieses, dabei benetzen meine Tränen mein ganzes Gesicht, sodass ich meine Eltern nur noch durch einen Tränenschleier sehen kann. Ich strecke meinen rechten Arm nach ihnen aus, doch alles was ich zu greifen bekomme, sind die Stäbe des Verlieses. Wieder lacht Edema triumphierend. „Ich komme meiner geliebten Antwort immer näher“, lacht sie und beobachtet mit Freuden, wie ihr Vergangenheits-Ich, in der Gestalt Antoniellas, zusammen mit Ilona, der Halbschwester von Xenia, der Hohepriesterin der Stonehenge-Hexen und Zarjo Nikolov, Ioans Vater, vor das Verlies meiner Eltern tritt. Alle drei sehen sehr zufrieden aus. „Es ist gleich soweit, Alex“, höre ich Edema, mit Antoniellas Stimme sagen. „Das Triumvirat hat entschieden, dass sämtliche Verräter, mit Ausnahmen ein paar weniger, heute Abend hingerichtet werden. Und dazu zählst du auch. Doch freu dich, deine liebe Ileana bleibt noch ein Weilchen am Leben. Zumindest so lange, bis eure Tochter geboren wurde. Danach wird sie dir und den anderen, selbstverständlich folgen. Auch das hat das Triumvirat beschlossen.“ „Irgendwann werden sie die Wahrheit erfahren, Edema“, zischt mein Vater. Das Vergangenheit-ich von Edema starrt ihn erschrocken an, was ihn kurz auflachen lässt. Dann wird er allerdings wieder ernst. „Hast du wirklich geglaubt wir würden dich nicht durchschauen? Wir wissen schon länger dass du Lady Antoniellas Körper besetzt.“ „Was wir aber nicht wissen ist, wie du das geschafft hast. Immerhin ist Lady Antoniella alles andere als schwach.“ „Das stimmt!“ Edemas Vergangenheit-Ich hat ihre Sprache scheinbar wiedergefunden. „Doch ist meine liebe Tochter nicht stark genug gewesen um mich abzuwehren.“ Jetzt ist es an meinen Eltern erschrocken dreinzublicken. „Sie ist eure Tochter?“ Edema nickt meiner Mom zu. „Ganz Recht. Und bald werde ich sie vollständig übernommen haben. Dann gehört die Macht aller Phönix-Hexen mir. Ich muss schon zugeben. Nie hätte ich ihr zugetraut, zu einer Hohepriesterin zu werden. Ich war mehr als erstaunt, als ich davon erfuhr.“ Meine Eltern und Edema unterhalten sich noch eine Weile, während Ilona und Zarjo Nikolov nur stumm daneben stehen. Ich versuche so gut es geht sie alle vier auszublenden, und mich auf das hier und jetzt zu konzentrieren. Und glücklicherweise hilft mir meine Edema dabei, indem sie mich mal wieder vollquatscht. Herbst 2015, Anderwelt Selest Peterson „Und wenn wir sie nur so stark verletzen, dass sie zu schwach ist um uns anzugreifen?“, versuche ich Arashi einen weiteren meiner Einfälle schmackhaft zu machen. Ich hatte schon einige, doch keiner davon gefiel ihm. Auch der hier nicht, wenn ich seine Mimik richtig deute. „Selbst wenn wir das tun, würde Kira vermutlich immer noch das Nachsehen haben. Wir wissen schließlich nicht, ob eine verletzte Edema, die gezwungen wird das Buch zu verlassen, auch Kira wieder mit raus nimmt.“ Oh… Daran habe ich nicht gedacht. Aber irgendwas müssen wir doch unternehmen, denke ich und seufze innerlich laut auf. Wieso nur bin ich immer so nutzlos für die anderen? Immer müssen sie mir den Weg weisen und mich retten. Wenigstens einmal möchte ich diejenige sein, die uns aus einer brenzligen Situation befreit – das damals mit Lykan zählt nicht, denn da habe ich ja nicht direkt, sondern indirekt zu unserer Rettung beigetragen, da ich mich noch immer nicht wirklich an meine Taten erinnern kann. Verdammt! Irgendwas muss ich doch tun können. Ich will mich gerade wieder über Arashi beugen, der seinen Kopf auf meinem Schoß gebettet hat und mit geschlossenen Augen wohl einen weiteren meiner Einfälle wartet, als ich ein dumpfes Rumsen vernehme. Ich schaue auf und bin um ehrlich zu sein, etwas geschockt. Mein Dad und meine Tante liegen auf dem Boden, genauso wie unsere sogenannten Aufpasser und rühren sich nicht. Vielleicht eine Millisekunde lang, bleibt mein erschrockener Blick auf Jolina und den anderen hängen, ehe er dann aber wieder zu meinem Dad und meiner Tante zurückkehrt. Also entweder ist es ihr und den anderen egal, oder aber sie sind so in ihrem Singsang vertieft, dass sie nicht mitbekommen haben, das ihre Wächter ausgeschaltet wurden. Doch von wem wurden sie ausgeschaltet? Arashi und ich waren es nicht. „Wie lange wollt ihr dort eigentlich noch hocken bleiben?“ Ruckartig drehe ich meinen Körper um Neunzig Grad. Hinter uns stehen Julian, sein Vater und seine Brüder. Und das mit einem Ausdruck in den Augen, der mir wirklich Angst macht. So schnell kann ich gar nicht kucken, wie Arashi sich erhoben hat und nun Angriffsbereit vor mir steht. Bereit mich jederzeit zu verteidigen. Ich seufze laut. Fängt also schon wieder an. „Ruhig Blut, Brauner“, belächelt Ian Arashis Aktion. „Wir sind hier um euch zu helfen“, fügt er dem noch hin und stolziert mir anmutigen Schritten auf meinen Dad und meine Tante zu. „Was hast du vor“, frage ich ihn, dränge mich an Arashi vorbei und folge Ian. Ich werde bestimmt nicht zulassen, dass er meine Familie verletzt. Egal ob er ein Zodiac und gefährlicher Hexenjäger ist oder nicht. Dem würde ich es dennoch zeigen. Ich folge ihm also und lasse mich als erstes neben meinen Dad fallen. Gegenwärtig überprüfe ich seinen Puls – er schlägt regelmäßig. Da ich annehme das es meiner Tante auch soweit ganz gut geht, verdränge ich den Impuls auch bei ihr nach dem Puls zu fühlen und greife stattdessen nach Ians Hemdkragen. Er lässt sich widerstandslos von mir etwas nach unten und zu mir ran ziehen. Giftig blicke ich ihn an. „Warum habt ihr das getan?“, will ich von ihm wissen. Belustigt über mein Verhalten, schenkt Ian mir ein schelmisches Lächeln. Dann entzieht er sich sachte meinem Griff und streicht sein Hemd wieder gerade. „Und was wollt ihr überhaupt hier?“ „Das hier ist unser Zuhause“, erklärt Julians anderer Bruder. „Wir wollen diesen ganzen Abschaum genauso wie ihr loswerden.“ Bitte? „Mein Dad und meine Tante sind kein Abschaum“, zische ich empört. „Und die anderen auch nicht. Sie sind von Edema manipuliert wurden und tun das gegen ihren Willen.“ „Na wenn du das sagst“, grinst Ian und erhebt sich wieder. „Dennoch sind wir hier um euch zu helfen. Oh nein warte… Wir sind hier um ihr zu helfen“, mit diesen Worten zeigt er in Richtung von Jolina und den anderen. Immer noch sind sie mit ihrem Singsang beschäftigt. Kann die eigentlich irgendetwas aus der Ruhe bringen? Scheinbar ja nicht. „Wen genau meinst du?“ Irritiert blicke ich zu Arashi, der hat sich, wie sollte es anderes sein, wieder an meine Seite begeben. „Selbstverständlich unsere Hohepriesterin, Kindchen.“ Kostjas grauer Haarschopf schiebt sich in mein Blickfeld. Erschrocken weiche ich einen Schritt zurück und pralle gegen einen stählernen Oberkörper. Ich drehe mich um und blicke in das Gesicht eines mir unbekannten Mannes. Eines verdammt aktaktiven jungen Mannes. Ich schätze sein Alter auf Mitte 20 oder so. Ein klein wenig sieht er Ian ähnlich, nur das er ernster als dieser zu sein scheint – wesentlich ernster und größer. Mit seinen eisblauen Augen durchbohrt mich der mir Fremde regelrecht. „Mein Zweitältester, Henry“, stellt Kostja den jungen Mann vor. Deshalb also sieht er Ian so ähnlich. „ich verstehe es nicht“, gebe ich zu. Peinlich ist mir das ja schon irgendwie, aber was soll ich machen. „Dummerchen!“ Meint er etwa mich? „Wir reden natürlich von Kira“, sagt Ian grinsend. Kann der auch was anderes als andauernd zu grinsen? Das nervt echt. Und ja, natürlich meint er mich, dieser… Moment Mal, was sagte er eben? „Ihr gehört dem Wicca-Zirkel an?“ Das ist ja mal eine Überraschung. Und das meine ich wirklich so. Niemals hätte ich gedacht… „Ok. Ähm, dann erklärt mir doch mal bitte, wieso ihr sie jetzt beschützen wollt, wo ihr vor ein paar Monaten noch geplant habt sie zu opfern, als es hieße, sie sei eine Zodiac? Ihr seid ja ganz schön Sprunghaft, hm.“ „Es ist keine gute Idee so mit ihnen zu reden“, rügt mich Arashi. Den hatte ich ja fast schon vergessen. „Wenn sie beschließen dich anzugreifen, dann kann ich dich unmöglich vor ihnen allen schützen. „Das reicht jetzt“, schreie ich ihn an. Perplex starrt Arashi mich an, genauso wie die Kynigós-Hexer. Einzig Julian sehe ich nirgends zwischen ihnen. „Ich bin es leid, dass ich immer beschützt werden muss. Ich bin auch eine Hexe ok, ich sollte mich selber schützen können.“ „Das wirst du schon noch“, mischt sich Ian ein. Doch diesmal ist etwas anders an ihm. Weder grinst, noch er mich mit seinem natürlichen Hohn in den Augen an. Er wirkt fast schon freundlich. „Sobald du eine vollwertige Hexe bist, wirst du dich selber schützen können.“ „Ian hat Recht, Selest“, haucht Arashi und legt mir versöhnlich eine Hand auf die Schulter. „Es tut mir leid“, murmle ich. „Es ist nur, ich… Ich fühle mich einfach so nutzlos, verstehst du. Ich will Kira helfen, immerhin hat sie mein tödliches Schicksal abgewendet und auch so, ist sie eine sehr gute Freundin für mich geworden, die sehr viel auf sich genommen hat. Ich meine, sie hat sogar Eileen, ihre einst beste Freundin für mich getötet. Ich will ihr doch nur was wiedergeben. Ich will meine Fehler, die ich ihr gegenüber begangen habe, einfach wieder gut machen.“ „Das verstehe ich. Doch darfst du nichts überstürzen. Kira würde nicht wollen das du dich ihretwegen so mies fühlst. Außerdem ist sie kein Mensch, der einem lange was übel nehmen kann. Und jetzt Kopf hoch. Du wirst schon noch Gelegenheit bekommen sie zu retten. Ich werde dich dabei unterstützen, das verspreche ich dir!“, haucht er gegen meine Lippen und küsst mich flüchtig. Mit meinen Zähnen malträtiere ich meine untere Lippe, nachdem er sich wieder von mir gelöst hat. Außerdem spüre ich deutlich, wie ich Rot anlaufe. „Ich bin stets an deiner Seite!“ „Wenn ihr dann endlich mit eurer wirklich hinreißenden Liebesbekundung fertig seid“, unterbricht Kostja uns… „…könnten wir uns überlegen wie wir Kira aus Edemas Fängen befreien können“, beendet Julian dessen Satz. Ich sehe mich nach dem jüngsten von ihnen um. Ich kann ihn nirgends erkennen. „Wo steckst du, Julian?“ „Hier!“, höre ich ihn sagen. Und endlich kann ich ihn auch sehen. Sein schwarzer Haarschopf steckt irgendwo zwischen den noch immer singenden Junghexen. Und neben ihm… „Kira!“, rufe ich panisch heraus und renne auch schon zu ihr. Ich kämpfe mich an Jolina vorbei, die mich mit ihren Augen verfolgt. Aber wahrscheinlich habe ich mir das nur eingebildet, denn das wäre das erste Mal, dass ich ein wirkliches Lebenszeichen von einen von ihnen bekomme – also abgesehen von diesem echt nervigem Singsang. Neben Kira komme ich zum Stehen und überprüfe ob es ihr auch gut geht. Edema, die neben Kira auf dem Altar liegt ignoriere ich, da ich wenn ich sie beachten würde, höchstwahrscheinlich eine Dummheit begehen würde. Und wie ja schon von Arashi gesagt, täte das auch für Kira definitiv nicht gut ausgehen. Und gerade ihr will ich ja am allerwenigstens wehtun. „Ihr Geist hat ihren Körper verlassen“, erklärt mir Julian. In seinen Augen erkenne ich, dass es ihm ebenfalls Überwindung kostet, Edema nicht hier und jetzt zu töten. Seit ich weiß wer er ist, ist das hier das erste Mal, dass sie die tiefe Liebe, die er für Kira wohl empfindet, klar und deutlich vor mir sehe. Bis jetzt war ich eigentlich der Meinung, dass er Kira nur was vorgemacht hat, um seinen Vater stolz zu machen. „Gibt es irgendetwas was wir tun können?“, frage ich. „Irgendwie müssen wir sie doch von Edema trennen können.“ Julian schüttelt seinen Kopf. „Und was ist mit deinem Vater? Kann er nicht…“ „Nein!“ Ich will protestieren. Will ihn anschreien das er gefälligst was unternehmen soll, als ich jemanden meinen Namen rufen höre. Leise – fast wie ein wispern. Ich schaue nach oben, drehe meinen Kopf einmal nach links und dann nach rechts. Doch kann ich niemanden erkennen, zu dem die Stimme passen könnte. Frustriert sacke ich in mich zusammen und lasse mich dann am Altar hinuntergleiten. Wie ein Häufchen Elend sitze ich im Dreck. Dabei spüre ich deutlich Julians und auch Arashis Blick auf mir. Herbst 2015, Ort unbekannt Kira Vaillant Noch immer versuche ich meine Atmung wieder unter Kontrolle zu bekommen. Versuche die drohende Ohnmacht zu verdrängen und lasse mir sogar von Edema dabei helfen. „Geht es wieder“, fragt sie mich und streichelt mit einer ihrer Hände über meinem Rücken. Am liebsten würde ich sie anschreien und ihr mitteilen das es mir alles andere als gut geht, nachdem ich eben den Tod meines Vaters und den vieler meiner Zirkel-Brüder und -Schwestern habe zugesehen. Dass es einem da nicht gut geht, dürfte jawohl jedem klar sein. Nur ihr natürlich nicht, aber was soll man von einer Psychopatin auch erwarten. Die hat sich das ganze Schauspiel mit solcher Leidenschaft angesehen, dass mir so schlecht wurde, dass ich sogar jetzt noch damit zu kämpfen habe. „Wie könnt ihr sowas nur genießen“, japse ich, dabei nach Luft schnappend. „Wie könnt ihr hier stehen und euch all das ansehen, als würde es etwas gänzlich alltägliches sein?“ „Alles eine Frage der Übung“, sagt Edema und erhebt sich wieder. Bringt so etwas Abstand zwischen uns – was ich nur gutheißen kann. Sie streicht ihr Kleid glatt und reicht mir dann ihre Hand, mit der sie mir bis eben noch über den Rück strich. Es widerstrebt mir sie zu ergreifen doch weiß ich, dass sie wenn ich es nicht freiwillig tue, mich wieder hinter sich herziehen wird. Und darauf habe ich noch weniger Lust. Ich lasse mich also von ihr hochhelfen. „Gleich wird der Höhepunkt unserer kleinen Reise kommen“, freut sich Edema. „Und was soll das sein?“ Wieso frage ich das eigentlich? Ich meine, will ich überhaupt wissen was als nächstes auf mich drauf zu kommt? Eigentlich ja nicht, doch habe ich eh keine Wahl. Edema lächelt mich wissentlich an und deutet mit ihrem Kopf hinter mich. Ich drehe mich ängstlich um. „Deine Geburt, Liebes!“, haucht Edema mir sogleich ins Ohr und schiebt mich dann näher an das Bett ran, in welchem meine Mutter liegt und laut nach Luft schnappt. „Oh Gott!“, nuschle ich und schließe meine Augen. Also das muss ich mir nun wirklich nicht ansehen. „Es ging damals relativ schnell, weißt du“, erzählt Edema munter drauf los. Ich will das alles gar nicht hören. Und um ihr das zu verdeutlichen, halte ich meine Hände an meine Ohren. Leider hilft das nicht viel. „Dabei dachten wir alle dass es länger dauern würde, da deine Mutter ja so geschwächt war. Ich hätte es wirklich besser wissen müssen. Die Anzeichen waren da – sogar mehr als nur dieser eine hier – und dennoch habe ich es nicht gesehen. Doch jetzt weiß ich es.“ Es ist mir egal was sie weiß. Es ist mir egal was sie als nächstes tun wird. Und es ist mir egal was sie mit mir vorhat. Alles was mir wichtig ist, ist, dass ich von hier weg komme. „Jetzt musst du hinsehen“, sagt Edema und nimmt meine Hände in ihre. „Öffne deine Augen“, wispert sie und sofort tue ich was sie von mir verlangt hat. Ich öffne meine Augen und sehe, wie Tante Fanny mich im Arm hält. „Siehst du ihn… diese kleine schwache Lichtkugel? Genau das ist das Zeichen, auf das ich so lange gewartet habe. Die Bestätigung meiner Ahnung.“ Das Buch der Erinnerungen ist ein Gefängnis. Das Gefängnis für unsere Erinnerungen. Ich höre die Stimme meiner Mutter in meinem Kopf. Ein letztes Mal noch treffen sich unsere Blicke. Sie lächelt mich an, mich direkt – und diesmal ist es nicht nur Einbildung von mir – dann schließt sie ihre Augen. Meine Mom ist tot. „War das nicht großartig?“, fragt mich Edema, nachdem sie mir gerade Mal ein Minute zum Trauern ließ. Sie zieht mich wieder zu sich und sogleich verschwindet das Geschehen vor uns. Das war dann also das Ende… Es folgt nichts weiter und so wird der Raum in dem wir uns befinden, wieder so steril und leblos wie bei unserer Ankunft. Was für eine Erleichterung. Edema umkreist mich, bis sie dicht vor mir steht. Sie legt ihre Hand auf die Stelle, unter der sich mein Herz befindet. Dabei lächelt sie mich diabolisch an. Ich weiche ihrem Blick nicht aus. Zeige ihr keine Angst wegen dem was kommen wird. Im Grunde wird sie mir einen Gefallen tun. Sie wird mich wieder mit meinen Eltern vereinen. „Letzten Endes werde ich mehr gewinnen als ihr“, hauche ich ihr entgegen. „Ihr möget vielleicht ein paar Zodiac-Kräfte in euch haben, aber was bedeutet das schon. Am Ende werdet ihr alleine sein und ich… ich werde nie wieder alleine sein müssen.“ „Ich werde niemals alleine sein, Kira. Ich werde meine Macht haben. Ich werde meine getreuen Anhänger um mich haben. Ja ich werde sogar die ganze Welt unter mir haben. Ich werde einfach alles haben. Alles was ich immer wollte.“ „Das mag vielleicht stimmen. Dennoch werdet ihr eines ihr niemals haben.“ „Und was soll das sein?“ „Familie! Und Freunde! Alles was ihr bekommt, wird die Einsamkeit sein.“ „Sowas wie Freunde brauche ich nicht, genauso wenig wie eine Familie. Und jetzt lass uns wieder zurückkehren. Es gibt drei neue Zodiac-Kräfte, die ich mir noch aneignen muss“, sagt sie grinsend und wie die ganze Zeit schon über, zieht sie mich mit sich. „Ich habe wirklich gehofft, dass du dich mir anschließen wirst, Kira. Und wenn ich dich dazu hätte zwingen müssen. Eileen und du… ihr wart schon immer die, die ich an meiner Seite wissen wollte. Doch leider ist Eileen bereits tot und du… nun, wir werden sehen.“ Rede du nur, denke ich. Es ist mir egal. Ich habe im Moment andere Sorgen und zwar gehen mir die Worte meiner Mutter nicht mehr aus dem Kopf. Die Worte die sie zu meinem noch ungeborenen Ich sagte, als wir sie in dem Verlies, zusammen mit Dad, sitzen sahen. Du wirst sie besiegen, mein kleiner Liebling! Ich weiß dass du es kannst! Was nur meinte meine Mutter damit? Wie soll ich denn jemanden wie Edema besiegen? Eine Hexe die bereits mehr Jahre auf dieser Welt verbracht hat, als irgendjemand sonst. Eine Hexe, die selbst schon dem Tod getrotzt hat. Wie konnte meine Mom nur so viel Vertrauen in mich haben, obwohl ich damals noch nicht einmal geboren war? Am besten ich schiebe dieser Erinnerung von mir. Denn was auch immer meine Mom damals in mir sah, sie irrte sich. Ich werde Edema niemals besiegen können. Aber vielleicht, ja vielleicht kann wenigstens Selest meinem Zirkel beim Wideraufbau helfen. Dann würde wenigstens diese Prophezeiung meiner Mutter, zum Teil, wahr werden. Ich muss irgendwie Kontakt zu Selest aufnehmen. Ich muss… Irgendjemand kommt Edema und mir entgehen. Schemenhaft kann ich eine Gestalt vor uns ausmachen. Der Silhouette nach handelt es sich bei ihr um eine junge Frau. Ich werfe einen flüchtigen Seitenblick auf Edema, doch allen Anschein nach sieht sie die Person nicht. Heißt das, dass ich sie mir vielleicht nur einbilde? Nein! Ganz sicher nicht. Es dauert nicht lange und die Person steht genau vor uns. Als ich sie erkenne schnappe ich nach Luft. Edema dreht ihren Kopf zu mir. „Was ist los?“ Die Gestalt vor uns schüttelt ihren Kopf. „Nichts!“, sage ich automatisch. Edema reicht das als Antwort, denn sie wendet ihren Blick wieder gerade aus. Wieso sieht sie sie nicht? Sie steht doch direkt vor ihr. Sie kann mich nicht wahrnehmen. Klar und deutlich höre ich die Stimme von Ruby in meinem Kopf. Es ist, als würde sie in Fleisch und Blut vor mir stehen. Als würde sie tatsächlich mit mir reden. Das muss Edema doch mitbekommen. Ich bin wirklich hier! … Deine Mutter schickt mich, um dir zu helfen! Was? Meine Mom? Aber wie? Deine Mutter sieht alles, Kira. Ruby streckt ihre Hände nach mir aus. Ich spüre diese Berührung auf meinem Arm. Ein warmes Gefühl breitet sich in meinem Inneren aus. Es fühlt sich an wie… Nutze meine Magie, Kira! … Nutze sie und schicke meiner Tochter eine Nachricht! Ich soll was tun? Sage ihr wie sie Edema unschädlich machen kann! … Du weißt was sie zu tun hat! … Leite sie! Das Buch der Erinnerungen ist ein Gefängnis. Genau das sagte doch meine Mutter zu mir, kurz bevor sie starb. Das Gefängnis für unsere Erinnerungen. Und plötzlich weiß ich was zu tun ist. Ich schließe meine Augen. Konzentriere mich auf die fremde Magie in meinem Inneren und sende meinen Geist auf die Reise. Zu Selest. Herbst 2015, Anderwelt Selest Peterson Es ist Kira! Ich höre ihre Stimme laut. Klar und deutlich in meinem Kopf. Sie ist es wirklich. „Seit sofort ruhig“, herrsche ich die anderen an. Julian und Ian hören auch augenblicklich auf zu erzählen. Auch Arashi, Kostja, Henry und Gabriel stellen ihre Unterhaltungen ein. Und so sind fünf Augenpaare auf mich gerichtet. „Kannst du mich hören?“ „Ja!“, schreie ich. „Ich höre dich klar und deutlich.“ „Was ist lo…“ „Pst!“, unterbreche ich Arashi, indem ich ihm eine Hand auf den Mund drücke. „Vertraust du mir?“ Vertraust du uns? Diese Worte kommen mir so vertraut vor. Das hat mich Kira doch vor wenigen Tagen gefragt, bevor ich zusammen mit meiner Tante in meinem eigenen Traum gereist bin. Schon damals lautete meine Antwort: Ja. Ohne das ohne groß darüber nachzudenken. Ich vertraute ihr schon damals, obwohl ich sie da noch nicht so gut kannte. Also Ja… Ich vertraue ihr. „Das tue ich“, sage ich voller Überzeugung. Mittlerweile sehen mich die Fünf nicht mehr überrascht, sondern verwirrt um. Die müssen wohl denken dass ich langsam den Verstand verliere, weil ich mit mir selbst rede. „Ich glaube jetzt ist es gänzlich um sie geschehen. Das arme Ding!“ Sagte ich es nicht? Und natürlich war es Ian, der den Gedanken den wohl alle haben, ausspricht. „Suche Julian!“ „Er ist hier bei mir“, erkläre ich ihr. „Das ist gut. Ergreife seine Hand, Selest!“ Ich tue wie mir geheißen, auch wenn mich Julian und Arashi daraufhin komisch ansehen. Und um Arashi nicht eifersüchtig zu machen, greife ich mit meiner noch freien Hand nach einem seiner Arme. So wird auch er Kira hören können. „Es gibt einen Weg Edema zu besiegen“, sagt Kira. Kaum das sie ihre Stimme vernommen haben, zucken Arashi und Julian zusammen. „Kira!“ „Ich wusste es“, ist alles was Kira zu Julian sagt, nachdem er ihren Namen rief. Doch was meint sie? Was wusste sie? Ich blicke Julian an, doch der zuckt nur mit den Schultern. Er weiß also auch nicht was sie meint. „Ihr müsst das Buch der Erinnerungen versiegeln! Gemeinsam könnt ihr es schaffen! … Edema wird dann in ihm gefangen sein. Es wird ihr so unmöglich sein aus ihm herauszukommen. Bitte Selest!“, fleht Kira mich regelrecht an. Ich will ihr gerade antworten. Will ihr sagen das ich es tun werde, doch da kommt mir Arashi zuvor. „Das werden wir nicht machen“, sagt er aufbrausend. Jetzt sehe ich ihn an. Auch Arashi blickt zu mir, doch wendet er sich sofort wieder ab, als sich unsere Blicke treffen. Was hat er? „Wie stellen wir das an?“, stelle ich meine Frage an alle, nicht nur an Kira. Ich setze mich so also über Arashi hinweg. Lasse seinen Einwand völlig außen vor. Endlich haben wir eine Idee. Endlich wissen wir was wir tun müssen um Edema unschädlich zu machen und das ohne, dass wir sie körperlich verletzten. Es ist unsere einzige Chance. Wieso nur sieht Arashi das nicht. „Sag mir was wir machen müssen“, sage ich. Ich meine damit Kira. „Es ist ein einfacher Versiegelungszauber. Julian müsste einen kennen, frag ihn.“ „Julian?“ Er sieht abwesend aus. Ich rüttle an seiner Schulter und sofort wacht er aus seiner Lethargie auf. Er sieht mich an, doch seine Augen scheinen mich nicht wirklich zu erfassen. „Was ist los?“ Keiner sagt ein Wort. „Ihr müsst euch beeilen, Selest! Es wird nicht mehr lange dauern, dann hat Edema den Ausgang erreicht. … Bitte Selest!“ Wieder fleht Kira mich an. „Warum sagt keiner von euch was?“ schreie ich in die Runde. „Sie versteht wirklich nicht was es bedeutet, das Relikt zu versiegeln“, sagt Ian. „Erkläre es mir“, verlange ich von ihm. „Irgendwer.“ Eine große warme Hand legt sich mit wenig Druck auf meine Schulter. Ich schaue zu dessen Besitzer hoch. Es ist Henry. „Wenn wir das Buch der Erinnerungen versiegeln“, beginnt er, „dann kann Edema nicht mehr raus. Niemand kann dann mehr raus oder rein.“ „Verstehst du was das bedeutet?“ Niemand kann mehr raus! Niemand kann mehr… Kira! Wenn wir es versiegeln, dann kann auch Kira nicht mehr aus ihm heraus. Dann ist sie für alle Ewigkeit mit Edema dort drin gefangen. Mir endlich bewusst was das auch für Kira bedeutet, sehe ich zu Arashi. Noch immer meidet er meinen Blick. Er will es nicht. Er will Kira nicht dort drin lassen. Und ich weiß auch warum. Nicht weil er weiß das es wohl unsere einzige Chance ist sie zu besiegen, sondern weil… Du wirst schon noch Gelegenheit bekommen sie zu retten. Ich werde dich dabei unterstützen. … er es mir versprochen hat. Das verspreche ich dir! Ruckartig lasse ich von Julian und Arashi ab, trenne so ihre Verbindung zu Kira. Jetzt höre ich sie also nur noch alleine. „Verlange das nicht von mir.“ „Es tut mir leid, Selest!“ Kira klingt mehr als aufrichtig. Es tut ihr leid. Dabei sollte es mir leidtun. Immerhin werde ich… „Ich kann das nicht“, hauche ich. Erste Tränen dringen aus meinen Augen. Sie fallen auf meine Hand, die ich zur Faust geballt habe. Was soll ich nur tun? „Ich werde es tun“, höre ich Ian sagen. Er erhebt sich von seinem Platz und drängt sich durch die, in ihrem Singsang vertieften, Phönix-Hexen. „Nicht!“, schreie ich ihn an. Er dreht sich zu mir. „Ich weiß dass sie deine Freundin war. Und ich weiß auch dass es dir widerstrebt es zu tun. Doch…“ „Sie ist unsere Hohepriesterin“, sagt Kostja. „Wir haben einst geschworen unsere Hohepriesterin zu beschützen. Doch ist niemand… nicht einmal eine Hohepriesterin, wichtiger als alle anderen es sind. Mache Entscheidungen die wir treffen, treffen wir für das übergeordnete Wohl. Ganz gleich, wie schwer es uns auch fallen mag.“ „Habt ihr es euch deswegen zur Aufgabe gemacht die Zodiac-Kräfte zu sammeln“, will Arashi von Kostja wissen. „Weil ihr verhindern wolltet das Edema sie bekommt?“ „Ganz recht.“ „Unser Vater wusste, dass er mit dieser Entscheidung unseren Zirkel verraten würde. Das er aus ihm verband und sogar gejagt werden würde, also machte er sich einen Namen als Hexenjäger. Doch jagte er ausschließlich nur die Hexen, die sich als Edemas treuesten Anhänger entpuppten. Kein unschuldiges Blut wurde je durch unsere Familie vergossen, Selest. Wir…“, Gabriel unterbricht seine Erklärung. Sein Vater fährt für ihn fort. „Wir entschuldigen uns nicht bei dir, wegen dem was wir dir antun wollten, Selest. Auch nicht, das wir Kira, unsere eigene Hohepriesterin, opfern wollten. Denn all das diente einem höheren Wohl. Dem Erhalt unseres Volkes, und der Welt in der wir leben.“ „Bitte Selest! Wir haben fast den Ausgang erreicht. Wer auch immer von euch es tun wird. Er sollte es schnell tun.“ Ich weiß nicht was ich tun soll. Ich weiß nicht wie ich mich entscheiden soll. Ich weiß… So vieles geht mir durch den Kopf. Alles was ich in den letzten Wochen mitgemacht habe, erscheint noch einmal vor meinem geistigen Auge. Dann sehe ich sie, Dad, Tante Fanny, Maik, Thea und Laura – meine Familie. Ich sehe Jolina, Constantin, Arashi, ja selbst Derek – meine Freunde. Dann gehen mir drei letzte Gedanken durch den Kopf: Kostja hat seinen Zirkel verloren! Kira hat ihre beste Freundin verloren! Und ich… ich werde eine gute Freundin verlieren, vielleicht sogar meine beste Freundin. Und doch würde ich das richtige tun. Genauso wie Kostja und Kira schon das richtige getan haben. – Meine Entscheidung steht also. Ich werde nicht zögern. Mit erschlossener Miene stelle ich mich auf und gehe auf die andere Seite des Altars. Ich stelle mich neben Julian, der mit Ian die Plätze getauscht hat. „Sag mir was ich tun soll“, bitte ich ihn. Er nickt mir zu und greift nach meiner linken Hand. Die rechte ergreift Arashi. „Ich sagte doch, ich werde stets an deiner Seite sein“, erklärt er sein handeln. Er schenkt mir ein Lächeln – welches ich erwidere – und nickt dann Julian entschlossen zu. Es ist also soweit. Ich schließe meine Augen und lasse mich von der Magie Julians leiten. Mit der Hilfe der beiden kann ich es schaffen, das weiß ich. „Ich danke euch!“, hören Julian, Arashi und ich, das letzte Mal Kiras Stimme. Dann ist die Verbindung zwischen uns zerbrochen. Es ist getan. Das Relikt, das Buch der Erinnerungen wurde versiegelt. Die Veränderung lässt auch nicht lange auf sich warten. Das einst golden schimmernde Buch schlägt seine Seiten zu und verfärbt sich schwarz. Zeitgleich hört der Singsang von Jolina und den anderen auf und sie fallen alle zu Boden. Das ist dann also das nächste Zeichen, welches uns zeigt, dass wir Erfolg hatten. Edemas Zauber, den sie über die Hexen hier gelegt hatte ist gebrochen. Wir haben es tatsächlich geschafft. Ich bedanke mich bei Julian und Arashi für ihre Hilfe. Nicke Kostja und seinen drei anderen Söhnen zu, ehe ich auch schon schnellen Schrittes zu meinem Dad und meiner Tante renne. Ich lasse mich neben sie fallen. Mein Dad ist der erste der seine Augen aufschlägt. Sofort falle ich ihm um den Hals und drücke ihn weiterhin zu Boden. Erst weine ich stumm – lehne meinen Kopf auf seine Brust – dann fließen die Tränen ununterbrochen. Ich spüre die starken Hände meines Dads auf meinem Rücken. Er drückt mir einen Kuss auf den Haarschopf und hält mich einfach nur fest. „Wir haben es geschafft“, nuschle ich in sein Anzugoberteil. „Wir haben das mir vorbestimmte Schicksal abgewendet. Und wir haben Edema besiegt.“ Und trotz allem, fühlt es sich nicht wie ein Sieg an. Winter 2016, le village de étoiles Selest Peterson Es ist jetzt ein viertel Jahr vergangen, seit wir Edema besiegt und somit unsere Welt vor einer bevorstehenden Tyrannei gerettet haben. Seit dem ist vieles passiert. Meine Tante wurde zur neuen Hohepriesterin unseres Zirkels ernannt und der Zirkel der Wicca-Hexen wurde ganz offiziell rehabilitiert. Jede einzelne Hexe und jeder einzelne Hexenmeister, genauso wie die Loup-Garou und Vampire wissen nun, dass es nicht Ileana und Alex waren, die den Krieg vor nun 18 Jahren begonnen haben, sondern Edema, die den Körper ihrer Tochter, Lady Antoniella, schon vor etlichen Jahren übernommen hatte. Außerdem wurde Kira vom Triumvirat als neue Hohepriesterin der Wiccas anerkannt und das, obwohl sie ihren Zirkel derzeit nicht leiten kann – das tut in ihrer Abwesenheit Kostja, dessen Familie ebenfalls rehabilitiert wurde. Er sagte selber, dass er diesen Posten nur vorübergehend einnehmen wird, da auserfrage steht, dass Arashi, Julian und ich einen Weg finden werden, um Kira aus dem Buch der Erinnerungen zu befreien. Es wäre doch gelacht, wenn wir es nicht schaffen würden. Doch die wichtigste Neuigkeit kommt zum Schluss. Arashi und ich sind seit Weihnachten letzten Jahres, sogar verlobt. Er hat mir einen wunderschönen Antrag gemacht, den ich selbstredend angenommen habe, nur mit der Bitte, dass wir solange mit der Hochzeit warten, bis Kira meine neue Familie, bestehend aus meiner alten, sowie Jolina, Constantin und Julian komplettiert. Apropos Familie… Derek hat eine Beerdigung, eines Königs, würdig erhalten und Paul wurde kurz danach von seinem Onkel adoptiert. Selbstverständlich hat der Kleine noch immer sehr mit dem Verlust seines großen Bruders zu kämpfen, aber wir alle helfen ihm damit umzugehen. Und wenn er nur halb so ist wie Derek, dann wird er das auch schaffen. Er wird eines Tages, einen wunderbaren Alpha abgeben. „Bist du schon sehr aufgeregt“, fragt mich Jolina. Sie sitzt auf Constantins Schoß und blickt von dort aus lächelnd zu mir rüber. „Es ist nur noch eine Minute, dann bist du ganz offiziell eine Phönix-Hexe.“ „Und wieder ein Jahr gealtert“, fügt Arashi dem grinsend hinzu. „Sei du lieber ruhig, Alter Mann.“ „Also wirklich, schämst du dich denn gar nicht, als 105 Jähriger, mit einer gleich 18 Jährigen zusammen zu sein?“ Arashi steckt seinem besten Freund die Zunge raus – wirklich sehr erwachsen – und vergräbt dann seine Nase in meinen Haaren. Ich drücke mich näher an seine Brust ran und nehme seinen süßlichen Duft war. Ein Blick auf meine Armbanduhr verrät mir, dass ich noch für 15 Minuten ein ganz gewöhnlicher Mensch sein werde. Ich bin sicher, ich werde dieses Leben vermissen, dennoch freue ich mich auf das kommende. Auch wenn mir sehr viel Arbeit bevorstehen wird. Das hat Jolina schon prophezeit. „Gleich ist es soweit, Leute“, freut sich Paul, dem erlaubt wurde der Geburt einer neuen Phönix-Hexe, mir, beizuwohnen. Aber auch nur, weil wir Xander versprochen haben ihn danach direkt nach Hause zu bringen. Und keiner hat vor sich daran nicht zu halten. Ein wenig aufgeregt verfolge ich die Ziffern auf meiner Digitaluhr. Gleich ist es soweit. „10… 9…“ „8… 7…“, stimmen die anderen mit ein. „6… 5… 4… 3… 2… 1…“ Meine Digitaluhr konnte noch nicht mal richtig auf den 14. Februar umschalten, da spüre ich auch schon die Flammen der Phönix-Hexen in meinem Inneren. Sie füllen mich gänzlich aus. Ich öffne meine Augen, die ich, schreckhaft wie ich bin, geschlossen hatte und auch in ihnen stehen die Flammen, das Zeichen meines Zirkels. Das Zeichen meiner Zugehörigkeit zu den Phönix-Hexen. Epilog: -------- Winter 2016, Ort unbekannt Kira Vaillant Es ist die richtige Entscheidung gewesen. Und genau darum bereue ich auch nichts. Edema war natürlich mehr als stinksauer gewesen, als sie bemerkte, was Selest und Arashi getan haben. Sie tobte, brüllte und schreite ihren ganzen Unmut deswegen, in die Unendlichkeit der Leere hinein und ließ dann ihre Laune an mir aus. Doch das kümmerte mich nicht. Denn ich war einfach nur froh, dass wir es gemeinsam geschafft haben, Edema aufzuhalten. Natürlich fehlten mir schon da Selest Planlosigkeit, Arashis dumme Sprüche, ja sogar Julian fehlte mir, dem ich alles was er getan, oder auch nicht getan hatte, verzieh. Am liebsten hätte ich ihm das auch gesagt, doch leider bekam und werde ich wohl nie die Gelegenheit dazu bekommen. Das macht mich irgendwie traurig. Das, und die Tatsache, dass ich keinem von ihnen mehr sagen kann, wie froh ich doch war, sie meine Freunde nennen zu dürften. Gut zwei Mal war ich mir schon sicher, dass Edema mich töten würde. Dabei tat ich eigentlich nie etwas, was sie in irgendeiner Art und Weise verärgert haben könnte. Doch alleine der Gedanke, dass ich mit verantwortlich daran bin, das sie hier ist, ohne Aussicht auf Flucht, reichte ihr wohl aus. Jeden dritten Tag reicht es ihr aus, um mich ihren Unmut spüren zu lassen. Meine Gedanken driften wieder zu Julian ab. Ich würde liebend gerne wissen was er gerade macht. Ob er sich eventuell schon neu verliebt hat und wenn ja, ob er dann wenigstens noch ab und zu an mich denkt. Ich tue das fast jeden Tag. Denke an ihn, an Selest und an Arashi. Man kann schon sagen, dass die drei mir am meisten bedeuten. Dass sie meine Familie sind. Ja sogar Ian habe ich schon zwei-dreimal vermisst. Irgendwie fehlt mir sein hinterhältiges Grinsen. Ich höre Edema wieder zurückkommen. Seit ein paar Wochen hat sie die Bilder der Vergangenheit wieder für sich entdeckt. Jeden zweiten Tag, sieht sie sie sich an. Meistens muss auch ich sie mir ansehen, quasi als Strafe für mein Verrat an ihr, doch heute wollte sie das nicht. Heute ist sie alleine hingegangen und heute hat es auch länger gedauert als sonst. Ich stelle mich schlafend. Irgendwie habe ich keine Lust mich mit ihr zu unterhalten, oder mir anhören zu müssen, wie sehr die Todesschreie, von denen es beim großen Krieg, vor mittlerweile 18 Jahren, mehr als genug gab. Heute will ich mal meine Ruhe vor ihr haben. Will mich einzig auf meine, ganz persönliche, Vergangenheit konzentrieren. Edema hockt sich neben mich. Ich kann ihren natürlichen Duft wahrnehmen und rümpfe leicht die Nase. Genau das hat sie damit beabsichtigt. Sie wollte sehen ob ich mich lediglich nur schlafend stelle, oder aber nicht. „Ich habe wunderbare Nachrichten für dich, Kira“, flüstert sie mir ins Ohr und greift nach der magischen Fessel, mit der sie meine Handgelenke auf meinem Rücken festgebunden hatte. Sie zieht an ihr und zwingt mich so aufzustehen. Dann lächelt sie mich an. „Wir gehen endlich nach Hause!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)